[164] Margarete

Tiefer Brunnen

Verschließ dich nur, du schöner Mund,
Verbirg dich, tiefes Herz, mit Fleiß:
Der Rechte kommt zur rechten Stund',
Der Mund und Herz zu lösen weiß.
Gedenk' ich dein, kommt mir zu Sinn
Die Sage von der alten Stadt.
Ein tiefer Brunnen lag darin,
Drauß keiner noch getrunken hatt'.
Er war so tief, so wundertief,
Ließ man ein Becherlein hinab,
Der Faden viele Stunden lief
Und reichte doch den Grund nicht ab.
Da kam des Wegs ein Musikant,
Der sah den Brunn und trat herzu
Und nahm sein Geigenspiel zur Hand
Und spielt' ein Stück und sang dazu.
Und horch, da rauscht' es tief und voll
Und wogt' herauf und sprudelt' klar,
Und lieblich kühl Gewässer schwoll
Empor zum Rande wunderbar.
Der Spielmann trank nach Herzgelüst,
Da war gelöst der dunkle Bann.
Wer dich so zu ersingen wüßt',
Ach, wäre wohl ein sel'ger Mann!

Mein und dein

Zieh ein zu allen Toren,
Geliebtes Glück, zieh ein!
Du mir zum Trost erkoren,
Nimm alles hin, was mein!
[165]
Du mir zum Trost erkoren,
Ich leb' in dir allein.
Für dich zur Welt geboren –
Ach, was an mir ist mein?
Für dich zur Welt geboren,
Kenn' ich kein andres Sein;
Nicht frag' ich wie die Toren:
Ach, was an dir ist mein?
Nicht frag' ich, wie die Toren;
Und riefe die Hölle nein:
Wer sich ins All verloren,
Was gilt ihm mein und dein?

Liebesdienst

Wenn das Haus im Wüsten liegt,
Wem gefielen Gäste?
Staub, der aus den Winkeln fliegt,
Kehrt man vor dem Feste.
Als ich just im Herzen tief
Ordnung schaffen wollte,
Hört' ich, wie ein Stimmchen rief,
Daß ich öffnen sollte.
Ach, die schöne Liebe stand
Bittend an der Schwelle;
Daß sie es im Argen fand,
Klagt' ich ihr zur Stelle.
Doch sie lacht' mir ins Gesicht,
Sprang ins Haus behende,
Und wie längst gewohnt der Pflicht,
Rührte sie die Hände.
Staunend sag' ich, wenn ihr fragt:
Welch ein Glanz tiefinnen?
»Die das Haus gefegt als Magd,
Wohnt als Fürstin drinnen.«

[166] Verlöbnis

Ich gab dir keinen Schwur, dir zu gehören,
Weil um das Wort Dämonen uns beneiden.
Die Seelen, die wir so in Leiber kleiden,
Die stumme Brut der Nacht will sie zerstören.
Den Machtspruch alles Seins – wer kann ihn hören?
Schwur sich die Nacht den Sternen zu mit Eiden?
Wird je die Nachtigall vom Frühling scheiden?
Nur was man brechen kann, mag man beschwören.
Natur verlobt' uns, die mit ew'gem Triebe,
Was seelenvoll erschaffen ist auf Erden,
In Sehnsucht zwingt sein andres Ich zu suchen.
Und will Natur je scheiden diese Liebe,
Muß sie meineidig an sich selber werden
Und, was sie eingesegnet, selbst verfluchen.

Sie schreibt

Ach, warum von Land und Leuten
Schreibst du mir aus deiner Ferne,
Wie Gebirg und See dich freuten
Und wie golden dort die Sterne!
Liebesbriefe will ich lesen,
Immer nur das selig Eine,
Daß du mein gedenk gewesen,
Daß du mein und daß ich deine.
Ach, und tauchst an hellen Tagen
Du aus deinen Kümmernissen,
Sollst du mir es nimmer sagen,
Denn ich will dich heiter wissen.
Aber nicht dem fremden Neuen
Dank es, nicht der fernen Sonne,
Daß sie dein Gemüt zerstreuen
Und dir spenden frische Wonne.
[167]
Laß mich glauben, daß der Grüße
Zauber, die ich zu dir sende,
So das Leben dir versüße,
Wie dereinst ein Druck der Hände.
Daß mir, auch von dir geschieden,
Jene stille Macht verbliebe
Und du alle deinen Frieden
Nur gewinnst durch meine Liebe!

Seit du nun schweigst ...

Seit du nun schweigst, sind mir die Dinge stumm.
Mit seelenlosen Augen sehn mich an
Die liebsten Menschen. Jedes Heiligtum
Find' ich verschlossen, poch' ich je daran.
Gab deine Stimme doch die Melodie
Zu meines Lebens Lied. Du warst das Maß,
Das Wert und Unwert meiner Welt verlieh;
In dir genoß ich erst, was ich besaß.
Nun du mir fehlst, bin ich mir selbst entrückt,
Mißklang mein Denken, mein Empfinden Streit.
Das Schöne spielt mit mir, das Wahre drückt
Dies Herz zusammen, das es sonst befreit.
Des Lebens Krone fiel aus meinem Haar,
Jedwede Herrschgewalt ist mir entrungen,
Und selbst das Lied, das noch mein eigen war,
Hat mir der Schmerz tyrannisch abgezwungen.

(In Rom)

Ergebung

Trag es nur, was überschwenglich
Wie ein Schicksal dich umgibt!
Ach, wie vieles war vergänglich,
Was die Seele sonst getrübt.
[168]
Was dich jetzt aus fremder Weite
Unbezwinglich bannt an sie,
Auch so eng an ihrer Seite
Ließ dich dieses Sehnen nie.
War ihr Blick doch unergründlich,
Unermeßlich, ach, ihr Herz.
Da empfandst du zitternd stündlich
Deine Schranke, deinen Schmerz;
Fühltest wie von Sonnenflimmer
Still die Augen übergehn,
Und doch unersättlich immer
Strebtest du, dich satt zu sehn.
Ach, so dränge nun vom Herzen
Diese Sehnsucht nicht zurück,
Und die Dauer deiner Schmerzen
Bürge dir ein dauernd Glück!

Brautlied

Welch ein Scheiden ist seliger,
Als zu scheiden von Mädchentagen?
Welch ein Klagen ist fröhlicher,
Als in Myrten um Veilchen klagen?
Als dein Schifflein im Hafen lag,
Meerwärts oft sich die Wimpel regten,
Ob auch heimischer Wellenschlag,
Land und Himmel es treulich hegten.
Nun die Anker gelichtet sind,
O wie köstlich die Fahrt ins Weite!
Düfte schwimmen im Frühlingswind,
Und du lächelst an seiner Seite.
Manch ein segnender Seufzer schwingt
Sich ins Segel, es lind zu schwellen.
Laß dies Lied, das die Liebe singt,
Sich als günstigen Hauch gesellen!

[169] Zuflucht

Und so hebst du meiner Seele
Schleier mit der weichen Hand,
Daß sie nichts mehr dir verhehle,
Die errötend vor dir stand.
Ach, was ihr im Übermute
Lieblich an ihr selber deucht',
Seit darauf dein Auge ruhte,
Ist der eitle Wahn verscheucht.
Nun entkleidet ihrer Flittern,
Nun so scheu in sich geschmiegt
Überrieselt sie ein Zittern,
Zwischen Glück und Scham gewiegt.
Bis sie sich mit heft'gem Triebe
Dicht an deine Seele schließt
Und die Fülle deiner Liebe
Wie ein Schleier sie umfließt.

Im Walde

Heut beschlichen mich die Träume,
Da es heller Mittag war.
Durch des Waldes junge Bäume
Flog's wie Duft von deinem Haar.
Leise klang ein holdes Lachen,
Wie nur deine Lippe lacht,
Wenn des Morgenrots Erwachen
Deine Seele fröhlich macht.
Ja, mir war's, als ob mich träfe
Deines Auges stiller Geist
Und ein Kuß an meiner Schläfe,
Wie nur du zu küssen weißt.

[170] Amor in der Mauser

Einsam, traurig und gefangen
Sitzt der kleine Gott zu Haus,
Und mit naßgeweinten Wangen
Rupft er sich die Federn aus;
Spitzt sie fein an seinen Pfeilen,
Taucht sie in ein Tröpfchen Blut,
Schreibt damit entflammte Zeilen,
Brief' und Lieder voller Glut.
Ach, und kann's ihm denn genügen,
Daß er lahm die Feder führt,
Da er einst in sel'gen Flügen
Zweier Schwingen Kraft gespürt?
Heil'ge Venus, laß geschwinde
Hingehn diese Mauserzeit,
Die dem armen Götterkinde
Sichtbar kümmerlich gedeiht.
Neu beschwing ihm das Gefieder,
Das nun kriechend kritzeln muß:
Blick und Wort statt Brief' und Lieder,
Statt der Siegel Kuß um Kuß!

Bei Nacht

Rausche, Brunnen, rausche du,
Singe mir das Herz in Ruh!
Könntest du die Flammen kühlen
In der Nacht, der sommerschwülen,
Mir im Nu
Aus dem Blut das Fieber spülen!
Rausche, Brunnen, rausche du!
Was ich sinne, was ich tu',
Wie die Stunden leer sich dehnen,
Zuckt und zehrt in mir das Sehnen
Immerzu –
Öl ins Feuer sind die Tränen.
[171]
Jetzt wohl aus dem kleinen Schuh
Schlüpft ihr Fuß und geht zur Ruh'.
Und nun liegt sie wach im Bette:
»Ach, daß ich ihn wiederhätte!« –
Herz, und du
Zerrst dich wund an deiner Kette!

Unterwegs

Nun brause mich, Wind, nach Hause geschwind,
Dort sitzt mein Liebchen und sehnt und sinnt,
Ihre einz'ge Gesellin die flackernde Kerz',
Und sie horcht auf den Sturm und horcht auf ihr Herz.
O trage mich, Wind, durch den sausenden Hag,
Beflügle den Fuß mir dein Flügelschlag,
Beflügle die Zeit, und mit klirrendem Ton
Poch an ihr Fenster: wir kommen schon!
Wir kommen! Und brechen wir ein in das Haus,
Dann stürme dein Atem das Flämmchen aus,
Dann saus' und brause hinaus in die Nacht,
Um die Hütte der Glücklichen halte die Wacht!

Verklärung

Nicht weinen sollst du, sollst frohlocken
Und still dich segnen früh und spät,
Wenn deine Seele tieferschrocken
Am Abgrund unsrer Liebe steht.
Der Lärm des Lebens ist versunken,
Kaum dringt der Freunde Ruf herauf.
Wir schauen stumm und wonnetrunken
Zu seligen Gestirnen auf.
Und wie des Friedens sanfte Welle
Begräbt den schwanken Grund der Zeit,
Wird's vor den Sinnen morgenhelle
Und tagt wie Glanz der Ewigkeit.

[172] In so und so viel Wochen

Als ich von Reisen heimgekehrt,
Wie froh begrüßt' ich Haus und Herd!
Die Zeit ist hingeschlendert,
Hat nirgend nichts verändert.
Zum Willkomm trug mein Weib herein
Dieselbe Flasche Cyperwein,
Die wir mit Herzenspochen
Beim Abschied angestochen.
Die Bettchen hab' ich still beschaut,
Drin lagen unsre Kinder traut
Mit rotgeschlafnen Wangen,
Wie da ich fortgegangen.
Rings alles an der alten Statt,
Im Buch noch eingemerkt das Blatt,
Bei dem ich abgebrochen
Vor so und so viel Wochen.
Doch morgens, horch! was trippelt da?
Was ruft mir: Guten Tag, Papa!
Der Tausend! Ernst, mein Junge,
Wer löste dir die Zunge?
Wer half dir auf die Beine flink?
Du rutschtest kaum noch, als ich ging,
Und hast kein Wort gesprochen
Vor so und so viel Wochen.
Ach freilich, deine Welt, mein Kind,
Verwandelt noch sich blitzgeschwind.
Erst wenn wir älter werden,
Geht's fein im Schritt auf Erden.
Dann klärt der Siebenmeilenlauf
Der Jugend wunderlich uns auf,
Daß wir auch vorwärts krochen
Um so und so viel Wochen.

[173] Nachtgesicht

Ich lag und schlief im Windsgebraus,
Da hab' ich ein Gesicht geschaut.
Viel Gäste kamen zu mir ins Haus,
Mein kleines Hündchen winselte laut.
Ich kannte sie alle ganz genau,
Es ward geschmaust, getanzt, gescherzt.
Ich saß bei meiner lieben Frau
Und sah, wie sie ihr Jüngstes herzt'.
Sie war ein wenig blaß und still,
Doch schön wie je und sanft und gut.
Sie sprach: Was nur das Hündchen will?
Ich sprach: Es bellt aus Übermut.
Mein Vater schenkte vom besten Wein
Und rief: Das Leben, es lebe hoch! –
Meine Mutter lud zum Essen ein:
Kommt, Kinder, wir haben Vorrat noch!
Meine Jugendfreunde traten heran,
Das Glas in der Hand, und tranken mir zu.
Ich leerte das meine und rief: Wohlan,
Auf Brudertreue in Kampf und Ruh'!
Dann faßt' ich meiner Liebsten Hand,
Sie küßte mich sanft und sprach: Gute Nacht!
Ich muß nun fort in ein andres Land;
Nimm unsre kleinen Kinder in acht! –
Da schrie ich auf und sah mich verwaist,
Da krähte der Hahn, und der Morgen graut'.
Mit den Toten hatt' ich zu Nacht gespeist –
Mein kleines Hündchen winselte laut.

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Margarete. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6612-6