Rückblick

Wenn es wahr ist, jung schon müsse sterben,
Wen die Götter lieben, bin ich dankbar,
Daß sie nicht zum Liebling mich erkoren.
Zwar, schon nach des Schauspiels erstem Aufzug
Heimzugehn, empfiehlt sich, wenn ein Rührstück
Oder Alltagspuppenspiel tragiert wird.
Doch, ob meistens auch des Stückes Fabel
Schal und dürftig, ist's doch unterhaltsam,
Zuzuschau'n dem bunten Szenenwechsel
Dieser Posse, die wir Leben nennen,
Bis der Vorhang fällt, und dann mit Gähnen,
Unerbaut zwar, doch an Wahrheit reicher
Uns zu Bett zu legen.
Manchmal freilich
Geht ein mächtig Trauerspiel in Szene.
Dann fürwahr verlohnt sich's, auszuharren
Bis zum Abschluß und von Furcht und Mitleid
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Tiefbewegt im Innern zu erschaudern.
Gleichermaßen, wessen Erdendasein
Tätig wirksam wie ein Strom verflossen,
Der befruchtet rings das Land und stolze
Schiffe trug, dem ziemt es kaum zu klagen,
Nicht die Lampen wert sei die Komödie.
Und nun vollends, wem das Glück vergönnt ward,
Im Parterre zu sitzen, während droben
Aufgeführt ward eine Welthistorie,
Größer als sie je ein Dichter träumte:
Ein Volks Erstehn aus überlanger
Schmach zu höchster Herrschermacht und Glorie,
Wer den hohen Genius, der vollbracht so
Traumhaft Herrliches, mit Augen schaute,
Ja die Hand ihm leibhaft drücken durfte,
Der wird keinen »Götterliebling« neiden
Um den frühen Heimgang, der den Anblick
Solchen Wunders ihn verschlafen lassen.
Nein, im Frösteln seines Greisenwinters
Wird sein Herz erglühn, so oft Erinnrung
Ihm den Frühhauch jener Zeit zurückbringt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Ein Wintertagebuch. Rückblick. Rückblick. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-66AB-1