An Hermann Lingg

Wie, Freund? Ist's Wahrheit, was ich seh'?
Wir zwei beim Bundesschützenfeste,
Nicht als beschaulich stille Gäste,
Nein, feierlich im Komitee?
Ist denn die Zeit zurückgekehrt,
Da noch Apollo ward verehrt
Nicht bloß als treuer Musenpfleger,
Auch als berühmter Schütz und Jäger?
Denn daß wir beide, wie wir hoffen,
Ins Schwarze hie und da getroffen
Mit unsrer stillen Art und Kunst,
Erwarb uns schwerlich so viel Gunst,
Daß, wo es knallt den ganzen Tag,
Man unser nicht entraten mag,
Zumal kein Mangel ist an biedern
Grünangehauchten Schützenliedern,
Daß nun ein großer Lyrikus,
Wie du, ein frisches dichten muß,
Zu schweigen von meiner Wenigkeit.
[490]
Doch sieh! da fällt mir ein beizeit,
Daß ich in Tagen, die schon fern,
Auch war ein Jäger vor dem Herrn,
Wovon der Münchner Magistrat
Etwa ein Gerücht vernommen hat,
So daß er nun auch mich erlesen
Zum Beirat diesem Schützenwesen,
Als einen, der der Jägerei
Zwar nur als Dilettant beflissen,
Doch auch nicht übel kundig sei.
Da treibt mich leider mein Gewissen,
Zu beichten, was mich lang gebrannt,
Wie's um mein erstes Jagdglück stand,
Daß einst nicht meinen Grabstein zieret
Ein Nachruhm, der mir nicht gebühret.
Ich war im schönen Berchtesgaden
Anno Sechzig zu Hof geladen,
Wo ich im luftigen Sommerschloß
Gar vielfach Liebs und Guts genoß
Von meinem königlichen Herrn,
Der so viel Huld an mir bewiesen –
Nie würde sie genug gepriesen.
Nun mocht' er seine Gäste gern
Vergnügt und guter Dinge sehn,
Sollt' einem jeden nach Wunsch geschehn;
Und da von manchem Jägerzug
Ich keine Beute nach Hause trug –
Ein blutiger Neuling, wie ich war,
Nicht ungeschickt im Treffen zwar,
So lang es nur die Scheibe galt,
Doch wenn das Hochwild durch den Wald
Hinstürmte, gleich mit Herzenspochen
Fühlt' ich das Blut in den Adern kochen,
Und schoß, wie's Sonntagsjägern geht,
Zu hoch, zu tief, zu früh, zu spät –
Da schien's meinem hohen Gönner fast,
Als würde das Weidwerk mir verhaßt,
Und nagt' ein Wurm mir am Gemüte.
Drum, da es wieder waldwärts ging,
[491]
Ich eine Büchse von ihm empfing,
Einen schönen Zwilling von sondrer Güte. –
Die hat mir selbst bei keiner Jagd,
So sprach er lächelnd, je versagt;
Mit der soll's Ihnen heut gelingen.
Nun, Weidmannsheil! –
Und also gingen
Wir Schützen jeder an seinen Stand.
Ein Wäldchen, das Ahornet genannt,
Im wolkennahen Hochgebiet
Empor zur Gotzenalm sich zieht,
Von steilem Felskamm überragt,
Des jäh abstürzendes Gewänd
Vom Königssee den Talgrund trennt.
Hier war bestellt die frühe Jagd
Und ward ein Stand mir zugewiesen,
Nie einen schönern gab's als diesen.
Aus eines Tännleins grünem Schatten
Sah ich hinab die sanften Matten,
Von Ahornwipfeln überdacht,
Dazwischen spielt in Ringen sacht
Die golden heitre Sommersonne.
Ich saß verträumt in stiller Wonne,
Doch späht' ich scharf und hielt zum Schuß
Die Büchse fertig auf den Knieen.
Ein Jagdgehilf' war mir verliehen,
Mit seltnem Namen: Phrygius.
(Dies aber war sein ganz Latein,
Mocht' eines Ahnherrn Erbschaft sein,
Der einer Schul' einmal gewaltet
Und sich lateinisch umgestaltet.)
Ein hagrer Bursch mit Augen blau,
Ein rechter Jäger fest und schlau,
Und war's wohl längst von Herzen satt,
Daß der Herr Doktor aus der Stadt
Sein Pulver nebenbei verknallte.
Wie nun die Jagd das Tal durchhallte
Und ferne fiel ein erster Schuß –
Heut, sag' ich, teurer Phrygius,
[492]
Sollst du dich meiner nimmer schämen;
Ich will mich scharf zusammennehmen. –
Und sieh, kaum ward die Rede laut,
Stößt mein Gesell mich heimlich an.
Ein junger Spießer zog heran,
Vorsichtiglich, nicht gar vertraut,
Und windet äugend um sich her,
Als ob's ihm nicht geheuer wär'!
Ich flugs die Büchse von den Knien,
Doch er gewahrt mich, wie mir schien,
Er wend't sich – tut einen Satz – und krach!
Donnert mein Mordgewehr ihm nach.
Doch was war das? Im selben Nu
Kracht's abermals – Was Teufel! du?
Phrygius? – Er achselzuckte bloß:
's war nix. Mein rechter Lauf ging los,
Von selbst. Doch der Herr Doktor hat
Getroffen. Schaun's nur, grad aufs Blatt!
Hin durch die Lichtung eilen wir.
Da lag im Gras das edle Tier,
Die Lichter halb verglast, und wendet
Den Kopf nach mir, eh' es verendet,
Fast vorwurfsvoll, als früg' es an,
Wer von uns zwein ihm das getan.
Mein Phrygius murmelt nur: Den hat's!
Und schleicht zurück zum alten Platz.
Doch ich: Phrygius – der Schuß war gut;
Doch ist mir wunderlich zumut.
Ging deine Büchse – schwör mir's heilig! –
Von selber los? – Los ging sie freilich.
Hab' mit der Hand am Schloß gespielt
Und auch – mein Eid! – nicht erst gezielt.
Doch jetzt sein's stat. Es kimmt noch mehr.
Wohl kam's, doch nimmer zu uns her.
Die Jagd nahm ihren raschen Lauf,
Ein Wetter zog vom See herauf,
Bald sahn wir auch die Treiberkette.
Nun ging's bergunter in die Wette,
Bis zu dem sichern Ort am Strand,
[493]
Wo schon gedeckt die Tafel stand,
Die Köche für den Königstisch
Sotten und brieten, Wild und Fisch.
Da ward mit Zuruf ich empfangen.
Schon war die neue Mär ergangen,
Daß heut auch mir ein Schuß geglückt.
Den Zweifel, der mich heimlich drückt',
Ich schluckt' hinunter ihn und saß
Ganz still, da nun das volle Glas
Der königliche Jagdherr hob
Und sprach: Dem Doktor ziemt ein Lob.
Er tat heut seinen Meisterschuß.
So wollen wir verdientermaßen
Den wackren Schützen leben lassen! –
Und neigte mir sein Glas zum Gruß.
Ich murmelt was von Phrygius,
Doch nahm es niemand mehr in acht,
Denn plötzlich brach mit wilder Macht
Das Wetter los, der See ging hoch,
Wir leerten kaum die Gläser noch
Und schwammen durch Gewittergraus
Bis auf die Haut durchnäßt nach Haus.
So losch mein erster Glückstag aus.
Doch nachts im Traum ist mir erschienen
Mein junger Hirsch und sah mich an
Mit spöttlich überlegnen Mienen,
So gut ein Waldtier grinsen kann,
Als wollt' er sagen: Hast du nun
Das Herz, auf Lorbeern auszuruhn,
Die du nicht selber konntst gewinnen?
Bei deinem Leisten bleib hinfort:
Mach Verse! Sinne nicht auf Mord! –
Spuk, rief ich, hebe dich von hinnen!
Vernahmst du nicht des Phrygius Schwur? –
Der Unhold aber lachte nur,
Und um den Spötter rings zuhauf
Tauchte viel andres Wild noch auf,
Rehböcke, Gemsen ohne Zahl,
Die sprangen um mich her zumal,
[494]
Vertraut und nah, um mich zu necken,
Und stupften mich an allen Ecken,
Und hob ich meine Büchs' empor,
Hohnkicherte der ganze Chor,
Bis mir vom Haupt der Angstschweiß lief,
Ich überlaut: Hilf, Phrygius! rief –
Da war das Nachtgespenst zerstoben.
Seitdem gab ich wohl beßre Proben,
Das Treffen mit der Kugel sei
Doch eben auch kein' Hexerei.
Nur seltsam: Keiner hatt' es acht,
Ob ich meine Sache gut gemacht,
Und kam ich siegesfroh nach Haus,
Bracht' niemand einen Trinkspruch aus.
Dir aber les' ich's am Gesichte:
Was die Moral sei der Geschichte? –
Ei, daß man uns um manches ehrt,
Was nicht der Red' und Ehre wert,
Indes die Welt bleibt wiederum
Bei unsern besten Taten stumm,
So daß mit ruhigem Gewissen
Wir eins ins andre rechnen müssen.
Und also, wenn ich heut' uns seh'
Im Bundesschützenkomitee,
Laß uns nicht grübeln, ob wir wert
Des Ehrenamts, so uns beschert,
Vielmehr bescheiden Arm in Arm
Durchwandern wollen wir den Schwarm,
Und wenn am Himmel Wolken schweben,
Die Hände zum Apoll erheben,
Daß diesem frohen Festgetreibe
Der Fernhintreffer günstig bleibe,
Mit seiner Sonne schönstem Glanz
Vergoldend jedes Siegers Kranz,
Daß ungetrübt in alt und jung
Nachleuchte die Erinnerung.
So wären denn auch die Poeten
Im Ausschuß nicht umsonst vertreten.

Juni 1881

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. An Personen. An Hermann Lingg. An Hermann Lingg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-66E0-5