10. Lied vom Kriege
Esthnisch
Schon erscholl die Post des Krieges,
Schon erging der Ruf der Feindschaft,
»Wer von uns geht nun zum Kriege?
Jüngster Bruder, gröster Bruder!
[331]Die höchsten Hüte, die schönsten Pferde,
Die stolzesten Pferde, die deutschesten Sättel! –«
Eilig rüstet' ich den Bruder,
Rüstet' ihn und unterwies ihn:
Lieber Bruder, guter Bruder,
Reit' nicht vorwärts, bleib' nicht rückwärts,
Denn der Feind erschlägt die ersten,
Und der Feind erschlägt die letzten.
Dreh' dich mitten in den Krieg hin,
Halt dich nah am Fahnenträger,
Denn die Mitte kommt nach Hause.
Bruder kam zurück nach Hause
Ging vor seines Vaters Thür:
»Vater, komm, erkenn den Sohn!«
Vater kam und kannt ihn nicht.
Ging vor seiner Mutter Thür:
»Mutter, komm, erkenn den Sohn!«
Mutter kam, erkannt ihn nicht.
Ging vor seines Bruders Thür:
»Bruder, komm, erkenn den Bruder!«
Bruder kam, erkannt ihn nicht.
Ging vor seiner Schwester Thür;
»Schwester, komm, erkenn den Bruder!«
Schwester kam, erkannt den Bruder –
Woran kannt ich meinen Bruder?
Kannt ihn an den kurzen Kleidern,
Kannt ihn an dem niedern Mantel,
»Lieber Bruder, guter Bruder,
Sag', erzähle mir vom Kriege!
Sprich, wie lebt man in dem Kriege?
Ist im Kriege auch das Weib lieb?
Lieb das Weib, die Gattin theuer?«
[332]
»Liebe Schwester, kleine Schwester!
Zieh mir aus die staubgen Kleider,
Wisch mir ab den blutgen Degen,
Dann erzähl ich dir vom Kriege.
Nein im Krieg ist nicht das Weib lieb,
Nicht das Weib, die Gattin theuer!
Lieb im Krieg ist blanker Degen,
Lieb im Krieg' ein wackres Pferd,
Das den Mann vom Kriege rettet.
Lieb, zu wechseln Feindes Degen,
Das Gewehr aus Feindes Hand.«