[Wie lange soll noch meine pein]

C.H.v.H.


Wie lange soll noch meine pein/
Durch dich/ o grausame Caliste/
In der verzweifflungs-öden wüste
Ein abgematter pilgrim seyn?
Die zeit verlieret jahr um jahr/
Daß ich nach meinem tod wallfarte/
Und auff die letztere gefahr/
Als bote/ den du schickst/ auff deine botschafft warte.
Zwar klag ichs nicht der höhnschen welt/
Ich stille mich mit stillem kummer:
Doch glaube daß ein ieder schlummer
Mir deinen zorn für augen stellt.
Lacht gleich die lippe manches mahl/
Nur fröhlich vor der welt zu scheinen;
Ist doch das hertz ein trauer-saal/
Wo die gedancken mich als leiche schon beweinen.
Mein gantzes leben streicht dahin
In meynung bald nicht mehr zu leben:
Und was mir einen trost soll geben/
Spricht: daß ich noch mehr würdig bin.
Ich sterbe täglich ohne todt/
Der kalte schweiß auff meinen wangen
Ist zwar ein vorbot dieser noth:
Nur daß ich noch nicht kan den letzten stoß empfangen.
[387]
Ich scheu mich für dem tode nicht/
Nur daurt es mich dich zu verlassen
Und durch das traurige verblassen
Zu meiden deiner augen licht.
Mein leben lieb ich/ weil du lebst/
Daß ich in solchem dich kan lieben/
Denn weil du meinen leib begräbst/
Ist weder lust noch schertz der aschen überblieben.
Caliste sey nicht felß und stein/
Soll ich im leben schon verderben?
Was mach ich/ wann ich werde sterben?
Ists nicht genug dann todt zu seyn?
Zweymahl zu sterben ist zu viel/
Und zwar dich ewig zu verlieren.
Ich fehl lebendig meinem ziel/
Und in dem tode kan ich gar dich nicht berühren.
Hastu ein hertz von fleisch und blut/
So hast du/ als ein mensch/ empfinden;
Du straffst zu hart so kleine sünden/
Da doch dein zorn was höhers thut/
Der himmel/ der dir gnädig ist/
Heist dich nicht unbarmhertzig bleiben:
Und weil du selbst ein sünder bist/
Muß keinen übermuth dein unmuth mit mir treiben.
Doch ist mein tod bey dir gemacht/
Wohlan/ so schick ich mich zum ende/
Und spreche/ daß Calistens hände
Aus grausamkeit mich umgebracht.
Der ich im leben war zu schlecht/
Die würdigt mich doch zu verderben;
Dann mir verbleibet nur das recht:
Durch ihre grausamkeit unschuldig hin zu sterben.
[388]
Caliste noch ein eintzigs wort:
Man soll den sterbenden gewähren/
Was sie zu guter letzt begehren:
Vollbring in deiner schooß den mord.
Dann weil ich einmahl sterben soll/
Ist dir es gleich/ wie ich verscheide/
Und ob durch pein/ weh oder wohl/
Von schmertzen oder lust ich dieses urthel leide.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von. Gedichte. Gedichte aus Neukirchs Anthologie, Bd. 1. Verliebte Arien. [Wie lange soll noch meine pein]. [Wie lange soll noch meine pein]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6D15-4