[312] Idyllen von Sorrent

1.

Schön ist immer der Mai in Sorrent, am Strand, in den Gärten.
Über den Vignen am Fels, schön in den Gassen der Stadt.
Aber am schönsten um Mondaufgang, wenn um den gekrönten
Berg Sant Angelo falb dämmert der trauliche Schein
Und auf Ischia drüben die letzte verglimmende Wolke
Ruht und dem alten Vesuv feierlich rötet die Stirn.
Dann trägt schweigend Luisa – so gern sie plaudert, die Gute –
Mir ein Bänkchen hinauf auf das geebnete Dach.
Dort von des Tags nachdenklichem Nichtstun ruht sich die Seele
Wie zufrieden mit sich aus in der Stille der Luft,
Träumt von diesem und dem, zu den Freunden hinüber, den Fernen,
Schweift mit gesättigter Glut über die Gärten im Grund,
Wo die Feige gemach anschwillt und Duft der Orangen-
Blüte die dunkelnde Frucht nachbarlich wieder umspielt.
Sacht entgleitet den Händen das Buch. Heut war es ein seltsam
Büchlein in Duodez; aber das treffliche fiel
Unsanft; nämlich es flog von zornigen Händen geschleudert
Wider den Rand des Altans, schimpflich am Boden zu ruhn.
Tommaseo, es war dein Werklein: Glauben und Schönheit;
Noch wie wenigen erst über den Alpen bekannt.
Und doch schrieb es ein ganzer Poet, und nicht in der Crusca
Stelzgang spreizt sich der Stil, sondern im Takt des Gemüts.
Wärst du ein weniges nur sparsamer mit Liebesgeschichten!
Auf dein Konto allein kommen an dreißig und mehr;
Ganz zu geschweigen, wie oft, eh' dich sie gefunden, Maria,
Dein hochherziges Weib, sich in den Männern geirrt.
Freilich berichtest du auch sorgfältig das leiseste Zwinkern
Reizender Augen, den Druck jeder gefälligen Hand,
Härmst dich über Gebühr, weil die und jene vergebens
Nach dir seufze; du selbst schmachtetest nimmer umsonst.
Doch dies sei wie es sei. Man weiß, ihr Südlichen habt ein
Flunkriges Blut, und sogleich – klopft es, so ruft ihr »herein!«
Nur das eine verdroß mich schwer: kaum nennst du das holde
Weib dein eigen, doch ach, wieder gebietet die Not,
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Daß du Paris aufsuchst, einsam die Geliebte zurückbleibt,
Gleich droht wieder Gefahr, und du entblödest dich nicht,
Briefe zu schreiben: O komm! o schütze mich! Wenn ich allein bin,
Steh' ich für nichts. Schon stellt eine Grisette mir nach. –
Schande! so rief ich aus – bei dieser Gelegenheit flog denn
Eben das Buch an die Wand – Schande dem flüchtigen Mann,
Der aus Banden der Liebe sogar sich selbst zu verlieren
Bangt, dem Neigung nicht Treue gebiert und erzieht!
Oder es war nicht Liebe, der Trug nur gaukelnder Sinne,
Oder sie war nicht echt, nicht von der himmlischen Art,
Nicht so echt, wie mir sie die Brust ausfüllet und ausdehnt,
Mich in der Einsamkeit Winter in Flammen erhält.
Nicht als wär' ich ein Blinder und sähe die glücklichste Bildung
Deiner Geschöpfe, Natur, immer verschlossenen Sinns.
Doch wann schrieb' ich Briefe der Liebsten: O komm, mich zu schützen,
Weil Giacinta mir sehr, oder Teresa gefällt?
Lebt doch hier im Busen ein heilig Vertraun in die ew'ge
Liebe; die nordische Treu' gibt mir im Süden Geleit.
Käm' ein Engel, sie wankte mir nicht! – So sittlich entrüstet
Sah ich den Sünder im Staub streng und bedauerlich an;
Und an der Brüstung lehnend hinab zum Saume des Gartens,
Wo der Olive Gewächs vor dem gekräuselten Meer
Luftige Wipfel bewegt, hin starrt' ich. Da hört' ich Geräusch vom
Nachbarsdach; nur schmal trennt es von unserm der Hof.
Drüben am Tag schon sah ich die glänzenden Linnen im Winde
Flattern, in sonnigen Reihn fest an die Schnüre geknüpft.
(Doch es gehörte die Loggie dem Apotheker, dem einz'gen
Honoratioren Sorrents, neben den geistlichen Herrn.)
Jetzo gewahr' ich ein Mädchen das Dach hinwandeln, geschäftig,
Und in den binsenen Korb wirft sie die Tücher zuhauf.
Angiolina! ruf' ich. Umsonst; nicht dreht sie das Hälschen.
Angiolina! – Sie schweigt. Wahrlich, es irrte der Blick.
Größer und völliger ist sie, als Angiolina, des Hausherrn
Tochter, und trägt sich zudem nicht so geschniegelt wie die.
Kaum auch würde sich jene dem niederen Dienste bequemen,
Weil sie die Mutter erzog, wie es Gebildeten ziemt;
Und sie lernte Gesang, auch Lesen und Schreiben; es lernen's
Wenige Töchter Sorrents, und den Gesang von Natur. –
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Doch – cospetto! wer ist nun die? Ich kenne doch ziemlich
Hier in der Nachbarschaft jegliches hübsche Gesicht.
Zwar – wie soll ich sie kennen? Ich sah sie noch kaum. Zum Tort mir
Wendet die häßliche Dirn' immer die Augen mir ab.
Ruhig die Reihen der Tücher hinauf und hinunter hantiert sie,
Nur ein bescheidener Streif wird vom Gesichte gezeigt.
Doch wohl seh' ich den zierlichen Hals, und hebt sie die Arme –
Welch entzückendes Rund wölbt sich und woget gelind.
Und so lärmt' ich ein wenig auf meinem Altane mit Pfeifen,
Husten und Singen; sogar sang ich ein zärtliches Lied,
Jenes holde bekannte: Te voglio bene assaie!
Ach, zu sehr nur behielt recht der verwünschte Refrain.
Endlich – sie hatte die letzten der reinlichen Linnen mit kleinen
Händen gelöst, und kaum faßte die Fülle der Korb –
Geb' ich der Neugier nach, der verderblichen, fasse die reife
Goldorange – von Tisch nahm ich sie mit zum Altan –
Ziel' und werfe sie sanft ihr zu, und siehe! dem Mädchen
Grade zu Füßen – doch ach! nicht in den Korb. Wie ein Blitz
Schießt ein Blick mir herüber. Sie steht, und die bräunliche Wange
Brennt; nun seh' ich sie ganz, finster, das Mündchen gepreßt –
Welch ein Mündchen! – die Nas' ein wenig gerümpft – welch Näschen! –
Doch nicht haschte die Hand – was für ein Händchen! – die Frucht.
Nur so schneller entwich sie mir jetzt, leicht über dem Haupte
Mit dem erhobenen Arm stützend den schwankenden Korb.
Und so stand ich denn wieder allein, unmutig. Auf einmal
Tagt mir's innen: die Frucht, die ich hinübergesandt,
War schon leise verletzt von spielenden Bissen. Ich nagte
Ganz in Gedanken vertieft unter dem Lesen daran.
Darum hat sie die Gabe verschmäht; denn Zeichen der Neigung
Ist's, anbeißen die Frucht und der Erwählten sie weihn.
Darum! dacht' ich in mir, und scharf wie prickelnde Nesseln
Schlug mir ein Ärger ins Herz, daß ich es brennend empfand.
Doch – was seh' ich im Zorne zuerst? Dich, übelgeschmähtes
Büchlein! Kichert es gar zwischen den Zeilen? Es rührt
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Nur ein raschelndes Lüftchen die offenen Blätter. Der Schall von
Meinem Gewissen allein hat sich ins Fäustchen gelacht.
Narr! Was hätt' ich getan? Kein Stäubchen des schillernden Flügels
Hat an der Fackel des Gottes Psyche so rasch sich versengt.
Doch die Lehre gewann ich, indem ich gelassen den guten
Tommaseo sofort wieder vom Boden erhob:
Immer ein Wagnis bleibt's, an die Wand sich den Teufel zu malen;
Doch Gott stehe dir bei, malst du dir Engel daran!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Idyllen von Sorrent. 1. [Schön ist immer der Mai in Sorrent, am Strand, in den Gärten]. 1. [Schön ist immer der Mai in Sorrent, am Strand, in den Gärten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6804-7