Die sieben Klagelieder

1.

Nun ist der stille Herbst gekommen,
Wie grüßt er mich so hold, so weh.
Er hat die Blumen hingenommen,
Ihr lieben Blumen, ade!
Die Vöglein all sind weggezogen,
Sie ahnen schon den kalten Schnee;
Sie sind zur Heimat hingeflogen,
Ihr holden Sänger, ade!
Die Sonn' ist auch schon hingegangen,
Wie ich so einsam hier noch steh'.
Dahin ist Lust und Sommerprangen,
Du milde Sonne, ade!
Ich will euch gerne scheiden sehen,
Willkommen Sterben, selig Weh!
Bald werd' auch ich zur Heimat gehen,
Dann kalte Erde, ade!

2. Grablied

Ich hab' ein Hüttchen dir gebaut,
So lind (?) und grün und kühl,
Da wohnst du so allein und traut,
Da ist es dämmernd still.
[154]
Komm, weiße Rose, geh hinein,
Das Hüttchen ist bereit,
Ich habe blanke Perlen drein
Und Blumen genug gestreut.
Ich hab' ein Bettchen dir gemacht,
So tief im grünen Gras,
Da träumst du süß, da schläfst du sacht,
Ist's auch von Tränen naß.
Ich schmücke dir dein Kämmerlein
Mit Blumen und mit Klee,
Komm', stille Braut, komm', geh' hinein,
Da ist kein Schmerz, kein Weh.
Bald werden bleiche Blumen hier
Rings um dein Häuslein blühn;
Ich muß vor deiner Kammertür
Noch wenig Stunden knien.
Und bis das letzte Blümlein schwand,
Will ich geduldig sein;
Dann reichst du mir die weiße Hand,
Dann ziehst du mich hinein.

3. Der Morgenwind

Wacht auf, wacht auf, ihr Fluren!
Laßt Träumen sein!
Dahin ist Nacht und Sorgen,
Schaut an den roten Morgen
So hell und frisch und rein!
Ich lag in Blumen so tief, so tief,
Bis mich der klare Morgen
Mit seinem Schimmer rief.
Habt Dank, ihr süßen Blumen!
Wie hold ich schlief.
Nun schwing' ich meine Flügel
Und zieh' durch fremde Fluren,
Wer hemmte meinen Lauf?
Flattr' um ferne Hügel,
Gehe, wehe,
Ihr Blumen auf den Fluren,
Wacht auf! Wacht auf!

[155] Nelke neben der Viole.

Nun ist in blauen Lüften
Der Morgenwind erwacht!
Du hast mit süßen Düften
Die ganze Nacht geklagt.
Nun stehst im dunklen Kleide
So ferne du und stumm,
Und neigst dich tief im Leide
Und siehst dich gar nicht um.
»Laßt mich in meinem Leide
Nur stille hier verblühn.
Es gibt doch keine Freude,
Seitdem die Rose hin.«
Reseda.

Ja, seit die Ros' erblichen,
Kann sich kein Gräslein freun.
Da ist der Lenz gewichen
Aus diesem ganzen Hain.
Alle Blumen.

Du Wurm, der sie zerstochen,
O falscher, böser Wurm.
Du Sturm, der sie gebrochen,
O wilder, grauser Sturm!
Goldblume.

Ich tat mich so betrüben,
Ein golden Pünktlein kaum
Ist mir noch übrig blieben
An meiner Blätter Saum.
Alle Blumen.

Wir mögen nicht mehr prangen
Mit Farben rot und blau,
Wie fällt auf unsre Wangen
Doch nachts so warmer Tau!
Tuberose.

Der Tau, der brennt und glühet
Ach Schwestern, wie so heiß!
Und was sonst farbig glühet,
Das wäscht er bleich und weiß.
[156] Staude.

Ja, Schwester, Tau sind Tränen,
Sind sie auch oftmals heiß.
Ja, namenlos ist Sehnen,
Drum bin ich bleich und weiß.
Vergißmeinnicht.

Sonst stand ich blau am Quelle
Und sprach: vergiß mein nicht,
Hier glüh' ich weiß und helle
Und sage: weine nicht.
Weiße Rose.

Wir weißen Rosen blühen
Recht wie in Lieb' und Lust,
Wir weißen Rosen blühen
Herauf aus ihrer Brust.
Sie ist ja nun geschieden
Von Leid und Erdenschmerz,
Wir Rosen heißen Frieden,
Ach, nimm uns an dein Herz.
Aster.

Ach, hier auf dieser Erde
Ist gar nichts zart und rein,
Und Kummer und Beschwerde
Engt jeden Busen ein.
Laß sein! was hier verglühet,
Das wird dort reiner glühn.
Laß sein! was hier verblühet,
Das wird dort ewig blühn.
Dort, wo die Sel'gen wohnen,
Führt einst der Tod dich hin;
O Herz, dort gibt es Kronen
Für treuen Duldersinn.
Alle Blumen.

Wir lächeln all durch Tränen,
Die Blättlein sind so naß.
Uns pflanzte heißes Sehnen,
Drum sind wir welk und blaß.

[157] 4. Blumenlied

Will keine Kronen;
In Blumen wohnen,
In Blumen schlummern, o süße Lust!
Und Kränze winden
Und Sträußlein binden
Und Blüten pflücken für ihre Brust.
Den Blumen sagen
All leise Klagen,
Mit Blumen weinen, o selig Leid!
Die Blümlein preisen
Mit frohen Weisen,
Der Blümlein warten, o Freudigkeit!
Durch Blumen wallen,
Wie Nachtigallen
In Blumen singen, wie süß, wie süß!
In Blumen gehe
Mit deinem Wehe,
Sieh' an die Blumen, es weicht gewiß!
Und wenn sie welken,
Die duft'gen Nelken,
Die Lilien weiß, die Röslein rot,
Dann will ich schweigen,
Mich stille neigen,
Mit Blumen sterben, o süßer Tod!

5. Wehmut

Hoch in der Linde drüben
Ein Vöglein wohnte lang;
Ich tat es herzlich lieben,
Gern lauschen seinem Sang.
Wo ist mein Sänger blieben?
Ach, schweigt ja schon so lang.
Er sang von Lenz und Lieben –
Drüben
Ist alles stumm und bang.
[158]
Die Linde seh' ich stehen
So traurig dunkelgrün,
Die Blumen all vergehen
Und wollen nicht mehr blühn.
Ich hab' ihn oft gesehen,
Nun ist er hin, ist hin –
Die Winde schaurig wehen,
Gehen
Und seufzen all um ihn.

6.

Meine Tränen fließen
Auf den Hügel hin.
Lichte Blumen sprießen,
Klee und Rasen grün.
Weh, o weh, in Blumen
Lag die Liebste tot!
Weh, o weh, die Blumen
Waren blutigrot!
O, wer hilft mir klagen
Meinen bittren Schmerz?
O, wer hilft mir tragen
Mein verwundet Herz?
Meine Klagen hallen
Um den Hügel klein,
Und die Nachtigallen
Stimmen leise ein.
Für dein heitres Lieben
Armes, stilles Herz,
Ist dir nichts geblieben
Als der tiefe Schmerz.

7.

Wie magst du also fragen,
Du fremder Wandersmann!
Du laß' dein ängstlich Fragen
Und sieh uns Rosen an.
Wir weißen Rosen scheinen
Von einem Hügel klein,
Da legten sie mit Weinen
Ein Mägdlein einst hinein.
[159]
Das schlief auf Maienglocken
So still und weiß und fein,
Das schmückten helle Locken
Fast wie ein Himmelsschein.
Wir weißen Rosen blühen
Recht wie in sel'ger Lust,
Wir weißen Rosen blühen,
Herauf aus ihrer Brust.
Du laß' dein trübes Bangen
Und sieh zum Himmel auf,
Sie ist nur heimgegangen,
Und du gehst auch hinauf.
Wir weißen Rosen stehen
So still und milde hier,
Wir duften gern und wehen
Recht linde Träume dir.

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TextGrid Repository (2012). Hensel, Luise. Die sieben Klagelieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-547E-1