9.

Wo sich das äußerste Horn von Sorrentos Bucht in das Meer streckt,
Die wie ein Kind im Schoß Napolis Busen umschließt,
Liegt hart neben dem Ufer ein Fels, am Gipfel geebnet,
Den mit dem Festland noch altes Gemäuer vereint.
Denn vormals schlug römische Hand zwei Brücken hinüber,
Eine bis tief zum Grund, eine im Bogen gewölbt.
Dort tritt tief in den Felsen die Flut ein, mächtigen Kessel
Füllend. Geräuschlos sieht bläulich der Spiegel herauf.
Dorthin wandr' ich am liebsten. Die Klippe dünkt mich die Grenze
Meines Gebiets; denn hier endet der Bann von Sorrent.
O wie jauchzt' ich zuerst laut auf, als mit dem geliebten
Freund hieher sich der Fuß längs dem Gebirge verstieg.
Wie durch Wunder erschien zum Bade der Kessel vertiefet,
Wie durch Wunder das Gras über die Klippe gesät.
Und wir lagen und sahn sprachlos in die Weite. Die Inseln
Tauchten herauf. Der Vesuv herrschte geruhig wie je.
Auch von Capri erschien ein Streif, als weiter nach Westen
Wir zum Saume des Meers klommen die Felsen hinab.
Damals saßen wir gern in die heftige Sprache versunken,
Drin sich die Woge bespricht mit dem zerklüfteten Strand,
Sahen der Flut unersättliches Spiel. Nun aber vereinsamt
Wandr' ich dahin. Du weilst unter den Pinien Roms.
Dein entbehr' ich – wie sehr! Schon hängt in Blättern die Rebe,
Die noch nackt in die Luft starrte des wilden April,
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Als du gingst. Kaum sahst du die zögernden Knospen der Feige;
Weniger Nächte Verlauf lockte zutage das Blatt.
Denn hier reift ein jedes geschwind, hier reifet der Neigung
Blüte, die herbe, wie bald ach! zu der süßesten Frucht,
Reift auch rasch ein empfangenes Lied und die zarte Gestalt auch,
Die wie ein Schatten zuerst schwebte dem Dichter heran.
Und er sieht der beweglichen zu; nun wagt sie sich näher;
Schon umfließt sie ein Hauch dämmernd belebenden Lichts,
Und er rührt mit dem Finger die Stirn ihr. Siehe, sie regt sich,
Blickt mit geistigem Blick; endlich befreit sich das Wort
Von der melodischen Lippe – sie lebt, sie ist deine, sie fühlt sich
Dein – und dennoch, sie lebt völlig ein Leben für sich.
So, als heut zu der Klippe den Weg ich wandelte sinnend,
Zogen dem sehnlichen Blick reizende Schatten voran,
Deren Gestalt ich in Marmor sah im Palast zu Neapel,
Hoch auf adligem Roß reitend ein bräutliches Paar;
Vor dem Verlobten die Braut. Halb siehst du das süße Gesichtchen
Über die Schulter. Sie hebt zärtlich die Augen empor,
Streift mit der Fackel im Spiel an die niedrigen Zweige der Waldung,
Während das willige Roß folgt dem Sklaven am Zaum.
Aber der Mann blickt finster. Er wägt die Geschicke der Zukunft.
Ward er verbannt von Rom? Hat er das Mädchen entführt?
Wortlos geht die Reise den Strand hin. Da von der Klippe
Durch unwirtliche Nacht grüßet mit Lichtern das Haus.
Einst stand dorten ein Tempel des Herkules. Über den Trümmern
Ließ sich den Sommerpalast köstlich der Römer erbaun,
Und dort birgt er den lieblichen Raub. Nun über das Brückchen
Geht's. Vom Zelter ans Herz hebt er das Mädchen herab.
Und sie steht und betrachtet das Meer, und plötzlich verlockt sie
Unten im Becken die Flut kühl zu dem nächtlichen Bad.
Doch er küßt ihr die Wange, zerstreut. Dann führt er sie nieder
Felsige Stufen. Es sind unten die Zellen bereit.
Nun geht leise der Mond in die Höh und staunt, in der Wildnis,
Wo er zuvor nur dich, ehrliches Schaffnergesicht,
Fand, heut blühende Jugend zu sehn, schwarzlockige Schönheit,
Welcher den silbernen Fuß zitternd die Welle benetzt.
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Aber das Glück ist falsch. Vom Wald genüber vernehm' ich
Schleichenden Fußtritt jetzt. Wachet! es nahet Verrat!
Ist es der griechische Mann von Sorrent, dem, als du hindurchrittst,
Lächelnde Braut, jählings drang in den Busen der Pfeil?
Wär's ein Bote der Eltern? – Es kommt. Schon schlägt es die Zweige
Auseinander – doch wer zeigt sich am schroffen Gestad?
Angiolinas Onkel, im Jagdrock und mit der Flinte!
Ihm zu Füßen vorauf hüstelt ein zottiger Hund.
Muß mir so der Verhaßte die traulichen Träume zerrütten?
Und er sieht mich, und stracks lenkt er die Schritte zu mir.
Zwar – hübsch ist er, ich räum' es ihm ein. Von reichlichem Bart ist
Dunkel umrahmt das Gesicht, feurig das Auge, der Mund
Fein und der Anstand sicher. Man ist auch höflich; man grüßt ja
Wahrlich zuerst: Wie geht's? Herrliches Wetter, Signor! –
Danke, vortrefflich! Und wie geht's Euch? – Wie's Jägern ergehn kann,
Die schon Stunden umsonst passen auf glücklichen Schuß.
Seid Ihr Jäger? – Bedaure. Ich schoß nicht übel vorzeiten
Nach der Scheibe. Doch nie hatt' ich ein lebendes Ziel. –
Nun, hier bietet vielleicht sich Gelegenheit. Bleibet Ihr länger,
Machen wir wohl noch einmal einen geselligen Gang,
So vor Tag, und schießen ein weniges, bis Ihr genug habt. –
Gern. Längst brannt' ich darauf, mehr zu verkehren mit Euch.
Und wir schüttelten uns mit höflichem Lächeln die Hände,
Während die Bestie mich winselnd und heulend umsprang.
Sagt, sprach wieder der Onkel, wie dünkt' Euch gestern die Predigt?
Ein Prussiano wie Ihr, den's in die Kirche verlockt,
Was absonderlich Hübsches erwartet er. Habt Ihr gefunden,
Was Ihr gesucht? – Und mehr, sagt' ich; es hat mich erbaut.
Wahrlich, der Dienst der Maria, ich kann nicht länger ihm gram sein,
Denn nichts Holderes wird unter dem Monde geübt. –
Hm! kein schlechter Geschmack. Mir ward er ein wenig verleidet;
Doch nicht ständ' ich dafür, daß er mich wieder bekehrt.
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Dann – doch verzeiht! da streift sie heran – der will ich's gedenken! –
Und von der Schulter im Nu riß er die Flinte. Der Schuß
Rollte die zackigen Ufer entlang. Lauf, Fido! Hinunter!
Rief er dem Hund. Der sprang kläffend hinab in die Flut
Und dort sah ich in zappelnder Angst die verwundete Wachtel
Schwimmen. Es ruderte stark Fido der sinkenden nach,
Faßte sie sauber am Flügel und schwamm eilfertig zurücke;
Triefend, die Wachtel im Maul, kroch er die Felsen empor.
Oben empfing sein Herr die verblutende, während der Hund sich
Schüttelt' und stäubend umherspritzte die salzige Flut.
Geht, sprach lächelnd der Onkel zu mir, die wollte nach Deutschland.
Stets vom Süden zurück reist sie im Maien. Es sind
Rings an den Küsten die Garne gestellt, da fängt sich so manche;
Manche verlockt auch wohl leckeres Futter vollauf,
Hier in Sorrento das Feld einheimischem Volk zu benaschen,
Und die büßen mit Recht. Nehmet den Vogel, Signor!
Gerne verehr' ich ihn Euch. Laßt ihn Euch braten zum Abend
Und seid meiner gedenk, wenn er Euch leidlich behagt.
Hieher, Fido! – Er rückte den Hut und neigte sich lächelnd;
Dankbar lächelt' ich auch. Und in die Waldung zurück
Schritt er, der Hund mit ihm. Ich blieb am Meere, die tote
Wachtel in Händen, und sprach: Trefflicher Onkel, du bist
Höflich und klug und ein Meister der Jagd und feiner Symbolik,
Doch in einem, verzeih, bist du und bleibst du ein Narr.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Idyllen von Sorrent. 9. [Wo sich das äußerste Horn von Sorrentos Bucht in das Meer streckt]. 9. [Wo sich das äußerste Horn von Sorrentos Bucht in das Meer streckt]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6605-4