Johanna Gray

Eine Romanze zu ihrem Bildniß.


1777.


Ihr Menschenherzen, zart und weich,
Mein Trauerlied hört an!
Die Laute bebt und singt es Euch,
Wenn sie es singen kann.
Das Lied der schönen Blumenbraut,
Der Unschuldkönigin,
Die, ach! dem Thron kaum anvertraut,
Im Blute sank dahin;
Sank froh dahin, den süßen Tod
Der Weib- und Kindespflicht;
Ging hin ins Engelmorgenroth,
Aus Nacht und Traum zum Licht.
Johanna Gray das Mädchen hieß,
Aus ächtem Königsblut,
Ein Täubchen, hold und zart und süß
Und biederfest und gut.
Was Dichter Plato weit im Reich
Der stillen Schöne sah,
Aufkeimend lag's, wie rein, wie weich!
In ihrer Seele da;
Entspann (so webt der Himmel sich
Aus Morgenroth und Grau),
Entspann so rosenwonniglich
Und glänzt' im ersten Thau.
Als nun, o Schicksal! ihr Gespiel
Und Tugendbruder sie
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Zum Thron ernennet, ach, da fiel
Die Blume, fiel so früh!
Kön'g Eduard, des Volkes Lust,
Des Löwenvaters Sohn,
Und Lammes Sanftmuth in der Brust,
Er, der Religion
Nach Blut und Streit und Stürmen, sie
Rein seinem England gab
Und stille – Eduard ging früh
Und klagend in sein Grab.
»Wer soll, was ich gepflanzet nun
In Englands schönem Raum,
Wer soll, wer kann, wer wird es thun,
Erziehen mir den Baum?
Die zarte Sprosse! Weinend geh'
Und trostlos ich dahin;
Ich seh' den Sturm schon kommen, seh'
Die Blüthe schnell verblühn!«
»Nicht weine!« sprach Northumberland.
»Was, König, Du gehegt
Für Himmel und für Vaterland,
Ich weiß, wer sein noch pflegt.
Blick auf aus Deiner Krankengruft,
Sieh jenen Morgenmai!
Horch auf, und Englands Stimme ruft:
›Gieb uns Johanna Gray!‹«
Da gab er sie; und froh ging nun
Der sechzehnjähr'ge Held
In seine Ruh und konnte ruhn;
Denn sie, sie blieb der Welt.
Und Suffolk und Northumberland
Und Guilford, ihr Gemahl,
Sie knieten nieder: »Vaterland,
Des Königs Wort und Wahl,
Geschlecht, Pflicht und Religion,
Sie bieten, Königin,
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Die Krone Dir, der Tugend Lohn;
O Engel, nimm sie hin!«
»Die Krone?« sprach das holde Kind
Und bebte stumm zurück.
»Ach, wähnet Ihr mich so gesinnt?
Und nennt dies Erdenglück?
Die Krone! sie gebührt nicht mir;
Ich mag nicht fremden Raub;
Sie brennt, der Stirne Flammenzier,
Sie brennt mich in den Staub.
Die Krone! – Väter! mein Gemahl!
Mein süßer Guilford, Du,
Du sprichst, was Eduard befahl,
Und fühlst nicht meine Ruh,
Mein Wohlsein hier an Deiner Brust
Und gönnest mir den Gang
In meines Plato Himmelslust
Aeon-äonenlang?
Statt Kronenspiel und Rausch und Ball
Und Jagd und Pracht und Tanz,
Mein Guilford, schwebten wir im All,
In Gottes Sonnenglanz;
Und Ihr, Ihr rufet mich herab
Zu schnödem Kronenraub,
Gesetzesbruch, ins Ehrsuchtgrab,
Zu Laster, Koth und Staub!
Erbarmt!« Sie sprachen mächtiglich:
»Dich nannte Heinrich's Sohn,
Im letzten Hauche nannt' er Dich
Und gab Dir seinen Thron,
Ließ Dir sein Werk, was er gepflegt,
Was Niemand pflegen kann,
Wozu der Himmel Dich geprägt;
Johanna, nimm es an!
Und Gott will's! und Religion.«
Sie kniete fromm dahin:
»So nehm' ich, keiner Tugend Lohn,
Durchs Recht nicht Königin,
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Gemahl und Tochter, nehm' ich an,
Was Ihr itzt auf mich zwingt,
Und geh' nur des Gehorsams Bahn,
Die bald – wohin mich bringt?«
Sie ging (so geht ein Lämmlein hin!)
Zur Krönung in den Tow'r
Und sieht im reinen, stillen Sinn
Schon ihre Kerkermau'r.
Zehn Tage war mit Kronenpracht
Der Engel angethan,
Da kam schon, sieh! in Höllennacht
Maria grimmig an.
Die Haufen flammten. Nicht geschont
Ward ruhendes Gebein.
Die Edlen starben. Ungelohnt
Sollst Du, Johanna, sein?
Nein, hör und hör es muthiglich,
Dein Urtheil ist gefällt:
Ein Tag, ein Blutschwert leitet Dich
Und Guilford aus der Welt.
Ein Tag, ein Blutschwert? Nein, das ist
Der Mörderin zu schön.
»Zusammen soll in edlem Zwist
Das Volk sie sterben sehn?
Zusammen soll am Blutaltar
Der Tod sie sanft umfahn?
Das sechzehn-zwanzigjähr'ge Paar
Auf einem Blumenplan?
Nein, Guilford sterb' allein im Weh,
Und sie seh' führen ihn
Zum Tod, und todt und blutig seh'
Sie seinen Leichnam ziehn,
Und harre Tods, der komme nicht!
Und bis sie blutend blaßt,
Umwölk' ihr Strahlenangesicht
Ein Priester, den sie haßt!
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Und ungeboren sterb' in ihr
Des süßen Guilford's Brut
Und seh' den Tag nicht!« – Mördrin, Dir
Weh, Mördrin, Deiner Wuth!
Und doch vergebens wüthest Du,
Vergebens trennst Du sie.
Hast Macht Du über Engelruh?
Trennst Du im Tode? Nie!
Mein Guilford, einen Augenblick
Geh muthig mir voran,
Wo uns nicht Tod, nicht Mißgeschick,
Kein Feind uns trennen kann!
»Sieh mich nicht mehr, ob ich Dich seh'!«
Und sah zum Tod ihn ziehn
Und sah ihn blutend kommen – weh!
Da schwand, da sank sie hin.
Und harrte bang drei Tage lang
Und fühlt' ihr Kind und ihn
Am Herzen rufen, ging den Gang,
Ein Lamm, zum Tode hin.
Was weinst Du, Hauptmann meiner Wacht?
Ein Denkmal bittest Du?
Nimm diesen Spruch und hab ihn Acht,
Den Denkspruch meiner Ruh:
»›Verbrecherin, doch nicht vor Gott,
Aus Weib- und Kindespflicht,
Was ich gefehlet, büßt mein Tod
Und führt aus Nacht in Licht.‹«
Aus Nacht in Licht! Und sah so klar
Und fühlt' so droben sich,
Umschlang ihr langes, seidnes Haar
Zur Todesbinde sich.
»Ist dies das Beil, das Guilford schlug?
Es klingt so guten Klang!
Ruh, Sohn, am Herzen! – Nun genug!«
Und legt' das Haupt und sank.
Und Kind und Mutter drangen fort
Wie Blumenduft im Thau;
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Und Guilford's Geist empfing sie dort
Auf amaranthner Au'.
Ihr Menschenherzen, zart und weich,
Hemmt Eurer Thränen Bach!
Hienieden webt ein Schattenreich,
Das Lichtreich folget nach.
Ihr Menschenherzen, fest und gut,
Sucht nicht ein Erdenglück!
Die goldne Krone trieft von Blut,
Der Sturm wird Sonnenblick.
Verzweifelt nicht und hofft und traut!
Die Welt sieht immer Schein;
Was hin Ihr in das Ew'ge baut,
Scheint nimmer und wird sein!

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TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Fünftes Buch. Johanna Gray. Johanna Gray. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5674-9