Sermione

»Von allen Inseln, Sirmio, und Halbinseln
Mein Augenstern, so viel' in klaren Landseen
Und Meeresweite rings der Wassergott hütet,
Wie froh erblick' ich, wie zufrieden dich wieder!«
Und wem, im Frühling landend an Catulls Eiland,
Entschlüpfte nicht gleich ihm ein Wonnestoßseufzer,
Darf er auch nicht wie er »im eignen Bett ausruhn«!
Wie lieblich, hier im lichtgepflanzten Ölwalde
Hinwandeln, oder unter schattigen Laubkronen
Des dunklen Lorbeers sich behaglich hinstrecken,
Von Anemonen rings umblüht und Würzkräutern!
Wie schön, durch Trümmer hochgewölbter Torbogen,
Durch die der See heraufglänzt in Smaragdbläue,
Hinüberschaun zu schneebedeckten Berghäuptern,
Die kahle Stirnen baden in Aprilsonne!
Nur die Zikade singt ihr schrilles Volksliedchen
Im Gras verborgen, sonst kein Laut, als einlullend
Des großen Pans eintönig tiefe Schnarchtöne.
Hier mochte wohl der Dichter friedlich ausrasten
Vom Fieber Roms und zweifelhaften Liebschaften
Und seiner Lesbia Wankelmut und Untreue.
Doch diese Villa, ungeheuren Umfanges,
Mit Hallen, Bädern, Pfeilern, des August würdig,
Die hättest du, Poete, dir erbaun lassen,
Der, nicht an Gunst der Großen dem Horaz ähnlich,
Den Freund Fabullus du zu Tisch dir einludest,
Ein köstlich Mahl verheißend, wenn er selbst nämlich
Das Essen und den Wein dazu sich mitbrächte,
Indem dein Beutel nur gefüllt mit Spinnweben?
Man weiß, wie damals Publikum und Buchhändler
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Ein Bändchen Lyrik schlechter noch als heut zahlten,
Und du zumal warst nimmer ein Erfolgjäger.
Nein, hier an deiner Lieblingsinsel Nordspitze
Besaßest du vielleicht ein schlichtes Landhäuschen,
Im Erdgeschoß zwei Zimmer oder drei höchstens,
Und eine Loggia mit den schönsten Ausblicken,
Und stiegst zum Bad hinunter in die Seefluten,
Die von den Gliedern wie vom Geist die Gluthitze
Der Weltstadt Rom samt ihrem Ehrgeiz abspülten.
Doch was an Wohllaut dir die Welle zurauschte,
An reinem Balsam dir Natur ins Blut flößte,
Um das beneiden konnte dich dein Nachfolger,
Der niederriß dein Häuschen und die Prachtbauten
Mit hundert Sklaven prahlerisch hier aufführte
Und ärmer blieb inmitten seiner Wollüste,
Als du, trotz deines Beutels voller Spinnweben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Italien. Frühling am Gardasee. Sermione. Sermione. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64C8-F