Johann Gottfried Herder
Gott

Einige Gespräche über Spinoza's System nebst Shaftesbury's Naturhymnus

An gnôs, ti esti Theos, hêdiôn esê.

[9]

[Vorreden]

Vorrede zur zweiten Ausgabe

Schon vor mehreren Jahren hätte diese Ausgabe erscheinen können, mit der ich aber aus verschiednen Ursachen säumte.

Seit 1787 nämlich (in welchem Jahr diese Gespräche gedruckt waren) hatte sich im philosophischen Horizont Deutschlands Manches geändert. Der NameSpinoza, den man vorher gewöhnlich mit Schauder und Abscheu nannte, war seitdem bei Einigen so hoch gestiegen, daß sie ihn nicht anders als zur Verunglimpfung Leibnizes und anderer trefflicher Geister zu nennen wußten. Ja, man hatte sein System so gemißbraucht, daß, vergessend alle Schranken menschlicher Erkenntniß, die er so richtig anerkannte, man den Kegel auf den Kopf stellte und aus einem eingebildeten engen Ich das gesammte Weltall seinem ganzen Inhalt nach auszuspinnen sich erkühnte. Diesen objectlosen Traum nannte man den transcendentalen Spinozismus und höhnte den alten Spinoza, daß er so weit nicht gelangt war. Andererseits fuhr man fort, zu behaupten: »Spinoza habe Gott zertheilt, ihm das Denken geraubt; sein Gott sei nur ein Collectivname«. Und fuhr dennoch fort, auch zu behaupten: »unter diesem Collectivnamen liege bei Spinoza Alles in Ketten blinder Nothwendigkeit gefangen. Spino za's Gott sei ein despotischer, wilder Polyphem, dem er das Auge geraubt«. In so anmaßend absprechenden Zeiten durften anspruchlose Gespräche über Spinoza's System keinen erfreulichen Anblick des offnen Sonnenlichts erwarten.

Da indessen ihr Zweck nicht gewesen war, Spinoza's System in jedem gebrauchten Ausdruck zu retten oder es gar zu apotheosiren, wohl aber, es verständlich zu machen und durch Weghebung [9] einiger Wortwände zu zeigen, wohin Spinoza wollte, so durfte und darf ich dieser, einem achtungswürdigen Denker erwiesenen Pflicht der Menschheit mich nicht schämen.Archytas' Schatte bei Horaz schien mir zuzurufen:


» – – Schiffer, versäume Du nicht, dem unbegrabnen
Haupt und meinen Gebeinen ein Wenig
Fliegenden Staubes zu schenken. –
Eilest Du gleich, Du darfst nicht lange verweilen; ein' Handvoll
Erde dreimal auf mich! dann segle weiter!«

Warum sollte ich ihm diese Liebe nicht erzeigen? Jahrhunderte hindurch ist das Reich der Wahrheit ein zusammenhangendes, ungetheiltes Reich; wer Mißverständnisse voriger Zeiten hebt oder mindert, läutert damit den Verstand zukünftiger Zeiten.

In einer andern Sprache und Denkart, war Spinoza gewissermaßen ein Fremdling des Idioms, in welchem er schrieb; fordern es also nicht Vernunft und Billigkeit, daß man seinem Ausdrucks zurechthelfe, nicht aber zuerst an den Steinen kaue, d.i. sich ausschließend an die härtesten Worte halte? Einen Schriftsteller aus sich selbst zu erklären, ist die honestas jedem honesto schuldig.

Ueberhaupt gehört zu Beurtheilung und Erfassung eines Systems, in welchem auf Freiheit und Freude des Gemüths, auf wahrhafte Erkenntniß und thätige Seligkeit Alles ankommt, ein vorurtheilsfreier, liberaler Sinn; denn wie erzwänge sich wahres Erkenntniß, froher Sinn, thätige Liebe? »Seligkeit«, sagt Spinoza, »ist nicht Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst. Nicht weil wir die Leidenschaften bezwingen, sind wir selig; sondern weil wir es sind, bezwingen wir jene.« Ein Gleiches ist's auch mit dem Erkennen der Wahrheit. Weil wir sie erkennen, bezwingen wir Vorurtheile; dagegen in ihr dem Uebelwissenden ein ehern Joch dünkt, wird dem wahrhaften Erkennenden das thätige, das königliche, Gesetz der Freiheit. »In ihm leben, weben und sind wir,« sagt der Apostel; »wir sind seines Geschlechts,« hatte ein Dichter vor ihm gesagt, den der Apostel mit Beifall anführt. Mit derselben Freiheit, mit der Paulus Worte eines Dichters, die der Inbegriff dieses Systems sind, anführt, durfte ich dies System erläutern.

[10] Den Platz der versprochenen Adrastea möge vor der Hand Shaftesbury's Naturhymnus ersetzen. Eine weitere Ausbildung durfte ich ihm nicht geben, als die ihm in den beliebten Gesprächen der Moralists der Zusammenhang erlaubte. Was der lyrischen Vollkommenheit abgeht, erstatte der Inhalt.


Nicht Vollkommenes nur, nicht Wahres, Schönes und Gutes:
Wahrheit und Güt' ist er und die Vollkommenheit selbst.
Feinde schafft sie zu Freunden, zum Lichte schafft sie das Dunkel,
Wen Gott liebet, der liebt, selig von Allem geliebt.

Vorrede zur ersten Ausgabe

Zehn oder zwölf Jahre sind's, seit ich eine kleine Schrift mit mir umhertrug, die den Namen: Spinoza, Shaftesbury, Leibniz führen sollte. Sie war fertig in meinen Gedanken, und ich ging mehrmals an die Ausführung derselben; allemal aber ward ich unterbrochen und mußte ihr eine andre Stunde wünschen.

Neue Zeitumstände führten mich unvermerkt zu folgenden Gesprächen. Man würde ihren Zweck sehr verkennen, wenn man sie blos für eine Ehrenrettung des Spinoza hielte; bei Verständigen hat Spinoza diese Ehrenrettung nicht nöthig, und er sollte, meinem Zweck gemäß, jetzt blos die Handhabe eines Opfergefäßes werden, aus welchem ich einige Tropfen dem Altar meiner Jugend darbringen wollte. Warum ich von Spinoza ausging, lag theils in der Reihe meiner Gedanken, theils in Veranlassungen, die meine Zeit mir darbot.

Niemand indeß nehme meine Schrift so auf, als ob ich irgend einer gangbaren Philosophie vor- oder zwischentreten, sie verdrängen, Parteien herausfordern oder zwischen Partein ein unberufener Schiedsrichter werden wollte. Es sind Gespräche einiger Personen, die ihre Meinungen mit eben dem Recht äußern, mit welchem jeder Andre seine Lehrsätze darstellt. Gespräche sind keine [11] Entscheidungen, noch minder wollen sie Zank erregen; denn über Gott werde ich nie streiten.

Sehnlicher wünschte ich, daß, was hier im Gespräch blos angedeutet werden konnte, eine unserer Philosophie angemessenere Form erlebte. Nur einen ruhigen, heitern Sommer wünschte ich mir für meineAdrastea oder von den Gesetzen der Natur, sofern sie auf Weisheit, Macht und Güte als auf einer innern Nothwendigkeit ruhen. Da ich aber bestimmt bin, in meinem Leben selbst der Nothwendigkeit, nicht der Willkür zu folgen, so wird die ewige Wahrheit, wenn ihr mein Werk angenehm ist, mir auch Muße dazu verleihen. Zufrieden wäre ich, wenn diese kleine Vorarbeit einige unbefangene Liebhaber der Philosophie erfreute, Kennern gefiele und hie und da einem Irrenden den Weg zeigte.

Weimar, den 23. April 1787.

Herder. [12]

Erstes Gespräch

PHILOLAUS. Sehen Sie, Theophron, die erquickende Stunde, die nach dem schrecklichen Gewitter folgt. Schwefelwolken thürmten sich auf, die uns den Anblick der Sonne nahmen und alles Irdische in schwerer Othem setzten; sie sind zertrümmert, und Alles haucht wieder leicht und fröhlich. So stelle ich mir den Zustand der Wissenschaft vor, da Spinoza und Seinesgleichen der Welt den Anblick Gottes mit ihren schweren Dünsten rauben wollten; diese thürmten sich auch zum Himmel empor und umzogen das Firmament; aber eine gesundere Philosophie hat sie wie die Riesen hinuntergestürzt, und der nachdenkende Geist erblickt die strahlende Sonne wieder.

THEOPHRON. Haben sie den Spinoza gelesen, lieber Freund?

PHILOLAUS. Gelesen habe ich ihn nicht; wer wollte auch jedes dunkle Buch eines Unsinnigen lesen? Aber das habe ich aus dem Munde Vieler, die ihn gelesen haben, daß er ein Atheist und Pantheist, ein Lehrer der blinden Nothwendigkeit, ein Feind der Offenbarung, ein Spötter der Religion, mithin ein Verwüster der Staaten und aller bürgerlichen Gesellschaft, kurz, ein Feind des menschlichen Geschlechts gewesen und als ein solcher gestorben sei. Er verdient also den Haß und Abscheu aller Menschenfreunde und wahren Philosophen.

THEOPHRON. Die Gewitterwolke indessen verdiente ihn nicht, mit der Sie ihn eben verglichen haben; denn auch sie gehört zur Naturordnung und ist heilbringend und nützlich. Aber, ohne Gleichniß zu reden, haben Sie, mein Freund, auch nichts Näheres Bestimmtes über Spinoza gelesen, woran wir uns im Gespräch halten könnten?

PHILOLAUS. Vieles, z.B. den Artikel über ihn inBayle.

THEOPHRON. An Bayle haben Sie diesmal nicht eben den besten [13] Gewährsmann. Er, dem sonst alle Systeme gleichgiltig waren, weil er selbst kein System hatte, blieb in Absicht des Spinoza nicht gleichgiltig. Er nahm eifrig Partei gegen denselben, wozu ihn ohne Zweifel Umstände der Zeit und des Orts veranlaßten. Vielleicht lebte er dem Verstorbnen zu nahe; die Lehre, ja selbst der Name des Spinoza war damals ein Schimpfwort, wie beide es großentheils noch jetzt sind; alles Ungereimte und Gottlose nannte und nennt man zum Theil noch Spinozistisch. Nun war es des feinen DialektikersBayle wol nicht, ein System als System zu ergründen und mit dem tiefsten Gefühl der Wahrheit ganz zu beherzigen. Er durchflog alle Lehrgebäude, nahm scharfsinnig ihre Verschiedenheiten auf, sofern sie ihm zu seinen Zweifeln dienten; jetzt war ihm diese Meinung wichtig, jetzt eine andre; von dem aber, was innere philosophische Ueberzeugung heißt, hatte er bei seiner leichten Denkart schwerlich einen Begriff, wie solches sein Wörterbuch beinahe unwidersprechlich zeigt.

PHILOLAUS. Sein Wörterbuch und seine übrigen Schriften. Auch ich habe mich oft gewundert, wie ein so scharfsinniger Mann in seinen Meinungen so unstät, so unzusammenhangen sein konnte. Jetzt ist ihm dieser wichtige Gedanke, jetzt jene Ungereimtheit gleich wichtig; eine falsch citirte Jahrzahl desMoreri und die Frage, ob ein Gott sei, wieviel derselben seien, woher das Böse in der Welt entspringe u. dergl. beschäftigen ihn mit gleichem Interesse. Ich glaube aber, das gehöre zum Wörterbuchschreiber.

THEOPHRON. Dahin wollen wir Bayle nicht setzen, ob er gleich ein Wörterbuch schrieb, auch in diesem zeigt sich allenthalben der Selbstdenker mit einer leichten Gewandtheit des scharfsinnigsten Gedankenspieles. Nennen Sie mir einen andern Schriftsteller, der so viel und vielerlei mit gleicher Anmuth, mit gleicher Aufmerksamkeit umfaßt oder berührt hätte. Er war philosophisch-historische Voltaire seiner Zeit, dessen Liebhaberei sich vom erhabensten Gegenstande bis zur kleinsten Kleinigkeit eines historischen Umstandes, einer Anekdote, eines Büchertitels oder gar einer Zote erstreckte. Für einen Geist solcher Art war nun Spinoza's System eben nicht. Dieser eingeschlossene, schwere Denker hatte von Allem, was Meinung war, einen vielleicht zu wegwerfenden Begriff und [14] ging mit mathematischer Genauigkeit der reinen Wahrheit nach, wo er solche zu finden glaubte. Für sie vergaß er alles Andre, und von Bayle's Gelehrsamkeit, von seinem Witz und Scharfsinn hatte er vielleicht nicht Eins gegen Tausend. Zwei Köpfe solcher Art werden einander schwerlich Gerechtigkeit widerfahren lassen, und doch bin ich überzeugt, hätte es Spinoza gegen den Verfasser des Wörterbuchs eher gethan, als der muntre, vielgeschäftige Bayle es gegen Spinoza thun mochte. Diesem warf man schon in seinem Leben vor, daß er Spinoza's System nicht recht gefaßt habe, und er hat sich gegen diesen Vorwurf in einem Briefe vertheidigt. 1

PHILOLAUS. Uebel also für Spinoza; denn für den größten Haufen hat eben doch Bayle festgesetzt, den man von ihm hegt. Wie Wenige lesen Spinoza's dunkle Schriften, und alle Welt liest den tausendfach abwechselnden, angenehmen Bayle.

THEOPHRON. So ist's, mein Freund, und doch auch nicht ganz also. Für das leichte Heer von Lesern hat Bayle den Begriff von Spinoza fixirt; leider aber für den schweren Phalanx haben es meistens streitende Philosophen und Theologen gethan, und da ist ihm noch übler begegnet. Es ging ihm nach dem Evangelio: seine nächsten Hausgenossen wurden seine ärgsten Feinde, die Cartesianer. Sie wollten und mußten ihre Philosophie, von der er ausgegangen war, und mit deren Worten er sprach, von der seinigen absondern, damit nicht auch sie den Verdacht des Spinozismus kämen; natürlich hat sich diese philosophische Behutsamkeit von des Cartesius Schule auf jede nachfolgende verbreitet. Noch bitterer gingen die Theologen fast aller Confessionen gegen ihn los; denn er hatte nicht nur über das Judenthum und die Bücher des Alten Testaments seine Meinung sehr frei, ihnen sehr anstößig geäußert, sondern, welches ihnen viel ärger dünken mußte, er hatte zuerst vorzüglich gegen sie die Feder ergriffen. Ihrer Streitsucht, ihren Zänkereien schrieb er einen großen Theil vom Verfall des Christenthums, vor der Unwirksamkeit der schönsten Lehrsätze desselben zu, und ob er dies gleich ohne Bitterkeit that, so können Sie sich doch leicht die Aufnahme seines Buchs vorstellen.

PHILOLAUS. Die ist mir vor Augen. Hitzigen Parteien darf nur ein Friedensstifter ohne Vollmacht zwischentreten, und er hat beide gegen sich. Welche Vollmacht aber hatte der Jude Spinoza?

[15] THEOPHRON. Keine andre Vollmacht, als die er glaubte aus der Hand der Billigkeit empfangen zu haben; nur freilich bediente er sich derselben nicht eben auf weltkluge Weise. Er machte seine religiöse Politik in einem Werk bekannt, dessen Theologie Juden und Christen aufbringen mußte; 2 seine politischen Grundsätze waren so strack, so schnurgerade, daß sie der damaligen Zeit gewiß nicht eingehen konnten. Dem Staat räumte er das völlige Recht ein, den äußern Gottesdienst anzuordnen; der Vernunft behielt er die uneingeschränkte Freiheit des Gebrauchs ihrer Kräfte vor: Beides dünkte den Meisten so übertrieben, als ob er Feuer und Wasser mischen wollte. Seine Theorie also mußte nothwendig scheitern, wie sie dann in Manchem auch uns noch jetzt zu hart, zu Hobbesisch dünkt, ob mir gleich in Grundsätzen der Duldung weit vorgerückt sind. – Locke, Bayle, Schaftesbury u. A. gingen leiser.

PHILOLAUS. Und doch mußten auch sie dulden, eh ihre billigsten Sätze allgemein anerkannt wurden. In Materien solcher Art hat freilich ein disputirender Dialektiker wie Bayle oder ein einkleidender Dichter wie Voltaire viel Vortheil vor dem ernsten Philosophen, der seine Sätze strack hinstellt. Jene dürfen und können immer sagen: »Ich habe nur disputirt, Wahres und Falsches einander entgegengestellt und Beides eingekleidet; man wähle!« In diesem angenommenen, immer veränderten Gewande gehen sie nicht nur sicherer, sondern wirken auch allgemeiner. Bayle machte gewiß auf sein Zeitalter mehr Wirkung als Spinoza und Leibniz, Voltaire mehr als Rousseau oder als andere noch strengere Philosophen.

THEOPHRON. Wie man's nimmt, Philolaus; es giebt eine zwiefache Wirkung. Eine breitet sich weit umher; eine andre wurzelt um so fester. Ich wollte, daß ein philosophisch-kritischer Mann, kein Jüngling, zu unsrer Zeit den theologisch-politischen Versuch des Spinoza mit Anmerkungen herausgäbe. 3 Es wäre ein nützlicher [16] Versuch, zu sehen, was die Zeit in ihm bekräftigt oder widerlegt habe. In der Kritik über die Schriften des Alten Testaments haben seitdem Manche Manches als eine neue Entdeckung, dazu unvollkommener gesagt, das in Spinoza bereits gründlicher stand. Im Punkt der Toleranz hat die Natur unsrer Staaten beinah keinen andern Weg nehmen mögen, als den ihr Spinoza damals zu allgemeinen Haß vorzeichnete. Freilich ist in diesem Werk wie in allen seinen andern Schriften Alles hart gesagt; für Werke der Einbildungskraft, Poesie z.B., hatte Spinoza nur einen metaphysischen Sinn; in der ganzen Composition seines Werks ist er ein einsamer Denker, dem die Grazie des Weltumganges, des einschmeichelnden Vortrages unbekannt war und, wie mich dünkt, wol auch unbekannt sein durfte.

PHILOLAUS. Nur darauf setzen Sie es, Theophron? Ein Mensch ohne gesunde Grundsätze, ein Atheist, ein Pantheist u.s.w., über welche Materie könnte der schreiben, daß er bei Vernünftigen Eingang fände? Er soll sogar den Pantheismus und Atheismus haben demonstriren wollen; was geht über den Unsinn?

THEOPHRON. Den Atheismus und Phanteismus demonstriren? und beide zugleich? Wie sind beide in einem und demselben System möglich? Der Pantheist hat doch immer einen Gott, ob er sich gleich in der Natur Gottes irrt; der Atheist hingegen, der Gott schlechterdings leugnet, kann weder Pantheist noch Polytheist sein, wenn man nicht mit den Namen spielt. Ueberdem, mein Freund, wie kann man den Atheismus, d.i. eine Negation erweisen?

PHILOLAUS. Warum nicht, wenn man einen innern Widerspruch im Begriff von Gott entdeckte oder zu entdecken glaubte?

THEOPHRON. Einen innern Widerspruch im einfachsten, im höchsten Begriff, dessen die Menschheit fähig ist? Ich bekenne, daß ich davon nichts begreife.

PHILOLAUS. Deshalb war er auch ein Unsinniger, der demonstriren wollte, was nicht zu demonstriren war; denn unsre neue Philosophie sagt laut: »Weder daß ein Gott sei, noch daß er nicht sei, ist zu demonstriren. Das Erste muß man als Postulat annehmen und – glauben

THEOPHRON. »So«, würde ein Andrer sagen, »müßte es wenigstens freistehn, ›Eins von Beiden zu glauben und als Postulat anzunehmen, d.i. Atheist, Deist oder Theist zu sein, nachdem wir Glauben haben‹.« – Doch lassen Sie diesen Punkt unberührt: [17] Spinoza sei Atheist, Phantheist oder eine Zwittergestalt von beiden gewesen, so schmerzen mich die Beiname, die Sie einem Unbekannten geben. In der Philosophie sind wir aus den Zeiten der Ehrentitel hinaus, mit denen Spinoza noch vonKortholt, Brucker und Andern genannt ward. Der Erste glaubte witzig zu sein, wenn er den Benedictus in einen Maledictus und den Namen Spinoza in einen stachlichten Dornbusch verkehrte. Bei Andern sind die Beiworte »frech, gottlos, unsinnig, unverschämt, gotteslästerlich, pestilenzialisch, abscheulich« gewöhnliche Formeln, mit denen sie ihn aus dem Reich der Geister citiren. Ein Erwählter hat sogar das Zeichen der ewigen Verwerfung auf seinem Gesicht gefunden, Andre haben ihn auf seinem Todesbette um Erbarmung winseln hören. Ich bin kein Spinozist und werde nie einer werden; die Art aber, mit der man über diesen verlebten stillen Weisen die Urtheile des vorigen Jahrhunderts, des jämmerlichsten Streitjahrhunderts, noch zu unsrer Zeit wiederholen will, ich gestehe es, mein Freund Philolaus, ist mir unerträglich. Hier haben Sie ein Büchelchen von acht Bogen, 4 in denen noch dazu das Meiste ein Gemisch von Anmerkungen ist, die Sie ganz überschlagen dürfen; es ist nichts als das Leben Spinoza's, sehr trocken, aber mit historischer Genauigkeit erzählt; denn man sieht, daß der Verfasser um jeden Umstand besorgt gewesen. Ein unparteiischer Mann hat es geschrieben, kein Spinozist, sondern ein evangelischer Pastor, der »vor Gott bezeugt, daß er in Spinoza's ›Theologisch-politischem Tractat‹ nichts Gründliches gefunden, noch etwas, das in dem Glaubensbekenntniß, womit er den evangelischen Wahrheiten zugethan ist, ihn im Geringsten auf der Welt zu beunruhigen fähig gewesen, weil anstatt der gründlichen Beweise man nichts als vorausbegebungene Sätze, und was man in den Schulen petitiones principii nennt, darinnen finde«. Einem so vorsichtigen Führer können Sie Sich sicher anvertrauen, wenn sie den Mann näher kennen wollen. 5 – Meine Geschäfte rufen mich weg; bald sehen wir uns wieder. Wenn Sie hineinblicken wollen, so lege ich Ihnen auch des Atheisten Werke selbst hin; leider sind es nur zwei kleine Bände.

PHILOLAUS. Ich begreife den Theophron nicht. Für einen [18] Demonstrator solcher Art sich zu verwenden! und was soll mir hierüber sein Leben einem evangelischen Pastor, also geschrieben und also gedruckt, sagen?


* * *


Ein sonderbarer Mann, dieser Spinoza. Wie auch sein System sein möge; es ist etwas Wahrheitsuchendes, Standhaftes und Selbstbeständiges in seinem Charakter und Leben. Er legt sich auf die jüdische Theologie und verläßt sie, um die Naturlehre gründlich zu erlernen; die Werke des Descartes kommen ihm in die Hände, und da er sie mit sonderbarer Begierde gelesen hat und nachher bekennt, daß, was er an philosophischer Erkenntniß besitze, er aus ihnen geschöpft habe, so wendet er sich still vom Judenthum weg, weil er sich überzeugt glaubt, daß er den Lehrsätzen desselben nicht weiter folgen könne. Man bietet ihm ein Jahrgeld von tausend Gulden an, damit er nur fernerhin die Synagoge besuchen möge; er schlägt es aus und zieht sich ohne Geräusch in die Stille. Man thut ihn in dem Bann; er antwortet und lernt in der stille eine Hanthierung, sich selbst zu nähren. Welch ein andres Betragen als in ähnlichen Umständen des unglücklichen, brausenden Acosta, 6 der nicht zur Ruhe kommen konnte, bis ihm der Tod Ruhe schaffte! Ich wollte, daß man Spinoza's Antwort auf den Bann der portugiesischen Synagoge in Amsterdam (wenn sie nicht sogleich zerrissen und abgethan ist) erhalten könnte; sie würde uns die Ursache seines Entschlusses, wie mich dünkt, ebenso stark und bündig als sanft und stille sagen; denn es herrscht ein sanftmüthiger, stiller Geist in dieses Mannes Leben. Jetzt verfertigt er optische Gläser und lernt von ihm selbst zeichnen. Der Lebensbeschreiber hat eine Sammlung seiner Zeichnungen in Händen gehabt, darunter auch Personen gewesen, die bei ihm nur einen Besuch abstatteten, die er also wahrscheinlich aus dem Gedächtniß gezeichnet. Unter diesen Uebungen war auch Masaniello in seiner bekannten Fischerkleidung, von dem der Wirth des Spinoza versicherte, daß dies Bild ihm selbst ähnlich gesehen habe. Ein sonderbarer Einfall, sich als Masaniello zu zeichnen; oder vielleicht ein Wirthseinfall. – Nun[19] schleift Spinoza Gläser, seine Freunde verkaufen sie, und der lebt sparsam; in zwei bis drei Tagen sieht er oft Niemand. Viele bieten ihm ihren Beutel und ihre Hilfe an; Alles aber schlägt er bescheiden aus, lebt von geringen Speisen und schließt seine Rechnungen alle Vierteljahre, nur damit er nicht mehr aufwende, als er aufzuwenden habe. Er ist, wie er seinen Hausleuten sagt, eine Schlange, die mit dem Schwanz im Munde einen Zirkel macht, anzuzeigen, daß ihm von seinen Jahrseinkünften nichts übrig bleibe. Ich habe das Symbol unter seinem Bilde gesehen und es thöricht auf sein System gedeutet. Welch ein wahrerer Philosoph in diesem Allen als manche dieses Namens! Er will nicht mehr sammeln, als was nöthig sei, um mit Wohlstand begraben zu werden; er will aber auch Niemanden zur Last fallen und nur durch sich selbst leben. Sein Betragen ist still und friedlich: Herr über seine Leidenschaften, zeigt er sich nie weder sehr traurig noch sehr fröhlich. Gesprächig tröstet er die Leidenden seines Hauses und ermahnt sie, ihre Unglücksfälle als ein »von Gott ihnen zugeschicktes Loos« geduldig zu ertragen; er redet den Kindern zu, daß sie den Gottesdienst fleißig besuchen möchten, und unterrichtet sie, wie sie ihren Eltern gehorsam sein sollten, fragt seine Hausgenossen, welchen Nutzen sie aus der angehörten Predigt geschöpft, und hält hoch von dem erbaulichen, guten Geistlichen, der hier genannt wird. 7 »Eure Religion ist gut,« spricht der stille Weise, »Ihr habt nicht nöthig, eine andere zu suchen, noch daran zu zweifeln, daß Ihr dabei die Seligkeit erlangen werdet, sofern Ihr nur der Gottseligkeit Euch ergebt und zugleich ein friedliches und ruhiges Leben führt.« Sein aufrichtigster Freund bietet ihm ein Geschenk von zweitausend Gulden an, um mit einiger mehreren Bequemlichkeit zu leben; er verbittet es freundlich. Jener will ihn zu seinem Erben einsetzen; er nimmt die Wohlthat nicht an und setzt das Jahrgeld, das Dieser ihm in seinen letzten Lebensjahren aufdringt, fast noch um die Hälfte herunter. So lebt er und stirbt in seinem fünfundvierzigsten Jahr ebenso ruhig, als er gelebt hatte. Wenige Stunden vorher hatte er mit seinen Hausleuten noch ein langes Gespräch über die gehörte Predigt, und ehe sie Nachmittags die Kirche verlassen, erblaßt er in Gegenwart seines Arztes. Sein ganzer Nachlaß beträgt nach dem Verkauf 390 Gulden und 14 Stüber, um welche Summe sich noch seine Anverwandten [20] zankten. Ein sanfter Schimmer strahlt durch sein Leben; denn man sieht, wie seine Freunde ihn lieben, wie Alle, die ihn kennen, ihn schätzen, und wie er sich dessen nie überhebt, keinen störrig abweist. Als ihm der Kurfürst von der Pfalz eine Lehrstelle auf seiner Universität antragen ließ, mit der Freiheit, nach seinen Grundsätzen fortzuschließen, wie er es seinem Vorhaben am Dienlichsten finden würde, antwortete er vorsichtig: »er wisse nicht, in welche Schranken die Freiheit, seine Meinungen zu erklären, eingeschlossen sein solle, damit es nicht schiene, daß er die Landesreligion stören wolle«, und nahm den Ruf nicht an.

Von seinen Meinungen weiß ich freilich noch nicht, was ich zu halten habe; selbst aber die hier als irrig angeführten, wahrscheinlich seine ärgsten Stellen tragen bei aller Paradoxie das Siegel der Ueberzeugung Dessen an sich, der diese Meinungen hegte. Er will sie Keinem aufdringen, er will keine Secte stiften, und zwar nicht aus Menschenfurcht, sondern aus Scheu, die Meinungen andrer Menschen auch nach seinem Tode zu stören. Während seines Lebens hat er nichts herausgegeben als einen kleinen Tractat, mit welchem er Ruhe zu stiften gedachte; als diese Bemühung fehlschlug, wohnte er mit seiner Philosophie allein und verbrennt wenige Tage vor seinem Tode noch eine angefangene Uebersetzung des Alten Testaments, damit sie auch nach seinem Tode keinen Unfrieden verursachen möchte. Ich wollte, daß er sie nicht verbrannt hätte; denn hatte sie keinen Werth in sich, so hätte sie die Zeit doch vertilgt.

* * *


Wolan also zu seinen Schriften! Sie sind nach seinem Tode erscheinen; er hatte sie, wie der Augenschein zeigt, für sich selbst geschrieben. Und es sind meistens Fragmente. 8


»Von der Besserung des Verstandes und von dem Wege, auf welchem man am Besten zur wahren

Kenntniß der Dinge gelangt.« 9


»Belehrt von der Erfahrung, daß Alles, was uns im gemeinen Leben häufig begegnet, ein leerer Tand sei, weil ich sah, daß Alles, was ich fürchtete, in sich selbst weder Böses noch Gutes habe, als [21] sofern das Gemüth dadurch bewegt wird, entschloß ich mich endlich, zu forschen, ob es Etwas gebe, das wahrhaft gut sei und sich mittheile, so daß mit Verwerfung alles Andern die Seele von ihm allein afficirt würde; ja, ob es Etwas gebe, das, wenn ich's fände und hätte, mir einen unverrückten, höchsten und ewigen Freudegenuß gewähren könne. Ich sage, daß ich mich endlich entschlossen; denn dem ersten Anblick nach schien es unrathsam zu sein, um eine mir damals ungewisse Sache eine gewisse verlieren zu wollen; ich sah nämlich die Vortheile, die aus Ehre und Reichthum entspringen, und die ich nicht weiter suchen müßte, sobald ich mich ernstlich nach meinem neuen Zweck wenden wollte. Läge also das höchste Stück in ihnen, so sahe ich wohl, daß ich desselben entbehren müßte; fände es sich aber in ihnen nicht, und ich jagte ihnen doch nach, so müßte ich seiner auch entbehren. Ich überlegte also bei mir selbst, ob es nicht möglich sei, zu meinem neuen Zweck oder wenigstens zur Gewißheit zu kommen, daß es einen solchen gebe, wenn ich auch meine gewöhnliche Lebensweise nicht veränderte; dies versuchte ich oft, aber vergebens. Denn was uns gemeiniglich im Leben vorkommt und von den Menschen (nach ihren Handlungen zu urtheilen) für das höchste Gut angesehen wird, läßt sich auf drei Stücke bringen: auf Reichthümer, Ehre und Lust. Durch alle drei aber wird das Gemüth so zerstreut, daß es an kein anderes Gut irgend gedenken kann. Denn was die Wollust betrifft, so täuscht sie das Gemüth eine Zeit lang, als ob es in einem Gut ruhe, und hindert es damit, an irgend ein anderes Gut zu denken; bald aber folgt auf ihren Genuß die tiefste Traurigkeit, die den Geist, wenn nicht fesselt, so doch stört und stumpf macht. Auch wenn wir Ehre und Reichthum verfolgen, zerstreut sich die Seele, insonderheit wenn wir jene um ihr selbst willen begehren, weil sie uns alsdann ein höchstes Gut dünken. Und zwar zerstreut die Ehre das Gemüth noch mehr als der Reichthum, weil sie fortwährend als ein wahres Gut und als der letzte Zweck geschätzt wird, nach welchem man Alles einrichten müsse. Ferner findet bei Ehre und Reichthümern zwar nicht, wie bei der Wollust, die Reue statt, sondern je mehr man von beiden besitzt; desto mehr freut man sich und wird mehr und mehr angeregt, sie zu vermehren. Schlägt aber bei irgend einem Zufalle die Hoffnung fehl, so bringen beide die größte Traurigkeit. Endlich ist auch die Ehre deswegen ein großes Hinderniß, weil, um sie zu erlangen, man sein Leben nothwendig nach der Denkart andrer Menschen einrichten muß, daß man nämlich fliehe, was sie fliehen, und suche, was sie suchen.

[22]

Da ich also sahe, daß dies Alles mir Hinderniß sei, mich auf mein neues Werk zu legen, ja mit demselben in solchem Widerspruch stehe, daß ich von Einem oder dem Andern nothwendig ablassen müsse, so ward ich gezwungen zu forschen, welches von beiden mir nützlicher wäre. Denn ich kam, wie gesagt, in den Fall, ein gewisses Gut für ein ungewisses aufgeben zu wollen. Als ich aber diese Ueberlegung etwas fortgesetzt hatte, so fand ich zuerst, daß, wenn ich meine alte Lebensweise gegen die neue vertauschte, ich immer doch nur ein seiner Natur nach ungewisses Gut gegen ein andres ungewisses aufgebe, das seiner Natur nach nicht ungewiß sein könne, weil ich eben ein festes Gut suchte, sondern das nur sofern zweifelhaft bliebe, ob ich's erreiche. Durch fortgesetztes Nachdenken kam ich gar so weit, einzusehen, daß, wenn ich Alles recht und ganz überlegte, ich gewisse Uebel gegen ein gewisses Gut vertauschte. Ich sah nämlich, daß ich in der größten Gefahr schwebte und in der Noth wäre, ein auch ungewisses Rettungsmittel mit allen Kräften zu suchen; wie der Kranke, der, wenn er kein Mittel braucht, den gewissen Tod vor sich sieht, auch ein ungewisses Mittel mit allen Kräften suchen muß, da seine ganze Hoffnung darauf beruht. Alle die Dinge aber, denen der große Haufe nachstrebt, gewähren nicht nur kein Mittel zur Erhaltung unsers Seins, sondern sie verhindert dasselbe auch und sind oft die Ursache des Untergangs Derer, die sie besitzen, immer aber die Ursache des Untergangs derer, die von ihnen besessen werden.

Es giebt viele Beispiele von Menschen, die ihres Reichthums wegen sich bis auf den Tod verfolgen ließen, auch Beispiele von Menschen, die, um Güter zu erlangen, sich so vielen Gefahren aussetzen, daß sie endlich ihre Thorheit mit dem Leben büßten. Nicht wenigere giebt es, die, um Ehre zu erlangen oder zu erhalten, aufs Elendeste litten. Unzählige Beispiele endlich sind von solchen vorhanden, die durch übermäßige Wollust ihren Tod beschleunigt haben. Alle diese Uebel scheinen mir daher zu kommen, daß das ganze Glück oder Unglück in der Beschaffenheit des Gegenstandes liegt, dem wir mit Liebe zugethan sind. Denn um etwas, was man nicht liebt, entsteht kein Streit; man grämt sich nicht darüber, wenn es verschwindet; man fühlt keinen Neid, wenn es ein Anderer besitzt, keine Furcht, keinen Haß, kurz keine Gemüthsbewegung; welches Alles zutrifft, wenn man so vergängliche Dinge liebt, wie alle die sind, von denen wir bisher geredet haben. Liebe aber zu einem ewigen und unendlichen Gegenstande kann nur Freude der Seele gewähren, eine Freude, die von keiner [23] Traurigkeit weiß; wahrlich, ein sehr wünschenswürdiger Zweck, nach welchem man mit allen Kräften streben müßte! Ohn' Ursach aber bediene ich mich nicht des Ausdrucks: wenn ich mich nur ernstlich entschließen könnte; denn ob ich gleich dies Alles in meiner Seele so klar einsah, so konnte ich deswegen doch allen Geiz, alle Lust- und Ehrsucht nicht ablegen.

Das Eine sah ich, daß, so lange mein Gemüth mit diesen Gedanken beschäftigt war, so lange verabscheute es jene Neigungen und dachte ernstlich an eine andre Lebensweise; welches mir denn zum großen Trost gereichte. Denn ich sah, mein Uebel sei wenigstens doch noch nicht so groß, daß kein Mittel dagegen wäre. Und obgleich anfangs diese hellen Zwischenräume selten waren und nur kurze Zeit dauerten, so kamen sie doch, nachdem ich das wahre Gute mehr und mehr erkennen lernte, nicht nur öfter, sondern dauerten auch länger; zumal da ich einsah, daß der Erwerb des Geldes oder die Lust- und Ehrbegierde nur so lang Hindernisse blieben, so lange man sie nicht als Mittel, sondern als Zwecke suchte. Sucht man sie als Mittel, so haben sie Maß und hindern nicht, sondern fördern vielmehr, zu dem Zweck zu gelangen, deshalb man sie sucht.

Hier will ich nur kurz sagen, was ich durchs wahre Gute verstehe, und zugleich was das höchste Gut sei. Dies recht zu fassen, merke man, daß gut und böse nur beziehungsweise gesagt werden, so daß eine und dieselbe Sache gut und übel heißen kann in verschiedener Rücksicht; so auch vollkommen und unvollkommen. Denn seiner Natur nach kann nichts vollkommen oder unvollkommen genannt werden, vornehmlich weil wir wissen, daß Alles, was geschieht, nach einer ewigen Ordnung und nach gewissen Naturgesetzen geschehe. Da aber der schwache Mensch diese Ordnung mit seinen Gedanken nicht erreicht und sich dabei doch eine menschliche Natur denkt, die viel fester als die seinige sei, ja kein Hinderniß sieht, warum er eine solche Natur nicht erlangen könnte: so wird er angereizt, Mittel zu suchen, die ihn zu dieser Vollkommenheit führen. Alles, was ein Mittel sein kann, dahin zu gelangen, heißt ihm ein wahres Gut; das höchste Gut aber ist, dahin zu gelangen, daß er mit andern Individuen wo möglich einer solchen Natur genieße. Was dies für eine Natur sei, werden wir an seinem Ort sehen: sie sei nämlich Erkenntniß der Vereinigung, die mein Innerstes (mens) mit der ganzen Natur hat. Dies ist also der Zweck, nach welchem ich [24] strebe, eine solche Natur zu erlangen, und daß Viele sie mit mir erlangen mögen; d.i. zu meiner Glückseligkeit gehört es auch, Fleiß anzuwenden, daß viele Andre das einsehen, was ich einsehe, daß ihr Verstand und ihre Begierde völlig mit der meinigen übereinstimme. Und damit dies werde, so ist nöthig, daß sie von der Natur so viel verstehen, als nöthig ist, eine solche Natur zu erlangen; ferner, eine Gesellschaft zu stiften, in welcher eine große Anzahl auf die leichteste Art mit Sicherheit dahin gelangen möge. Weiter muß man auf die Moralphilosophie und auf die Lehre von der Erziehung der Kinder Fleiß anwenden, und weil die Gesundheit kein kleines Mittel ist, diesen Zweck zu erreichen, muß die ganze Medicin in Ordnung gebracht werden. Weil auch durch die Kunst viel Schweres leicht gemacht, viele Zeit erspart und viele Bequemlichkeit fürs Leben erworben wird, so ist auch die Mechanik auf keine Weise zu verachten. Vor allen Dingen aber ist eine Art auszusinnen, wie der Verstand geheilt und (wiefern es anfangsweise geschehen kann) gereinigt werde, damit er die Sache ohne Irrthum und aufs Beste einsehen lerne. Jedermann sieht hieraus, daß ich alle Dinge auf einen Zweck, auf ein Ziel richten wolle, nämlich daß man zur ebengenannten höchsten Vollkommenheit des Menschen gelange. Was also in den Wissenschaften nichts zu unserm Zweck beiträgt, muß als unnütz verworfen, kurz, alle unsre Gedanken und Handlungen zu diesem Zweck gerichtet werden. Weil aber, wenn wir den Verstand auf den rechten Weg zu lenken suchen, wir auch leben müssen, so müssen wir auch einige Lebensregeln als gut annehmen. Diese nämlich:

1. Nach der Denkart des gemeinen Mannes zu reden und Alles zu bewirken, was uns kein Hinderniß in Weg legt, unser Ziel zu erreichen. Denn von ihm können wir großen Vortheil erwarten, wenn wir, so weit es sein kann, uns seiner Denkart bequemen. Er wird auch auf diese Weise der Wahrheit selbst ein geneigtes Ohr schenken.

2. Des Vergnügens nur sofern zu genießen, als es zur Gesundheit gehört.

3. Geld und jedes Andre nur soweit zu suchen, als es zum Leben, zur Gesundheit und zur Sitte der Landes gehört, inwiefern diese unserm Zweck nicht widerstrebt.«


* * *


Träume ich oder habe ich gelesen? Ich glaubte einen frechen Atheisten zu finden, und finde beinah einen metaphysisch-moralischen Schwärmer. Welch ein Ideal des menschlichen Bestrebens, [25] der Wissenschaft, der Naturkenntniß ist in seiner Seele! und er geht zu ihm mit so überdachtem, mühsam-schwerem Schritt und Stil, als Manche zur Umänderung ihres Lebens nicht ins Kloster wandern. Offenbar ist der Aufsatz aus den Jahren des Mannes, da er vom Judenthum Abschied nahm und seine philosophische Lebensart wählte. 10 Er hat diese fortgesetzt bis ans Ende seines Lebens; was mag er in ihr erreicht haben? – Aber siehe, da kommt Theophron.

THEOPHRON. So fleißig? Philolaus, Sie haben die Witterung nicht ganz wahr gelobt; die abgeregneten Gewitterwolken haben uns ein Kälte verursacht, die man nach Ihrem Gleichniß nicht vermuthen sollte.

PHILOLAUS. Lassen Sie mein Gleichniß und geben mir diesen Band mit! ich sehe, ich habe mich an Spinoza geirrt. Was, meinen Sie, soll ich zuerst lesen?

THEOPHRON. Seine »Ethik«. Das Uebrige ist Fragment, und der »Theologisch-politische Tractat« war ein frühere Probe-Zeitschrift. Gefällt's Ihnen, so nehmen Sie einige Regeln mit auf die Reise.

1. Ehe Sie den Spinoza lesen, muß Ihnen Descartes, wenn auch nur als Wörterbuch, bekannt sein. In ihm sehen Sie den Ursprung der Worte und Formeln, also auch manch sonderbaren harten Formeln des Spinoza. Nehmen Sie hiezu Descartes' Hauptschriften oder einen seiner Schüler, 11 unter welchen insonderheit Clauberg die Sätze des Cartesianismus klar und ordentlich vorträgt; Sie werden solche hier in einem Bande beisammen finden. Sodann gehen Sie an des Descartes Principia philosophiae von Spinoza selbst, die er für einen seiner Lehrlinge aufgesetzt hat; 12 Sie treffen in ihnen den Uebergang zu seinem eignen System an. Einen Baum muß man nicht etwa nur in seinem Gipfel und Zweigen, sondern in Stamm und Aesten, ja wo möglich den Veranlassungen seines Entstehens und Wachsthums [26] nach, in Wurzel, Boden und Klima kennen lernen, gesetzt, daß es auch ein Giftbaum wäre. Denn läsen Sie diesen Philosophen des vorigen Jahrhunderts nach der Sprache unsrer Philosophie, so müßte er Ihnen freilich, wie er Vielen noch jetzt erscheint, ein Ungeheuer dünken.

2. Geben sie sorgfältig auf seine geometrische Methode Acht und lassen Sich von ihr nicht nur nicht berücken, sondern bemerken auch, wo diese ihn berückte. Descartes verleitete ihn zu ihr; und er wagte den kühnen Versuch, sie auch der Form nach auf alle, selbst die verflochtensten moralischen Materien anzuwenden. Eben dieser Versuch hätte seine geometrischen Nachfolger in der Metaphysik warnen mögen.

3. Bleiben Sie nie bei Spinoza stehen, sondern rufen bei jedem seiner paradoxen Sätze die ältere und neuere Philosophie zu Hilfe, wie diese etwa solche oder eine ähnliche Behauptung weggeräumt oder leichter, besser, unanstößiger, glücklicher ausgedrückt habe. Sogleich wird Ihnen dann ins Auge fallen, warum dieser Autor sie nicht also, vielleicht nicht so glücklich habe ausdrücken können; mithin werden Sie den Ursprung seines Wortirrthums und den Fort- oder Rückgang der Wahrheit selbst gewahr werden. Nehmen Sie in dieser Absicht seine wenigen Briefe als Erläuterungen zu Hilfe; 13 sie klären in Manchen viel auf, und an dem Rande meines Exemplars werden Sie von einer alten Hand geschriebene Nachweisungen auf die »Ethik« und in der »Ethik« auf sie finden. Dienten diese Briefe zu keinem andern Zweck, so zeigten sie, wie ganz es dem Spinoza mit seiner Philosophie ein Ernst gewesen, wie sehr er sich von ihr überzeugt hatte, und wie glücklich er sich in derselben fühlte. Wenn Sie dies Geschäft geendet haben und Ihnen daran etwas liegt, wollen wir über Ihre Zweifel oder über seine Irrthümer ein Weiteres reden.

PHILOLAUS. Ich will Ihrem Rath folgen, ob er gleich viel fordert.

THEOPHRON. Eben fällt mir eine Ode in die Hand:An Gott, von einem Atheisten.

PHILOLAUS. Von Spinoza?

THEOPHRON. Der war kein Dichter; von einem Atheisten, der des Atheismus wegen verbrannt ward.

PHILOLAUS. Und eine Ode auf Gott machte? ich will sie lesen.


[27]

Deo. 14

Dei supremo percita flamine
Mentem voluntas exstimulat meam;
Hinc per negatum tentat alta
Daedaliis iter ire ceris;
Audetque coeli non memorabile
Metari Numen principio carens
Et fine, definire Musae
Exiguo breviore gyro.
Origo rerum et terminus omnium,
Origo, fons et principium sui
Suique finis terminusque
Principio sine terminoque.
[28]
Ubique totus, tempore in omnibus
Omni quiescens ipse Deus locis,
Partes in omnes distributus
Integer usque , manens ubique.
Nec comprehensum ullis regionibus
Ullisve clausum limitibus loca
Tenent, sed omnis liber omne
Diditus 15 in spatium vagatur.
Illius alta est velle potentia,
Opus voluntas invariabilis;
Et magnus absque quantitate
Atque bonus sine qualitate.
Quod dicit, uno tempore perficit;
Mirere, fiat vox vel opus prius?
Cum dixit, en cum voce cuncta
Sunt universa simul creata.
[29]
Cuncta intuetur, perspicit omnia,
Atque in una solus (solus est omnia),
Quae sunt, fuerunt et futura
Praevidet ipse perennitate.
Atque ipse plenus cuncta replet Sui
Et semper idem sustinet omnia
Et fert movetque amplectiturque
Atque supercilio gubernat.
Te, Te oro, tandem respice me bonus,
Tibique nodo junge adamantino:
Id namque solum unumque et omne
Reddere quod potis est beatos.
Quicunque junxit Te sibi et altius
Uni adhaerescit, continet omnia
Teque omnibus circumfluentem
Divitiis nihilique egentem.
Tu, cum necesse est, nullibi deficis
Ultroque praebes omnibus omnia
Ipsumque Te, qui sis futurus;
Omnibus omnia subministras.
[30]
Laboriosis Tu vigor inclitus,
Tu portus alto navifragantibus,
Tu fons perennis perstrepentes
Qui latices salientis ardent
Tu summa nostris pectoribus quies,
Tranquillitasque et pax placidissima,
Tu mensus 16 es rerum modusque,
Tu species et amata forma.
Tu meta, pondus, Tu numerus, decor
Tuque ordo, Tu pax atque honor atque amor
Cunctis, salusque et vita et aucta
Nectare et ambrosia voluptas.
Tu verus altae fons sapientiae,
Tu vera lux, Tu lex venerabilis,
Tu certa spes, Tuque aeviterne
Et ratio et via veritasque;
[31]
Decus jubarque et lumen amabile
Et lumen almum atque inviolabile;
Tu summa summarum, quid ultra?
Maximus, optimus, unus, idem.
[32]

Zweites Gespräch

PHILOLAUS. Ich komme mit meinem Spinoza; aber beinah ungewisser, als ich vorher war. Daß er kein Atheist sei, erscheint auf allen Blättern; die Idee von Gott ist ihm die erste und letzte, ja die einzige aller Ideen, an die er Welt- und Naturkenntniß, das Bewußtsein sein selbst und aller Dinge um ihn her, seine Ethik und Politik knüpft. Ohne den Begriff Gottes ist seine Seele nichts, vermag nichts, auch nicht sich selbst zu denken; es ist ihm fremd und beinah unbegreiflich, wie Menschen Gott gleichsam nur zu einer Folge andrer Wahrheiten, sogar sinnlicher Bemerkungen haben machen können, da alle Wahrheit wie alles Dasein nur aus einer in sich bestehenden ewigen Wahrheit, aus dem unendlichen, ewigen Dasein Gottes folgt. 17 Dieser Begriff ist Spinoza so gegenwärtig, so unmittelbar und innig geworden, daß ich ihn eher für einen Begeisterten fürs Dasein Gottes als für einen Zweifler oder Leugner desselben hielte. In Erkenntniß und[33] Liebe Gottes setzt er alle Vollkommenheiten, Tugend und Glückseligkeit der Menschen; und daß dies keine Maske, sondern des Philosophen Ueberzeugung sei, zeigen seine Briefe, ja, ich möchte sagen, jeder kleinste Theil seines philosophischen Gebäudes, jede Zeile seiner Schriften. Möge er sich in der Idee von Gott geirrt haben; wie aber Leser seiner Werke je sagen konnten, daß er die Idee von Gott verleugnet und den Atheismus demonstrirt habe, ist unbegreiflich.

THEOPHRON. Auch ich traute mir beinah selbst nicht, da ich diesen Autor las und mit dem zusammenhielt, was Andere über ihn sagten. Und doch las ich ihn nicht als ein Neuling der Philosophie oder in einiger Nebenansicht, sondern unbefangen, eher mit Vorurtheil wider als für ihn, nachdem ich außer den alten Weltweisen die Schriften Baumgarten's, Leibniz', Shaftesbury's und Berkeley's nicht nur gelesen, sondern studirt hatte. Lassen Sie uns indeß bei dieser Befremdung nicht stehen bleiben, die sich von selbst aufklären wird, wenn wir sein System durchgehen: was haben Sie für Zweifel dagegen?

PHILOLAUS. Wo soll ich anfangen? wo endigen? Das ganze System ist mir ein Paradoxon. »Es ist nur eine Substanz; diese ist Gott; alle Dinge sind in ihm nur Modificationen.«

THEOPHRON. Am Wort Substanz stoßen Sie Sich nicht; Spinoza nahm's nach seiner reinsten, strengsten, höchsten Bedeutung und mußte es so nehmen, wenn er, seiner gewählten Methode nach, d.i. synthetisch, einen ersten Begriff zum Grunde legen wollte. Was heißt Substanz, als ein Ding, das für sich besteht, also das die Ursache seines Daseins in sich selbst hat? Ich wollte, daß dem Wort diese reine Bedeutung in der Philosophie hätte bleiben können. Im schärfsten Verstande ist kein subsistirendes Ding der Welt eine Substanz, weil Alles von einander und zuletzt Alles von Einem abhängt, das die Selbstständigkeit selbst, d.i. die höchste, einzige Substanz ist. Da aber die menschliche Philosophie immer gern dem Gefühl der Menschen treu bleibt und ihm in einem gewissen Sinn treu bleiben muß, da wir uns aber bei aller unsrer Abhängigkeit doch auch für selbstständig [34] halten, auf gewisse Weise dafür auch halten können, ob wir gleich nur bestehend sind, so –

PHILOLAUS. Ei dann! Nun und nimmer sind wir doch bloße Modificationen?

THEOPHRON. Das Wort ist anstößig und wird nie in der Philosophie Raum gewinnen. Wagte es indeß die Leibnizische Schule, die Materie eine Erscheinung von Substanzen zu nennen, warum sollte dem Spinoza nicht sein Ausdruck erlaubt sein? Werden die sogenannten Substanzen der Welt allesammt von göttlicher Kraft erhalten, ja, bekamen sie, wie jedes hergebrachte System annimmt, nur durch göttliche Kraft ihr Dasein, was sind sie, wenn man will, anders als modificirte Erscheinungen göttlicher Kräfte (phaenomena substantiata), jede nach der Stelle, nach der Zeit, nach den Organen, in und mit welchen sie erscheinen, bestehend und energisch? Spinoza nahm also mit seiner einzigen Substanz eine kurze Formel, die seinem System allerdings viel Zusammenhang giebt, ob sie gleich unserm Ohr fremd klingt. Immer war sie doch besser als jene Gelegenheitsursachen der Cartesianer, nach denen Gott gleichfalls Alles selbst, nur aber gelegentlich wirken sollte.

PHILOLAUS. Allerdings ein weit unbequemerer Ausdruck –

THEOPHRON. Und doch, wie lange hat er gegolten! Selbst die Leibnizische Philosophie hat ihn nur durch eine andere artigere Formel höflich hinweggescheucht.

PHILOLAUS. Sie meinen die prästabilirte Harmonie aller Dinge.

THEOPHRON. Eben sie. In keinem dieser Ausdrücke liegt Ketzerei; nur einer ist unbequemer als der andere, und im Grunde verstehen wir bei allen gleich wenig. Wir wissen nicht, was Substanz, d.i. ein bestehendes Principium der Kraft, sei, oder wie Kraft wirke; viel weniger wissen wir, was die Allkraft sei, oder wie sie Alles hervorgebracht habe, jetzt noch Alles hervorbringe und jedem Dingeseine Weise mittheile. Daß indessen Alles in einem Selbstbestande ruhen, von einem Selbstständigen, sowol seinem Dasein nach als in seiner Verbindung mit andern, mithin im Grunde sowol als in jeder Aeußerung seiner Kräfte abhangen müsse, daran[35] kann kein consequenter Geist zweifeln. – Woran denken Sie, Philolaus?

PHILOLAUS. Ich sehe so manche pathetische Declamation gegen Spinoza auf einmal in ihr Nichts zurückgehn, die mit nichts als dem Namen seiner »einzigen Substanz und seiner Modificationen« kämpfte; sie fochten alle blos mit einem Nebel unbequemer Worte. Ihnen ist bekannt, Theophron, welch ein Heer lächerlicher Widersprüche und Gotteslästerungen man ihm andichtete, z.B. daß, seinem System zufolge, Gott bei allem Guten alles Böse in der Welt thue, daß sonach Gott es sei, der alle Thorheiten verübe, alle Irrthümer denke, gegen sich selbst streite, sich in Spinoza selbst lästere und leugne u.s.w. Was von Spinoza's Modificationen gilt, gilt es von Descartes' gelegentlichen Ursachen, von Leibnizens prästabilirter Harmonie, ja selbst vom physischen Einfluß minder? Geschehen diese Dinge in Gottes Welt, so geschehen sie durch den Gebrauch und Mißbrauch seiner Kräfte, d.i. der Kräfte, die er abhängigen Wesen anschuf und in ihnen erhält; man möge sich seine Vorhersehung oder Mitwirkung auf solche oder eine andre Weise denken. Ueberhaupt habe ich's gefunden, daß, wenn man die Meinung eines vernünftigen Menschen gar zu unvernünftig und ungereimt vorstellt, man selbst entweder eine Ungerechtigkeit begehe oder eine Ungereimtheit sage. Man macht sich mit solchen Formeln den Sieg zwar leicht, es ist aber auch nur das Blendwerk eines Sieges.

THEOPHRON. Also werden Sie jetzt auch darin keine Gotteslästerung finden, wenn Spinoza das selbstständige Wesen eine nicht-vorübergehende, sondern die bleibende immanente Ursache aller Dinge nennt? 18

PHILOLAUS. Wie könnte ich sie finden, da sich gegentheils, auch nach den angenommenen Formeln, bei Gott als einer vorübergehenden Ursache der Dinge nichts denken läßt? Wie und wann und wem geht er vorüber? Ein Geschöpf ohne des Schaffenden Beistand ist nichts; und wie kann Der vorübergehen, der keinen abgeschlossenen Ort hat, keinen Ort räumt, in dem keine Abwechselung und Veränderung sein kann?

THEOPHRON. Aber wie? wenn Gott »außer der Welt« wohnte?

[36] PHILOLAUS. Was ist ein Ort außer der Welt? Sie selbst und Raum und Zeit in ihr, durch welche wir die Dinge messen und zählen, sind ja allein durch ihn, den Unendlichen, denkbar, der mit den Dingen selbst ihr Wo und Wann, d.i. das Maß und den Zusammenhang ihrer Kräfte setzt, begrenzt, ordnet.

THEOPHRON. Sie gerathen also auch nicht in das Labyrinth von Fragen:


»Wie Gott die Ewigkeit erst einsam durchgedacht?

Warum einst, und nicht eh er eine Welt gemacht?«


Oder:


– »Wie sich die weiten Kreise

Der anfangslosen Dau'r gehemmt in ihrer Reise?

Und ewig ward zur Zeit, und wie ihr seichter Fluß

Ins Meer der Ewigkeit sich einst verlieren muß?« u.s.w.


PHILOLAUS. Ich setze nicht hinzu:


»Das soll ich nicht verstehn und kein Geschöpfe fragen;

Es möge sich mein Feind mit solchem Vorwitz plagen.«


Denn auch meinem Feinde wünschte ich dergleichen Phantome der Einbildungskraft als einen unergründlichen Gegenstand des Wissens nicht. Gott durchdachte keine Ewigkeit einsam: es war kein Jetzt und kein Ehe, eh eine Welt war; eine anfangslose Dauer ist keine Ewigkeit Gottes, und in dieser giebt's keine Reise. Das Ewig kann so wenig zur Zeit als die Zeit zur Ewigkeit oder das Endliche zum Unendlichen werden.

THEOPHRON. Das haben Sie doch nicht erst aus Spinoza gelernt?

PHILOLAUS. Vielmehr freute es mich, daß er die gewöhnlichen, ganz unphilosophischen Verwirrungen hierüber strenge vorübergegangen war und Zeit und Ewigkeit, d.i. das Endlos-Unbestimmte und das durch sich unendliche Höchstbestimmte genau unterschied. 19 Ewigkeit im reinen Sinne des Wortes kann durch [37] keine Zeitdauer erklärt werden, gesetzt, daß man diese auch endlos (indefinite) annähme. Dauer ist eine unbestimmte Fortsetzung des Daseins, die schon in jedem Moment ein Maß der Vergänglichkeit, des Zukünftigen wie der Vergangenen, mit sich führt. Dem Unvergänglichen, durch sich Unveränderlichen kann sie so wenig zugeschrieben werden, daß vielmehr sein reiner Begriff mit dieser zugemischten Phantasie verschwindet.

THEOPHRON. Die Welt ist also auch mit Gott nicht gleich ewig?

PHILOLAUS. Wie kann sie dies sein, da sie Welt, d.i. ein System der Dauer zu- und nach einander geordneter Dinge ist, deren keinem das absolute Da sein oder die unwandelbare Ewigkeit ohne Maß und Zeitendauer zukommt?

THEOPHRON. Also macht's Ihnen auch keine Verwirrung der Begriffe, daß die ewige Macht Gottes (in unsrer gewohnten Sprache zu reden) schafft, schuf und schaffen werde, und doch keinem der Geschöpfe, auch in ihrem ganzen System nicht,seine Ewigkeit zukommt?

PHILOLAUS. Die ewige Macht Gottes schafft, schuf und wird schaffen, weil sie, die ewig wirkende Macht, nie müssig ist und nie müssig sein konnte; des Geschaffenen Dasein beruht nur, wie sein Name selbst sagt, auf einer Folge und hat mit allen seinesgleichen das Zeitenmaß der Veränderung in sich. Also auch eine immerhin fortgesetzte Weltschöpfung wird durch diese Fortsetzung nie ewig. Ihr Maß ist endlos; aber nur in Gedanken des Messenden ist und wird dieses Endlosen Maß. Dies Alles begreife ich leicht; ich habe aber einen andern Zweifel, den ich gelöst wünschte. Er betrifft die Eigenschaften dieses unendlichen, ewigen Gottes bei Spinoza. Wie konnte er, der Zeit und Ewigkeit so richtig unterscheidet, auf der andern Seite so unzusammenhangend sein, daß er »die Ausdehnung zur Eigenschaft Gottes macht«? Verhält sich der Raum nicht wie die Zeit? Ist nun jene mit dem Begriff des Ewigen ganz unvergleichbar, so ist auch Ausdehnung [38] (Extension) mit dem Begriff einer untheilbaren Substanz, die Spinoza mit felsenfester Stärke annimmt, 20 gleichfalls unvereinbar.

THEOPHRON. Ihre Bemerkung ist wahr; sehen Sie aber auch, wo Spinoza diesen Ausdruck wählt. Bedient er sich seiner in seiner reinen Theorie von Gott?

PHILOLAUS. Sonderbar! Er braucht ihn nur, wenn er die Seele von der Materie, d.i. das Denkende vom Ausgedehnten unterscheidet. 21

THEOPHRON. Ist nun Ausdehnung und Materie Einerlei? Sehen Sie da den Cartesischen Fehlausdruck, den unser Autor in der Sprache seiner Zeit nicht wohl umgehen konnte, und der für Viele die Hälfte seines Systems verdunkelt. Descartes hatte die Materie durch Ausdehnung erklärt, und man könnte sie ebensowol durch Zeit erklären; denn jene wie diese sind Maße ihres Daseins mit andern und nach einander. Nun mögen beide Maße unumgänglich nothwendig für jeden denkenden Geist sein, der selbst durch Ort und Zeit beschränkt ist; das Wesen der Materie aber werden sie durch diese unsre Denkart nie. Spinoza sahe das Unhinreichende dieser Cartesischen Erklärung so gut als wir; lesen Sie seine Briefe. 22 Wenn er also in seinerEthik die Materie, d.i. Körper mit Ausdehnung, d.i. mit Raum gleichgeltend annahm und sie einem ganz ungleichartigen Dinge, dem Gedanken, gegenüberstellte, so wußte er selbst, daß zu Erklärung des Wesens der Körper dies kein ausdrückender Begriff sei. Ebenso wußte er und wiederholt's, daß Gedanke und Ausdehnung nichts mit einander zu schaffen haben; er tadelt Descartes, daß er von der Zirbeldrüse hinaus den Körper bewegen, die Affecten bändigen wolle u.s.w. Ihm war Ausdehnung ein reiner Verstandesbegriff, untheilbar [39] in sich, nur durch Hilfsmittel der Imagination theilbar. Den Punkt also, warum gerade nur diese beiden Begriffe, Ausdehnung und Gedanke, die zwei Eigenschaften seien, dadurch sich unter unendlichen andern Eigenschaften, die allesammt eine höchste Realität ausdrücken, der Unendliche uns offenbart habe, ließ Spinoza unerörtert, so oft er deshalb befragt wurde. Was ist in der Ausdehnung für Realität, wenn wir solche auch endlos, d.i. so unbestimmt fortgesetzt wie eine immerhin fortwährende Dauer annehmen? Ohne Wesen, ohne wirkende Kräfte ist nichts in ihr; nur für sinnliche Geschöpfe ist sie das Maß einer Welt, eines Nebeneinanderseins mehrerer Geschöpfe. Zum Absolut-Unendlichen gehört sie nicht, so wie sie auch keine innere wesentliche Vollkommenheit seines Daseins ausdrückt, das keinen, also auch nicht einen endlosen Raum erfüllt, das keine, also auch nicht eine endlose Zeit ausmißt.

PHILOLAUS. Da, lieber Theophron, verjagen Sie mir einen widrigen Nebel; denn dieser unendlich- ausgedehnte Gott, wie man den Gott des Spinoza zu nennen pflegte, war mir ganz undenkbar.

THEOPHRON. Dem hellen Weltweisen Spinoza war er es ebenso sehr. Nicht Gott nennt er ein Extensum (dessen Untheilbarkeit er vielmehr strenge behauptet), sondern die Körperwelt (res extensas) nannte er »ein Attribut, das ein Unendliches seinesSelbstbestehenden, wie die Gedankenwelt von ihm ein andres Unendliches ausdrückt«. Gröbere Formeln, phantastische Bilder vernichten seinen Begriff ganz.

[40] PHILOLAUS. Mich wundert, daß ich dies unbemerkt ließ, da so klare Stellen seiner Briefe darauf weisen. Das sahe ich wohl, daß Spinoza der Theilung eines unendlich-ausgedehnten und doch einfachen Wesens durch die Vorstellung des mathematischen Raums entweichen wollte, in welchem aus mathematischen Linien und Flächen keine physischen Körper werden. Da nun der mathematische Raum auch nur ein Abstractum der Einbildungskraft, eine Bedingung der Wahrheiten ist, die nicht anders als im Raum gedacht werden können, so kann er auch, wenn Spinoza ihn der Materie gleich zu achten scheint und ihn ein Attribut Gottes nennt, nur eine Auskunft sein, durch welche physische, d.i. wirkliche Körper in ihrer Varietät erklärt werden sollen; und da ist er, nach Spinoza selbst, keine Auskunft. Ich wollte, der Weltweise hätten einen Ausdruck vermieden, der von den Meisten grob gemißbraucht worden ist, Andern aber, wie Sie mit Recht sagen, die Hälfte seines so durchdachten Systems verdunkelt.

THEOPHRON. Wörter mein Freund, gelten wie Münzen. Spinoza's oder vielmehr Descartes' Zeit war die Zeit der Meßkunst, aber die Kindheit der Naturkunde, ohne welche die Metaphysik Luftschlösser baut. Descartes selbst baute dergleichen, denen Spinoza, wie mehrere Stellen zeigen, genau ihren Werth zu geben wußte. Je mehr man seitdem die Materie der Körper physisch untersucht hat, desto mehr entdeckte man in ihr wirkende, einander gegenwirkende Kräfte und verließ die leere Definition der Ausdehnung. Schon Leibniz, in dessen Geist sich aus allen Naturreichen und Wissenschaften fruchtbare Begriffe gesellten, drang darauf, daß man auch im Begriff der Körper nothwendig zuletzt auf einfache Substanzen kommen müsse, von denen er unter dem Namen wesentlicher Einheiten, d.i. der Monaden, Manches erzählte. Leider aber, da der lebhafte Verstand dieses Mannes Alles so gern als Dichtung vortrug, wurden diese seine Monaden, deren Sinn Wolff selbst nur theilweise aufnahm, bald nur als ein witziges Märchen betrachtet. Der Mathematiker [41] Boskowich ist, obwohl von einer ganz andern Seite, auf eben dergleichen untheilbare wirkende Elemente gekommen, ohne welche sich, wie er glaubte, die Natur der Körper nicht erklären lasse; 23 die Chemiker wählen wiederum eine andre Sprache. Fällt Ihnen ein Ausdruck bei, der dem schroffen Unterschiede zwischen Geist und Materie, dem Cartesischen Dualismus entweicht und prägnanter als das leere Wort Ausdehnung oder als das grobe Wort Materie die Natur der Körper bezeichnet?

PHILOLAUS. Ich wüßte keins als organische Kräfte. Dadurch, dünkt mich, bekäme Spinoza's System selbst eine schönere Einheit. Wenn seine Gottheit unendliche Eigenschaften in sich faßt, deren jede ein ewiges und unendliches Wesen auf unendlich verschiedene Weise ausdrückt, so haben wir nicht mehr zwei Eigenschaften des Denkens und der Ausdehnung zu setzen, die nichts mit einander gemein hätten; wir lassen das unpassende Wort Eigenschaft (Attribut) weg und setzen dafür, daß sich die Gottheit in unendlichen Kräften auf unendliche Weisen, d.i. organisch offenbare. Sofort bleibt uns auch nicht mehr der hinderliche Riegel vorgeschoben: »in welchen Eigenschaften außer dem Gedanken und der Ausdehnung sich die Gottheit andern Weltsystemen offenbare,« da sie doch, unserm Weltweisen zufolge, unendliche dergleichen ihr Wesen ausdrückende Eigenschaften besitzen soll, von welchen er uns keine als diese zwei zu nennen wußte. In allen Welten offenbart sich die Gottheitorganisch, d.i. durchwirkende Kräfte. Diese Wesen ausdrückende Unendlichkeit der Kräfte Gottes hat durchaus keine Grenzen, obwohl sie allenthalben denselben Gott offenbart. Kein Weltsystem darf das andre neidend befragen: »wie sich denn in ihm die Gottheit dargestellt habe«. Ueberall ist's wie hier; überall können nur organische Kräfte wirken, und jede derselben macht uns Eigenschaften einer unendlichen Macht kenntlich.

THEOPHRON. Wohl, Philolaus. Dies trifft in den Mittelpunkt des Spinozischen Lehrgebäudes.Macht ist ihm Wesenheit; [42] alle Attribute und Modificationen derselben sind ihm ausgedrückt dargestellte, wirkliche und wirksame Thätigkeiten. In der Geisterwelt ist's der Gedanke, in der Körperwelt die Bewegung; ich wüßte nicht, unter welches Hauptwort beide sich so ungezwungen fassen ließen als unter den Begriff Kraft, Macht, Organ, von denen jede Thätigkeit in der Körper- und Geisterwelt ausgeht. Mit dem Wort organische Kräfte bezeichnet man das Innen und Außen, das Geistige und Körperhafte zugleich; denn wie keine Kraft ohne Organ ist, so ist und wirkt kein Geist ohne Körper. Es ist indessen auch nur Ausdruck; denn wir verstehen nicht, was Kraft ist, wollen auch das Wort Körper damit nicht erklärt haben.

PHILOLAUS. In Ansehung des innern Zusammenhanges der Welt giebt uns, dünkt mich, der Ausdruck schöne Folgen. Nicht durch Raum und Zeit allein, als durch blos äußere Maße der Dinge, ist sie verbunden; sie ist's durch ihr eigentliches Wesen, durch das Principium ihrer Existenz selbst, da allenthalben in ihr, und zwar im innigsten Zusammenhange, nur organische Kräfte wirken. In der Welt, die wir kennen, steht die Denkkraft obenan; ihr folgen Millionen andre Empfindungs- und Wirkungskräfte, und er, der Selbstständige, er ist im höchsten, einzigen Verstande des Worts Kraft, d.i. die Urkraft aller Kräfte, Organ aller Organe. Ohn' ihn ist keines derselben denkbar, ohn' ihn wirkt keine der Kräfte, und alle im innigsten Zusammenhange drücken in jeder Beschränkung, Form und Erscheinung ihn aus, den Selbstständigen, die Ur– und Allkraft, durch welche auch sie bestehen und wirken.

THEOPHRON. Mich freut's, Philolaus, daß Sie diese Idee so rein aufnehmen und so reich anwenden. Auch dem Ausdruck nach tritt das System unsers Philosophen beinahe schon damit in das Licht einer tadellosen Einheit, die ihm das anstößige WortAusdehnung raubte; bemerken Sie aus dem von Ihnen gegebnen Gesichtspunkt nicht noch andre Aussichten?

[43] PHILOLAUS. Eine Reihe andrer. Alle anstößigen Ausdrücke z.B. fallen weg, wie Gott nach diesem oder nach einem andern System auf und durch die todte Materie wirke. Sie ist nicht todt, sondern sie lebt; denn in ihr wirken ihren innern und äußern Organen gemäß lebendige mannichfaltige Kräfte. Je mehr wir die Materie kennen lernen, desto mehrere derselben entdecken wir in ihr, so daß der leere Begriff einer todten Ausdehnung bei ihr völlig verschwindet. In unsern Zeiten, wie zahlreiche, verschiedene Kräfte hat man in der Luft entdeckt! was hat die neue Chemie in den Körpern für mancherlei Energien der Anziehung, Bindung, Auflösung, Zurückstoßung gefunden! Ehe die magnetische, ehe die elektrische Kraft entdeckt war, wer hätte sie in den Körpern vermuthet? wie zahllose andre mögen in ihnen noch unentdeckt schlafen! Es ist Schade, daß ein denkender Geist, wie Spinoza war, so frühe von unserm Schauplatz hinweg mußte.

THEOPHRON. Auch wir müssen hinweg, mein Freund, und erleben nicht, was der forschenden Nachwelt aufbehalten bleibt; gnug, wenn wir, so lange wir da sind, die Gegenwart und Wirkung der Gottheit erkennen, wo und wie sich uns dieselbe offenbart. Spinoza sagt, daß jede Eigenschaft, oder wie wir's nannten, jede in der Schöpfung offenbarte Kraft Gottes ein Unendliches ausdrückt; wie verstehen Sie das, da jeder Theil der Welt seine Schranken hat, nicht blos nach Ort und Zeit, sondern auch selbst zufolge der ihm einwohnenden Energien?

PHILOLAUS. Sind nicht Raum und Zeit, diese großen Gedankenbilder, endlos? welche unzählbare Menge göttlicher Kräfte und Formen kann sich in ihnen offenbaren! Und da nach Ort und Zeit, geschweige den wirkenden Kräften selbst nach keine zwei Erscheinungen dieselben sein können: welche Unendlichkeit entspringt aus diesem immer neu sich verjüngenden Quell göttlicher Schönheit! Sehen Sie hinaus gen Himmel, nach jenen Milchstraßen von Sonnen und Welten! Mit seinem Spiegelglase entdeckt der Columbus unsrer Nation vielleicht eben jetzt neue Heere derselben in einem kleinen, unsern Augen unsichtbaren Nebelwölkchen. In wie merkwürdigen Zeiten leben wir, da unerhörte, kaum geahnte Offenbarungen Gottes vom Himmel niedersteigen, jede derselben aufs Neue ausdrückend die Herrlichkeit des Wesens, das alle diese Welten schuf und schafft und hält und trägt!


[44] »Im Unendlichen ist der Unendliche: Einer und ewig,

Im Darstellen, im Sein, im Erhalten und Schaffen nur Einer,

Immer sich gleich und unendlich. Wie ewige Säulen, so stehen

Fest die Gesetze, die er sich dachte; so wie er sie dachte,

Fließt aus ihnen Verändrung und bleibt in ihnen die Allmacht«. 24


THEOPHRON. Vortrefflich, mein werther Philolaus! Mit dem letzten Zuge haben Sie zugleich das Unendliche angedeutet, das in jeder Naturkraft selbst, auch ohne Rücksicht ihrer Verbindung in einem endlosen Raum, in einer endlosen Zeit bleibend wohnt. Erwägen Sie die innere Fülle der Kraft, die in jedem lebendigen Wesen wirkt, wie es durch eine ihm eingepflanzte stille Energie entstehen und sich nicht anders als durch solche erhalten und fortpflanzen konnte! Betrachten Sie die Kräfte, die im Bau eines Thiers so verschwiegen wirken! Mit welcher Macht hangen seine Theile zusammen! welch ein Räder- und Triebwerk gehört dazu, daß es sich bewege, sich seinen Lebenssaft bereite, alle die Handlungen ausübe, dazu es bestimmt ist, endlich, daß es aus seiner Natur gleichartige Wesen, Bilder seiner selbst, lebend und wirkend, mit gleicher Kraft begabt, nach gleicher Anlage gebildet, hervorbringe, erzeuge! In der Generation allein liegt ein Wunder der Schöpfung, d.i. einer eingepflanzten, einwohnenden Macht der Gottheit, die sich, wenn ich so kühn reden darf, in das Wesen jeder Organisation gleichsam selbst beschränkt hat und in diesem Wesen nach ewigen Gesetzen, unverrückt und unwandelbar, wie allenthalben die Gottheit allein wirken kann, wirkt. In der Materie, die wir todt nennen, streben auf jedem Punkt nicht minder und nicht kleinere göttliche Kräfte: wir sind mit Allmacht umgeben, wir schwimmen in einem Ocean der Macht, so daß jenes alte Gleichniß immer und überall wahr bleibt: »die Gottheit sei ein Kreis, dessen Mittelpunkt allenthalben, dessen Umkreis nirgend ist«, weil weder im Raum noch in der Zeit, als in bloßen Bildern unserer Einbildungskraft, die Einbildungskraft irgend ein Ende findet. Mich dünkt, der Ausdruck des Spinoza sei glücklich, daß die Zeit nur ein symbolisches Bild der Ewigkeit sei; ich wollte mit Ihnen, daß er den Raum auch als ein solches, als das symbolische Bild der absoluten Unendlichkeit des Untheilbaren dargestellt hätte, wie er sich ihn dachte. Nicht etwa nur für uns ist das Wesen des Ewigen unausmeßbar; es ist an sich keines Maßes fähig; in jedem Punkt seiner Wirkung, der nur für uns ein Punkt ist, trägt es seine Unendlichkeit in sich.

[45] PHILOLAUS. Ich befürchte, mein Freund, daß Wenige diesen Unterschied des durch sich selbst Unendlichen und des durch Raum und Zeit in der Einbildungskraft gedachten Endlosen fassen werden, auf welchem doch Spinoza's ganzes System ruht. 25 Als eingeschränkte Wesen schwimmen wir im Raum und in der Zeit; wir zählen und messen Alles mit ihrem Maß und steigen mit Mühe von Bildern der Einbildungskraft zu dem Begriff, der alles Raum- und Zeitenmaß ausschließt. Hätte man diesen Unterschied gefaßt, gewiß, man hätte nicht so viel von dem weltlichen und außerweltlichen Gott geredet, noch weniger würde man den Spinoza je beschuldigt haben, daß er seinen Gott in die Welteinschließe und mit derselben identificire. Sein unendliches, höchst-wirkliches Wesen ist so wenig die Welt selbst, als das Absolute der Vernunft und das Endlose der Einbildungskraft eins sind; kein Theil der Welt kann also auch ein Theil Gottes sein; denn das höchste Wesen ist seinem ersten Begriff nach untheilbar. Deutlich sehe ich jetzt, daß man unserm Philosophen den Pantheismus ebenso unrecht Schuld gegeben habe als den Atheismus. »Alle Dinge«, sagt er, »sind Modificationen« oder, wie er es sonst unanstößiger nennt, »thätige Ausdrücke der göttlichen Kraft, Darstellungen einer der Welt einwohnenden ewigen Wirkung Gottes«; nicht aber sind sie zertrennliche Theile eines völlig untheilbaren einzigen Daseins.

THEOPHRON. Leugnen wollen wir's indessen nicht, Philolaus, daß manche Ausdrücke Spinoza's seinen Gegnern, die nur bei Ausdrücken stehen bleiben und solche durch andre seiner deutlichsten Grundsätze zu erklären nicht Lust hatten, zu Mißverständnissen Anlaß geben konnten. Auf eine ihm eigenthümliche Bedeutung des Worts Substanz hatte er sein System angelegt, und da er dieser ebenso ungewöhnliche Bedeutungen der Worte Attribut, Modification u.s.w. beifügte, auch die Cartesische Erklärung der Materie als Ausdehnung beibehielt, so mußte er dem größten Theil seines Systems nach harte Ausdrücke wählen. Den Irrthum aber, daß er das Wesen Gottes und der Welt verwirrt habe, hätte man ihm am Wenigsten aufbürden sollen; viele seiner Theoreme werden eben deswegen unbequem, weil er das Wesen Gottes und der Welt ja immer unterscheiden will und nicht gnug wiederholen [46] kann: »Gott unter solcher Modification, unter solchem Attribut betrachtet«. Wer ist, der den Begriff der naturirenden und naturirten Natur mehr als er unterscheidet? Den leichteren Zusammenhang philosophischer Wahrheiten fördern glückliche Wortcombinationen, und Leibniz, dieser Proteus der Wissenschaft, ein vor Millionen andern leichtverbindender Kopf, er behält das Verdienst, eben nach so manchen unbequemen Darstellungsarten der Scholastiker, des Descartes, Spinoza, Hobbes u. A., viel zu diesem leichtern Zusammenhange beigetragen zu haben. Eine glückliche Leichtigkeit mannichfaltiger Verbindungen war, wie mich dünkt, Leibnizens glänzendstes Talent; in seinen unbedeutendsten Aufsätzen hat er oft Samenkörner hingeworfen, die lange noch nicht alle aufgenommen, geschweige denn zur Ernte gediehen sind. Ihm selbst fehlte die Zeit, seinen Reichthum ganz zu nutzen, weil er mit zu Vielem zerstreut war und ihn zuletzt der Tod übereilte.

PHILOLAUS. Sie schrieben unserm deutschen Philosophen unter andern das Verdienst zu, daß er es zuerst gewesen, der beim Begriff von der Materie den Grund ihrer Erscheinung, immaterielle Substanzen, in die Metaphysik eingeführt habe; sollte nach Einführung derselben seine zwar sinnreiche, aber, wie mich dünkt, zu weit getriebene Hypothese derprästabilirten Harmonie zwischen Seelen und Körpern, als ob beide wie zwei Uhren zwar übereinstimmend, aber völlig unabhängig von einander spielen, nöthig gewesen sein? Ward seine Materie von immateriellen Kräften dargestellt, in welche jede höhere Art immaterieller Kräfte wirken mag und kann, so bestätigte sich ja hiemit der sogenannte physische Einfluß (den uns allenthalben die Natur zeigt, und gegen welchen keine willkürliche Hypothese etwas vermag) eben aus seinem System in einer standhaften Vorstellungsweise. Die ganze Welt Gottes wird ein Reich immaterieller Kräfte, deren keine ohne Verbindung mit andern ist, weil eben nur aus dieser Verbindung und gegenseitigen Wirkung ihrer aller alle Erscheinungen [47] und Veränderungen der Welt werden. Und mit wie weniger Aufopferung hätte Leipniz diesen Schritt thun mögen, da seine prästabilirte Harmonie eigentlich doch schon im Cartesianismus lag, der jene Abschichtung der Geister und Körper, von der wir bei Spinoza sprachen, auf sie gründet.

THEOPHRON. Und wie, wenn eben diese Nähe des Cartesianismus unsern Leibniz wie den Spinoza am vollen Gebrauch seiner bessern Erklärung gehindert hätte? denn das ist das Schicksal auch des furchtbarsten menschlichen Geistes, daß er, mit Ort und Zeit umfangen, in gewissen Ideen gleichsam aufwächst und sich nachher nicht ohne Mühe von ihnen zu trennen vermag. Leibniz lebte die blühendste Zeit seines philosophischen Lebens den Gedanken nach mehr in Frankreich als in Deutschland. Dort stand er in so vielen Verbindungen; von dort aus glänzte sein scharfsinniger Verstand zuerst über Europa auf. Da nun in Frankreich Descartes und Malebranche, sie mochten angenommen oder bestritten werden, im meisten Ruf standen: wie anders, als daß seine Bemühung vorzüglich auf dieses Feld der Ehre gezogen werden mußte? Er bildete also seine Hypothese der prästabilirten Harmonie mit einer Geschicklichkeit aus, daß sie die Gelegenheitsursachen des Cartesius sowie den unmittelbaren göttlichen Einfluß des Malebranche allerdings entbehrlich machen konnte, ob sie gleich auf die mangelhaften Grundsätze des ersten Philosophen selbst gebaut war. Leibniz sprach so gern nach der Fassungskraft Andrer; für sie erfand er seine sinnreichen Hypothesen. 26 Als er späterhin durch die Lehre der Monadologie der Metaphysik über Körper einen andern Weg anwies, ließ er jene Hypothese, die einmal in Ruf gekommen war und zum Ruhm seines Namens viel beigetragen hatte, an ihrem Ort stehen, oder vielmehr er bog sie dieser neuen Hypothese sehr geschickt an, indem er jede Seele mit einem organischen Körper vereinigte. Blieb es gleich keine prästabilirte Harmonie mehr zwischen Geist und Materie, sondern eine Harmonie zwischen höheren und [48] niederen Kräften: Harmonie blieb es doch immer; denn wer konnte, wer kann es erklären, wie Kraft auf Kraft wirkt?

PHILOLAUS. Sie retten Ihren Verehrten fein; erlauben Sie mir aber zu sagen, daß ich im ganzen Spinoza, in dessen Ausdrücken doch Hartes gnug ist, nichts so Gezwungenes gefunden habe als eben diese prästabilirte Harmonie, die auch er zum Grunde legt.

THEOPHRON. Er? Wo?

PHILOLAUS. Mich dünkt, allenthalben. »Seine zwei Attribute Denken und Ausdehnung oder Bewegung stehen neben einander; jedes muß für sich gedacht, keins kann aus dem andern erklärt werden; jedes durch sich aber drückt die Realität des Ewigen aus«: ist dies nicht Harmonie? Harmonie zweier einander unmittheilbarer Ausdrücke der höchsten Realität? Da sie in dieser ihren ewigen Grund haben, warum sollte man sie nicht Harmonie nennen dürfen?

THEOPHRON. Prästabilirte Harmonie gewiß nicht, am Wenigsten in Leibniz' Sinne; von ihr weiß Spinoza's System nicht. Es kennt keine endlose Zahl einzelner Substanzen, deren Harmonie prästabilirt wäre; nur eine Selbstständigkeit kennt es, die sich auf unendliche Weise für uns in zwei großen Attributen ausdrückt. Nach Spinoza drücken beide eine Wesenheit aus, aber, wie er meint, ist eine aus der andern nicht erklärlich. Jene Regel: »Wenn Zwei in einem Dritten eins sind, sind sie unter einander selbst eins«, soll hier also nicht stattfinden; oder beide Attribute fielen in einander und würden, da sie ein Wesen auf verschiedne Art ausdrücken, eins. Die Materie würde Geist, der Geist Materie, nur in unsrer Vorstellungsart unterschieden; ein Einerlei, dem Spinoza stark entgegenredet. Sie sehen, hier will sein System nicht erklären; es setzt voraus und nimmt an, was wir eben erklärt wissen wollten, »wie nämlich die ewige Monas sich in Attributen als eine Dyas, als eine innere Denk- und äußere Bewegkraft offenbare«. Die Harmonie zwischen diesem Aeußern und Innern entwickelt Spinoza nicht, da er sie als dasselbe, als Eins in einem verschiednen Zwei, voraussetzt und auch im Menschen bei der Verbindung zwischen Seele und Körper unerklärt annimmt. Man könnte sie nicht anders als eine symbolische Harmonie nennen, wenn man ihr den Namen Harmonie geben wollte. Das Expansum mit allen in ihm wirkenden Kräften, der Bewegung u.s.w. wäre eine äußere Darstellung der innern ewigen Denkkraft, wie unser Körper derAusdruck oder, wie er's nennt, das Object der Seele [49] ist; sind wir mit dieser mystischen Harmonie weiter, als wir waren? 27

PHILOLAUS. Ich hoffe nicht, daß wir je weiter gelangen werden, ja, ich sehe nicht, warum wir weiter gelangen müßten. Metaphysik heißt Nachphysik; nie sollte jene die Physik verlassen, sie aber immer begleiten. Allenthalben sodann bemerkt sie, wie Kraft ohne Organ nicht wirken oder von uns wenigstens nicht wahrgenommen werden könne, wie allenthalben sich also das Aeußere zum Innern fügen, jenes in diesem erscheinen, dies das Innere ausdrücken müsse, mit einem Wort, wie allenthalben sich die Natur organisire. Dies ist Philosophie, die mit Weglassung mystischer Wortformen ihren Weg rüstig fortgehen und jene Speculationergänzen darf, die seit Descartes, zum Theil im Gewande der Mathematik selbst, der wahren Philosophie, d.i. der Kenntniß der Natur, voreilte.

THEOPHRON. Uebereilen auch Sie Sich nicht! Dies Gewand, mein Freund, war ihr nützlich, es bereitete die Sprache der Philosophie zu einem Calcül der Beobachtungen und Gedanken. Denn forderte es nicht Bestimmtheit in den Begriffen, Genauigkeit in [50] den Beweisen und Ordnung? Freilich konnte das Kleid nicht die Sache selbst ändern oder vertreten. Sind die Begriffe einmal willkürlich erfaßt oder unvollständig abstrahirt, so hilft alle mathematisch reine Darstellung derselben in der besten methodischen Ordnung nicht. Hat man angenommen, was man nicht annehmen sollte, so werden die Beweise Scheinbeweise und die strenge Form selbst ein Hinderniß der Wahrheit. Wir sahen dies an Spinoza. Mit einem willkürlich angenommenen Begriff, z.B. Substanz, Attribut, Modification, war eine Menge andrer willkürlichen Erklärungen eines Einen, das sich in zwei Attributen darstellt, u.s.w. veranlaßt, welche seine vortreffliche synthetische Methode nicht gut machen, wohl aber täuschend verbergen konnte. In der Kritik macht man die Probe, Verse in Prose aufzulösen, und nimmt den Grundsatz an, daß, was in Prose Unsinn ist, es auch in Versen sein müsse; mit dem mathematischen Vortrage metaphysischer Sätze sollte man es ebenso machen. Voraussetzungen, behauptend harte Ausdrücke, die in ungebundner Rede den Verstand beleidigen, können durch die geometrische Form so wenig gut gemacht werden, daß man sich eher aufgebracht fühlt, wenn man Sätze der Art dem Scheine nach demonstrirt sieht und sich zuletzt orientiren muß, wie man mit der gefunden Vernunft daran sei.

PHILOLAUS. Sonderbare Philosophie, die sich zuletzt orientirt, da eben sie dem Inhalt wie der Methode nach vom Anfange bis zum Ende uns orientiren sollte. Gnug indessen, daß Spinoza weder ein Atheist noch Pantheist ist; ein dritter harter Knoten in ihm bleibt mir noch übrig.

THEOPHRON. Ich merke leicht, wer er sei; und wie, wenn wir eben in dem harten Knoten ein Goldstück fänden?

PHILOLAUS. Es soll mich freuen, und jede Mühe der Auflösung des Knotens wird mir willkommen sein; aber wer, mein Freund, ist der Verfasser der scholastischen Ode, die Sie mir neulich mittheilten?

THEOPHRON. Ein Atheist, der verbrannt wurde,Vanini. Noch auf dem Richtplatz hob er einen Strohhalm auf und sagte: »daß, wenn er so unglücklich wäre, keine andern Beweise vom Dasein Gottes zu haben als diesen Strohhalm, so würde dieser ihm gnug sein«.

[51] PHILOLAUS. Und ward verbrannt? Vielleicht sonst als Ketzer?

THEOPHRON. Ein eitler junger Mann war er, von vielen Fähigkeiten und vieler Ruhmsucht; er wollte ein Julius Cäsar in der Philosophie sein und ward ihr trauriges Opfer. Wie gefällt Ihnen seine Ode?

PHILOLAUS. Für die Zeiten Vanini's gefällt sie mir sehr wohl. Der Ausdruck ist im Latein der damaligen Zeit und die Theorie über das höchste Wesen scholastisch; der zweite Theil des Gedichts aber ist innig und herzlich. Der Dichter, durchdrungen von seinem Gegenstande, bietet allen Reichthum seiner Sprache auf, um uns den Einzigen darzustellen, ohne den wir nichts, durch den wir Alles sind, was wir sind, was wir können und wirken.

THEOPHRON. So wird Ihnen vielleicht auch dies Blatt morgenländischer Sentenzen über das höchste Wesen nicht mißfallen. Sie sind im Geist der Sprachen des Orients gedacht und können nichts anders als in solchen gelesen werden. Zu Spinoza passen sie wohl; morgen sprechen wir über ihn weiter.


Gott
Einige Aussprüche der Morgenländer

In ihm leben, weben und sind wir. Wir sind seines Geschlechts.

Paulus.

*


Von ihm, in ihm und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit.

Paulus.

*


Wenn wir gleich viel sagen, so werden wir's doch nicht erschöpfen; der Inbegriff aller Gedanken, das All ist er.

Sirach.

*


Ihm allein kommt es zu, zu sagen: Ich! Er, dessen Reich ewig und dessen Wesen sich selbst gnug ist. Wer außer ihm sagt: Ich! ist ein Teufel.

*


Der Geschöpfe Eigenschaften sind alle zwiefach; denn wie sie auf der einen Seite Macht haben, so haben sie auf der andern Schwachheit. Wenn sich in einer Sache Ueberfluß befindet, so findet sich auch Mangel bei ihr. Kenntniß und Unwissenheit sind mit einander vereinigt, Kraft und Schwachheit, Leben und Tod. Nur des Schöpfers Macht ist ohne Grenzen, sein Reichthum ohne Mangel, [52] seine Wissenschaft ohne Dunkelheit, sein Leben ohne Tod. Alle Dinge sind zwiefach geschaffen, Gott allein ist einzig und ewig.

*


Die Menschen, o Gott, messen Dich nicht mit dem Maß, mit welchem Du gemessen werden mußt; nur von Deinem Wesen allein kann Dein Wesen begriffen werden. Denn was für ein Verhältniß kann sein zwischen Dem, der ewig ist, und zwischen Dem, der in der Zeit geschaffen worden? zwischen ein Wenig Wasser und Erde und zwischen dem Herrn aller Dinge?

*


Die droben im Tempel seiner Herrlichkeit anbeten, gestehen es und sagen: »Wir verehren Dich nicht, o Gott, mit würdiger Verehrung.« Wenn sie den Glanz seiner Schönheit preisen, stehn sie erstaunt und klagen: »Wir erkennen Dich nicht, o Gott, mit wahrer Erkenntniß.«

Und wenn nun Jemand mich um sein Lob fragte, was sollte der Sinnlose vom Bildlosen sagen? Der Liebende wird ein Opfer des Geliebten, und das Opfer verstummt.

Saadi.

*


Ein Betrachter Gottes, ein redlicher Mann, senkte das Haupt zum Busen und schien wie untergegangen im Meer der Beschauung. Als er emporkam, redete ihn einer seiner Vertrauten an und sprach: »Was hast du uns Schönes mitgebracht aus dem Garten, in dem Du warest?«

»Ich wollte Rosen brechen,« antwortete er; »mein Kleid, meinen Busen wollte ich anfüllen mit ihnen, ein Geschenk für meine Freunde; schon nahte ich mich dem Busch voll schöner erquickender Rosen; allein der starke Duft derselben berauschte, überwältigte mich; meiner Hand entsank das Kleid und alle gesammelte Rosen.«

Lautsingende Nachtigall, von der Mücke lerne, was Liebe sei! sie fliegt hinein in die geliebte Flamme, ihr Flügel versengt; todt und stumm sinkt sie danieder.

Jene Prahler, jene Schwätzer von Gott wissen nichts von ihm; wer ihn kennt, schweigt.

O Du, höher als alle Gedanken, als alles Urtheil, als jede Meinung, als jede Einbildung! Alles, was die Väter sagten, las und hörte ich; Gespräch und Leben ist zu Ende, und ich bin eben am Anfange Deiner Beschreibung.

Saadi. [53]

Drittes Gespräch

PHILOLAUS. Was haben Sie da für eine schöne Göttin vor Sich? Schön wie die Liebe und ernst wie die Weisheit; sie blickt zum verschleierten Busen hinab und hält die Linke, als ob sie etwas an ihr messe; die gemessene Hand hält einen Zweig. Ihr stiller Tritt, die sanfte Erhabenheit in ihrer ganzen Haltung bezeichnen gewiß eine glückbringende, gute Göttin.

THEOPHRON. Es ist die Nemesis der Griechen; ein personificirter Begriff, den ich liebe. Ernst ist sie, die Tochter der Gerechtigkeit; sie mißt mit der Rechten das Betragen und Glück der Sterblichen ab und blickt unparteiisch zum Busen hinunter. Für Den, der das Maß trifft, hält sie den Zweig der Belohnung.

PHILOLAUS. Hat sie nicht sonst ein Rad unter ihren Füßen?

THEOPHRON. Sie hat's, zur Anzeige, daß sie das Glück des Uebermüthigen im schnellen Nu durch die leichteste Berührung stürze und ihn verderbe. Bei der Bildsäule ließ der Künstler dies Symbol weg und gab ihr dafür den stillen Tritt, die sanfte Haltung, die Sie bemerkten; unsre Nemesis, mein Freund, soll des schreckenden stürzenden Rades auch nicht bedürfen. Das ernst-gütige Angesicht der Göttin, ihr weises Maß und der Zweig des Glückes in ihrer Hand sind der Symbole gnug, uns an die feste Naturwahrheit zu erinnern: »daß aller Bestand, alles Wohlsein, ja das Dasein der Dinge selbst nur auf Maß, Proportion und Ordnung gebaut seien und sich durch diese allein erhalten«.

PHILOLAUS. Da treffen Sie, Teophron, auf den Satz eines [54] meiner geachtetsten Philosophen, den ich den Leibniz unsrer Zeit nennen möchte, Lambert's. Sowol in seinem Organon als in seiner Architektonik kann er nicht oft gnug auf die Wahrheit zurückkommen, »daß der Beharrungszustand, mithin das Wesen jedes eingeschränkten Dinges allenthalben auf einem Maximum beruhe, bei welchem gegenseitige Regeln einander einschränken, mithin die Bestandheit der Dinge und ihre innere Wahrheit nebst dem Ebenmaß, der Ordnung, Schönheit, Güte, die sie begleiten, auf eine Art innerer Nothwendigkeit gegründet sei«. Er giebt Ihnen also Ihre Nemesis, mit dem messenden Arm und dem Zweige in der Hand, als eine mathematisch-physisch- metaphysische Formel.

THEOPHRON. Auch in dieser Gestalt habe ich sie lieb, und wenn sich ungleichartige Dinge vergleichen ließen, fast noch lieber, als in welcher sie der Künstler bildete. Dieser mußte sich begnügen, mancherlei Symbole zusammenzufügen; die abstracte Wahrheit giebt mir solche als nothwendige Bestimmungen des Begriffes selbst, mithin nehmen das Maß und der Zweig der Belohnung in ihr eine wesentlichere Gestalt an. Aber wo ist das Rad der Veränderung, das der Nemesis gehört, in Ihrer mathematischen Formel?

PHILOLAUS. Der Weltweise vergaß es nicht; er bemerkte, »daß, wenn Dinge oder Systeme von Dingen in ihrem Beharrungszustande gestört werden, sie sich demselben auf eine oder die andere Weise wieder zu nähern trachten«, und bestimmte diese Weisen.

THEOPHRON. Vortrefflich! Sie sehen, Philolaus, den Vorzug solcher wissenschaftlichen Formeln. Was der gemeine Verstand in täglichen Erfahrungen dunkel bemerkt, bringen sie ins Licht, führen es auf allgemeine Gesetze, ja wo möglich auf Zahl und Größe zurück; dadurch bekommt ihre Behauptung einen Werth der bestimmten Gewißheit, ja einer allgemeinen Anwendung, die man nachher bei jedem einzelnen Gegenstande gern verfolgt. Wahrscheinlich wird es Ihr Lambert auch so gemacht haben.

PHILOLAUS. In reichem Maße. Er wendet das Maximum seines Beharrungszustandes in mancherlei Beispielen auf die verschiedensten Gegenstände an und findet es bei allen beschränkten und zusammengesetzten Systemen der Kräfte. So hat er in einer eignen Abhandlung die Bewegung des menschlichen Körpers berechnet und eine Reihe von ihren Maximis gefunden; gleichergestalt hat er eine Theorie der Ordnung versucht und seinen Beharrungszustand auch auf Gegenstände der Schönheit, der Güte, des Nutzens [55] anzuwenden angefangen. Er hat mehrmals den Wunsch geäußert, daß bei allen Systemen zusammengesetzter, beschränkter Kräfte diese Regel bewiesen und angewandt werden möchte. Gewiß hätte er auch selbst diesen seinen Lieblingssatz noch weiter verfolgt, wenn ihn nicht ein frühzeitiger Tod zum Nachtheil mehrerer Wissenschaften, die er anbaute, dahingerissen hätte.

THEOPHRON. Sein Tod ist zu bedauern; aber andre Geister werden anbauen, was er angebaut zu werden wünschte. In der mathematischen Physik hat man mehrere dergleichen Gesetze und Compensationen bereits gefunden, die alle Willkür ausschließen und dem denkenden Geist den hohen Begriff »innerer Vollkommenheit, Güte und Schönheit in der Existenz und Fortdauer eines Dinges« zu seiner unbeschreiblichen Freude geben. Aus manchen dieser Bemerkungen hat man freilich anfangs zu viel schließen wollen; das schadet aber der Schön heit ihrer Erfindung nicht. Der Irrthum schleift sich ab, die Wahrheit bleibt. Je mehr die Physik zunimmt, desto weiter kommen wir aus dem Reich blinder Macht und Willkür hinaus, ins Reich der weitesten Nothwendigkeit, einer in sich selbst festen Güte und Schönheit. Jede sinnlose Furcht verschwindet, wenn der freudig – klare Sinn allenthalben eine Schöpfung gewahr wird, in deren kleinstem Punkt der ganze Gott in Gesetzen seiner Weisheit und Güte gegenwärtig ist und, dem Wesen jedes Geschöpfs nach, mit seiner ungetheilten und untheilbaren Kraft wirkt. Wo bleibt z.B. das leere Schrecken, daß ein Komet unsre Erde überflügeln möge, seitdem man den Gang dieser Weltkörper genauer kennt und nach den bisher gemachten Wahrnehmungen selbst die Fälle berechnet hat, in welchen eine solche Ueberstürzung zu befürchten wäre? Die Möglichkeit dieses Unfalls wird durch die Berechnung so ungeheuer klein, daß sie, dem großen Verhältniß der Kräfte nach, durch welche sich das Weltall erhält, beinahe zum Nichts verschwindet. Was hat man nicht von den Unregelmäßigkeiten und ihren bösen Folgen gewähnt, in welche sich die Himmelskörper durch ihre gegenseitigen Anziehungen mit der Zeit stürzen müßten! Das leere Schrecken ist durch die klärere Ansicht der Sache selbst verschwunden, da man gefunden hat, daß nach unwandelbaren Gesetzen alle Störungen der Planeten periodisch in bestimmten Grenzen enthalten [56] sind und diese Unregelmäßigkeiten einander selbst compensiren; das Planetensystem ist also bestehend, bleibend. Wohltätige, schöne Nothwendigkeit, unter deren überall ausgebreitetem Scepter wir leben! Sie ist ein Kind der höchsten Weisheit, die Zwillingsschwester der ewigen Macht, die Mutter aller Güte, Glückseligkeit, Sicherheit und Ordnung. 28 Wüßte ich ein schöneres Bild derselben aus dem Alterthum, die Nemesis sollte dieser höheren Adrastea sogleich ihren Platz einräumen.

PHILOLAUS. Das also war das Goldstück, das Sie mir in dem Knoten versprachen, den uns Spinoza mit seiner innern Nothwendigkeit der Natur Gottes, die uns offenbart, ja in und um uns wesentlich ausgedrückt sei in allem höchsten Naturgesetzen, geknüpft hat? Aber, Theophron, der Knote ist noch nicht gelöst. Wie hart redet er gegen alle Absichten Gottes in der Schöpfung! Wie bestimmt spricht er Gott den Verstand und Willen ab und leitet Alles, was da ist, blos und allein aus seiner unendlichen Macht ab, die er nicht nur über Verstand und Absichten setzt, sondern auch von denselben trennt und unterscheidet. 29 Sie wissen, mein Freund, daß diese Sätze unserm Philosophen die eifrigsten Gegner zugezogen haben; 30 selbst Leibniz, der den Spinoza ehren mußte, hat sich in seiner »Theodicee« und sonst aufs Bestimmteste gegen sie erklärt. 31 Wenn Sie diese so beleidigenden Sätze mit dem in manchem Andern so vortrefflichen System des Spinoza vereinigen können, so wünsche ich mir selbst die Nemesis zu sein, die Ihnen den Zweig reiche.

THEOPHRON. Ich wünsche ihn nur aus der Hand der Wahrheit; denn ich kann beweisen, theils daß Spinoza auch in [57] diesen Sätzen nur deshalb anstößig ist, weil er in der Cartesischen Sprache sprach und auf das Bestimmteste in ihr sprechen wollte; theils daß man ihn noch viel härter verstanden hat, als er sich hart ausdrückte. Setzen wir jene Ausdrücke des Cartesianismus in andre uns geläufigere um und erklären des Spinoza Sätze der reinen Grundidee zufolge, auf welche er sein ganzes System baute, so hellen sie sich auf; die Nebel ziehen hinweg, und Spinoza gewinnt, wie mich dünkt, selbst einen Schritt vor Leipniz voraus, der vorsichtig, aber in diesem Stück vielleicht zu vorsichtig, also auch nicht genugthuend auf ihn folgte.

PHILOLAUS. Ich bin sehr neugierig.

THEOPHRON. Zuerst leugne ich's völlig, daß Spinoza Gott zu einem gedankenlosen Wesen dichte; schwerlich kann es einen Irrthum geben, der seinem System mehr zuwider liefe als dieser. Das Wesen Gottes ist bei ihm durchaus Wirklichkeit, und Spinoza war selbst zu sehr ein Denker, um nicht die Realität auch dieser Vollkommenheit, der höchsten, die wir kennen, innig zu schätzen und zu fühlen. Sein höchstes Wesen also, das alle Vollkommenheit auf die vollkommenste Weise besitzt, kann der vorzüglichsten derselben, des Denkens, nicht ermangeln; denn wie wären sonst, da Alles nur durch ihn und in ihm ist, Gedanken und Vorstellungsarten in eingeschränkten, denkenden Geschöpfen, die, nach Spinoza's System, allesammt ja nur Darstellungen und reale Folgen jenes höchstrealen Daseins sind, das nach seiner Erklärung allein den Namen eines Selbstbestehenden verdient? In Gott ist also, wie er oft und deutlich sagt, 32 unter [58] unendlichen Eigenschaften auch die Vollkommenheit eines unendlichen Denkens, die Spinoza eben nur deswegen vom Verstande und den Vorstellungsweisen eingeschränkter Wesen streng unterscheidet, um jene als ursprünglich, absolut und einzig in ihrer Art, ganz unvergleichbar mit diesen, zu bezeichnen. Sie werden sein Gleichniß bemerkt haben, daß sich die Gedanken Gottes zu menschlichen Vorstellungsarten wol kaum anders verhalten könnten als das Gestirn am Himmel, das man den Hund nennt, zu einem irdischen Hunde.

PHILOLAUS. Das Gleichniß hat mich mehr betroffen als belehrt.

THEOPHRON. Belehren sollte es auch nicht, aber scharf unterscheiden. Es zeigt, daß Spinoza auch hier lieber zu scharf griff und sich zu hart ausdrückte, als daß er, ein Eifrer für den würdigsten höchsten Begriff von Gott, diesen zu irgend einer schwachen Vergleichung mit Verstandesbegriffen oder Kräften, denen die verständlichen Dinge vorliegen müssen, erniedrigen wollte. Daß alle reine, wahre, vollständige Erkenntniß auch in unsrer Seele gleichsam nur eine Formel des göttlichen Erkennens sei, das, getraue ich mir zu sagen, hat Niemand stärker behauptet als Spinoza, er, der die Natur des Göttlichen im Menschen einzig nur in diese, Gott gleichsam ähnliche, reine, lebendige Erkenntniß Gottes, seiner Eigenschaften und Wirkungen setzte.

PHILOLAUS. Wie aber? sollte Spinoza's unendlich – denkendes [59] Wesen nicht bloß ein gesammelter Name aller der Verstandes- und Denkkräften sein, die in einzelnen Geschöpfen allein wirklich sind und denken?

THEOPHRON. Gott ein gesammelter Name? das wirkliche Wesen ein Unding, der Schatte in der Vorstellungsart einzelner Menschen? oder vielmehr ein bloßes Wort, der Schall eines Namens? Der Höchstlebendige also ein Todter, der Allwirksame ein Nichts, die letzte stumpfste Wirkung menschlicher Kräfte? Philolaus, wenn Sie das aus eigner Meinung dem Spinoza zuschreiben und das völligste Gegentheil seines Systems zu seinem System machen können – doch das können Sie nicht. Unmöglich, daß Sie den auch in seinen Behauptungen wenigstens zusammenhangenden Weltweisen von Blatt zu Blatt, von Anfang zu Ende so mißverstehen konnten. Wahrscheinlich sprachen Sie aus dem Munde seiner Gegner im vorigen Jahrhundert. –

PHILOLAUS. Eifern Sie nicht; im Gespräch führt man bisweilen auch einen fremden Gast ein, wenn er der Materie forthilft und sie durch Gegensätze erläutert. Für mich bin ich über Spinoza's Meinung hierüber durchaus nicht zweifelhaft gewesen, seitdem ich seine »Ethik« gelesen. Wie eifert er gegen Die, die Gott zu einem abstracten, todten Consectarium der Welt machen wollen, da dieses einzige Wesen bei ihm die Ursache alles Seins und Denkens, mithin auch unsrer Vernunft, jeder Wahrheit und jeder Verbindung von Wahrheiten ist! Wie hoch hält er eine vollständige und vollkommene Idee! 33 Sie ist ihm die Erkenntniß der Gesetze der Natur, in ihnen des ewigen, göttlichen Wesens; göttlich auch darin, daß sie die Dinge nicht zufällig, sondern als nothwendig unter einem Bilde der Ewigkeit denkt und eben dieser innern Nothwendigkeit wegen ihrer so gewiß ist, wie Gott derselben gewiß sein kann. Höher läßt sich das Wesen des menschlichen Gemüths, [60] das kraft seiner Natur Wahrheit erkennt und solche als Wahrheit liebt, schwerlich heben; und er, der das Denken so hoch erhob, sollte seinen Gott den Ursprung, Gegenstand und Inbegriff aller Erkenntniß, gedankenlos, blind wie einen Polyphemus gedichtet haben? Beinah schäme ich mich selbst vor dem Geist des Mannes, daß ich diesen Antipodenvorwurf gegen ihn auch nur beiläufig anführt.

THEOPHRON. Wolan also, eine unendliche, ursprüngliche Denkkraft ist nach Spinoza Gott wesentlich; über die unendliche Wirkungskraft in ihm haben wir diesem System nach nicht zu zweifeln.

PHILOLAUS. Nein; denn auch in der entsprungenen Natur ist nach Spinoza Verstand und Wille sogar eins; d.i. in unsrer lindern Sprache: ein Verstand, der das Beste einsieht, muß auch das Beste wollen, und wenn er die Kraft dazu hat, es wirken. An der unendlichen Macht seines Gottes aber ist nicht zu zweifeln, da eben diese Macht d.i. Wirklichkeit und Wirksamkeit, ihm das ist, woher er Alles leitet.

THEOPHRON. Was, meinen Sie, hinderte ihn also, daß er die unendliche Denk- und Wirkungskraft nicht verband und in dieser Verbindung das nicht deutlicher ausdrückte, was er ihn ihr nothwendig finden mußte, nämlich (nach unserer Weise zu reden): »daß die höchste Macht nothwendig auch die weiseste Macht, mithin eine nach innern ewigen Gesetzen geordnete, unendliche Güte sei«? Denn eine ungeordnete, regellose, blinde Macht ist ja nie die höchste; nie kann sie das Vorbild und der Inbegriff aller der innern Wahrheit und Regelmäßigkeit sein, die wir, obgleich so eingeschränkte Wesen, nach ewigen Gesetzen in der Schöpfung bemerken, wenn sie selbst diese Gesetze nicht kennt und solche nicht als ihre ewige, innere Natur ausübt. Von einer geordneten müßte die blinde Macht nothwendig übertroffen werden und könnte also nicht Gott sein.

[61] PHILOLAUS. Ich danke Ihnen, daß Sie mir auf einmal den Schleier zerreißen, der mir, nicht Spinoza, das Licht nahm. In der Cartesischen Terminologie standen Gedanken und Ausdehnung ihm als zwei aus einander unerklärliche Attribute entgegen; der Gedanke kann nicht durch die Ausdehnung, die Ausdehnung nicht durch den Gedanken begrenzt werden. Da er nun beide als Eigenschaften Gottes, eines untheilbaren Wesens, annahm und keine durch die andre zu erklären wagte, so mußte er ein Drittes annehmen, unter welches sich beide fügten, und das war – was konnte es anders sein als Macht, d.i. wirkliche Wirksamkeit, wirksames Dasein? Der Begriff von Macht, wie der Begriff der Materie und des Denkens – entwickelt, fallen alle drei, diesem System selbst zufolge, in einander, d.i. in den Begriff einer Urkraft, die ebensowol in der Materie, als dem Organ der Begriffe, als im Denken selbst unendlich wirkt. Auch Macht und Gedanke werden hiemit eins; denn der Gedanke istMacht, und zwar die vollkommenste, schlechterdings unendliche Macht, eben dadurch, daß er Alles in sich ist und hat, was zur unendlichen, in sich selbst gegründeten, sich selbst ausdrückenden Macht gehört. Der Knote ist also gelöst, und das Gold in demselben liegt vor mir. Die »ewige Urkraft«, die Kraft aller Kräfte ist nur eine; und in jeder Eigenschaft derselben, wie solche unser Verstand auch theilen möge, ist sie gleich unendlich. Nach ewigen Gesetzen seines Wesens denkt, wirkt und ist Gott das Vollkommenste auf jede von ihm allein denkbare, d.i. die vollkommenste Weise. Nicht weise sind seine Gedanken, sondern die Weisheit; nicht gut allein sind seine Wirkungen, sondern die Güte; und das Alles nicht aus Zwang, nicht aus Willkür, als ob auch das Gegentheil statthaben könnte, sondern aus seiner innern, ewigen, ihm wesentlichen Natur; aus ursprünglicher, vollkommenster Güte, d.i. Thätigkeit und Wahrheit.

[62]

Jetzt sehe ich auch, mein Freund, warum Spinoza so sehr gegen die »Endabsichten« ist und dem Anschein nach hart gegen sie redet. Sie sind ihm schwache Ueberlegungen und Vorstellungsarten, Willkürlichkeiten und Velleitäten, die z.B. der Künstler gewollt, aber auch nicht gewollt haben könnte. Was Gott wirkte, darüber durfte er nicht erst rathschlagen und wählen; die Wirkung floß aus der Natur des vollkommensten Wesens, sie war einzig und außer ihr nichts Anders möglich.

Jetzt weiß ich, warum die vielen Anthropopathien, selbst in Leibniz' vortrefflicher »Theodicee«, mir nie recht zum Herzen wollten, ob ich damals gleich an ihre Stelle nichts Bessers zu setzen wußte, weil ich vor der blinden Nothwendigkeit zurückbebte. Ich bemerke jetzt, daß meine Furcht vergebens war, und daß man keine blinde Nothwendigkeit nöthig habe, um jene lichtvolle, wirkende Nothwendigkeit zu verehren, die durch die Natur ihres Wesens ist und denkt und will und wirkt. Haben Sie die »Theodicee« zur Hand, Theophron?

THEOPHRON. In mehr als einer Sprache; hier aber eine kürzere »Theodicee« von einem unsrer beliebtesten Dichter. 34

PHILOLAUS.

»Die Risse liegen aufgeschlagen,
Die, als die Gottheit schuf, vor ihrem Auge lagen:
Das Reich des Möglichen steigt aus gewohnter Nacht;
Die Welt verändert sich mit immer neuer Pracht,
Nach tausend lockenden Entwürfen,
Die eines Winks zu schnellem Sein bedürfen.
Doch Dämmerung und kalte Schatten
Sehn über Welten auf, die mich entzücket hatten:
Der Schöpfer wählt sie nicht; er wählet unsre Welt,
Der Ungeheuer Sitz.«

Es ist die treue »Theodicee« des Leibniz, schön versificirt, doch aber, [63] wie mich dünkt, vom Philosophen gedacht auf Kosten rein philosophischer gotteswürdiger Wahrheit. Vor Gott lagen keine Risse aufgeschlagen; er saß nicht wie ein grübelnder Künstler, der sich den Kopf zerbrach, entwarf, verglich, verwarf, wählte. Kein Reich des Möglichen ist außer der Macht und dem Willen des Unendlichen da: denn wenn er's nicht schaffen wollte, nicht schaffen konnte, so war es nicht möglich. Keine Welt, geschweige tausend Welten nach lockenden Entwürfen, die nur eines Winks zu ihrem Dasein bedurft hätten, und die Gott doch nicht wählte, konnten je ein Gedanke Gottes werden. Er spielte nicht mit Welten, wie Kinder mit Seifenblasen spielen, bis ihm eine gefiel und er sie vorzog. Waren tausend andre außer dieser möglich, so konnte ein größerer Gott sie erschaffen; der schwächere, mühsam-überlegende ward von ihm überwunden und war nicht Gott.

THEOPHRON. Bemerken Sie es? Eben dies sagt Spinoza. 35
PHILOLAUS. Ich bemerke es wohl und lese weiter:

»Eh ihn die Morgensterne lobten
Und auf sein schaffend Wort des Chaos Tiefen tobten,
Erkor der Weiseste den ausgeführten Plan.«

Die schönen Verse sagen dasselbe. Der Weiseste erkor nicht, wo es keiner vorgängigen, zweifelnden Ueberlegung bedurfte. Alle diese Gedankenreihen, diese Plane, diese wechselnden Entwürfe sind mit der vollkommensten Natur des unendlichen, unveränderlichen Geistes unvereinbart. Sie gehören in jene taube und stumme Ewigkeit, die der müssige Gott


»– – – einst einsam durchgedacht,
Bis dann erst und nicht eh er eine Welt gemacht,«

worüber wir schon eins sind. Mich wundert, wieLeibniz dergleichen Anthropopathien Raum geben konnte.

[64] THEOPHRON. Darüber wundern Sie Sich nicht. Er gab ihnen in einem popularen Buch, seiner »Theodicee«, Raum, und Sie wissen, wozu die populare Vorstellungsart oft verleitet. Die vielen und scheinbaren Einwürfe Bayle's zwangen ihn, seine Gegengründe behutsam vorzutragen und sie auf alle Seiten zu wenden; daher denn die Anthropopathien, ja beinah durchgängig ein fortgesetzter seiner Anthropomorphismus, den auch ich zwar für mich aus diesem Zweck nöthig war. Schade nur, daß seine Nachfolger nicht immer unterschieden, was bei ihm blos Einkleidung oder Accommodation war, und was strenge zu seinem System gehört. So hat man z.B. auch den Spinoza lange und oft durch Unterscheidung der Welt »außer Gott und in Gott« widerlegen wollen. »In Gott sei die Welt ewig als Idee«, d.i. als Seifenblase gewesen, mit welcher er in der Einbildung spielte; er ergetzte sich an ihr und brütete große, große Ewigkeit hindurch das ungeborne Ei aus. Jetzt kam die Zeit (denken Sie Sich in der Ewigkeit des müssigen Gottes die lange, lange Zeit), und nun beschloß er zu schaffen. Plötzlich trat die Welt aus Gott heraus, sie, die so lange in ihm gewesen war, und jetzt ist sie immer außer demselben, er außer der Welt. Im großen Nichts der uralten, müssigen Ewigkeit hat er sein Räumchen, wo er sich selbst betrachtet und wahrscheinlich über das Project einer andern Welt nachsinnt. Ich gestehe es, Epikur's Götter sind mir leidlicher als dies müssige, melancholische Wesen, durch welches man frisch und frei den Spinoza zu widerlegen glaubte. Leibniz ist an diesen Unbegriffen nicht Schuld, als sofern er als ein dichterischer Kopf auch bei strengen Wahrheiten Einkleidung, d.i. Bilder, Gleichnisse, Allegorien, Anthropopathien, und bei anstößig scheinenden Wahrheiten das Bequemen zu fremden Begriffen nie verschmähte.

PHILOLAUS. Desto schlimmer für seine Nachfolger; denn da [65] sie den Kern von der Schale nicht sonderten, so hieß ihnen Leibnizianismus, was bei Leibniz selbst nur einkleidende Dichtung oder Accommodation war. Gegen die Nothwendigkeit des Spinoza indessen hat er sich stark erklärt.

THEOPHRON. In einer popularen »Theodicee«, in der es nicht sein Zweck war, den Spinoza sanft zurechtzurücken, wie er's in einer andern vortrefflichen Schrift mit Locke gethan hat, 36 sondern sein eigenes System von Spinoza's scharf zu unterscheiden.

PHILOLAUS. Und dies eigne System Leibnizens war –

THEOPHRON. Das System der moralischen Nothwendigkeit in Gott, nach welchem er das Beste aus Convenienz wählte.

PHILOLAUS. Und wie ist die moralische Nothwendigkeit von der Nothwendigkeit, die wir die wesentliche, innere, göttliche nennen wollen, unterschieden? Gott muß das Beste, nicht durch eine schwache Willkür, sondern seiner Natur nach, ohne langsame Vergleichung mit dem Schlechtern, das an sich ein Nichts ist, vollständig einsehen und wirken. Auch im System des Spinoza ist von einem physischen, d.i. blinden äußern Zwange gar nicht die Rede; gegen ihn streitet er aus vollen Kräften. 37 Sittengesetze von außen aber kennt Gott nicht.

THEOPHRON. An die dachte auch Leibniz nicht, da er das Wort »moralische Nothwendigkeit« wählte; er setzte sie bloß der physischen, d.i. der blinden Macht oder dem äußern Zwange entgegen und stieß sich in Ansehung der ersten an die harten Ausdrücke des Spinozas. Selbst seine moralische Nothwendigkeit in Gott hat er, so viel er konnte, durch Anthropopathien eines Entwurfs, einer Wahl, der Convenienz u.s.w. gemildert.

[66] PHILOLAUS. Ob Bayle nichts darauf zu antworten gehabt hätte, ist eine Frage. Leibniz mußte sich bei jener Wahl, in welcher Gott das Beste nach Convenienz wählt, aus Absichten beziehen, die nur Gott wisse, die wir als gut annehmen, eben weil sie Gott wählte, sonst würde er sie nicht gewählt haben u.s.w.

THEOPHRON. Das mußte er freilich.

PHILOLAUS. Und welcher Sterbliche wird's nicht thun müssen, sobald er von der innern Nothwendigkeit, die durch sich selbst Güte ist, den Blick wegwendet und einzelne Absichten Gottes nach Convenienz errathen will? Unvermuthet sinkt er in ein Meer erdichteter Endzwecke, die er bewundert oder vermuthet, bei welchen er aber den Grund der ganzen Erscheinung, die innere Natur der Sache nach unwandelbar ewigen Gesetzen, zu erforschen leicht aufgiebt. Welche Menge Theodiceen, Teleologien, Physiko-Theologien sind auf diese Convenienz errichtet, die aus Convenienz dem höchsten Wesen oft nicht nur sehr eingeschränkte, schwache Absichten unterschoben, sondern zuletzt darauf hinausgingen, Alles zur Willkür Gottes zu machen, die goldne Kette der Natur zu zerreißen, um ein paar Gegenstände in ihr so zu isolieren, daß eben an dieser und jener Stelle ein elektrischer Funke willkürlicher göttlicher Absicht erscheine. Ich gestehe, das ist meine Philosophie nicht.

THEOPHRON. Und welches ist die Ihrige, Philolaus?

PHILOLAUS. Um die Gesetze der Natur, um die innere Natur der Dinge mich zu bekümmern, wie sie da sind. Bedingt ist das Dasein der Welt, daran zweifelt Niemand; denn eine Wirkung ist nur durch ihre Ursache, nicht durch sich selber. Da aber die Welt einmal da ist (wie sie auch entstanden sein möge) und nicht etwa nur hie und da Spuren von Macht, Weisheit und Güte zeigt, wie man gemeiniglich redet, sondern in jedem Punkt, im Wesen jedes Dinges und seiner Eigenschaften (wenn ich so sagen darf) den ganzen Gott offenbart, wie er nämlich in diesem Symbol, in diesem Punkt des Raumes und der Zeit sichtbar und energisch werden konnte: welche Kindheit wäre es, allein uns immer zu fragen, warum und zu welchen geheimen Absichten er sich denn wol hier also, dort also geoffenbart haben möge, statt der nothwendigern [67] und schönern Untersuchung: was es denn eigentlich sei, das sich und welchergestalt es sich offenbare, d.i. welche Kräfte der Natur und nach welchen Gesetzen sie nicht nur in diesem oder jenem Organ, sondern allenthalben organisch wirken?

THEOPHRON. Fahren Sie fort, Philolaus!

PHILOLAUS. Wir nennen die Welt, weil sie eine Wirkung und voll Wirkungen ist, zufällig; der Ausdruck ist unpassend und selbst der Sprache zuwider. Die Wirkung der höchsten Macht, die nach nothwendigen innern Gesetzen ihres Wesens, mit hin der vollkommendsten Güte und Weisheit wirkt, ist nicht Zufall, so wenig der Verstand Gottes (das Wort im rechten Sinne gebraucht) zufällig-weise, zufällig-gut ist. Er schuf das Mögliche und einer unendlichen Macht ist alles Mögliche möglich. Dies Alles nun ist, wie wir's nennen, durch Raum und Zeit, d.i. durch wesentliche Ordnung verbunden; jedes hervorgebrachte Ding ist durch die vollkommenste Individualität bestimmt und mit ihr umschränkt; weder im Ganzen der Welt noch in ihrem kleinsten Theile ist also Zufall. Außer dem, was der allmächtig-wirkende Geist möglich fand, ist jede Möglichkeit ein Traum, so wie es außer dem Raume keinen Raum, außer der Zeit keine Zeit gibt. Alles dies sind leere Phantome der Einbildungskraft, Worte, die ein Traum zusammensetzte und in ein Traum Anschauungen wähnt.

Keinen Augenblick also ruhte der Schöpfer; denn in der Ewigkeit Gottes giebst's keine Augenblicke und der wesentlich Wirksame ruhte nie. Deshalb aber ist die Welt nicht wie Gott ewig; denn sie ist eine Verbindung von Dingen der Zeit. Jeder Augenblick der Zeitenfolge also, ja die ganze Zeitenfolge selbst ist mit der absoluten Ewigkeit Gottes unvergleichbar. Alle Dinge der Zeitenfolge sind bedingt, sind abhängig von einander, ganz abhängig endlich von der Ursache, die sie hervorgebrachte; keins derselben ist also mit dem Dasein Gottes zu vergleichen. Was die Zeit für die Folge ist, ist der Raum für die Coëxistenz. Gott ist durch keinen Raum ausmeßbar, weil er mit keinem Dinge als Seinesgleichen coëxistirt; er ist aber die ewige Ursache, die unergründliche Wurzel aller Dinge, so erhaben über unsere Einbildungskraft, daß in ihm aller Raum und alle Zeit, Denkbilder unserer Phantasie, schwinden. [68] Wir endliche Wesen, mit Raum und Zeit umfangen, die wir uns Alles nur unter ihrem Maß denken, wir können von der höchsten Ursache nur sagen: sie ist, sie wirkt; aber mit diesem Worte sagen wir Alles. Mit unendlicher Macht, die durch sich die höchste Güte ist, wirkt sie in jedem Punkt des Raums, in jedem Augenblick der forteilenden Zeit; Raum und Zeit aber sind nur uns ein dunkles oder helleres Bild vom Zusammenhange der Wesen nach jener festbestimmten ewigen Ordnung, welche die Eigenschaft und Wirkung der unendlichen Wirklichkeit selbst ist, mithin auf nichts Geringerm als dieser untheilbaren ewigen Unendlichkeit ruht. Kein edleres Geschäft also kennt unser Geist, als in den uns gegebenen Symbolen der Wirklichkeit der Ordnung zu folgen, die im Verstande des Ewigen war, ist und sein wird. Jedes seiner Gesetze ist das Wesen der Dinge selbst, ihnen nicht willkürlich angehängt, sondern eins mit ihnen. Ihr Wesen ist sein Gesetz, sein Gesetz ihr Wesen; die Verbindung aller ist eine thätige Darstellung seiner Wirksamkeiten und Kräfte. Wie kindisch wäre es nun, wenn, indem ich die Schönheit des Zirkels und seiner mancherlei Verhältnisse bewundre, ich tiefsinnig den geheimen, besondern Absichten nachspüren wollte, warum Gott solch einen Zirkel schuf, warum er die genauen, schönen Verhältnisse in ihm zur Natur des Zirkels und unsrer messenden Vernunft machte! Der Raum wäre kein Raum, wenn in ihm nicht unter allen möglichen Umrissen auch der Zirkel stattfinden sollte, und unsre Vernunft wäre keine Vernunft, wenn sie die schönen Verhältnisse jeder Abtheilung in ihm nicht bemerken könnte.

THEOPHRON. Ich will Ihnen mit andern Beispielen helfen, Philolaus. Wenn immerhin die Menschen bei der Bewunderung stehen geblieben wären,


– »Daß Sterne sonder Zahl,
Mit immer gleichem Schritt und ewig hellem Strahl,
Durch ein verdeckt Gesetz vermischt und nicht verwirret,
In eignen Kreisen gehn und nie ihr Lauf verirret:«

so wäre diese Bewunderung allerdings schon eine Art von Anbetung des Gottes gewesen, von dem es heißt:


[69] – »Sein Will' ist ihre Kraft;
Er theilt Bewegung, Ruh' und jede Eigenschaft
Nach Maß und Absicht aus«,

und man hätte sich dabei viele Absichten, falsche und wahre, würdige und unwürdige erdenken mögen. Der Naturweise aber, der von diesen Absichten vorerst hinwegsah und eben »das verdeckte Gesetz« aufsuchte, durch welches die Sterne


– »vermischt und nicht verwirret,
In eignen Kreisen gehn, und nie ihr Lauf sich irret«,

er that mehr, als der größte Absichtendichter thun konnte. Er dachte dem Gedanken Gottes nach und fand ihn, nicht in einem Traum willkürlicher Convenienzen, sondern im Wesen der Dinge selbst, deren Verhältnisse er maß, wog und zählte. Jetzt erkennen wir das große Gesetz dieses Weltbaues, und unsre Bewunderung ist vernünftig, da sie sonst ewig und immerhin ein zwar frommes, aber leeres Staunen gewesen wäre.

PHILOLAUS. Setzen Sie dazu: ein sehr trügliches Staunen; denn wenn wir a priori particulare Absichten Gottes in die Schöpfung bringen und in der ewigen Rathkammer wollen gehört haben, warum Saturn einen Ring, unsre Erde einen Mond, Mars und Venus aber keinen haben: auf welche Bahn täuschender Hypothesen wagen wir uns, die meistens der künftige Tag widerlegt! Ueber den Ring des Saturns, über den Mond der Erde und der Venus war aus dem Register göttlicher Absichten so Manches gesagt und geglaubt worden, das man beschämt zurücknehmen mußte, als man fand, Venus habe keinen Mond, mit der Beleuchtung der Saturnseinwohner aus ihrem Demantringe wie mit unserm Monde selbst verhalte es sich nach weitern Entdeckungen auch anders, als man dem ersten Scheine nach annahm. Allen diesen Trüglichkeiten, zu welchen man den heiligen Namen nicht mißbrauchen sollte, entgeht der bescheidne Naturforscher, der uns zwar nicht particulare Willensmeinungen aus der Kammer des göttlichen Raths verkündigt, aber dafür die Beschaffenheit der Dinge selbst untersucht und auf die ihnen wesentlich eingepflanzten Gesetze merkt. Er sucht und findet, indem er die Absichten Gottes zu vergessen scheint, in jedem Gegenstande und Punkt der Schöpfung [70] den ganzen Gott, d.i. in jedem Dinge eine ihm wesentliche Wahrheit, Harmonie und Schönheit, ohne welche es nicht wäre und sein könnte, auf welche also seine Existenz mit innerer, zwar einer vorübergehenden und bedingten, dennoch aber in ihrer Art ebenso wesentlichen Nothwendigkeit gegründet ist, als auf welcher unbedingt und ewig das Dasein Gottes ruht. Eben die völlige Abhängigkeit der Dinge von Gott macht ihre Wesen zu nothwendigen Denkbildern seiner Macht, Güte und Schönheit, wie sich diese nur in solchen und keinen andern Erscheinungen offenbaren konnte. Ich wünschte, daß Spinoza ein Jahrhundert später geboren wäre, um von den Hypothesen des Descartes fern, im freieren Licht der Naturlehre und Naturgeschichte zu philosophiren; wie trefflich würde seine abstracte Philosophie diese hohen Entdeckungen gebraucht haben!

THEOPHRON. Und ich wünschte, daß Andre auf dem Wege tapfer fortgehen mögen, für welchen Spinoza an seiner Stelle die Bahn brach, nämlich: reine Naturgesetze zu entwickeln, ohne sich um particulare Absichten Gottes dabei zu kümmern. Wer mir die Naturgesetze zeigen könnte, wie nach innrer Nothwendigkeit aus Verbindung wirkender Kräfte in solchen und keinen andern Organen unsre Erscheinungen der sogenannt todten und lebendigen Schöpfung, Salze, Pflanzen, Thiere und Menschen, erscheinen, wirken, leben, handeln, hätte die schönste Bewundrung, Liebe und Verehrung Gottes weit mehr befördert, als der mir aus der Kammer des göttlichen Raths predigt, daß wir die Füße zum Gehen, das Auge zum Sehen haben u.s.w.

PHILOLAUS. Mich dünkt, mit solchen Phisiko- Theologien gehe es ziemlich hinunter.

THEOPHRON. Zu ihrer Zeit waren sie sehr nützlich; sie waren eigentlich nichts als kindlich-populare Anwendungen einer neuen festeren Naturlehre. Ihr Grund wird also immer bleiben, ja die Wahrheit in ihnen wird sich noch ungleich mehr veredeln, wenn man nicht mehr bei jedem einzelnen kleinen Umstande nach einzelnen [71] kleinen Absichten hascht, sondern immer mehr einen Blick über das Ganze gewinnt, das bis auf seine kleinsten Verbindungen nur ein System ist, in welchem sich nach unveränderlichen innern Regeln die meisten Güte offenbart. Ein Gebäude der Gottesverehrung, das sowol metaphysisch über das Endlose des Raumes und der Zeit geht, als es physisch im Wesen der Dinge selbst unerschütterlich fest ruht! Jedes gefundene wahre Naturgesetz wäre damit eine gefundene Regel des ewigen göttlichen Verstandes, der nur Wahrheit denken, nur Wirklichkeit wirken konnte.

PHILOLAUS. Wie dauert's mich, daß die Philosophie des Spinoza, die dahin weist, mit so manchen abschreckenden Härten verwebt ist! denn in dieser Gestalt wird sie doch immer nur für Wenige bleiben.

THEOPHRON. Eben das ist gut; der große Haufe muß diese Philosophie nicht lesen; eine Secte muß sie nie stiften.

PHILOLAUS. Dafür hat ihr Urheber seinen Grundsätzen zufolge schon durch den Vortrag gesorgt. 38 Indessen leugne ich's nicht, daß ich den schönen Wahrheiten, die er über Gott, die Welt, über das Wesen und die Natur des Menschen, über seine Schwachheit und Stärke, über den Zustand seiner Sclaverei und Freiheit sagt, mehr Ausbreitung und eine tiefere Einwirkung wünschte, als sie in seinem Buch für die Meisten haben können und haben werden. So eingenommen ich gegen ihn war, so durchdrungen bin ich jetzt von der innigen Wahrheitsliebe dieses Mannes und von der Vortrefflichkeit seiner moralischen sowol als mehrerer seiner philosophischen Grundsätze. Ich wünschte, daß ihn Viele so kennen lernten.

THEOPHRON. Zeit und Wahrheit werden das schon bewirken. Lesen Sie dies Buch und sehen, was Lessing über ihn gesagt hat. 39 Haben Sie nichts von dem Lärm gehört, über dem Grabe dieses Gelehrten: »er sei ein Spinozist gewesen«?

PHILOLAUS. Ich habe es nicht hören mögen, weil ich, wie Sie wissen, von Spinoza so übel unterrichtet war und mir den Namen [72] Lessing's nicht gern durch einen Flecken verunstalten wollte. Jetzt werde ich mit desto größerer Begierde lesen, was er von ihm sagte, da ich mir Lessing so wenig als einen Spinozisten denken kann, als wir Beide es sind. Er war nicht geschaffen, ein... ist zu sein, welche Buchstaben man auch dieser Endung voransetzen möge, und die Lücken in Spinoza's Vortrage wird sein Scharfsinn gewiß nicht verkannt haben.

THEOPHRON. Lesen Sie! dann wollen wir weiter reden.

[73]

Viertes Gespräch

PHILOLAUS. Hier haben Sie Ihr Buch mit Dank wieder. Man hört Lessing reden, wenn er auch nur Silben hervorbringt; über unsre Materie aber hätte ich ihn doch gern ausführlicher vernommen, ich kann's nicht leugnen.

THEOPHRON. Ich gleichfalls; wie gefällt Ihnen indeß das Wenige, was er sagt?

PHILOLAUS. Es ist zu wenig, um darüber zu urtheilen, auch, wie es ein Gespräch geben mußte, zu abgerissen, ja hie und da nach Lessing's Manier in Gesprächen vielleicht zu kräftig gesagt. Ist's Ihnen nicht entgegen, so will ich seine Worte herausheben und darüber ohne alle Anmaßung meine Meinung sagen.

THEOPHRON. Thun Sie's! Sie werden damit blos Commentator einer Autors, der sich selbst uns nicht mehr erläutern kann. O, daß er uns hier der dritte, d.i. der erste Mann wäre!

PHILOLAUS. »Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen.« 40 Ich, nachdem mir einige Steine des Anstoßes aus Spinoza weggeräumt sind, auch nicht. Das müssige Wesen, das außerhalb der Welt sitzt und sich selbst beschaut, so wie es sich Ewigkeit hindurch beschaute, ehe es mit dem Plan der Welt fertig ward, ist nicht für mich, für Sie, Theophron, auch nicht.

THEOPHRON. Ich weiß aber nicht, Philolaus, warum wir das Phantom dieses langweiligen trägen Gottes orthodoxe Begriffe [74] nennen. Es hat weder die Consistentz eines Begriffes, noch ist's je die Meinung orthodoxer, d.i. der Philosophen gewesen, die deutlicher Begriffe fähig waren. Ein solcher Gott mag Orthodoxie der Indier sein, deren Gott Jaganat schon viele Jahrtausende her mit über den Bauch geschlungenen, hangenden Armen sitzt und sich wohl befindet. Ein anderer ihrer Götter liegt seit Aeonen im Schlummer, sein Haupt ruht im Schooß eines seiner Weiber, die ihm den Kopf kratzt, seine Füße im Schooß einer andern, die ihm die Fußsohlen streichelt. Unaufhörlich fließt der Zucker- und Milchfee in ihn; er genießt und ruht in träumender Selbstbeschauung Aecht orthodoxe Götter der Hindus! ich sehe aber nicht, warum der unsrige ein Jaganat oder Wischnu sein müßte.

PHILOLAUS. Ich lese weiter. »Hen kai pan! Eins und Alles! Ich weiß nichts Anders.« 41 – Ich auch nicht; nur wünschte ich aus der Seele Lessing's zu vernehmen, wie er sich die Verbindung dieser beiden größten Worte, deren unsere Sprache fähig ist, erklärte. Auch die Welt ist ein Eins; auch die Gottheit ist ein All. Lessing fühlte selbst, daß er damit noch nichts Bestimmtes gesagt habe; er kam sich darüber näher zu erklären; aber auch diese seine nähere Erklärung reicht nicht so weit, als man wünschte. Ich sehe seine Hochachtung gegen die Philosophie des Spinoza, da aber ihn wie uns der Geist des Spinozismus, »ich meine den«, sagt er, 42 »der in Spinoza selbst gefahren war«, eigentlich allein interessirt; da, wie er sagt, 43 »sein Credo in keinem Buche steht« und er es nur unter einer Bedingung, die sich eigentlich selbst aufhebt, 44 an sich kommen läßt, sich nach Jemanden nennen zu wollen, so sind uns diese und andre Winke, ja die ganze Denkart Lessing's gnugsame Bürgen, daß er gewiß keine phantastisch-rohe sinnliche All-Einheit, dergleichen auch das System des Spinoza nicht ist, zu seinem System gemacht haben werde. Eben hier fing meine Begierde an, zu wissen, wie Lessing »den Geist, der in Spinoza selbst gefahren war«, zu sich gezaubert und zu dem seinigen gemacht habe; und eben hier, ich muß es bekennen, war meine Begierde vergebens. Lessing hört von einer verständigen, [75] persönlichen Ursache der Welt und freut sich dabei nach seiner Art, daß er jetzt etwas ganz Neues zu hören bekommen werde. 45 Am Verstande Gottes konnte Lessing's Verstand nie zweifeln; seine Neugierde war also auf die »persönliche« Ursache der Welt gerichtet; darüber wollte er etwas Neues erfahren.

THEOPHRON. Erfuhr er's?

PHILOLAUS. Der Ausdruck Person, selbst wenn ihn die Theologen von Gott gebrauchen (die diese Person aber nicht der Welt entgegensetzen, sondern als Unterschied im Wesen Gottes annehmen), ist (denn der Theolog sagt nicht: »Gott ist eine Person«, sondern: »In Gott sind Personen«).

THEOPHRON. Lassen wir die Sprache der Theologen und reden vom Wort Person philosophisch.

PHILOLAUS. Zuerst also doch wol davon, was das Wort im festgestellten Gebrauch bedeutet. Person (prosôpon) hieß – – Larve, sodann – theatralischer Charakter; dadurch führte es auf das Eigenthümliche eines Charakters überhaupt, wodurch er sich von einem andern unterscheidet; so ging das Wort in die Sprache des gemeinen Lebens über. »Dieser«, sagt man, »spielt seine Person; er bringt seine Persönlichkeit in die Sache« u.s.w. So setzte man Person der Sache entgegen, immer etwas Abstechendes, auszeichnend Eigenthümliches in ihr bezeichnend. So ging es in die Gerichtssprache, in die Verschiedenheit der Stände. Können wir von dieser Prosopopöie etwas auf Gott anwenden? Er ist weder eine Larve noch Maske, weder eine Standesperson noch ein abgezeichneter Charakter, der mit andern da ist und neben ihnen spielt. Lassen wir diese Personalien, die immer doch, wo nicht auf etwas Falsches, Angenommenes, Angedichtetes, so doch auf etwas Eigenthümliches an Gestalt, Bildung, Abzeichnung von Andern, auf Stand, Rang und dergleichen führen, mithin vom reinen Begriff einer ganz unvergleichbaren Wesenheit und Wahrheit entfernen. So wenig Gott die Person ansiehet, so wenig spielt er eine Person, so wenig affectirt er Persönlichkeiten, hat eine persönliche, mit andern abstechende, contrastirende Denkart u.s.w.Er ist. Wie er ist Niemand.

[76] THEOPHRON. Sollte aber nicht »die höchste Intelligenz« das Wort »Persönlichkeit« fordern, so daß »Einheit des Selbstbewußtseins« die Personalität ausmachte?

PHILOLAUS. Ich sehe nicht; vielmehr bleibt Persönlichkeit diesen Begriffen immer ein fremdes, ausgemaltes Wort. Dafür sahen es auch Locke und Leibniz an und suchten es durch bestimmtere Ausdrücke zu erklären; 46 dafür sieht's der Sprachgebrauch an, der mit dem Wort Person, Persönlichkeit als mit einem Scheindinge spielt. Das innigste Selbstbewußtsein vergißt die Apparenz der Person (daspersonnel und das personnage) so ganz, daß man es mit diesem Gerichtswort des persönlichen Erscheinens gleichsam aus sich selbst jagt. Dies Alles wußte Lessing besser wie wir. – Ich lese weiter: »Lessing hört von einer verständigen Ursache der Welt.«

THEOPHRON. Hat er sich darüber näher erklärt?

PHILOLAUS. Ihm ward dazu nicht Zeit, wahrscheinlich war er hierin auch mit Spinoza völlig eins. Wir sahen, Dieser unterschied den Verstand, sofern er zur entsprungenen Natur gehört, von jener primitiven Denkkraft, die der Grund der Dinge selbst ist. Der abgeleitete Verstand kann nur verstehen, was vor oder in ihm liegt, was ihm gegeben ist; der ursprünglichen Denkkraft ist nichts gegeben als sie selbst; aus ihr folgt Alles. In diesem Sinn erkennt der höchste, d.i. primitive Verstand nur sich selbst und in sich alles Mögliche als Folge.

THEOPHRON. Ist dieser Sinn des Wortes aber auch der Sprache gemäß?

[77] PHILOLAUS. Wenn er es auch nicht wäre! Er ist's aber in allen Sprachen, in denen man philosophirte. Wenn Locke seinen Verstand (understanding) die »Macht zu percipiren« nennt und ihn sogar einer dunkeln Kammer, in welcher durch die Sinne Licht fällt, vergleicht, 47 so kann Gott eine solche dunkle Kammer, in welche Licht durch die Sinne fällt, nicht zugeschrieben werden. Wenn dem schärfer bestimmenden Leibniz das Verstehen eine »deutliche Perception ist, verbunden mit der Fähigkeiten zu reflectiren«, 48 wer wird das höchste Wesen zum Schüler machen und ihm dergleichen »Fähigkeit zu percipiren und dann zu reflectiren« zueignen? Die Sprache selbst sträubt sich dagegen, in deren mehreren das Wort Verstand ein Auffassen und Auseinenderlesen der Objecte (intellectionem) ausdrückt, welche fremde, ihm zum Verstehen gegebne Objecte las und liest Gott aus einander?

THEOPHRON. Ich bitte, lesen Sie weiter!

PHILOLAUS. Lessing spricht über die Freiheit des Willens. »Ich begehre«, sagte er, »keinen freien Willen; ich bleibe ein ehrlicher Lutheraner und behalte den mehr viehischen als menschlichen Irrthum und Gotteslästerung, daß kein freier Wille sei; worein der helle reine Kopf Spinoza's sich auch doch zu finden wußte«. 49 So scherzt er mit den Worten des Reichstagsschlusses zu Augsburg, und indem er uns auf den hellen, reinen Kopf Spinoza's verweist, erklärt er selbst, wie er den unfreien Willen des Menschen angenommen haben wolle. Mir ist kein Weltmeister bekannt, der die Knechtschaft des menschlichen Willens gründlicher auseinandergesetzt und die Freiheit desselben vortrefflicher bestimmt habe als Spinoza. 50 Dem Menschen ist kein geringeres Ziel der Freiheit vorgesetzt als die Freiheit Gottes selbst, durch eine Art innerer Nothwendigkeit, d.i. durch vollständige Begriffe, die uns Erkenntniß und Liebe Gottes allein gewähren können, über unsre Leidenschaften, ja über das Schicksal selbst Herren zu werden. Gründlich beweist es Spinoza, daß, wenn man Freiheit für tolle, blinde Willkür nimmt, der Mensch ebenso wenig als Gott selbst den edeln Namen der Freiheit verdiene; vielmehr gehöre es zur Vollkommenheit der Natur Gottes, daß er auf diese Art nicht frei sei, d.i. daß er eine blinde Willkür nicht kenne, wie es denn auch zur Vollkommenheit seiner Werke gehört, daß tolle Willkür aus der [78] ganzen Schöpfung verbannt ist. Sie wäre (um auch mit dem Reichstage zu Augsburg zu reden) eine gotteslästerliche Lücke in der Schöpfung und für jedes Geschöpf, das sie besäße, ein zerstörendes Uebel. Glücklich also, daß sie ein Widerspruch in sich selbst, ein Unbegriff ist. Sie sind doch eben der Meinung, Theophron?

THEOPHRON. Keiner andern; aber was sagt Lessing von dem Gedanken Gottes? Das schülerhafte »Verstehen« ist weggeräumt; was setzte er dagegen oder darüber?

PHILOLAUS. Hier ist die Stelle. 51 »Es gehört zu den menschlichen Vorurtheilen, daß wir den Gedanken als das Erste und Vornehmste betrachten und aus ihm Alles herleiten wollen, da doch Alles mitsammt den Vorstellungen von höheren Principien anhängt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke sind offenbar in einer höheren Kraft gegründet, die noch lange nicht damit erschöpft ist. Sie muß unendlich vortrefflicher sein als diese oder jene Wirkung; und so kann es auch eine Art des Genusses für sie geben, der nicht allein alle Begriffe übersteigt, sondern auch völlig außer dem Begriffe liegt. Daß wir uns nichts davon denken können, hebt die Möglichkeit nicht auf.« – Was denken Sie von dieser Stelle, Theophron?

THEOPHRON. Ich wünschte zu wissen, was Sie davon denken.

PHILOLAUS. So muß ich bekennen, daß ich mir vergeblich Mühe gebe, etwas Bestimmtes daraus zu finden. Daß es zu den menschlichen Vorurtheilen gehöre, den Gedanken als das Erste und Vornehmste zu betrachten und aus ihm Alles herleiten zu wollen, gebe ich zu. Wir kennen nichts Höheres in seiner Art als den Gedanken; Lessing selbst hat nichts Höheres namhaft machen können. Alles aus dem Gedanken, d.i. aus Einsicht herleiten zu können, ist bisher ein vergeblicher Versuch gewesen; denn wie Schwere, Bewegung und jede andre der tausend wirkenden Kräfte des Weltalls mit dem Gedanken zusammenhange, ist immer noch ein Räthsel. Daß der Gedanke auf viele andre ihm untergeordnete Kräfte wirke, wissen wir, ob wir gleich die Art der Wirkung nicht einsehn. In welcher höheren Kraft aber Gedanke, Bewegung und alle Kräfte der Natur gegründet seien, wer ist, der uns dieses sage? Lessing [79] selbst sagt nur, es könne eine solche Kraft geben, bekennt aber selbst, daß wir nicht im Stande seien, etwas von ihr zu gedenken.

THEOPHRON. Wie, wenn ich Ihnen aus Spinoza selbst zwar nicht eine einzelne höhere Kraft oder Gattung Kräfte, aber den reelen Begriff nennte, in welchem alle Kräfte nicht nur gegründet sind, sondern den sie auch allesammt nicht erschöpfen? Er hat jede Eigenschaft, die Lessing von seiner unbekannten Kraft fordert, »er ist unendlich vortrefflicher als jede einzelne Wirkung einer einzelnen Kraft und giebt wirklich eine Art des Genusses, der nicht nur alle Begriffe übersteigt, sondern auch (zwar nicht außer, aber) über und vor jedem Begriffe liegt«, weil jeder Begriff ihn voraussetzt und auf ihn ruht.

PHILOLAUS. Und dieser Begriff ist –?

THEOPHRON. Wirklichkeit, Realität, thätiges Dasein; es ist der Hauptbegriff bei Spinoza, der Grund und Inbegriff aller Kräfte. Wirklichkeit, Realität, Dasein ist vortrefflicher als jede seiner Wirkungen; es giebt einen Genuß, der einzelne Begriffe nicht nur übersteigt, sondern mit ihnen auch nicht auszumessen ist; denn die Vorstellungskraft ist nur eine seiner Kräfte, der viele andere Kräfte gehorchen. So ist's bei Menschen; bei allen eingeschränkten Wesen muß es derselbe Fall sein; und bei Gott?

PHILOLAUS. Auf die eminenteste Weise. Seine Existenz ist die Wirklichkeit selbst, Urgrund aller Wirklichkeiten, Inbegriff aller Kräfte, ein Genuß der über alle Begriffe geht.

THEOPHRON. »Der aber auch völlig außer dem Begriff liegt?« Diese Behauptung liegt völlig außer mein Begriff; d.i. ich kann mir dabei nichts denken. Die höchste Kraft muß sich selbst kennen; sonst ist sie eine blinde Macht, die sich selbst weder genießen noch gebrauchen kann, der die innigste, wahrste Wirklichkeit fehlt.

[80] PHILOLAUS. »Er, Spinoza, war aber fern, unsre elende Art, nach Absichten zu handeln, für die höchste Methode auszugeben und den Gedanken obenan zu setzen.« 52

THEOPHRON. Nach dem Dasein, als dem Grunde aller Kräfte, steht der Gedanke auch bei ihm obenan; nur ist er weit entfernt, dem Unendlichen eingeschränkte Vorstellungsarten, Kenntnisse a posteriori, Aufhellungen seiner selbst durch mühsames Verständniß und Einverständniß mit Dingen außer ihm, fehlbare Berathschlagungen, willkürliche Absichten, die er durch künstliche Mittel zu erstreben habe, zu leihen; welches eben die Vortrefflichkeit seines Systems ausmacht.

PHILOLAUS. Lessing fragt ferner 53: »nach was für Vorstellungen sein Freund eine persönliche, extramundane Gottheit annehme, ob etwa nach den Vorstellungen des Leibniz«, und fürchtete, Dieser sei im Herzen selbst ein Spinozist gewesen. 54

THEOPHRON. Was Leibniz im Herzen gewesen sei, mag ich nicht wissen; seine »Theodicee« aber sowie viele seiner Briefe zeigen, daß er, eben um nicht Spinozist zu sein, sein System ausgedacht hatte. Lieber neigte er sich zu Anthropopathien einer göttlichen Wahl nach Ueberlegung, einer Auswahl des Besseren unter vielem Schlechtern nach Convenienzen; Alles, um der Spinozischen Nothwendigkeit zu entkommen, die ihm Mechanismus schien, und gegen welche er den behutsamern Ausbruch einer moralischen Nothwendigkeit wählte. Er wählte die Mitte zwischen Bayle's [81] Zweifeln und Spinoza's harten Ausdrücken, zwischen welchen er durchzukommen glaubte. Allerdings geschahe es mit vieler Kunst; aber Bayle und Spinoza lebten nicht mehr; sie konnten ihm nicht antworten.

PHILOLAUS. »Leibnizen's Begriffe von der Wahrheit«, sagt Lessing ferner 55, »waren so beschaffen, daß er nicht vertragen konnte, wenn man ihr zu enge Schranken setzte. Aus dieser Denkungsart sind viele seiner Behauptungen geflossen, und es ist bei dem größten Scharfsinn oft sehr schwer, seine eigentliche Meinung zu entdecken«. Eben darum halt' ich ihn so werth; ich meine wegen dieser großen Art zu denken und nicht wegen dieser oder jener Meinung, die er nur zu haben schien oder denn auch wirklich hatte.

THEOPHRON. Trefflich! Nur ein kleiner Kopf ist's, der sein Dutzend schön bemalter Wortschächtelchen als Kram nicht nur, sondern als Monopolium mit sich trägt und nicht begreifen kann, daß andre Krämer andre Schächtelchen tragen. Dem wahren Philosophen ist an den Behältnissen überhaupt wenig gelegen; er sieht, was drin sei, und was für ihn diene. Meinen Sie dies nicht auch, Philolaus?

PHILOLAUS. Spinoza hat mich gelehrt, daß je vollständiger unsre Begriffe sind, desto mehr schweigen unsre Affecten, desto williger vereinigen sich in der deutlich erkannten Wahrheit alle menschlichen Gemüther; denn es giebt nur eine Vernunft, nur eine Wahrheit. Bei Leibniz indeß kann ich's nicht bergen, daß er mir oft zu biegsam, zu hypothesenreich scheine. Es ist seine Art, sich gern Allem anzuschmiegen, damit er Alles nutze und für sich gebrauche.

THEOPHRON. Hören Sie, was darüber Lessing anderswo sagt: »So eingenommen«, schreibt er 56, »man sich auch Leibnizen für seine Philosophie denken darf oder will, so kann man doch wahrlich nicht sagen, daß er sie den herrschenden Lehrsätze aller Parteien anzupassen gesucht habe. Wie wäre das auch möglich [82] gewesen? Wie hätte es ihm einkommen können (mit einem alten Sprichworte zu reden), dem Mond ein Kleid zu machen? Alles, was er zum Besten seines Systems dann und wann that, war gerade das Gegentheil: er suchte die herrschenden Lehrsätze aller Parteien seinem System anzupassen. Beides ist nichts weniger als einerlei. Leibniz nahm bei seiner Untersuchung der Wahrheit nie Rücksicht auf angenommene Meinungen; aber in der festen Ueberzeugung, daß keine Meinung angenommen sein könne, die nicht von einer gewissen Seite, in einem gewissen Verstande wahr sei, hatte er wol oft die Gefälligkeit, diese Meinung so lange zu wenden und zu drehen, bis es ihm gelang, diese gewisse Seite sichtbar, diesen gewissen Verstand begreiflich zu machen. Er schlug aus Kiesel Feuer; aber er verbarg sein Feuer nicht in Kiesel«.

PHILOLAUS. Wer weiß also auch, welchem Kabbalisten er sich oder sich ihn eben damals anzupassen wollte, als er, wie Lessing anführt, von Gott sagte, »derselbe befinde sich in einer immerwährenden Expansion und Contraction; dies sei die Schöpfung und das Bestehen der Welt«. Mich wundert, daß Lessing an der ungeheuern Verkörperung Geschmack fand.

THEOPHRON. In Leibniz ist mir diese Stelle noch fremd. Daß aber Lessing sich an ihr ergetze, woran, mein Freund, ergetzt man sich nicht manchmal im Gespräch? Für das System des Spinoza hielt Lessing dies Bild gewiß nicht. Wer die Schöpfung und das Bestehen der Dinge durch eine immerwährende Expansion und Contraction Gottes erklären kann, von dem möchte ich mir diese Erklärungsart auch, wie Lessing sagt 57, »natürlich ausgebeten haben«. Lassen Sie uns das Lessing'sche Gespräch endigen.

PHILOLAUS. Es ist zu Ende. Wir haben also diesmal weniger gelernt, als wir wünschten.

[83] THEOPHRON. Und doch ist mir's nicht unlieb, daß auch dies abgebrochene Gespräch bekannt gemacht ist. Dem Verstorbnen kann es nicht schaden, wofür ihn der schwache Sectenmacher halte, und uns ist's angenehm zu sehen, daß einem so ausgezeichneten Denker, wie Lessing war, Spinoza nicht unbemerkt geblieben sei 58, ja, was er aus ihm hätte machen können, wenn er Spinoza's System auseinanderzusetzen und in die ihm eigne klare Sprache zu übertragen sich Zeit und Muße genommen hätte. Im Buch seines Freundes werden Sie gewiß auch viel Wahres und Schönes, männlich schön gesagt, gefunden haben.

PHILOLAUS. Gewiß; nur muß ich ebenso aufrichtig bekennen, Theophron, daß ich mit seiner »persönlichen, supra- und extramundanen Gottheit« so wenig fortkomme als Lessing. Gott ist nicht Welt, und Welt ist nicht Gott, das bleibt gewiß; aber mit dem extra und supra ist's, dünkt mich, auch nicht ausgerichtet. Wenn man von Gott redet, muß man alle Idole des Raums und der Zeit vergessen, oder unsre beste Mühe ist vergeblich.

Zweitens, kann ich's ebenso wenig bergen, daß Jacobi mit dem Begriff nicht übereinstimmt, den ich jetzt von Spinoza's System habe, und in welchem wir Beide uns doch Punkt für Punkt verstanden. Also, kann ich auch in die Conclusionen nicht einstimmen; 59 »Spinozismus ist Atheismus. Die Leibniz-Wolffische Philosophie ist nicht minder fatalistisch als die Spinozistische. Jeder Weg der Demonstration geht in den Fatalismus aus.« u.s.w. Denn nach meiner Einsicht ist Spinozismus, wie ihn sich Spinoza dachte, kein Atheismus; auch ist in den harten Ausdrücken des Spinoza die Leibniz- Wolffische Nothwendigkeit mit der Spinozische nicht einerlei; 60 und dann muß man sich von dem Wort Fatalismus, dünkt mich, so [84] wenig schrecken lassen als von irgend einem Worte. Hören wir darüber Spinoza selbst: 61 »Auf eine Weise unterwerfe ich Gott dem Fatum. Daß mit unentweichlicher Nothwendigkeit aus der Natur Gottes Alles folge, denke ich mir so, wie sich Jedermann denkt, daß aus der Natur Gottes es folge, Gott erkenne sich selbst. Dies leugnet Niemand, und doch denkt sich Niemand dabei, daß Gott durchs Schicksal gezwungen sich selbst erkenne; er erkennt sich frei, obgleich nothwendig.

Weder göttliche noch menschliche Rechte hebt diese Naturnothwendigkeit auf. Die moralischen Vorschriften selbst (ipsa moralia documenta), sie mögen die Form des Gesetzes oder Rechts von Gott empfangen oder nicht, sind dennoch göttlich und heilsam; das Gute, daß aus der Tugend und aus der Liebe Gottes folgt, ob wir es von Gott als einen Richter empfangen, oder wenn es aus der Nothwendigkeit der Natur Gottes folgt, es wird deshalb weder mehr noch minder wünschenswerth, so wie gegentheils die Uebel, die aus bösen Handlungen und Affecten folgen, deshalb, weil sie aus ihnen nothwendig folgen, nicht weniger furchtbar werden. Bei unsern Handlungen endlich, wir mögen sie nothwendig oder zufällig thun, führt uns dennoch Furcht oder Hoffnung. [85] Vor Gott werden die Menschen keiner Entschuldigung fähig, weil sie in seiner Macht sind wie Thon in der Hand des Töpfers, der aus demselben Leim Gefäße macht, einige zur Ehre, andre zur Unehre« u.s.w.

THEOPHRON. Ohne Zweifel haben Sie nachgedacht, wodurch sich Spinoza das sonderbare Schicksal zubereitet hat, auch von seinen Freunden mißkannt zu werden.

PHILOLAUS. Ja wohl, und ich bin immer auf der Ursachen zurückgekommen, auf die Sie mich gleich anfangs wiesen.

Zuerst sind's harte Ausdrücke, die in einer zum Druck nicht ausgearbeiteten, nach dem Tode des Verfassers erschienenen Schrift mit andern verglichen und wenigstens milde ausgelegt werden sollte. Wenn Spinoza z.B. »die menschliche Seele, sofern wie ich die Dinge nach der Wahrheit vorstellt, einen Theil des göttlichen Verstandes nennt und diese deutlichen Begriffe in ihr Begriffe Gottes nennt, nicht sofern er unendlich ist, sondern sofern er durch die Natur der menschlichen Seele ausgedrückt wird und ihr Wesen ausmacht, oder sofern er mit ihr auch andre Begriffe denkt«: so lag (man dürfte nur diese sofern auslassen) ein Mißverständniß vor der Thür, daß sein System ganz aufhebt. Körper und Seele wurden also als Theile von ihm gedacht, von ihm, dem nach Spinoza Unheilbaren. Man addirte Körper, man summirte menschliche Gedanken und sagte: »Siehe Spinoza's Gott! Der unendliche Verstand bei ihm ist nichts als das Resultat aller menschlicher, auch der Diebs- und Narrengedanken.« Hätte man überlegt, daß Gedanken und Gedankenweisen sich nicht addiren, daß sie addirt keine Kraft ausmachen, die untheilbar in sich selbst, untheilbar in jeder sie darstellenden Wirkung sein soll; hätte man überlegt, daß nach Spinoza es eine Urkraft und in ihr ein lebendiger Begriff ist, der die Ordnung und Verknüpfung aller Begriffe und ihrer Folgen, mithin die Verknüpfung und Ordnung aller Dinge in sich faßt und thätig ausdrückt: würde man ihm den seinem System widrigsten, jeder Vernunft anstößigen Unsinn zugeschrieben haben? Ein paar unbequeme Wortformeln waren daran Schuld, die man in einer ihm ungeläufigen Sprache ihm hätte verzeihen können.

Ebenso schädlich ist's ihm gewesen, daß er manches seiner prägnantesten Worte nicht erklärte, auf dessen bestimmten Sinn doch so viel ankam. So z.B. »wenn jedes der unendlichen Attribute seines Gottes auch in allen seinen modis und Veränderungen ein unendliches ewiges Wesen ausdrücken soll«; was bedeutet hier das prägnante Wort Ausdruck? Sind diese [86] modi bloße Symbole oder ausdrückende Charaktere? sind sie Repräsentanten und Darstellungen des ewigen Wesens, daß ihr Wesen und Dasein ausmacht? Dem, der verstehenwill, hat Spinoza gnug gesagt; denn sein Werk ist eine Idee von Anfange bis ans Ende. Wer über Worte streiten wollte, fand desto mehr zu streiten.

Endlich seine an sich vortreffliche synthetische Methode; sie schickte sich nicht hierher, wenigstens zwang sie ihn zu Voraussetzungen und Formeln, die, durch die Analyse gefunden, durchaus nicht auffallend gewesen wären, z.B. Substanz, Attribut, Modus u.s.w. Getrauten sie sich nicht, Theophron, in analytischer Form das ganze System Spinoza's ganz unanstößig vorzustellen?

THEOPHRON. Lessing konnte es gewiß. Was glauben Sie, Philolaus, wenn Spinoza wieder erschiene, was würde er Denen, die ihn für einen Atheisten, Pantheisten, Gottesvertheiler, Gottessummirer u.s.w. halten, sagen?

PHILOLAUS. Mich dünkt, sehr bescheiden und sehr entscheidend würde er fragen: »Was macht ihr aus meinem System, dessen Grund, eine einzige ewige Idee, Ihr zerstört? Sind Modificationen ohne innere Realität, ist Ausdruck ohne etwas, das sich ausdrückt, sind Gedankenweise ohne eine unbeschränkte thätige Denkkraft gedenkbar? Wenn ich in einer mir ungeläufigen Sprache Alles that, was ich thun konnte, um Euch den reinen Begriff und Genuß einer untheilbaren Kraft vorstellig zu machen, die in sich Alles, durch und aus sich Alles im innigsten Selbst mächtig fühlt, wirkt und darstellt; wenn ich Euch dies Wesenhafte analogisch in Euch selbst darstellte, um Euch dadurch zur höchsten Freude und Seligkeit zu führen: wie? Ihr wolltet mir andichten, daß ich das Eins zum Nichts, das thätige Wesen zu einem leeren Seckel und Collectivnamen von Schatten, die ohne Licht ja auch nicht Schatten sein könnten, gemacht, daß ich die Sonne ausgelöscht hätte, um aus allen Funken der Johanneswürmer eine Unsonne zu fabriciren – ich bitte Euch, lest andre als meine, zwar nicht im Geist, aber im Ausdruck unvollendete Schriften!«

THEOPHRON. Gnug, Sie sprachen von dem Schätzbaren, das Sie sonst in diesem kleinen Buch 62 fanden.

PHILOLAUS. Das Schätzbarste war mir die Denkart des Verfassers, der auch im Gespräch mit Lessing vorzüglich darauf hinausgeht, »Vernünfteln sei nicht das ganze Wesen, nicht der ganze Bestand menschlicher Denkkraft. Wie Allem, so auch dem edelsten [87] Kräften unsrer Natur liege Dasein zum Grunde; dies könne nicht in Vernünftelei aufgelöst oder gar durch sie hinwegraisonnirt werden. Ohne Existenz und eine Reihe von Existenzen dächte der Mensch nicht, wie er denkt; folglich müsse der Zweck seiner Gedanken sein, nicht, sich Hirngespinnste zu erträumen, mit Scheinbegriffen und Scheinworten wie mit einer selbstgemachten Wirklichkeit zu spielen, sondern, wie er's nennt, Dasein zu enthüllen, solches als etwas Gegebnes aber (nach seinem Ausdruck) als eine Offenbarung Gottes anzunehmen, über welche und hinter welche man nicht hinaus kann. Seine Sinne müsse man durch Erfahrung, seinen innern Sinn durch Wahrheitsliebe, Ordnung und Zusammenhang im Denken reinigen und schärfen, willkürlichen Verbindungen existenzloser Scheinbegriffe, d.i. dem trägen, todten Nichts entsagen und dafür, was da ist, inden Eigenschaften und Beziehungen, wie es da ist, kennen lernen. Ein solches Erkenntniß mit innigem Gefühl der Wahrheit verbunden, sei allein wahr, dies allein helle den Geist auf, bilde das Herz, bringe Ordnung und Regelmäßigkeit in alle Verrichtungen unsers Lebens; da hingegen jene Grübelei, ohne ein Dasein von außen und Regeln der Wahrheit von innen vorauszusetzen, den Kopf öde und das Herz leer mache.«

THEOPHRON. Vortrefflich! Jene menschliche Erkenntniß ohne und vor aller Erfahrung, jene sinnlichen Anschauungen ohne und vor aller sinnlichen Empfindung eines Gegenstandes nach eingepflanzten Formen der Denkkraft, die ihr von Niemanden eingepflanzt [88] worden, sind Undinge, die Jedem, der seine eigne Existenz wahrnimmt, den Kopf veröden. Auch wir, Philolaus, haben in unserm Gespräch den heiligen Namen oft als ein bloßes Symbol brauchen müssen: wie wäre es, wenn wir den Luftgang unterbrächen? Sie kennen und sprechen die erquickende Sprache der Töne; wolan! hier ist ihr Werkzeug.

PHILOLAUS. Ich spreche gern diese Geistessprache:


Lobt den gewaltigen, den gnäd'gen Herrn,

Ihr Welten seines Alls!

Ihr Sonnenheere, flammt zu seinem Ruhm,

Ihr Erden singt sein Lob!

Der Widerhall lob' ihn, und die Natur

Ging' ihm ein froh Concert!

Und Du, der Erden Herr, o Mensch, zerfließ

In Harmonien ganz!

Dich hat er mehr als Alles sonst beglückt;

Er gab dir einen Geist,

Der durch den Bau des Ganzen dringt und forscht

Die Räder der Natur.

Erheb ihn hoch zu Deiner Seligkeit!

Er braucht kein Lob zum Glück.

Die niedern Neigungen und Laster fliehn,

Wenn Du zu ihm Dich schwingst.

Die Sonne steige nie aus rother Fluth

Und sinke nie darein,

Daß Du nicht Deine Stimme einigest

Der Stimme der Natur.

Lob ihn in Regen und in dürrer Zeit,

Im Sonnenschein und Sturm,

Wenn's schneit, wenn Frost aus Wasser Brücken baut,

Und wenn die Erde grünt!

[89] In Ueberschwemmungen, in Krieg und Pest

Trau ihm und sing ihm Lob!

Er sorgt für dich; denn er erschuf zu Glück

Das menschliche Geschlecht.

Und o, wie liebreich sorgt er auch für mich!

An Ruhm und Goldes Statt

Gab er mir Kraft, die Wahrheit einzusehn,

Und Freund' und Saitenspiel.

Erhalte mir, o Herr, was du mir gabst!

Mehr brauch' ich nicht zum Glück.

Mit heil'gem Schau'r will ich, ohnmächtig sonst,

Dich preisen ewiglich.

In finstern Wäldern will ich mich allein

Mit dir beschäftigen

Und seufzen laut und nach dem Himmel sehn,

Der durch die Zweige blickt.

Und irren aus Gestad' des Meeres und Dich

In jeder Woge sehn

Und hören Dich im Sturm, bewundern in

Der Au' Tapeten Dich.

Ich will entzückt auf Felsen klimmen, durch

Zerrissne Wolken sehn

Und suchen Dich den Tag, bis mich die Nacht

In heil'ge Träume wiegt.


THEOPHRON. Ich danke Ihnen, Philolaus. Möchte man nicht von der Musik sagen, was Banini von seinem Strohhalm sagte: »Wäre ich so unglücklich, am Dasein Gottes zu zweifeln, und hörte Musik, so würde sie mir Demonstration sein«?

PHILOLAUS. Da sind Sie von einer sehr alten Denkart, Theophron; denn neuerlich hat man es sich klar gemacht, daß es eine Demonstration von Gott weder könne noch gebe.

THEOPHRON. Und ich möchte behaupten, daß es ohne den Begriff Gottes, d.i. einer selbstständigen Wahrheit, keine Vernunft, [90] viel weniger eine Demonstration gebe. Denn ohne noch irgend den Ursprung der Kräfte in Betracht zu ziehen, die denken, handeln, wirken, und die der über sich selbst steigende Philosoph doch nie aus unsrer Welt wegleugnen kann, so ist schon die Verknüpfung dieser Kräfte, wie alle ihrem Wesen nachwirken und sich in meiner Seele verbinden, mir Beweises gnug von einem wesentlichen Grunde innerer Wahrheit, Uebereinstimmung und Vollkommenheit, die ihr Dasein selbst einschließt. Daß es etwas Denkbares giebt, daß diese Denkbare nach innern Regeln verknüpft werden kann und bei unzählbaren Verknüpfungen dieser Art sich Harmonie und Ordnung zeigt, schon das ist mir Demonstration von Gott, und wenn ich ein unglückseliger Egoist wäre, der sich das einzige denkende Wesen in der Welt zu sein einbildet. Zwischen jedem Subject und Prädicat steht ein Ist oder Ist nicht; diesIst, diese Formel der Gleichung und Uebereinstimmung verschiedener Begriffe, das bloße Zeichen = ist meine Demonstration von Gott. Denn, nochmals gesagt, es giebt eine Vernunft, eine Verknüpfung des Denkbaren in der Welt nach unwandelbaren Regeln; mithin muß es einen wesentlichen Grund dieser Verknüpfung geben. Die Regel dieser Verknüpfung hat Niemand willkürlich ersonnen, so wenig sie irgend ein mit Raum und Zeit befangenes, denkendes Wesen willkürlich übt. Sie ist in der Geisterwelt eben das, was die Regel des Gleichgewichts unter den Körpern ist: sie trägt ihre innere Nothwendigkeit mit sich. Es giebt also eine solche innere Nothwendigkeit, d.i. eine selbstständige Wahrheit.

PHILOLAUS. Und diese selbstständige Wahrheit wohnt –

THEOPHRON. In Allem, was da ist, objectiv oder subjectiv betrachtet. Unsre Kenntnisse sind aus Sinnen und aus der Erfahrung [91] geschöpft wir müssen wahrnehmen, Aehnlichkeiten zusammenhalten, allgemeinere Begriffe aus individuellen Verschiedenheiten absondern und läutern; dies Alles ist ein Weg, der Irrthümer im Wahrnehmen, im Absondern, im Verbinden und Trennen der Begriffe nicht nur möglich, sondern beinah unvermeidlich macht: ein nothwendiges Loos der Menschheit. Die Regel aber in unsrer Seele, nach welcher wir wahrnehmen, absondern, schließen und verbinden, ist einegöttliche Regel; auch im Irrthum haben wir nach ihr gehandelt und mußten nach ihr handeln, selbst wenn alle Gegenstände des Denkens Wahn wären. Nun betrachten Sie reine Wahrheiten, Wahrheiten z.B. der Geometrie. Für unsre Sinne giebt es vieleicht keinen vollkommenen Zirkel in der Natur; wenn es aber auch keinen gäbe, so ist mir der gedachte mathematische Zirkel mit Allem, was in ihm nach innerer Nothwendigkeit gesetzt und bewiesen wird, Demonstration einer selbstständigen göttlichen Wahrheit. Er beweist mir nämlich, daß es eine mathematische Vernunft in der Welt gebe, und da uns unsre Sinne nicht zulassen, sie allenthalben in der Natur zu erkennen und anzuwenden, so sagt doch seiner Structur und Absicht nach jeder Sinn und ihrem Wesen nach die uns einwohnende Vernunft, daß, wenn es denkende Wesen giebt, die auch mit feineren Sinne die Welt anschauen, sie nach eben dieser einzigen nothwendigen Regel denken, daß also auch das Wesen, das die Ursachemeiner und jeder Vernunft ist, dieselben innern Gesetze der Gedanken auf die eminenteste Weisekennen müsse, die es seinen Wirkungen zu Grundgesetzen des Daseins nicht anders als machen konnte. Sie schweigen, Philolaus?

PHILOLAUS. Wie? wenn ein kritischer Philosoph Ihren Beweis blos hypothetisch nennte: »wenn es eine Vernunft giebt, wie aber, wenn es keine gäbe«?

THEOPHRON. So gäbe es keine; ein Philosoph, der seine Vernunft aufgiebt oder Vernunft leugnet, kann freilich keine Demonstration, [92] wovon es auch sei, haben. W. z. e. Aber Scherz beiseite! Sobald der Philosoph ein Philosoph wird, d.i. sobald er Vernunft anerkennt und sich deutlich macht, was sie sei, sobald ist ihm eine wesentliche Nothwendigkeit in Verknüpfung der Wahrheiten im Begriff der Vernunft selbst gegeben. Ich getraue mich zu sagen, daß dies die einzige wesentliche Demonstration von Gott sei (mehrere wesentliche kann es auch nicht geben), die bei allen Beweisen wiederkommt, die aber nirgend so scharf und und rein erscheint als bei den Gesetzen unsers Verstandes.

Alle Beweise z.B. aus der Natur, wo wir nothwendige Gesetze der Bewegung und Ruhe, des Bestandes der Dinge nach einem Verhältniß ihrer innern Kräfte u.s.w. wahrnehmen, setzen dieselbe Regel zum Grunde, die wir am Reinsten bei unsrer Vernunft bemerken, nämlich: »daß jedes Ding ist, was es ist, das sein Wesen auf Kräften, sein Bestand auf einem Ebenmaß dieser Kräfte, seine Wirkung auf Verhältnissen derselben zu anderen Dingen beruhe; und zwar dies Alles nicht aus willkürlichen Absichten, die wir ganz beiseit setzen, sondern aus innern Gesetzen der Nothwendigkeit, aus welchen Bestand und Zerstörung, Zusammensetzung und Auflösung, Bewegung, Ruhe und Wirkung folgen«. Jede wahre Physiko-Theologie entwickelt also nichts als ewige Vernunft und Kraft nach nothwendigen Gesetzen, im Bau der Geschöpfe, in ihrer ganzen Verbindung nach Ort und Zeit. Sie enthält überall einen und denselben Schluß, eine und die selbe Anschauung in tausend Beispielen und Gegenständen, vom verschwindenden Kleinsten bis aufs unübersehbare Größte. Die Musik z.B., mit der Sie mich ergetzt haben, ist eine Formel nothwendiger, ewiger Harmonie, auch wenn mein Ohr sie nicht hörte, auch wenn, abstrahirend von aller Wollust derselben, sie blos ein Verstand berechnete und mäße. Daß mein Ohr, daß meine Empfindung für die Musik geschaffen ist, daß sie auf so viele mir gleichgestimmte Wesen einerlei Wirkung thut: das Alles macht zwar den Beweis der in ihr wohnenden Harmonie lebhafter, es setzt aber seinem demonstrativen Werth nichts hinzu. Denn wenn auch kein Ohr in der Welt und das Wesen der Musik blos von einem rechnenden Verstande gedacht wäre, so wäre der Beweis vollendet.

PHILOLAUS. Ich muß meinen Scherz wiederholen. Wie, wenn durchaus kein rechnender Verstand wäre?

[93] THEOPHRON. So muß ich auch meine Antwort wiederholen. Giebt es keinen rechnenden Verstand, so giebt es auch nichts Berechnetes, mithin auch keine Harmonie und Ordnung, die eine Berechnung des Verstandes ist. Räumen wir alles Denkende weg, so ist nichts Denkbares, alles Wirkliche, so ist nichts wirklich. Wo gelangen wir aber mit solchen Sophistereien hin? und sind sie der Philosophie würdig? Zertreten Sie die ewigen Grundsätze der Vernunft und lösen solche in hypothetische Wortgespinnste ohne Existenz und nothwendiges Erkenntniß einer inneren Wahrheit auf: freilich so ist keine Demonstration nicht nur einer, sondern keiner Existentz möglich. Was haben Sie damit aber gethan, als den Grund alles Denkens aufgehoben? und wie ist nun ohne zusammenhangendes Denken Philosophie möglich? Ueberzeugen mich schon meine Sinne vom Dasein nach ihrer Art, d.i. auf eine dunkle verworrene Weise, wie sollte mich meine Vernunft nicht vom Dasein nach ihrer Art, d.i. durch deutlich verknüpfte, vollständige Begriffe überzeugen? Verlange ich aber von ihr, daß sie mir ihre Begriffe als sinnliche Anschauungen ohne sinnliche Anschauung gebe oder mir das Dasein sinnlicher Gegenstände, die in ihr Gebiet nicht gehören, als reine Vernunftwahrheiten demonstrire, und tadle sie, daß sie das nicht wolle oder vermöge: so hat mein Tadel nicht mehr Grund, als wenn ich die Farbe hören, das Licht schmecken und den Schall sehen wollte. Wir wollen uns hüten, Philolaus, daß wir nie in diese Gegend der »Hyperkritik des gesunden Verstandes« gerathen, wo man ohne Materialien baut, ohne Existenz ist, ohne Erfahrungen weiß und ohne Kräfte kann. Die Begriffe dieses Reichs sind wie die Fata Morgana scheinbare Richtigkeiten zurückgeworfener Bilder ohne Haltung, ohne Dauer, die schlechtesten Phantasmen, die es in der Welt giebt, speculative Phantome, ein Wust der Sprache.

PHILOLAUS. Sie bauen also Ihre Demonstration nicht auf den Begriff der Ursache und Wirkung?

THEOPHRON. Ich nehme diese Begriffe aus der Erfahrung; ins Gebiet der Demonstration aber weiß ich sie nicht anders als unter dem Begriff des Daseins zu verpflanzen, weil ich weder was Ursache, noch was Wirkung sei, viel weniger das Band zwischen beiden deutlich erkenne. Demonstriren läßt's sich bei keiner [94] Erfahrung, daß dies die Wirkung jener Ursache sei, ob wir wol sinnlich klar erkennen oder muthmaßen, daß sie es sein müsse, weil wir beide oft und immer zusammen oder nach einander fanden. Ihnen ist bekannt, welche Fehlmuthmaßungen man hierüber selbst im Lauf der täglichen Erfahrung bei den gemeinsten Dingen oft gemacht habe; und der Grund davon ist sichtbar, weil jeder Schluß von Ursache auf Wirkung oder umgekehrt von Wirkung auf Ursache als Erfahrungssatz nie Demonstration, sondern immer nur eine Muthmaßung im Reich der Sinnlichkeiten war. Wir wissen nicht was Kraft ist, noch wie sie wirke; wir sehen ihre Wirkung nur als Zuschauer und bilden uns daher analogische Urtheile. Selbst die allgemeinen Regeln hierüber, die wir auf's Beste bewährt finden, können wir nie demonstriren. Was sollten wir inniger kennen als die Kraft, die in uns denkt und wirkt? Wir kennen sie indeß so wenig als jede andre, die außer uns ist. Selbst die Gedanken meiner Seele, als Wirkung betrachtet, begreife ich nicht; nur dann sind sie mir begreiflich, wenn ich sie immanent als Dasein, d.i. »als ewige Wahrheiten zum Wesen meiner Vernunft gehörig« unter die Regel einer innern Nothwendigkeit zu bringen vermag. Dahin also habe ich auch in Ansehung Gottes meinen Beweis eingeschränkt; wer zu viel beweisen will, läuft Gefahr, daß er nichts beweise.

PHILOLAUS. Also werden Sie Sich auch über die Art der Schöpfung nicht erklären, ob sie Hervorbringung, Emanation u. dergl. sei?

THEOPHRON. Wie könnte ich dieses, da ich nicht weiß, was Schaffen, was Hervorbringen heiße? Die gemeine Vorstellungsart ist, daß Gott die Welt aus sich herausgedacht habe; sie scheint die reinste zu sein, weil wir von keiner reinern Wirkung als vom Gedanken unsrer Seele Begriff haben; auch haben sich Leibniz und alle helldenkende Köpfe an sie gehalten, weil ihnen die Erfahrung kein besseres Bild, die Sprache keinen besseren Ausdruck gab. Die Gedanken unsrer Seele, sagt man, sind an sich unwirksame Bilder; die Gedanken Gottes, mit ihrer Allmacht begleitet, waren höchst wirksam. Er dachte, und es ward; er wollte, und es stand da. Ich glaube, es giebt über eine für uns unerklärliche Sache keine behutsamere Formel.

Indessen schließt sie uns das Wesen der Wirkung nicht auf; vielmehr muß man sich auch bei diesem »heraus« vor bösen [95] Symbolisationen hüten. Die große Vorstellungsart z.B., daß Gott nach Millionen Ewigkeiten die Welt aus sich »herausgedacht« habe, wie eine Spinne das Gewebe aus sich zieht, ist unerträglich.

PHILOLAUS. Die gröbere Emanation wird es Ihnen also noch mehr sein, und doch giebt man selbst dem Spinoza Schuld, daß er sein System aus dem Kabbalismus der Juden entlehnt habe.

THEOPHRON. Wer hat Ihnen das eingebildet, Philolaus?

PHILOLAUS. Es ist eine sehr gemeine Meinung, die Spinoza selbst veranlaßt 63 und vor Allen Wachter war ein gelehrter Mann, den ich in jedem andern Betracht, nur nicht als einen Philosophen ehre. Als ein reisender Jüngling von einigen zwanzig Jahren stritt er gegen einen Juden und wollte den Spinozismus im Judenthum finden; einige Jahre darauf ward er selbst ein Freund der Kabbala und wollte seiner ersten Idee zufolge die Lehre des Spinoza mit ihr vereinigen 64. Mich dünkt, die Philosophie des Spinoza ist von der Kabbala ebenso verschieden, als es vergebliche Mühe ist, diese durch jene läutern zu wollen. Die Kabbala ist eine Symbolik guter und schlechter, im ganzen aber schwärmerischer, dunkler Vorstellungen in ungeheuern Bilder, mit denen der reine heitre philosophische Sinn Spinoza's sich nicht gnügen konnte; sonst wäre er ein Jude geblieben. In seiner ganzen »Ethik« finden Sie kein Bild, und seine wenigen Gleichnisse sind ihm fast mißrathen. [96] In diesem Betracht ist er ein Antipode der Kabbala, so natürlich es übrigens wäre, daß er als ein im Judenthum Erzogener, ein Schüler des berühmten Morteira, gleichsam eine hebräische Ansicht der Dinge in die Cartesische Philosophie gebracht hätte. Die erste Form des Denkens verläßt uns nie ganz, und da Spinoza zum Cartesischen System in einer fremden Sprache gelangte, so war es natürlich, daß er sich solches nach der seinigen typisirte, daher er auch synthetisch mit dem wesentlichen Begriff Gottes anhob. Mit der eigentlichen Kabbala aber, noch weniger mit ihren Emanationen (die doch von den Juden ebenso wenig erfunden sind, als wenig sie zu ihrer Theologie gehören) hat das System des Spinoza nichts zu schaffen. Wo er die Worte »Hervorbringung, Wirkung« brauchen muß, braucht er sie, ohne die Art der Hervorhebung zu erklären; am liebsten ist ihm aber, das Wort Ausdruck. » Die Welt drückt Eigenschaften der Gottheit aus, unendliche auf unendliche Weisen«; diese Redart ist eher mathematisch als kabbalistisch. Von Ausflüssen aus Gott redet Spinoza nie; einem geometrischen Geist sind dergleichen Bilder auch nicht die liebsten. Leibniz bediente sich einmal, um die Wirkung Gottes zu erklären, des Ausdrucks »Fulgurationen«, wobei er auf das Bild der Sonnenstrahlen anspielte; bei Kästner 65 können Sie lesen, wie lächerlich man das Bild in der Folge gedeutet. Also wenn wir von Gott reden, lieber keine Bilder! Auch in der Philosophie ist dies unser erstes Gebot wie im Gesetz Moses'.

PHILOLAUS. Vom Unrath der Kabbala hielt Der sich gewiß frei, der über die Bildausdrücke der alten Schriften seiner Nation [97] selbst so strenge urtheilte. Gnug indessen, seine Philosophie ging nicht vom Cartesischen: Ich denke, darum bin ich, sondern vom heiligen Namen seiner Väter aus: »Ich bin, der ich bin, und werde sein der ich sein werde«. Diesen Begriff, der die höchste, völlig unvergleichbare Existenz in sich sowie alle Emanationen ausschließt, ihn durfte Spinoza nur entwickeln, und der größte Theil seines Systems lag vor ihm. Es giebt keinen absolutern, reineren, fruchtbareren Begriff in der menschlichen Vernunft als ihn; denn über das ewige, durch sich bestehende, vollkommenste Dasein, durch welches Alles gesetzt, in welchem Alles gegeben ist, läßt sich nicht steigen. Wie klein ist dagegen das Bild der Weltseele!

THEOPHRON. Es ist ein menschliches Bild, und wenn es vorsichtig gebraucht wird, kann von der innig – einwohnenden Kraft Gottes Manches dadurch anschaulich gesagt werden; wie denn auch Spinoza diese Analogie gebraucht hat. Indessen bleibt es ein Bild, das ohne die größte Vorsichtigkeit sogleich mißräth. Lesen Sie z.B. die Stelle wie Lessing es sich im Scherz dachte.

PHILOLAUS. »Wenn Lessing sich eine persönliche Gottheit vorstellen wollte; so dachte er sie als die Seele des Alls«. 66

THEOPHRON. Merken Sie, wenn er sich eine persönliche Gottheit vorstellen wollte; er hatte aber gegen diese Persönlichkeit vorher selbst protestirt; und wie könnte man auch die Seele im Körper eine Person nennen?

PHILOLAUS. »Und das Ganze dachte er sich nach der Analogie eines organischen Körpers. Diese Seele des Ganzen wäre also, wie es alle andre Seelen nach allen möglichen Systemen sind, als Seele nur Effect

THEOPHRON. Erwägen Sie: »Gott, die Seele des Ganzen, ein Effect! alle andre Seelen, nach allen möglichen Systemen Effecte!« Effecte wovon? Gott ein Effect wessen? Des Ganzen? [98] des organischen Körpers? und das wären nach allen möglichen Systemen alle Seelen? Effecte? 67

PHILOLAUS. »Der organische Umfang derselben (Seele) könnte nach der Analogie der organischen Theile dieses Umfanges insofern nicht gedacht werden, als er sich auf nichts, das außer ihm vorhanden wäre, beziehen, von ihm nehmen und ihm wiedergeben könnte«.

THEOPHRON. Hier bekommt Gott als Seele der Welt schon einen organischen Umfang, Theile dieses Umfanges; er muß sich auf etwas beziehen, das außer ihm vorhanden ist, von dem er nehmen, was er wiedergeben könne.

PHILOLAUS. »Also, um sich im leben zu erhalten, muß Gott von Zeit zu Zeit sich in sich gewissermaßen zurückziehen, Tod und Auferstehung mit dem Leben in sich vereinigen. Man könnte sich von der Oekonomie eines solchen Wesens mancherlei Vorstellungen machen« u.s.w. Scherz! nichts als Scherz! wie Lessing's Freund unmittelbar darauf selbst sagt, 68 »daß er die Idee der Weltseele bald im Scherz, bald im Ernst gewendet habe«.

THEOPHRON. Sie kennen Lessing's Art, die Sache so zu wenden. »Es regnet. Das thue ich vieleicht,« 69 u.s.w. Offenbar wollte er damit das Bild in seiner schlimmsten Uebertreibung darstellen, d.i. persifliren.

PHILOLAUS. Indessen, mein Freund, verlangen wir doch nach einer Vorstellung des Weltganzen. Am Einzelnen mag unsre Seele sich nie begnügen, und wenn das Ganze, wie ich freilich einsehe, kein Riese sein kann, »der sich gegen das Nichts sträubt, sich mit schrecklichen Contorsionen in sich selbst zurückzieht, sich wieder ausdehnt und also Tod und Leben schafft, damit der Ewiglebende sich nur von Zeit zu Zeit sich selbst im Leben erhalte«, wenn dies Alles freilich nichts ist, welche Vorstellung soll ich mir denn vom Ganzen der Welt bilden?

THEOPHRON. Keine sinnliche Vorstellung, Philolaus! Das [99] Endlose giebt kein Bild; das absolut Unendliche, Ewige noch minder. Merken Sie, wie unser Haller alle Kräfte seiner Phantasie aufbietet, das Endlose zu schildern; er kann's nicht.


»Unendlichkeit! wer misset Dich?

Bei Dir sind Welten Tag' und Menschen Augenblicke.

Vielleicht die tausendste der Sonnen wälzt jetzt sich,

Und tausend bleiben noch zurücke.

Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht,

Eilt eine Sonn' aus Gottes Kraft bewegt:

Ihr Trieb läuft ab, und eine andre schlägt,

Du aber bleibst und zählst sie nicht


Mit dem letzten Zuge hat der Dichter sein ganzes Gemälde selbst vernichtet. So thut er's mit seinem Bilde der Ewigkeit:


»Die schnellen Schwingen der Gedanken,

Wogegen Zeit und Schall und Wind

Und selbst des Lichtes Flügel langsam sind,

Ermüden über Dir und hoffen keine Schranken.

Ich häufe ungeheure Zahlen,

Gebirge Millionen auf,

Ich wälze Zeit auf Zeit und Welt auf Welt zu Hauf;

Und wann ich von der grausen Höhe

Mit Schwindeln wieder nach Dir sehe,

Ist alle Macht der Zahl, vermehrt mit tausend Malen,

Noch nicht ein Theil von Dir;

Ich zieh' sie ab, und Du liegst ganz vor mir


Lassen Sie uns also selbst von einem Dichter lernen, auf metaphysische Phantasmen und leere Anschauungen eines endlosen Raums, einer endlosen Zeit, geschweige des untheilbar-ewigen Daseins in Bildern Verzicht zu thun. Philosophie ist nicht Phantasterei; nichts als Ungeheuer kann diese erzeugen, von denen es Jeden, nur nicht den Erfinder selbst schaudert.

PHILOLAUS. So möchte ich denn ohn' alle Bilder Naturgesetze der Haushaltung Gottes, ausdrückende Symbole der höchsten Wirklichkeit, einer nothwendigen Güte und [100] Weisheit kennen lernen. Denn, Theophron, der Gordische Knote in Spinoza's System liegt noch vor mir, das Räthsel: »Wie entstand, wenn nur eine Substanz diesen Namen verdient, der Wahn oder die Wahrheit einzelner, vieler zahlloser Substanzen?«

THEOPHRON. Wir wollen die morgende Abendstunde zur Unterredung wählen. – Ist Ihnen dieser Hymnus bekannt? er giebt kein Bild von Gott, aber etwas Besseres als Bilder.


Gott. 70

Der Einzige, der Allen Alles ist,
Ist unser Gott! Geschöpfe, betet an!
Den Nichterschaffenen, den Einzigen,
Den Ewigen, Geschöpfe, betet an!
Du seine große, weite, schöne Welt
Mit allen Deinen Feuerkugeln dort!
Du warest nicht, Du wurdest und Du bist
In Deiner Pracht. Geschöpfe, betet an!
Zehntausend seiner Sonne traten hin
Und gehen ewig ihren großen Gang.
Zehntausend seiner Erden traten hin
Und gehen ewig ihren großen Gang.
Zehntausend Myriaden Geister stehn
Um seinen Thron. – Um seinen Thron? – Hinweg
Mit seinem Thron! Er sitzt, er stehet nicht,
Er ist kein König, kein Khalif. Er ist
Das Wesen aller Wesen; er ist Gott,
Ist unser Gott! Geschöpfe, betet an!
Wer ist, den er zu seiner Werkstatt rief,
Dahinzutreten und zu sehn, zu sehn –
Wie er es macht? Wie er den Ocean
In so geschmeidigem Gehorsam hält,
[101]
Daß seines Wassers nicht ein Tropfe fort
Aus seiner Tiefe will! wie er den Mond
An einen dünnen Faden bindet und
In blauer Luft ihn schweben läßt; wie er
In Zeit von Rosses oder Reiters Hui
Zehntausend Millionen Sonnenfernen mißt
Und keines Apfels, keines Staubes fehlt!
Wer ist wie er? Auf seiner Erde wohnt
Kein ihm ergebener, erhab'ner Geist,
Und keiner blickt von seinem Wolkenzug
Uns seinem Morgenroth, der mir es sagt,
Wie er es macht! Kein Seher Gottes ist,
Kein Heiliger, kein Frommer, der es weiß.
Von Dir, Du kleiner Ball, auf welchem wir
Zehntausend Millionen Ballen dort
Nur funkeln sehen, hinauf zum Sonnenball,
Vom Sonnenball hinan zum Sirius,
Der, millionenmal so groß wie Du,
Dem armen Erdenwurm ein Punctum ist;
Von Dir, Du kleiner Käfer, bis zu Dir,
Du stolzer Adler, der den Kaukasus
Auf seinem Flug für einen Kiesel sieht;
Von Dir, Du kleine Schnecke, deren Blut
Die Hüllen stolzer Menschen färben muß,
Zu Dir, Du kluger Affe, welcher sich
Die Wangen färbt, um schön zu sein; und dann
So weiter fort zu einem Geist, der Gott,
Das Wesen aller Wesen, denken will –
Ha, welche Stufen! Welche Stufen hier
Und dort, in allen Millionen dort!
In allem Todten, allem Lebenden
Und allem Leichten, allem Schweren! – Gott,
Der einzige, der Allen Alles ist,
Ist unser Gott! Geschöpfe, betet an!
[102]

Fünftes Gespräch

THEANO. Vergönnen Sie mir, meine Freude, daß ich heut Ihre sichtbare Zuhörerin sein darf, wie ich's bisher unsichtbar gewesen. Vieles von Ihren Gesprächen habe ich nicht verstanden, und auch heut begehre ich nicht eben Alles zu verstehen; gnug für mich wenn ich nur im Ganzen dem Sinn Ihrer Unterredung folge. Meine Gegenwart soll sie nicht stören; ich werde schweigend meine Arbeit verrichten und nur mit meinen Gedanken Sie begleiten.

THEOPHRON. Sie sind willkommen unserm Gespräch, Theano; denn auch Sie haben gewiß nichts dagegen, Philolaus, daß Theano zuhöre?

PHILOLAUS. Sehr viel, wenn sie bloß zuhören wollte. Sie müssen Sich in unser Gespräch mischen, Theano, und ihm, wenn es sich in eine leere Scholastik verirrt, wieder auf den Schauplatz der Menschheit helfen. Versprechen Sie uns dies?

THEANO. Ich will Sie so wenig unterbrechen, als es sein kann, und Ihren dafür gleich jetzo zum Gespräch helfen. Sie wünschten gestern, Philolaus,Regeln der Haushaltung Gottes in der Welt oder, wie Sie es nannten, ausdrückende Symbole seiner Wirklichkeit, Macht, Weisheit und Güte kennen zu lernen: wie ist's möglich, daß Theophron aus dem Ocean, der uns umfließt, einige Tropfen schöpfe? Fast mit Widerwillen hörte ich Sie gestern Meinungen anführen, als ob das Dasein Gottes unerweislich sei, und wunderte mich, Theophron, daß Sie Sich in dies Wortgewirr einließen. Das Dasein eines Wesens kann, wie mich dünkt, nur durch Dasein und durch die Erfahrung desselben, nicht durch willkürliche Begriffe und leere Worte erkannt werden, so wenig als es durch diese auch weggeräumt werden mag. Man hat ein Sprichwort, daß man durch Träume weder reich noch satt werde; durch Worte wird man's [103] ebenso wenig. Wir sind Menschen, und als solche, dünkt mich, müssen wir Gott kennen lernen, wie er sich uns wirklich gegeben und dargestellt hat. Durch Begriffe empfangen wir ihn als einen Begriff, durch Worte als ein Wort; durch Anschauung der Natur, durch den Gebrauch unsrer Kräfte, durch den Genuß unsers Lebens genießen wir ihn als wirkliches Dasein voll Kraft und Leben. Nennen Sie, abstracte Herren, dies Schwärmerei, so will ich gern eine Schwärmerei sein; denn ich mag lieber die wirkliche Rose sehen und genießen, als von einer erdichteten, gemalten Rose mit ödem Kopfbrechen träumen.

THEOPHRON. Wohl, Theano! Sie sehen doch aber die Rose, die Sie genießen, und werden Sich dieses Genusses wegen die Augen nicht verbinden. Und was arbeiten Sie da? Sie sticken selbst diese Blume. Sie ahmen also einer Kunst der Natur nach, die Ihnen nur Ihr bemerkendes Auge sichtbar machte und jetzt das Auge Ihrer Seele, Ihre lebhafte Erinnerung der Nadel gleichsam vorzeichnet. Schließen Sie also von keinem Gefühl, von keinem Genuß der Schöpfung den Gedanken aus; er ist uns zum Innenwerden Gottes so nothwendig als Ihrer arbeitenden Nadel das Bild der Zeichnung in Ihrer Seele. Der verkennte die Menschheit, der den Schöpfer nur schmecken und fühlen wollte, ohne ihn zu sehen und zu erkennen.

THEANO. Den Vorwurf verdiene ich nicht, Theophron, da ich unsern Philolaus eben vor einem gleichen Fehler einseitiger Trennung warne. Ich habe die Philosophie herzlich gern, wenn sie bei Gegenständen, bei wahren Dingen der Natur bleibt und solche ins Licht setzt. Ich habe mich sehr gefreut, da Sie Ihren Freund auf die innere Schönheit, Güte und Wahrheit aufmerksam machten, die allen Gegenständen der Schöpfung nicht als Willkür aufgeheftet ist, sondern als Wirklichkeit selbst in jedem Wesen liegt und dies Wesen ausmacht. Seit der Zeit bemühe ich mich, in Allem, was um mich ist, diesen Punkt der reinen Nothwendigkeit auszufinden, und bemerke in ihm immer Wahrheit, Güte, Schönheit. Ich wollte, daß ich mein Leben hindurch alle meine Geschäfte, meine kleinste Kunst, ja selbst diese armselige Blume so schaffen und einrichten könnte, daß die webende Minerva selbst sagen müßte: »Anders als also konnte sie nicht gemacht werden.« Wie viel Trost, welche süße Anmuth liegt in dem Wort »Nothwendigkeit« insonderheit für unser Geschlecht, dem durch die Ordnung der Natur und durch die Einrichtungen der Menschen so wenig Willkür erlaubt [104] ist! Ich danke der guten Adrastea, daß sie uns so wenig erlaubte, da unser Geschlecht eben am Meisten nach Willkür strebt. Jetzt liebe ich diese Tochter der gütigen Weisheit und hasse alle Launen. Ich überlasse sie den Männern, die sich ja willkürliche Herren der Erde zu sein dünken.

THEOPHRON. Halten Sie nicht viel von diesen willkürlichen Herren, liebe Theano! Je weniger Vernunft, desto mehr hat und liebt man Willkür. Ich wollte den Mann kennen lernen, der, welches kleine Geschäfte des Lebens es auch sei, solches auf unzählige Arten gleich gut verrichten könnte und es seiner blinden Wahl überlassen glaubte, welche von diesen Arten er vorziehen wolle. Der schönste und schwerste Zweck des männlichen Lebens ist, von Jugend auf Pflicht zu lernen; solche aber, als ob es nicht Pflicht sei, in jedem Augenblick des Lebens auf die leichteste, beste Weise zu üben und also jedesmal den höchsten Punkt der Kunst, das Gesetz des einzigen Besten, der holden und schönen Nothwendigkeit, zu erreichen. Diese ist nicht Zwang, nicht Nothdurft von innen oder von außen, ob sie gleich einem unerfahrenen, trägen, muthwilligen Menschen also dünkt; ihr Joch ist sanft, ihre Last ist leicht, wenn man derselben einmal gewohnt. Wehe dem Mann, der in übeln Gewohnheiten hart ward; wohl aber jedem vernünftigen, thätigen Wesen, dem seine Pflicht und die schönste Art, sie zu üben, zur Natur, d.i. zur Nothwendigkeit ward! Er hat den Lohn der guten Engel in sich, von denen die Religion sagt, daß sie, im Guten bestätigt, nicht mehr fallen können, noch fallen wollen, weil ihre Pflicht ihnen Natur, weil ihre Tugend ihnen Himmel und Seligkeit ist. Wir wollen uns auch bestreben, meine Freunde, den innern Lohn dieser seligen Wesen zu genießen; ja warum dürften wir bei ihnen stehen bleiben, da uns allenthalben in der Natur das Vorbild unseres Vaters selbst vorleuchtet, der im Kleinsten und Größten ohn' alle schwache Willkür mit der ganzen Schönheit und Güte einer selbstständigen Vernunft, Wahrheit und Nothwendigkeit handelt.

Wolan denn, meine Freunde, und die Gottheit selbst wird uns beistehen, da wir die Natur ihrer Werke als die weiseste, beste Nothwendigkeit zu entwickeln streben! Was konnte sie, indem sie auf eine uns unbegreifliche Art Wesen darstellte, was konnte sie [105] ihnen Höheres geben, als was in ihr selbst das Höchste ist? Wirklichkeit, Dasein. In Gott ist's, nach unsern Begriffen, der Grund alles Genusses, die Wurzel aller seiner unendlichen Kräfte; in jedem daseienden Dinge nicht minder. Aller unsrer Abhängigkeit ohngeachtet sind oder dünken auch wir uns Substanzen und fühlen unser Dasein mit so inniger Gewißheit, mit so zuversichtlicher Freude, daß wir an die Zerstörung unsrer nicht nur ungern denken, sondern auch mit aller Gewalt sie uns nicht vorzustellen vermögen. Es ist das Wesen des denkenden Geistes, daß er vom Nichts durchaus keinen Begriff hat, so daß eine sonderbare Verödung des Kopfs dazu gehört, sich nur einzubilden, daß das Nichts ein denkbarer Begriff sei. Ein Zeichen für dasselbe 0 oder √-1 kann man sich erdenken, und indem man zwei Dinge einander widersprechend erkennt, eins durch das andre wegräumen. Der Verstand vermag deutlich einzusehen, daß, indem er das eine sich vorstellt, er zu eben der Zeit sich nicht auch das andre als jenes denken könne; damit aber hat er nichts Wirkliches weggeräumt, hat auch von nichts weniger als vom absoluten Nichts einen Begriff. Statt des vollen Raums z.B. kann er sich einen ungeheuern schwarzen leeren Raum einbilden; damit aber bildete er sich noch kein Nichts ein. Kurz, das Nichts ist Nichts; es ist also auch jedem Wesen, das da ist, geschweige dem Grunde und Inbegriff aller Wirklichkeit, Gott, ein leeres Nichts, d.i. undenkbar. Bemerken Sie, Philolaus, was auf dieser innern Nothwendigkeit des Begriffs vom Dasein ruhe?

PHILOLAUS. Die schönste Wahrheit ruht darauf, nämlich: daß es kein Nichts in der Natur gebe, daß es nie gewesen sei und nie sein werde, weil es etwas Undenkbares, ein Nichts ist. So wenig der Ausdruck: »aus Nichts ein Etwas schaffen«, oder die Schilderung des Dichters:


[106] »Befruchtet mit der Kraft des wesenreichen Wortes
Gebiert das alte Nichts« –
oder:
»Als mit dem Unding noch das neue Wesen rung« –
oder:
»Als auf die Nacht des alten Nichts
Sich goß der erste Strom des Lichts«,

einen andern als dichterischen Sinn haben, so wenig hat unsre Seele einen Begriff davon, was es heißt: »etwas vernichten, ein Etwas in Nichts verwandeln«, oder wenn der Dichter singt:


»Wenn ein zweites Nichts wird diese Welt begaben;
Wenn von dem Alles selbst nichts bleibet als die Stelle«;

denn wenn die Stelle noch da ist von dieser Welt, mithin eine Stelle zu neuen Welten, so ist noch nichts weniger als das Nichts da. Wie sehr sind mir jetzt alle diese Scheinausdrücke, leere Gespenster einer scholastischen Phantasie, zuwider! Wenn manche Metaphysiker alles Denkbare, die Welt, Gott selbst rein wegräumen und finden ein ungeheures Nichts als das reinste Objekt ihrer Vernunft sehr denkbar, finden es ganz natürlich, daß sich aus diesem Nichts mit aller Vernunft kein Etwas, weder Gott noch die Welt hervordemonstriren lasse –

THEANO. Ich bitte, endigen Sie, Philolaus, mit dem gräßlichen Nichts!

PHILOLAUS. Oder wenn gar das Dasein, das erfreuliche, nothwendige, innigste Dasein ihnen gräßlich dünkt. »Die reine Nothwendigkeit«, sagen sie, »sei als der letzte Träger aller Dinge ein Abgrund für die Vernunft. Selbst Haller's Ewigkeit mache lange nicht den schwindlichten Eindruck auf das Gemüth als das nothwendige Dasein Gottes; denn jene messe zwar, aber sie dürfte nicht tragen. Man könne den Gedanken nicht ertragen, daß ein Wesen, wenn wir es uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: ›Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit; außer mir ist nichts, ohne das, was blos [107] durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn?‹ Hier,« sagen sie, »hier sinkt Alles unter uns, und die größte Vollkommenheit wie die kleinste schwebt ohne Haltung blos vor der speculativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hinderniß verschwinden zu lassen 71

THEANO. Erretten Sie mich, Theophron, von den öden Vorstellungen, die Philolaus anführt! Ich bin ein Weib und werde mir, seitdem ich Ihre letzten Gespräche angehört habe, weder Haller's Ewigkeit als eine messende noch die weiseste Nothwendigkeit als eine Trägerin noch den Höchsten als einen Speculanten denken, der ruhmredig mit sich selbst spricht und sich thöricht fragte: »woher er sei«. Ich weiß auch nicht, ob bei den Philosophen dergleichen Phantasmen deutliche Begriffe setzen oder wegräumen, noch ob es ein Triumph der Vernunft sei, die größte Vollkommenheit wie die kleinste willkürlich »ohne die mindeste Hinderniß vor sichverschwinden zu lassen«; aber das weiß ich, daß nach meiner Idee es kein höheres, seligeres Dasein geben kann als Dessen, durch den Alles ist, durch den Alles genießt und lebt. Er darf, wenn das Dasein jedes Dinges auf einer innern Nothwendigkeit seiner selbst, einer durch sich bestehenden höchsten Weisheit und Güte ruht, nichts mühsam tragen; Alles trägt sich selbst, wie die Kugel auf ihrem Schwerpunkt ruht; denn alles Dasein ist ja in seinem eignen ewigen Dasein, in seiner Macht, Güte und Weisheit gegründet. Sie haben uns zwar vor Bildern gewarnt, Theophron; aber (Wirklichkeit dem Phantom entgegengestellt) ist's unerträglich, zu denken, daß die Wurzel den Baum trage? Sie wäre keine Wurzel, wenn sie die schöne Schöpfung des Stammes mit seinen Aesten, Zweigen, Blüthen und Früchten nicht zu tragen hätte und gern trüge. So die ewige Wurzel vom unermeßlichen Baum des Lebens, der, durch das Weltall verbreitet, [108] mit unzählig in einander verschlungenen Zweigen da ist und grünt. Er, die unendliche Quelle alles Daseins, des größten Geschenks, das nur er mittheilen konnte.

THEOPHRON. Und welch ein Pfand, meine Freunde, haben wir mit diesem Geschenk zur ewigen Fortdauer unsers Lebens! Dasein ist ein unzertheilbarer Begriff, Wesen. Es kann so wenig in ein Nichts verwandelt werden, als wenig es ein Nichts ist; oder auch das höchste Dasein, die Gottheit, könnte sich selbst vernichten. Wir reden hier nicht von Erscheinungen, von Zusammensetzungen irgend einer Gestalt in dem, was wir Raum und Zeit nennen. Alles, was erscheint, muß verschwinden; jedes Gewächs der Zeit trägt den Keim der Verwesung in sich, der da macht, daß es in dieser seiner Erscheinung nicht ewig daure. Was zusammengesetzt ist, wird aufgelöst; denn eben diese Zusammensetzung und Auflösung heißt Weltordnung und ist das immer wirkende Leben des Weltgeistes. Auch reden wir selbst noch nicht von der Unsterblichkeit einer Menschenseele, um uns etwa Phantome der Einbildungskraft vorzuzeichnen, wie sie im Raum und in der Zeit, d.i. in der großen Weltordnung andere Organe annehmen und ihre Kräfte neu üben werde. Wovon wir reden, ist ein einfacher Begriff,Wirklichkeit, Dasein, an welchem das niedrigste mit dem obersten Wesen Theil hat. Nichts kann untergehen, nichts vernichtet werden, oder Gott müßte sich selbst vernichten. Da nun im unendlichen Dasein Alles liegt, was sein kann und ist, wie endlos wird die Welt! Endlos nach Raum und Zeit und in sich selbst beständig. Gott hat den Grund seiner Seligkeit Wesen mitgetheilt, die auch, wie er, das kleinste wie das größte, Dasein genießen und, damit ich Ihr Gleichniß brauche, Theano, als Zweige von seiner Wurzel Lebenssaft schöpfen. Mich dünkt, wir zeichneten uns also, Philolaus, das erste Naturgesetz der heiligen Nothwendigkeit auf.

PHILOLAUS. Mit Vorbehalt meiner Fragen darüber:

I. Das höchste Dasein hat seinen Geschöpfen das Höchste gegeben, Wirklichkeit, Dasein.

THEOPHRON. Aber, meine Freunde, Dasein und Dasein, so einfach der Begriff ist, sind in ihrem Zustande sehr verschieden, und [109] was meinen Sie, Philolaus, was die Stufen und Unterschiede desselben bezeichnet?

PHILOLAUS. Nichts anders als Kräfte. In Gott selbst fanden wir keinen höheren Begriff, wodurch sich Wirklichkeit offenbart, als Macht; alle seine Kräfte waren Eins und Dasselbe. Die höchste Macht konnte nicht anders als die höchste Weisheit und Güte sein, ewig lebend, ewig wirksam.

THEOPHRON. Das Höchste also oder vielmehr das All (denn Gott ist nicht ein Höchstes auf einer Stufenleiter von Seinesgleichen), wie konnte es sich wirkend offenbaren als im All? Er selbst das All Aller. In ihm konnte nichts schlummern, und was er ausdrückte, war er selbst, ein Untheilbares, Weisheit, Güte, Allmacht. Die Welt Gottes ist also die beste; nicht weil er sie unter schlechteren wählte, sondern weil ohne ihn weder Gutes noch Schlechtes da war und er nach der innern Nothwendigkeit seines Daseins nichts Schlechtes wirken konnte. Alles ist also da, was da sein konnte; alle Kräfte ein Ausdruck seiner Kraft, einer Allweisheit, Allgüte, Allschönheit. Im Kleinsten und Größten wirkt er; in jedem Punkt des Raumes und der Zeit, d.i. in jeder Wirklichkeit des Weltalls. Denn Raum und Zeit sind nur Phantome unser Einbildungskraft, Maßstäbe eines eingeschränkten Verstandes, der Dinge nach und neben einander sich bekannt machen muß; vor Gott ist weder Raum noch Zeit, sondern ein All in einer ewigen Verbindung. Er ist vor Allem, und es besteht Alles in ihm, die Welt ein Ausdruck, eine Darstellung der Wirklichkeit seiner ewig lebenden, thätigen Kräfte.

THEANO. Auf einer wie hohen Stufe stehen wir menschliche Wesen also, in denen, so nichtige Erscheinungen wir sind, dennoch ein lebender Ausdruck der drei höchsten Gotteskräfte, Macht, Verstand und Güte, mit innerm Bewußtsein wohnt! Wir können uns keine andre, geschweige höhere Eigenschaften gedenken; [110] denn was wir in allen Werken der Natur Göttliches sehen, führt sich auf diese drei zurück, deren eine die andre erklärt, deren höchster Inbegriff und Ursprung uns alsGottheit erscheint. Das wesentliche Gesetz Gottes wohnt also in uns, unsre obwohl beschränkte Macht nach reinen Ideen der Wahrheit und Güte zu ordnen, wie solches der Allmächtige seiner vollkommensten Natur nach selbst thut und allenthalben ausdrückt, ausübt. Er hat uns darin etwas Wesentliches von sich mitgetheilt und uns zu Ebenbildern seiner Vollkommenheit gemacht, indem es in der Natur einer göttlichen Kraft liegt, nicht blind, sondern mit Einsicht, nicht eingeschränkt und boshaft, sondern mit einer alles Nichts ausschließenden Güte zu wirken. Jeder willkürliche, vernunft- und gütelose Gebrauch unsrer Kräfte, der uns von dieser Regel entfernt, macht uns uneinig mit uns selbst, verwirrt, schwach, ohnmächtig.

THEOPHRON. Mich dünkt, Philolaus, wir können also den zweiten Satz einer göttlichen Nothwendigkeit setzen:

II. Die Gottheit, in der nur eine wesentliche Kraft ist, die wir Macht, Weisheit und Güte nennen, konnte nichts hervorbringen, als was ein lebendiger Abdruck derselben, mithin selbst Kraft, Weisheit und Güte sei, die ebenso untrennbar das Wesen jedes in der Welt erscheinenden Daseins bilden.

PHILOLAUS. Ich wünschte, daß Sie für Theano und mich den Satz in Beispielen zeigten. Die Grade der Vollkommenheit in der Welt sind so zahllos mannichfaltig, daß die niedrigsten derselben uns Unvollkommenheiten scheinen.

THEOPHRON. Konnte dies anders sein, Philolaus? Wenn alles Mögliche da ist und nach dem Principium einer unendlichen göttlichen Kraft da sein muß, so muß in diesem All die geringste wie [111] die höchste Vollkommenheit da sein; aber alle sind von der weisesten Güte verbunden, und auch in der geringsten ist kein Nichts, d.i. nichts wesentlich Böses. Verzeihen Sie, Theano, daß ich abermals das gräßliche Unding nennen muß, ob es gleich ein Unding ist, das sich selbst aufhebt. Sie wissen, Philolaus, was Leibniz von seinen einfachen Substanzen für große Dinge rühmte: »sie seien Spiegel des Weltalls, mit Vorstellungskräften begabt, das Universum, jede nach ihrem Standpunkt, darzustellen und abzuschildern. Der Unendliche sehe im Kleinsten das All« u.s.w. So erhaben diese Idee war, die wir uns nur in reinen Zahlverhältnissen annährend begreiflich machen, und so nothwendig sie ist, sobald man die Welt als eine in allen Theilen zusammenhangende Wirkung der höchsten Voll kommenheit denkt, so falsch ward sie von Manchen verstanden, und insonderheit wurden die unendlich kleinen einfachen Spiegel des Weltalls unwürdig gedeutet. Wir lassen das Bild weg und sagen: »Jede Kraft ist ihrem Wesen nach ein Ausdruck der höchsten Macht, Weisheit und Güte, wie solche sich an dieser Stelle des Universum, d.i. in Verbindung mit allen übrigen Kräften darstellen und offenbaren konnte.« Um dies einzusehn, bemerken wir, wie jede dieser Kräfte in der Welt wirke. Nicht wahr, Philolaus, sie wirkt organisch?

PHILOLAUS. Mir ist keine Kraft bekannt, die außer Körpern, d.i. ohne Organe sich erweise; ob mir wohl ebenso unbekannt ist, wie diese Kräfte und diese Organe sich zusammengefunden haben.

THEOPHRON. Wol durch ihre beiderseitige Natur, Philolaus; im zusammenhangenden Reich der vollkommensten Macht und Weisheit konnten sie nicht anders. Denn was nennen wir Körper? was nennen wir Organe? Im menschlichen Körper z.B. ist nichts unbelebt: von der Spitze des Haars bis zum Aeußersten Ihres Nagels ist Alles von einer erhaltenden, nährenden Kraft durchdrungen, und sobald diese das kleinste Glied verläßt, stirbt es ab und trennt sich vom lebenden Leibe. Sodann, dem Gebiet der lebendigen Kräfte unsrer Menschheit entnommen, ist's im Reich andrer Naturkräfte; dem entfällt es nie. Das verwelkte Haar, [112] der verworfne Nagel tritt jetzt in eine andre Region des Zusammenhanges der Welt, in welchem er abermals nicht anders als seiner jetzigen Naturstellung nachwirkt oder leidet. Gehen Sie die Wunder durch, die uns die Physiologie des menschlichen oder irgend eines thierischen Körpers herzählt: Sie sehen nicht alsein Reich lebendiger Kräfte, deren jede, an ihre Stelle gesetzt, Zusammenhang, Gestalt, Leben des Ganzen durch Wirkungen hervorbringt, deren jede aus der Natur ihres und des Wesens folgt, dem sie angehört. So bildete, so erhält sich der Körper; so löst er sich täglich, so löst er sich endlich gar auf. Was wir Materie nennen, ist also mehr oder minder selbst belebt; es ist ein Reich wirkender Kräfte, die nicht nur unsern Sinnen in der Erscheinung, sondern ihrer Natur und ihrer Verbindung nach ein Ganzes bilden. Eine Kraft herrscht (sonst wäre es kein Eins, kein Ganzes); mehrere auf den verschiedensten Stufen dienen. Alle diese Verschiedenheiten aber, deren jede aufs Vollkommenste bestimmt ist, haben was gemeinschaftlich Thätiges, in einander Wirkendes; sonst könnten sie kein Eins, kein Ganzes bilden. Da nun im Reich der vollkommensten Macht und Weisheit Alles aufs Weiseste zusammenhängt, da in ihm nichts sich anders als nach inwohnenden nothwendigen Gesetzen der Dinge zusammenfügen, helfen und bilden kann: so sehen wir auch allenthalben in der Natur unzählige Organisationen, deren jede in ihrer Art nicht nur weise, gut und schön, sondern ein Vollkommnes, d.i. ein Abdruck der Weisheit, Güte und Schönheit selbst ist, wie solche sich in diesem Zusammenhange sichtbar machen konnte. Nirgend in der Welt also, in keinem Blatt eines Baums, in keinem Sandkorn, in keinem Fäserchen unsers Körpers herrscht Willkür; Alles ist von Kräften, die in jedem Punkt der Schöpfung nach der vollkommensten Weisheit und Güte wirken, bestimmt, gesetzt, geordnet. Gehen Sie, mein Freund, die Geschichte der Mißgeburten, der Verwahrlosungen und Ungeheuer durch, da durch fremde Ursachen die Gesetze dieser einzelnen organischen Natur in Unordnung gesetzt zu sein scheinen: die Gesetze der allgemeinen Natur kamen nie in Unordnung, jede Kraft wirkte ihrer Natur getreu, selbst da eine andre sie störte; denn auch diese Störung selbst konnte nichts Anders bewirken, als daß die gestörte organische Kraft auf anderm Wege sich zu compensiren suchte. Man hat über diese Compensationen in [113] einem System gestörter Kräfte eine Reihe Bemerkungen gemacht, von denen wir uns zu einer andern Zeit unterhalten können; allenthalben aber, auch im scheinbar verworrenen Chaos waltet die beständige Natur nach unwandelbaren Regeln einer in jeder Kraft wirkenden Nothwendigkeit, Güte, Weisheit.

PHILOLAUS. Mit Freude, Theophron, sehe ich den dunkeln Begriff der Materie sich mir aufhellen und ordnen; denn ob ich gleich dem System des Leibniz gern beitrat, daß sie nichts als eine Erscheinung unsrer Sinne, ein Aggregat substanzieller Einheiten sei, so bleib mir doch in diesem System die sogenannte »idealische Verbindung dieser Substanzen zu solcher und keiner andern Erscheinung eines Ganzen« ein Räthsel. Leibniz verglich die Materie mit einer Wolke, die aus Regentropfen besteht und uns Wolke scheint, mit einem Garten voll Pflanzen und Bäume, mit einem Teich voll Fische u. dergl.; dadurch aber konnte ich mir das Bestehen dieser Erscheinung, den Zusammenhang dieser Kräfte in ihr nicht erklären. Die Regentropfen in der Wolke, die Pflanzen im Garten, die Fische im Wasser haben ein Medium der Verbindung; und welches könnte bei diesen die Materie ausmachenden Kräften ein solches Medium sein als die Kräfte der sogenannten Substanzen selbst, mit denen sie auf einander wirken? Dadurch also bilden sich Organe; denn auch das Organ ist ein System von Kräften, die in inniger Verbindung einer herrschenden dienen. Jetzt wird mir die Materie nicht blos eine Erscheinung in meiner Idee, d.i. ein durch Ideen vorstellender Geschöpfe allein verbundenes Ganzes; sie ist's durch ihre Natur und Wahrheit, durch den innigen Zusammenhang wirkender Kräfte. Nichts steht in der Natur allein; nichts ist ohne Ursache, nichts ohne Wirkung; und da Alles in Verbindung und alles Mögliche da ist, so ist auch nichts in der Natur ohne Organisation, jede Kraft steht in Verbindung mit andern ihr dienenden oder über sie herrschenden Kräften. Wenn meine Seele also eine substanzielle Kraft ist und ihr jetziges Reich der Wirkung zerstört wird, so kann es ihr in einer Schöpfung, in welcher keine Lücke, kein Sprung, keine Insel stattfindet, an einem neuem Organ nie fehlen. Neue dienende Kräfte werden ihr beistehen und in ihrem neuen Zusammenhange mit einer Welt, in welcher Alles zusammenhangt, ihren Wirkungskreis bilden.

THEOPHRON. Um so mehr, Philolaus, ist's unsre Pflicht, zu schaffen, daß sie in ihrem Innern, im System ihrer Kräfte selbst wohlgeordnet von dannen gehe; denn nur, wie sie ist, kann sie [114] wirken; nur nach der Gestalt ihrer innern Kräfte kann ihre äußere Gestalt erscheinen. Unser Körper ist nicht etwa nur ein Werkzeug, er ist ein Spiegel der Seele, jede Organisation ein äußerer Abdruck inniger Bestrebungen, die ihrer Erscheinung Bestand geben.

PHILOLAUS. Ich erinnere mich hiebei mancher schönen Bemerkungen des Spinoza, die er über die Verbindungen des Leibes und der Seele gemacht hat. Denn ob er beide gleich, dem Cartesischen System zufolge, unabhängig von einander, wie den Gedanken und die Ausdehnung betrachten mußte, so konnte es doch nicht fehlen, daß ein scharfsinniger Geist wie er über das Cartesische System auch hier hinausdachte. Indem er den Begriff vom Leibe zur wesentlichen Form der menschlichen Seele macht, schließt er daraus auf die Beschaffenheit, auf die Veränderungen, die Vollkommenheit und Unvollkommenheit dieses Begriffs vortrefflich. Es ließe sich aus seinen Grundsätzen eine Physiognomik entwerfen, die das gewöhnliche Chaos unsrer physiognomischen Träume sehr ordnete und auf eine bestimmte Wahrheit zurückführte. Insonderheit war es mir angenehm, daß er auf die Lebensweise, d.i. auf die Veränderungen in der Beschaffenheit des Körpers so viel hält und die Gedankenweise, d.i. die Form des Begriffs der Seele mit ihr ganz homogen betrachtet. Aus dem Umriß eines Beins oder Knochens leitet er nicht die wandelbarsten, feinsten Triebfedern der Seele, ihrer Fähigkeiten und ihres Charakters her, ob es wol Niemand leugnen wird, daß auch jeder kleine Umriß des Körpers zur Analogie des Ganzen gehöre. – Sie schweigen, Theano?

THEANO. Ihr Gespräch ist mir sehr lieb, meine Freunde; weil Sie mich doch aber einmal dazu bestellt haben, Sie, wenn Sie Sich verirren, wieder an den Weg zu erinnern, so wollte ich, Sie ließen die Physiognomik und kehrt zu Ihrer allgemeine Betrachtung zurück. Mir, die ich immer nur mit dem Wenigsten zufrieden bin, ist's gnug, daß jede Organisation die Erscheinung eines Systems innerer, lebendiger Kräfte sei, die nach Gesetzen der Weisheit und Güte eine Art kleiner Welt, ein Ganzes bilden. Ich wünschte, daß ich den Geist der Rose zu meiner Arbeit zaubern könnte, daß er mir sagte, wie er ihre schöne Gestalt gebildet habe, oder da auch sie nur eine Tochter des Rosenbusches ist, daß mir die Dryade desselben es erklärte, wie sie von der Wurzel aus bis [115] zum kleinstem Zweige ihr Bäumchen belebe. Als Kind schon bin ich oft vor einem Baum, einer Blume stille gestanden und habe die sonderbare Harmonie angestaunt, die sich in jedem lebendigen Geschöpf von unten zu bis oben aus zeigt; ich verglich mehrere derselben und habe mit Vergleichung und Musterung der Blätter, der Zweige, der Blüthen, der Stämme, des ganzen Wuchses der Bäume und Pflanzen manche müssige Stunden verträumt. Die Begierde, solche eigenthümliche schöne Gestalten lebendig nachzuzeichnen, schärfte meine Aufmerksamkeit, und oft kam ich in ein so vertrauliches Gespräch mit der Blume, dem Baum, der Pflanze, daß ich glaubte, ihr ergriffenes Wesen müßte in meine kleine Schöpfung wandern. Aber vergebens; diese blieb ein todtes Nachbild, und jenes schöne vergängliche Geschöpf stand da mit aller Fülle stiller Selbstgnügsamkeit und eines gleichsam in und für sich selbst vollendeten Daseins. Ueber diese Materie reden Sie mehr und helfen meiner stammelnden Natursprache!

THEOPHRON. Liebe Theano, die wird nun wol immer eine Stammlerin bleiben. Ins innere Wesen der Dinge hineinzuschauen, haben wir keine Sinne; wir stehen von außen und bemerken. Mit je scharfsinnigerm, stillerem Blick wir dies thun, desto mehr offenbart sich uns die lebendige Harmonie der Natur, in der jede Organisation das vollkommenste Eins und doch Jedes mit Jedem in ihr so vielfach und mannichfaltig verwebt ist. Die Kunst schleicht dieser Beobachtung de Natur nach; die neuere aufmerksamere Naturlehre ist ihre Schwester. Sie beobachtet in jedem Dinge, was es sei, wie es sich gestalte, wie es leide und wirke, und hat über Pflanzen, Bäume, Mineralien, Thiere u.s.w., über ihre Entstehung, ihr Wachsthum, ihre Verwandlung, über Krankheiten, Tod und Leben derselben Schätze von Erfahrungen gesammelt, die uns bei jedem einzelnen Gegenstande eine Welt von selbstbestehender Harmonie, Güte und Weisheit zeigen. Hievon ist aber jetzt nicht zu reden; man wird dies Alles in schönen Frühlings- und Sommermorgen lieber sehen wollen, als jetzt im dunkeln Abendgespräch davon hören. Worauf ich Sie aufmerksam machen möchte, sind die einfachen Gesetze, nach welchen alle lebendigen Kräfte der Natur ihre tausendfältige Organisationen bewirken; denn Alles, was die höchste Weisheit thut, muß höchst einfach sein. Die Gesetze nämlich scheinen mir in drei Worten zu liegen, die im Grunde alle wieder nur ein lebendiger Begriff sind

[116]
1. Beharrung, d.i. innerer Bestand jeglichen Wesens.
2. Vereinigung mit Gleichartigem und vom Entgegengesetzten Scheidungen.
3. Verähnlichung mit sich und Abdruck seines Wesens in einem andern.

Wollen Sie mich darüber (damit ich Ihnen Ausdruck brauche, Theano) auch stammeln hören, so steht Ihnen meine Rede zu Dienst. Wir wenigstens, Philolaus, setzen unsern Gesprächen über Spinoza damit den Kranz auf; denn Sie wissen, daß er selbst, obwohl in seiner eigenthümlichen Sprache, die Moral auf ähnliche Begriffe baut.

Zuerst also. Jedes Wesen ist, was es ist, und hat vom Nichts weder einen Begriff noch zu ihm Sehn sucht. Alle Vollkommenheit eines Dinges ist seineWirklichkeit; das Gefühl dieser Wirklichkeit ist der einwohnende Lohn seines Daseins, seine innige Freude. In der sogenannten moralischen Welt, die auch eine Naturwelt ist, hat Spinoza alle Leidenschaften und Bestrebungen der Menschen auf diese innere Liebe zum Dasein und zur Beharrung in demselben zurückzuführen gesucht; in der physischen Welt hat man den Erscheinungen, die aus diesem Naturgesetz folgen, mancherlei zum Theil unwürdige Namen gegeben. Bald heißt es die Kraft der Thätigkeit, da jedes Ding bleibt, was es ist, und ohne Ursache sich nicht verändert; bald heißt es, wiewol in einem andern Betracht, die Kraft der Schwere, nach welchem jedes Ding seinen Schwerpunkt hat, worauf es ruht. Trägheit und Schwere sind ebensowol als ihre Gegnerin, die Bewegung, nur Erscheinungen, da Raum und Körper selbst nur Erscheinungen sind; das Wahre, Wesentliche in ihnen ist Beharrung, Fortsetzung seines Daseins, aus welchem es sich selbst nicht stören kann noch mag. Daß jedes Ding nun nach einem Zustande der Beharrung strebe, zeigt selbst seine Gestalt an, und Sie werden, liebe Theano, als eine Naturzeichnerin sich in der Form der Dinge Manches erklären können, wenn Sie darauf merken. Wir wollen das leichteste Beispiel aus dem System der Dinge neh men, die mit der größten Gleichartigkeit die leichteste Beweglichkeit verknüpfen und sich also gleichsam eine Gestalt wählen können. Wir nennen dies flüssige Dinge. Wolan! alle flüssigen Dinge, deren Theile gleichartig zu einander ohne Hinderniß wirken, welche Gestalt nehmen sie an?

[117] PHILOLAUS. Die Gestalt eines Tropfens.

THEOPHRON. Warum eines Tropfens? Sollen wir etwa ein Tropfen bildendes Principium in der Natur annehmen, das diese Gestalt willkürlich liebe? und die Regel festsetzen: »Alles in der Natur ballt sich durch eine verborgne Qualität«?

PHILOLAUS. Mit nichten! Der Tropfe ist eine Kugel; in einer Kugel treten um einen Mittelpunkt alle Theile gleichartig in Harmonie und Ordnung. Die Kugel ruht auf sich selbst; ihr Schwerpunkt ist in der Mitte; ihre Gestalt ist also der einfachste Beharrungszustand gleichartiger Wesen, die um diesen Mittelpunkt in Verbindung treten und mit gleichen Kräften einander das Gegengewicht leisten. Nach nothwendigen Gesetzen der Harmonie und Ordnung wird also eine Welt im Tropfen.

THEOPHRON. Mithin, lieber Philolaus, haben Sie in dem Gesetz, darnach sich der Tropfe bildet, zugleich die Regel, nach welcher sich unsre Erde, die Sonne und alle Himmelssysteme bildeten. Denn auch unsre Erde ging einst als Tropfe hervor oder sammelte sich zum Tropfen. So die Sonne und jenes ganze System, in dem sie mit anziehender Gewalt herrscht. Alles senkt sich in Radien herab und wird nur durch andre Kräfte im Umlauf erhalten; so bilden sich Planeten und Planetenbahnen, Sonnen und Sonnenbahnen, Systeme von Sonnen, Milchstraßen, Nebelsterne. Allesammt lichte Tropfen aus dem Meer der Kräfte, die nach einwohnenden ewigen Gesetzen der Harmonie und Ordnung in ihrer Gestalt und in ihrem Lauf ihren Beharrungszustand suchten und fanden. Nicht anders als in ihrer Gestalt, in ihrer Bahn, dem Product entgegenstrebender Kräfte (sei diese Kreis oder Ellipse, Parabel oder Epicykloide), konnten sie ihn finden; nicht aus Willkür, sondern nach innern gleichartig wirkenden Gesetzen selbst, die sich in der Kugelgestalt wie in der Ellipse, in der Sphäroidenbewegung wie in der Parabel offenbaren. Die [118] kleine Thräne, Theano, die Sie des Morgens im Kelch einer Rose finden, zeigt Ihnen das Gesetz, nach welchem sich Erde, Sonnen und alle Sonnen, ja alle Weltsysteme bildeten und bestehend erhalten. Denn wenn wir unsere Phantasie den ungeheuern Flug verstatten, sich das Weltall zu denken, so wird kein Riese daraus, der sich streckt und sträubt, sondern mit allen Epicykloiden aller Sonnensysteme eine Kugel, die auf sich selbst ruht.

THEANO. Eine unermeßliche Aussicht! Kommen Sie zu unsrer Erde oder wenigstens zu unserm Sonnensystem zurück; ich ermatte im Fluge. Sie sprachen von einem zweiten Naturgesetz, daß sich alles Gleichartige vereine und das Entgegengesetzte scheide; wollen Sie nicht davon Beispiele geben?

THEOPHRON. Ich dächte, wir bleiben bei unserm flüssigen Tropfen. Sie kennen, Theano, den Stein des Hasses und der Liebe in der Naturwelt?

THEANO. Den Magnet, meinen Sie.

THEOPHRON. Ihn selbst, und seine zwei Pole und deren freundliche oder feindliche Wirkung.

THEANO. Auch daß es einen Punkt der größten Liebe und einen Punkt der völligen Gleichgiltigkeit auf seiner Achse gebe, ist mir bekannt.

THEOPHRON. Sehen Sie also diesen Stein als einen Tropfen an, in den sich die magnetische Kraft so gleichartig und regelmäßig vertheilt hat, daß ihre entgegenstehenden Enden den Nord- und Südpol machten. Einer kann ohne den andern nicht sein. –

THEANO. Und wenn man sie verändert, verändert man beide.

THEOPHRON. Sie haben also am Magnet ein Bild von dem, was Haß und Liebe in der Schöpfung sei; bei jedem System von Wirksamkeit muß sich daß Nämliche finden.

[119] PHILOLAUS. Und dies Nämliche ist –?

THEOPHRON. Daß, wo ein System von vielartigen Kräften eine Achse gewinnt, sie sich um dieselbe und um ihren Mittelpunkt so lagern, daß jedes Gleichartige zum gleichartigen Pol fließt und sich von demselben durch alle Grade der Zunahme bis zur Culmination, sodann durch den Punkt der Gleichgiltigkeit bis zum entgegengesetzten Pol nach festen Gesetzen ordne. Jede Kugel würde auf diese Weise eine Zusammensetzung zweier Hälften mit entgegengesetzten Polen; so jede Ellipse mit ihren Brennpunkten u.s.w.: die Gesetze dieser Construction lägen nach festen Regeln in den Wirkungskräften des Systems selbst, das sich also bildete. So wenig es bei einer Kugel einen Nordpol ohne einen Südpol geben kann, so wenig kann es bei jedem System von Kräften, das sich regelmäßig bildet, eine Gestalt geben, in der sich nicht ebensowol das Freundschaftliche und Feindschaftliche trennt, mithin eben durch das Gegengewicht, das beide einander nach ab- und zunehmenden Graden des Zusammenhanges leisten, ein Ganzes bildet. Wahrscheinlich gäbe es kein System elektrischer Kräfte, wenn es nicht zwei einander entgegengesetzte Elektricitäten gäbe; ein gleiches ist's mit der Wärme und Kälte, ein Gleiches mit dem Cyklus der Farben und jedem System von Erscheinungen, die nur durch das Mannichfaltige Einheit und durch das Entgegengesetzte Zusammenhang erhalten können. Die bemerkende Naturlehre, die nicht eben alt ist, wird in diesem Allen gewiß einmal so weit reichen, daß durch eine Reihe von Analogien jede blinde Willkür aus der physischen Welt verbannt sein wird, bei welcher Willkür Alles auseinanderfiele und im Grunde alle Gesetzte der Natur aufhörten. Denn, meine Freunde, wirkt der Magnet, die elektrische Kraft, das Licht, die Wärme und Kälte, die Anziehung, die Schwere u.s.w. willkürlich; ist das Dreieck willkürlich ein Dreieck, der Zirkel willkürlich ein Zirkel: so mögen wir nur alle Bemerkungen der Physik und Mathematik für Unsinn erklären und auf Offenbarungen dieser getroffenen Willkür warten. [120] Ist's aber gewiß, daß wir schon bei so vielen Kräften mathematisch genaue Naturgesetze gefunden haben, wer wollte die Grenze setzen, wo sie nicht mehr zu finden seien, wo ein blinder Wille anhübe? In der Schöpfung ist Alles Zusammenhang, Alles Ordnung; findet also irgendwo nur ein Naturgesetz in ihr statt, so müssen allenthalben Naturgesetze walten, oder die Schöpfung wird ein Chaos und stäubt aus einander.

THEANO. Sie entfernen Sich vom Gesetz des Hasses und der Liebe, Theophron, wo nach Ihnen System Eins ohne das Andre nicht sein kann.

THEOPHRON. Weil Alles in der Welt da ist, was da sein muß, d.i. was zu ihrem System gehört, so muß auch das Entgegengesetzte da sein, und ein Gesetz der höchsten Weisheit muß eben aus diesen Entgegengesetzten, aus dem Nord- und Südpol allenthalben das System bilden. In jedem Kreise der Natur ist die Tafel der zweiunddreißig Winde, in jedem Sonnenstrahl der ganze Farbenumkreis; es kommt nur darauf an, welcher Wind jetzt und dann wehe, welche Farbe hie oder da erscheine. Sobald aus dem Flüssigen das Feste hervortritt, krystallisirt und bildet es sich nach den innern Gesetzen, die in diesem System organisirender Kräfte lagen. Alles zieht an oder stößt zurück oder bleibt gleichgiltig gegen einander; die Achse dieser wirkenden Thätigkeiten geht zusammenhangend durch alle Grade. Der Chemiker veranstaltet nichts als Verbindungen und Trennungen; die Natur zeigt allenthalben Verwandtschaften, Freundschaften, Feindschaften auf die reichste, innigste Weise. In ihr sucht und findet sich, was sich einander liebt; daher die Naturlehre selbst nicht umhin gekonnt hat, eine Wahlanziehung bei den Verbindungen der Körper anzunehmen; was einander entgegengesetzt ist, entfernt sich von einander und kommt nur durch den Punkt der Gleichgiltigkeit zusammen. Oft wechseln die Kräfte rasch, ganze Systeme verhalten sich wie die einzelnen Kräfte de Systems zu einander: Haß kann Liebe, Liebe kann Haß werden; Alles aus einem und demselben Grunde, da jedes System nämlich in sich selbst Beharrung sucht und darnach seine Kräfte ordnet. Die Kräfte dieser Systeme können sehr verschieden [121] von einander sein und doch nach einerlei Gesetzen wirken, weil in der Natur zuletzt Alles zusammenhangt und nur ein Hauptgesetz sein kann, nach welchem sich auch das Verschiedenste ordnet.

THEANO. Nach unsrer Vorstellungsart kommt, dünkt mich das Gesetz der Beharrung, des Hasses und der Liebe diesem Hauptgesetz nah; denn ohngeachtet aller zahllosen Verschiedenheiten und entgegengesetzten Erscheinungen in der Natur erscheint allenthalben. Ich möchte einige Augenblicke ein höherer Geist sein, um diese große Werkstätte in ihrem Innern zu betrachten.

THEOPHRON. Warum ein höherer Geist, Theano? Hat es der Zuschauer von außen nicht angenehmer als ein Zuschauer von innen, der doch auch nie das Ganze übersehen konnte? Steht der Zuschauer vor dem Schauplatz nicht bequemer, als der in der Coulisse lauscht? Nach Wahrheit forschen, reizt; Wahrheit haben, macht vielleicht satt und träge. Der Natur nachzugehen, ihre hohen Gesetze zu ahnen, zu bemerken, zu prüfen, sich darüber zu vergewissern, jetzt sie tausendfach bestätigt zu finden und neu anzuwenden, allenthalben endlich dieselben weise Regel, dieselbe heilige Nothwendigkeit wahrzunehmen, lieb zu gewinnen, sich selbstanzubilden; das macht den Werth eines Menschenlebens. Denn, Theano, sind wir blos Zuschauer? sind wir nicht selbst Schauspieler, Mitwirker der Natur und ihre Nachahmer? Herrschen im Reich der Menschen nicht auch Haß und Liebe? und sind beide zu Bildung des Ganzen nicht gleich nothwendig? Wer nicht hassen kann, kann auch nicht lieben; nur er muß recht hassen und recht lieben lernen. Es giebt auch einen Punkt der Gleichgiltigkeit unter den Menschen; dies ist gottlob aber in der ganzen magnetischen Achse nur ein Punkt.

PHILOLAUS. Jetzt muß ich Sie erinnern, Theophron, daß Sie uns noch Ihr drittes Stück des großen Naturgesetzes schuldig sind, nämlich, »wie sich die Wesen einander verähnlichen und in Abdrücken ihrer Art eine fotwährende Reihe bilden«.

[122] THEOPHRON. Das heiligste und gewiß göttliche Gesetz. Alles was sich liebt, verähnlicht sich einander; wie zwei Farben zusammenstrahlen, daß eine mittlere dritte werde, so werden auf eine wunderbare Weise schon durch das theilnehmende Beisammensein menschliche Gemüter, ja sogar Geberden und Gesichtszüge, die feinsten Uebergänge der Denkart und Handlungsweise einander ähnlich. Schwärmerei, Wahnsinn, Furcht, alle Affecten sind ansteckende Uebel; nicht durch das, was in ihnen Uebel oder ein Nichts ist, sind sie so mächtig, sondern durch die Stärke ihrer wirkenden Kräfte; wie dann sollte sich nicht die Wirkung regelmäßiger Kräfte, d.i. Ordnung, Harmonie, Schönheit mit viel wesentlicherer Macht auf Andere erstrecken und sich ihnen mittheilen? Nur dadurch sahen wir Organisationen werden, daß stärkere Kräfte die schwächern in ihr Reich ziehen und nach eingepflanzten Regeln einer in sich nothwendigen Güte und Wahrheit sie zu einer Gestalt bilden. Alles Gute theilt sich mit; es hat die Natur Gottes, der sich nicht anders als mittheilen konnte; es hat auch seine unfehlbare Wirkung. Die Regeln der Schönheit z.B. drängen sich uns auf, sie strahlen uns an; unvermerkt gehen sie in uns über; eben dies ist das Geheimniß der überall zusammenhangend wirkenden, in sich selbst bestehenden Schöpfung. Das freundschaftliche Beisammensein menschlicher Gemüther verähnlicht sie einander ohne Gewalt, ohne Worte. Jener idealische Einfluß, den Leibniz bei seinen Monaden annahm, ist das ebenso mächtige als geheime Band der Schöpfung, das wir bei allen empfindenden, denkenden, handelnden Wesen unwidertreiblich und unzerstörbar bemerken. Verzweifle Niemand an der Wirkung seines Daseins; je mehr Ordnung in demselben ist, je gleichförmiger den Gesetzen der Natur er handelt, desto unfehlbarer ist seine Wirkung. Er wirkt wie Gott, in Gott; er kann nicht anders als ein Chaos [123] um sich her ordnen, Finsterniß vertreiben, damit Licht werde; feiner schönen Gestalt verähnlicht er Alles, was mit ihm ist, selbst mehr oder minder was streitend ihm entgegenfährt, sobald er durch Güte und Wahrheit überwindet 72

THEANO. Erquickende Wahrheit, Theophron! Schon dadurch zeigt sie ihr himmlisches Siegel, daß sie unserm Herzen zuspricht und tausend Erfahrungen meines Lebens in mir aufruft. Es liegt eine unnennbare Kraft im Dasein eines Menschen, ich meine, wie sein handelndes Beispiel wirkt. Das innigste, stillste Gute in mir ist auf diese Weise mein worden; ohne Geräusch der Worte ging es in mich über. Auch deswegen ist mir Ihre Gedankenweise lieb, Theophron, da sie mir allenthalben dies Dasein, diese Wirklichkeit und in ihr den Allwirksamen gegenwärtig macht, der durch das Dasein seiner Geschöpfe selbst in wesentlichen Regeln der Harmonie und Schönheit fortgehend, still und tief auf uns wirkt. Jetzt sehe ich's, wie Alles Gott ähnlich werden soll, ja, wenn ich so sagen darf, ihm ähnlich werden muß, was in seinem Reich lebt. Seine Gesetze, seine Gedanken und Wirkungen drängen sich uns auch wider unsern Willen in tausend und abermal tausend Erweisen seiner Ordnung, Güte und Schönheit als unwandelbare Regeln auf; wer nicht folgen will, muß folgen; denn Alles zieht ihn, er kann der allgewaltigen Kette nicht entweichen. Wohl Dem, der willig folgt: er hat den süßen täuschenden Lohn in sich, daß er sich selbst bildete, obwohl ihn Gott unablässig bildet. Indem er mit Vernunft gehorcht und mit Liebe dient, so prägt sich ihm aus allen Geschöpfen und Begebenheiten das Gepräge der Gottheit auf: er wird vernünftig, gütig, geordnet, glücklich; er wird Gott ähnlich. – Aber lassen Sie uns zur Haushaltung der Natur zurückkehren! Ist nicht ein Zwang[124] darin, daß eine Kraft die andere überwältigt, sie an sich zieht, zu sich zwingt und mit sich einigt? Wenn ich bemerke, daß alles Leben der Geschöpfe auf der Zerstörung andrer Gattungen ruht, daß der Mensch von Thieren, Thiere von einander oder auch nur von Pflanzen und Früchten leben, so sehe ich freilich Organisationen, die sich bilden aber die zugleich andre zerstören, d.i. Mord und Tod in der Schöpfung. Ist nicht ein Gräschen, eine Blume, eine Frucht des Baumes, endlich ein Thier, das dem andern zur Speise wird, eine so schöne Organisation, als die Organisation Dessen ist, der es zerstörend in sich verwandelt? Verjagen Sie diese Wolke, Theophron; sie zieht sich mir wie ein Schleier vors Angesicht der Sonne, die mir aus jedem Geschöpf strahlte.

THEOPHRON. Sie wird fliehen, Theano, wenn Sie bemerken, daß ohne diesen scheinbaren Tod in der Schöpfung Alles wahrer Tod, d.i. eine träge Ruhe, ein ödes Schattenreich wäre in welchem alles wirksame Dasein erstürbe. Eben jetzt sprachen Sie wie eine Schülerin des Plato; haben Sie in Ihrem Lehrer nicht gefunden, daß in dem Veränderlichen Alles Veränderung, daß auf dem Flügel der Zeit Alles Fortgang, Eile, Wanderung sei? Hemmen Sie ein Rad in der Schöpfung, und alle Räder stehen stille; lassen Sie einen Punkt dessen, was wir Materie nennen, träge und todt sein, so ist Tod allenthalben.

PHILOLAUS. Ich erinnere mich hiebei so manches unphilosophischen Wahnes, daß es z.B. Atomen, absolut harter Körper und dergleichen in der Natur gebe. Giebt es solche, so wird an ihnen alle Bewegung zu Schanden; ein unendlich kleiner Atom hemmte die Räder der ganzen Schöpfung.

THEOPHRON. Wolan als, wenn es keine absolute Ruhe, keine völlige Undurchdringlichkeit, Härte, Träge geben kann, die ein Alles entkräftendes Nichts, mithin ein Widerspruch wäre, so müssen wir uns schon, meine Freunde, mit unsern Gedanken auf den Strom des Plato wagen, wo alles Veränderliche eine Welle, wo alles Zeitliche ein Traum ist. Erschrecken Sie nicht, Theano; fürchten Sie nicht: es ist sie Welle eines Stromes, der selbst ganz [125] Dasein ist, der Traum einer selbstständigen, wesentlichen Wahrheit. Der Ewige, der in Erscheinungen der Zeit, der Untheilbare, der in Gestalten des Raumes sichtbar werden wollte, konnte nicht anders als jeder Gestalt das kürzeste und zugleich das längste Dasein geben, das nach dem Bilde des Raums und der Zeit ihre Erscheinung fordert. Alles, was erscheint, muß verschwinden; es verschwindet, sobald es kann, es bleibt aber auch, so lange es kann; hier wie allenthalben fallen die beiden Extreme zusammen und sind eigentlich eins und dasselbe. Jedes beschränkte Wesen bringt als Erscheinung den Keim der Zerstörung schon mit sich: mit unaufhaltbarem Schritt eilt es zur größten Höhe hinauf, damit es hinuntereile und unsern Sinnen verschwinde. Bemerken Sie die Linie, die ich hier zeichne!

THEANO. Traurige Bemerkung!

THEOPHRON. Sehen Sie die Blume an, wie sie zu ihrer Blüthe eilt! Sie zieht den Saft, die Luft, das Licht, alle Elemente an sich und arbeitet sie aus, damit sie wachse, Lebenssaft bereite und eine Blüthe zeige; die Blüthe ist da, und sie verschwindet. Sie hat alle ihre Kraft, ihre Liebe und ihr Leben daran gewandt, damit sie Mutter werde, damit sie Bilder ihrer selbst zurücklasse und ihr kräftiges Dasein vermehrend fortpflanze. Nun ist auch ihre Erscheinung hin: sie hat solche im rastlosen Dienst der Natur verzehrt, und man kann sagen, daß sie vom Anfange ihres Lebens an auf ihre Zerstörung gearbeitet habe. Was aber ist ihr zerstört als eine Erscheinung, die sich nicht länger halten konnte? die, da sie dem höchsten Punkt unsrer Linie erreicht hatte, in welchem das Maximum ihrer Bestimmung, die Gestalt und das Maß ihrer Schönheit lag, wider hinabwärts eilte? Dies that sie nicht etwa (welches ein trauriges Bild wäre), jüngern lebendigen Erscheinungen als eine jetzt todte Platz zu machen; als eine lebendige vielmehr brachte sie mit aller Freude des Daseins das Dasein derselben hervor und überließ es in dauernden Keimen dem fortblühenden Garten der Zeit, in welchem auch sie blühte. Denn sie selbst ist mit dieser Erscheinung nicht gestorben, so lange die Kraft ihre Wurzel fortdauert; aus ihrem Winterschlaf wird sie wieder erwachen und aufstehen in neuer Frühlings- und Jugendschöne, die Töchter ihres Daseins, jetzt ihre Freundinnen und [126] Schwestern, an ihrer jungfräulichen Seite. Es ist also kein Tod in der Schöpfung; er ist ein Hinwegeilen dessen, was nicht bleiben kann, die Wirkung einer ewig jungen, rastlosen, dauernden Kraft, die ihrer Natur nach keinen Augenblick müssig sein, stille stehen, unthätig bleiben konnte. Immer und immer arbeitet sie auf die reichste, schönste Weise zu ihrem und zu so viel Anderer Dasein, als sie Dasein hervorzubringen, mitzutheilen vermochte. In einer Welt, wo sich Alles verwandelt, ist jede Kraft in ewiger Wirkung, mithin in fortgesetzter Verwandlung ihrer Organe; diese Verwandlung selbst ist eben der Ausdruck ihrer unzerstörbaren Wirksamkeit voll Weisheit, Güte und Schönheit. So lange die Blume lebte, arbeitete sie zu ihrem eigenen Flor wie zur Vervielfältigung ihres Daseins; sie ward (das Höchste, was ein Geschöpf werden kann) eine Schöpferin durch eigne organische Kräfte. Als sie starb, entzog sich der Welt eine verlebte Erscheinung; die innere lebendige Kraft, die sie hervorbrachte, zieht sich in sich selbst zurück, um sich abermals in junger Schönheit der Welt zu zeigen. Können Sie Sich ein schöneres Gesetz wesentlicher Weisheit und Güte in dem, was Veränderung heißt, gedenken Theano, als daß sich Alles zum neuen Leben, zu neuer Jugendkraft und Schönheit im raschesten Lauf drängt und daher jeden Augenblick verwandelt?

THEANO. Ich sehe einen schönen Schimmer, Theophron; aber die Morgenröthe sehe ich noch nicht.

THEOPHRON. Gedenken Sie Sich nun alle Naturkräfte in dieser rastlosen Arbeit, in Eile zur Verwandlung auf dem Flügel der Zeit. Was scheint uns geringer als ein Blatt? Und kein Theilchen eines Blattes darf einen Augenblick müssig sein: es zieht an, es stößt hinweg (dazu hat es seine zwei so verschieden gebildeten Seiten); immer und immer wechseln die Theile seines organischen Kleides, bis es fällt und auflöst. Leben ist also Bewegung, [127] Wirkung, Wirkung einer innigen Kraft mit dem Genuß und Bestreben einer Beharrung verbunden. Und da im Reich der Veränderung nichts unverändert bleiben kann, und doch Alles sein Dasein erhalten will und muß, so ist Alles in einer ewigen Palingenesie, damit es immer daure und immer jung erscheine.

THEANO. Ob diese Verwandlung aber auch Fortrückung wäre?

THEOPHRON. Gesetzt, sie wäre dies nicht, sie wäre aber das einzige Mittel, dem Tode und einem ewigen Tode zu entgehen, d.i. sie erhielte unsre lebendige Kraft im fortdauernden Wirken, in innig gefühltem Dasein, so wäre sie schon eine so wünschenswerthe Wohlthat, als ein ewiges Leben vor einem ewigen Tode wünschenswerth ist. Nun aber, Theano, können Sie Sich wol ein fortgesetztes Leben, eine immerhin fortwirkende Kraft ohne Fortwirkung, d.i. einen Fortgang ohne Fortgang denken?

THEANO. Es scheint ein Widerspruch.

THEOPHRON. Und ist einer. Zwar muß jede Kraft, die im Raum und in der Zeit Erscheinungen annimmt, die Schranken behalten, die ihr Raum und Zeit geben; mit jedem Wirken aber macht sie ihr folgendes Wirken leichter, und da sie dies nicht anders als nach eingepflanzten innern Regeln der Harmonie, Weisheit und Güte thun kann, die sich jedem Geschöpf liebreich aufdringt, einprägt und ihm bei jeder seiner Wirkungen beisteht, so sehen Sie allenthalben ein Fortrücken aus dem Chaos zur Ordnung, d.i. eine innige Vermehrung und Verschönerung der Kräfte in neu erweiterten Schranken nach immer mehr beobachteten Regeln der Harmonie und Ordnung. Jeder blinden Kraft dringt sich Licht, jeder regellosen Macht Vernunft und Güte auf; keine ihrer Uebungen, keine Wirkung in der Schöpfung war vergebens. Es muß also Fortgang sein im Reiche Gottes, da in ihm kein Stillstand, noch weniger ein Rückgang sein kann.

[128] THEANO. Aber die Gestalt des Todes!

THEOPHRON. Ist kein Tod in der Schöpfung, so giebt es auch keine Todesgestalt. Heiße diese, wie sie wolle, sie ist Uebergang zur neuen Organisation, das Einspinnen der abgelebten Raupe, damit sie als ein neues Geschöpf erscheine. Sind Sie be friedigt, Theano?

THEANO. Ich bin's und verlasse mich auf die weise Güte, die mich hieher brachte, mir ohne mein Verdienst so viele Kräfte, gewiß nicht umsonst, gab und mich mit tausend Kräften voll Liebe und Güte umringt, meinen Verstand, mein Herz, meine Handlungen nach einer ewigen Regel nothwendiger, in sich selbst gegründeter Weisheit und Güte zu ordnen. Sie schweigen, Philolaus?

PHILOLAUS. Ich will nachholen und sogleich eine Reihe Folgen hinzusetzen, die aus Theophron's System einer in sich selbst nothwendigen Wahrheit und Güte zu folgen scheinen. Beim zweiten Satz bleiben wir; also:

III. Alle Kräfte der Natur wirken organisch. Jede Organisation ist ein System lebendiger Kräfte, die nach ewigen Regeln der Weisheit, Güte und Schönheit einer Hauptkraft dienen.

IV. Die Gesetze, nach denen diese herrscht, jene dienen, sind: innerer Bestand eines jeglichen Wesens, Vereinigung mit Gleichartigem und vom Entgegengesetzten Scheidung, endlich Verähnlichung mit sich selbst und Abdruck seines Wesens in einem andern. Sie sind Wirkungen, dadurch sich die Gottheit selbst offenbart hat; und keine andern, keine höheren sind denkbar.

V. Kein Tod ist in der Schöpfung, sondern Verwandlung; Verwandlung nach dem Gesetz der Nothwendigkeit, nach welchem jede Kraft im Reich der Veränderung sich immer neu, immer wirkend erhalten will und also durch Anziehen und Abstoßen, durch Freundschaft und Feindschaft ihr organisches Gewand unaufhörlich ändert.

[129]

VI. Keine Ruhe ist in der Schöpfung; denn eine müssige Ruhe wäre Tod. Jede lebendige Kraft wirkt und wirkt fort; mit jeder Fortwirkung also schreitet sie weiter und arbeitet sich aus, nach innen ewigen Regeln der Weisheit und Güte, die auf sie dringen, die in ihr liegen.

VII. Je mehr sie sich ausarbeitet, desto mehr wirkt sie auch auf Andre; indem sie ihre eignen Schranken erweitert, organisirt sie und prägt auf Andre das Bild der Güte und Schönheit, das in ihr wohnt. In der ganzen Natur also herrscht ein nothwendiges Gesetz, daß aus dem Chaos Ordnung, aus schlafenden Fähigkeiten thätige Kräfte werden. Die Wirkung dieses Gesetzes ist unaufhaltbar.

VIII. Im Reich Gottes existirt also nichts Böses, das Wirklichkeit wäre. Alles Böse ist ein Nichts; wir nennen aber Uebel, was Schranke oder Gegensatz oder Uebergang ist, und keins von dreien verdient diesen Namen.

IX. So wie aber Schranken zum Maß jeder Existenz im Raum und in der Zeit gehören und im Reich Gottes, wo Alles da ist, auch das Entgegengesetzte da sein muß, so gehört es mit zur höchsten Güte dieses Reichs, daß das Entgegengesetzte selbst sich einander helfe und fördre; denn nur durch die Vereinigung beider wird eine Welt in jeder Substanz d.i. ein bestehendes Ganzes, vollständig an Güte sowie an Schönheit.

X. Auch die Fehler der Menschen sind einem verständigen Geist gut; denn sie müssen sich ihm, je verständiger er ist, desto eher als Fehler zeigen und helfen ihm also wie Contraste zu mehrerem Licht, zu reinerer Güte und Wahrheit. Und auch dies Alles nicht als Willkür, sondern nach Gesetzen der Vernunft, Ordnung und Güte.

Sind Sie mit meinen Folgerungen zufrieden, Theophron?

THEOPHRON. Sehr. Ihr scharfsinniger Geist eilt voran, Philolaus, wie ein edles Roß, dem man nur die Rennbahn öffnen [130] darf und es fliegt zum Ziele. Ich danke dem Schatten des Spinoza, daß er uns so angenehme Stunden des Gesprächs mit einander verschafft hat; mir kommt die Gelegenheit, über Materien dieser Art zu reden, selten. Und doch erheben sie den Geist so einzig und bilden ihn zur hellen, scharfen, nothwendigen Wahrheit. Noch gewähren mir diese Gespräche mit Ihnen ein zweites Vergnügen, daß sie mir nämlich Ideen der Jugend zurückbringen, mit denen ich an Leibniz', Shaftesbury's und Platon's Seite manche süße Stunde gewiß mehr als verträumte.

THEANO. Um so lieber wäre es mir, Theophron, wenn Sie etwas Zusammenhangendes hierüber aufzeichneten. Ein Gespräch verfliegt, und einem geschriebenen Gespräch über Materien dieser Art scheint immer etwas zu fehlen. Man wird fortgezogen und ist am Ende, ehe man's dachte; man fühlt aber einen Trieb, zurückzukehren.

THEOPHRON. So kehre man zurück, Theano, bis das Gespräch uns gleichsam selbst aus der Seele fließt. Bei manchen seiner Nachtheile hat es dochdas Gute, daß es uns vor dem Auswendiglernen bewahrt, und wahre Philosophie muß nie auswendig gelernt werden.

THEANO. Die Regel möchte ich meinem Bruder wünschen. Er ist seit einiger Zeit mit einem Wortkram befangen, der ihm den Kopf verwirrt, sobald er davon redet. Er spricht nie mit seinen eignen, natürlichen, sondern mit fremden Worten, als ob er in fremden Zungen oder als ob ein Dämon aus ihm spräche. Er hat sich, wie er sagt, in ein System hineinstudirt. Ich wünsche, Theophron, daß Sie den Spinoza, Descartes, Leibniz, und wer es sonst sei, wegließen und blos Ihre Gedanken aufschrieben.

THEOPHRON. Ich halte mich gern an Fußtapfen, die vor mir sind, Theano; es fehlt mir auch noch viel, ein Werk entwerfen zu können, auf welches die nothwendige, ewige Wahrheit selbst ihr Siegel drückte.

[131] PHILOLAUS. Darf ich jetzt mit meinem Vorbehalt erscheinen, Theophron? Ihr erster Grundsatz hieß:

»Das höchste Dasein hat seinen Hervorbringungen das Höchste gegeben, Wirklichkeit, Dasein«.

Gerade dies, sagt man, mangelt dem System unsers Philosophen: nach ihm giebt sich kein Dasein, es ist nur eine Substanz; wir sind blos Modificationen.

THEOPHRON. Modificationen wessen? Des Daseins im höchsten Verstande. Die eine Partei zürnt, daß Spinoza uns zu viel, die andre, daß er uns zu wenig einräumt; beide können sich vielleicht in keinem schicklichern Ausdruck als dem seinigen vereinen. Weisen der Existenz sind wir; diese nennen wir Individualitäten. Jeder hat und ist eine eigne Weise, d.i. eine eigne Individualität. Wissen Sie einen bessern Ausdruck?

PHILOLAUS. Man glaubt gerade das Gegentheil: »Spinoza habe uns unsre Individualität genommen, aus diesem Standpunkt lasse sich sein System am Bündigsten anfechten und zerstören«. –

THEOPHRON. Wie man denn auch glaubt, er habe dem höchsten Dasein sein Dasein, sein Selbstbewußtsein geraubt. »Todt ist Osiris; seine zertheilten Glieder flattern hie und dort als Modificationen umher. Modificationen ohne Wesen, Radien ohne Mittelpunkt; wiederum der wirksamste Mittelpunkt ohne Radien, das wirklichste Wesen ohne Darstellungen seiner Wirklichkeit« – denken Sie den sich selbst widersprechenden Unsinn! Theano soll uns zurechthelfen; was ist bei Ihnen selbstständig, wirksam-bleibend und bleibend-wirksam, was sind Sie selbst, Theano?

THEANO. Meine Gestalt gehört mir an; aber ich bin nicht meine Gestalt. Das sagt mir das Gemälde meiner Kindheit, das sagt mir in Leid und Freude, in Gesundheit und Krankheit mein Spiegel.

THEOPHRON. Und doch waren und sind Sie in diesem Wechsel von Zuständen immer Dieselbe, dasselbe Individuum.

THEANO. Mit meiner Phantasie nicht; die änderte sich mit den Jahren. Mit dem, was wir Geschmack, Liebhaberei, Affectionen nennen, nicht; auch sie sind Kleider, die wir unvermerkt ändern. Daß endlich unser Gedächtniß ermatte, unsre Erinnerung welke – lassen Sie mich an diese trübe Jahreszeit des menschlichen Lebens nicht gedenken. Uns Allen komme sie spät!

[132] THEOPHRON. Wenn also im Reich der Sinnlichkeit, der Phantasie, des Geschmacks, der Begierden der Mittelpunkt der Selbstbestandheit nicht liegt, wo liegt er?

THEANO. In meinem Selbst; weder als Begriff noch als Empfindung läßt sich, wie mich dünkt, das Wort weiter zergliedern. Ich war Kind und erwuchs, war krank und ward gesund, schlief und wachte; bei allen Veränderungen, die mit mir vorgingen, von innen und außen, nannte man mich nicht nur, sondern ich empfand und nannte michDieselbe.

THEOPHRON. Dies Principium der Selbstheit hing also nicht von Ihnen ab, als ob es, aus Raisonnement entstanden, durch Reflexion unterhalten werden müsse, als ob es auf dieser beruhe und ohne sie verschwände.

THEANO. Wie könnte dies sein? Daß trotz aller Veränderungen mein Körper und Geist zwar nicht dieselbe, aber ich dieselbe, ein Selbst bleibe, hängt von meinem Raisonnement nicht ab. Wachend raisonnire ich nicht zu viel, schlafend gar nicht, und in den Zaubergegenden des Traums war ich oft eine Andre. Reflectire ich wachend über mich selbst, so finde ich mein kleines Selbst getheilt; ich theile es selbst künstlich.

THEOPHRON. Also liegt die Ueberzeugung von unserm Selbst, das Principium unsrer Individuation tiefer, als wohin unser Verstand, unsre Vernunft, unsre Phantasie reicht. Sie haben es getroffen, Theano; als Begriff und als Empfindung liegt es in dem Worte Selbst selbst. Selbstbewußtsein, Selbstwirksamkeit, sie machen unsre Wirklichkeit, unser Dasein; auf ihnen ruht die Leiter aller unserer ausgebildeten und unausgebildetetn Vermögen, Triebe und Thätigkeiten, die von der Erde gen Himmel reicht. Glauben Sie nun wol, Theano, daß die Principium der Individuation (wir mögen es Selbstgefühl, Selbstbewußtsein oder anders nennen) bei Allem, was da ist, in gleichem Grad wirksam und thätig sei?

THEANO. Gewiß nicht. Eine lebendige und diese gestickte Rose, der Rosenbusch und die Nachtigall, die auf ihm singt, der Schmetterling, der an der Rose hängt, können weder dieselbe Art noch denselben Grad des Selbstgefühls, des Selbstbewußtseins, mithin des Daseins haben; und wir Menschen?

THEOPHRON. Also sind sie und wir verschiedne »Weisen der Existenz«, mit verschiednen Arten und Graden des Selbstbewußtseins, Modificationen der Wirklichkeit tiefer und tiefer hinab, höher und höher hinan: und wir Menschen! Glauben Sie wol, daß alle unsers Geschlechts ein gleich tiefes Selbstgefühl, [133] ein gleich wirksames Selbstbewußtsein, mithin ein gleich inniges Dasein haben?

THEANO. Am Wenigsten. Manche menschliche Organisation möchte man im Innern kaum der Individualität der Blume, des Vogels, ja manches wilden Thiers vergleichen.

THEOPHRON. Vergleichen, immer jedoch im Kreise menschlicher Gefühle; denn die Basis seines Geschlechts kann kein Individuum verleugnen. Welche, meinen Sie nun , wäre die höchste, reinste, schönste Individuation?

THEANO. Kein Zweifel! Die Form aller Formen. Sie, die Alles umfaßt, deren Wirksamkeit sich durch Alles verbreitet. Je mehr sie umfassen kann, je mehr sie mitzutheilen vermag, desto mehr muß siehaben, d.i. sein.

PHILOLAUS. Nicht mehr, meine Freunde; jedes fernere Wort wäre zu viel. Das einzige und ewige Principium der Individuation sehe ich im System unsers Philosophen an einen Faden entwickelt, der und in unser innerstes Selbst leitet. Je mehr Leben und Wirklichkeit, d.i. je eine verständigere, mächtigere, vollkommnere Energie ein Wesen zur Erhaltung eines Ganzen hat, das sich angehörig fühlt, dem es sich innig und ganz mittheilt, desto mehr ist es Individuum, Selbst. Hiernach bestimmte Spinoza die Vorzüglichkeit des menschlichen Körpers, die Fähigkeiten der menschlichen Seele und führte Alles auf Den zurück, durch den Alles lebt, in dem wir leben und sagen dürfen: »Wir sind seines Geschlechts durch Bewußtsein durch die uns eigensten, mächtigsten Kräfte.«

THEOPHRON. Statt also mit Worten in der Luft zu fechten, lasset uns unser wahres Selbst aufwecken und das Principium der Individuation in uns stärken! Je mehr Geist und Wahrheit, d.i. je mehr thätige Wirklichkeit, Erkenntniß und Liebe des Alls zum All in uns ist, desto mehr haben und genießen wir Gott, als wirksame Individuen, unsterblich, unzertheilbar. Nur Der, in dem Alles ist, der Alles hält und trägt, darf sagen: »Ich bin das Selbst, außer mir ist Keiner.«

[134]

[Nachschrift]

Lessing: Ueber die Wirklichkeit der Dinge außer Gott
Lessing
Ueber die Wirklichkeit der Dinge außer Gott

Ich mag mir die Wirklichkeit der Dinge außer Gott erklären, wie ich will, so muß ich bekennen, daß ich mir keinen Begriff davon machen kann.

Man nenne sie das Complement der Möglichkeit, so frage ich: »Ist von diesem Coplemente der Möglichkeit in Gott ein Begriff oder keiner?« »Wer wird das Letzte behaupten wollen?« Ist aber ein Begriff davon in ihm, so ist die Sache selbst in ihm, so sind alle Dinge in ihm selbst wirklich.

Aber, wird man sagen, der Begriff, welchen Gott von der Wirklichkeit eines Dinges hat, hebt die Wirklichkeit dieses Dinges außer ihm nicht auf. Nicht? So muß die Wirklichkeit außer ihm [138] etwas haben, was sie von der Wirklichkeit in seinem Begriffe unterscheidet. Das ist: in der Wirklichkeit außer ihm muß etwas sein, wovon Gott keinen Begriff hat. Eine Ungereimtheit! Ist aber nichts dergleichen, ist in dem Begriffe, den Gott von der Wirklichkeit eines Dinges hat, Alles zu finden, was in dessen Wirklichkeit außer ihm anzutreffen, so sind beide Wirklichkeiten Eins, und Alles, was außer Gott existiren soll, existirt in Gott.

Oder man sage: die Wirklichkeit eines Dinges sei der Inbegriff aller möglichen Bestimmungen, die ihm zukommen können. Muß nicht dieser Inbegriff auch in der Idee Gottes sein? Welche Bestimmung hat das Wirkliche außer ihm, wenn nicht auch das Urbild in Gott zu finden wäre? Folglich ist dieses Urbild das Ding selbst, und sagen, daß das Ding auch außer diesem Urbild existire, heißt dessen Urbild auf eine ebenso unnöthige als ungereimte Weise verdoppeln.

Ich glaube zwar, die Philosophen sagen, von einem Dinge die Wirklichkeit außer Gott bejahen, heiße weiter nichts, als dieses Ding blos von Gott unterscheiden und dessen Wirklichkeit von einer andern Art zu sein erklären, als die nothwendige Wirklichkeit Gottes ist.

Wenn sie aber blos dieses wollen, warum sollen nicht die Begriffe, die Gott von den Dingen hat, diese wirklichen Dinge selbst sein? Sie sind von Gott noch immer genugsam unterschieden, und ihre Wirklichkeit wird darum noch nichts weniger als nothwendig, weil sie in ihm wirklich sind. Denn müßte nicht der Zufälligkeit, die sie außer ihm haben sollten, auch in seiner Idee ein Bild entsprechen? Und dieses Bild ist nur ihre Zufälligkeit selbst. Was außer Gott zufällig ist, wird auch in Gott zufällig sein, oder Gott müßte von dem Zufälligen außer ihm keinen Begriff haben. Ich brauche dieses außer ihm, so wie man es gemeiniglich zu brauchen pflegt, um aus der Anwendung zu zeigen, daß man es nicht brauchen sollte.

Aber, wird man schreien, Zufälligkeiten in dem unveränderlichen Wesen Gottes annehmen! – Nun, bin ich es allein, der dieses thut? Ihr selbst, die Ihr Gott Begriffe von zufälligen Dingen beilegen müßt, ist Euch nie beigefallen, daß Begriffe von zufälligen Dingen zufällige Begriffe sind?

Lessing's Leben und Nachlaß, Th. 2. S. 164. [139]

Naturhymnus von Shaftesbury

Naturhymnus von Shaftesbury. 78

Erster Gesang
Empfangt mich, Fluren! Heilige Wälder, nehmt,
Dem Stadtgeräusch entronnen, den Wandrer auf,
Der hier in Euren Schatten Ruhe
Sucht und Erquickung! Gewährt sie hold ihm!
Heil Euch, Ihr grünen frohen Gefilde! Heil,
Des stillen Segens Wohnungen, Euch! Und Euch
Ihr reiz- und schmuckbekränzten Fernen,
Heil Euch und Allem, was in Dir lebet,
Du Aufenthalt glückseliger Menschen, die,
Entfernt dem Neide, ferne der Thorheit, hier
Unschuldig, still und froh und munter
Leben und, große Natur, Dich anschauen!
Natur! der Schönen Schönste, Du Gütige!
Allliebend, werth, von Allen geliebt zu sein,
Ganz göttlich, weisheitvoll, voll Anmuth,
Alles Erhabenen hoher Inhalt,
Der Gottheit Freundin, weise Statthalterin
Der Vorsicht, oder – Schöpferin, Schöpfer selbst? –
O Schöpfer, sieh, ich knie und bete,
Bete Dich an in der heil'gen Halle
Des hohen Tempels. Dein, o Erhabner, ist
Dies Schweigen; Dein ist diese Begeisterung,
Die mich, obwol in unharmonisch
Lautenden Tönen zu singen antreibt.
Der Wesen Einklang, Ordnung und Harmonie
Des Weltalls, die sich, o Unerforschlicher,
Du alles Schönen Quell und Ausguß,
Meer des Vollkommnen, in Dich sich auflöst,
[140]
In dessen Fülle alle Gedanken ruhn,
In dem die Schwingen jeglicher Phantasie
Ermatten, sonder End' und Ufer,
Ueberall Mittelpunkt, nirgend Umkreis.
So oft ich ausflog, kehrt' ich zurück in mich,
Von meinem Nichts, von Deiner Unendlichkeit
Durchdrungen; und ich wag' es dennoch,
Dich zu ergründen, Gedankenabgrund?
Dich zu erkennen, ewige Schönheit, Dich
Beherzt zu lieben, sehnend zu nahen Dir,
Dazu erschufst Du mich und gabst mir
Regung und Willen; o, gieb mir Kräfte!
Sei Du mein Beistand! Wenn ich im Labyrinth
Der Schöpfung forsche, leite den Forscher Du,
Der mich mit Geist und Lieb' erfüllte,
Führe den Liebenden zu Dir selbst hin!
Zweiter Gesang
Allbelebender Geist, o Du Begeisterer,
Kraft der Kräfte, Du Quell jeder Veredelung,
Quell auch meiner Gedanken,
Inhalt meiner Gedankenkraft,
Unermüdet und stets unwiderstehbar regst
Du zum neuen Genuß Alles im Reich der Macht;
Unter heil'gen Gesetzen
Wechseln Leben und leben neu.
Froh gerufen zum Licht, schauen sie und vergehn
Fröhlich schauend, damit Anderes auch den Strahl
Dieser Sonne genieße
Und am Leben sich Alles freu'.
Unerschöpflicher Quell, Allem mittheilend sich,
Unversiegbar; es stört nichts die geschäft'ge Hand,
Die kein Pünktchen verabsäumt,
Nichts verlässet mit ihrer Huld
[141]
Der Verwesung selbst grause Naturgestalt
(Schaudernd zittern von ihr Blick und Gedanken weg)
Ist die Pforte zum Leben,
Neuer Jugend Erschafferin,
Schauplatz ewiger Kunst! Alles ist Weg und Ziel,
Zweck und Mittel. Es gehn Welten in Welten auf
Unsern Sinnen; Unendlich
Kleines wird uns unendlich groß!
Welt der Wunder! In ihr strebet ein Wesen fort
(Ist's ein Wesen?), das, sich immer mittheilend, nie
Stirbt; es strebet in tiefster
Ruh'; wir nennen Bewegung es.
Dort ein ander Gespenst, unserm Begriff zu klein
Und zu groß: es entschlüpft jetzt wie ein Augenblick,
Schwillt jetzt, unserer Schranken
Spottend, auf bis zur Ewigkeit.
Wir begreifen es nicht; aber wir nennen's Zeit,
Uns was endlos umher Alles umfasset, Raum.
Und – o tiefes Geheimniß,
Unser Denken, Empfinden Du!
Uns das eigenste Selbst, und das gewisseste
Aller Wesen (es sei Alles ein Schattentraum,
Mein Empfinden ist Wahrheit;
Mein Gedanke, Vernunft besteht),
In ihm fühl' ich das Sein höherer, ewiger
Wesen; in ihm das Sein Deiner, o Urbild Du
Deiner Werke, Du wohnest
Höchstwahrhaftig in mir, in mir!
Dritter Gesang
Du Sternenhimmel, funkelnder Sonnen Raum!
Wer zählt die Sonnen? wer, die noch Niemand sah?
Und mißt von Welten dort zu Welten,
Misset von allen den Raum zu uns dann?
[142]
O Unermessner! Jede der Sonnen regt
Ein Heer von Erden. Jede der Sonnen wallt
In Straßen, deren kleiner Schimmer
Uns ein Gewölk ist, in sich ein Weltall.
Dort unsre Sonne! Heiliger Tagesbrunn,
Lichtquell und Quell des wärmenden Lebens! Sanft
Und stark wirksame Flamm', ergossen
Ringsum und in sich gedrängt, ein Lichtball.
Allmächtig Wesen, Bild des Allmächtigen,
Des Weltenhalters, Grund der belebten Welt!
An Anmuth unvergänglich ewig –
Ewig ein Jüngling und schön und lieblich.
Kaum bist Du sterblich, hohes Geschöpf. Wer tränkt,
Die immer ausgießt, labende Ströme stets
Vergeudend, die stets unerschöpfbar
Segnet von oben, wer tränkt und stärkt Dich?
Erfreut zu werden, schweben in lebender
Bewegung viele Erden um sie. Zu ihr
Gezogen als zu ihrer Mutter,
Drängen sie sich, und ein anderer Zwang hält
Sie still umkreisend. Mächtiger Hausherr, welch
Ein Geist belebt sie! Gossest Du Seel' in sie?
Wie oder fügtest Du dem Aether
Mächtig sie ein und dem Hauch der Winde,
Der Winde, Deiner Diener? Wer hält den Bau
Jedweder Welt zusammen? und dreht den Ball
Der Erd' um ihren Punkt, indeß ihr,
Ihr und der Sonne getreu, der Mond folgt?
Was bist Du, Erde, zu dem Gewalt'gen dort?
Zur Sonne? was zum Heere der Sonnen? was
Zum Unermeßlichen? Und dennoch
Bist Du so groß zu dem Nichts, dem Menschen!
Dem Menschen, der, von himmlischem Geist belebt,
Von Dir sich aufwärts, auf zu dem Vater schwingt,
Zum Mittelpunkt der Seelen, sicher,
Wie sich der Körper zu seinem Punkt drängt.
[143]
O, drängten alle Geister zu ihrem Ziel
Sich so beständig! Doch der das Chaos schied
Und sang die Welt in Harmonieen,
Wird auch die Geister in Ordnung singen.
Vierter Gesang
Unglückseliges Volk, Menschen! Warum entfloht
Ihr der lieblichen Flur lohnender Mühe? Stolz –
Oder hieß Euch ein Dämon
Ruh' verachten und elend sein?
Da kam Uebel und Noth über die Sterblichen!
Kranker, matter Begier ekelte, was die Erd'
Heimisch reichte; sie streiften
Plündernd über das Meer hinaus.
Von den Schätzen der Welt über der Erde Schooß
Ungesättiget, grub mühend die Thorenzunft,
Grub hinein in der Mutter
Eingeweide nach Reichthum hin.
Da auch, göttliche Kunst, herrschetest bildend Du,
In Verwandlungen hier, dort in untrennbaren
Ewig festen Gestalten,
Undurchdringlich dem Forschenden;
Aber giftiger Dampf, der die Geheimnisse
Deiner Werke, Natur, birget, umhüllte schnell
In der grausigen Werkstatt
Die Verwegnen mit Todesdampf.

*

Reine, liebliche Luft! freundliches Tagelicht!
Dich zu schauen auf Dich, Erde, zu treten froh,
Deine Schätze betrachtend –
Welche reinere, süße Luft!
Von der Sonne gewärmt, von dem belebenden
Hauch der Winde gekühlt, wenn sie die Pflanzen hier
Sanft erquicken und läutern
Dort der dampfenden Erde Dunst.
[144]
Regen strömen hinab, neue Befruchtungen;
Denn mit Kräften belebt, Erde, Du Nährerin
Deiner Kinder, die Luft Dich
Frisch, als bildete Gott Dich heut.
*

Und Du schwerere Luft, Wasser, o schön bist Du!
Hell durchscheinend und klar, aber auch harten Sinns,
Wenn Tyrannen Dich pressen;
Sanft geleitet, wie folgst Du gern!
Rinnst, ein spiegelnder Strom, lösest die lockere
Erd' auf, schwemmest der Flur stärkende Nahrung zu,
Die in heilsamer Zwietracht
Blüthen zeuget und Frucht gebiert.
Und zusammengedrängt tief in den Ocean,
Wanderst, leichtes Geschöpf, wieder gen Himmel Du,
Aufgezogen von Lüften;
Schwebst in Wolkengestalt umher,
Und kommst wieder herab, wieder zur lechzenden
Erd' erquickend und füllst Quellen und Ströme neu:
Ringsum lachen die Felder;
Alles Lebende lebt durch Dich.
*

Und Ihr Quellen des Lichts, Meere der leuchtenden
Feuerflammen, wer forscht, und wer umufert Euch?
Ausgegossen ins weite
Weltall, tief in der Erde Schooß
Eingeschlossen. Die Luft dienet Euch willig, trägt
Euch auf Fittigen. Trinkt selber die Sonne nicht,
Trinkt nicht alle das Sternheer
Eure Strahlen und glänzt von Euch?
Lichtquell, heiliger Brunn! Nenn' ich DichAether? Dich,
Den Durchdringenden, der Alles erhitzt und wärmt,
Unsern frostigen Erdball
Liebend wärmet bis in sein Herz.
Durch Dich bildeten sich alle Gestalten; Du
Giebst der Pflanze Gedeihn, fachst in der Athmenden
Brust die himmlische Flamm' auf,
Die empfindet und Leben heißt;
[145]
Baust, ernährest und sparst jegliches Werkzeug Dir,
Hältst in glücklicher Ruh', glücklich in Harmonie
Alle Wesen; sie freun sich
Deiner wärmenden Mutterhuld.
Aber brichst Du hervor wüthend in Flammen, brichst
Ueberwältigend Du jede Gestalt und Form,
O, so löset sich Alles
Auf und kehret zurück – in Dich.
Fünfter Gesang
Wie matt und träge blicket die Sonne dort
Nach jener schiefen Ferne des Erdenballs!
Lang ist die Winternacht, die dort liegt,
Wenig erfreuend der holde Morgen.
Da rasen Stürme, nimmer ermattend; da
Liegt in krystallnen Wellen das brausende
Unzähmbar-stolze Meer gefangen;
Thäler und Höhen bedeckt die Alpe
Das eis'gen Schneees. Unter ihm liegt der Strom
Erstarrt, erstarret Baum und Gesträuch und Land;
Hineingedrängt in finstre Höhlen,
Zittern die Menschen vor Frost, umheulet
Von hungernd-wilden Bestien. Doch (so groß
Ist Menschenmuth!) sie zittern und zagen nicht
Vor ihnen; Kunst und Klugheit hebt sie
Ueber Gefahren und Nacht und Mangel.
Denn endlich kommt die mächtige Sonne, schmelzt
Hinweg den Schnee und löst die Gefangenen,
Die dann auf einen künft'gen Kerker
Wieder sich rüsten und froh versorgen.
O Kunst und Klugheit! Göttliche Gabe! reich
Geschenk des Himmels! Waffe für jede Noth!
Eisberge schwimmen dort; die Sonne
Riß von einander die mächt'gen Berge,
Und zwischen ihnen drängen sich Ungeheu'r
Der Tiefe; seht! sie schwimmen wie Inseln, groß
Und stark und unbezwinglich Allem,
Göttliche Menschenvernunft, nur Dir nicht.

*

[146]
Hinweg, o Winter! Wende, mein Auge, Dich
Zu jenen holden Gegenden, die die Sonn'
Inbrünstig anblickt: wie verändert
Wirket sie dort! einen ew'gen Sommer.
Das Aug' erträgt nicht diesen erglüh'nden Strahl;
Die Luft erkühlt nicht diese gehobne Brust,
Die nach der Ruhe lechzt im Schatten
Kühler, erfrischender Abendwinde.
Der Schöpfer weigert Menschen und Thieren nicht
Die lang erseufzte stärkende Ruh' Ein Dach
Von Wolken steigt empor; erquicket
Athmen die Pflanzen, sie athmen Dank auf.
*

Du Land der Wunder! Edelgesteineland,
Von Würzen duftend! Aber wer schreitet dort
Um schönen Fluß? Ein Berg, belebet,
Reich an Empfindungen und Muth und Weisheit,
Dem Menschen dienend, selber in Schlachten ihm
Mehr Bundsgenoß als Sclave – der Elephant!
O Prachtgeschöpf! Und Prachtinsecten,
Schöne Bewohner der schönsten Pflanzen,
Vom kleinen Moose bis zum erhabenen Palm!
Und dort vor allen jenes Insect, das sich
Begräbt und spinnt den Menschen ihre
Seidnen Gewande, den Schmuck des Stolzes.
Mein Blick zieht weiter. Siehe, wie Balsam dort
Von Bäumen fließet! Dort das geduldige
Kameel; es hebt den Hals und senket
Nieder den Rücken, ein Schiff der Wüste.
Schau dort den Nilstrom! Bild der belebenden
Vielbrüst'gen Mutter, steckt er die Arm' umher,
Damit von seinen segensschwangern
Fruchtenden Wellen sich Alles labe.
Aus dürrer Wüste eilen die Thier' herbei,
Den Durst zu löschen, fröhlich zu paaren sich;
Die Inbrunst wirret die Geschlechter,
Neue Gestalten erzeugt die Sonne.
[147]
Tyrann des Stromes, schreckendes Ungeheu'r
Der Ufer, lauschend hinter dem Schilfe, dann
Den Schlafenden erhaschend (falsche
Thränen entrinnen dem frommen Mörder),
Verhaßtes Bild der trügenden Heuchelei
Des Aberglaubens, weinender Krokodil,
Der Pest, die Menschen gegen Menschen
Reizte, mit Wuth sich um Gottes willen
Zu würgen. Unhold, bleib in der Wüste dort,
Die Dich geboren! Halte den Gifthauch fern,
Der, um den Himmel zu bevölkern,
Länder verheert und entmenscht die Menschheit.
*

Hinauf zu jenen Höhen, wo Berge dort
Den Himmel tragen! Fels über Fels gethürmt
Erklimmen wir; die Ströme drunten
Tosen und brüllen im jähen Abgrund.
Verwittert hangt der drohende Fels auf uns!
Geborsten steht die Trümmer der ew'gen Höh'
Des Erdbaus. Prächtige Verwüstung!
Alter und Jugend der Welt enthüllst Du.
Uranfang suchen unsre Gedanken hier
Uns suchen in der Tiefe des Abgrunds dann
Der Wesen Ende. Nicht am Gipfel,
Laß uns in Mitte des Berges weilen!
Hier unter immergrünenden Fichten, hier
Im Cedernschatten! Selber des Mittags Strahl
Wird Dämm'rung hier; die tiefe Stille
Schweigend, sie spricht und enthüllt Gedanken.
Gedanken von wie mächtiger neuer Kraft!
Geheimnißreiche Stimmen ertönen! Hier,
Hier ist der Gottheit Tempel! Heilig –
Heiliges Wesen, mit Nacht umschleiert!
[148]

Fußnoten

1 Oeuvres de Bayle, T. IV. p. 169. 170.

2 Tractatus Theologico – Politicus, continens dissertationes aliquot, quibus ostenditur, libertatem philosophandi non tantum salva pietate et reipublicae pace posse concendi, sed eamdem nisi cum pace reipublicae ipsaque pietate tolli non posse. Hamburg. (Amstelod.) 1670.

3 Er ist seitdem übersetzt erschienen (Gera 1787), aber ohne die Anmerkungen, die hier gewünscht werden. Seine »Ethik« ist mit Anmerkungen begleitet.

4 Leben des Spinoza von Joh. Colerus. Frankf. 1733.

5 In Heidenreich's »Natur und Gott« (B. I. Leipzig 1789) ist der erste Theil des Aufsatzes La vie et l'esprit de Mr. Benoit de Spinoza übersetzt. Obgleich enthusiastisch geschrieben, stimmt dies Elogium eines Freunde und Bekannten dennoch mit Coler's Lebensbeschreibung zusammen und ist merkwürdig.

6 S. Uriel. Acostae Exemplar humanae vitae, hinter Limborch's Amica collatione cum Judaeo, Basil. 1740.

7 Ein Vorgänger eben des Colerus, der sein Leben geschrieben.

8 B. d. S. Opera posthuma (Hagae Com.) 1677.

9 Tractatus de intellectus emendatione in Opp. posthum. Spinozae, p. 356.

10 Die Vorrede der Herausgeber sagt dies und bittet um Verzeihung, »wenn in dem Aufsatz Manches dunkel und roh erscheine; der Aufsatz sei nicht vollendet.« A. d. H.

11 Descartes, Opp. Philosoph. Amstel. 1685. Regii Philos. natural. Amstel. 1654. Raaei Clav. philos. nat. Lugd. 1654. Clauberg's Phys., Metaphys. etc. »In Cartesio displicet, sagt Leibniz, audacia et fastus nimius conjunctus cum styli obscuritate, confusione, maledicentia. Longe magis mihi probatur Claubergius, discipulus ejus, planus, perspicuus, brevis, methodicus.« Leibnit. Otium Hannoveran., ed. Fellero., p. 181.

12 Amstel. 1663. »Quem ego cuidam juveni, quem meas opiniones aperte docere nolebam, antehac dictaveram«, sagt Spinoza in seinem neunten Briefe, S. 423.

13 Opp. posth., p. 395 seq.

14 Da diese Ode seitdem in Kosegarten's »Poesien« (B. I. S. 35) wohlklingend übersetzt ist, so stehe sie hier, diese Uebersetzung:

Gott

Durchwebt von Dessen Odem, der ewig lebt,
Von Dessen Gluth gezündet, der nie erlischt,
Entbrennt die Seele, schwingt den Fittig,
Steiget in nimmer erflogne Höhen,
Und strebet mühsam aufwärts zum Throne Deß,
Den keine Zunge nannte, kein Hymnus sang,
Den keine Schranke grenzt noch enget,
Nicht des Beginns, noch des Endens Schranke.
Er ist der Wesen Urgrund und ist ihr Ziel,
Sein eigner ew'ger Urgrund, sein eignes Ziel,
Beginnt, begrenzt, beschränkt sich selber,
Grenzenlos zwar und beginn- und endlos.
Ganz, ungetheilt, untheilbar und unverrückt,
Erfüllt sein Wesen jeglichen Atomus
Des ungemessnen Raums und jeden
Stiebenden Tropfen des Zeitenstromes.
Ihn deckenhohe Tempelgewölbe nicht,
Ihn fassen nicht die Himmel, die Erden nicht;
Frei, unumhüllet, ungefesselt
Waltet und herrscht er im großen Alle.
Sein Will' ist That. Wer steuert dem Mächtigen?
Wer hemmt den Unrückrufbaren? Groß ist er
Und gut, nicht mit der Meßkunst Größen,
Nicht mit der Güte der Sittenlehren.
Stracks, flugs, im Hui geschiehet, was er gebeut.
Das Weltall schlief des eisernen Nichtseins Schlaf;
Er rief: Erwache? Schnell erwachend
Rafft' es sich auf und erstaunt' und kniete.
Sein alldurchdringend Auge durchschaut das All
Und hegt und trägt, bewahret und wärmet es.
Allmächtig herrscht sein Wink, allmächtig
Waltet des Schrecklichen hohe Brane.
Dich fleh' ich, Guter! lächel' auf mich herab!
Mit Demantketten binde mich fest an Dich!
Bei Dir, bei Dir ist volle Gnüge,
Einzig bei Dir, und bei keinem Andern!
Wohl Dem, der Dich ergreifet, an Dich sich hängt.
An Dich sich innig schmieget, Dich fest umflicht!
Dich habend, Vater, hat er Alles,
Alles, was sättigt, und was beseligt.
Du, Du entzeuchst Dich Keinem, der Dein bedarf,
Freiwillig schenkst Du Jeglichem Jegliches;
Dich selbst, der war und ist und sein wird,
Ewiger, schenkst Du dem frommen Fleher!
Du bist dem Müherliegenden Nerv und Mark,
Und bist dem Klippenscheiternden Bucht und Port,
Und bist der durstgeborstnen Lippe
Lechzender Wanderer Quellenkühle.
Du bist der Arbeitseligen süße Ruh',
Bist unsern Busen Frieden und Freudigkeit
Bist jeder Schönheit Urgebilde,
Jeglicher Trefflichkeit ew'ge Urform.
Bist Zahl und Maß und Zirkel und Harmonie
Und Pracht und Ordnung, Hoheit und Majestät,
Bist unsre Wonne, unsre Wollust,
Unsre Ambrosia, unser Nektar.
O Du, der Wahrheit Richtscheit, des Rechtes Norm,
Des Guten Bleischnur, heiliges Urgesetz,
Du, unsre Hoffnung, unsre Weisheit,
Leuchtende Fackel des irren Geistes!
Glanz, Lichtstrahl, Würde, Hoheit, wie sing' ich Dich!
Licht, Liebe, Leben, Labsal, wie feir' ich Dich!
Der Summen Summe! All das Allen!
Einziger, Ewiger, Größter, Bester!
15 Divisus, a didere pro dividere.

Note:

16 Mensor s. mensura.

Note:

17 V. Ethic., p. 49. Schol. et epist., 21, 39, 40, 49, etc. »Jedermann muß ja einräumen, daß nichts ohne Gott weder sein noch gedacht werden könne; denn Alle gestehen, daß Gott aller Dinge, sowol ihrem Wesen als ihrem Dasein nach, einzige Ursache sei. Inzwischen sagen doch auch die Meisten, zum Wesen eines Dinges gehöre das, ohne welches das Ding weder sein noch gedacht werden kann. Sie müssen also glauben, entweder daß die Natur Gottes zum Wesen der erschaffenen Dinge gehöre, oder daß die erschaffenen Dinge ohne Gott sein und gedacht werden können, oder – welches wol das Gewisseste ist – sie wissen nicht, was sie meinen. Die Ursache hievon, halte ich, lag in der fehlerhaften Ordnung ihres Philosophirens. Die göttliche Natur, die sie vor allem Andern betrachten sollten, weil sie sowol ihrer Natur als unsrer Erkenntniß nach das Erste ist, setzten sie zuletzt; die Objecte der Sinne (wie sie es nennen) stellten sie Allem voran. Wenn sie diese betrachteten, dachten sie an nichts weniger als die Gottheit; wenn sie nachher zu dieser übergingen, konnten sie an nichts weniger als an ihre vorigen Figmente denken, denen sie die Kenntniß natürlicher Dinge übergebaut hatten, und die ihnen zum Verstande der göttlichen Natur nichts helfen konnten« u.s.w.

Note:

18 Prop. 18 verglichen mit Ep. 21. »In Gott, sage ich mit Paulus, vielleicht auch mit allen alten Philosophen (obgleich auf andere Weise), und ich möchte sagen, auch mit allen alten Ebräern (so viel sich aus einigen, obwol sehr verstümmelten Traditionen muthmaßen läßt), in Gott webt und ist Alles. Glauben aber Einige, dies gehe darauf hinaus, daß Gott und die Natur (unter der sie sich eine gewisse Masse oder körperliche Materie denken) Eins und Dasselbe sei, so verfehlen sie ganz des Weges.« Opp. posth., p. 449.

Note:

19 V. Epist. 29: »Maß, Zahl und Zeit sind nichts als Denk- oder vielmehr Imaginationsweisen. Daher alle, die durch ähnliche, überdem übelverstandene Notionen den Fortschritt der Natur haben verstehen wollen, sich so wunderbar verwirrt haben. Denn da es viele Begriffe giebt, die wir nicht durch Imagination, sondern durch den Verstand allein erreichen, z.B. Substanz, Ewigkeit u.s.w., so thäte Der, der diese Begriffe durch jene Hilfsmittel der Imagination erklären wollte, nichts weiter, als daß er sich Mühe gäbe, mit seiner Imagination zu rasen.« Opp. posth., p. 468.

Note:

20 »Kein Attribut der Substanz kann wahrhaft gedacht werden, aus welchem folge: die Substanz sei theilbar.« Ethic. Prop. XII. »Die absolut-unendliche Substanz ist untheilbar.« Prop. XIII.

Note:

21 Im zweiten Theil der Ethik de mente.

Note:

22 Ep. 69, 70, 71,72. Ausdrücklich sagt er in diesen Briefen, »daß von Descartes die Materie durch Ausdehnung übel definirt worden, daß aus der Ausdehnung die Varietät der Körper nicht zu erklären sei«, und geht so weit, daß er die Cartesischen Naturprincipien nicht nur unnütz, sondern ungereimt nennt.Opp. posth., p. 596. seq.

Note:

23 Boscowich, Philosophiae naturalis theoria redacta ad unicam legem virium in natura existentium. Viennae 1760.

Note:

24 Aus August Henning's Philosophischen Versuchen, Kopenhagen 1780.

Note:

25 S. seinen merkwürdigen 29. Brief, Opp. posth., p. 465.

Note:

26 In schedis gallicis de systemate harmoniae praestabilitae agentibus snimam tantum, ut substantiam, non ut simul corporis Entelechiam consideravi, quia hoc ad rem, quam tunc agebam, ad explicandum nimirum conaensum inter corpus et mentem non pertinetbat; neque aliud a Cartesianis desiderabatur. Opp. Leibnit., T. II. P. I. p. 269.

Note:

27 »Nach Spinoza«, sagt Lessing, »ist die Seele nichts als der sich denkende Körper, der Körper nichts als die sich ausdehnende Seele«. S. Lessing's Leben und Nachlaß, Th. 2. S. 170. Genau und wahr. »Durch Spinoza ist Leibniz nur auf die Spur der vorherbestimmten Harmonie gekommen.« S. 167. Aber durch welchen andern Cartesianer oder ältern Philosophen konnte er nicht darauf gekommen sein? Und warum durch einen ältern Philosophen? Drückt seine Hypothese, von Willkürlichkeiten gesondert, etwas Anders aus als ein Gesetz der Erfahrung?

Note:

28 Die hieher gehörigen astronomischen Abhandlungen von Lagrange und Laplace stehen in den Denkschriften der Berliner und Pariser Akademie. Des Newton's unsrer Zeit, Pierre Simon Laplace, Exposition du Système du monde, die seitdem (1796) erschienen, ist eine Himmelskarte dieser weisen ewigen Gesetze des Weltalls.

Note:

29 »Der wirkende Verstand (intellectus actu), sei er endlich oder unendlich, muß wie Wille, Liebe, Begierde zur abgeleiteten, nicht zur hervorbringenden Natur gezählt werden.« Prop. 31. »Die Natur hat keinen vorgesetzten Endzweck; alle Endursachen sind Dichtungen der Menschen.« Prop. 36, append. u.s.w.

Note:

30 S. Br. 24, 25 u.s.w.

Note:

31 S. im Register seiner Opp. den Namen Spinoza.

Note:

32 »Je mehr Realität oder Wirklichkeit ein Ding besitzt, desto mehr Attribute kommen ihm zu.«(P. I. Prop. 9.) »Gott, das selbstständige Wesen, bestehend in unendlichen Attributen, deren jedes sein unendliches ewiges Wesen ausdrückt, existirt nothwendig.« (Prop. 11.) »Aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur muß Unendliches auf unendliche Weisen, d.i. Alles, dessen ein unendlicher Verstand fähig ist (quae sub intellectum infinitum cadere possunt), folgen.« (Prop. 16.) »Gottes Verstand ist die Ursache der Dinge, sowol ihrer Existenz als ihrem Wesen nach; er ist also vom Verstande aller Dinge wesentlich unterschieden.« (Prop. 18. Schol.) »Gottes Existenz und Wesen ist Eins und Dasselbe.« (Prop. 20.) »Auf keine andre Weise, in keiner andern Ordnung haben die Dinge hervorgebracht werden können, als sie hervorgebracht sind; mithin in der größten Vollkommenheit, weil sie aus der vollkommensten Natur nothwendig folgen. Niemand kann uns überreden, zu glauben, daß Gott nicht Alles, was in seinem Verstande ist, in der Vollkommenheit, wie er es erkennt, schaffen wolle.« (Prop. 33. Schol. 2.) »Gedanke ist ein Attribut Gottes, eins seiner unendlichen Attribute, das sein ewiges unendliches Wesen ausdrückt.« (P. II. Prop. 1.) »In Gott ist nothwendig eine Idee, sowol seines Wesens als Alles dessen, was aus seinem Wesen nothwendig folgt. Der Pöbel versteht unter Gottes Macht eine freie Willkür, wir haben aber gezeigt, daß Gott mit derselben Nothwendigkeit handle, mit der er sich selbst erkennt (se ipsum intelligit), d.i. wie es aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur folgt, daß Gott sich selbst erkenne, so folgt auch aus ihr, daß Gott Unendliches auf unendliche Weisen wirke.« (Prop. 3. Schol.) »Die Idee Gottes, aus welcher Unendliches auf unendliche Weisen folgt, kann nur eine sein; denn ein unendlicher Verstand begreift nichts in sich als Gottes Attribute und Affectionen.« (Prop. 4.) »Die Ordnung und Verbindung seiner Ideen ist die Ordnung und Verbindung der Sachen selbst.« (Prop. 7) »Was irgend vom unendlichen Verstande gedacht werden kann, als constituirend des Selbstbestehenden Wesen, das Alles gehört zum einzigen Selbstständigen.« u.s.w. (Prop. 7. Schol.)

Note:

33 Zeuge dessen ist Spinoza's ganze »Ethik«.

Note:

34 Uz' lyrische Gedichte, Theodicee.

Note:

35 »Da in dem Ewigen es weder ein Wann noch einVorher und Nachher giebt, so folgt aus der bloßen Vollkommenheit Gottes, daß er ein Andres beschließen, als er beschlossen hat, weder könnte noch gekonnt habe. Vor seinen Beschlüssen war es nicht, noch ohne dieselbe. Aenderte er diese, so würde er seinen Verstand und Willen ändern, d.i. ein andrer Gott sein.« (Prop. 33 Schol. 2.)

Note:

36 Oeuvres Philosophiques de Leibnitz, publ. p. Raspe. Amst. 1765, beinah die lehrreichste unter Leibnizens Schriften, von dem übrigens jede Zeile lehrreich ist.

Note:

37 »Keinesweges unterwerfe ich Gott einem Fatum, sondern ich denke mir, daß aus der Natur Gottes Alles so nothwendig folge, wie Jeder es sich aus der Natur Gottes folgend denkt, daß Gott sich selbst erkennt. Beim Letzten leugnet Niemand, daß es aus der göttlichen Natur nothwendig folge, und doch denkt sich dabei Niemand, daß Gott von einem Schicksal gezwungen sich selbst erkenne; er erkennt sich frei und doch nothwendig.« Ep. 23. Opp. post., p. 453.

Note:

38 »Wer begierig ist, Andern mit Rath und That dahin zu helfen, daß sie insgesammt des höchsten Gutes genießen, der wird sich befleißigen, sich ihre Liebe zu erwerben, nicht aber sie in eine Bewunderung seiner zu ziehen, daß eine Wissenschaft von ihm den Namen erhalte«. Eth., P. IV. Opp., Cap. 25.

Note:

39 Ueber die Lehre des Spinoza, Breslau 1786. Neue vermehrte Ausgabe. Breslau 1789.

Note:

40 Ueber die Lehre des Spinoza, S. 12. Die Citationen, nach der ersten Ausgabe bemerkt, sind geblieben, und in der zweiten leicht zu verfolgen.

Note:

41 S. 12.

Note:

43 S. 17.

Note:

44 »Wenn ich mich nach Jemand nennen soll, so weiß ich keinen Andern.« S. 12. (Wenn! soll! weiß ich!) »Freilich! Und doch! Wissen Sie etwas Besseres?«

Note:

45 S. 17.

Note:

46 Person, as I take it, is the make of this Self. Wherever a Man finds what he calls Himself, there I think another may say is the same Person. It is a forensick term, appropriated Actions and their Merit, and so belongs only to intelligent Agents capable of a Law and Happiness and Misery. Locke, Essay on human understanding, Vol. I B. 2. 27.

Le soi fait l'identité réelle et physique; et l'apparence du soi, accompagnée de la vérité, y joint l'identité personnelle. Si Dieu changeait extraordinairement l'identité réelle, la personnelle demeurerait, pourvu que l'homme conservât les apparences d'identité, tant les internes (c'est-à-dire de la conscience) que les externes, comme celles qui consistent dans ce qui parait aux autres. Ainsi la conscience n'est pas le seul moyen de constituer l'identité personnelle; le rapport d'autrui ou même d'autres marques y peuvent suppléer. Leibnitz, Ouvres philosoph., p. 195. 196.

Ueber den Sprachgebrauch der Worte Person, Persönlichkeit u.s.w. schlage man Wörterbücher auf, welche man will, latein, deutsch, französisch, italienisch, spanisch, englisch; alle sagen in ihren gesammelten Stellen, daß diese Worte ein Eigenthümliches oder Besondres unter einer gewissen Apparenz bezeichnen; welcher Nebenbegriff dem Unendlichen im Gegensatz der Welt gar nicht zukommt, vielmehr den Begriff des Einzigen, nicht Figurirenden verdunkelt.

Note:

47 Locke, Essay on unterstand., B. 2. Ch. 21. §. 5; Ch. 11. §. 17.

Note:

53 S. 21.

Note:

54 »Daß Lessing sich nicht anmaßte, zu behaupten, Leibniz sei in dem Verstande ein Spinozist gewesen, daß er sich selbst dafür erkannt hätte, beweist die Folge des Gesprächs. Innere wesentliche Aehnlichkeit, Identität des Systems; das nur hatte Lessing eigentlich im Auge«. Ueber die Lehre des Spinoza. Zweite Ausg. 1789. S. 414.

Note:

55 S. 22.

Note:

57 S. 34.

Note:

58 Noch befriedigender sieht man dies aus ein paar Aufsätzen in Lessing's hinterlassenen Schriften. (Lessing's Leben und Nachlaß, Th. 2. S. 164 f.) Unwidersprechlich zeigen sie den hellen und reinen Begriff, den Lessing von Spinoza's System hatte, und stellen die Scherze seines Gesprächs an den Ort, der ihnen gehört.

Note:

59 S. 170. 172.

Note:

60 Man sehe hierüber Wolff's Widerlegung des Spinozismus, Th. 2 seiner »Natürlichen Gottesgelahrtheit«, §. 671. u.s.w., die der deutschen Uebersetzung von Spinoza's Sittenlehre (1744) beigedruckt ist.

Note:

61 Epist. 23, Opp. posth., 453.

Note:

62 Ueber die Lehre des Spinoza. Breslau 1786.

Note:

63 »Omnia in Deo esse et in Deo moveri cum Paulo affirmo, auderem etiam dicere cum antiquis omnibus Hebraeis, quantum ex quibusdam traditionibus, tametsi multis modis adulteratis, conjicere licet.«Epist. 21, Opp. posth., p. 499.

Note:

64 Die erste Schrift hieß: »Der Spinozismus im Judenthum, oder die von dem heutigen Judenthum und dessen geheimen Kabbala vergötterte Welt. An Mose Germano befunden und widerlegt von J. G. Wachter«. Amsterd. 1699. Die zweite: Elucidarius Cabbalisticus s. reconditae Hebraeorum philosophiae recensio, epitomatore J. G. Wachtero. Rom. 1706. Er findet zwanzig Aenlichkeiten zwischen Spinoza's System und dem Kabbalismus.

Note:

65 Kästner's vermischte Schriften, Th. 2. S. 11 ff.

Note:

66 Ueber die Lehre des Spinoza, S. 34.

Note:

67 Eine Erläuterung dieses Ausdrucks, f. in der zweiten Ausgabe des Buchs über die Lehre des Spinoza, S. 46 f.

Note:

68 S. 35.

Note:

70 S. Gleim's »Halladat«, III.

Note:

71 Kant's Kritik der reinen Vernunft, Zweite Ausg. S. 641. »Wenn Ihr sagt: Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht noch irgend ein anderes seiner Prädicate gegeben; denn sie sind alle zusammt dem Subjectaufgehoben, und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch.« Ebendas., S. 623.

Note:

72 S. über diese allgemeinen Naturgesetze, insonderheit über die Affinität und Verähnlichung der Wesen vortreffliche Anmerkungen in den Betrachtungen über das Universum, Erfurt 1777.

Note:

73 Ethic., P. II. Prop. 43, Schol. P. 80.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Theoretische Schriften. Gott. Einige Gespräche über Spinoza's System nebst Shaftesbury's Naturhymnus. Gott. Einige Gespräche über Spinoza's System nebst Shaftesbury's Naturhymnus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5BFA-8