Flock

Täglich steig' ich in stiller Mittagssonne
Nach Gardone di sopra und Morgnaga
Oder höher hinauf den weitgeschwungnen
Bergpfad über die Schluchten bis Fasano.
Mir zur Seite, doch öfter weit voraus mir,
Trabt mein Wandergenoß, mein kleines Hündchen
Flock, ein munterer Spitz. Zwar reiner Rasse
Kann er nicht sich berühmen, doch so manchem
Preishund läuft er den Rang wohl ab an Schönheit
Und an Temperament. Wenn er so hinspringt,
Hoch das Näschen, den Schweif wie eine Fahne
Aufrecht tragend, gespitzt die braunen Öhrchen,
Grüßen ihn die Gardoner Gassenkinder
Schon von weitem, und Flocki! Flocki! rufend,
Suchen schmeichelnd sie ihn heranzulocken.
Doch er windet sich ungerührt und vornehm
An der jungen Verehrerbrut vorüber,
Läßt zuweilen zu kleiner Köter Spielen
Sich leutselig herab und rauft mit großen,
Die ihm neidisch am Hals das rote Schleifchen
Bös zerzausen, worauf aus ehrenvollen
Wunden blutend er heiter mir zurückkehrt,
Ein geschlagener Held, doch ein Charakter.
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Manchmal, wenn ich im duft'gen Lorbeerschatten
Müd vom Klettern auf einem Bänklein raste –
Schön ist's droben; die sanften Lüfte fächeln
Rings das silberne Laub der Ölbaumhalden,
Und mit purpurnem Blau durch ihr Gezweige
Schimmert drunten der See – mein Flock ist freilich,
Wie die Hunde gewöhnlich, kein Naturfreund.
Ruhig liegt er im Gras an meiner Seite,
Manchmal schnappend nach einer kleinen Fliege,
Manchmal still mich betrachtend, gleich als fragt' er:
Woran denkst du nur jetzt? 's ist unbegreiflich,
Daß die Menschen beständig denken müssen.
Wir sind klüger. Schon Lessing sagt: wer möchte
Denken, wenn er genießt! Und ich genieße
Meine Ruhe, die wohlverdient, nachdem ich
Heut Lazerten gejagt und ganze sieben
Tot zur Strecke gebracht. (Denn dies ist leider
Eine noble Passion, von der bisher ihn
Zu entwöhnen mir nicht gelang. Es fröhnen
Hohe Herren ja auch des edlen Mordwerks,
Nicht zur Ehre der Menschheit.) Und zur Antwort
Auf die schweigende Frage sag' ich: Flöckchen,
Was ich eben gedacht, hat einem andern
Deiner Brüder gegolten – Schnautz geheißen,
Schnäutzlein nannten wir ihn – der auch vor Zeiten
Mich getreu zu begleiten pflag auf manchem
Bergweg, bis er zuletzt so fett geworden,
Daß nur keuchend er aufwärts kroch. Ich mußt' ihm,
Da ihm irdische Freuden nicht mehr blühten,
Selbst verkürzen die Qual. Doch wie er dalag,
Um das struppige Haut – er war vom Stamm der
Rattenfänger – ein dickes Tuch, getränkt mit
Chloroform: an des Herzens Schlägen sah ich,
Daß schon nahe das Ende. Da auf einmal
Aus dem feuchten Verband hervor sich windend,
Hob der Sterbende auf zu mir sein treues,
Still anklagendes Aug', als wollt' er sagen:
Bessres hofft' ich um dich verdient zu haben,
Als so kläglichen Tod von deinen Händen! –
Ach, er wußte ja nicht: zu seinem Besten
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Ihm durchschnitt ich den morschen Lebensfaden,
Der nur quälend die zott'ge Brust umschnürte.
Doch mir folgte noch lang in meine Träume
Dieser scheidende Blick. Nicht wünsch' ich, Flöckchen,
Je dein Auge mit ähnlich stummem Vorwurf
Auf mir ruhen zu sehn. Du bist der Jüngre,
Sollst noch lange, wenn ich dahingeschieden,
Deines Lebens dich freu'n, Lazerten jagend
Und darüber des guten Herrn vergessend,
Rascher, als er dich selbst vergessen würde,
Wenn ihn später als dich Freund Hein besuchte

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Ein Wintertagebuch. Flock. Flock. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6772-8