Paul Heyse
Don Juan's Ende
Trauerspiel in fünf Akten

Personen

[276] Personen.

    • Don Juan.

    • Gräfin Maria de Luna.

    • Ghita, ihre Tochter.

    • Gianotto, ihr Pflegesohn.

    • Martina, eine alte Dienerin.

    • Salvatore, Gastwirth in Resina.

    • Biondetta, seine Verlobte, Kammerjungfer der Gräfin.

    • Leporello, Don Juan's Diener.

    • Ein Karthäuser Mönch.

    • Ein alter Fischer.

    • Zwei Banditen.

    • Marchetto, ein junger Bauer
    • Carlino, ein Knabe, stumme Personen.

    • Ein Diener der Gräfin.

    • Landvolk. Fischer.

1. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Leporello liegt schlafend auf der Bank. Don Juan in dunklem Gewande, einen Dolch im Gürtel, einen Stab in der Hand, kommt den steilen Weg herab, hinter ihm ein alter Fischer.

DON JUAN
bleibt erschöpft stehen.

Geh nun voraus, Alter! Ich bedarf deiner nicht mehr und will hier einen Augenblick rasten. Da liegt ja wahrlich auch mein Diener noch, wo wir ihn verlassen haben. He, Leporello!

LEPORELLO
schlaftrunken.
Bei meiner armen Seele, Herr – 's ist ja noch stich dunkle Nacht –
DON JUAN.
In deinem Schädel, Murmelthier. Zu dem Alten. Nun? Was zauderst du noch? Ja so!Giebt ihm Gold.
DER ALTE.
O Ew. Gnaden, das ist zu viel!
DON JUAN
giebt ihm noch mehr.

Nein, hier, nimm Alles, was ich bei mir trage. Hättst du mich nicht zurückgerissen als mich am Kraterrand der [277] Schwindel packte, so läge jetzt dies Gold geschmolzen in dem grausen Tiegel, und sein Besitzer, zu Asche geglüht, flösse mit der Lava zu Thal, oder stäubte mit einer Funkengarbe gegen das Firmament.

DER ALTE.

Ihr redet fürchterlich, Herr! Ich hab' doch Manchen schon hinaufgeführt, dem's droben wirblich und wunderlich zu Sinne wurde, aber Keinen, der mit solchen Augen, wie Ew. Gnaden, in den Höllenkesfel hineinsah.

DON JUAN.

Hast du sie nie an dir selbst erlebt, die unentrinnbare Magie des Grauens? Glutströme aus ewig unerschöpften Tiefen, eine Feuerseele, die aus ihren Banden sich losringt und den Himmel stürmen möchte, aus Wuth darüber, daß er so unnahbar feierlich sie angrins't! – – Es zog mich mit Gewalt, als ob da unten mich ein Geist erwartete, dem meinen blutsverwandt. Wär's nicht auch neidenswerther, in einem einzigen schaurig-kühnen Augenblick mitten aus der Fülle des Lebens der flammenden Vernichtung in den Schooß zu sinken, als langsam Glied für Glied von Gicht und Fieber zermalmt zu werden?

DER ALTE.

Die Madonna bewahr' einen Jeden vor einem so schreckhaften, unbußfertigen Ende! Seht, Herr, was Gicht und Fieber sind, weiß der alte Pasquale auch. Aber wenn man wohl aufgehoben ist bei Kindern und Kindeskindern –

DON JUAN
setzt sich auf die Bank, von der Leporello sich langsam erhoben hat.

Wenn du gut versorgt bist, alter Mann, warum treibst du noch das mühselige Gewerbe, Fremden den Weg zum Krater zu weisen?

DER ALTE.

Man will sich doch rühren, Herr, so lang man noch Athem hat, will kein unnützer Brodesser sein, selbst bei den eignen Kindern. Freilich, mein Sohn und die Schwiegertochter, die wären's schon zufrieden, wenn ich bloß am Herd säße, den kleinen Beppo auf den Knieen, den Wiegenkorb [278] schaukelte, drin die Lalla schläft, und dem Antonino, der immer nur von Schifferei träumt, einen Kahn schnitzelte. Sind liebe kleine Krausköpfe, Ew. Gnaden, und hängen am Großvater wie die Kletten. Wenn Ihr uns die Ehre erweisen wolltet – gleich das dritte Haus linker Hand –

DON JUAN.

Ich habe Eile, Alter, will noch vor Nacht in Neapel sein zu den Hochzeitsfeierlichkeiten des jungen Prinzen.

DER ALTE.

Nun so geleit' Euch die Madonna und vergelt' Euch Eure königliche Güte und Großmuth, indem sie Euch auch so brave Kinder und Enkel beschert, wie dem armen Pasquale, auf daß auch Ihr einmal ein zweites und drittes Leben erlebt in Eurem eigenen Fleisch und Blut. Gott befohlen, Herr! Hascht nach Don Juan's Hand, die er hastig küßt, und geht um die Ecke nach rechts ab.

2. Szene
Zweite Scene.
Don Juan. Leporello.

DON JUAN.

Ein zweites und drittes Leben? Mag sein! Doch wär' es nicht das meine mehr. So aber mißt ein Jeder die Welt nach seinem Maß, und wenn er gutherzig ist, wünscht er seinem Nachbarn einen Himmel, der dem vielleicht die Hölle wäre. Mir Kinder und Enkel –! dem Nichts so widrig war von je, wie ein zappelndes Würmchen, ein säugendes Weib und der fade Milchgeruch in Ammenstuben!

LEPORELLO
phlegmatisch.
Und doch, Herr –
DON JUAN
ohne auf ihn zu achten.

Verliert nicht auch der Mann seine Herrschaft über das Weib, sobald ein Kind sich ihr vom Herzen windet? Mit jedem Nebenbuhler nehm' ich's auf: ein Kind ist mir zu mächtig. Es beherrscht die Mutter an Seel' und Leib.

LEPORELLO.
Und doch, Herr, verzeiht: was der alte Mann sagte, war so übel nicht.
[279]
DON JUAN.
Was weißt du davon, Taugenichts, der du zum Landstreicher geboren bist?
LEPORELLO.

Je nun, man mag immerhin auf der Landstraße geboren sein und doch lieber an einem ruhigen Ort und im eigenen Bette sterben. Da wir gerade davon sprechen, gnädiger Herr, – ich wollt' Euch bitten – aber Ihr müßt mich nicht auslachen –: ich möchte mich verändern.

DON JUAN.
Verändern? Zum Bessern oder Schlimmern?
LEPORELLO.

Mit Gottes und der heil. Jungfrau Hülfe denk' ich mich zu verbessern, gnädiger Herr. Ich möchte – heirathen.

DON JUAN.
Auf wie lange, du Narr?
LEPORELLO.

Vorläufig bis an mein seliges Ende. Denn seht, Herr, ich fange an, die Weiber nur noch für ein notwendiges Uebel zu halten; da dünkt es mir Zeit, aus der Noth eine Tugend zu machen und wenigstens für ein ruhiges Alter zu sorgen. Und darum, nachdem ich Ew. Gnaden durch ganze zwanzig Jahre treu gedient, so manche Prügel eincassirt habe, die für meinen gnädigen Herrn bestimmt waren, mit mancher garstigen Dueña schön gethan, während Ihr mit ihrer jungen Herrin –

DON JUAN.

Genug! Man soll keinem Verzweifelnden in den Arm fallen, der sich selbst den Garaus machen will. Du wirst in Neapel Närrinnen genug finden, die dir gern bei diesem halsbrechenden Vorsatz behülflich sind, und die Aussteuer ist natürlich meine Sache.

LEPORELLO.

Ich küss' Ew. Gnaden tausendmal die Hand. Aber was ich in Neapel suchen soll, hab' ich drunten in Resina bereits gefunden.

[280]
DON JUAN.
In Resina? Ist mir doch, da wir hindurchritten, Nichts in die Augen gefall –
LEPORELLO.
Freilich kein Bissen für einen Herrn, wie Ew. Gnaden, aber für Unsereinen und so fürs Haus –
DON JUAN.

Ein armes junges Gänschen, das noch von der Welt Nichts weiß und den Herrn Leporello für einen Biedermann ansieht?

LEPORELLO.

Weder ganz arm, noch ganz jung, und Gänschen so wenig, daß sie gleich merkte, mit was für einem Fuchs sie es zu thun hatte. Eine Wittwe, gnädiger Herr, so um die Dreißig, aber noch frisch und sauber. Sie hält einen Kramladen unten in der Hauptstraße, und als ich eine Citrone bei ihr kaufte – just um die Mittagsstunde, und alle Jalousieen waren heruntergelassen – genug, so im Helldunkel gefiel ich ihr und sie mir, und weil ich in Ew. Gnaden Schule doch etwas gelernt habe, wurde es bald richtig zwischen uns.

DON JUAN.

So thu, was du nicht lassen kannst. Du bekommst vielleicht eine schlimmere Herrschaft, ich jedenfalls einen besseren Diener. Jetzt aber –Steht auf, faßt den Stab, blickt dabei auf seine Hand. Ha – der Ring!

LEPORELLO.
Was ist Euch, Herr?
DON JUAN.
Der Ring – wo ist der Ring?
LEPORELLO.
Der Rubin, Herr, mit Perlen eingefaßt, den Ihr nie ablegt –?
DON JUAN.

Verloren! Bei den ewigen Sternen, ich wüßte Nichts, was ich nicht lieber missen möchte. Doch jetzt entsinn' ich mich: [281] am Krater droben, als mein Fuß in der losen Asche ausglitt und blindlings nach etwas Festem tastete, – ich fühlte plötzlich einen Schmerz an der Hand, da ich einen zackigen Lavablock ergriff, an dem ich mich hielt, bis der Alte hinzusprang – da – da war's –

LEPORELLO.
War er sehr kostbar, Herr?
DON JUAN
düster vor sich hin.

Den hundertfachen Werth an Golde gäb' ich Dem, der mir ihn wiederbrächte. Das einzige Andenken an das einzige Weib, von welchem mich das Schicksal früher trennte, als ich selbst ihrer überdrüssig wurde. Ich hatte den Aberglauben, das Glück würde mir nie untreu werden, so lang ich diesen Ring trüge. Sei's darum! Am Ende quillt uns Glück oder Unglück doch nur aus Lebendigem. Komm, laß uns eilen!


Wendet sich zum Gehen.
3. Szene
Dritte Scene.
Vorige. Hinter den Felsen rechts zieht eine Prozession herauf, Priester voran, dann ein Madonnenbild von Knaben unter einem Baldachin getragen. Landvolk mit Rosenkränzen in den Händen folgt paarweise. Sie singen nach der Melodie des Evviva Maria.

Maria, du heil'ge,

Du Mutter der Gnaden,

O bitte für uns!

DON JUAN.

Arme, genügsame Thoren! Ihnen hilft es zur Seligkeit, einem geschnitzten Bilde nachzulaufen. Ist deine Wittwe darunter?

LEPORELLO.

Was denkt Ihr, Herr! Warum sollte Die noch zur Madonna beten um einen Mann, wie dort die Grasaffen? Es war ja schon ein richtiges Wunder, wie ich so rasch mich fangen ließ. Ein Ziegenkäse stach mir in die Augen; ich bat sie, mir ein Stück davon abzuschneiden. Als sie sich über den Ladentisch vorbeugte, sah ich, daß der frische weiße Käse und [282] ihr runder Hals genau dieselbe Farbe hatten, das sagte ich ihr, und da lachte sie, und da –


Ghita und Martina kommen als die Letzten im Zuge,
der sich quer über die Bühne nach der Straße vorn zur Linken hinbewegt, Ghita steigt die Stufen zu dem Crucifix hinauf, kniet einen Augenblick, schlägt ein Kreuz.
DON JUAN.
Alle guten Geister!
LEPORELLO.
So außer Euch, Herr?
DON JUAN.
Dort – dort – siehst du das Gesicht?
LEPORELLO.
Ein artiges Lärvchen.
DON JUAN.

Eine junge Fürstin, die sich unter das niedere Gesindel gemischt hat, aus Neugier oder einer gnädigen Laune. Diese breiten sammtenen Augenwimpern, die das Feuer ihres Blickes dämpfen sollen, daß er nicht Alles umher in Brand stecke! Der stolze kleine Kopf, der sich so lieblich auf den jungen Schultern wiegt – nie sah ich Ihresgleichen!

LEPORELLO.
Euer ewiges altes Lied! Die Letzte immer die Erste und Einzige.
DON JUAN.

Ha, sie ist fromm! Sie blickt nicht einmal nach mir hin. Um so besser! Ist's doch die feinste Blüte des Genusses, ein Geschöpf, ganz von Andacht erfüllt, zur Weltlust zu bekehren. Ich rede sie an. Nähert sich ihr.

LEPORELLO.
Und unsre Reise nach Neapel, Herr –
DON JUAN.
Verzeihung, mein edles Fräulein –

Ghita ist herabgestiegen, will der Prozession folgen,
bleibt stehen, mißt Don Juan mit einem verwunderten Blick.
DON JUAN.

Ich wage es, Fräulein, Euren frommen Weg zu kreuzen [283] nur weil ich das glühende Verlangen trage, in der Spur Eurer kleinen Füße zu wandeln.

GHITA
kalt.
Ich kenn' Euch nicht, Herr. Uebrigens ist die Straße frei.
DON JUAN.

Auch ich sah Euch nie. Doch ist mir, als wäret Ihr oft durch meine Träume geschritten, wie die Verheißung der ewigen Seligkeit durch die Nacht dieses armen sündigen Lebens.

GHITA
streng anweisend.
Mein Herr –
DON JUAN
in ihren Anblick versunken.

Diese Stirn, dieser zarte und doch so schwellende Mund – und wie Ihr jetzt die seinen Brauen furcht – verzeiht! wer bliebe seiner Worte und Sinne Meister, wenn er ein Wunder erblickt! Aber vergönnt mir, Euch ehrerbietig zu folgen. Die Heilige, zu der Ihr betet, muß aller Gnaden die Fülle haben.

GHITA
mit Hoheit.

Ihr lästert, Herr. Verzeih' Euch Gott Eure wahnwitzige Rede! Ich – habe Euch Nichts mehr zu sagen. Komm, Martina!


Wendet sich ruhig ab und geht. Die Alte folgt ihr.
4. Szene
Vierte Scene.
Don Juan. Leporello.

DON JUAN.

Sie geht. Gehe nur hin! Meine Worte gehn mit dir. Wenn du niederkniest vor dem Altar und das lateinische Ammenlied der Pfaffen deine junge Seele in Schlummer singen will, wird meine Lästerung als eine süßere Musik dir im Ohr tönen und dein begehrliches Herzchen wecken. – Leporello!

LEPORELLO.
Herr!
[284]
DON JUAN.
Geh ihnen nach, häng dich an die Alte, forsche, woher sie sind, ihren Namen und Stand –
LEPORELLO.

O Herr, wollt Ihr wirklich um diese herbe grüne Jugend – während in Neapel Hunderte der schönsten und gefälligsten Damen –

DON JUAN.

Willst du mich lehren, Bursch, wonach mich gelüsten soll? Es ist Zeit, daß wir uns trennen. Dein langer Dienst hat dich allzu dreist gemacht.

LEPORELLO.
Aber bedenkt doch, Herr! An so einem unreifen Aepfelchen beißen sich jüngere Zähne stumpf.
DON JUAN.

Unverschämter! Weil du die Haare zählst, die mir an den Schläfen ergrauen, meinst du, ich sollte bequeme Freuden einem stolzen Wagniß vorziehen? Wenn Weiberliebe uns in den Schooß fällt, wie eine überreife Frucht, – wen ekelt da nicht bald vor dem süßen Einerlei? Nur daß sie einen Willen haben, der unserm Willen erliegt, das macht sie immer neu begehrenswert. Der Löwe rührt nichts Todtes an. Das Sträuben und Zittern seines Opfers würzt sein Mahl. Geh und thu wie ich gesagt. Ich erwarte dich hier.


Setzt sich.
LEPORELLO
für sich.
Er ist ein Ungeheuer. Aber Den will ich sehen, der ihm widerstehen kann! Ab nach links.
5. Szene
Fünfte Scene.
Don Juan allein. Dann ein Karthäuser.

Und doch – wenn er Recht hätte – wenn's thöricht wäre, Zeit und Mühe an die Zähmung dieses trotzigen Wildlings zu wenden? – Es ist nicht mehr mit mir wie sonst. Das Wagen reizt mich mehr als das Gewinnen, der Kampf mehr [285] als die Beute. Und dann – die Oede hier innen, die mich immer unheimlicher angähnt –! Immer nur das alte Spiel in neuen Masken – auf die Länge wird's abgeschmackt. Doch womit betröge man sonst den Heißhunger nach Leben und Glück? Ob es klüger wäre, wie die Meisten thun, die ganze Posse ernst zu nehmen, in Geschäften zu keuchen, sich einzubilden, man könne etwas wirken, schaffen, die lahme Welt vorwärts schieben? Als träfe man am Ziel jedes Weges auf Jemand anders als sich selbst! Die Narren spielen nur länger mit sich selbst Versteckens. während ein kluger Mann sich nie aus den Augen verliert.


Der Karthäuser tritt auf, von rechts.

Da kommt Einer von Denen, die sich einbilden, sie hätten dem Dichter der Weltkomödie über die Schulter geblickt, seien eingeweiht in seinen Plan. Ich will ihm auf den Zahn fühlen. Steht auf. Seid gegrüßt, ehrwürdiger Bruder!

DER MÖNCH.
Der Friede Gottes sei mit Euch!
DON JUAN.
Ihr wünscht mir, was nicht zu erreichen ist, Bruder. Ist der Friede Gottes von dieser Welt?
DER MÖNCH.
Er ist in unserem Herzen, sobald wir unser Herz ablösen von dieser Welt.
DON JUAN.
Wer vermag das, so lang' die Welt ihn umgiebt?
DER MÖNCH.
Wer der Sünde abstirbt.
DON JUAN.

– und Asche auf sein Haupt streut undmiserere wimmert. Ich weiß nicht, guter Bruder, warum wir dies Fragespiel fortsetzen, da ich im Voraus alle Eure Antworten kenne. Aber sagt mir Eins: Ihr seid Karthäuser, wie ich an Eurer Kutte sehe, und brecht doch das Gelübde des Schweigens?

[286]
DER MÖNCH.

Mein Prior sendet mich in Geschäften an den Abt des Minoritenklosters am Berg Sant Angelo. Bis ich die Sendung vollbracht, darf ich reden. In San Martino wird meine Zunge wieder gefesselt.

DON JUAN.

San Martino sagst du? Jene herrliche Abtei hoch über Neapel? Ihr nistet dort wie die Adler im Gebirg. Die aber schwingen sich aus dem steilen Horst auf ihre Beute herab und wenn sie ein Lamm aus der Hürde ergriffen, tragen sie's durch die Luft in ihr Nest empor. Wie macht ihr's, daß ihr euren Begierden wehrt, sich wie Raubvögel in die freudenwimmelnde Stadt hinabzustürzen? Ihr seid noch jung, Bruder. Euer Geist mag willig sein; das Fleisch ist noch zu stark, als daß es nicht schwach sein sollte. Wie könnt Ihr die stumme Einsamkeit ertragen?

DER MÖNCH.
Wir sind nicht einsam; Gott ist bei uns. Wir sind nicht völlig stumm; wir reden mit ihm.
DON JUAN.
Und droben auf San Martino antwortet er, wenn man ihn fragt?
DER MÖNCH.
Aus Eurer Rede spricht ein sündiges Herz. Dem reuelosen Sünder verstummt Gott.
DON JUAN.

Du aber, Mönch, willst auch du mir verstummen, wenn mich die Laune anwandelt, dir zu beichten? Der Mönch sieht ihn forschend an. Du zweifelst, daß es mir Ernst sei?

DER MÖNCH
setzt sich.
Redet!
DON JUAN.
Zunächst denn: ich bin ein Verbrecher von Kindesbeinen an; ich habe meine Mutter getödtet.
[287]
DER MÖNCH.
Unseliger!
DON JUAN.

Meine Geburt kostete ihr das Leben. Diesen Mord bereue ich sehr. Er hat mich darum gebracht, die einzige Frau kennen zu lernen, die ich geliebt hätte, ohne ihrer zu begehren. Meinen Vater hab' ich gehaßt. Er war so thöricht, meinen Willen brechen zu wollen, den er doch selber mir ins Blut gepflanzt, da er mich zeugte. Zum Glück starb er früh und Unterließ mir große Güter.

DER MÖNCH.
Armer Mensch! So hattest du Niemand über dir, zu dem du in Ehrfurcht aufblicken konntest?
DON JUAN.

Doch, ehrwürdiger Bruder: den Schöpfer aller Dinge, der mich mit Kraft und Schönheit ausgestattet und mir unersättliche Sinne verliehen hat für unerschöpfliche Freuden. Als ich begriff, wie sehr er mich bevorzugt, gelobt' ich mir, als einer seiner Lieblinge ihm Ehre zu machen, indem ich seine reiche Welt genoß, so viel ich konnte. Ihr nennt das Sündigen; mir däucht' es ein gottwohlgefälliges Thun.

DER MÖNCH.
Und hast du deiner Selbstsucht nie den Frieden einer andern Seele zum Opfer gebracht?
DON JUAN.

Wer, der da lebt, lebte nicht auf Kosten Anderer! Du selbst, wenn du in heiliger Selbstsucht Himmelsfrieden vorgenießest, versäumst du nicht ein Weib zu beglücken und frohe Geschöpfe in die Welt zu setzen? Ich habe Keine verlassen, die nicht die Stunde, die ich ihr geschenkt, für köstlicher hielt, als Jahre in gemeinem Wechsel von schaler Lust und dumpfer Langerweile. Der Schmerz, mich zu verlieren, war der Kaufpreis für das Glück, mich besessen zu haben.

DER MÖNCH
steht auf.

Der Herr erbarme sich deiner verlorenen Seele! Ich vermag dich nicht loszusprechen. Wem beichtetest du zuletzt?

[288]
DON JUAN.

Vor zwanzig Jahren einem Bettelmönch in Sevilla, meiner Vaterstadt. Er rieth mir, da auch er mein ewiges Theil verloren gab, wenigstens mein irdisches vor den Höllenstrafen der Inquisition zu retten. Ich hatte eine Nonne vom Altar weg gelockt, und da ihr Vater sie mir abtrotzen wollte, den würdigen Greis erschlagen in blinder Nothwehr.

DER MÖNCH.
Entsetzlich! Und selbst um solchen Gräuel fühlst du nicht die Zähne der Reue an deinem Gewissen?
DON JUAN.

O Bruder, ich bereute lang und heiß, daß ich die schöne Geliebte nicht vor mir aufs Pferd geschwungen und in die Welt entführt hatte. Ihre Thränen, die um den todten Vater flossen, entmannten mich. So ließ ich sie zurück und entfloh allein – und habe sie nie vergessen; und da ich heute ihren Ring verlor, den mir die Himmelsbraut Angesichts ihres göttlichen Verlobten unter scheuen, seligen Küssen an den Finger gesteckt, war mir's ein frischer Schmerz. Kannst du mir eine Buße nennen, die diesen Stachel mir au der Seele lös'te?

DER MÖNCH.

Ich will beten, daß der Herr das Licht seiner Gnade in die Nacht deines Herzens sende. Auf deiner Stirn seh' ich ein Zeichen, das mir sagt: du bist ein Abtrünniger, doch aus der Schaar seiner Engel. Mitten in deinen Höllenflammen wirst du im Frost der Selbstsucht Qualen leiden und zurückstreben nach jener Liebe, die allein erleuchtet und wärmt. Gedenk an dieses Wort. Und Gott geleite dich!


Geht langsam ab nach links.
6. Szene
Sechste Scene.
DON JUAN
allein.

Amen, guter Bruder! Die Welt verliert nicht viel daran, daß du das Gelübde des Schweigens abgelegt hast. Was dn sprichst, ist das ewige Eiapopeia für ewige Kinder. Willst du nicht auch dem Berg da droben ins Gewissen reden, daß er [289] endlich aufhöre, die Gluten seines Inneren auszuströmen? Warum hab' ich ihn auch anreden müssen! Pfui über den wohlfeilen Spott, und wahrlich, ich glaube gar, er sollte eine weichmüthige Laune bemänteln. Welch eine Thorheit, einen Vertrauten zu suchen! Weiß ich nicht längst, wie ungeheuer einsam Jeder dahinlebt, der nicht zu den Heerdenmenschen zählt? – Die Wanderung hat mich ermattet. Ich will nach Resina hinunter. Sie haben dort einen Wein, der nach Christi Thränen heißt, aber nach Magdalenens Küssen duftet.


Nimmt den Stab auf, den er an den Felsen gelehnt hat, und will um die Ecke biegen. Zwei Strolche vertreten ihm den Weg.
ERSTER STROLCH.
Guten Abend, Eccellenza!
DON JUAN.
Wer seid ihr? Was sucht ihr hier?
ERSTER STROLCH.
Woran Ihr Ueberfluß habt und wir Mangel.
ZWEITER STROLCH.

Der alte Pasquale hat uns er zählt, daß Ew. Gnaden ein so gütiger Herr sei, ein goldnes Herz habe und alle Taschen voll Gold.

DON JUAN.

Ich gab ihm das Letzte, was ich bei mir trug. Wenn ihr ehrliche Bursche seid und wahrhaft bedürftig, kommt mit mir in die Osterie hinunter, da will ich sehen –

ERSTER STROLCH.
O Eccellenza, der Weg ist weit. Hier haben wir's näher.

Schleicht lauernd heran.
DON JUAN
ist zurückgetreten, erhebt den Stab und faßt mit der Linken den Dolch.
Rührt mich nicht an, oder –
ERSTER STROLCH.
Oder Ihr wollt mit Eisen zahlen, statt mit Gold? Verdammter spanischer Filz!Sticht nach ihm.
ZWEITER STROLCH.
Munter! Drauf und dran, Kamerad!
[290]
DON JUAN
den Dolch zückend.
Der Erste, der mir nahe kommt –
ZWEITER STROLCH
verwundet ihm am linken Arm mit einem Messer, das er aus der Jacke gezogen.
In die Hölle mit dem Großhansen!
DON JUAN.
Ha, verdammt!
7. Szene
Siebente Scene.
Vorige. Gianotto erscheint plötzlich von links kommend auf der Straße unten, im Wanderanzuge, ein Ledertäschchen über die Schulter gehängt, sieht das Handgemenge, reißt den Degen aus der Scheide und stürmt auf die Gruppe zu.

GIANOTTO.
Gesindel! Feige Schurken!
ERSTER STROLCH
sticht nach Don Juan.
Nimm noch den, Ritter von der leeren Tasche! Wir armen Teufel sind freigebiger.
DON JUAN
schlägt ihm den Dolch aus der Hand.
Viper! Ich will dir den Giftzahn ausbrechen. Hieher! An meine Seite, junger Freund!
GIANOTTO.
Zurück, elende Wichte! Verwundet den Ersten. Ha, Schmach und Schande! Zwei über Einen!
ERSTER STROLCH.
Blut und Marter, 's ist ist verspielt! Fort, Calandrino!
ZWEITER STROLCH.
Der Gianotto! Hol' ihn die Pest!

Zieht die Kappe übers Gesicht, entflieht nach links.
ERSTER STROLCH
seinen Dolch aufhebend.
Auf Wiedersehen und besseres Glück, Eccellenza!

Läuft fort.
[291]
GIANOTTO.
Ha, Mordhunde, ich will euch – Will ihnen nach.
DON JUAN.

Laßt sie laufen, Freund! Sie kommen doch auf jedem Weg endlich beim Galgen an. – Mir ist – schwül ums Haupt – Sinkt bewußtlos auf die Bank nieder.

GIANOTTO.

Blut – Ihr seid verwundet – Kniet neben ihm. Er ist besinnungslos – und hier in dieser Oede – Ha, der Rest meines Weines – Stößt aus der Flasche, die ihm am Gürtel hängt, dem Ohnmächtigen einige tropfen ein. – Hört Ihr mich, Herr? Wie fühlt Ihr Euch?

DON JUAN.

Gut – o gut! Schlägt langsam die Augen auf, richtet sich im Sitzen auf und starrt Gianotto an. Wie kommt dieses Gesicht hierher? Warum drohen mir diese Augen entgegen?

GIANOTTO.
Kommt zu Euch, Herr! Hier droht Euch Niemand mehr. Noch einen Schluck.
DON JUAN.

Laßt! – Ich kenne aber diese Augen und diese Stirn unter den schwarzen Locken – wer seid Ihr? Will aufstehen.

GIANOTTO
hält ihn zurück.

Laßt mich erst nach Eurer Wunde sehen. Ihr müßt wissen, ich bin ein gelernter Wundarzt, komme soeben von Salerno, wo ich drei Jahre lang die Heilkunst studirt habe. – Erlaubt Euren Dolch


Schlitzt ihm den Aermel auf, untersucht die Wunde.
DON JUAN
der ihn unverwandt betrachtet.

Ihr ein Arzt? Mit diesem Anstand eines jungen Prinzen? Läugnet's nicht, Ihr seid aus einem edlen Haus.

GIANOTTO
die Wunde sorgsam behandelnd, lacht.

Allerdings, Herr. Zwar meinen Vater hab' ich nie gekannt. [292] Doch meine Mutter dient als Beschließerin in eines Grafen Haus, in das ich eben jetzt als wohlpromovirter Doktor zurückkehre, um meine hohe Kunst und Wissenschaft fortan in meiner Heimath auszuüben. – So! Nun einen Nothverband. In ein paar Tagen könnt Ihr den Arm wie früher brauchen. Bindet ihm ein Tuch um den Arm.

DON JUAN
aufstehend.
Was bin ich schuldig Herr Doktor?
GIANOTTO
mit gerunzelter Stirn zurücktretend.
Herr –
DON JUAN.

Haha! Seht Ihr wohl, mein junger Held? Wenn Ihr nicht edel geboren wärt, würdet Ihr's übel nehmen, daß man Euch Eure ärztliche Hülfe bezahlen will? O werther Lebensretter, Ihr werdet eine seltsame Figur machen als Bauerndoctor, zerhauene Schädel zu bepflastern und gebrochene Beine wieder einzurenken und dann Vergelt's Gott zu sagen, wenn Lisa oder Mea Euch ein vaar schmutzige Münzen in die Hand drückt. Diese Hand – bitt' Euch, zeigt sie mir einmal! Gianotto thut es zögernd. Nun bei allen Sternen, das ist keines Schröpfers und Geburtshelfers Hand, in diesen Adern fließt ritterliches Blut, mehr dazu gemacht, Wunden zu schlagen als zu heilen.

GIANOTTO
mit Kopfschütteln.
Und wenn es so wäre – mein Schicksal ist mir bestimmt.
DON JUAN.

Meint Ihr! Und wenn ich mir herausnähme, es umzustimmen? Ihr müßt wissen, daß ich Zeit meines Lebens keinem Manne nachgefragt habe. Die unter mir standen, verschmäht' ich. Den Mächtigeren hab' ich getrotzt. Ebenbürtige fand ich nicht. So bin ich einsam geblieben und habe mich nur an Weiber gehalten, die keine Gesellschaft sind, nur ein Zeitvertreib. Zu Euch aber, mein junger Freund, zieht mich – ich weiß nicht, wie – ein geheimnißvoller Zug. Könntet Ihr wohl ein wenig Freundschaft für mich fühlen?

[293]
GIANOTTO.
Eure Güte beschämt mich. Doch fremd, wie wir uns sind –
DON JUAN.

Ihr habt Recht. Wir müssen uns näher kennen lernen. Ich gehe heut Abend nach Neapel, von da nach Frankreich. Wenn Ihr Euch entschlösset, mich zu begleiten –

GIANOTTO
bestürzt.
Fort von hier – nachdem ich drei ganze Jahre – Unmöglich!
DON JUAN.

Ich begreife, daß Ihr Eure Mutter nicht sogleich wieder verlassen wollt; ich würde mich bequemen, ein wenig zu warten. Dann aber – ich sag' es offen – möcht' ich Alles daransetzen, Euch dieser unwürdigen Dienstbarkeit zu entreißen, Euch aus freien Augen die Welt anschauen zu lassen, die Höfe der Fürsten, ihre ritterlichen Feste und schönen Frauen –

GIANOTTO.
Ich dank' Euch von Herzen, aber spart die Mühe. Meine Welt ist dort unten.
DON JUAN.

Jenes Fischernest, wo Ihr das Gnadenbrod im Hause eines gräflichen Gönners eßt? Dahinter steckt – ein Weib.

GIANOTTO
verwirrt.
Ihr glaubt –
DON JUAN
lächeln.
Ich weiß. Wie alt seid Ihr?
GIANOTTO.
Zwanzig Jahr.
DON JUAN.

Mit Zwanzigen darf noch ein Weib unsre Welt sein. Mit Einundzwanzig dünkt uns diese Welt zu eng, und wenn sie die weichsten Arme um uns schlänge. Aber kommt, sprechen wir nicht mehr davon! Eh wir scheiden, sollt Ihr mir nur noch einen Gefallen thun.

[294]
GIANOTTO.
Welchen?
DON JUAN.

Eine Flasche Lacrymä Christi mit mir ausstechen auf das Wohl der blauen oder schwarzen Augen, aus denen Eure »Welt« Euch anblickt. Wollt Ihr?

GIANOTTO.
Wie könnt' ich Euch so Geringes verweigern!
DON JUAN.

Ich dank' Euch. Umarmt ihn. Verzeiht! Es ist sonst nicht meine Art, Männer zu umarmen. Doch wollt' ich, ich hätte einen jüngeren Bruder, der Euch gliche, daß ich in einer müden oder vertraulichen Stunde meinen Kopf an seine Schulter lehnen könnte und mir einreden, es nähme eine Menschenseele Theil an mir. Aber kommt, kommt! Dies ist eine Schwäche, die mich anwandelt, weil ich ein paar Tropfen Bluts verloren habe. Der Wein soll sie mir ersetzen!


Er legt den Arm um Gianotto's Schulter und geht mit ihm ab.
Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Salvatore, der Wirth, ein junger Mann mit drollig lebhaften Geberden, führt Gianotto durch die Gitterthür herein, Don Juan folgt.

WIRTH.

Nein, Ihr müßt mir die Ehr' anthun, Herr Gianotto – Herr Doktor, wollt' ich sagen. Heilige Madonna, welche Ueberraschung! – Biondetta! – In drei Wochen erst hat Mutter Martina Euch erwartet, und noch gestern sagte sie – Salvatore, sagte sie – He, Biondetta, Biondina, Bionduccia! Wo zum Henker steckt die Hexe?

GIANOTTO.
Habt Ihr schon Hochzeit gehalten, Freund Salvatore?
WIRTH.

Hätte schon sein sollen, Herr Gianottino, gerade heut am Madonnenfest, aber da fiel's dem Prinzen in Neapel ein, just auch auf denselbigen Tag – Zu einem Knaben, der gelaufen kommt. Lauf, Carlino! Sag der Biondetta, sie soll Alles stehn und liegen lassen, hörst du? und herkommen, hörst du? – aber [296] kein Wort, wer hier ist, Spitzbube! Zu den Andern. Meiner Schwester Sohn, ihr Herren, flink wie eine Ratte und gefräßig wie zehn. – Aber um wieder auf die Hochzeit zu kommen: ja ja, große Herren haben den Vortritt, aber mit Geduld kommt auch der Lahme über den Berg – und weil auch die gräflichen Herrschaften mir die Ehr' und Gnade erweisen wollten – Biondetta kommt hastig aus dem Garten. Nun, du Schnecke, sieht man dich endlich? Da komm her, Täubchen, da schau einmal –

BIONDETTA.
O Himmel, Herr Gianotto!

Läuft zu ihm hin, reicht ihm beide Hände.
WIRTH
zu Don Juan.

Meine Verlobte, Herr, und der Frau Gräfin Kammerjungfer bisher. Aber weil heut Festtag ist, hilft sie mir hier unten in der Wirtschaft. – Nun, Mäuschen, ist er's oder ist er's nicht? Haha! Thust ja ganz verschämt, mein Wieselchen. Freilich, der große Bart – hahaha!

BIONDETTA.

O Herr Gianotto, solch eine Freude! – Und noch gewachsen seid Ihr – und noch schöner geworden, und so ernsthaft und respektabel –

GIANOTTO.
Liebe gute Biondetta, wie geht es dir? Auch ich freue mich mehr, als ich sagen kann –
WIRTH.

Mit trocknem Munde, Doctorchen? Freude muß man begießen, daß sie in Flor kommt, haha! Flink, Biondina, Wein für die Herren!

BIONDETTA.
Von welchem befehlt Ihr, lieber Herr Gianotto?
GIANOTTO
verwirrt.
Ich möchte in der That erst – meine Mutter würde sich wundern –
BIONDETTA.
Mutter Martina? Die trefft Ihr jetzt doch nicht zu Hause.
[297]
GIANOTTO.
Ist sie mit den Herrschaften?
BIONDETTA.
O nicht doch! Sie ist bei der Contessina zurückgeblieben.
GIANOTTO
freudig überrascht.
Hier? Ghita – die Contessina nicht in Neapel?
BIONDETTA.
Sie wollte nicht – konnte nicht – ein bischen Kopf- oder Lächelnd. Herzweh –
WIRTH.

Da könnt Ihr gleich zeigen, was Ihr gelernt habt, Ihr Hexenmeister von einem Heilkünstler, haha! könnt der Madonna droben ihre Kunden abspenstig machen und noch viel größere Mirakel verrichten, absonderlich an den Weiberchen, hehehe!

GIANOTTO.
So will ich augenblicklich –
WIRTH.

Behüte, junger Herr! Ihr trefft sie nicht. Sie ist nach dem Kloster hinauf mit der Prozession, Bewegung Don Juan's. muß jeden Augenblick wieder zurückkommen. Inzwischen – weißen Capri, Ew. Gnaden? schwarzen Nostrale? Chianti? Süß oder herb?

DON JUAN.

Ich kostete vorhin, als ich hier abstieg, von Eurem Lacrymä Christi. Es muß ein angenehmes Geschäft sein, die Welt zu erlösen, wenn man so süße Thränen darum weint.

WIRTH.

Ihr seid ein Kenner, Eccellenza. Ein vorzüglicher Tropfen, unverfälscht wie die Seele eines Kindes im Mutterleib. Eil dich, Biondettinuccia. Eine Flasche vom ganz alten. Biondetta ab. Dorthin, wenn es den Herren beliebt! Führt sie zu der Steinbank. Nein, dieser Wunderdoktor! Die Ueberraschung! – Man [298] hört Lärm im Garten. Die Herren entschuldigen – das Bauernvolk ist gleich toll und voll – muß nur geschwind nach dem Rechten sehen.


Läuft eilig in den Wirthsgarten.
2. Szene
Zweite Scene.
Don Juan. Gianotto.

DON JUAN
setzt sich.
Ihr werdet hier sehr geliebt, mein junger Freund.
GIANOTTO
der zerstreut hin und her geht.
Ich bin hier aufgewachsen. Die guten Leute rechnen mich zur Familie.
DON JUAN.
Und im Hause Eures gräflichen Gönners – werdet Ihr da auch zur Familie gerechnet?
GIANOTTO.
Was meint Ihr?
DON JUAN.

Eure Mutter, sagtet Ihr, sei die Beschließerin im Hause. Wird ihr Sohn am Tische ihrer Herrschaft geduldet? Und wenn er sich herausnimmt, die Augen zu der Tochter des Hauses zu erheben –

GIANOTTO
erröthend.
Wie könnt' Ihr wagen, Herr – wer hat Euch gesagt –
BIONDETTA
kommt mit dem Wein.

Hab' ich die Herren warten lassen? Sie zupfen und zerren alle an mir. Und seht, da strömt's noch herein. Neue Gäste treten durch die Gitterthür ein. Nicht soviel Zeit, mich fünf Minuten zu Euch zu setzen, lieber Herr Gianotto, und mir erzählen zu lassen. Zu Don Juan. Darf ich Euch einschenken, Herr?

DON JUAN
nickt.

Wenn Ihr mir kredenzen wollt, Allerschönste! Ein Mund wie der Eure giebt dem edelsten Wein erst die rechte Blume.

[299]
BIONDETTA.

Ha, Ihr seid galant. Nippt an dem Glase. Auf Euer Wohl! Und Eures, Herr Gianotto – und der Gräfin – und der Contessina – Was Die Augen machen wird!

GIANOTTO
leise zu ihr.
O Biondetta, nur ein Wort! Hat sie je von mir gesprochen? Was hat sie gesagt?
BIONDETTA.

Die Contessina? Ihr kennt sie doch! Sie ist keine Schwätzerin – Aber wer ist der Fremde? Er hat Schlangenaugen!

SALVATORE'S STIMME. Biondetta! He, Biondetta!

BIONDETTA.

Ich komm', ich komme! – Verwünscht! man soll überall sein. Da Don Juan sie halten will. Nein, gnädiger Herr, laßt mich gehn! Mein Salvatore ruft nach mir. Im Abgehn für sich. Ist das ein Mann! So sah ich noch keinen. Läuft fort.

DON JUAN
langsam seinen Wein schlürfend.

Ein lieblicher Wein! Und eine allerliebste Schenkin. Wenn Euch die beiden ein wenig zu Kopfe stiegen, junger Träumer, wär's heilsamer für Euch, als daß Ihr nach gräflichen Trauben schielt, die Euch zu hoch hängen.

GIANOTTO.
Ich versuche Euch in allem Ernst –
DON JUAN.

Zwar, daß Ihr diese junge Gräfin liebt, kann ich Euch nicht verdenken. Sie ist schön genug, um selbst vor schärferen Augen, als Eure zwanzigjährigen, Gnade zu finden.

GIANOTTO
betroffen.
Ihr sprecht, als hättet Ihr – wo habt Ihr sie gesehen?
DON JUAN.
Gesehen und gesprochen und gefunden, daß sie jeder Sünde werth ist.
[300]
GIANOTTO
rasch einfallend.
Wo? Wann?
DON JUAN.

Der Ort ist gleichgültig. Auch würde ich Euch nicht vor ihr warnen, wenn Ihr ein munterer, verwegener Geselle wäret, der die Weiber zu nehmen wüßte, wie sie genommen sein wollen. Ihr aber, mit Eurer Kinderseele –

GIANOTTO
aufbrausend.
Herr –!
DON JUAN.

Denn trotz Eures Bärtchens und der Doktorwürde liebt Ihr noch wie ein Knabe. Ihr werdet zu diesem Grafenkinde hinaufschmachten in aller Ehrfurcht, und sie wird es sich in Gnaden gefallen lassen. Dann werden ihre zärtlichen Eltern, die Euch als ungefährliches Spielzeug im Hause geduldet, ihre Tochter standesgemäß vermählen, und Ihr werdet – nachdem Ihr ein Trauerjahr durchseufzt – ein hübsches, bescheidenes Bürgerskind mit einer artigen Mitgift heimführen, Euren Besitz und Euren Kindersegen von Jahr zu Jahr wachsen sehen und endlich eines gottseligen Todes sterben. Könnt Ihr behaupten, daß es sich verlohnte, mit Euren Gaben und Anlagen auf die Welt zu kommen, um dies ehrenvolle Ende zu nehmen?

GIANOTTO.

Nein! nein! nein! Ihr kennt sie nicht. Sie einen Andern? Sie meines Herzens spotten, meiner Liebe, die mit uns Beiden groß geworden – Ihr kennt sie nicht!

DON JUAN.

Dieses Glas auf die Gesundheit Eures Herzens. Denn wahrlich, es ist krank. Wie? Ich kenne sie nicht? Ist sie nicht ein Weib?

GIANOTTO.

Keines wie alle andern, keins, das auf den ersten Blick von Euch durchschaut werden könnte, und wäret Ihr –

DON JUAN.

Der Teufel in Person – warum sprecht Ihr es nicht aus? [301] Aber Ihr seid im Irrthum, Freund. Man braucht kein Teufel zu sein, um die Weiber für nichts Besseres zu halten, als sie selbst, unter vier Augen mit ihrem Spiegel, sich eingestehn. Fragt ihren Schutzengel, der weiß am besten, auf wie schwachen Füßen die Tugend der Besten steht, ihre gepriesene Lieb' und Treue. Ihr Gelüst ist ihr Gott, dem bringen sie jedes Opfer, und müßten's Menschenopfer sein. Bei alledem sind sie noch immer der gescheiteste Gedanke, den der Schöpfer am siebenten Tage gehabt hat, und die süßeste Erfrischung, die ein Mann auf dem heißen, staubigen Weltpfade sich gönnen mag.

GIANOTTO.
Jedes Wort, das Ihr sprecht, beweis't mir, daß ein Wesen, wie Ghita, Euch ewig fremd geblieben.
DON JUAN.

Meint Ihr? Weil sie sich kühl und unnahbar stellt? Gutes Kind, hast du nie eine Schale Sorbet geschlürft, die dich eisig anhauchte, wie ein süßer Gletscher, und um so williger dir auf der Zunge zerschmolz? Ich will dir nicht wehthun; aber den Beweis zu führen, daß auch dieses Eis unter dem rechten Anhauch sich in laue Frühlingsflut verwandeln müsse –

GIANOTTO
der immer von Zeit zu Zeit nach dem Hintergrunde geblickt hat.
O Gott – da ist sie!
3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Hinter der Gartenmauer von links kommen Ghita und Martina.

MARTINA.

Ja, Kind, es war schön, und an Kerzen haben sie nichts gespart. Aber das rothe Sammetkleid der Madonna ist schon recht fadenscheinig, und das Krönlein –

GIANOTTO
ihnen entgegen.
Mutter! Mutter!
MARTINA.

Jesumaria, wer ruft da? – Gianotto!Stößt mit einem [302] Freudenschrei das Gitter auf, läuft herein, auf Gianotto zu, der sie in seinen Armen auffängt. Bist du's? Bist's wirklich? O ihr Himmlischen! Mein altes Herz! – Ghita! Ghita!


Ghita ist in der Thür stehen geblieben, kommt jetzt langsam näher.
GIANOTTO
sich von der Mutter losmachend.

O Mutter – meine Mutter wie gehts Euch? Und – die Contessina – Will Ghita entgegeneilen, bleibt wieder stehen.

MARTINA.

Er ist's! Gott sei gepriesen! So groß und schlank und schön – aber ganz bleich, armes Kind, von allem Studiren! Und eben bet' ich noch zur Madonna: Laß ihn mir gesund heimkehren, Mutter der Gnaden! – und da bist du schon, und ich armes altes Thier verderbe die Zeit damit, ihn heranzubeten. Ghita! Sagst du denn kein Wort? starrst ihn auch an wie ein Meerwunder?

GHITA
die betroffen auf Don Juan geblickt hat, tritt jetzt auf Gianotto zu, reicht ihm ruhig die Hand.
Guten Abend, Gianotto! Ich freue mich, Euch zu sehen. Seid willkommen zu Hause!
GIANOTTO
schmerzlich.

Zu Hause? Bin ich's denn? – Bin ich zu Hause, wo man mich so fremd anblickt? O Ghita – haben wir uns nicht du genannt? Ghita blickt regungslos vor sich hin.

MARTINA.

Freilich habt ihr das – und tausend Kinderpossen dazu. Aber laß sie nur erst zu sich kommen. Es hat sie so überstürzt – und oh, was die Frau Gräfin sagen wird –! Erblickt jetzt erst Don Juan. Aber du hast Gesellschaft, Kind –

DON JUAN.

Don Cesar von Sevilla, gute Frau: ein Freund Eures trefflichen Sohnes, der mir erst vor Kurzem einen großen Dienst geleistet. Ihr aber, Contessina –

[303]
MARTINA.
O Ghita – das ist ja – Spricht leise zu ihr, die mit ruhigen Augen vor sich hin blickt.
GIANOTTO.
Ghita, kennt Ihr mich noch? Aber ich vergesse: Ihr seid nicht ganz wohl – Biondetta sagte mir –
GHITA.
Es war Nichts. Es ist vorüber.
GIANOTTO.
Ihr wechselt die Farbe.
GHITA.
Der rasche Gang – Wollen wir nicht nach Hause gehn, Martina?
MARTINA.

Du hast Recht, Kind; nach Hause, und er geht mit uns. Er wird müde und hungrig sein – und muß uns erzählen –


Im Hintergrunde beginnt eine Guitarre und ein Tamburin einen Saltarello.
GIANOTTO
der immer auf Ghita starrt, die still vor sich hin blickt.

Nein, Mutter, wie soll ich essen, wie soll ich ruhen? O – ich hatte mir's so anders gedacht! Wendet sich schmerzlich ab; sie tritt zu ihm, redet ihm eifrig zu.

DON JUAN
zu Ghita.

Da ich Euch zu Eurer Andacht nicht habe folgen dürfen, Fräulein, darf ich Euch nun vielleicht zu dem Tanze führen, der eben beginnt.

GHITA
kalt.
Ich muß diese Ehre ablehnen, Señor. Ich tanze mit keinem Fremden.

Der Wirth kommt, einen jungen Burschen am Am hereinzerrend.
WIRTH.

Nur dreist, Marchetto, nur das Herz auf der Zunge! Seht, Contessina, da ist der Marchetto, der Marchetto vom Apotheker – Ho, Tölpel! Hiergeblieben! – hat sich gerühmt, vorm Jahr hättet Ihr ihm versprochen, einen Saltarello mit ihm zu tanzen, und weil heut Madonnenfest sei –

[304]
GHITA
Nach einem raschen Blick auf Gianotto.
So muß ich mein Wort wohl halten. Du erlaubst doch, Mutter Martina?
MARTINA.

Geh immerhin, mein Engel! Tanze, wenn es dir Vergnügen macht. Der Gianotto hier, der wunderliche Junge – ich rede ihm die ganze Zeit zu, dich aufzufordern, aber glaubst du's wohl? er betheuert hoch und heilig, er habe das Tanzen verlernt. Das kommt vom vielen Studiren! O du meine Zeit! Ghita mit dem Burschen ab; der Wirth folgt ihnen. Da geht sie mit dem Marchetto ab. Und du – willst dn nicht wenigstens zuschauen? Schüttelst den Kopf? Aber sag ums Himmelswillen – Spricht leise in ihn hinein, der auf der Bank sitzt, den Kopf düster brütend aufgestützt.

4. Szene
Vierte Scene.
Gianotto. Martina. Don Juan. Anderes Landvolk kommt von der Straße herein, darunter Leporello mit einer geputzten Schönen.

DON JUAN.

Sieh da, das glückliche Brautpaar! Leporello stellt ihm die Braut vor, Don Juan faßt sie unter das Kinn.

LEPORELLO
vorwurfsvoll.
Gnädiger Herr –! Ihr macht sie ganz verwirrt.
DON JUAN.

Eifersüchtig? Sei unbesorgt. Obwohl du einen guten Geschmack bewiesen hast. Haltet ihn nur streng, schöne Frau. Ihr seht sanft aus. Schade drum! Für seine Sünden verdiente er das Fegefeuer schon hier auf Erden.

LEPORELLO.
Geh voraus, Ricciolella! Drängt sie fort. Was ich Euch noch zu melden hatte, Herr –
DON JUAN
ungeduldig.
Nun?
[305]
LEPORELLO
geheimnißvoll.
Ich hab' es heraus, wer die Schöne war. Es hat aber Künste gekostet, bis ich die Alte –
DON JUAN.

Schon gut! Ich weiß, was ich zu wissen wünschte. Geh jetzt zu deiner Zukünftigen und trink auf meine Gesundheit!

LEPORELLO
in höchstem Erstaunen.
So wißt Ihr, daß die Contessina –
DON JUAN.
Fort, Schwätzer!
LEPORELLO.
Er hat einen Dämon in seinem Solde!

Kopfschüttelnd ab in den Garten.
MARTINA
plötzlich aus ihrem leisen Gespräch auffahrend.

Jesumaria! Ich vergesse das Wichtigste. Ich muß ja in die Villa – dein Bett ist noch nicht hergerichtet – in der Küche Nichts vorgesorgt – nein, nein, mein Junge, du sollst den ersten Abend bei deiner alten Mutter Martina nicht hungrig zu Bette gehn!


Nimmt seinen Kopf zwischen die Hände, küßt ihn rasch auf die Stirn, läuft durch das Gitter hinaus.
5. Szene
Fünfte Scene.
Don Juan. Gianotto. Die leise Guitarren- und Tamburinmusik hinter der Scene dauert noch fort.

DON JUAN.
Nun, junger Freund? Zu Eis erstarrt durch die Nähe dieses wandelnden süßen Gletschers?
GIANOTTO
sich das Haar zerwühlend.
Könnt Ihr noch meines Unglücks spotten? Laßt mich sterben, wenn Ihr es gut mit mir meint!

Verbirgt das Gesicht in den Händen.
[306]
DON JUAN.

Kind, das Ihr seid! Schämt Euch Eures Kleinmuths! Wie? den Tod herbeiwünschen, weil ein hochmüthiges Prinzeßchen die Nase rümpft über den hergelaufenen Jugendfreund?

GIANOTTO.

Hochmüthig? O nicht das! Habt Ihr nicht gesehen, daß sie sich nicht zu gut hielt, mit diesem Marchetto –

DON JUAN
legt ihm die Hand auf die Schulter.

Ich hab' es gesehen, und da ich gute Augen habe, hab' ich noch Mehr gesehen. Dieser Apothekerssohn – Ihr seid freilich ein schmucker Junge; er aber ist größer und stärker als Ihr – und war, während ihr in Salern saßet, hier beständig bei der Hand in Fleisch und Bein –

GIANOTTO
aufspringend.
Ich verbiete Euch, nur mit einem Hauch die Reinheit ihrer Seele anzutasten.
DON JUAN
gelassen.

Gut denn! Sie ist eine Heilige. Aber seid Ihr darum besser daran? Ihr bleibt ihr der arme Teufel, der Ihr seid, und habt nur noch die Freiheit, auch ein dummer Teufel zu werden, durch brennende Seufzer und unerhörte Gebete zu diesem gnadenlosen Bilde ihre Verachtung zu verdienen. Die tugendsamste Heilige denkt gering von dem blöden Anbeter, der sie nie in Versuchung führt. Wenn die Dankbarkeit gegen ihre Eltern Euch dies verwehrt, so bleibt nur Eins: fortzugehen und ihr zu zeigen, daß Ihr sie entbehren könnt.

GIANOTTO.
Gott, Gott! Diese Stunde, die ich seit Jahren ersehnt –
DON JUAN.

Noch einmal denn: ich liebe Euch, Ihr habt mir's angethan, ich wünschte mir nichts Besseres, als Eure Gesellschaft. Wenn Ihr in Eurem schwerbedrängten Busen nur einen Funken von Neigung und Vertrauen zu mir glimmen fühlt, versucht [307] es mit mir! Es soll Euch zum Heile sein, mein theurer junger Freund, wie es mich beglücken wird.


Biondetta tritt aus dem Hause, bleibt auf den Stufen stehn.
BIONDETTA.
Befehlen die Herren neuen Wein, oder etwas zu essen?
DON JUAN.
Nein, allerschönste Hexe, aber zeige mir ein Zimmer, wo ich heut übernachten könnte.
BIONDETTA.
Wenn Ihr vorlieb nehmen wollt, Eccellenza –
DON JUAN
leise zu ihr.
Welcher Fürst wäre nicht wohlgebettet – unter Einem Dache mit dir!
BIONDETTA.

Geht, Ihr seid ein arger Herr. Und übrigens – ich muß wieder in die Villa hinauf. Aber wenn Ihr die Kammern sehen wollt –

DON JUAN
zu Gianotto.

Das Beste wäre, wir brächen sofort zusammen auf. Doch wenn Ihr's Eurer Mutter nicht anthun könnt – nun denn, so will ich hier warten, bis Euch gute Gedanken kommen und männliche Entschlüsse. Und jetzt zeigt mir die Kammern, allerliebste Biondetta!


Geht ins Haus, Biondetta folgt ihm.
6. Szene
Sechste Scene.
Gianotto allein. Dann Ghita. Der Mond ist aufgegangen, scheint von links in den Garten hinein; unter der Veranda ist's dunkel.

GIANOTTO.

Männliche Entschlüsse? O ich wüßte einen, den männlichsten von allen: das Hirn an einem Felsen zerschmettern, daß ich die Gedanken drin morde, die den kindischen Träumer, den betrogenen Thoren verhöhnen! – Weggeworfen, wie ein durchgetanzter Schuh – ausgelöscht, wie die Buchstaben, die sie als Kind auf ihr Täflein kritzelte – O und darum dies [308] Herzweh drei unendliche Jahre – die Stachelreden der Freunde, wenn ich einsam am Strande ging, während sie im einen Arm die Laute, im andern ein schwarzäugiges Liebchen – ich komme von Sinnen! – Nein, ich mach' ein Ende, ich machs – gleich heut – nur noch ein Wort mit meiner Mutter – Die Musik schweigt. Ha, der Tanz ist aus! Sie wird hieherkommen mit ihrem Marchetto, ein Glas Wein mit ihm trinken – denn hochmüthig ist sie durchaus nicht, o nein! Für einen Saltarello ist ihr Keiner zu schlecht. Nur wenn ein namenloser Wicht sich anmaßt, ein Herz zu haben, ein Herz von ihr zu verlangen – fort, fort! Nicht einen Blick – nicht ein Wort weiter!


Wendet sich zum Fortgehen. Plötzlich steht Ghita im vollen Licht des Mondes vor ihm.
GHITA.
Gianotto – wohin willst du?
GIANOTTO
wendet sich ab.
Ghitha!
GHITA
tritt in die Veranda, bleibt wieder stehen.
Du bist allein. Wo blieb der Spanier, der sich deinen Freund nannte? Ist er wirklich dein Freund?
GIANOTTO
düster.
Er betheuert es. Ich glaub' es ihm. Warum sollt' ich es ihm nicht glauben?
GHITA
mit Nachdruck.

Glaub ihm Nichts, was sein Mund betheuert, nur was aus seinen Augen spricht. Ein Dämon glüht darin, der Macht hat über arglose Seelen. Auch deiner hat er's angethan.

GIANOTTO
immer abgewandt.

Wer an Liebe verarmt ist, nimmt vorlieb mit der Zuneigung eines Hundes oder Teufels. Lebt wohl, Contessina!

GHITA
tritt dicht vor ihn hin sanft.
Gianotto! kennst du deine Ghita nicht mehr?
[309]
GIANOTTO
sie anstarrend, mit aufdämmernder Erkenntniß.
Heiliger Gott – was sagst du? Meine – meine Ghita?
GHITA
mit leisem Lächeln.
Deine, du böser, wilder, liebster aller Menschen – deine und keines Andern unter der Sonne.
GIANOTTO
stürzt ihr zu Füßen, umfaßt sie stürmisch.
Ihr Ewigen! Und ich Elender, ich konnte glauben – O ich bin's nicht werth –
GHITA
zu ihm hinabgezeugt, zieht ihn hastig empor.

Steh auf – was thust du? Willst du uns verderben? Er erhebt sich. O wenn du wüßtest, was es mich gekostet hat, mich gefühllos zu stellen! Wie ich deine Stimme hörte – ein himmlischer Strahl zuckte mir durch den ganzen Leib – ich dacht', ich müßte umsinken vor stürmischer Wonne – aber fremde Augen sahen auf uns, und dieser Fremde! Gestorben wär' ich lieber, als diese bösen Augen in mein Herz blicken zu lassen. Du aber – o du einfältiger Gianotto! mit all deiner Weisheit und Gelehrsamkeit verstandest du mich nicht! Ist es denn möglich, daß du so ganz an mir verzweifeln konntest?

GIANOTTO.
Mußt' ich nicht? Frag' ich mich nicht jetzt noch vergebens, wie ich ein solches Glück verdiene?
GHITA.

O thu es nie wieder, mein Freund! Zweifle nie wieder am Herzen deiner Ghita! Sieh, Liebster, ich stelle mich wohl tapfer, aber ich habe Stunden, wo ich selbst verzagen möchte, daß ich mein einziges Glück, von dem ich seit meinen Kindertagen träume, daß ich dich je gewinnen könnte. Nur wenn nicht ein Hauch zwischen uns ist, wenn deine Gedanken meine sind und mein Herz in deinem lebt, dann fühl' ich mich unüberwindlich, dann weiß ich: es ist Gottes Wille, daß Nichts uns trennen soll. Geht es dir nicht auch so? Ist dir's nicht[310] auch, als müsse die Welt um dich her versinken in einen unermeßlichen Abgrund, wenn der Gedanke dir kommt, du und deine Ghita, ihr könntet je verschieden Sinnes sein?

GIANOTTO.

Du sagst es. So – ganz so war mir's eben jetzt! Doch nun – nun – Will sie stürmisch an sich ziehn, sie tritt zurück.

GHITA.
Nein, Liebster! Nicht so! Noch nicht! Erst müssen wir uns erkämpfen. Zweifelst du am Siege?
GIANOTTO.
O Ghita – deine Eltern!
GHITA
eifrig und mit Nachdruck.

Ich werde vor sie hin treten und ihnen Alles sagen. Sie lieben mich, und wenn sie hören, daß ich sterben würde, getrennt von dir – Höre, Gianotto, ich hab' eine Sünde begangen, deinetwegen.

GIANOTTO.
Eine Sünde? Kannst du auch sündigen, liebe Heilige?
GHITA.

Ich habe meine Mutter belogen. Es war meine erste Lüge. Ich sollte mit nach Neapel. Da träumt mir in der Nacht vor der Abreise, ich sei allein auf dem Dach der Villa – und die Sterne schienen so hell, und das Meer donnerte so laut gegen den Strand, sonst war Alles still. Und plötzlich hör' ich klopfen unten am Hausthor und deine Stimme: Oeffnet! Ich bin's! Gianotto! – aber Niemand öffnete. Und ich will rufen: Warte, Gianotto, ich komm' hinab – aber die Kehle ist mir wie zugeschnürt und die Kniee wie mit Stricken umwunden, und immer wieder pochtest du unten und riefst – immer leiser und leiser – immer verzweifelter rang ich nach einem Laut – und endlich schwiegst du ganz, und ich hörte deinen Schritt sich vom Hause entfernen – und als er fern verklang, da erst konnt' ich schreien: Ich komme, Gianotto! – aber es war zu spät, und ich erwachte in Thränen.

[311]
GIANOTTO
ihre Hände an die Brust drückend.
Armes, geliebtes Herz!
GHITA
lächelnd.

Nicht wahr? Ein böser Traum, und doch so gut für mich; denn nun wußt' ich, du würdest früher kommen und durftest doch das Haus nicht leer finden. Da log ich, daß ich krank sei – halb war ich's auch an fieberhafter Ungeduld – und jetzt hab' ich dich – und bin geheilt – und bin selig!


Legt ihm die Hände auf die Schultern.
7. Szene
Siebente Scene
Vorige. Martina durch die Gitterpforte. Gleich darauf Don Juan aus dem Hause. Die Gäste verlassen einzeln und in Gruppen den Garten und gehen durch die Gitterthür ab.

MARTINA.

So! Nun ist Alles in Ordnung, nun kann mein junger Herr Doktor – Gianotto! Bist du da? – Ha, da stehen sie und schwatzen. Kinder, Kinder, nach Hause, nach Hause! Die Maccheroni sind schon in der Pfanne. Hast getanzt, Ghitina?

GHITA.
O Mutter Martina, die Welt ist so schön!
DON JUAN
erscheint in der Thür; für sich.

Beisammen? Verwünscht! Tritt zu Gianotto. Die Pferde sind ausgeruht, die Nacht ist lieblich. Wie wär's, mein junger Freund –

GIANOTTO
verwirrt.
Reitet mit Gott, Herr! Ich will Euch nicht aufhalten.
DON JUAN.
Ihr wißt, daß ich zu warten gedenke, bis Ihr Euch losgemacht habt.
[312]
GIANOTTO.
Ihr möchtet doch die Geduld verlieren.
DON JUAN
kalt.
Hat der lose Vogel von den rothen Beeren genascht und sich in der Sprenkel gefangen?
GIANOTTO
ihn frei anblickend.

Denkt, was Ihr wollt! Das aber will ich Euch zum Abschied sagen: all Eure höhnische Weisheit von Frauenwerth und Lieb' und Treue ist Thorheit und Aberwitz vor diesem Engelsbilde, und – und somit gehabt Euch wohl und viel Glück auf die Fahrt!


Wendet sich ab, nimmt das Reisetäschchen, das er auf den Tisch gelegt, und tritt zu Martina, die mit Ghita gesprochen hat.
DON JUAN
für sich.
Der Uebermüthige! Bezwingt sich rasch, nähert sich Ghita. Darf ich noch eine Bitte wagen, Señorita?
GHITA.
Eine Bitte?
DON JUAN.

Es ist noch zu früh, sich zur Ruhe zu begeben, und die Gesellschaft in dieser Schenke ist nicht die beste. Würdet Ihr mir gestatten, Euch nach der Villa zu begleiten und noch ein Stündchen mit Euch und Eurem Jugendfreunde zu verplaudern?

GHITA
mit ruhiger Kälte.

Meine Eltern sind abwesend. Da ich allein das Haus zu hüten habe, werdet Ihr verzeihen, daß ich Unbekannten keine Gastfreundschaft gewähren kann. Laß uns gehen, Martina!


Wendet sich mit leichtem Gruße ab und geht. Martina und Gianotto folgen.
8. Szene
Achte Scene.
Don Juan allein, dann Biondetta.

DON JUAN.

Bei Gottes Blut! Eine Abfertigung in aller Form! Wie [313] sie das stolze Näschen rümpfte und so kühl die junge Lippe schürzte! Sie haben sich verständigt hinter meinem Rücken, wenigstens glaubt er's, der allzu Gläubige. Sobald er ihr zu entschlüpfen drohte – flugs das Netz nach ihm ausgeworfen – nun zapple, Fischlein! Und er, wie gut es ihm stand, als er unhöflich wurde, besser als sein Winseln vorher. Wüßt' ich nur, was ich an ihm finde! Ein andrer dreister Knabe, der mir seine höhnische Absage ins Gesicht geschleudert hätte – mit flacher Klinge hätt' ich ihm – Ha, meine schöne Wirthin!


Biondetta, aus dem Hause, mit einer dreiarmigen Messinglampe, die sie auf den Tisch stellt.
BIONDETTA.
Gute Nacht, Herr!
DON JUAN.
Wünschest du mir eine gute Nacht und beraubst mich ihrer, indem du von mir gehst?
BIONDETTA.
Ich muß wohl. Was würde man sagen, wenn ich hier in Salvatore's Hause, ehe wir getraut sind –
DON JUAN
stampft mit dem Fuß.

Salvatore! Wer redet von Dem! Legt den Arm um ihre Hüfte. Ihr wäret dazu geschaffen, den stolzesten Mann um seine fünf Sinne zu bringen, und werft Euch weg an diesen groben Gesellen? Saht Ihr je ein Schwanenweibchen, das sich mit einem Entrich paarte?

BIONDETTA.
Geht, geht! Ihr meint es nicht, wie Ihr sagt.
DON JUAN
setzt sich auf die Bank.
Bin ich der Erste, der dir's sagt? Hat der Graf keine Augen im Kopf? Und dieser Fant, der Gianotto –
BIONDETTA.
Der? Der hat nur Augen für –
[314]
DON JUAN.

Ich weiß, wen du meinst. Nur ein Narr kann jenes kalte Steinbild anbeten, wo so süßes, glühendes Leben ihn anlacht. – Was du für kleine Hände hast, Biondetta!

BIONDETTA.

Ihr kennt Gräfin Ghita nicht. Sie ist viel mehr werth als ich; sie ist klug wie der Tag und sanft wie die Nacht, und hat viel kleinere Hände als ich.

DON JUAN.
Verzeih! Ich muß diese Hände küssen.
BIONDETTA.
Ihr laßt Euch zu sehr herab.
DON JUAN
zieht sie neben sich auf die Bank.

Schönheit ist immer Königin und macht Hoch und Niedrig zu Vasallen. Was du für feine Schläfen hast, Biondetta. Ich muß diese Schläfen küssen. Er thut's.

BIONDETTA
ängstlich auffahrend.
Um Gott, Herr, wenn Salvatore Euch sähe! Er versteht keinen Spaß.
DON JUAN.
Auch küsse ich immer im Ernst. Sag, Allerlieblichste, wie lange bist du bei der Gräfin?
BIONDETTA.
Vier Jahr. Ich war sechzehn, da meine Mutter mich zu ihr brachte.
DON JUAN
ergreift wieder ihre Hand.

Die Hälfte der Zeit hätte genügt, um mit diesen Schelmenaugen die verborgensten Geheimnisse des Hauses zu erspähen Sich zu ihr neigend. Gesteh nur: wenn wirklich die alte Martina Gianotto's Mutter ist – so ist der Graf sein Vater.

[315]
BIONDETTA.
Der Graf? Nein, nein! Behüte! Wo denkt Ihr hin!
DON JUAN.
Diese goldne Kette, wenn du mir Alles sagst, was du weißt! Zieht sie wieder auf die Bank.
BIONDETTA
sich sträubend.
O heilige Madonna, nein, nein!
DON JUAN.
Hast du ein Gelübde gethan, einen Eid geschworen?
BIONDETTA.

Nichts, o Nichts, Herr, bei meiner Mädchenehre! Was ich weiß – meine eignen Ohren haben mir's verrathen – und doch – die Kette nehm' ich nicht!

DON JUAN
steckt sie ihr in den Busen.
Der Graf ist nicht sein Vater?
BIONDETTA.

Ihr seid ein Zauberer, ein Verführer! Nein, der Vater ist todt. Aber auch die Alte – woher wißt Ihr's nur? – ich hört' es von ihr, da sie einmal aus dem Fieber schwatzte – die Gräfin hatte eine Schwester, noch viel schöner als sie selbst, die liebte einen Cavalier, den wollte der Vater ihr nicht geben, weil er arge Dinge trieb und verrufen war in ganz Sevilla.

DON JUAN
aufspringend.
Sevilla! Spanierinnen?
BIONDETTA
nickt.

Und die junge Gräfin ging in ein Kloster, aber ihr Geliebter war so gottlos, daß er Schloß und Riegel an ihrer Zelle sprengte, und wie ihr eigner Vater sie ihm wieder abringen wollte – was habt Ihr, Herr? Ihr werdet todtenblaß –

[316]
DON JUAN.
Nichts! Nichts! Weiter! Weiter!
BIONDETTA.

Da erschlug ihn der Entführer, und es heißt, der Gottseibeiuns hab' ihn geholt. Die Gräfin aber brachte einen Knaben zur Welt und starb, und diesen Knaben, da seine Tante, unsere Gräfin, heirathete, gab sie für das Kind ihrer alten Dienerin aus, und wie sie hieher übersiedelten, wo Niemand wußte, daß die Martina nie einen Mann gehabt –

DON JUAN
faßt ihre beiden Hände, schüttelt sie heftig.
Den Namen! Den Namen!
BIONDETTA.

Ich las ihn einmal in einem Gebetbuch, das die Contessina von ihrer seligen Tante, der armen Nonne, geerbt: Doña Anna de Silva hieß die arme Schönheit, und das Kind nannte sie nach dem Vater Juanito. Hier in Resina haben sie Gianotto daraus gemacht. Aber bei allen Heiligen gnädiger Herr –

DON JUAN
hat ihre Hände gewaltsam fahren lassen, steht in tiefer Erschütterung.
Still! Nichts mehr! Es ist gut!
SALVATORE'S STIMME aus dem Garten. Biondetta! Bist du noch hier? Biondetta!
BIONDETTA.
O Herr! O was hab' ich gethan! Macht mich nicht unglücklich, Herr! Versprecht mir –
SALVATORE'S STIMME. Biondetta!
BIONDETTA.

Hier bin ich, Salvatore! – O Ihr seid ein Verführer! Wer kann Euch widerstehen! Aber bei Gottes Barmherzigkeit – Hebt die Hände bittend auf.

[317]
DON JUAN
abgewandt vor sich hin blickend und völlig regungslos.

Geh! Fürchte Nichts! Du bist ein gutes Mädchen. Wir sprechen mehr davon! Biondetta ab. Anna de Silva! Juanito! Mein Sohn! Ich hab' einen Sohn, diesen Sohn? – – Sich plötzlich aufrichtend. Nun denn, wenn er mein ist, will ich allein ihn auch besitzen, und kein Engel oder Teufel soll ihn mir streitig machen!


Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Die kleine Thür hinter dem Betschemel wird aufgeschlossen. Biondetta schleicht herein, Don Juan folgt ihr.

DON JUAN
sich umschauend.
Hier also? Ein artiges Nest!
BIONDETTA.
O gnädiger Herr, mir zittern alle Glieder Ich beschwöre Euch –
DON JUAN.
Sei ruhig! Ich habe so wenig Böses im Sinn wie dort der Mondenschein.
BIONDETTA.

Auf mich wirds kommen, auf mich allein! Niemand weiß freilich, daß ich den Schlüssel habe. Sie glauben, er sei verloren. Aber der Gang führt an meiner Kammer vorbei – ich hätt's doch hören müssen, wenn Jemand –

[319]
DON JUAN.

Hab' ich dir nicht gesagt, daß ich weder auf Diebes- noch auf Liebeswegen schleiche? Ich liebe nur dich. Laß deine Thür offen, daß ich dir hernach berichten kann.

BIONDETTA.
Ihr meint's nicht redlich mit einem armen Mädchen, das Nichts hat, als sein bischen Tugend!
DON JUAN.

Närrchen! Daran hast du was Rechts – nur eine Leimruthe, um Gimpel zu fangen, wie dein Salvatore. Du bist tausendmal Besseres werth.Immer herumspähend. Wohin führt jene Thür?

BIONDETTA.
Zu den Zimmern der Frau Gräfin. Ach, Herr –
DON JUAN.
Und der Balkon?
BIONDETTA.
In den Garten. Könnt Ihr mir schwören –
DON JUAN.
Wo schläft der Gärtner?
BIONDETTA.
Ganz am Ende des Gartens in seinem Häuschen. O gnädiger Herr, wenn Ihr noch jetzt umkehrtet –
DON JUAN.

Ich muß sie sprechen, hörst du nicht? ich muß. Ich hätt' es lieber ohne eine solche Ueberrumpelung gethan, aber das hoffährtige Gesicht hat mich abgewiesen wie einen zudringlichen Landstreicher. Der kleine Schrecken sei ihre Strafe; alles Uebrige nehm' ich auf mich. Hast du mir nicht gesagt, daß die Alte einen Boten nach Neapel geschickt hat, der Gräfin zu melden, daß Gianotto zurück sei? Nun, vielleicht schon morgen früh haben wir die Mutter hier, der ich aus guten Gründen nicht begegnen möchte. So bleibt mir nur diese Nacht – [320] Erblickt ein Büchlein auf dem Betschemel. ha, das Buch! Nimmt es in sichtbarer Bewegung. Ja, dich kenn' ich! Ich sah dich in einer Hand, die nun lange vermodert ist. Ich gebe sonst Nichts auf Reliquien; und doch – ein seltsamer Schauer –

BIONDETTA
angstvoll.
Legt es wieder hin, Herr! Sie möcht' es vermissen. O Madonna!
DON JUAN
hat im Mondschein den Namen auf dem ersten Blatt gelesen.
Anna de Silva – Friede sei mit dir, süße Heilige

Legt das Buch wieder fort.
BIONDETTA.
Schritte draußen! Verbergt Euch!
DON JUAN
horcht.

Es ist Nichts. Geh nun! Und sei ruhig! Fährt ihr leicht über das Haar. Dies schöne Blondhaar sollt' ein Perlendiadem tragen. Laß deine Thür offen, hörst du?


Drängt sie von sich, sie schlüpft hinaus. Er schließt die Thür hinter ihr ab, steckt den Schlüssel zu sich.
2. Szene
Zweite Scene.
DON JUAN
allein.

's ist schwül hier. Nimmt den Hut ab, wirft ihn in die Ecke. Sie sagen, der Vesuv brüte wieder Unheil, die Erde habe gebebt in der vergangenen Nacht, ein Ausbruch stehe bevor. Tritt an den Balkon. Von hier aus müßt's ein trefflich Schauspiel geben. Öffnet die Glasthür. Auch draußen diese herzbeklemmende Luft, wie eines Raubthiers Athem, das in der Wüste unser Lager beschleicht. Geht auf und ab, fährt sich über die Stirn. Seltsam! Meine Schläfe pocht wie im Fieber, und doch ist's wahrlich nicht das erste Mal, daß ich in der Kammer eines schönen Mädchens die Fliesen des Estrichs zähle, bis sie kommt; das erste Mal freilich, wo keine zärtlichen Gedanken mir Gesellschaft leisten, vielmehr – wie nenn' ich's nur? Ist's wirklich Haß? Was kann sie dafür, [321] daß dieser Knabe sie liebt? Wer weiß, ob sie's nicht gut mit ihm meint, ihm Alles zu Liebe thun möchte, trotz ihrer Eltern? – Gleichviel, sie macht ihn mir abtrünnig, und mein ist er, mein soll er werden und bleiben, kraft des Rechts der Natur, deren Stimme sich in mir bei seinem ersten Anblick regte. Anna de Silva's Sohn und meiner – und ich ließe ihn hier zurück als namenlosen Knecht im Hofstaat eines hochmüthigen Grafenkindes? Fort soll er, an meiner Seite in die Freiheit hinaus, jede süße Frucht pflücken, die vom Baum des Lebens ihn anlacht. Ich aber, ich will Nichts als meine Augen an ihm weiden, den gute Götter mir zugeführt, da ich Einsamkeit zu fühlen anfing, und wer ihn mir entreißen will, soll erfahren, daß ich noch der Don Juan bin, der nie einem Nebenbuhler weicht, ob es nun Frauengunst zu erkämpfen gilt, oder mit einem schönen Weibe um das Herz dieses Knaben zu ringen. – Still! dort im Nebenzimmer – sie spricht – nein, sie nicht – die Alte – Teufel! es kann ernst werden. Doch vielleicht wär's eine Bundesgenossin. Wir müssen's abwarten.


Geht rasch in die dunkle Ecke hinter dem Bett, zieht den Vorhang über sich, so daß er unsichtbar wird.
3. Szene
Dritte Scene
Durch die Mittelthür links Martina ein brennendes Lämpchen tragend, hinter ihr Ghita.

MARTINA
stellt das Lämpchen auf den Tisch.

Nein, nein, nein! Sage, was du willst, Contessina, ich mußt' es thun, ich hätte sonst keine ruhige Stunde gehabt. Ich mußt' es der Frau Gräfin zu wissen thun, daß der Schelm, der Gianotto, wieder da ist, ja das mußt' ich, denn es ist ein wahres Wort: Furcht hilft vor Schaden, und immer ein Aug' auf die Katze und eins auf die Pfanne, ja ja ja!

GHITA.
Wie der Mond so hell scheint!
MARTINA.

Er brauchte nicht so hell zu scheinen, man könnt's im [322] Finstern mit den Händen greifen, daß nicht Alles ist, wie es sein soll. Nein, die alte Martina ist kein Wickelkind, nein, nein!

GHITA.

Wie sollt's denn anders sein, Mütterchen? War' ich denn so vergnügt, wenn nicht Alles wäre, wie es sein soll?

MARTINA.

O Mutter der Gnaden! die Jugend, die Jugend! Was Jugend freut, bringt dem Alter Leid. Meinst, Ghitina, ich hätte nicht gemerkt, warum er keinen Bissen aß, selbst nicht von dem Lammsbraten, der sonst seine Leibspeise war? Bloß, weil er immer nur dich mit den Augen verschlang. Und wie du das Glas hinstelltest, aus dem du getrunken, griff er nicht danach und trank auch daraus, an derselben Stelle, wo du deine Lippen angesetzt?

GHITA
vor sich hinlächelnd.

Er that's, weil er die Lippen selbst nicht berühren durfte. Er liebt mich!Geht nach dem Balkon, sieht hinaus.

MARTINA.

Liebt dich? O Heilige des Himmels! Und das sagst du, als müßt' es so sein? so ruhig wie man ein Vaterunser betet?

GHITA.

Warum nicht? Wird mir doch eben so still und froh dabei, an seine Liebe zu denken, wie wenn ich bete zu unserm himmlischen Vater. Und sollt' ich ihn nicht wiederlieben? Ist er nicht so liebenswerth, daß man ein Stein sein müßt', ein Ungeheuer, um ihn nicht zu lieben?

MARTINA
schlägt die Hände zusammen.
Allbarmherziger!
GHITA.

Nein, liebe Alte, nicht jammern und wehklagen, frohlocken wollen wir und dem Himmel danken, daß wir ihn wieder haben und nun immer behalten. Die bösen, endlosen drei [323] Jahre – wie eine einzige lange, helldunkle Nacht liegen sie nun hinter mir, nur ausgefüllt durch den schönen, leuchtenden Traum von ihm, wie durch einen Mond, der nie unterging. Nun ist er da, nun hab' ich die Augen offen – und sehe wieder nur ihn! Steht in Sinnen verloren.

MARTINA.
Wenn der Herr Graf dich so hörte und die Frau Mutter –!
GHITA.

Hörten sie da etwas Neues? Sieh, Mütterchen Martina, oft war mir's, als wäre ich ganz aus einem durchsichtigen Kristall, und die stille Flamme in mir strahlte hindurch, daß Alle sehen müßten, wie's in mir war. Und zuweilen erschrak ich selbst darüber und schloß unwillkürlich die Augen, als bräche das innere Leuchten da heraus, und Alles müsse Feuer! schreien und sich ängstigen für sein eigen Leben. Und dann mußt' ich über meine Furcht lächeln, denn dieses Feuer thut nur wohl, nicht weh. Warum hätt' uns Gott so geschaffen, daß wir für einander sind, wie zwei Kastanien in Einer Schale, wenn etwas Böses dabei sein sollte? Und meine Eltern, die ihn mir zum Spielgefährten gaben –

MARTINA.

O ärmste Unschuld! Das Leben, Kind, ist kein Spiel. Dein Vater, der dich mit dem Herzog von Candia vermählen will –

GHITA
lächelnd.

Der selbst mein Vater sein könnte? Laß sie nur kommen, Alte, den Vater und meine Mutter, und Gianotto wiedersehen! Glaubst du wirklich, daß irgend Jemand ihm widerstehen kann, wenn er so recht von Herzen um etwas bittet?

MARTINA.

Gebenedeite! O die Kinder, die Kinder! Klein, treten sie uns auf den Leib, und groß, aufs Herz! Aber ich muß meine Schuldigkeit thun, das muß ich. Höre, Contessina, ich muß dich einschließen diese Nacht.

GHITA.
Meinst du, ich könnte gestohlen werden?
MARTINA.
Ja, und ich kenn' auch den Dieb, kenn' ihn nur zu gut! O daß die Nacht erst herum wär'!
GHITA.

Dir braucht nicht bange zu sein. Wer mich haben soll dem geb' ich mich frei. Fängt an, ihr Haar auszuflechten. Aber wie du willst, Alte, wie du willst. Singt.

Drei Tag' schon liegt Ninette

Ninette

Im Bette frisch und roth –

Hast du gesehen, was er für weiße, kleine Ohren hat? Die hat er nicht von dir. Und wie ihm das schwarze Wamms steht? Singt.

Erweckt sie um die Wette,

Um die Wette!

Sie schläft sich sonst zu Tod –

MARTINA
an der Thür, den Schlüssel abziehend.

Schlaf du nur auch, armes Seelchen! Ach, ach, wirst früh genug aus deinem süßen Traum aufwachen! Wenn die Madonna kein Wunder thut –

GHITA
läuft zu ihr hin, umarmt sie.

Sie wird, Mütterchen! Warum wäre sie sonst Mutter der Gnaden? Du aber – hab tausend Dank, daß du ihn mir geboren hast!

MARTINA.
Nein, nein! Laß mich! O ich bin die unglückseligste Creatur unter der Sonne!

Eilt hinaus, schließt hinter sich ab.
4. Szene
[324] Vierte Scene.
Ghita. Don Juan hinter dem Vorhang.

GHITA
kommt langsam in den Vordergrund zurück.

Wie man nur lieber fürchten als hoffen mag, lieber zweifeln als glauben! Ach freilich, um recht fest und getrost zu sein, daß die ganze Welt unsern Frieden nicht erschüttern kann, dazu gehören Zwei. Wüßt' ich nicht, daß er so an mir festhält, wie ich an ihm – oh, es nur zu denken, jagt mir einen kalten Schauer über den Leib! Guitarrenklänge draußen vor dem Balkon. Himmel, das ist er! Lauscht hinaus.

GIANOTTO
singt im Garten.
»Am Himmel steht der Mond in lichtem Prangen,
Die Stirn der Nacht mit Silberschmuck zu kränzen.
Ach, wären mir zwei Sterne aufgegangen,
Sie würden allen Mondglanz überglänzen.«
GHITA
vor sich hin lächelnd.
Seine weiche Stimme liebkos't mir das Herz wie eine sanfte, schmeichelnde Hand

Nähert sich der offenen Glasthür.
GIANOTTO
singt.
»Da seh' ich meinen Doppelstern erscheinen,
Und weiß nicht, soll ich lachen oder weinen.
Da geht mein süßes Augenpaar mir auf –
Ach, keine Leiter reicht zu ihm hinauf!«
GHITA
an der Schwelle des Balkons hinuntersprechend.

Das ist auch ein Glück, mein schöner junger Herr! Man steigt nicht auf Leitern in den Himmel hinein, sondern fein sittsam durch die Kirchenpforte. – Gute Nacht, lieber Sänger, und Dank für die Serenade! Eure Stimme ist noch nicht eingerostet im Bücherstaube. Aber nun geh – geh! – Um Gott, was thust du? Heftig hinabwinkend. Nein, nimmermehr! Nicht am Spalier hinauf, hörst du wohl? Es darf – es kann nicht sein – wenn du mich liebst, Gianotto –

[325]
GIANOTTO'S STIMME. Nur auf zwei Augenblicke, nur um eine gute Nacht zu sagen!
GHITA
sehr entschieden.

Wenn du mir nicht gehorchst und von diesem tollen Beginnen abstehst – ich scherze nicht – so wahr ich selig werden will: es ist aus zwischen uns, ich rede nie mehr ein Wort mit dir –

GIANOTTO'S STIMME. Grausame! Muß es denn sein?

GHITA
milder.

Es muß, lieber Gianotto! Ach, fühlst du nicht, daß ich grausam bin gegen mich selbst? Geh schlafen, geh und träume von deiner Ghita!


Ein Strauß fliegt über den Balkon herein.

Die schönen Rosen! Hebt den Strauß auf, tritt damit an den Balkon. Dank, Dank, mein holder, einziger, braver Gianottino! Und wart! Nimmt eine Rose heraus, küßt sie, wirft sie hinunter. Ich sende dir diesen Kuß zur guten Nacht. Fang'!

GIANOTTO'S STIMME. Liebste Geliebte! Gute Nacht!

GHITA
winkt hinunter, tritt dann zurück.

Er geht – er setzt sich an den Rand des Springbrunnens und drückt die Rose an die Lippen – süßer Liebster! – Wie mir das Herz noch klopft! – Wenn er dennoch heraufgekommen wäre, hätte ich wirklich die Kraft gehabt, zu fliehen? Und wohin? Sieht sich lächelnd um. Bin ja gefangen hier. Ich muß nur den Balkon schließen, sonst – wer weiß! – Und doch, wie ich schlafen soll in dieser dumpfen Luft – und seine Augen stehen wie zwei helle Sonnen vor meinem inneren Sinn – Drückt die Augen gegen den Strauß. O zu denken, daß, wenn man verheirathet ist, man immer beisammen sein darf, Tag und Nacht – es macht schwindlig. – Ich will zur Madonna beten, daß sie mir fromme, stille Gedanken giebt. Geht nach dem Betschemel, kniet nieder den Strauß immer zwischen den [326] gefalteten Händen, das Gesicht darauf gedrückt. Wie sie nach einer kurzen Pause sich erhebt und umblickt, steht Don Juan, der den Vorhang zurückgeschlagen hat, an den Bettpfosten gelehnt vor ihr.

GHITA
mit unterdrücktem Schrei zurückfahrend, stützt sich auf den Betschemel.
Die Rosen sind ihr entfallen. Schütze mich, Heiligste!
DON JUAN
ohne sich zu regen.
Ich hab' Euch erschreckt, Contessina. Ich bedaure – Ihr habt mich dazu gezwungen.
GHITA
die Hand gegen ihn ausstreckend.
Fort – verlaßt mich – augenblicklich –
DON JUAN.
Verzeiht, ich werde bleiben.
GHITA
sich mühsam fassend.
So – so gehe ich!
DON JUAN
ruhig, ohne Hohn.
Wohin?
GHITA
verzweifelt umherblickend.

Gott, Gott!Plötzlich mit stolzer Ruhe. Wagt es nicht, mir nur einen Schritt näher zu treten – ich würde mich vom Balkon hinabstürzen, und müßt' ich unten zerschellen.

DON JUAN.
Ich weiß es. Darum würde ich es mir nie verzeihen, wenn ich Euch bis dorthin gelangen ließe.
GHITA
ausbrechend, ruft.
Gianotto! Gianotto!
DON JUAN
ohne sich zu regen.

Er sitzt am Rande des Brunnens, der rauschende Strahl beraubt ihn des Vergnügens, Eure Stimme zu hören.

GHITA
für sich, umherblickend.
Und keine Waffe! Ein Messer – einen Stein –!
[327]
DON JUAN
gelassen.
Ihr denkt nicht freundlich von mir; Ihr glaubt meinen Worten nicht. Ihr fürchtet mich.
GHITA
ihn anblitzend.
Fürchten? Ich fürchte nur Gott und mein Gewissen. Euch – veracht' ich!
DON JUAN.

Ich könnt' Euch vielleicht beweisen, daß ich immerhin nicht ganz zu verachten bin. Aber mein Geschäft hat Eile. Darum sucht' ich Euch noch in der Nacht zu sprechen, ich fand das Thor der Villa offen, so gelangt' ich unangefochten in dies Gemach, und gleich darauf tratet Ihr mit der alten Dienerin ein.

GHITA
verächtlich.
So habt Ihr gehorcht? Ein würdiges Geschäft für einen Edelmann!
DON JUAN.

Ich hörte nur, was ich schon wußte. Aber wollt Ihr nicht einen Sessel nehmen? Ihr wankt. Da sie sich stolz aufrichtet. So erlaubt, daß ich selbst – Zieht den Lehnstuhl heran, bückt sich dann nach dem Strauß, der ihr entfallen ist. Ihr habt da schöne Rosen, Contessina. Sie sind nur zu hastig aufgeblüht. Morgen werden nur die Dornen übrig sein. Und darum, da ich es gut mit Euch meine –

GHITA
einen Schritt vortretend.

Nein! Ich will Euch nicht anhören. Ich habe Nichts mit Euch zu theilen, am wenigsten zu dieser Stunde und an diesem Ort. Wenn ein Hauch von ritterlichem Adel in Euch lebt, so werdet Ihr auf der Stelle mich verlassen.

DON JUAN an dem Strauß riechend Auf welchem Wege, da ich Euer Gefängniß theile?

GHITA
mit einem plötzlichen Einfall.

Ich werde vom Balkon herab meinem Verlobten zurufen [328] daß er mir seine Mutter schicke. Oeffnet sie dann, so gelobe ich, mit keinem Wort oder Wink zu verrathen, wer sich hier eingeschlichen, und dafür zu sorgen, daß Ihr ungesehen das Haus verlaßt. Ihr traut mir nicht? – O mein Gott, er traut mir nicht – es ist alles umsonst!

DON JUAN.

Seid unbesorgt. Wir brauchen Niemand zu bemühen. Beweis't die Klugheit Eurer hochherzigen jungen Seele auch in dem, was ich Euch ans Herz zu legen habe – und wir scheiden ohne Lärm – und ohne Groll Steht auf, nähert sich ihr. Sie sieht ihn furchtlos an. Ihr müßt dem Jüngling entsagen, den Ihr Euren Verlobten genannt habt.

GHITA
kalt.
Ich muß? Wer will mich zwingen?
DON JUAN.
Das Schicksal – Eure Eltern – ich selbst.
GHITA.

Das Schicksal? Er ist mein Schicksal. Meine Eltern? Sie lieben mich und werden meinen Tod nicht wollen. Ihr aber – wer seid Ihr?

DON JUAN
gelassen.

Ein Mann, dessen Willen noch jedes Weib sich gebeugt hat. Auch Euren Trotz zu brechen, würde mir's nicht an Mitteln fehlen. Doch will ich Euch die Ehre anthun, was geschehen muß, von Eurer eigenen Vernunft, Eurem freien Entschlusse zu fordern. Ihr hört mich doch, Contessina?

GHITA
entgeistert für sich.

Wo bin ich denn? Träum' ich denn das Alles? Da brennt die Lampe noch. Ich will doch sehn, ob ich den Fuß bewegen kann –


Thut einen Schritt. Er tritt ihr entgegen, sie fährt schaudernd zurück.
Pause.
DON JUAN.

Nie wird Euer Vater in diese Heirath willigen. Er sähe [329] sein einziges Kind lieber todt, denn als Gattin eines namenlosen Knaben von dunkler Herkunft. Ihr seid zu jung, Fräulein, um nicht an Wunder zu glauben. Ihr träumt, Eure Liebe werde Euch Flügel verleihen, Euch über alle Klüfte und Schranken hinwegzutragen. Je höher Ihr Euch im Traum emporschwingt, je unsanfter werdet Ihr niederstürzen auf den harten Boden der wirklichen Welt.

GHITA.
So sei es! So geschehe Gottes Wille!
DON JUAN
heftiger.

Euer Eigenwille, kein göttlicher. Und sei es um Euch: aber auch ihn zieht Ihr in Euren Sturz mit hinab. Er ist geschaffen, um glücklich zu sein; Ihr wollt sein Unglück.

GHITA.

Und Ihr? Und wenn er das Unglück, das er mit mir theilt, jedem Glück vorzöge, das ein Andrer, das Ihr ihm bieten könntet?

DON JUAN
wieder ruhiger.

Er wäre Tollkopf genug dazu. Und eben darum sollt Ihr ihn zur Vernunft bringen. Geht auf und ab. Ihr allein vermögt es. Wenn Ihr ihm sagt, daß Ihr selbst auf dieses Glück verzichtet, vielleicht um Eurer Mutter willen, daß Ihr der Madonna Euer Herz zum Opfer gebracht habt, – irgend eine fromme Lüge –

GHITA.
Eine Lüge – um die er mich hassen und ich mich verachten würde!
DON JUAN
wärmer und gütiger.

Glaubt einem Manne, der den Lauf der Welt länger betrachtet hat, als Ihr: so sehr er Euch jetzt hassen und Euren Kleinmuth verwünschen wird, so dankbar wird er dereinst Euer Andenken segnen. Tritt vor sie hin. Contessina – ich liebe diesen Jüngling. Ich will für ihn sorgen, wie nur ein Vater kann. Er soll aus dieser niedern Lage, die ihn [330] drückt und erstickt, hinausgeführt werden auf die Höhen der Welt, wo all seine Kräfte sich frei entfalten. Nichts will ich zum Dank, als mich an seinem fröhlichen, stolzen Gang durchs Leben freuen dürfen. Nehmt es für nichts Besseres als eine Laune, Contessina. Aber fürwahr, es ist die selbstloseste meines Lebens, und darum helft mir sie erfüllen!

GHITA.

Selbstlos? Ihr sagt, daß Ihr ihn liebt und ihn für Euch haben wollt, ihn reich zu machen und Euch an ihm zu freuen. Nun, auch ich liebe ihn und will ihn behalten, und mein Herz hat Schätze, die alle ihm gehören sollen. – Selbstsucht gegen Selbstsucht – ich sehe nicht ein, was die Eure vor der meinigen voraus hat. Und darum – es ist umsonst, daß wir weiter sprechen – Thut einen Schritt, um an ihm vorbeizugehen.

DON JUAN
ergreift ihren Arm, den er mit drohender Geberde am Handgelenk festhält.

Was ich vor dir voraus habe, Thörin? Meinen Manneswillen, an dem dein Mädchentrotz zersplittern wird wie ein Eiskrystall am Diamant. Höre denn mein letztes Wort: wenn du ihn nicht freigiebst, so löse ich mit Gewalt und ohne jede Schonung das Band, das ihn an dich fesselt, so zertrümmre ich das Phantom, das sich zwischen ihn und sein wahres Glück gestellt hat, so reiße ich dein Bild aus seiner Brust, und müßte ein Stück seines Herzens darüber mit verbluten.

GHITA
ihn stolz anblickend.
Ihr wollt – mich morden?
DON JUAN
läßt ihren Arm fahren.
Nein, Contessina, nicht Euch: nur den Glauben an Euch!
GHITA
ihn verächtlich messend.

Versucht's! Der ist zu tief gewurzelt! Um den zu vernichten, müßtet Ihr sein ganzes Herz in Stücke schlagen.

DON JUAN
sie ernst anblickend.

Armes, verblendetes Kind! Fast könntest du mich dauern. – [331] Doch du selber beschwörst dein Schicksal herauf. Es soll dir werden. Er geht langsam auf den Balkon zu, öffnet die Glasthür, bleibt auf der mondhellen Schwelle stehen, den Rosenstrauß in der Hand an dem er zuweilen riecht. Die Nacht ist schön, Contessina. In solcher Nacht geht ein Verliebter nicht zu Bett, so lang er noch das Lämpchen aus dem Fenster seines Mädchens äugeln sieht. Täuscht mich mein Auge nicht, so wandelt dort unten am Rande des Springbrunnens –

GHITA
aus ihrer Erstarrung jäh auffahrend.
Ewiger Gott! Das – das – Stürzt nach dem Balkon, ruft hinaus. Gianotto! Hülfe! Hülfe!
DON JUAN
sie stark zurückdrängend.
Er sieht uns. Schweigt und faßt Euch, Contessina!
GHITA
macht sich von ihm los, die Stimme versagt ihr, sie sinkt auf den Lehnstuhl.
Ich sterbe – Ihr habt mich gemordet –
GIANOTTO'S STIMME. Ha, Tod und Hölle!

Ghita bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
DON JUAN.

Ihr habt den Frieden verschmäht – so habt nun den Kampf. Indessen, wenn Ihr ihm sagen wollt, daß Ihr auf ihn verzichtet, werde ich dafür sorgen, daß auf Eurer Ehre kein Flecken bleibt.

GHITA
macht eine Bewegung des Schauderns, blickt starr in die Höhe.
5. Szene
Fünfte Scene.
Vorige. Gianotto schwingt sich über die Brustwehr des Balkons und springt ins Zimmer hinein. Don Juan ist einen Schritt nach links zurückgetreten.

GIANOTTO
die Augen starr auf Don Juan gerichtet.

Kein Blendwerk der Hölle? Ein Mann in diesem Zimmer – dieser Mann, an dieser Stätte, die mir versagt blieb –

[332]
GHITA
sich gewaltsam aufrichtend.
Gianotto – wenn du mich je geliebt hast – eh du ein Wort sagst, höre – o höre mich an!
GIANOTTO
ohne sie anzublicken, mit eisiger Kälte.

Diese Rosen, Señor, können nur durch Diebstahl oder Verrath in Eure Hände gekommen sein. Ich fordre eine Erklärung hierüber, Señor; – und falls Ihr nicht geneigt seid, sie zu geben, möchte ich Euch vertraulich unter zwei Klingen mittheilen, wie ich über Euch denke. – Ha – Ihr schweigt!

GHITA
sich ihm nähernd, mit mühsamer Fassung.

Gianotto – ist es möglich? So kann dieser Höllenspuk dich blenden, daß Alles, was du von deiner Ghita weißt, in den Staubt sinkt vor dieser gräßlichen stummen Lüge? An dem Tag – in der Stunde, wo ich dir mein Leben, meine Seele gelobt – oh meine Sinne verwirren sich! Gianotto, bei unsrer sonnigen Jugend, bei aller ewigen Seligkeit unsrer Liebe –

GIANOTTO
immer abgekehrt.

Dieser Blick – diese Stimme – sie zerreißen mir das Herz. Und doch – hast du es nicht selbst gesagt: dieser Mann – »ein Dämon ist er, der Macht hat über arglose Seelen« –? Starrt Don Juan an. Ja, er hat sie geübt!

GHITA.

Ueber deine Seele, Gianotto, über meine nicht. Frag ihn – frag ihn selbst, was ihn zu mir geführt hat. Antwortet – Ihr da – ob Ihr nun ein Mensch oder ein Teufel seid: habt Ihr mir nicht gesagt, Ihr kämt nur um seinetwillen? Diese Rosen – empfingt Ihr sie aus meiner Hand? –Antwortet! O mein Gott, öffne ihm die ehernen Lippen, heiß' ihn Wahrheit reden – und Alles, Alles sei ihm verziehen!

GIANOTTO.

Er schweigt. Hört Ihr's, Contessina? Er schweigt. Warum sollte er auch reden? Welcher ritterliche Mann würde ein Weib [333] beschämen vor Dem, der sie geliebt, der an sie geglaubt hat wie an das Licht seiner Augen? Ich erlass' Euch Euer Zeugniß, Herr. Wir haben hier zu lange gezaudert. Kommt! Ein Gang drunten im Garten wird uns das Blut kühlen. Wendet sich nach der Thür in der Mitte.

GHITA
das Haupt aufrichtend, sehr feierlich.

O Gianotto, ahnst du auch, was du thust? daß du eine Welt vernichten willst, die nur für dich geschaffen war, eine Sonne auslöschen, die nie wieder aufgehen wird? Sieh mich an, Gianotto, – und sieh Diesen an. Und wenn du dann noch zweifeln kannst, wo Wahrheit ist und wo Trug und Tücke – so geh hin und morde unser Glück – Ghita ist dir verloren für ewig!

GIANOTTO
in furchtbarer Qual.

O Ghita, Ghita, – Stern meines Lebens – Nein, nein! Vergieb! Ich Unsinniger, Unseliger! Du hast Recht – es ist unmöglich – es ist nur, weil ich selbst es nicht fassen kann, warum du gerade mich, der ich Nichts bin und habe, erkoren hast, ihn zum Herrn der Welt zu machen durch deine Liebe. Das – das war's, worüber ich schlaflos drunten im Garten grübelte und sann, und da – da plötzlich dies Gesicht – es verwirrte mir das Hirn – vergieb, du Himmlische, du Heilige! Stürzt vor ihr nieder, ergreift ihre Hand, küßt sie stürmisch. Morgen – morgen bestimmst du mir selbst meine Buße. Jetzt – Mit plötzlich verändertem Ausdruck. ist Nichts nöthiger, als die Luft hier zu reinigen. – Zu Don Juan. Ihr werdet die Güte haben, mein Herr, mir auf der Stelle zu folgen und die Erklärungen, die ich zu fordern berechtigt bin – Er ist auf die Thür zugegangen, will sie öffnen, rüttelt vergebens am Schloß. Ha – verschlossen!


Pause.
GHITA
nach Athem ringend.
Gianotto – höre mich – nicht ich – Martina –
[334]
GIANOTTO
sich umwendend, mit furchtbarer Kälte.

Martina, sagt Ihr, habe Euch hier so wohl verwahrt? Ich dank' Euch für diese sinnreiche Erfindung. Aber bemüht Euch nicht weiter, Contessina. Für heute bedarf es keiner Aufklärung mehr. Ich bitte nur um Verzeihung, daß ich diese trauliche Stunde gestört habe. Ich weiß, was man dem Glücklicheren schuldig ist. Auf morgen, Don Cesar!


Geht todtenblaß zwischen Don Juan und Ghita hindurch und verschwindet über den Balkon. Ghita sinkt mit einem erstickten Schrei zu Boden.
DON JUAN
Gianotto nachblickend.
Thor, der ich war! Ich hab' ihn heilen wollen – das Mittel, fürcht' ich, war zu stark.

Es klopft an der verborgenen Thür.

BIONDETTA'S STIMME. Gnädiger Herr – um d Himmels willen –
DON JUAN
öffnet.

Biondetta stürzt herein. Die Contessina ist ohnmächtig geworden. Sorge für deine Herrin! Indem er hinausgeht und Biondetta zu Ghita hineilt, fällt der Vorhang.

4. Akt

1. Szene
Erste Scene
Die Gräfin im Reisegewand, durch die Mittelthür, hinter ihr Martina.

GRÄFIN.
Noch nicht aufgestanden? Seltsam! Und sonst die Früheste im Haus –
MARTINA.

Und was noch viel wunderlicher ist und viel schlimmer: kaum zu Bett gegangen! Aber daß Ihr nur da seid, gnädigste Gräfin!

GRÄFIN.
Wie? Sie hätte die Nacht durchwacht?
MARTINA.

Zum Mindesten ist sie nicht aus den Kleidern gekommen, das beneidete Kind, das unbegreifliche. Und ich alte Gans von einer blinden Henne, ich meint' es noch Wunder wie gut zu machen, daß ich sie einschloß, das Kleinod, das liebe Perlchen, – und hör' auch die ganze Nacht keinen Laut aus ihrer Kammer; aber wie ich heut früh ganz sacht aufschließe – barmherziger Gott! liegt das Püppchen ganz angekleidet mit offenem Haar auf dem Bett und sieht mich mit großen stillen Augen an wie ein Marmorbild, und so viel ich rede und frage – kein Sterbenswort aus ihren armen blassen Lippen – ach, ach, ach!

[336]
GRÄFIN.
Kein Wort? – nicht einen guten Tag?
MARTINA
schüttelt den Kopf.

Nur wie ich sie frage: Ghitina, mein Herzchen, mein Goldkind, fehlt dir was? – seh' ich, wie zwei große diamanthelle Tropfen langsam aus ihren lieben Augen quellen und an der Wimper hängen bleiben. O, sag' ich, Töchterchen, Contessinchen, früher Thau bringt hellen Tag. Aber willst du nicht aufstehen? Die Frau Mutter muß jeden Augenblick – da geht's wie ein kühler Schauer über ihren Leib, aber sie rührt sich nicht, die Hände immer still neben sich hingestreckt, als ob sie gar nicht zu ihr gehörten, und ein Blick – ein Blick –!

GRÄFIN
auf und ab schreitend.
Und Gianotto, sagst du –
MARTINA.

Mit keinem Aug' hab' ich ihn mehr gesehen, seit gestern Abend, nur so viel weiß ich: sein Bett fand ich heut Morgen mit frischen Laken, wie ich's ihm gestern gemacht. O Frau Mutter, die Kinder, die Kinder! Man sagt wohl: auch eine schwarze Henne legt ein weißes Ei – aber wer kann's ändern, was bestimmt ist? Wenn die Zeit da ist, fangen die Bäume an zu blühen.

GRÄFIN.
Sie haben eine Leidenschaft zu einander? Du glaubst es wirklich? Das wäre sehr, sehr traurig!
MARTINA.

Ihnen schien's lustig, gestern Abend wenigstens. Und wenn ich die Angst nicht gehabt hätte – o kein Kirchenfest hätte mich so froh und andächtig machen können, wie diese zwei armen jungen Verliebten zu sehen, die sich so anblitzten und anfunkelten mit den Augen, als trüge Jedes im Herzen einen Hochaltar mit hundert brennenden Kerzen, darauf stünde das Bild seiner Liebe Und eben darum sagt' ich hernach zu der Ghitina: du mußt Vernunft annehmen, Engelskind, sagt' ich. Der Herzog von Candia, der dich heimführen soll –

[337]
GRÄFIN.

Das hättest du nicht sagen sollen, es mir überlassen. Sie war immer ein eigenes Kind, nie störrig und launenhaft, wie Andere, hatte immer den besten Willen, gehorsam zu sein, aber oft war etwas Unbezwingliches in ihr selbst, dagegen sie nicht an konnte, daß sie sich selbst mit Thränen darüber erstaunte, warum sie nicht konnte, wie sie doch gern gewollt hätte. Nun wird die Furcht sie verstört und erschüttert haben.

MARTINA.

Nein, nein, nein! Ihr hättet sie nur hören sollen, ganz strahlend von Muth und Glauben, und kein Schatten von Furcht in ihr. Sie wissen's ja, sagte sie, alle Welt weiß es, daß ich ihn liebe! – O Mutter der Gnaden!

GRÄFIN.

Ich will zu ihr. Such indessen den Gianotto. Ich hoffe zu Gott, daß noch Alles gut werde, obwohl mein banges Mutterherz –

2. Szene
Zweite Scene.
Vorige. Ghita tritt langsam von links ein, in dem Anzug von gestern die Hände schlaff herabhängend, die Augen still vor sich hin gekehrt.

GHITA
bleibt nah an der Schwelle stehen, sieht die Gräfin ruhig an, sagt mit müder, tonloser Stimme.
Guten Morgen, Mutter!
GRÄFIN
eilt auf sie zu, schließt sie in die Arme, küßt sie auf die Stirn, was sie regungslos geschehen läßt.

O mein Kind, daß ich dich wieder habe! Ich hatte so großes Verlangen nach dir, ich hätte nicht von dir gehen sollen. – Aber du bist blaß. Ist dir nicht wohl?

GHITA.
Ganz wohl, liebe Mutter.
GRÄFIN.
Komm, setz dich her, wir wollen plaudern. Martina soll dir das Frühstück bringen.
[338]
GHITA
läßt sich willenlos zu einem Sessel führen.

Nein, Mutter, mich hungert nicht. Ich habe nur Durst tiefen, unlöschbaren Durst – nach Stille und Frieden.

GRÄFIN
winkt Martina mit den Augen, daß sie sich entfernen soll, setzt sich zu Ghita, nimmt ihre Hand.
Stille und Frieden, mein Liebling? Hast du die hier nicht vollauf gehabt?
GHITA.

Ja, Mutter, aber es kam ein Erdbeben diese Nacht, hast du es nicht auch gespürt? Freilich, du warst nicht hier.

GRÄFIN.
Ein Erdbeben?
GHITA
nickt langsam und feierlich, es überschauert sie.

Ja wohl, und Etwas in mir ist in Stücke gegangen, Etwas, das ich für fest gehalten in alle Ewigkeit. Nun schwankt mir noch immer der Boden, wohin ich trete.

GRÄFIN
ihr das Haar streichelnd.
Du hast nicht geschlafen, Ghitina.
GHITA.

Auch nicht gewacht. Nicht wahr, Mutter, wenn man wacht, versteht man doch seine eigenen Gedanken? Meine sprachen eine fremde Sprache. Es ist, als hätte ich einen Spiegel in mir getragen, der wäre plötzlich zerbrochen, nun ist mir das Bild aller Dinge zerstückt – ich kann die Scherben nicht wieder zusammenkitten.


Lehnt sich zurück, schließt die Augen.
GRÄFIN
nach einer Pause, in der sie sie kummervoll betrachtet hat.
Gianotto ist gestern wiedergekommen, ganz unerwartet.
GHITA.

Unerwartet? Nein, Mutter, ich will's ehrlich sagen: ich habe ihn wohl erwartet. Und doch nicht ihn: einen Gianotto, der nie wiederkommt. Aber warum reden wir davon? Wir [339] kennen nicht einmal uns selbst, was wissen wir von Andern? Du bist meine Mutter, nicht wahr? Wunderlich, daß der zerbrochene Spiegel dein Bild noch wie sonst zurückstrahlt!

GRÄFIN
sie an sich ziehend, küßt sie.

Kind, mein geliebtes einziges Kind, – nein, sprich nur mit deiner Mutter, vertrau ihr Alles! Was ängstet dich? Eine Schwermuth liegt über dir, die nicht zu deinen Jahren paßt.

GHITA.

Und warum nicht, Mutter? Sagt man nicht: wer jung viel lacht, wird alt viel weinen? Nun siehst du, wer schon in der Jugend sich ausweint – ich zum Beispiel – ich habe gar keine Thränen mehr, da könnte ich eine lustige alte Frau werden; ich möcht's aber nicht. Es muß schauderhaft sein, dran zu denken, daß man Dinge hat überleben können, die –

GRÄFIN.
Was für Dinge, mein Herzenskind?
GHITA.
Nichts, Nichts! Es geht auch vorüber. Es ist schon vorbei.

Steht auf.
GRÄFIN
erhebt sich gleichfalls.

Dein Vater wird sehr betrübt sein, dich in dieser Melancholie zu sehen. Er wünscht, daß du mit mir nach Neapel kommst. Man hat überall am Hofe nach unserer Tochter gefragt. Die fürstlichen Herrschaften sind überaus gnädig.

GHITA.

Geh du allein, Mutter. Grüße den Vater und danke Allen, die gut von mir denken. Es ist eine große Gnade, sie wird nicht Allen zu Theil, selbst denen nicht, die sie verdienen. Ist der Vater doch wohl? Reitet er viel sein braunes Pferd?

GRÄFIN
den Arm um sie schlingend.

Ich weiß, liebste Tochter, warum du dich vor Neapel fürchtest. Du denkst, du sollest dort mit dem Herzog verlobt werden. Aber obwohl dein Vater es gewünscht hat – fürchte [340] nicht, daß irgend Etwas wider deine Neigung geschehen werde. Es sind jüngere und schönere Bewerber dort, und wenn auch von denen dir keiner gefällt – bei der Liebe, die dich unterm Herzen trug: du sollst frei sein, dir dein Glück zu wählen nach deinem Herzen.

GHITA.

O Mutter, du bist gut. Ich wußt' es wohl. Ich danke dir tausendmal. Ja, Mutter, frei will ich sein! Wenn sie alle mich verkennen und verlästern, ich weiß es, Mutter, du wirst mich verstehen, mir nachfühlen, warum ich die Freiheit allem andern Glück vorgezogen. Kann man denn noch auf Glück hoffen, wenn die Erde bebt, wenn man keine Stunde sicher ist, daß sie sich aufthun und Alles verschlingen möchte, woran wir uns festgeklammert lange, schöne, betrogene Jahre hindurch?

GRÄFIN.
Was meinst du nur, Kind, mit diesen wunderlichen Worten? Hast du böse Träume gehabt?
GHITA.

Nein, Mutter, aber der Mond schien gar zu hell in meine Kammer, da war mir's, als sähe ich die Welt zum ersten Mal, wie sie ist, und daß Abgründe in ihr liegen, die Nichts ausfüllt, die so unermeßlich breit sind, daß Menschen, die hüben und drüben stehn, schreien können, so laut sie wollen, und sich nicht verstehen. O Mutter, wenn man das erkannt hat, dann ekelt uns vor dem, was uns das Süßeste war, dann schaudern wir, wenn unsre eigne Hand zufällig unsre Stirn berührt, als griffe ein Feind nach unserm Kranz, dann zweifeln wir selbst an der Barmherzigkeit Dessen, der unsre geheimsten Gedanken kennt – o Mutter – Mutter – es ist entsetzlich!


Sinkt an ihr nieder, das Gesicht gegen ihren Schooß gedrückt.
GRÄFIN.
Kind – du zerbrichst mir das Herz in der Brust! Ich beschwöre dich – Hebt sie auf.
GHITA
sich fassend.

Vergieb, es ist vorbei, es war das letzte Zucken einer tödtlichen Krankheit – von der ich nun genesen bin. Küsse mich, [341] liebe Mutter, und sage, daß du mir vergiebst, Alles was ich dir jemals – nein, ich war kein böses Kind, aber dennoch, wir verstanden uns nicht immer, und das machte dir Kummer. Nun wirst du mich immer besser verstehen, das ist mein Trost, und dafür dank' ich dir. Hascht ihre Hand, küßt sie lebhaft. – Und jetzt – will ich ein wenig ins Freie gehn. – Sei ohne Sorgen, mir wird dann wohler – und folge mir nicht – bitte, bitte! Nie werde ich dir vergessen, daß du mir's gegönnt hast, ein Glück mir wählen zu dürfen nach meinem Herzen!


Geht langsam durch die Thür links ab.
3. Szene
Dritte Scene.
GRÄFIN
allein.

Das ist schwerer, als ich gefürchtet! Was kann geschehen sein? Welche rauhe Hand hat die Harmonie dieser zarten Seele so jäh zerstört? Ein Gespenst, das ihr um Mitternacht eschien –Geht hin und her, bleibt wieder stehen. Nein, sie war immer ein tapferes, besonnenes Kind. – Gianotto? Sie ging leicht darüber weg, als ich seinen Namen nannte, – und doch – in ihren Jahren erschüttert uns Nichts in den Tiefen unsres Lebens, als was uns von Liebe kommt. O meine alte Sorge! Und ich dachte so zuversichtlich, es wäre noch früh genug, sie zu trennen! Wär' ich meinem Manne gefolgt! Aber mein eigen Herz war schwach gegen den Knaben, der die Züge seiner geliebten, unglücklichen Mutter trug. Ich muß ihn befragen; er allein –

EIN DIENER
durch die Mittelthür.
Don Cesar von Sevilla wünscht aufzuwarten.
GRÄFIN.

Don Cesar? Entsinn' ich mich doch nicht. Gleichviel, ich kann in diesem Augenblick – der Herr möge mich entschuldigen –

DIENER.
Er folgt mir auf dem Fuße.

Tritt zurück, um Don Juan eintreten zu lassen, entfernt sich dann.
4. Szene
[342] Vierte Scene.
Gräfin. Don Juan.

DON JUAN
sehr ernst.

Legt meine Zudringlichkeit nicht einem Mangel an Sitte zur Last, edle Gräfin. Eine gebieterische Pflicht –

GRÄFIN.
Welche Stimme! Ihn mit wachsender Unruhe betrachtend. Señor –
DON JUAN.
Lange Jahre sind vergangen, Doña Maria –
GRÄFIN
erkennt ihn, taumelt zurück, hält sich am Sessel.
Ewige Mächte! – Die Todten stehen wieder auf!
DON JUAN
ihr rasch nähertretend, mit ehrerbietigem Dringen.

So betrachtet mich mit dem milden, versöhnlichen Auge, wie man auf abgeschiedene Feinde blickt. Bei der Liebe, die wir Beide zu jener Engelsseele gefühlt –

GRÄFIN
sich stolz aufraffend.

Ihr seid's, seid es wirklich – und wagt – wagt am hellen Tage, wo Gespenster sonst den tiefsten Schatten suchen, vor mein Angesicht zu treten? An der Schwelle dieses Hauses – hielten da nicht zwei Todte Wacht und wiesen Euch mit drohendem Geisterfinger zurück? Oder hat die Zeit, die so Vieles vermag, den gottlosen Trotz in Euch gegen alles Heilige nicht zu dämpfen vermocht? So soll er doch an meinem Haß zu Schanden werden!

DON JUAN
ruhig.

Ihr habt das beste Recht, mich zu hassen, Gräfin. Auch würden mich die Todten, die zwischen uns stehn, mehr noch als dieser Haß von Eurer Schwelle fern gehalten haben, wenn die Pflicht gegen zwei Lebende nicht alle Schauer der Erinnerung überwöge.

[343]
GRÄFIN.
Zwei Lebende?
DON JUAN.
Eure Tochter – und mein Sohn.
GRÄFIN
zusammenfahrend.
Was wißt Ihr – wer hat Euch gesagt –
DON JUAN.

Ich weiß es. Was liegt daran, wie ich es erfuhr? Ihr habt ihn auferzogen, ihm die Liebe seiner Nächsten, die er entbehren mußte, hundertfältig ersetzt – ich dank' Euch dafür, Doña Maria. Neigt sich tief vor ihr, will ihre Hand küssen, sie tritt zurück.

GRÄFIN.
Den Dank eines Mörders, eines Frevlers gegen Gott und seine heiligsten Gebote verbitt' ich.
DON JUAN.

Ich bin nur ein schwacher Christ, Gräfin, doch entsinn' ich mich des Gebots, daß man seinem sündigen Bruder sieben mal siebenzig mal vergeben solle. Dies scheint über Eure Kraft zu gehen. Doch werdet Ihr hoffentlich die Sünde des Vaters nicht an dem Sohne rächen wollen. Würde es doch Eure Tochter mit entgelten.

GRÄFIN
bestürzt.

Meine Tochter – Ihr seid meiner Tochter begegnet, Ihr habt ihr mitgetheilt –? Oh nun versteh' ich Alles – ihre Verstörung – die Zerrüttung all ihrer Gedanken und Gefühle –

DON JUAN.

Niemand, als Ihr, in diesem Hause weiß, wer ich bin. Niemand soll es je erfahren, dafern Ihr meiner Bitte Gehör gebt. Ich werde verschwinden, wie ich kam. Die Welt soll fortfahren zu glauben, Don Juan Tenorio sei vor zwanzig Jahren zur Hölle gefahren.

GRÄFIN
mit kalter Verachtung.

Seid überzeugt, daß ich gern jeden Preis zahlte, um Euch nieder zu den Todten zu werfen. Jene Bitte also –?

[344]
DON JUAN
nach einer Pause.
Vermählt Eure Tochter mit meinem Sohn.
GRÄFIN
sich unwillig abwendend.
Ihr seid älter geworden, Don Juan, aber, wie ich sehe, nicht weiser.
DON JUAN.

Vielleicht habt Ihr Recht, Gräfin. Doch kann ich's einmal nicht ändern: ich liebe diesen Sohn und fühle mich verantwortlich für sein Glück. Ich hab' es leider mit ihm verschüttet und sein Herz mir abwendig gemacht. Nun hab' ich keinen dringenderen Wunsch, keinen festeren Vorsatz, als dieses Herz mir zurückzugewinnen, indem ich dem trotzigen Knaben, wie andere schwache Väter, zu seinem Herzenswunsch verhelfe. Und darum, Gräfin, noch einmal: vermählt ihm Eure Tochter und sagt ihm, daß ich, sein leiblicher Vater, für ihn geworben habe.

GRÄFIN
kalt.

Und wenn ich's wollte, steht es bei mir? Habt Ihr den Muth, bei meinem Gatten Eure Werbung anzubringen?

DON JUAN.

Am Muth sollte mir's wohl nicht fehlen. Doch ist die Sache eilig. Ich glaubte ausgelernt zu haben; diese jungen Leute haben mich noch einmal in die Schule genommen, mich gelehrt, daß es etwas giebt, was ich für eine Fabel hielt: eine völlig erwachsene Leidenschaft in zwei reinen Kinderseelen. Es ist gefährlich, Kinder mit scharfen Waffen spielen zu lassen. Sie möchten sich tödtlich damit verwunden.

GRÄFIN.

Das verhüte der Himmel! Wenn Ihr Recht hättet – Aber nein, Ihr kennt nur das Recht der Leidenschaft. Ihr wißt nicht, daß eine gute Tochter, um ihre Eltern nicht zu betrüben, ihr Herz bezwingen kann. Ich zwar, da ich Juanito wie ein eigenes Kind liebe, ich würde es über mich gewinnen, dem Sohn des Mannes, der so viel Unheil und Jammer über[345] uns gebracht, meine Tochter zu geben. Aber mein Gemahl ist unerschütterlich.

DON JUAN.

So erbitt' ich von Euch nur noch die Eine Gunst: daß Ihr dem Knaben sagt, wer ich bin, ihn ermahnt, des Spruches zu gedenken: du sollst deinen Vater ehren, auf daß es dir wohl gehe auf Erden.

GRÄFIN.
Ich? Ich soll ihm –? Und warum die heilsame Unwissenheit von ihm nehmen?
DON JUAN.

Aus einem sehr triftigen Grunde: weil dieser unwissende Sohn danach lechzt, seinen Degen in das Blut des eigenen Vaters zu tauchen, und Vatermord doch immer eine heillose Sache bleibt, selbst wenn sich's nur um einen Vater meines Schlages handelt.

GRÄFIN.
Dahin ist's gekommen?
DON JUAN
zuckt die Achseln.

Leider. Auch Vaterschaft ist eine Kunst, die gelernt sein will. Ich habe mir das Spiel verdorben, wie ein hitziger Neuling, und bin zehn Jahre älter darüber geworden. Ihr aber – Ihr habt Macht über ihn – Euch ist er so viel schuldig geworden –

GRÄFIN
sinnt einen Augenblick, klingelt dann mit einer kleinen Glocke, die auf dem Tische steht.

Ein Diener tritt ein. Geht zu Martina; fragt, ob ihr Sohn noch nicht zurückgekehrt sei. Ich wünsche ihn sofort zu sprechen.

DIENER.
Herr Gianotto kommt eben die Treppe herauf. Ich glaube, er will zu Ew. Gnaden.
GRÄFIN.

Es ist gut. Diener ab. Tretet einen Augenblick dort hinein Nach rechts deutend. Ihr sollt Zeuge dessen sein, was ich mit [346] ihm reden werde. Sobald es Euch angemessen dünkt, mögt Ihr hervortreten.


Don Juan verneigt sich tief vor ihr, geht nach rechts ab.
5. Szene
Fünfte Scene.
Gräfin. Gianotto tritt durch die Mitte ein.

GRÄFIN
geht ihm entgegen, reicht ihm die Hand, die er ehrerbietig an die Lippen drückt.

Lieber Gianotto – eine so überraschende Freude – ich bin hieher geeilt von Neapel, dich gleich zu begrüßenBetrachtet ihn prüfend. – aber das Wiedersehen hat dich nicht froh gemacht – deine Stirn ist umwölkt, dein Auge düster –

GIANOTTO.
Theure – verehrte Frau, – meine edle, erlauchte Wohlthäterin –
GRÄFIN.

Gianotto – ich erkenne dich nicht wieder! Sonst so freien Blicks – so das volle Herz auf den Lippen deiner alten Freundin entgegengetreten – und jetzt – dein Auge irrt am Boden, dein Mund spricht wirre, blöde Worte – nein, Gianotto ist noch nicht von Salern zurückgekehrt, unser Gianotto noch nicht.

GIANOTTO
stürzt vor ihr nieder, faßt ihre Hände.

O Mutter, meine geliebte gütige Mutter, Ihr habt Recht, er ist's noch nicht – Euer Gianotto noch nicht. Vielleicht wird er's nie wieder werden. Aber scheltet ihn nicht darum; ihm ist weher dabei zu Muth, als Euch.

GRÄFIN.
Steh auf, mein Kind! Sage mir, was dich so niederwirft.
GIANOTTO
springt auf.

Mutter – Euren Segen, und dann laßt mich fort, in die Fremde, wo mir's vielleicht gelingt, wieder heimisch zu werden in mir selbst!

[347]
GRÄFIN.

Fort? Du willst fort? Heute schon? Was ist denn geschehen, Kind, das dich so jählings wieder hinwegscheucht? Sind hier nicht Alle, die du liebst, die dich lieben? Ich und mein Gemahl, die treue Martina, Ghita, deine Jugendgespielin –

GIANOTTO
fährt zusammen, wendet sich ab.

O Frau Mutter, fragt mich nicht! Die Heiligen wissen's: ich kam hieher mit einem Herzen – so offen wie der Himmel über mir. Jetzt – ist meine Brust wie ein verschlossener Brunnen. Niemand wälzt den Stein hinweg, drinnen ist Nacht. Ich tauge nicht mehr unter Tagesgeschöpfe. Ihr werdet mich des Undanks zeihen: ich verlasse Euch – meine gütige Mutter, die mir stets nur Liebes gethan – fortgerissen von meinem unseligen Herzen! O denkt milde von mir, von Einem, der nie, nie Euer vergessen wird – und – Gott segne Eure Tage!


Wendet sich, um zu gehen.
GRÄFIN
die in einen Sessel gesunken ist, rathlos vor sich hin blickend.
Weiß Ghita um deinen Entschluß?
GIANOTTO
fährt zusammen.

Ghita! – Faßt sich, kalt. Die Contessina wird ihn gewiß billigen. Ich habe ihr nichts davon gesagt. Wir sind einander – ein wenig fremd geworden.

GRÄFIN.
Ueber Nacht?
GIANOTTO
tonlos.

Drei Jahre sind eine lange Zeit. Ich darf Euch wohl bitten, meine Abschiedsgrüße, auch an den Grafen, meinen erlauchten Gönner, zu bestellen – Wendet sich wieder.

GRÄFIN
für sich.

Umsonst! O ein Zauberwort, seine verschlossene Brust zu öffnen! Laut. Gianotto, wenn du denn im Ernst mit so unbegreiflicher Hast hinwegstrebst, bin ich es dir schuldig, dir [348] noch ein Geheimniß zu enthüllen, das ich nur dem Mündiggewordenen anvertrauen durfte. Lieber Gianotto, die Frau, die dich auferzogen hat, unsre gute Martina – ist nicht deine Mutter.

GIANOTTO.
Was hör' ich? Martina –
GRÄFIN.

Hat dich nicht geboren. Deine Mutter ist im Paradiese, seit langen Jahren. Sie starb, noch ehe du den Mutternamen stammeln lerntest. Dein Vater aber – dein Vater lebt.

GIANOTTO.

O Gott – o meine theure, einzige Freundin – ist es wahr? Mein Vater – ich habe einen Vater – er lebt – ein Mensch lebt, den ich lieben darf, der vielleicht auch mich lieben wird, nachdem ich meine Mutter verloren – und Euch und Alles, Alles? Viel habt Ihr mir gegeben, so lang ich athme, überschwängliche Wohlthat an mir gethan – nie eine größere, als durch dieses Wort! Küßt stürmisch ihre Hand. Nun aber vollendet Euer Werk – sagt mir, wo er ist, wo ich ihn finden kann, warum ich so lang hinleben mußte, ohne ihn zu kennen. O foltert mich nicht länger! Ihr seht meine Qual. Denkt, wie viel ich an Sohnesliebe und Sohnesglück –

GRÄFIN.

Und doch – wenn dieser Vater den Weg zu deinem Herzen so leicht nicht finden könnte, den er zwanzig Jahre lang nie gesucht hat –?

GIANOTTO.

Wie sollt' er ihn nicht finden, wenn ich ihm entgegengehe, den halben Weg – den ganzen, wenn es sein muß! Denn ich bin so arm, so bettelarm an Liebe, ich habe es leicht, vorlieb zu nehmen. Ein Vater – der kann uns doch nicht plötzlich untreu werden, wenn wir ihn einmal an unsere Brust gedrückt und Vater genannt haben. Und wenn es der Letzte, der Niedrigste aller Menschen wäre, ein Tagelöhner, ein Fischer, der Nichts besitzt, als seinen Kahn und das Meer – ich will ihm zu Füßen stürzen, seine Kniee umklammern und rufen: Vater, ich bin dein Sohn; sei du mein Vater!

6. Szene
[349] Sechste Scene.
Vorige. Don Juan erscheint in der offenen Thür.

GIANOTTO
erblickt ihn, fährt mit einem Schrei zurück.
Ha – was ist das? Geister des Abgrunds – wen sendet ihr da – mir entgegen? Will fort.
GRÄFIN
tritt ihm in den Weg, faßt seine Hand.

Gianotto – fasse dich! Was kommt über dich? Dieser Fremde – sieh ihn mit freundlichen Augen an – er ist –

GIANOTTO
heftig abwehrend.

Er? Der da? Dieser da? Nein, nein, nein! Der nicht! So grausam spielt selbst die Hölle nicht mit einer schuldlosen armen Seele. Er nicht! Nicht wahr, Gräfin? Bei Eurem ewigen Heil, nur das eine Wort: er nicht! Er ist es nicht!

GRÄFIN.
Er ist's, ist dein Vater.
GIANOTTO
schlägt eine irre Lache auf.

Hahaha! Er ist's! So also sieht ein Vater aus! So tritt er, nachdem er zwanzig Jahr seinen lieben Sohn wie eine Nessel am Wege hat aufwachsen lassen, vor ihn hin – Don Juan will reden. – ha, Ungeheuer! öffnest du die Lippen? willst ein sanftes Mahnwort an den trotzigen Knaben verschwenden? Ich sage dir: verstumme, schnöde Larve! Ich kenne dich, Dämon! weiß, welche Macht du hast, arglose Seelen zu bestricken, daß sie vom Pfad des Lichts hinweg der Hölle zutaumeln aus deiner Umarmung. O dank es dieser edelsten der Frauen, daß ich das Blut in mir, das wüthend aufwallt, zurückdämme; sonst, beim Gott der Rache und Gerechtigkeit, sonst würd' ich deines Vaternamens lachen und mit dem blanken Stahl auch für die Schmach Genugthuung von dir fordern, daß du mich gezeugt hast.

DON JUAN
tief erschüttert.
Mein Sohn, – höre mich –
[350]
GIANOTTO
zurückweichend, mit erhobenen Händen abwehrend.

Zurück, Höllenspuk! Rühre mich nicht an! Der Hauch deines Mundes macht mein Blut gefrieren. Wärst du der Bettler, dem die Hunde vor des Reichen Thür die Schwären lecken, ich würde mich zu dir betten und deine Hände mit meinen Thränen waschen. Dich aber – da du Der bist, als den ich dich erkannt – dich treffe zu ewiger Verdammniß mein Fluch! Höre diesen Fluch, erhör ihn, allgerechte Gottheit! Und so gescheh' es! Amen! Stürzt hinaus.

GRÄFIN
in höchstem Entsetzen ihm nachrufend.
Gianotto! Was hast du gethan? Gianotto!

Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Don Juan finster und in sich gekehrt, kommt rechts hinter dem Felsen die Straße herauf, hinter ihm, Leporello.

DON JUAN.
Du weißt es gewiß?
LEPORELLO.

So gewiß wie mein Leben, Herr. Ich bin vorhin um die Villa herumgeschlichen, Ew. Gnaden zu suchen, und da hört' ich die Stimme der Alten im Garten, wie sie jammerte und wehklagte, und der junge Mensch, der Ew. Gnaden behext zu haben scheint –

DON JUAN.
Hüte dich, Bursch –!
LEPORELLO
unterwürfig.

Nun, er hat's Euch doch so angethan, daß Ihr das schöne Fräulein darüber ganz vergessen habt. Ist freilich auch ein feiner junger Herr und gehörig vornehm, obwohl er nur der alten Martina Sohn ist. Der also sprach ihr zu, tröstete sie, daß er ja nicht aus der Welt sei, wenn er wieder nach Salerno zurückkehre, er müsse noch weiterstudiren – und gab ihr die besten Worte, aber sie schluchzte und lamentirte immer zu, bis er sich mit Gewalt losmachte und fortrannte auf der Landstraße, und hätt' ihn nicht noch der Salvatore unten in der Osterie aufgehalten, er wär' hier schon längst vorbeigekommen.

[352]
DON JUAN.

Es ist gut. Geh nun und sieh, daß du ein Pferd zu kaufen bekommst zu unsern zweien, einen guten, ausdauernden Traber. Heut Nacht, wenn der Mond hinunter ist, findest du dich mit den drei Gäulen draußen vor dem Ort in aller Stille ein, bei dem Brunnen, weißt du, unter den Steineichen. Es soll dein letzter Dienst sein.

LEPORELLO.

Mein letzter Dienst? O Herr, wozu dann das dritte Pferd? Wenn Ihr die junge Gräfin entführen wollt, braucht Ihr doch auch einen treuen Mann, Euch und sie zu bedienen.

DON JUAN
setzt sich auf die Bank.
Ich werde mich hinfort ohne dich behelfen und will deinem Glücke nicht im Wege stehen.
LEPORELLO
lebhaft.

Ist das wahr, gnädiger Herr? Ist's Euch um mein Glück zu thun? O dann nehmt mich mit, und wär's bis ans Ende der Welt!

DON JUAN.
Und deine Wittwe?
LEPORELLO
achselzuckend.

Herr, Ziegenkäs ist ein gutes Essen, man muß nur nicht zu Viel davon genießen. Es war eine schwachmütige Anwandlung, daß ich mich für die Ehe geschaffen glaubte. Sie ist schon wieder verflogen. Fahrwohl, Resina! Die weite Welt hat mich wieder.

DON JUAN
brütend für sich.
Wenn er doch starrsinnig bliebe –
LEPORELLO.
Das dritte Pferd also ist für mich?
DON JUAN.
Du hörst, wir sind geschiedne Leute. Geh, geh!
LEPORELLO.

Ich gehe. Aber eh ich für immer von Euch gehe, muß der Himmel auf die Erde fallen. Guten Tag, Ew. Gnaden! Ab nach rechts.

2. Szene
[353] Zweite Scene.
DON JUAN
allein.

Mir's angethan – der Wicht sprach das rechte Wort. Ein magischer Bann ist über mich geworfen, daß ich beim hellen Lichte der Vernunft das Wahnsinnige, das völlig Hoffnungslose thun muß: einem Knaben, der mich haßt, der guten Grund dazu hat, Liebe abtrotzen zu wollen, bloß weil ich's nicht ertragen kann, daß die Augen, die er von seiner Mutter hat, mich feindlich anblicken! Springt auf.

Fort von hier – nach Neapel – im Wirbel königlicher Feste Vergessen geschlürft! Zurückblicken macht alt. Ich aber – hab' ich nicht bewiesen, daß ich noch zu jung bin, um den Vater zu spielen? Ich will das erste beste schöne Weib fragen, ob mir die Vaterschaft eines Sohnes, der erst geboren werden soll, nicht besser zu Gesicht steht. Will fort, bleibt wieder stehen.

Wenn ich nur könnte! Wenn der Bann nur nicht über mir wäre! Zwar, daß er mir geflucht – wenn er's wirklich that, wenn mein Ohr mich nicht – Nein, er that's! Aber es ist Thorheit, einen solchen Aberwitz ernst zu nehmen. Ist's nicht die verkehrte Welt, daß ein Sohn seinem Vater flucht? Wer fluchen will, muß doch auch segnen können. Und segnen Söhne ihre Väter? In allen alten Geschichten geschieht es umgekehrt. Wie kann er sich herausnehmen, der kecke Fant – Ha, er verdiente –! Ich werde ihm – ihm sagen – Hält plötzlich inne, tief erschüttert. Und wenn er mich fragt: Hast du mich je gesegnet, Vater? je deines Sohnes gedacht, der nach einem Vaterherzen schmachtete? Und jetzt, da ich dir deine Paradiese nie beneidet, mußtest du mir die einzige Blume stehlen, die mein Herz und Auge erquickte?


Nach einer Pause.

Das Klügste wird sein, überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden. Ein Vater macht eine allzu klägliche Figur, wenn er dem eignen Sohn auf vernünftige Fragen die Antwort schuldig bleiben muß. Will gehen.

3. Szene
[354] Dritte Scene.
Don Juan. Der Karthäuser von links.

DON JUAN.

Ha, mein Beichtvater von gestern. Gestern? Ist wirklich nur Tag und Nacht vergangen, seit ich dies Gesicht gesehen? Kann man in vierundzwanzig Stunden so viel weiser werden und so viel trauriger? – Gott zum Gruß, ehrwürdiger Bruder!


Der Mönch sieht ihn an, nickt, will schweigend vorbei.
DON JUAN.
Ihr weigertet mir gestern die Absolution. Habt Ihr Euch eines Bessern besonnen?
DER MÖNCH.
Wer nicht bereut, kann nicht losgesprochen werden.
DON JUAN.

Und wenn ich bereute, was ich über Nacht gethan, mehr freilich, weil es eine Thorheit war, als eine Sünde?

DER MÖNCH.
Eine Thorheit?
DON JUAN.

Ich habe einen Falter, der sich an der Kerze verflatterte, zu retten gedacht, indem ich ihn einfangen wollte. Seine bunten Flügel gefielen mir, nun hab' ich den schimmernden Farbenstaub abgestreift: – kannst du mich von dieser Sünde lossprechen? O Mönch, alle deine Gnadenmittel sind ohnmächtig. Die Wunde, die hier brennt, löscht kein Weihbrunnen aus.

DER MÖNCH.
Ich versteh' Euch nicht.
DON JUAN
düster vor sich hin.

Wie könntest du auch? Nur Thoren mögen sich einbilden, einander ins Herz zu sehen. Ich sage dir, Mönch, ich habe mehr Menschen kennen gelernt, Männlein und Weiblein, als der älteste Beichtiger, und meine Menschenkenntniß ist zu Schanden worden an zwei Kindern, die ihr Herz offen in der Hand trugen. Geh in deine Zelle zurück, Bruder! Nur wer [355] darauf verzichtet, zu leben, mag sich weise dünken und gut. Wir Andern sind die Narren unsrer schlechten Launen und guten Vorsätze. Wohl Dem, der, wie du, vom Baume der Erkenntniß nie genascht hat!


Der Mönch sieht ihn traurig an, will gehen.
DON JUAN.

Halt! Noch eine Frage: warum hat Gott seinen einzigen Sohn opfern müssen? War's nicht göttliche Selbstsucht, da er auf andere Art seine Welt von der Macht des Teufels nicht zu erlösen vermochte? Was sagt eure Theologie dazu?

DER MÖNCH
schlägt ein Kreuz gegen ihn.
Apage, Satanas! Geht nach rechts ab.
DON JUAN
höhnisch auflachend.

Haha! Eure alte List, es dem Teufel in die Schuhe zu schieben, wenn ihr geführt werdet! Ja wenn Kreuz und Brevier den Geist bannen könnte, von dem diese Brust besessen ist –

LEPORELLO
kommt gelaufen.
Er kommt! Er ist schon ganz nah!
DON JUAN
fährt zusammen.

Er kommt – endlich!Setzt sich auf die Bank. Ich glaube gar, ich bin feig – ich zittere wie ein Schulknabe, der seine Lection vergessen hat. – Zu Leporello. Fort! Laß uns allein!


Leporello ab.
4. Szene
[356] Vierte Scene
Don Juan. Gianotto auf der Straße draußen von rechts, als Wanderer mit Stab und Tasche.

DON JUAN
halblaut, mit sichtbarem Kampf.
Gianotto! – Lauter. Mein Sohn!
GIANOTTO
fährt zusammen, bleibt stehen, ohne umzublicken.
Wer ruft mich mit diesem Namen? Ich verbiete Jedem, mich Sohn zu nennen. Ich habe keinen Vater mehr.
[357]
DON JUAN.

Du hast Recht, junger Mann: keinen Vater, dem du noch etwas schuldig wärst, weder Gehorsam, noch weniger Liebe. Selbst das Geschenk des Lebens hast du ihm ja zurückgezahlt, gestern an diesem Ort. Wenn du den fremden Mann hier als deinen Todfeind hassen willst, Niemand kann dich darum tadeln. Doch selbst dem Todseind schuldet man Gerechtigkeit, darum fordre ich Gehör von dir.

GIANOTTO
dumpf.

Ich bin Euer Richter nicht. Dankt Gott, daß ich es nicht bin, und daß die Erde weit genug ist, um einander aus dem Wege zu gehn! Wendet sich zum Gehen.

DON JUAN
ohne sich zu regen, mit größerem Nachdruck.

Nun denn: im Namen Einer, die du gerichtet hast, fordr' ich Gehör von dir. Dein Spruch, der sie verdammte, war falsch; deine Ghita ist rein, wie der Tropfen Thau, der vom Himmel fällt.

GIANOTTO
heftig erregt ihm einige Schritte entgegengehend.

Ha das – Ihr wagt, diesen Namen noch über Eure Lippen zu bringen – mir ins Gesicht?Sich bezwingend. Zu Eurer Ehre will ich glauben, daß Ihr mitleidig genug denkt, dem Bettler, der in die weite Welt zieht, ein Almosen mit auf den Weg zu geben. Habt also Dank; doch erlaubt, daß ich es Euch vor die Füße werfe.

DON JUAN
gelassen.

Wie dir beliebt, mein Sohn. Doch wirfst du damit eine Perle in den Staub: das einzige Weib, außer deiner Mutter, zu dem ich voll Ehrfurcht als zu einem höheren Wesen aufblicke.

GIANOTTO
ihn anstarrend.

Mensch – Teufel – Doch nein, nein, er lügt! Wenn es Wahrheit wäre, wie hätt' er's gestern Nacht übers Herz gebracht, zu schweigen, als er zwei Seelen in Todesqualen sich winden sah!

DON JUAN.

Gestern Nacht hätte dieser heißblütige Jüngling die schönste Wahrheit vielleicht für eine häßliche Lüge gehalten. [358] Doch immerhin: wenn du mich jetzt den elendesten Schurken nennst, der je ein edles Weib verleumdet, wirst du nicht weit von der Wahrheit abirren. Ich habe diesen Engel, dessen irdischer Name Ghita ist, mit keinem Finger berührt, und in keiner Falte ihres Herzens hat Anderes gelebt, als Abscheu vor mir und Lieb' und Qual um dich, der sie verschmähte.

GIANOTTO.
Daß sich die Erde aufthäte, mich hinabzuschlingen! Ghita! Ghita! Wirft sich auf den Boden.
DON JUAN
steht auf.

Zwar könnt' ich sagen: diese Niedertracht entsprang keiner gemeinen Quelle. Ich hatt' es gut mit meinem Sohne vor, als ich ihn elend machte. Ich wollt' ihn losreißen von dieser hoffnungslosen Liebe, um jeden Preis, selbst um den, daß er mich Anfangs ein wenig hassen müßte, wenn er mich für den glücklichern Rivalen hielte. Die Täuschung mag unritterlich und unedel gewesen sein, unväterlich war sie nicht. So könnt' ich vor dem ewigen Richter sprechen. Was aber hülf' es mir vor meinem Sohn, vor einem Sohn, der seinem Vater darum geflucht hat!

GIANOTTO
springt auf.
Fort – fort von hier!
DON JUAN.
Halt, junger Mann! Wohin wollt Ihr?
GIANOTTO.

Zu ihr – ihr sagen – zu ihren Füßen im Staube – Doch nein: sie kann nicht – kann nicht verzeihen! Ich sah etwas in ihren Augen, einen furchtbar drohenden Glanz wie bei einer Sterbenden. In jener Stunde schied Etwas von hinnen, das nie wieder auflebt!

DON JUAN.

Sie hat dich geliebt. Ein liebendes Weib verzeiht nur Eine Sünde nicht: Gleichgültigkeit. Und wahrlich, selbst eine Heilige wäre nicht gefeit gegen jeden Verdacht, wenn man sie Nachts in meiner Gesellschaft gefunden hätte. Auch weiß Niemand darum, als wir Drei.

[359]
GIANOTTO.

Was kümmert sie und mich die Welt! Von ihr erwart' ich Leben oder Tod. Wenn es wahr ist, daß sie mich noch liebt, noch lieben kann, will ich vor ihre Eltern hintreten und ihnen sagen –

DON JUAN.

Daß sie ihre Tochter dem Sohn des Mannes geben möchten, der als der Feind und Verderber ihres Hauses gilt? Armes Kind, erwache und sieh die Welt, wie sie ist.

GIANOTTO
ihn anstierend.
Ihr – Ihr wäret –
DON
JUAN Don Juan Tenorio, um den Doña Anna starb.
GIANOTTO.

O ewiger Gott! Nein, nein! Es ist unmöglich. Du kannst die Sünden der Väter so grausam nicht heimsuchen an den Kindern!

DON JUAN.

So dacht' auch ich, und darum trat ich vor Doña Maria und warb bei ihr um ihre edle Tochter für meinen unschuldigen Sohn.

GIANOTTO.
Ihr – Ihr hättet für mich –
DON JUAN.
Kurz, ehe du deinem Vater fluchtest.
GIANOTTO.
War's möglich! – Und sie, die Hohe, Gütige – was antwortete sie?
DON JUAN.
Daß ich älter geworden sei, aber nicht weiser!
GIANOTTO.
O ich Unseliger! Verloren, Alles verloren!

Sinkt auf die Bank, verbirgt das Gesicht in den Händen.
DON JUAN
tritt zu ihm, betrachtet ihn in tiefer Bewegung.

Mein theurer Sohn, – ermanne dich! Wie? spricht so ein Liebender, dem auch nur ein Tropfen meines Bluts in den [360] Adern rinnt? Auf, Don Juanito! Bedenkt, daß Liebe und Leben dieser holden Jugend in Eurer Hand liegt. Eilt verstohlen zu ihr hin, versöhnt sie Euch und macht sie Euch ganz zu eigen, daß sie keinen Willen mehr hat als den Euren. Ich habe dafür gesorgt, daß um Mitternacht drei rasche Pferde bereit sind. Wenn sie Scrupel vorschützen sollte, fromm wie sie ist, führ' ich Euch auf demselben Wege, auf dem ich gestern mich einschlich, in ihre Kammer, und wir tragen die süße Beute mit sanfter Gewalt hinweg. Den Rest ihres Gewissens mögen Eure Küsse in Schlaf lullen. – Nun? Ihr bedenkt Euch? Ihr zaudert?

GIANOTTO.
Sie rauben, mit Eurer Hülfe? in die Welt mit ihr fliehen in Eurer Gesellschaft?
DON JUAN.

O fürchtet nicht, daß der verhaßte Vater sich aufdrängen möchte! Ich werde hinterdrein traben wie ein gemietheter Stallmeister, den manent läßt, wenn man seiner Dienste nicht mehr bedarf. Hab' ich Euch dann in Sicherheit gebracht, in einem Lande, wo der Zorn der gekränkten Eltern Euch nicht mehr erreicht, dann werde ich vor die junge Frau hintreten und sie fragen ob sie mir verzeiht. Und wenn das Glück sie milde gemacht und den Abscheu vor mir verscheucht hat, werde ich sie herzlich bitten, ein Fürwort bei ihrem jungen Gatten einzulegen daß auch er – wenn er mir auch kein freundliches Fahrwohl gönnen mag – doch so weit zu einem reuigen Sünder sich herabläßt, daß er den für immer Scheidenden mit einem gütigen Blick entläßt – und Kaum hörbar. – den Fluch von seinem Haupte nimmt!


Die Stimme versagt ihm, er läßt sich auf ein Knie vor Gianotto nieder und senkt das Haupt.
GIANOTTO
ergriffen, doch ohne ihn anzusehen.
Vater – o mein Vater was thut Ihr?
DON JUAN
aufspringend.

O Sohn – ist es wahr? ist's möglich? Du hast mich Vater genannt? Will auf ihn zu, hält sich wieder zurück. Nein, noch[361] nicht – noch kann dir's nicht von Herzen gehen. Aber der Himmel weiß: kein Kosewort von Weiberlippen hat je so sanft mein Ohr berührt, wie dieses erste Lallen einer Sohnesliebe, die ihrer selbst noch nicht bewußt ist. Nun aber ans Werk! Auf! Wir dürfen nicht säumen. Siehst du, wie der Himmel über uns sich mit grauem Dunst überzieht? Der Wirth unten hat mich gewarnt, diese Straße zu meiden, die Zeichen weissagten einen Ausbruch des Berges nach dieser Seite. Komm hinweg, in die Schenke hinab! Du sollst dir Muth trinken zu deinem Abenteuer.

GIANOTTO
steht auf.
Nein, mein Vater! Ich kann so nicht handeln.
DON JUAN.
Nicht? so nicht? Und wenn nur dieser Weg zum Ziele führte?
GIANOTTO.

Ich bin wie das Kind im Hause gewesen. Wie könnt' ich den Eltern ihre Tochter rauben wider ihren Willen, ohne ihren Segen?

DON JUAN.
Und wenn sie diesen Segen dir ewig weigern?
GIANOTTO.

So helf' uns Gott und lehr' uns dulden, hoffen und endlich dennoch erringen! Mein höchstes irdisches Glück will ich keinem Verbrechen danken.

DON JUAN
ihn mit Rührung betrachtend.

Du bist der Sohn deiner Mutter. Sie war ein Engel; darum erging es ihr übel in dieser argen Welt. Sei's drum! Ich aber – ich gebe Nichts verloren, so lang ich athme. Ich will nach Neapel und dem Grafen ein Wort ins Ohr sagen.

GIANOTTO.
Vater, was hast du vor?
DON JUAN.
Laß mich! Du hast mich als deinen Vater anerkannt; ich will meine Vaterpflichten erfüllen.
5. Szene
[362] Fünfte Scene.
Lärm hinter der Scene, Wehklagen vieler Stimmen. Dann von rechts her der alte Fischer und Landleute die eine Bahre tragen, auf welcher die todte Ghita ruht. Dicht hinter ihr Martina. Volk strömt in großer Bewegung nach.

DER FISCHER
nach links deutend.
Dort hinauf – eilt euch! Die Madonna allein kann noch helfen!
MARTINA.
O Jammer, Jammer!
GIANOTTO.
Allmächtiger Gott! Starrt wie gelähmt auf die Menge.
DER FISCHER.

Auch die Luvisella – wißt ihr noch? – kein Lebenszeichen gab sie mehr von sich, und wie wir sie vor den Altar hinlegten und das Krönchen der Madonna ihr auf die Brust setzten – fing sie da nicht wieder zu athmen an, die Aermste und schlug die Augen auf?

GIANOTTO
mit übermenschlicher Anstrengung.
Halt! – Haltet, sag' ich!

Wankt auf die Bahre zu, die nicht sogleich niedergesetzt wird.
MARTINA.
Gianotto – fort – fort – es bricht dir das Herz!
GIANOTTO.

Hört ihr nicht? Keinen Schritt weiter! Seid ihr von Sinnen, daß ihr auf ein Wunder hofft, statt Alles, was Menschenkraft vermag – Ghita! Ghita! Ich – dein Gianotto ruft dich!


Er sinkt an der Bahre nieder, faßt sich sofort wieder, beschäftigt sich in verzweifelter Hast mit der Leiche. Die Menge drängt herzu und entzieht die Gruppe den Zuschauern. Vorn bleiben Martina, der Fischer, Don Juan.
MARTINA.
Laßt ihn! Er hat die Wissenschaft gelernt, er muß wissen, ob noch Hülfe ist – ach, ach, ach!
[363]
DER FISCHER
sich zu Don Juan wendend, der sprachlos vor sich hin starrt.

Seid Ihr auch noch da, gnädiger Herr? Müßt das Unglück noch miterleben? Wißt Ihr noch, wie ich Euch gestern sagte, es gehe Nichts über gute Kinder? Nun seht, die Contessina dort – sie war gewiß das beste Kind von der Welt und hat nun doch ihrer Mutter das grausame Herzeleid – ah, die Frau Gräfin!

6. Szene
Sechste Scene.
Vorige. Die Gräfin stürzt mit verzweifelter Geberde herein, drängt sich durch die Menge durch nach der Bahre.

GRÄFIN.

Wo ist sie? Wo habt ihr mein Kind? Todt, sagt ihr? Ihr lügt. Eher sollte mein graues Hanpt –Erblickt die Leiche. O grausam, grausam!


Sinkt neben der Bahre nieder.
MARTINA.
Nein – seht – sie lebt – sie bewegt sich –
STIMMEN.
Ja, ja! – Nein, nein! – O Madonna!
MARTINA.
Helft der Frau Gräfin!

Um die bewußtlos Hingesunkene bemüht.
DER ALTE FISCHER
zu Don Juan, nach einem mitleidigen Blick auf die Gräfin.

Euch kann ich's ja sagen, Herr – Sich ihm nähernd. sie hat sterben wollen! Kaum hundert Ruderschläge vom Ufer weg – ich sitze vorm Hause und wink' ihr noch zu, wie ich sie hinausrudern seh' in ihrem kleinen Kahn – und auf einmal steht sie auf mitten im Boot – das Wasser war so glatt wie meine Hand, und ich sehe, wie sie die Arme ausbreitet, wie Jemand, der Abschied nimmt – und da ruft nach mir meine Enkelin, und wie ich wieder aufs Meer schaue – Herr des Himmels! da treibt der leere Kahn auf den Wellen.

[364]
MARTINA.
Rette sie, Gianotto! Rette sie! – Er hilft ihr gewiß.
GIANOTTO
erhebt sich, blickt wild um sich.

Hülfe? Hab' ich ihr geholfen, da sie noch athmete? ihr Herz nicht brechen lassen, da ein Wort von mir – Und ich lebe noch und ihr – ihr Alle – Leiser Donner von rechts. Ha, hört ihr's? Er murrt, der Alte droben, über diesen Haufen dreister Erdenwürmer, die noch zu athmen wagen, obwohl diese Engelslippen bleich und kalt sind. Stärkerer Donner. Komm herab, Alter! Mach ein Ende! Verschütte diese Stätte, wo die unschuldigsten Augen sich für immer geschlossen haben und Mörderblicke frech und thränenlos – Oh ärmste Mutter! Daß du nie wieder aufwachtest! Die Welt ist leer für dich.


Wankt zu der Gräfin hin, kniet, ihre Hand ergreifend, neben ihr nieder.
7. Szene
Siebente Scene.
Vorige. Salvatore stürzt herein, hinter ihm Leporello der ihn vergebens aufzuhalten sucht. Dann der Karthäuser Mönch.

WIRTH.

Todt sagt ihr? die Contessina todt? Gemordet ist sie, sag' ich euch, und dort Auf Don Juan zeigend. steht der Mörder!


Große Bewegung unter dem Volk.
LEPORELLO.
Verruchter Schwätzer – elender Lügner –
WIRTH.

Die Hand von mir, frecher Gesell! Schüttelt ihn ab. Und wenn ich hier auf dem Fleck todt niedersinken sollte – Tritt mit geballter Faust dicht vor Don Juan hin. ihre verlorene Seligkeit über dein schuldiges Haupt, Bube, und mögest du verdammt sein wie Kain!

GRÄFIN
richtet sich mühsam auf, von Gianotto und Martina unterstützt.

Warum schmähst du diesen Fremden, Salvatore? Nur mich selbst hab' ich anzuklagen. Ich – ich hätte um jeden Preis –

[365]
WIRTH.

Ihr? O gnädige Gräfin, wenn Ihr wüßtet – Aber fragt sie selbst – laßt sie Euch wiederholen, was sie mir gestand, da ich sie vor Reu' und Verzweiflung halb wahnsinnig herumirren sah –

GRÄFIN.
Wen? Wen?
WIRTH.

Biondetta, meine Braut – nein, hinfort nicht mehr werth, eines ehrlichen Mannes Namen zu tragen. Der da – dieser Fremde, den Ihr in Schutz nehmt – er hat sie so bethört, daß sie ihn bei Nacht in die Kammer der Contessina geführt und dort mit ihr allein gelassen hat.

GRÄFIN.
O mein Gott!
WIRTH
mit wildem Blick auf Don Juan.

Was dort geschehen – nur das Auge des Allwissenden hat es geschaut. Hier aber liegt das arme junge Leben hingemordet – und dort frank und frei – doch nein, das soll man den Burschen von Resina nicht nachsagen, daß sie mit gekreuzten Armen zuschauen, wenn fremde Verführer ihnen ihre Mädchen stehlen. In die Hölle mit dir, du Schuft!


Er zieht ein langes Messer aus dem Gürtel und dringt damit auf Don Juan ein. Gianotto wirft sich dazwischen, entwindet ihm den Dolch und tritt, die Waffe hoch schwingend, schützend vor den Vater hin.
GIANOTTO.

Wer wagt es, meinem Vater ein Haar zu krümmen? Wer, ihn zu verklagen? Was er gesündigt hat – der barmherzige Gott mög' es ihm verzeihen! Ich bin sein Richter nicht – ich habe mich selbst zu richten!

DON JUAN.
Mein Sohn –
GIANOTTO.

Du hältst den Arm der Gerechtigkeit nicht zurück, Vater! Dich selbst rufe ich zum Zeugen auf, daß ich, ich allein [366] dies süße, reine Herz gebrochen habe. Nur für mich hat es geschlagen und mußte stillstehen, da ich es so grausam kränken konnte. Ihr aber – hört mich wohl und ehrt meinen letzten Willen: diesen Mann laßt frei hinweggehen, wohin er mag! Ich aber habe nur die Wahl, im Licht des Tages wie ein ruheloser Geist der Unterwelt durch die Lande zu irren. oder mir eine Ruhstatt zu suchen – zu ihren Füßen.


Er ist während der letzten Worte nach der Bahre hingewankt, stößt sich plötzlich den Dolch in die Brust und sinkt zu Ghita's Füßen zusammen.
GRÄFIN
schreit auf.
Gianotto! Wehe!
MARTINA
sie in ihren Armen auffangend.
O Mutter der Gnaden!

Der Berg donnert näher.
DON JUAN
in dumpfer Qual.

Mein Sohn – mein herrlicher Sohn! Und keinen Blick deinem reuegequälten, verzweifelnden Vater – keinen Blick der Gnade und des Erbarmens!

GIANOTTO
richtet das Haupt matt auf, streckt die Hand wie suchend nach ihm aus.

Don Juan stürzt zu ihm hin, ergreift die Hand und küßt sie, sinkt dann in die Kniee. Gianotto läßt das Haupt sinken und stirbt.


Pause.
DER KARTHÄUSER
der schon bei Gianotto's letzter Rede aufgetreten und durch die Menge nach vorn gekommen ist, tritt zu Don Juan und legt ihm die Hand auf die Schulter.

Unglücklicher Mann! Die Schlacken der Selbstsucht fallen von dir ab in diesem furchtbaren Seelenbrande. Komm mit mir! Ich führe dich an die Stätte des Friedens.

DON JUAN
sich aufrichtend.

Friede? An einem Ort, von dem herab ich ewig diese beiden Gräber sehen würde? Mein Freund, du meinst es gut, aber du weißt nicht, was Solche bedürfen, die Nichts auf Erden mehr lieben können, nicht einmal sich selbst.


Wendet sich nach rechts, beginnt den Felsweg hinanzusteigen.
[367]
DER MÖNCH.

Wohin wollt Ihr? Hört Ihr den Berg nicht donnern? Seht Ihr die glühende Aschenwolke nicht, die nah und näher sich heranwälzt?

DON JUAN
auf der Höhe des Weges noch einmal sich umwendend.

Ich hab' am Kraterrande droben einen Ring verloren, den mir die Mutter dieses Knaben gab. Den will ich suchen gehn.


Er steigt hinauf, man verliert ihn aus den Augen.
DER ALTE FISCHER.
Herr – um Gott, was thut Ihr? Ihr geht in den sichern Tod!
DER WIRTH.
Laßt ihn! Laßt den Teufel den Weg zur Hölle gehn!
DER FISCHER
Don Juan nachspähend.
Er geht – der Rauch umqualmt ihn schon – Heilige Madonna, er ist verloren!

Starker Donner, die Luft verfinstert sich.

DER MÖNCH auf die Kniee sinkend Ewige Gerechtigkeit, deine Wege sind wunderbar! – Betet für die Seele dieses großen Sünders!


Während die Meisten der Umstehenden sich erschüttert auf die Kniee werfen und in stummem Gebet die Hände falten, fällt der Vorhang.

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Dramen. Don Juan's Ende. Don Juan's Ende. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-64D1-A