[282] Landschaften mit Staffage

Prolog

Ein irres Stammeln nur,
Ein schüchtern Radebrechen!
Wie glückte mir's, Natur,
Dein Wesen auszusprechen!
Du hältst mich weich im Arm
Und neigst dich deinem Kinde;
All seinen dunklen Harm
Besprichst du ihm gelinde.
Ich lausch' empor zu dir,
Du Hohe, Milde, Traute,
Nachlallend voll Begier
Die halbverstandnen Laute;
Magst du in Frühlingspracht
Der eignen Schönheit staunen,
In Sturm und Wetternacht
Erhabne Sprüche raunen.
Dann wieder lächelst du
Und wandelst deine Bahnen,
Und ohne Rast und Ruh
Folg' ich in dumpfem Ahnen,
Beglückt, in wachem Traum
Mich dir so nah zu wissen
Und deines Kleides Saum,
O Mutter, dir zu küssen!

[283] Morgen am Ufer

(Motiv am Gardasee)


Wie der See so lachend ruht!
Nicht ein Wellchen siehst du wallen.
Gleich smaragdenen Kristallen
Hellgeschliffen glänzt die Flut.
Bis zum tiefsten Grund hinab
Die erstaunten Augen gleiten.
Ihre stummen Heimlichkeiten
Lauschest du den Fischen ab.
Leise atmend ruht dein Herz
In der Morgenluft, der lauen,
Auch im Busen magst du schauen
Wie ein Spiel nur Lust und Schmerz;
Während dir zu Häupten sacht
Schwirrt im Ulmenbaum die Grille
Und der Wohlklang dieser Stille
Offnen Augs dich träumen macht.

Auf der Höhe

Hoch über dem Kloster
Da schwebet ein Weih,
Aus himmelhohen Lüften
Er tut einen Schrei.
Dicht unter dem Kloster,
Wo der Ölwald sich senkt,
Da grünet die Halde,
Vom Gießbach getränkt.
Da klettern die Ziegen
Dem Berg um die Stirn.
Einen Ölzweig in Händen
Sitzt hütend die Dirn'.
[284]
Sie schaut in die Ferne
Weit über die Schluft;
Ihr wehen die Haare
In der spielenden Luft.
Auf einmal da lacht sie
Und tut einen Schrei;
Hat nichts zu verkünden,
Ruft niemand herbei:
Schreit nur, daß die Stille
Nicht sprengt ihre Brust,
Wie der einsame Vogel
Vor himmelhoher Lust.

(Toscolano)

Abendstimmung

Nun versprühn die Strahlengarben,
Dämmrung deckt die Höh'n und Tiefen.
Todesbleich und aschefarben
Sehn herüber die Oliven.
Lautlos faltet schon zusammen
Jeder Uferwind die Flügel;
Der Zypressen dunkle Flammen
Züngeln still empor am Hügel.
Rings die Welt in falbem Lichte;
Aus dem Laub nur dunkelhelle
Leuchten noch wie Zauberfrüchte
Der Orangen goldne Bälle.
Grüßt mir, sanfte Zithertöne,
Das Gesicht mit blassen Wangen,
Das in mondenklarer Schöne
Liebevoll mir aufgegangen!

(Saló)

[285] In der Bucht

Das Ufer ist so morgenstill,
Noch kaum ein Fischlein springen will.
Am Bänkchen schon, in Rohr und Ried,
Ein Wäschermägdlein emsig kniet.
O Jugendblut, kaum funfzehn Jahr,
Verschlafen noch ihr Augenpaar,
Das Röckchen dürftig, hochgeschürzt,
Mit Singen sie die Zeit sich kürzt.
»Am jüngsten Tag ich aufersteh'
Und gleich nach meinem Liebsten seh',
Und wenn ich ihn nicht finden kann,
Leg' wieder mich zum Schlafen dann.
O Herzeleid, du Ewigkeit!
Selbander nur ist Seligkeit.
Und kommt mein Liebster nicht hinein,
Mag nicht im Paradiese sein!«

Neuer Wein

O Rebenhügel dicht gereiht
Voll lachenden Sonnenscheines!
Das ist die Zeit der Trunkenheit,
Die Zeit des neuen Weines.
Ein Mosthauch durch die Lüfte zieht
Aus Kellern und Spelunken;
Von jeder Kelter schallt ein Lied,
Ein jedes Aug' sprüht Funken.
Die Wagen schwanken hoch daher
Mit vollen Traubenkufen;
Das Ochsenpaar ist auch nicht mehr
Ganz sicher auf den Hufen.
Hast du den langen Storch gesehn?
Er naschte vom jungen Weine.
Nun kann er nicht mehr grade stehn
Wie sonst auf einem Beine.
[286]
Sogar das mürrische Borstentier
Grunzt fröhlich in seiner Klause;
Es dünkt sich wie ein König schier
Beim üppigen Trebernschmause.
Am tollsten lärmt das Spatzengeschlecht,
Die Jungen wie die Ältern.
Sie haben sich alle stark bezecht
Und taumeln um die Keltern.
Weg, altes Herz, mit Sorg' und Harm!
Gib acht, nur über ein kleines
Mitjauchzest du im trunknen Schwarm
Das Lob des neuen Weines!

(Am Rhein)

Am Fluß

Weiß um den Kiel die Woge spritzt,
Das Frachtschiff fährt zu Berge.
An Bord, sein Pfeifchen schmauchend, sitzt
In guter Ruh der Ferge.
Kein Lüftchen geht, kein Segel weht,
Die Ruder sind eingezogen.
Am Schleppseil ziehn das Schifflein stät
Zwei Pferde gegen die Wogen.
Und grüne Wiesen weit und breit –
Die hungrigen Tiere keuchen.
Sie schaun zur Seit' voll Lüsternheit,
Schaum färbt Gebiß und Weichen.
Dort auf der Wies' ein alter Gaul
Nascht wählig saft'ge Spitzen.
Vorzeiten war er auch nicht faul,
Jetzt läßt er andre schwitzen.
Vielleicht die eignen Söhne sind's,
Die schnaufend ziehn vorüber;
Doch tut er keinen Augenblinz
Des Mitgefühls hinüber.
[287]
Ein Pferdegreis braucht wahrlich nicht
Uns Menschen zu beneiden.
Gemütlos frei von jeder Pflicht,
Kann er im Grünen weiden.
Uns, wenn wir längst um eignen Schmerz
Nur mäßig uns erhitzen,
Klopft um die Kinder noch das Herz,
Die im Examen schwitzen.

Am Genfer See

Abendlich verglühen still
Dort die Berge von Savoyen.
Schöner See, noch einmal will
Ich an dir mein Herz erfreuen.
Während sacht der Bahnzug fährt
Auf der Höhe von Lausanne,
Nach den Ufern hingekehrt
Schwelgt mein Blick in deinem Banne.
Vignen grünen tief hinab,
Und das Laub der Feige schimmert;
Spiegelklares Wellengrab,
Leis von Purpur überflimmert.
Nun Vevey, du trauter Ort,
Schneeweiß, wie die Nuß im Kerne;
Montreux' graue Dächer dort,
Chillons Zwinger in der Ferne.
Meiner Sehnsucht Traumgebiet,
Liegst du vor mir duftumschleiert?
Zauberwelt, in Sag' und Lied
Von Unsterblichen gefeiert!
Doch indes ich schau' entzückt,
Wie die Höhn mit Gold sich krönen,
Sitzen vor sich hin gebückt
Zwei von Albions blonden Söhnen.
[288]
Ihren Murray sehr vertieft
Haben sie zur Hand genommen,
Ob er's ihnen auch verbrieft,
Heut in Bern noch anzukommen.
Still empört wend' ich mich ab,
Und auf einmal muß ich lachen:
Pflegen wir's bis an das Grab
Klüger mit dem Glück zu machen?
Hast du nie der Gegenwart
Gunst so lässig wahrgenommen,
Gleich als wär' der Zweck der Fahrt,
Überhaupt nur – anzukommen?

Aus dem Mansardenfenster

Schornsteine, Dächer weit und breit,
Trostlose Ziegeleinsamkeit;
Ein Kater, der auf Spatzen jagt,
Kein grüner Halm – Gott sei's geklagt.
Kein Menschenauge blickt herein,
Kein lampenschimmernd Fensterlein.
Ich bin um jeden Rauch vergnügt,
Der kräuselnd einem Schlot entfliegt.
Hoch ist's; doch morgen, sprach der Wirt,
Wenn Nummer siebzehn reisen wird – –
Da sieh! was blitzt vom Süden her?
Ihr Götter! mein geliebtes Meer!
Der Fund hat mich so froh erschreckt,
Als hätt' ich einen Schatz entdeckt.
Nun für den schönsten Saal im Haus
Tauscht' ich mein Kämmerlein nicht aus.
Und dort der Himmel, Stern an Stern,
Die niedre Welt wie stumm und fern –
Ach, nur ein Blick ins Ew'ge weiht
Die ganze arme Menschlichkeit!

(Genua)

[289] Abend auf der Heide

Überm Moorgrund still und schaurig
Wie der Tag so rot verglüht!
Fern ein Vogel pfeift noch traurig,
Heimwehbange, wandermüd.
Nun die bleichen Nebel geisten
Wie Gespenster heimatlos,
Eilen nestwärts all die dreisten
Waldestiere klein und groß.
Nur der Hirsch, so scheu am Tage,
Tritt hervor am Waldeshang,
In dem ernsten Aug die Frage:
Wird denn dir nicht heimwehbang?
Weißt du nicht, daß jetzt in diesen
Weiten böser Spuk beginnt?
Wagst du's mit den Schattenriesen,
Aberwitzig Menschenkind?
Sieh, ich selbst, der Fürst der Heide,
Ducke schauernd mein Geweih,
Stürmt im grauen Zottenkleide
Nachts der Nebelwolf vorbei.
Schlürfend trinkt er aus den Lachen,
Trabt dahin auf dunkler Spur,
Und die Föhrenäste krachen,
Und es bebt die Kreatur.
Wehe, wer ihm kreuzt die Pfade!
Eisig pfaucht sein Schlund ihn an.
Siehst du? – dort! – daß Gott dir gnade! – –
Pfeilschnell flieht der Hirsch vondann.

(Aibling)

Morgen nach dem Gewitter

Der Sturm hat über Nacht gebraust,
Wie der wilde Feind im Wald gehaust
Mit frechem Hohn und Ungebühr, –
Kein Hündlein jagte man vor die Tür.
[290]
Wie schäumt der Bach so wild geschwellt,
Vom Morgenzwielicht bleich erhellt!
Er murrt, wie schlecht Gewissen tut;
Was treibt dort auf der trüben Flut?
Ein schwarzes Klümplein – nur ein Hund;
Den riß der Sturm vom festen Grund.
Er kläfft' ein Weilchen, ward dann stumm,
Ließ alles treiben um und um.
Er war noch jung, die Zähne blank,
Die dichte Rute schwarz und schwank.
Der Jäger wohl im Waldrevier
Wird dich nun missen, wackres Tier!
Des Weges wankt ein Greis daher,
An Holz und Jahren trägt er schwer,
Bleibt stehn, wie er das Tier erschaut,
Und spricht: »Gibst auch mehr keinen Laut?
Ha, dir ist wohl! Nicht alt, nicht krank,
Und schon erlöst! Dem Sturm sag Dank.
Gut' Nacht! Wollt' auch, 's wär' Schlafenszeit!«
So schönen Grabspruch hält der Neid.

Alpenfeuer

Hinan, dem Gipfelfels
Stieg er entgegen.
Von seinem Hute troff
Der graue Regen.
Kaum ließ verdrossen er
Die Augen schweifen,
Da sollt' ein Sonnenblick
Das Herz ihm streifen.
Es kam ein Alpenkind
Singend gegangen;
Der Regen geißelt' ihr
Flechten und Wangen.
[291]
Und sie begegnen sich
Auf Weges Mitten,
Sind aneinander stumm
Vorbeigeschritten.
Doch kaum vorüber jetzt,
Bleibt jedes stehen,
Einmal verstohlen noch
Sich umzusehen.
Plötzlich entlodert da
Ein Fünklein helle:
Vier Lippen finden sich
Mit Blitzesschnelle.
Dann sie ins Tal hinab
Und er zum Gipfel –
Nun schüttle, Frühlingswind,
Die Föhrenwipfel!
Gießbäche, flößt zu Tal
Geröll und Scheiter:
Ein Brand ist angefacht,
Der lodert weiter.

Bittgang

Im Sonnenfeuer lechzt die Flur,
Versengt stehn Wälder und Almen,
Verschmachten muß die Kreatur,
Die Frucht verbrennt an den Halmen.
Das Bächlein, das ihr Kühle gesandt,
Verlernte fein muntres Rieseln;
Es glüht und glastet Julibrand
Über den staubigen Kieseln.
Ein Bauer stapft entlang dem Rain,
Ist einer von den Frommen
Und flucht doch still in den Bart hinein;
Da sieht er den Pfarrer kommen.
[292]
Er zieht die Kappe und weist umher:
Zugrund geht all der Segen.
Hochwürden, das Gescheitste wär',
Einen Bittgang tun um Regen.
Der Pfarrer nickt: Ein fromm Gebet
Tät not. Doch warten wir, Peter,
Zwei Täglein noch. Einstweilen steht
Zu hoch noch der Barometer.

Die Tabaksmühle

Dort unter den Weiden das windschiefe Dach,
Da treibet ein Mühlrad der rauschende Bach
Mit Rasseln und Raunen und lautem Taktak;
Der Müller mahlt braunen Bresiltabak.
Der beißet wie Pfeffer, durchbeizet die Luft;
Weit stäubt aus dem Guckloch der würzige Duft.
Die Kühe, die grasen vorbei mit Gebrumm
Und schütteln die Nasen, weiß keine, warum.
Die Krähen mit Husten umkrächzen das Dach,
Es schnauben und prusten die Wellen im Bach.
Ich ging durch die Wiesen, im Schilf saß ein Elf,
Der hörte mich niesen und kichert': Gott helf!

(Aibling)

Vogelscheuche

Es steht ein Mönch im Felde,
Ist nur ein Mönchshabit.
Die Stange schwankt im Winde,
Die Kutte dreht sich mit.
Wart! denkt der fromme Bauer,
So schützen wir die Saat;
Die Spatzen respektieren
Den geistlichen Ornat.
Die Spatzen denken: Mönchlein,
Dein Beispiel fehlte noch.
Ei, säst denn du und erntest,
Und Gott ernährt dich doch?

[293] Hochsommer

Im Föhrenwald wie schwüle!
Kein Vogel singt im Feld.
Das Reh aus grünen Schatten
Sieht träumend in die Welt.
Am Waldrand fährt ein Wäglein,
Hat eben Raum für Zwei.
Der Kutscher, das Pferd und die Peitsche
Nicken schläfrig alle drei.
Ein altes verstaubtes Leder
Ist über den Sitz gespannt,
Darunter ducken zwei Leutchen
Geschützt vorm Sonnenbrand.
Sie schaun sich an verstohlen
Und fragen dem Schlaf nichts nach.
Sie flüstern und lachen und kosen –
Ei sage, was hält sie wach?

Kurzes Gedächtnis

Lustig vom Gebirg herab
Tät' die Schenke winken.
Eine trutz'ge Schöne gab
Mann und Roß zu trinken.
Schönes Kind wie heißest du?
Fing ich an zu plaudern. –
Non me ne ricordo più,
Sprach sie ohne Zaudern. –
Daß du schön bist, Hexe du,
Daran denkst du immer. –
Non me ne ricordo più;
Spiegel ging in Trümmer. –
Aber wie das Küssen tu',
Hast du nicht vergessen? –
Non me ne ricordo più;
Ist's ein Ding zum Essen? –
[294]
Ob sie es gelernt im Nu,
Geht, sie selbst zu fragen.
Non me ne ricordo più!
Wird sie freilich sagen.

Epilog

Nur mit flinkem Stift umschrieben,
Angetuscht mit leichten Tönen,
Kaum ein Umriß ist geblieben
All des farbenkräftig Schönen.
Und vorbei noch schattenhafter
Wird euch die Staffage gleiten,
Ein im Schlendern aufgeraffter
Haufe schlichter Menschlichkeiten.
Doch des Malers Bild – gleich jenen
Schwindet's bald ins Ungewisse.
Sollten sich unsterblich wähnen
Eines Schattens Schattenrisse?

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Landschaften mit Staffage. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6553-B