6.

Ein altes, blindes Weib lag krank;
Die Aerzte docterten sie lang',
Und jeder nahm für jeden Gang
Ein Stückchen Hausrath mit zum Dank.
So ging's ein' Weile hin und her;
Das Weib ward seh'nd, das Haus war leer.
»Bezahlt uns nun für viele Kunst und Müh!«
»Ach!« sagte sie,
»Trotz meines neuen Angesichts,
Ihr Herrn, seh' ich jetzt – nichts.«
Der alte, blinde Mensch liegt krank,
Ihr Herren doctert ihn so lang'
Mit Syllogismus-Arzenei,
Metaphysik, Politik bei,
Und nehmt ihm allen Saft und Kraft,
Und wo und wie er etwas schafft;
Nun sieht er – Himmel, ei! –
Kraft Euers neuen Angesichts,
Ihr Herrn, sieht er nun – nichts!

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TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Fünftes Buch. Alte Fabeln mit neuer Anwendung. 6. [Ein altes, blindes Weib lag krank]. 6. [Ein altes, blindes Weib lag krank]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5C37-5