Fünfter Abschnitt

Aufs neue hatte das Leben in seiner stets wechselnden Gestaltung die Freunde auseinander geworfen. Sylvester war zurückgegangen aufs Land, Ottmar in Geschäften verreiset, Cyprian desgleichen, Vinzenz zwar am Orte, aber wieder einmal nach seiner gewöhnlichen Weise im Gewühl verschwunden und nicht aufzufinden. Nur Lothar pflegte den kranken Theodor, den ein lange bekämpftes Übel doch zuletzt auf das Lager gebracht, das er nun so bald nicht wieder verlassen durfte.

Mehrere Monate waren vergangen, da kehrte Ottmar, der eigentlich durch seine schnelle unerwartete Abreise die Zerstörung des Klubs begonnen, zurück und fand, statt, wie er gehofft, die Serapionsbrüderschaft in vollem Flor anzutreffen, einen kaum genesenen Freund, der die Spuren harter Krankheit noch im bleichen Antlitz trug und den die Brüder verlassen, bis auf einen, der ihm mit allen Ergießungen einer mürrischen Laune gar hart zusetzte.

Lothar befand sich nämlich wieder in der seltsamen Seelenstimmung, in der er überzeugt war, das ganze Leben werde schal und ungenießbar durch die ewigen moralischen Foppereien des feindlichen Dämons, den die Natur dem Menschen, den sie behandle wie ein unmündiges Kind, zur Seite gestellt als pedantischen Hofmeister, und der nun wie dieser die süßen Makronen versetze mit bittrer Arzenei, damit der Junker einen Ekel davor empfinde, nicht mehr davon genieße und so den guten Magen konserviere.

[7] »Was für eine heillose Idee,« so rief Lothar, als Ottmar ihn bei Theodor traf, im höchsten Unmut aus, »was für eine heillose Idee war es, uns, jede Kluft, die die Zeit geschaffen, schnell überspringend, so nahe wieder aneinander, ineinander, möcht' ich sagen, zu rücken. Dem Cyprian verdanken wir den Grundstein des heiligen Serapion, auf den wir ein Gebäude stützten, das für das Leben gebaut schien und zusammenstürzte in wenig Monden. Man soll sein Herz an nichts hängen, sein Gemüt nicht hingeben dem Eindruck fremder Erregung, und ich war ein Narr, daß ich es tat. Denn gestehen muß ich euch, daß die Art, wie wir an unsern Serapionsabenden zusammenkamen, mein ganzes Innres, mein ganzes Wesen so in Anspruch genommen hatte, daß, als die würdigen Brüder sich so plötzlich zerstreut in alle Welt, mir wirklich das Leben ohne unsere Brüderschaft ebenso erschien wie dem melancholischen Prinzen Hamlet, nämlich ekel, schal und oberflächlich!«

»Da,« nahm Ottmar lachend das Wort, »da kein Geist aus dem Grabe gestiegen ist und dich in mitternächtlicher Weile zur Rache gemahnt hat, da du keine Geliebte ins Kloster schicken, keinen meuchelmörderischen König mit einem vergifteten Rapier niederstoßen darfst, so magst du auch die Melancholie des Prinzen Hamlet aufgeben und bedenken, daß es der gröbste Egoismus sein würde, jedem Bunde, den in Herz und Gemüt gleichgestimmte Seelen schließen, deshalb zu entsagen, weil der Sturm des Lebens ihn zerstören kann. Der Mensch darf nicht bei jeder leisesten unsanften Berührung die Fühlhörner einziehen wie ein schüchternes überempfindliches Käferlein. Und gilt dir die Erinnerung an in froher herrlicher Gemütlichkeit verlebte Stunden denn für gar nichts? Stets auf meiner ganzen Reise habe ich an euch gedacht. An den Abenden des Serapionsklubs, den ich in vollem Flor glaubte, habe ich mich unter euch versetzt, allerlei buntes Ergötzliches vernommen und euch wohl mit manchem erfreut, was mir gerade der Geist gegeben. – Doch was schwatze ich! – [8] was schwatze ich! – Ist denn wohl in Lothars Seele nur das mindeste von dem, was der augenblickliche Unmut aus ihm spricht? – Sagt er nicht selbst, daß nur unsere Trennung ihn verstimmt hat?«

»Theodors Krankheit,« fiel Lothar dem Ottmar ins Wort, »die ihn dem Grabe nahe brachte, war eben auch nicht dazu geeignet, mich in eine fröhliche Stimmung zu versetzen.«

»Nun,« sprach Ottmar, »Theodor ist genesen, und was den Serapionsklub betrifft, so weiß ich gar nicht, warum er nicht für schön und vollständig geachtet werden sollte, wenn drei würdige Brüder sich versammeln und so die Brüderschaft aufrecht erhalten?«

»Ottmar«, sprach Theodor, »hat vollkommen recht, es ist ganz unumgänglich notwendig, daß wir nächstens uns versammeln auf serapiontische Weise. Was gilt's, dem wackern Keim, den wir bilden, entkeimt wieder ein lebensfrischer Baum mit Blüten und Früchten. Ich meine, der Zugvogel Cyprian kehrt wieder heim, dem Sylvester wird es draußen bange, und er sehnt sich, wenn die Nachtigallen schweigen, nach anderer Musik, und Vinzenz taucht auch wohl wieder auf aus den Wogen und gackert sein Liedchen!«

»Tut,« sprach Lothar etwas sanfter als zuvor, »tut, was ihr wollt, nur verlangt nicht, daß ich etwas damit zu schaffen haben soll. Dabei will ich aber sein, wenn ihr euch serapiontisch versammelt, und ich schlage vor, daß, da Freund Theodor soviel als möglich in der freien Luft sein soll, dies im Freien geschehe.«

Die Freunde bestimmten den letzten Mai, der in wenigen Tagen einfiel, als die Zeit, einen schönen, beinahe gar nicht besuchten Gastgarten aber als den Ort ihrer nächsten serapiontischen Zusammenkunft.


Ein Gewitter hatte, schnell vorüberziehend und Baum und Gebüsch nur mit einigen schweren Tropfen Himmelsbalsams [9] besprengend, die drückende Schwüle des Tages abgekühlt. Im herrlichsten Glanz stand der schöne Garten, den der liebliche Wohlgeruch des Laubes, der Blumen durchströmte, und fröhlich zwitschernd und trillerierend rauschten die bunten Vögel durch die Büsche und badeten sich in den benetzten Zweigen.

»Wie,« rief Theodor, nachdem er mit den Freunden in dem Schatten dickbelaubter Linden Platz genommen, »wie fühle ich mich so durch und durch erquickt, jede Spur des leisesten Übelbefindens ist verschwunden, es ist, als sei mir ein doppeltes Leben aufgegangen, das in reger Wechselwirkung sich selbst erst recht faßt und empfindet. In der Tat, man muß so krank gewesen sein als ich, um dieses Gefühls fähig zu werden, das, Geist und Gemüt stärkend, die eigentliche Lebensarzenei scheint, welche die ewige Macht, der waltende Weltgeist uns selbst unmittelbar spendet. – Aus meiner eigenen Brust weht der belebende Hauch der Natur, es ist mir, als schwämme ich, aller Last entnommen, in dem herrlichen Himmelsblau, das über uns sich wölbt!« – »Diese Begeisterung«, nahm Ottmar das Wort, »zeigt, daß du vollkommen genesen bist, mein lieber teurer Freund, und Dank der ewigen Macht, die dich mit einem Organism ausstattete, stark genug, dergleichen Krankheit, wie sie dich überfiel, zu überstehen. Schon daß du überhaupt genesen, ist zu verwundern, noch mehr aber, daß dies so schnell geschah.«

»Was mich betrifft,« sprach Lothar, »so verwundere ich mich über Theodors schnelle Herstellung ganz und gar nicht, da ich auch nicht einen Augenblick daran gezweifelt. Du kannst es mir glauben, Ottmar, so erbärmlich es auch mit Theodors physischem Zustande aussehen mochte, psychisch ist er niemals recht krank gewesen, und so lange der Geist sich aufrecht erhält – nun es war eigentlich zum Totärgern, daß der kranke Theodor sich immer in viel besserer Stimmung befand als ich kerngesunder [10] Mensch, und daß er oft, war nur der Schmerz vorüber, sich in tollen Späßen erlustigte, wie er denn auch die seltene geistige Kraft besaß, sich manchmal seiner Fieberphantasien zu erinnern. – Viel zu sprechen, das hatte ihm der Arzt verboten; wollt' ich ihm aber dieses, jenes erzählen in ruhigen Stunden, so winkte er mir Stillschweigen zu, meinte auch wohl, ich solle ihn seinen Gedanken überlassen, er arbeite an einer großen Komposition oder sonst.« –

»Ja,« rief Theodor lachend, »ja, mit Lothars Erzählen, da hatte es eine ganz besondere Bewandtnis! – Daß Lothar gleich, nachdem die Serapionsbrüder sich zerstreut hatten, von dem Dämon der bösen Laune gepackt wurde, weißt du, unmöglich kannst du aber erraten, welchen besonderen Gedanken er in dieser Zeit des Unmuts faßte. – Eines Tages trat er an mein Bett (ich lag schon darnieder) und sprach: ›Die schönsten reichsten Fundgruben für Erzählungen, Märchen, Novellen, Dramen sind alte Chroniken. Cyprian hat das längst gesagt, und er hat recht.‹ Gleich den andern Tag bemerkte ich, unerachtet mir die Krankheit hart zusetzte, doch sehr gut, daß Lothar dasaß, in einen alten Folianten vertieft. Genug, er lief jeden Tag nach der öffentlichen Bibliothek und schleppte alle Chroniken zusammen, deren er nur habhaft werden konnte. Mochte das nun sein, aber seine ganze Phantasie wurde erfüllt von den seltsamen tollen Mären jener verjährten Bücher, und ich bekam, mühte er sich, mir in ruhigeren Stunden aufheiternde Dinge zu erzählen, von nichts anderm zu hören, als von Krieg und Pestilenz, von Mißgeburten, Stürmen, Kometen, Feuer-und Wassersnot, Hexen- Autodafés, Zaubereien, Wundern, vorzüglich aber von den mannigfachen Taten des Gottseibeiuns, der bekanntlich in allen alten Chroniken eine starke bedeutende Rolle spielt, so daß man gar nicht begreifen kann, warum er sich jetzt so still verhält, hat er vielleicht nicht ein anderes Kostüm angelegt, das ihn zurzeit unkenntlich macht. Nun [11] sage mir, Ottmar, sind solche Gespräche wohl für einen Kranken meiner Art geeignet?«

»Ihr möget,« nahm Lothar das Wort, »ihr möget mich nicht ungehört verdammen. Wahr ist es und keck zu behaupten, daß in alten Chroniken viel Herrliches steckt für schreiblustige Novellisten; aber ihr wißt es, niemals hab' ich mich darum sonderlich bekümmert und am wenigsten um Teufeleien nebst ihrem Anhang, ohne die eine kurze Zeit hindurch kein Novellist fertig werden konnte. Nun geriet ich aber mit Cyprian den Abend vorher, ehe er uns verließ, in großen Streit darüber, daß er es eben zu viel mit dem Teufel und seiner Familie zu tun habe, und gestand ihm offenherzig, daß ich seine Erzählung: ›Der Kampf der Sänger‹, die ich damals, als er sie uns vorlas, mit allerlei Scheingründen schützte, für ein durchaus verfehltes Machwerk halte. Da fuhr er aber auf mich los, machte den wahrhaftigen Advocatum diaboli und erzählte mir so viel aus alten Chroniken und andern verschollenen Büchern, daß ich ganz wirr wurde im Kopf. Als nun Theodor erkrankte, als mich gerechter bittrer Unmut ergriff, da kam mir, selbst weiß ich nicht, wie es geschah, Cyprians ›Kampf der Sänger‹ wieder in den Sinn, ja der Teufel selbst erschien mir in schlafloser Nacht, und indem mir entsetzlich vor dem bösen Kerl graute, konnt' ich ihm doch als stets bereiter Aide de Camp hilfsbedürftiger Novellisten meine Achtung nicht versagen. Ich beschloß euch allen zum Tort im Grauenhaften und Entsetzlichen unsern Cyprianus noch zu überbieten.«

»Du,« rief Ottmar lachend, »du, Lothar, wolltest grauenhaft sein und entsetzlich? – Du, dessen grelle skurrile Phantasie nur den Jokusstab zu schwingen vermag?«

»Ja,« erwiderte Lothar, »so hatt' ich es im Sinn, und der erste Schritt, den ich dazu tat, war, daß ich in den alten Chroniken nachstöberte, die Cyprian als wahre Schatzkästlein der Teufelei gepriesen. Aber ich will euch's [12] nur gestehen, daß mir unter der Hand alles ganz anders wurde, als ich es gewollt, gedacht.« »Das kann,« rief Theodor lebhaft, »das kann ich bezeugen. O, es ist herrlich, wie der Teufel, wie der greulichste Hexenprozeß sich gefügt hat der Laune des Schöpfers von ›Nußknacker und Mausekönig‹! – Vernimm, o mein Ottmar, wie ich zu einem kleinen Teufelsprobestücklein unseres wackern Lothar gekommen! – Lothar hatte mich eines Tages eben verlassen, als ich, der ich, schon ziemlich bei Kräften, in der Stube auf-und abzuwandeln vermochte, auf seinem Schreibtisch das in der Tat sehr merkwürdige Buch: ›Hafftitii Microchronicon berolinense‹, und gerade das Blatt aufgeschlagen fand, auf dem unter andern steht:


›In diesem Jahr wandelte auch der Deuvel öffentlich auf den Straßen von Berlin, folgte den Leichenbegängnissen und gebehrdete sich traurig etc.‹


Du wirst glauben, mein Ottmar, daß mich diese kurze erbauliche Nachricht sehr erfreute, noch mehr aber zogen mich einige von Lothars Hand beschriebene Blätter an, die daneben lagen, und in denen Lothar, wie ich mich bei schneller Durchsicht überzeugte, jene seltsame Laune des Teufels oder Deuvels mit einer greulichen Mißgeburt und einem noch greulicheren Hexenprozeß in die angenehmste artigste Verbindung gesetzt hat. Hier sind diese Blätter, ich habe sie mitgebracht, dir, mein Ottmar, zur Ergötzlichkeit.«

Theodor zog ein paar Blätter aus der Seitentasche und reichte sie Ottmarn hin.

»Was,« rief Lothar heftig, »was, die ›Nachricht aus dem Leben eines bekannten Mannes‹, die ich längst vernichtet glaubte als mißlungenes Produkt einer schillernden Laune, die hast du mir maliziöserweise entwendet und aufbewahrt, um mich in Mißkredit zu setzen bei verständigen Leuten von Bildung und Geschmack? – Her damit! – her mit dem unseligen Geschreibsel, damit ich es in hunderttausend [13] kleine Stückchen zerreiße und preisgebe dem Spiel der Winde!« –

»Mitnichten,« sprach Theodor, »vielmehr sollst du, mir, den du in böser Krankheit hinlänglich gequält mit dem Teufelsspuk deiner Chroniken, zu einiger Genugtuung, deine Nachricht unserm Ottmar vorlesen, indem ich dagegen diesem aufgebe, nichts anders darin zu suchen und zu finden als einen tollen Schwank.«

»Kann ich dir,« sprach Lothar, indem ein seltsames Lächeln auf seinem Gesicht vibrierte, »kann ich dir denn etwas abschlagen, o mein Theodor? Du willst, daß ich mich vor diesem ungemein ernsten und sittsamen Mann was weniges blamiere. – Wohlan, es geschehe also!«

Lothar nahm die Blätter und las:

[Nachricht aus dem Leben eines bekannten Mannes]

»Im Jahr Eintausend fünfhundert und einundfünfzig ließ sich, zumal in der Abenddämmerung und des Nachts, auf den Gassen von Berlin ein Mann blicken von feinem stattlichen Ansehen. Er trug ein schönes Wams, mit Zobel verbrämt, weite Pluderhosen und geschlitzte Schuhe, auf dem Kopf aber ein bauschichtes Samtbarett mit einer roten Feder. Seine Gebärden waren angenehm und sittig, er grüßte höflich jedermann, vorzüglich aber die Frauen und Mädchen, pflegte auch wohl diese mit verbindlichen wohlgesetzten Reden auf anmutige Weise anzusprechen. ›Donna, gebietet doch nur über Euern untertänigen Diener, wenn Ihr in Euerm Herzen einen Wunsch traget, damit er seine geringen Kräfte dazu verwende, Euch ganz zu Willen zu sein!‹ So sprach er zu den vornehmen Weibern. Und dann zu den Jungfrauen: ›Der Himmel möge Euch doch einen Eheliebsten bescheren, der Eurer Schönheit und Tugend ganz würdig!‹ Ebenso artig bezeigte er sich gegen die Männer, und so war es kein Wunder, daß jeder den Fremden liebgewann und ihm gern zu Hilfe kam, wenn er verlegen an einer breiten Gosse stand und nicht wußte, wie hinüberkommen. Denn unerachtet er sonst [14] groß und schön gewachsen, hatte er doch einen lahmen Fuß und mußte sich auf einen Krückstock stützen. Reichte ihm nun einer die Hand, so sprang er mit ihm wohl an die sechs Ellen hoch in die Luft und kam über die Gosse hinweg zwölf Schritte davon auf die Erde nieder. Das verwunderte denn die Leute wohl ein wenig, und mancher verstauchte sich hin und wieder auch wohl das Bein, der Fremde entschuldigte sich aber damit, daß er sonst, als noch sein Fuß nicht lahm, an dem Hofe des Königs von Ungarn Vortänzer gewesen, daß ihm daher, verhelfe man ihm nur zu einigem Springen, gleich die alte arge Lust anwandle, und daß er wider seinen Willen dann erklecklich in die Luft fahren müsse, als tanze er noch zu selbiger Zeit. Dabei beruhigten sich die Leute und ergötzten sich zuletzt daran, wenn bald ein Ratsherr, bald ein Pfaff, bald ein anderer ehrenwerter Mann mit dem Fremden hopste. So lustig und guter Laune aber auch der Fremde schien, so änderte sich doch sein Betragen manchmal auf ganz verwunderliche Weise. Denn es begab sich, daß er nachts umherging auf den Gassen und an die Türen klopfte. Und öffneten die Leute, so stand er vor ihnen in weißen Totenkleidern und erhob ein jämmerliches Geheul und Geschrei, worüber sie sich gar sehr entsetzten. Andern Tages entschuldigte er sich aber und versicherte, er sei genötigt, das zu tun, um sich und die guten Bürger an den sterblichen Leib zu erinnern und an ihre unsterbliche Seele, zu deren Besten sie auf ihrer Hut sein müßten. Dabei pflegte er ein wenig zu weinen, welches die Leute ungemein rührte. Bei jedem Begräbnis fand sich der Fremde ein, folgte der Leiche mit ehrbaren Schritten und gebärdete sich gar traurig, so daß er vor lauter Wehklagen und Schluchzen nicht vermochte, in die geistlichen Lieder einzustimmen. So wie er sich aber bei solcher Gelegenheit ganz dem Mitleiden überließ und dem Gram, so war er auch ganz Vergnügen und Lust bei den Hochzeiten der Bürger, die damals gar stattlich auf dem Rathause ausgerichtet [15] wurden. Da sang er mit lauter anmutiger Stimme die unterschiedlichsten Weisen, spielte auf der Zither, tanzte wohl stundenlang mit der Braut und den Jungfrauen auf dem gesunden Beine, das lahme geschickt an sich ziehend, und betrug sich dabei sehr ehrbar und sittig. Das beste und weshalb die Brautleute den Fremden gar gern sahen, war aber, daß er bei jeder Hochzeit dem Brautpaar die schönsten Verehrungen machte von güldenen Ketten und Spangen und anderm köstlichen Gerät. Es konnte nicht fehlen, daß die Frömmigkeit, Tugend, Freigebigkeit, Sittlichkeit des Fremden in der ganzen Stadt Berlin bekannt wurde und selbst dem Kurfürsten zu Ohren kam. Der meinte, ein solcher ehrenwerter Mann, wie der Fremde, müsse seinen Hof gar sehr schmücken, und ließ ihn fragen, ob er nicht eine Hofbedienung annehmen wolle. Der Fremde schrieb aber mit zinnoberroten Buchstaben auf einem Pergamentblättlein von anderthalb Ellen in der Breite und ebensoviel in der Länge zurück, er danke unterwürfig für die ihm angebotene Ehre, bitte aber den Hochwürdigen Durchlauchtigsten Herrn, ihn das ruhige Bürgerleben, welches seinem Gemüt ganz und gar zusage, in Frieden genießen zu lassen. Berlin habe er vor vielen andern Städten zu seinem Aufenthalt gewählt, weil er nirgends so liebe Menschen gefunden und so viel Treue und Aufrichtigkeit, so viel Sinn für feine anmutige Sitten, wie sie ganz in seiner eignen Art und Weise lägen. Der Kurfürst und mit ihm der ganze Hof bewunderte höchlich die schönen Redensarten, in denen das Schreiben des Fremden verfaßt, und dabei behielt es sein Bewenden.

Es begab sich, daß zur selben Zeit des Ratsherrn Walter Lütkens Ehefrau zum erstenmal gesegneten Leibes war. Die alte Wehmutter Barbara Roloffin prophezeite, daß die hübsche gesunde Frau gewiß eines holden Knäbleins genesen würde, und so war Herr Walter Lütkens ganz Freude und Hoffnung.

Der Fremde, der auf Herrn Lütkens Hochzeit gewesen, [16] pflegte dann und wann bei ihm einzusprechen, und so kam es denn, daß er einmal in der Abenddämmerung unvermutet eintrat, als eben die Barbara Roloffin zugegen.

Sowie die alte Barbara den Fremden erblickte, erhob sie ein lautes helles Freudengeschrei, und es war, als wenn plötzlich die tiefen Runzeln ihres Angesichts sich ausglätteten, als wenn die weißen Lippen und Wangen sich röteten, kurz, als wenn Jugend und Schönheit, der sie längst Valet gegeben, noch einmal wiederkehren wolle. ›Ach, ach, Herr Junker, seh' ich Euch denn wirklich hier zur Stelle? Ei! – seid mir doch schönstens gegrüßt‹ – so rief die Barbara Roloffin und wäre beinahe dem Fremden zu Füßen gesunken. Der fuhr sie aber an mit zornigen Worten, indem Feuerflammen aus seinen Augen sprühten. Doch niemand verstand, was er mit der Alten sprach, die bleich und runzlicht wie vorher, sich leise wimmernd in ein Winkelchen zurückzog.

›Lieber Herr Lütkens‹, sprach nun der Fremde zu dem Ratsherrn, ›seht Euch wohl vor, daß in Eurem Hause nichts Böses geschehe, und daß zumal bei der Niederkunft Eurer lieben Hausfrau alles glücklich vonstatten gehe. Die alte Barbara Roloffin ist in ihrer Kunst gar nicht so geschickt, wie Ihr wohl vermeinen möget. Ich kenne sie schon lange und weiß es wohl, daß sie schon manchmal Wöchnerin und Kind verwahrloste.‹ Beiden, dem Herrn Lütkens und seiner Hausfrau, war bei dem ganzen Vorgange sehr ängstlich und unheimlich zumute geworden, und schöpften sie gegen die Barbara Roloffin, zumal wenn sie daran dachten, wie die Alte sich in Gegenwart des Fremden so seltsamlich verwandelt, nicht geringen Verdacht, daß sie wohl gar böse Künste treibe. Deshalb verboten sie ihr, wieder über die Schwelle des Hauses zu kommen, und sahen sich nach einer andern Wehmutter um.

Als dies geschah, wurde die alte Barbara Roloffin sehr zornig und rief, Herr Lütkens und seine Hausfrau sollten das Unrecht, das sie ihr antäten, noch schwer bereuen.

[17] Alle Freude und Hoffnung des Herrn Lütkens wurde aber verwandelt in bittres Herzeleid und tiefen Gram, als seine Hausfrau statt des holden Knäbleins, das die Barbara Roloffin prophezeit, einen abscheulichen Wechselbalg zur Welt brachte. Das Ding war ganz kastanienbraun, hatte zwei Hörner, dicke große Augen, keine Nase, ein weites Maul, eine weiße verkehrte Zunge und keinen Hals. Der Kopf stand ihm zwischen den Schultern, der Leib war runzlicht und geschwollen, die Arme hingen an den Lenden, und es hatte lange dünne Schenkel.

Herr Lütkens klagte und lamentierte gar sehr. ›O du gerechter Himmel‹, rief er, ›was soll denn daraus werden! Kann mein Kleines wohl jemals in des Vaters würdige Fußstapfen treten? Hat man jemals einen kastanienbraunen Ratsherrn gesehen mit zwei Hörnern auf dem Kopfe?‹

Der Fremde tröstete den armen Herrn Lütkens, so gut es gehen wollte. Eine gute Erziehung, meinte er, vermöge viel. Unerachtet, was Form und Gestaltung beträfe, der neugeborne Knabe ein arger Schismatiker zu nennen, getraue er sich doch zu behaupten, daß er mit seinen dicken großen Augen gar verständig umherblicke, und auf der Stirn zwischen den Hörnern habe viel Weisheit geräumigen Platz. Wenn auch nicht Ratsherr, so könne doch der Junge ein großer Gelehrter werden, denen oft absonderliche Garstigkeit sehr wohl anstehe und ihnen tiefe Verehrung erwerbe.

Es konnte wohl nicht anders sein, Herr Lütkens mußte im Herzen sein Unglück der alten Barbara Roloffin zuschreiben, zumal als er vernahm, daß sie während der Niederkunft seiner Hausfrau vor der Türe auf der Schwelle gesessen, und Frau Lütkens unter vielen Tränen versicherte, daß sie während den Geburtsschmerzen das häßliche Gesicht der alten Barbara stets vor Augen gehabt und solches nicht los werden können.

Zur gerichtlichen Anklage wollte zwar der Verdacht des Herrn Lütkens nicht hinreichen, der Himmel fügte es [18] jedoch, daß bald darauf alle Schandtaten der alten Barbara Roloffin an das helle Tageslicht kamen.

Es begab sich nämlich, daß nach einiger Zeit sich um die Mittagsstunde ein grausames Wetter und ungestümer Wind erhob. Und die Leute auf den Straßen sahen, wie die Barbara Roloffin, die eben zu einer Kindbetterin gehen wollen, brausend durch die Lüfte über die Hausdächer und Türme hinweggeführt und auf einer Wiese vor Berlin unversehrt niedergesetzt wurde.

Nun war an den bösen Höllenkünsten der alten Barbara Roloffin nicht mehr zu zweifeln, Herr Lütkens trat mit seiner Anklage hervor, und die Alte wurde zur gefänglichen Haft gebracht.

Sie leugnete hartnäckig alles, bis man mit der scharfen Frage wider sie verfuhr. Da vermochte sie nicht die Schmerzen zu erdulden und gestand, daß sie im Bündnis mit dem leidigen Satan schon seit langer Zeit allerlei heillose Zauberkünste treibe. Sie hätte allerdings die arme Frau Lütkens verhext und ihr die abscheuliche Mißgeburt untergeschoben, außerdem aber mit zwei andern Hexen aus Blumberg, denen vor einiger Zeit der teuflische Galan den Hals umgedreht, viele Christenkinder geschlachtet und gekocht, um Teurung im Lande zu erregen.

Nach dem Urteilsspruch, der bald erfolgte, sollte das alte Hexenweib auf dem Neumarkt lebendig verbrannt werden.

Als nun der Tag der Hinrichtung herangekommen, wurde die alte Barbara unter dem Zulauf einer unzähligen Menge Volks auf den Neumarkt und auf das daselbst erbaute Gerüst geführt. Man befahl ihr, den schönen Pelz, den sie angetan, abzulegen, das wollte sie aber durchaus nicht tun, sondern bestand darauf, daß die Henkersknechte sie, gekleidet, wie sie war, an den Pfahl binden sollten, welches denn auch geschah.

Schon brannte der Scheiterhaufen an allen vier Ecken, da gewahrte man den Fremden, der riesengroß unter dem [19] Volke hervorragte und mit funkelnden Blicken hinstarrte nach der Alten.

Hoch wirbelten die schwarzen Rauchwolken auf, die prasselnden Flammen ergriffen die Kleider des Weibes, da schrie sie mit geltender entsetzlicher Stimme: ›Satan – Satan! hältst du so den Pakt, den du mit mir geschlossen! – Hilf, Satan, hilf! meine Zeit ist noch nicht aus!‹

Und plötzlich war der Fremde verschwunden, und von dem Ort, wo er gestanden, rauschte eine große schwarze Fledermaus auf, fuhr in die Flammen hinein, erhob sich kreischend mit dem Pelz der Alten in die Lüfte, und krachend fiel der Scheiterhaufen in sich zusammen und verlöschte.

Grausen und Entsetzen hatte alles Volk erfaßt. Jeder wurde nun wohl inne, daß der stattliche Fremde kein anderer gewesen, als der Teufel selbst, der Arges gegen die guten Berliner im Schilde geführt haben mußte, da er sich so lange Zeit hindurch fromm und freundlich gebärdet und mit höllischer Arglist den Ratsherrn Walter Lütkens und viele andere weise Männer und kluge Frauen betrogen.

So groß ist die Macht des Teufels, vor dessen Arglist uns alle der Himmel in Gnaden bewahren wolle!«


Als Lothar geendet, schaute er dem Ottmar ins Gesicht mit dem unbeschreiblich komischen süßsauern Blick, der ihm zu Gebote stand in reger Selbstironie.

»Nun was sagst du,« rief Theodor, als Ottmar schwieg, »nun was sagst du, Ottmar, zu Lothars artiger Teufelei, an der das beste ist, daß sie sich nicht zu breit macht?«

Ottmar hatte, während Lothar las, recht aus dem Innern gelächelt, bei dem Schluß war er ganz still und ernst geworden. »Ich gestehe,« sprach er jetzt, »daß in Lothars Erzählung – Schwank – ich weiß nicht, wie ich das Ding nennen soll – ein hin und wieder nicht ganz verfehltes Streben nach einer gewissen drolligen Naivetät vorherrscht, die eigentlich dem Charakter des deutschen Teufels ganz [20] angemessen ist, daß ferner bei dem Hopsen des Teufels mit ehrenwerten Männern über die Gosse, bei dem kastanienbraunen Schismatiker, der nicht ein schöner glauer Ratsherr, wohl aber ein garstiger Gelehrter werden kann, u.s.w. dasselbe Pferdlein Kapriolen macht, das der würdige Lothar ritt, als er den ›Nußknacker‹ schrieb, doch eben ein anders Pferdlein, mein' ich, hätte er reiten sollen, und selbst kann ich nicht sagen, worin es liegt, daß immer mehr und mehr der gemütlich komische Eindruck, den vielleicht die ersten Zeilen hervorbringen könnten, hinschwindet in nichts, und aus diesem Nichts sich dann zuletzt etwas ganz Ungemütliches, Unbehagliches entwickelt, das die Schlußworte, welche wiederum zu jener Naivetät zurückführen sollen, nicht zu vertilgen vermögen.«

»O du aller weisen Kritiker allerweisester,« rief Lothar, »der du dem Unbedeutendsten, das ich jemals schrieb, die Ehre antust, es, Brill' auf der Nase, sorglich zu sezieren, vernimm, daß es mir selbst längst zum anatomischen Präparat gedient hat! – Nannte ich denn nicht selbst mein kleines Machwerk das Produkt einer schillernden Laune, habe ich nicht selbst das Anathem darüber ausgesprochen? – Doch es ist gut, daß ich es euch vorlas, denn es gibt mir Gelegenheit, über Geschichten der Art mich recht auszusprechen, und ich hoffe euern Beifall einzuernten, ihr guten Serapionsbrüder! – Zuvörderst will ich dir also, geliebter Ottmar, recht genau den Keim des unbehaglichen oder besser unheimlichen Gefühls entwickeln, das dich ergriff, als du dich erst ergötzen wolltest daran, was du drollige Naivetät zu nennen beliebst. – Mag der ehrliche alte Hafftitz Anlaß gehabt haben, jenes seltsame Ereignis, wie der Teufel in Berlin ein bürgerliches Leben geführt, anzumerken, welchen er will, genug, die Sache bleibt für uns rein phantastisch, und selbst das unheimliche Spukhafte, das sonst dem ›furchtbar verneinenden Prinzip der Schöpfung‹ beiwohnt, kann, durch den komischen Kontrast, in dem es erscheint, nur jenes seltsame Gefühl hervorbringen, [21] das, eine eigentümliche Mischung des Grauenhaften und Ironischen, uns auf gar nicht unangenehme Weise spannt. Anders verhält es sich mit den leidigen Hexengeschichten. Hier tritt das wirkliche Leben ein mit allen seinen Schrecken. Mir war's, als ich von der Hinrichtung der Barbara Roloffin las, als säh' ich noch den Scheiterhaufen auf dem Neumarkt dampfen, und alle Greuel der fürchterlichen Hexenprozesse traten mir vor die Seele. Ein paar rotfunkelnde Augen, ein struppiges schwarzes oder graues Haar, ein ausgedörrter Knochenleib, das reichte hin, ein altes armes Weib für eine Hexe zu erklären, alles Unheil ihren Teufelskünsten zuzuschreiben, ihr in aller juristischen Form zu Leibe zu gehen und sie auf den Scheiterhaufen zu bringen. Die scharfe Frage (Tortur) bestätigte die unsinnigsten Anklagen und entschied alles.«

»Merkwürdig,« unterbrach Theodor den Lothar, »höchst merkwürdig bleibt es aber doch, daß viele angebliche Hexen ganz freimütig ohne allen Zwang ihr Bündnis mit dem Bösen eingestanden. Vor ein paar Jahren fielen mir über Hexerei verhandelte Originalakten in die Hände, und ich traute meinen Augen kaum, als ich Geständnisse las, vor denen mir die Haut schauderte. Da war von Salben, deren Gebrauch den menschlichen Körper in irgendein Tier verwandelt, von Ritten auf dem Besenstiel, kurz, von allen den Teufelskünsten, wie sie in alten Mären vorkommen, die Rede. Vorzüglich hatten aber immer die angeklagten Weiber ganz frei und frech das unzüchtige Verhältnis mit dem unsaubern höllischen Galan, zuweilen sogar unaufgefordert, eingestanden. Sagt, wie konnte das geschehen?«

»Mit,« erwiderte Lothar, »mit dem Glauben an das teuflische Bündnis kam das Bündnis selbst.«

»Wie? – was sagst du?« riefen beide, Ottmar und Theodor.

»Versteht,« fuhr Lothar fort, »versteht mich nur recht. Gewiß ist es, daß in jener Zeit, als niemand an der unmittelbaren Einwirkung des Teufels, an seiner sichtbaren [22] Erscheinung zweifelte, auch jene unglücklichen Wesen, die man so grausam mit Feuer und Schwert verfolgte, an allem dem wirklich glaubten, dessen man sie beschuldigte. Ja, daß manche in bösem Sinn durch allerlei vermeintliche Hexenkünste nach dem Bündnisse mit dem Satan trachteten, Gewinstes halber oder um Unheil anzurichten, und dann im Zustande des Wahnsinns, den sinnverstörende Tränke, entsetzliche Beschwörungen erzeugt, den Bösen erblickten und jenes Bündnis wirklich schlossen, das ihnen übermenschliche Macht geben sollte, ist ebenso gewiß. Die tollsten Hirngespinste, wie sie jene Geständnisse enthalten, die auf innerer Überzeugung beruhten, erscheinen nicht zu toll, wenn man bedenkt, welche seltsame Einbildungen, ja welche grauenhafte Betörungen schon der Hysterismus der Weiber hervorzubringen vermag. So büßten jene vermeintlichen Hexen ihren boshaften Sinn, wiewohl zu hart, mit dem grausamsten Tode. Es ist unmöglich, jenen alten Hexenprozessen den Glauben abzusprechen, insofern sie durch Zeugen oder sonst ganz ins klare gesetzte Tatsachen enthalten, und da findet sich denn auch häufig, daß manche der Zauberei Angeklagte wirklich todeswürdige Verbrechen begingen. Erinnert euch der schauderhaften Erzählung unseres herrlichen Tieck, ›Liebeszauber‹ benannt. Die grauenhafte fürchterliche Tat des entsetzlichen Weibes, die das unschuldige liebliche Kind schlachtet, kommt auch in jenen gerichtlichen Verhandlungen zur Sprache, und so war oft der Feuertod nur die gerechte Strafe des grausamsten Mordes.«

»Mir steigt«, nahm Theodor das Wort, »die Erinnerung auf an einen Moment, in dem mir eine solche fluchwürdige Tat recht dicht vor Augen gerückt wurde und mich mit dem tiefsten Entsetzen erfüllte! – Während meines Aufenthalts in W. besuchte ich das reizende Lustschloß L., von dem es irgendwo mit Recht heißt, es schwimme in dem spiegelhellen See, wie ein herrlicher stolzer Schwan. Man hatte mir schon erzählt, daß nach einem dunklen [23] Gerücht der unglückliche Besitzer desselben, der nicht vor gar zu langer Zeit starb, mit Hilfe eines alten Weibes allerlei Zauberkünste getrieben haben solle, und daß der alte Kastellan, verstehe man sein Vertrauen zu gewinnen, manches darüber andeute. Gleich beim Eintritt war mir dieser Alte höchst merkwürdig. Denkt euch einen eisgrauen Mann, die Spuren des tiefsten Grams im Antlitz, ärmlich nach Art des gemeinen Volks gekleidet, dabei im Betragen ungewöhnliche Bildung verratend, denkt euch, daß dieser Mann, den ihr auf den ersten Blick für einen gemeinen Diener hieltet, mit euch, die ihr die Landessprache nicht versteht, wie ihr wollt, entweder das reinste eleganteste Französisch oder ebenso italienisch redet! – Es gelang mir, da ich mit ihm allein die Säle durchwanderte, dadurch, daß ich der verworrenen Schicksale seines Herrn gedachte und mich dabei in die Geschichte jener Zeit eingeweiht zeigte, ihn zu beleben. Er erklärte mir den tieferen Sinn mancher Gemälde, mancher Verzierung, die dem Nichteingeweihten nur als Schmuck erscheinen, und wurde immer wärmer und zutraulicher. Endlich schloß er ein kleines Kabinett auf, dessen Fußboden aus weißen Marmortafeln bestand und in dem nichts weiter als ein einfach gearbeiteter Kessel von Bronze befindlich. Die Wände schienen ihres vormaligen Schmuckes beraubt. Ich wußte, daß ich mich an dem Orte befand, wo der unglückliche Herr des Schlosses, verblendet, betört durch die Lust an den üppigen Genüssen des Lebens, sich herabgewürdigt haben sollte zu höllischen Versuchen. Als ich einige Worte darüber fallen ließ, blickte der Alte mit dem Ausdruck der schmerzlichsten Wehmut gen Himmel und sprach dann tief aufseufzend: ›O heilige Jungfrau, hast du denn verziehen?‹ – Dann wies er schweigend auf eine größere Marmorplatte, die in der Mitte des Fußbodens eingefugt lag. Ich betrachtete die Platte genau und wurde gewahr, daß sich einige rötliche Adern durch den Stein zogen. Als ich aber immer schärfer und schärfer [24] hinblickte, hilf Himmel, da traten, wie aus einem deformierten Gemälde, dessen verstreute Lineamente sich nur einen, wenn man es durch ein besonders vorbereitetes Glas betrachtet, die Züge eines menschlichen Antlitzes hervor. Es war das Antlitz eines Kindes, das mich mit dem herzzerschneidenden Jammer des Todeskampfes aus dem Stein anschaute. Aus der Brust quollen Blutstropfen, der übrige Teil des Körpers verlor sich wie in ein Gewässer hinein. Mit Mühe überwand ich das Grauen, das Entsetzen, das mich übermannen wollte. Ich war keines Wortes mächtig, schweigend verließen wir den schauerlichen verhängnisvollen Ort. – Erst im Park lustwandelnd, überwand ich das unheimliche Gefühl, das mir beinahe das ganze kleine Paradies verleidet hätte. Aus manchen Worten des alten Kastellans konnt' ich schließen, daß jenes verruchte Wesen, das sich dem sonst großherzigen gemütvollen Herrn anzudrängen wußte, ihm den schönsten seiner Wünsche, unfehlbares dauerndes Glück in der Liebe, ewige Liebeslust, zu erfüllen verhieß mittelst schwarzer Künste und ihn dadurch verlockte zum Entsetzlichen.«

»Das ist,« rief Ottmar, »das ist etwas für unsern Cyprian, der würde sich erfreuen an dem blutigen Kinde, in Marmor gebildet, und nebenher den alten Kastellan sehr liebgewinnen.«

»Mag,« fuhr Theodor fort, »mag alles auf törichter Einbildung beruhen, mag alles eine im Volk verstreute Fabel sein, mag der besonders geaderte Stein das Kind so darstellen, wie eine lebendige Phantasie aus buntem Marmor allerlei Figuren und Bilder herausfindet, irgend etwas Unheimliches muß sich doch wirklich begeben haben, da sonst der alte treue Diener unmöglich die Schuld des Herrn so tief in der Seele getragen, ja jenem wunderbaren Stein solch eine gräßliche Bedeutung gegeben hätte.«

»Wir wollen,« sprach Ottmar, »wir wollen gelegentlich den heiligen Serapion darüber befragen, was es eigentlich für eine Bewandtnis mit der Sache hat, für jetzt aber die [25] Hexen Hexen sein lassen und uns nur noch einmal zum teutschen Teufel wenden, über den ich noch einiges beizubringen gedenke. – Ich meine nämlich, daß die wahrhafte teutsche Gemütlichkeit sich recht in der Art ausspricht, wie der leidige Satan dargestellt wird, im menschlichen Leben hantierend. Er versteht sich auf alles Unheil, Grauen und Entsetzen, auf alle Verführungskünste, er vergißt nicht den frommen Seelen nachzustellen, um so viele als möglich für sein Reich zu gewinnen; aber dabei ist er doch ein ganz ehrlicher Mann, denn auf das genaueste, pünktlichste hält er sich an den geschlossenen Kontrakt, und so kommt es denn, daß er gar oft überlistet wird und wirklich als dummer Teufel erscheint, woher denn auch die Redensart kommen mag: ›das ist ein dummer Teufel!‹ – Aber noch mehr, der Charakter des teutschen Satans hat eine wunderbare Beimischung des Burlesken, durch die das eigentlich sinnverstörende Grauen, das Entsetzen, das die Seele zermalmt, aufgelöst, verquickt wird. Die Kunst, den Teufel ganz auf diese deutsch gemütliche Weise darzustellen, scheint aber verloren, denn in den neuen Teufelsspukgeschichten ist jene Mischung niemals geraten. Entweder wird der Teufel zum gemeinen Hanswurst, oder das Grauenhafte, Unheimliche zerreißt das Gemüt.«

»Du vergissest,« unterbrach Lothar den Ottmar, »du vergissest eine neue Erzählung, in der jene Mischung des wunderbar Gemütlichen, das wenigstens an das Komische anstreift, mit dem Grauenhaften gar herrlich geraten ist und die Wirkung jener einfachen altertümlichen Teufelsspukgeschichten in ganzem Maß hervorbringt. Ich meine Fouqués meisterhafte Erzählung: ›Das Galgenmännlein‹, für dessen Brüderlein, könnt' es noch geboren werden, ich gern einige Harnischmänner eintauschen möchte. Trotz des kleinen, grauenhaft muntern Kerls in der Flasche, der in der Nacht herauswächst und sich rauhhaarig an die Backe des von fürchterlichen Träumen geängsteten Herrn [26] legt, trotz des entsetzlichen Mannes in der Bergschlucht, dessen mächtiger Rappe wie eine Fliege die steile Felsenwand hinanklimmt, trotz alles Unheimlichen, das in der Geschichte gar reichlich vorhanden, ist die Spannung, die sie im Gemüt erzeugt, nichts weniger als verstörend. Die Wirkung gleicht der eines starken Getränks, das die Sinne heftig aufreizt, zugleich aber im Innern eine wohltuende Wärme verbreitet. In dem durchaus gehaltenen Ton, in der Lebenskraft der einzelnen Bilder liegt es, daß, ist man beim Schluß selbst von der Wonne des armen Teufels, der sich glücklich aus den Klauen des bösen Teufels gerettet, durchdrungen, nochmals all die Szenen, die in das Gebiet des gemütlich Komischen streifen, z.B. die Geschichte vom Halbheller, hell aufleuchten. Ich erinnere mich kaum, daß irgendeine Teufelsgeschichte mich auf so seltsam wohltuende Weise gespannt, aufgeregt hätte, als eben Fouqués ›Galgenmännlein‹.«

»Es ist,« nahm Theodor das Wort, »es ist gar nicht zu bezweifeln, daß Fouqué den Stoff seines ›Galgen männleins‹ aus irgendeinem alten Buch, aus irgendeiner alten Chronik entnommen.«

»Ich will,« erwiderte Lothar, »ich will nicht glauben, daß du, sollte das wirklich der Fall sein, deshalb das Verdienst des Dichters auch nur im mindesten geschmälert achtest, und so mit gewöhnlichen Rezensenten gleichen Sinnes bist, deren ganz eigentliche Praxis es erfordert, gleich nachzuspüren, wo etwa der Grundstoff zu diesem und jenem poetischen Werk liegen könne. Den Fund verkündigen sie dann mit vielem Pomp, stolz auf den armen Dichter hinabsehend, der nichts tat, als die Figur kneten aus einem Teig, der schon vorhanden war. Als ob es darauf ankommen könnte, daß der Dichter den Keim, den er irgendwo fand, in sein Inneres aufnahm, als ob die Gestaltung des Stoffs nicht eben den wahrhaften Dichter bewähren müsse! – Doch wir wollen uns an unsern Schutzpatron, den heiligen Serapion, erinnern, der selbst [27] Geschichtliches so aus seinem Innern heraus erzählte, wie er alles selbst mit eignen Augen lebendig erschaut und nicht, wie er es gelesen.« –

»Du tust,« sprach Theodor, »du tust mir großes Unrecht, Lothar, wenn du glaubst, ich sei andrer Meinung. Wie ein Stoff bearbeitet oder vielmehr lebendig gestaltet werden kann, hat niemand herrlicher bewiesen als Heinrich Kleist in seiner vortrefflichen, klassisch gediegenen Erzählung von dem Roßhändler Kohlhaas.«

»Und,« unterbrach Lothar den Freund, »und um so mehr gehört der ›Kohlhaas‹ ganz dem herrlichen Dichter, den ein düstres Verhängnis uns viel zu früh entriß, als die Nachrichten von jenem furchtbaren Menschen, so wie sie im Hafftitz stehen, ganz mager und ungenügend sind. Doch weil ich eben des Hafftitz gedenke, so will ich euch nur gleich eine Erzählung vorlesen, zu der ich manche Grundzüge eben aus dem ›Microchronicon‹ entnahm, und die ich in dem Anfall einer durchaus bizarren Laune, der mehrere Tage anhielt, aufschrieb. Magst du, o mein Ottmar, daraus entnehmen, daß es mit dem Spleen, den mir Theodor andichten will, eben nicht so arg ist, als man wohl meinen möchte.«

Lothar zog ein Manuskript hervor und las:

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TextGrid Repository (2012). Hoffmann, E. T. A.. Erzählungen, Märchen und Schriften. Die Serapionsbrüder. Dritter Band. Fünfter Abschnitt. [Nachricht aus dem Leben eines bekannten Mannes]. [Nachricht aus dem Leben eines bekannten Mannes]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6B0C-0