Hugo von Hofmannsthal
Der Turm
Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Personen

[256] Personen.

    • Basilius, der König.

    • Sigismund, sein Sohn.

    • Julian, der Gouverneur des Turmes.

    • Anton, dessen Diener.

    • Bruder Ignatius, ein Mönch, ehemals der Großalmosenier.

    • Olivier, ein Soldat.

    • Der Kinderkönig.

    • Ein Arzt.

    • Ein junger Mönch.

    • Graf Adam, ein königlicher Kämmerer.

    • Der Beichtvater des Königs.

    • Simon, ein Jude.

    • Der Schreiber Jeronim,
    • Der tatarische Aron,
    • Indrik, der Schmied, Aufrührer.

    • Ein Reiter.

    • Ein Reiterbub.

    • Eine Bauernfrau.

    • Eine junge Zigeunerin.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Vor dem Turm. Vorwerke, halb gemauert, halb in Fels gehauen. Zwischen dem Gemäuer dämmerts, indessen der Himmel noch hell ist.
Olivier der Gefreite und ein paar invalide alte Soldaten, unter ihnen Pankraz und Andreas, sind beisammen.

OLIVIER
ruft nach hinten.
Rekrut, hierher!

Der Rekrut, ein flachshaariger Bauernsohn, läuft herzu.

Spring Rekrut, und hol mir Feuer zur Pfeife! Ich will Tabak rauchen.
REKRUT.
Ja, Herr!

Will weg.
OLIVIER.
Zu Befehl, Herr Gefreiter, hast du zu sagen! Verstanden!
REKRUT.
Ja, Herr.
OLIVIER.
Eselskopf! Dreckschädel! Bougre! Larron! maledetta bestia! Wie hast du zu sagen?
REKRUT
glotzt ihn erschrocken an, schweigt.
OLIVIER.
Hol's Feuer! Marsch!
REKRUT.
Ja, Herr!

Springt weg.
OLIVIER.
Dir werd ich den Hundshaber ausdreschen!
ANDREAS
nach einer Pause.
Ist das wahr, Gefreiter, daß du ein Student gewesen bist?
OLIVIER
gibt ihm keine Antwort.

Pause.
PANKRAZ.
So bist du demnach unser neuer Wachkommandant?
OLIVIER.

Unterstehst du dich, mir eine direkte Frage zu stellen? Erfrechst du dich gegen mich dein Maul aufzuwerfen?

ANDREAS.
Du hast ein hartes Mundleder! Solche wie du die bringens weit bei heutiger Zeit.

Man hört zeitweilig ein dumpfes Klopfen von hinten.
OLIVIER.

Welcher Kujon hackt Brennholz im Keller, dieweil [257] ich hier Inspektion abhalt? Er soll aufhören, laß ich befehlen.

REKRUT
kommt, bringt Feuer.
OLIVIER
will sich die Pfeife anzünden.
Von wo kommt der Wind?
REKRUT.
Weiß nich, Herr.
OLIVIER.

Bestie, so will ich dir die Nasenlöcher voneinandernageln, daß man sie mit zwölf Klafter Bindfaden nicht wieder soll zusammenbringen. Stell dich zwischen die Pfeifen und den Wind.

REKRUT.
Ja, Herr.
OLIVIER.

zündet seine Pfeife an. Ich kann das verdammte Klopfen nicht leiden. Sie sollen aufhören. Marsch hin, Rekrut. Ich befehls, Holzhacken wird eingestellt. Es alteriert mich.

PANKRAZ.
Es hackt niemand Holz, es ist der dahinten: der Gefangene.
OLIVIER.
Der Prinz, der nackig geht, mit einem alten Wolfsfell um den Leib?
PANKRAZ.

sieht sich um. Sprich: der Gefangene. Nimm das andere Wort nicht auf die Zunge. Es bringt dich vor den Profosen.

OLIVIER.

Da gehören zwei dazu. Die Zeitläufte sind nicht danach, daß sie eine Person wie mich schurigeln könnten. – Was treibt die Bestie? Was rumort er in seinem Käfig?

ANDREAS.

Er hat einen Pferdeknochen ausgescharrt und wenn ihms die Kröten und Ratten zu arg treiben, schlägt er unters Geziefer drein, wie ein Hirnschelliger.

PANKRAZ.
Sie kujonieren ihn seit er am Leben ist, so kujoniert er was ihm unter die Hände kommt.
OLIVIER.
Horcht! Der Dudelsack! Jetzt hört er auf, mitten im Takt! Merkt ihr was?
PANKRAZ.
Was ist da dabei?
OLIVIER.
Jetzt spielts wieder. Und jetzt still. Signale sinds!
ANDREAS.
Wie denn?
OLIVIER.

Lehrt ihr mich die Judenschmugglerwitz kennen? Das ist eine ganze Sprache. Jetzt hört der Dudelsack auf: das heißt: schnell hinter den Erlen dahin, der Posten schaut nicht her. Eine einhörnige Kuh: um Neumond könnt ihr [258] hier durch. Eine Schickse die singt: paßt auf, da liegen Fuchseisen.

PANKRAZ.
Wie du das weißt!
ANDREAS.
Da sollten wir streifen. Da wir einmal auf Grenzbewachung hier sind.
OLIVIER.
Laß sie. Ist mir gerad recht, was die schmuggeln.
PANKRAZ.
Was denn?
OLIVIER.

Waffen. Pulver und Blei. Hellebarden, Piken, Morgenstern, Äxt. Aus Ungarn herauf, aus Böhmen herüber, aus Littauen herunter.

PANKRAZ.
Verfluchte Juden, wo sie es nur auftreiben.
OLIVIER.
Die spüren was los ist. Spüren blutige Tag. Riechen den roten Hahn aufm Dach.
REKRUT
geheim, ängstlich.

Ein dreibeiniger Has hat sich sehen lassen, ein hageres Schwein ist dahergekommen, ein glühäugiges Kalb rennt durch die Gassen.

OLIVIER.

Alle gehen gegen alle. Es bleibt kein Haus. Die Kirchen werden sie mit dem Kehrichtbesen zusammenkehren.

DER STELZBEINIGE
der bisher geschwiegen hat.

Sie werden ihn hervorziehen, und das Unterste wird zuoberst kommen, und dieser wird der Armeleut- König sein und auf einem weißen Pferd reiten und vor ihm wird Schwert und Waage getragen werden.

OLIVIER.
Halt's Maul, böhmischer Bruder. Schmeiß einen Stein in den Zwinger, ich will die Remassuri nicht.
DER STELZBEINIGE.
Vor ihm wird Schwert und Waage getragen werden!
OLIVIER.
Schmeiß einen Stein, Rekrut! – oder der Henker soll dich mit dem breiten Messer barbieren!
REKRUT
zittert.

Aus dem Wolfsleib ist ein Menschenkopf gewachsen! er reckt fünffingerige Händ und faltets wie ein Mensch!

OLIVIER.
Sieht das Vieh so kurios aus? Ich steig hinein und zieh ihm 's Fell ab! Das muß stichfest machen.
PANKRAZ.
Geh nicht hin, stinkt auch.
OLIVIER.

Bin in belagerter Stadt nächtlings auf Verwesendes gelegen, als wärs meine Bettstatt. Gebt eine Pike. Ich jag [259] ihn auf. Her die Pike! Wenn ich was will, so geschiehts! Hältst du meinen Blick aus?


Er reißt dem Pankraz seine Pike aus der Hand.
REKRUT
schreit auf.

Da fliegt ein Schlangenei! fliegts dir ins Gesicht, bist blind auf ewig! Da fliegts! Er deutet in die Luft. Wenn eine menschliche Kreatur ins Blutschwitzen kommt, so erbarmen sich die Schlangen, sie werfen sich in die Luft in einem Knäuel und gebären alle zusammen ein Ei, – das macht die Blinden sehend und die Sehenden blind!


Olivier wischt sich die Augen. Rekrut führt ihn sanft beiseite, nimmt ihm die Pike aus der Hand und legt sie weg; dann kniet er nieder, das Gesicht gegen das Gemäuer im Hintergrund.
ANDREAS
tritt dicht an Olivier heran.
Ich warn dich, Gefreiter. Denk an die scharfe Instruktion!
OLIVIER.
Weiß von keiner.
ANDREAS.
Da sind zehn verbotene Artikel.
OLIVIER.
Wo kämen die her? Auf die pfeif ich!
ANDREAS.

Auf die wird hier jedermänniglich vereidigt. Nicht auf zehn Schritt dem Gefangenen nahe. Kein Wort mit ihm, kein Wort über ihn, bei Leib und Leben.

OLIVIER.
Den möcht ich sehen, der mich vereidigen kommt. Dem möchte ehender der rote Saft auslaufen.
PANKRAZ.
ist hinzugetreten. Die hat hier das Gouvernement erlassen, dem wir allesamt untergeben sind.
OLIVIER.

Den Kerl hab ich nicht gesehen. Der kann mir den Buckel hinunterrutschen. Das ist eine Hofschranze. Die hängen bald alle. Denen wird der Strick schon eingeseift.

ANDREAS.
Das ist ein großer Herr. Der hat das Mandat über den Gefangenen und über uns.
OLIVIER.

Ein gesalbter Lauskerl ist das. Er stinkt nach Muskat und Bisam, nach Balsam und Laussalbe und wäscht sich die Händ in einem silbernen Waschbecken.

PANKRAZ.

Der hat das schleunige Recht. Dem ist Gewalt gegeben über unsere Hälse wie dem Schiffskapitän über seine Mannschaft.

OLIVIER.
Das möchte ich sehen! Der soll an mich herankommen. Hier steh ich!
[260]
ANDREAS.
Der läßt dir einen im eisigen Winter anbinden an einen Baumstrunk. Solche Gewalt ist ihm gegeben.
OLIVIER.

Gewalt gegeben! Gewalt gegeben! über alte Kaschbettler vielleicht, über solche Marodierer die von der Muskete auf den Bettelnapf herabgekommen sind! Nicht über eine Person wie mich!

PANKRAZ.
Du wirst es schon sehen, Gefreiter!
OLIVIER.
Sehen? Was werd ich sehen?
PANKRAZ.

Daß ihm hier die oberste martialische Gewalt gegeben ist, ob er gleich die Hand in einem silbernen Becken wäscht.

OLIVIER.

Gegeben, von wem gegeben! Dazu muß einer die oberste martialische Gewalt in Händen haben, daß er sie in andere geben kann! Ist sie ihm leicht von dem da gegeben? Er zieht eine Münze heraus, hält sie dem Pankraz vors Gesicht. Der wiegt nicht! auf den hust ich! auf den tu ich was!Er wirft die Münze verächtlich über seine Schulter. Wenn mir hier das Quartier nicht konveniert, wenn hier nicht inner vierzehn Tagen alles nach meiner Pfeifen tanzt, so gibts ein Harnischwaschen zwischen mir und dem Hofkerl – wo ist der Kerl? Ich will ihn sehen!

ANDREAS.

Den siehst du nicht. Sobald er uns eine Ordre zu geben hat, läßt er dreimal »habt acht« blasen, dann schickt er seinen Bedienten –

OLIVIER.

Seinen Bedienten? an meine martialische Person? seinen rotzigen Bedienten! so will ich doch inner einem Monat dem Hofkerl sein silbernes Waschbecken um die Ohren hauen! Ihn hängen will ich und mit seinem Bauchfett meine Stiefel schmieren.

PANKRAZ.
So ist es. Er läßt dreimal »habt acht« blasen. Da! –

Drei Hornsignale hintereinander. Anton erscheint auf einer hölzernen Brücke überm Vorwerk und schickt sich an herunterzukommen. Die Soldaten außer Olivier verziehen sich. Olivier steht da, als bemerkte er Anton nicht.
ANTON
tritt von hinten auf ihn zu.
Ist Er der neue Herr Wachkommandant?
OLIVIER
schweigt.
[261]
ANTON.
In hohem Auftrag!
OLIVIER
gibt keine Antwort.
ANTON
nahe, in seinem Rücken, grüßt.
In hohem Auftrag Seiner Exzellenz! Grüßt abermals.
OLIVIER
dreht sich halb um, mißt ihn mit einem verächtlichen Blick von oben nach unten.
ANTON
grüßt abermals, sehr freundlich.
Dem Herrn Wachkommandanten einen guten Tag.
OLIVIER
klopft seine Pfeife aus, ohne ihn zu beachten.
ANTON
grüßt wiederum.

In hohem Auftrag: der Herr zieh Seine Wach hier ab und besetz die Zugäng. Aber Seine Wachposten sollen den Rücken kehren und dabei alles im Aug behalten. Sie sollen auf alles aufpassen und nicht hören. Es bekümmert Ihn nicht, was hier vorgehen wird, aber ich sags Ihm: der Gefangene wird zur ärztlichen Visite vorgeführt.

OLIVIER
pfeift was.
ANTON.
Hat der Herr verstanden? Ich bitt den Herrn, daß Er den Befehl ausführ!
OLIVIER
spuckt aus und geht weg.
ANTON
ihm nachsehend, grüßt.

Ein artlicher Herr! sehr ein artlicher junger Herr! Er will mir danken, aber mich nicht in Verlegenheit setzen. Ein freimütig soldatischer junger Herr! Mit dem einen Moment beisammenstehen ist wie mit einem anderen eine Stund diskutieren. Er muß eine aparte Sympathie für mich haben, aber er läßts nicht überfließen, damit der soldatische Appell nicht darunter leidet!

OLIVIERS STIMME
außerhalb.
Wache antreten! Wache rechtsum!

Kurzer Trommelwirbel.
ARZT
kommt den gleichen Weg wie Anton auf die Bühne.
Wo find ich den Kranken?
ANTON.
Der Herr will sagen: den Gefangenen. Gedulde sich der Herr. Ich führ ihm die Kreatur heraus.
ARZT.
Wo ist das Zimmer?
ANTON.
Was für ein Zimmer?
ARZT.
Nun, das Verlies, der Gewahrsam?
ANTON
deutet nach hinten.
Dort!
[262]
ARZT.
Wie, dort?

Wendet sich hin.
ANTON.
Vor dem Herrn seiner Nasen, mit Respekt zu sagen.
ARZT.

Ich sehe einen kleinen offenen Käfig, zu schlecht für einen Hundezwinger. – Du willst mir nicht sagen, daß er dort – oder hier ist ein Verbrechen begangen, das zum Himmel schreit!

ANTON
zuckt die Achseln.
ARZT.
Dort? Tag und Nacht?
ANTON.
Winter und Sommer. Im Winter wird eine halbe Fuhr Stroh zugeschmissen.
ARZT.
Seit wie lange?
ANTON.
Seit vier Jahren.
ARZT
steht sprachlos.
ANTON.

Vor vier Jahren ist alles verschärft worden. Einmal nachts sind große Herren geritten gekommen, haben mit dem Gouverneur konferiert. Von da ab schläft er auch nachts im Zwinger da, hat keinen freien Ausgang, die Füß an der Kette, eine schwere Kugel dran, die stinkende Wildschur am Leib, ob Sommer ob Winter, sieht die Sonn nicht mehr als im hohen Sommer zwei Stunden lang.


Man hört wieder die dumpfen Schläge, wie am Anfang.
ARZT
verdeckt sich mit der Hand die Augen.
Wie verbringt er den Tag?
ANTON
zuckt die Achseln.

Mit Nichtstun. Wie ein Herr oder wie ein Hund. Schieb ich ihm die Nahrung hinein, so freut er sich. Ich red immer mit ihm! Ängstlich schnell. Nur das Unumgängliche natürlich!

ARZT.
Ich will hintreten. Ich will ihn sehen.
ANTON.
Je nachdem der Herr die Ausdünstung vertragen wird.
ARZT
tritt näher hin.
Mein Auge gewöhnt sich. Ich sehe ein Tier, das an der Erde kauert. Tritt zurück.
ANTON.
Das ist schon das Betreffende.
ARZT.
Das! – Ruf ihn. Führ ihn her vor mich.
[263]
ANTON
sieht sich um.
Ich darf vor keiner fremden Person mit ihm reden.
ARZT.
Vor dem berufenen Arzt wird dirs erlaubt sein. Ich trage die Verantwortung.
ANTON.

Sigismund! – Er gibt keine Antwort. Da ist er bös. Da muß man ihn nicht reizen. Wütig wird er sonst, ganz hirnschellig; ich kenn ihn gut. – Er hört mich schon. Das seh ich an seinen Augen. Sieht der Herr die herglühen? – Achtung! Er leidet nicht, daß man ihn angeht. Er hat sich einmal mit einem Fuchs verbissen, den die Wächter ihm zur Kurzweil übers Gitter werfen taten.

ARZT.
Kannst du ihn nicht rufen? nicht zureden? Ist er denn ohne Vernunft?
ANTON.

Der? Kann Latein und wird mit einem dicken Buch fertig, wie wenns eine Speckseiten wär. – Aber manchmal krampft sich ihm 's Wort im Mund und er bringts nicht heraus. Andere Zeiten ist er wie der Herr und ich. Nähert sich dem Zwinger, sanft anrufend. Komm der Sigismund! Wer wird denn da sein? Der gute Anton ist da. Der Anton macht die Tür auf. Er öffnet die Tür mit der Pike, die an der Mauer gelegen hat. Da, jetzt leg ich meinen Stecken weg. Er legt die Pike auf die Erde. Jetzt sitz ich aufm Boden. Jetzt schlaf ich. Leise zum Arzt. Geb der Herr Achtung. Erschrecken darf er nicht, sonst wirds bös.

ARZT.
Hat er denn eine Waffe?
ANTON.

Immer einen Roßknochen. Sie müssen früher in dem Winkel das Vieh verscharrt haben. – Es ist innerst eine gute Kreatur, geb ihm der Herr was ein, daß er wieder sanft wird.

ARZT.
Wo die ganze Welt auf ihm liegt. Es ist alles zusammenhängend.
ANTON.

Pst! er rührt sich. Er schaut die offene Tür an. Das ist nichts Gewohntes! – Gegen den Zwinger hin. Soll ich mich legen? dann legst dich zu mir? Gemütlich!

[264]
SIGISMUND
tritt aus dem Zwinger hervor, in einer Hand einen großen Stein.
ANTON
winkt ihm.
Geh, da setz dich zu mir.
SIGISMUND
redet nach.
Setz dich zu mir!
ANTON
auf der Erde sitzend.
Ist ein Herr gekommen.
SIGISMUND
gewahrt den Arzt, zuckt zusammen.
ANTON.

Nicht fürchten. Ein guter Herr. Ein feiner Herr. Was denkt der Herr von dir? Leg den Stein weg. Er denkt, du bist ein Kind. Bist aber zwanzig Jahr. Steht auf, geht langsam hin, windet ihm sanft den Stein aus der Hand. Mußt dich zusammennehmen. Ich hab ihm gesagt, du bist mein Freund. – Denk, er weiß wie du heißt.

ARZT.
Sigismund, komm zu mir!
SIGISMUND
schaut hin.
ANTON.

Siehst dus? ein guter Herr! – Leise. Seh der Herr seine Augen. – Laut. Der Herr wird dir helfen. Besseres Essen! eine Decken! Aber du mußt dein Gutes herzeigen. Ein Kind nimmt sich zusammen, ein Hund nimmt sich auch zusammen. Weißt noch: der Hund Tyras! Zum Arzt, aber Sigismund hört zu. Er war als Kind bei bäuerischen Leuten, recht guten Leuten, bis zum vierzehnten Jahr. Herumgelaufen, gesprungen, geschossen mit der Armbrust! Das war ein gutes Leben! Leise. Seht nicht starr hin, er verträgt nicht den scharfen Blick, da wird er wie Eisen. Halblaut, ohne hinzusehen. Jetzt wird der Sigismund auch sprechen. Alle werden wir miteinander diskurieren. Mit Reden kommen die Leut zusammen. Hund reden auch. Schaf auch: machen bäh!

SIGISMUND.
– auch sprechen!
ANTON.
Zum Toni wird der Sigismund sprechen. Denn heut ist einmal 's Sprechen erlaubt.
[265]
SIGISMUND.
– is Sprechen erlaubt?
ANTON.

Und obs erlaubt ist! Befohlen ists! Vorwärts jetzt, wer diskurieren will! Haut sich auf die Knie. Haccus, Maccus, Baccus, das sind drei heilige Wort! bewähren sich an jedem Ort! die heiligen sieben Planeten, die trösten uns in allen Nöten! – Wird dir auch schon besser gehen.

ARZT
ohne den Blick von Sigismund zu verwenden.
Ein ungeheurer Frevel! Nicht auszudenken ist das.
ANTON.
Gib Antwort! oder was soll der Herr denken? Der Herr ist weit her kommen.
ARZT
tritt näher.
Möchtest du anderswo wohnen, Sigismund?
SIGISMUND
schaut zu ihm auf, dann wieder weg; spricht dann schnell vor sich hin, wie ein Kind.

Vieher sind vielerlei, wollen alle los auf mich. Ich schrei: Nicht zu nah! Asseln, Würmer, Kröten, Feldteufeln, Vipern! Sie wollen alle auf mich. Ich schlag sie tot, sinds erlöst, kommen harte schwarze Käfer, vergrabens.

ARZT.
Rührende Stimme, noch halb kindisch. – Hol ein Licht, ich muß ihm ins Auge sehen.
ANTON.
Ich laß den Herren nicht allein mit ihm, darfs nicht! Ruft nach hinten. Ein Kienspan daher!

Arzt geht hin, legt Sigismund die Hand auf die Stirn. Hornsignal draußen.
ARZT.
Was ist das?
ANTON.
Es heißt, daß niemand herandarf oder es wird scharf geschossen.
SIGISMUND
sehr schnell.

Deine Hand ist gut, hilf mir jetzt da! Wo haben sie mich hingetan? Bin ich jetzt in der Welt? wo ist die Welt?

ARZT.
Die Grenze ist verwirrt zwischen innen und außen.
SIGISMUND
sieht ihn an mit verstehendem Ausdruck.

Ist alles durcheinander, blast ein Engel, bringt alles in Reih und Glied. – Schöne Hand, geschickte Hand! greift in Kotter hinein, greift untern Stein, zieht den Krebs hervor! schmeißt ihn in Topf, zündet 's Feuer an, wird der Krebs schön rot und die Fische schön blau!

[266]
ANTON.
Sag's Sprüchel von den Fischen!
SIGISMUND
schnell.

So sagen die sieben Siegel: daß alle Fisch werden brüllen, die Engel werden weinen, und werfen sich mit Steinen, die Gräslein werden zahnen und alle hohen Tannen –

ANTON.
Was er einmal gehört hat, geht ihm nach. Vergißt nichts.
ARZT.

Die ganze Welt ist gerade genug, unser Gemüt auszufüllen, wenn wir sie aus sicherem Haus durchs kleine Guckfenster ansehen! Aber wehe, wenn die Scheidewand zusammenfällt!


Ein Soldat kommt und bringt einen brennenden Kienspan.
ANTON.
Da ist die Kienfackel!

Reichts dem Arzt.
ARZT.

Ich muß sein Auge sehen. Drückt Sigismund, der an seinen Knien lehnt, sanft gegen sich und leuchtet ihm von oben ins Gesicht. Nichts von der Starrheit des Wahnsinns. Bei Gott, kein mörderisches Auge, nur ein unermeßlicher Abgrund. Seele und Qual ohne Ende. Er gibt die Kienfackel zurück, Anton tritt sie aus.

SIGISMUND.

Licht ist gut. Geht herein, macht 's Blut rein. Sterne sind solches Licht. In mir drin ist ein Stern. Meine Seele ist heilig.

ARZT.

Es muß einmal ein Strahl in ihn gefallen sein, der das Tiefste geweckt hat. So hat man doppelt an ihm gefrevelt.


Julian, der Gouverneur, von einem Soldaten begleitet, der eine Laterne trägt, erscheint drohen auf der hölzernen Brücke, sieht herab.
ANTON.
Seine Exzellenz sind selbst hier. Es wird gewinkt von oben. Da soll die Untersuchung zu Ende sein.
ARZT.
Das bestimme ich. Er fühlt Sigismund den Puls. Was gebt ihr ihm zu essen?
ANTON
leise.

Da täte der Herr nicht zufrieden sein. Leg der Herr ein Wort ein. Es ist für einen räudigen Hund zu gering.

ARZT.
Ich bin zu Ende.
[267]
ANTON.
Jetzt geht der Sigismund schön hinein.

Sigismund zuckt, kniet am Boden. Anton nimmt die Pike auf, öffnet ganz die Tür zum Zwinger. Sigismund bleibt auf den Knien, streckt die Hand aus.
ARZT
verhält sich die Augen.
O Mensch! o Mensch!

Sigismund stößt einen klagenden Laut aus.
ANTON.
Sollen sie mit Stangen kommen, dich eintreiben?
ARZT.

Ich bitte dich, geh für heute an deine Stätte. Ich verspreche dir, daß ich tun werde, was ich vermag.

SIGISMUND
steht auf, verneigt sich gegen den Arzt.
ARZT
vor sich.

O mehr als Würde in solcher Erniedrigung! das ist eine fürstliche Kreatur, wenn je eine den Erdboden trat.


Sigismund ist in den Zwinger zurückgegangen.
ANTON
hat den Zwinger von außen verschlossen.
Der Herr erlaubt, daß ich vorangeh. Der Herr ist sogleich droben im Turm erwartet.

Sie gehen hinauf.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Gemach im Turm, eine größere, eine kleinere Tür.
Julian, Anton.

JULIAN.
Ist der Simon herein? Er soll gesehen worden sein. Sobald er sich blicken läßt, wirds mir gemeldet.
ANTON
deutet hinter sich.
Der Herr Doktor.
JULIAN.
Eintreten.
ANTON
öffnet die kleine Tür.

Der Arzt tritt ein, verneigt sich. Anton tritt ab.
JULIAN.
Ich bin dem Herren für die beschwerliche Herreise sehr verbunden.
ARZT.
Eure Exzellenz hatten zu befehlen.
JULIAN
nach einer kleinen Pause.
Ihr habt die Person in Augenschein genommen?
ARZT.
Mit Schrecken und Staunen.
JULIAN.
Wie beurteilt Ihr den Fall?
[268]
ARZT.
Als ein grausiges Verbrechen.
JULIAN.
Ich frage nach dem ärztlichen Befund.
ARZT.
Der Ausgang wird ergeben, ob man, unter anderem, den Arzt nicht zu spät gerufen hat.
JULIAN.

Ich will nicht hoffen! Der Herr gebrauche seine gepriesene Überlegenheit. Es sollen keine Kosten gescheut werden.

ARZT.

Vom Leib aus allein kann nur Pfuscherei den Leib heilen wollen. Es geht um mehr. Der ungeheure Frevel ist an der ganzen Menschheit begangen worden.

JULIAN.
Hoh!
ARZT
fest.
Hier ist Adam, des obersten Königs erstgeborener Sohn, geschändet.
JULIAN.
Darf ich um sachlichen Rat bitten?
ARZT.

Hier wird mit Drogen und Pulvern nichts erzielt werden. Was die Medikamente nicht heilen, sagt Hippokrates, heilt das Eisen. Was das Eisen nicht heilt, heilt das Feuer.

JULIAN.
Wie soll ich die Rede verstehen?
ARZT.

So: daß ich auf das scharfe Eisen obziele, wodurch die Menschen hingemäht werden wie Schwaden, und auf das Feuer, durch welches ein Königreich aufgefressen wird wie eine Scheune.

JULIAN.

Wie kommt der Herr zu solchen Divagationen? Es ist von einer einzelnen privaten Person die Rede, die unter meiner Obhut steht.

ARZT.

Mitnichten. Hier wird, woferne Gott nicht Einhalt tut, die Majestät gemordet. An der Stelle, wo dieses Leben aus den Wurzeln gerissen wird, entsteht ein Wirbel, der uns alle mit sich reißt.

JULIAN
sieht ihn an.

Ihr nehmt Euch viel heraus. – Ihr seid eine berühmte Persönlichkeit. Die Fakultät feindet Euch an, aber das hat Euch nur noch mehr in Evidenz gebracht. Ihr habt ein großes Gefühl von Euch selbst.

ARZT.

Eure Exzellenz ermangeln der Möglichkeit, sich die Vorstellung zu bilden, wie gering ich von mir selbst denke. Mein Ruhm ist vielfach Mißverständnis. Denen, die im Bodendunst gehen, scheint jede Fackel groß wie ein Kirchentor. Wäre mein Leib gewaltiger, so wollte ich umso [269] gewaltigere Wirkungen ausüben. Wie Leib und Seele eins des anderen immer wieder übermächtigt wird, das ist mein unnachlässiges Studium. Wer erahnen könnte, vermöge welcher Kraft die Übergänge bewirkt sind, der stünde groß da. Aber wer es nicht nur zu ahnen, wer es zu packen wüßte: das wäre ein Magier.

JULIAN.
Das ist jeder Mensch, der einen starken Willen hat.
ARZT.
Oder einen starken Glauben: die beiden sind eins.
JULIAN.
Setzt Ihr die gleich?
ARZT.
Aus Erkenntnis.
JULIAN.
Ihr seid ein Sektierer? Ein Schwenkfeldianer?
ARZT.
Ich bin ein katholischer Christ, wie Euer Gnaden.
JULIAN
geht auf und ab, dann plötzlich vor dem Arzt stehenbleibend.
Gerad heraus! wen vermutet Ihr in dem Gefangenen? Antwortet ohne Scheu. Ich frage als Privatperson.
ARZT.

Ihr möget als was immer fragen. Ich habe nur einerlei Rede: hier ist das höchste Geblüt in der erbärmlichsten Erniedrigung gehalten.

JULIAN.
Da gibt der Herr Träumereien nach.
ARZT.
Eure hochadelige Person allein, die sich hergibt zum Hüter und Kerkermeister eines Unbekannten –
JULIAN.

Wir lassen mich aus dem Spiel. – Ich sehe, Ihr seid hergekommen in einer sonderbaren vorgefaßten Meinung.

ARZT.

Nein, nicht so. Die Person die ich gesehen habe, ist erlaucht und zum Größten auserlesen. Nie bin ich in gewisser Ehrfurcht vor einer erlauchten Gegenwart gestanden. Die Knie wollten sich beugen; ich habe mich hart überwinden müssen.

JULIAN.
Ihr seid selbstgewiß und liebt nicht, Euch von einem phantastischen Irrtum abbringen zu lassen.
ARZT.

Ich schließe nichts aus der Nachricht, alles aus dem Eindruck. Dieses Wesen, vor dem ich da unten stand, bis an die Knöchel im Unrat, ist eine quinta essentia aus den höchsten irdischen Kräften. Diese Seele wird Euch dereinst zur Last gelegt, und Eure Schultern sind nicht stark genug um eine diamantene Last zu tragen.

JULIAN.

Ihr beliebt mit Phantasie zu reden, ohne Einblick in die Umstände. Ich bleibe in der Wirklichkeit, soweit das [270] Staatsgeheimnis mir nicht den Mund verschließt. Das in Rede stehende junge Mannsbild war ein Opfer von Koinzidenzien. Ich habe gesänftigt, was an mir lag. Ohne mich wäre es kaum am Leben.

ARZT.

Es wäre am Leben, so ohne Euch als ohne mich, und wenn seine Stunde kommt wird er hervorgehen und unser Herr sein. Das ist der Sinn der Koinzidenzia.


Es klopft.
JULIAN.

Ihr habt Euch einen großen Enthusiasmus bewahrt. Ich verstehe die Wirkung, die Eure Person ausübt. Ich wünsche mich mit Euch noch zu unterhalten. Vor allem über das, was zu tun ist. Der Gefangene, ich gebe es zu, war vernachlässigt. Ihr werdet mir einschneidende Maßregeln vorschlagen.

ARZT
neigt sich.
ANTON
ist eingetreten, mit Bechern auf einer silbernen Platte.
JULIAN.

Im Augenblick bin ich behindert. – Man hat für Euch im Nebenzimmer einen kleinen Imbiß aufgetragen; ein Happen Fleisch, eh Ihr in Sattel steigt. Es ist angeordnet, daß zwei von meinen Leuten mit Euch reiten, und Euch vor Nacht aus dem Gebirg auf die königliche Straße bringen.

ANTON
auf einen Wink tritt heran, mit den Bechern.
JULIAN
ergreift einen Becher.

Einen Satteltrunk, darf ich bitten. Meinen Dank nochmals, für die Hingabe kostbarer Zeit. Ich tue Bescheid.

ARZT
nachdem er getrunken.
Aber nur mit dem Rand der Lippen.
JULIAN.
Es nimmt mir neuerdings den Schlaf. Es muß so gut ein Gift in dem edlen Getränk liegen, als ein –

Er wendet sich zu Anton, sie reden heimlich.
ARZT.

Al-kohol: das Edelste. Im Innern unserer Muskulatur auftretend im gleichen Augenblick wo, vierundzwanzig Stunden nach dem Tod, Verwesung ihren ersten Hauch tut. Aus dem Heillosen die Kräfte der Heilung. Das ist encheiresin naturae.

ANTON
meldet halblaut.
Der Getaufte Simon ist herein, mit einem Brief für Euer Gnaden.
[271]
JULIAN.
Her mit ihm.
ANTON.

Ist schon da. Läßt Simon zur größeren Tür eintreten, Arzt ist mit einer Verneigung zur kleinen abgetreten.


Simon überreicht Julian einen Brief.
JULIAN.
Auf welchem Weg empfangen?
SIMON.

Auf meiner Geschäftsreise Rückweg in der bewußten Weise durch die bewußte Person. Es ist hinzugefügt worden, ich soll mich beeilen: es ist wichtig für Seine Gnaden. Ich hab meinem Schwager übergeben die Geschäfte, die waren wichtig nur für mich, hab mich auf mein Pferd gesetzt, und bin gefahren im Sattel die ganze Nacht, den gnädigen Herrn Burggrafen prompt zu bedienen.


Julian erbricht hastig den Brief, winkt Simon abzutreten.
Simon geht ab.
JULIAN
liest den Brief.

Des Königs Neffe auf der Jagd gestorben! Mit dem Pferd in eine Wolfsgrube gestürzt! – Das ist ungeheuer. Der zwanzigjährige baumstarke junge Fürst. Das ist Gottes sichtbarliche Fügung! Tritt hin und her, liest dann weiter. Der König allein, zum ersten Mal allein, zum ersten Mal seit dreißig Jahren verlassen vom allgewaltigen Berater. Liest. Der Großalmosenier, dein mächtiger unbeugsamer Feind, ist ins Kloster, ohne Abschied vom König – er hat seine Hand aus den Geschäften gezogen, für immer – Spricht. Ich träume! es kann nicht möglich sein, daß so viel auf dem kleinen Fetzen Papier steht! Tritt ans Fenster ins Helle, liest wieder. – in eine Wolfsgrube gestürzt – – der Großalmosenier ist in ein Kloster – alle Würden abgetan – unter dem Namen: Bruder Ignatius – Er läutet mit einer Handglocke.

SIMON
herein.
JULIAN.

Ich habe da überraschende Nachrichten. Es sind große Dinge vorgegangen. – Was gibts in der Welt? Was reden die Leute?

[272]
SIMON.

Die Welt, gnädigster Herr Burggraf Exzellenz, die Welt ist ein einziger Jammer. Sobald man mit Geld nix mehr kaufen kann – nu, kauft das Geld was? Was is Geld? Geld is Zutrauen zum vollen Gewicht. Wo is ein lötiger Taler? Hat einer an lötigen Taler gesehen, hat er gemußt machen ä große Reis.

JULIAN
zu Anton.
Den Schlüssel!
ANTON.
Die Exzellenz hat ihn in der Hand. –
JULIAN.
Den andern!
ANTON.
Da liegt er vor Augen.
SIMON.

Hat der Krieg angefangen, is gezahlt worden mit silberne Taler der Soldat, der Lieferant. Is der Krieg ins zweite Jahr gegangen, war der Taler ä Mischung, im dritten Jahr war das Silber ä versilbertes Kupfer. Aber genommen habens die Leut. Hat der König erkennt, man kann machen Geld, wenn man sein Gesicht und Wappen prägt auf Zinn, auf Blech, auf Dreck. Haben die großen Herren erkennt, haben die Stadtbürger erkennt, haben die kleinen Herren erkennt. Macht der König Geld, machen die Grafen Geld, wer macht nicht Geld? Bis alles geschwommen is in Geld.

JULIAN
hat wieder die Augen auf dem Brief.
SIMON.

Aber wer hergegeben hat schweres Geld, soll der nehmen leichtes? Wie denn nicht! Steht doch dem König Er nimmt die Kappe ab. sein landesherrliches Bildnis darauf. Aber für Abgab und Steuern wird das neue Geld verboten! Und die Soldaten und die Bergleut sollen nehmen das leichte Geld? Was tut sich? Die Bergleut fahren nicht mehr in Berg, die Bäcker backen nicht mehr; der Arzt lauft vom Krankenbett, der Student von der Schul, der Soldat von der Fahn. Dem König sein Zutrauen is dahin. Dann is in der ganzen Welt nix geheuer. Auf einen Blick Julians. Was die Leut reden? Von ä großen Strick reden sie, so lang wie von da bis Krakau, der wird, sagen sie, schon eingeseift jede Nacht, und an dem sollen hängen die großen Herren und die kleinen Herren, und die reichen Leut und unsere [273] Leut alles durcheinander, Gott soll beschützen. – Es müssen große Sachen vorgegangen sein bei Hof, aber was brauch ich Seiner Gnaden Exzellenz zu erzählen? Wenn heut am Abend einer der größten Herren vom Hof wird hierher zu reiten gekommen sein, wird er bereden mit Eurer Gnaden Exzellenz die Staats- und politischen Sachen –

JULIAN
stutzt.
Wer wird gekommen sein zu reiten hierher? Was ist das?
SIMON.

Der gnädige Herr Großwoiwod von Lublin, mit einer Gesellschaft von mindestens fünfzig, darunter Edelpagen und Hartschierer, den ich hab hinter mir gelassen um zwei drei Stunden, weil ich hab riskiert mein Leben und bin gefahren auf mein huzulischen Pferdl, durch die Sumpfwege, zu bringen den Brief mit der Ankündigung, weil ich mir hab das ausklären können, daß die Nachricht wird wichtig sein zu wissen, bevor die Herrschaft eintrifft selber, und wertlos nachher, wenn er schon steht vor der Herrschaft ihrem Gesicht dahier in der Stub. – Euer Gnaden Exzellenz schaut auf mich, als wenn ich aus dem Mund brächt eine Überraschung, wo doch Euer Gnaden halten in Händen die Briefschaft, wo es muß geschrieben stehen schwarz auf weiß.

JULIAN.
Es ist gut. Hinauslassen.
SIMON
ab.
ANTON
zurück.
JULIAN.
Anton! Hast du gehört? Nichts von dem Besuch steht in dem Brief. Anton, kann es die Wahrheit sein?
ANTON.

Der Simon ist sonst kein Lügner. Das wär auch eine kurzatmige Lügnerei. – Es wird schon nichts helfen. Es wird sich schon so verhalten.

JULIAN.

Ja? Dann – Anton! Der stolzeste größte Woiwod am ganzen Hof! Geschickt an mich! Vom Herren selber geschickt an mich! Ja geht das in deinen Schädel, was sich da begeben hat? Was da wird! Du! sie machten die Leiche lebendig! Das Unglaubliche wird wahr! Ich – ich – hörst du? was schneidest du für ein Gesicht?

ANTON.

Kann ich mir vielleicht nicht denken, was da in Ihnen vorgeht! Das bedeutet doch nicht mehr und nicht weniger, als daß man Sie zurückholt an den Hof, daß man Ihnen aufdrängt [274] die Ehren, soll heißen die Beschweren, die Würden, soll heißen die Bürden, die Vertrauensstellen, die Sinekuren und Sekkaturen, alles das, wovor Ihnen graust, wie dem Kind vor der bitteren Medizin!

JULIAN.
Es wird nicht wahr sein. – Mein Gott, wenn es wahr wäre!
ANTON.

O du mein Heiland! wie echappieren wir jetzt! wie kommen wir aus? Da ist guter Rat teuer. Wenn sich Euer Gnaden krankstellen täten? Ich mach das Bett auf!

JULIAN.
Was redest du da?
ANTON.

Weiß ich denn nicht, was Ihnen bevorsteht? und weiß ich denn nicht, wie Sie darüber gesonnen sind? Wiederum ein großer Herr sein am Hof! Wie Ihnen die Haut schaudert wenn Sie bloß denken! Wie Sie das durch und durchschauen, den Lug und Trug, die Gemeinheit und das Scherwenzeln, und die Speichellecker und die Ohrenbläserei und das Verleumden hinterm Rücken und die Kabale und die Kamarilla und wie sie alle heißen! – Pfui Welt! Pfui Zeitung! Pfui, pfui, pfui! – Wenn Euer Gnaden in Wald verreiten täten?

JULIAN.

Schweig das Gewäsch ohne Sinn und Verstand, oder ich schlag dir übers Maul. Das getäfelte Zimmer wird eingerichtet für Seine Erlaucht den Woiwoden. Mein eigenes Bett hinein.

ANTON.
Alles, alles, daß wir ihn nur geschwind wieder loswerden!
JULIAN.
Aus meinem besten Reitpelz die Marderfelle heraustrennen und einen Fußpelz daraus machen.
ANTON.
Aus dem grünsamtenen?
JULIAN.
Eine Fußdecke daraus vors Bett für Seine Erlaucht.
ANTON.
Daß er nur in Gottesnamen die Fuß bald wieder woanders hinsetzt!
JULIAN.
Die schöne venezianische Spitze von meiner Mutter her, wo ist die?
ANTON.
In der Kapellen doch, aufm Altar.
JULIAN.

Abnehmen von dort. Dem Herrn Woiwoden auf den Nachttisch, zur Unterlag für den Becher mit dem Abendtrunk.

[275]
ANTON.

Recht! Alles daß wir nur recht bald Valet trinken mit ihm. Daß wir ihn nur bald wieder los sind! Die aufgeblasene Schranze, die daherkommt, Euer Gnaden in Euer Gnaden eigenem Zimmer zuzumuten, was auf Euer Gnaden Natur die Wirkung tut wie Brechweinstein und Stinkwurz!

JULIAN
ringt nach Fassung.
ANTON
sieht ihn von der Seite an.

Muß ein glorioses Gefühl sein, wenn man weiß: meiner bin ich sicher! Komm her, Satanas, breits aus vor mir, die Herrlichkeit, wie einen Teppich – und jetzt hebs schnell wieder weg, sonst spuck ich dir drauf, denn das hab ich überwunden.

JULIAN.
Das Maul halten mit der Fastenpredigt, der unpassenden! – Den Hostiniuk hinauf aufs Vorwerk!
ANTON.
Den Trompeter?
JULIAN.

Aufs Vorwerk, von wo man den Reitsteg übersieht. Sobald er die Kavalkade gewahr wird, ein Signal! eines! ihm einschärfen: sobald es gewöhnliche Reiter sind. Ists aber eine fürstliche Kavalkade, – führen die Reiter die gelbroten Fähnlein des Palatins von Lublin – oder gar den Silbernen Leuen im amarantenen Feld –


Er muß sich vor Erregung an den Tisch halten.
ANTON.
Dann?
JULIAN.
Dann drei Stöße nacheinander wie vor dem König! – Was glotzt du so auf mich? Soll ich –
ANTON.

Ich sag schon nichts. Aber es klopft an der Tür. Geht hin. Der Herr Doktor haben abgegessen und bitten aufwarten zu dürfen. – Soll er?

JULIAN.
Laß eintreten. Und dann fort, alles ausführen.

Arzt ist eingetreten, er trägt einen Zettel in der Hand.
Anton geht ab.
ARZT
vor Julian stehenbleibend, der in Gedanken verloren dasteht.
Ich finde Eure Exzellenz verwandelt.
JULIAN.
Ihr seid ein scharfer Physiognomiker. – Was seht Ihr in meinem Gesicht?
ARZT.

Eine gewaltige hoffnungsvolle Erregung. Weite Anstalten! Große Anstalten! ein ganzes Reich umspannend. Flectere [276] si nequeo superos, Acheronta movebo! nie habe ich diese Zeile so verstanden, als in Dero Gegenwart. Euer Gnaden sind aus einem heroischen Stoff gebildet.

JULIAN
muß lächeln, unterdrückt aber das Lächeln sogleich.
ARZT.

Aber – ich muß es in einem Atem aussprechen: die Quelle selber ist getrübt. Die tiefste Wurzel ist angenagt. In furchtbarem Schlangenkampf ringen Gut und Bös in diesen gebieterischen Mienen.

JULIAN.

Gebt meinem Puls mehr Stetigkeit, das ist alles was ich brauche. Verordnet mir, was den Herzschlag herabsetzt. Mir stehen große Aufregungen bevor. – Ich brauche andere Nächte.

ARZT.

Von irgendwo steigt Ohnmacht und Beschämung herauf, gegen Morgen, gräßlich, aus einem nie zu erschöpfenden Abgrund. – Die Stunde zwischen Nacht und Tag ist es, wo die Gottheit, den Schein von Wirklichkeit gräßlich scheidend, an uns herantritt.

JULIAN
schließt die Augen, schlägt sie schnell wieder auf.
ARZT
den Blick auf ihm.

Euer Puls geht nicht gut, und doch – ich verbürge es – ist der Herzmuskel kraftvoll. Aber Ihr verleugnet Euer Herz. Herz und Hirn müßten eins sein. Ihr aber habt in die satanische Trennung gewilligt, die edlen Eingeweide unterdrückt. Davon diese bitter gekräuselten Lippen, diese Hände, die sich Weib und Kind zu berühren versagen.

JULIAN
nickt.
Furchtbar einsam waren meine Jahre.
ARZT.

Furchtbar, aber gewollt. Was Ihr suchet, ist schärfere Wollust: Herrschaft, unbedingte Gewalt des Befehlens.

JULIAN
sieht ihn an.
ARZT.

Der Gang zeigt mir heroischen Ehrgeiz, in den Hüften verhalten von ohnmächtigem, gigantisch mit sich zerfallenem Willen. Erhaben gewölbt ist diese Brust und doch gewürgt der Atem. Die Augen gebietend und doch ein gräßlich fliehender Blick. Der letzte Mut fehlt, die glorreiche und doch demütige Selbstliebe fehlt, die herrliche Tugend, von der ewige Jugend sich ergießt in jede Faser. Eure Nächte sind wütendes Begehren, ohnmächtiges Trachten. Eure Tage sind Langeweile, Selbstverzehrung, Zweifel am [277] Höchsten – die Flügel der Seele eingeschnürt in Ketten, und Fremde halten die Kette und sind gewaltig in Euch über Euch. Wehe! schafft Euch Raum in der Brust vor Eurem Drängen, und die Welt wird Euch Raum geben!

JULIAN.
Ihr kommt einem nahe! zu nahe!
ARZT.

Auf das Übel hinzuweisen, dort wo ich es gewahre, ist mir gegeben. Die Verschuldung an diesem Jüngling, das ungeheure Verbrechen, die Komplizität, die Miteinwilligung: alles steht in Eurem Gesicht geschrieben.

JULIAN.
Genug von diesem Burschen, den Ihr obstinat in die Mitte des Weltgeschehens stellt!
ARZT.

Ihr habt ihn eingemauert in die Fundamente! den Sklaven aus ihm gemacht, der im Finstern Euch die Mühle tritt: und er ist dem Blut nach Euer Herr!

JULIAN.

Genug. Der Herr redet ohne die Dinge zu kennen. Geht an die Wand, läßt ein Fach auf springen, nimmt ein Blatt heraus, daran ein Siegel hängt. Ich habe ihm das Leben gerettet, mehr als einmal. Die größte Härte war anbefohlen, ohne Erbarmen. Er sollte verschwinden, ausgetilgt sein. Man mißtraute mir. Ich hatte ihn zu gutherzigen Bauern gegeben. Es wurde imputiert, ich hätte ehrgeizige Pläne auf das Weiterleben des Gefangenen gesetzt.

ARZT.
Ich verstehe.
JULIAN.

Eine Kommission wurde geschickt, zu visitieren. Ich ließ den Herren reichlich auftragen. Dann führte ich sie vor den Hundezwinger und zeigte ihnen den Unglücklichen.

ARZT.
Der Herr hat gehandelt wie Pontius Pilatus.
JULIAN.

Ich beließ ihn in einem menschenwürdigen Kerker mit Fenstern. – Durch das Fenster fiel ein Schuß in der ersten Nacht und streifte ihn am Hals, ein zweiter gegen Morgen und ging ihm zwischen Arm und Brust hindurch. – Ohne mich wäre er erwürgt. – Ich wünsche nicht von Euch verkannt zu werden. Er hält ihm das Blatt hin. Der Herr sieht! das allerhöchste Siegel. Die eigenhändige Unterschrift der höchsten Person. – Ich gehe sehr weit mit Euch.

[278]
ARZT
liest aus dem Blatt.

– »überführt eines geplanten Attentates auf die geheiligte Majestät –« – darunter das Signum Seiner Eminenz des Siegelbewahrers. – Dieser Knabe! – Die Schrift ist neun Jahre alt. Damals war er ein Kind!

JULIAN.
Ein Dämon ist alterslos.
ARZT.
Ein Dämon! das Lamm mit gebundenen Füßen!
JULIAN.

Sterne haben bevor er geboren war auf ihn gewiesen, wie mit blutigem Finger. Das Verkündete traf ein, punktweise, ihn gräßlich zu bestätigen, als den der außerhalb der menschlichen Gemeinschaft steht. Er war überführt, ehe seine Lippen ein Wort bilden konnten.

ARZT
hebt die Hände zum Himmel.
Überführt!
JULIAN.
Des Majestätsverbrechens. – Was vermag ich!

Schließt das Blatt ein.
ARZT
nimmt einen Zettel aus dem Gürtel.

Ich hatte im währenden Essen aufgeschrieben, was ich fürs Unerläßlichste hielt. Ein menschenwürdiger Gewahrsam, der Sonne zu, eine reine Nahrung, der Zuspruch eines Priesters.

JULIAN.
Gebt her.
ARZT.

Nein, es ist zu wenig, ich zerreiße es. Er tuts. Nur Wiedergeburt heilt einen so Zerrütteten. Man führe ihn in seines Vaters Haus zurück, nicht übers Jahr, nicht über einen Monat, sondern morgen zu Nacht!

JULIAN.
Ihr wißt nicht was Ihr sagt.
ARZT.

Ich kann, ich vermag, ich bin, – diese Medizin flößt ihm ein; dann ladet die Welt auf seine Schultern: er wird sie tragen!

JULIAN.

Ich müßte einen Tag lang mit Euch sprechen und mir ist die Lippe versiegelt wie die Hand gebunden. Ich hab Euch schon mehr vertraut als irgendwem!

ARZT.
Eure Rettung geht durch seine, oder Ihr versinket in dem Wirbel; es hängt alles an einer Kette.
JULIAN.
Ihr kennt die Welt als ein Philosoph, nicht als ein Handelnder.
ARZT.
Niedertracht – dies eine Wort ist über ihrem Handeln geschrieben.
JULIAN.
Nennt es so: so ist sie das Allmächtige.
[279]
ARZT.
Das Pfandrecht der dumpfen Erde auf den lebendigen Leib der aus ihr gekommen ist.
JULIAN.
Ihr sagt es.
ARZT.
Aber die Entscheidung steht bei der Kraft und dem freien Willen.
JULIAN.
Wie denn!
ARZT.

Der Leib allein macht Euch dem höllischen Gespinst Untertan. Dies aber Er zeigt hinter sich nach abwärts. ist Euer Werk, das Zeugnis ablegen wird gegen Euch.

JULIAN.
Ich bin ein Instrument, weiter nichts.
ARZT.
So spricht der Leib: aber der Geist kennt seine Schuld.
JULIAN
hebt die Hände überm Kopf zum Himmel.
ARZT.
Dies ist Ihr Werk. Alles woran Sie sonst die Hände gelegt haben ist nichts. Dieses allein zählt.
JULIAN.
Ich wollte von Euch richtiger gekannt sein.
ARZT.

Es steht geschrieben: an ihren Werken werdet ihr sie erkennen. Denn das Werk ist die Frucht die wir bringen.

JULIAN.
Ihr imputiert mir!
ARZT.

So und nicht anders redet Euer Gewissen zu Euch zwischen Tag und Nacht. Das sagen die gelben Flecken im Weiß Eures Augensterns.

JULIAN
auf und nieder.
ARZT.
Sie haben geschaltet mit Gottes Geschöpf. Sie haben sich an Gott unmittelbar vergangen.
JULIAN.
Und wenn es ein Dämon und Teufel ist, vorwitziger Mann? Ein Aufrührer gegen Gott und die Welt!
ARZT.
Nemo contra Deum, nisi Deus ipse.
JULIAN
bleibt vor ihm stehen.

Der Herr vermißt sich einer großen Autorität. Wo sieht der Herr die Bürgschaft für solchen alles aufwiegenden Wert der Kreatur von der wir uns unterhalten.

ARZT.

Die Frage ist im innerlichen Herzen schon beantwortet, und nur mit dem Mund zum Schein gestellt. Aber ich beantworte sie aus dem Herzen und nicht zum Schein.

JULIAN.
Ich wäre begierig.
ARZT.

Das erste ist eines Menschen Stimme. Dieser sagt ein Wort, und es ist als gäbe er uns die Seele hin, damit wir sie [280] essen wie Brot und trinken wie Wein. Das Zweite ist eines Menschen Blick. Dieses in Ketten liegenden Geschöpfes Blick geht durch die Seele stärker als der Schall einer Posaune. Dieser ist weder Mann und Weib, sondern über beiden. Sein Herz ist geduldig, so wie es gewaltig ist. Seine Natur ist einfach. Es sind keine fremden Elemente in ihm. Er ist heilig und unberührt. Er ist auserlesen als ein Gefäß, dessen Gebrauch niemand wissen kann.


Trompeten in der Ferne.
JULIAN
schließt erblassend die Augen.

Der Herr ist zu auskultieren gewohnt und hat ein scharfes Ohr. Darf ich fragen, ob ich richtig gehört habe?

ARZT.
Drei Trompetenstöße in großer Entfernung.
JULIAN
schlägt die Augen wieder auf, atmet tief auf.
ARZT.

Jetzt habt Ihr im Nu einen kühnen und furchtbaren Gedanken ausgeboren. – Euer Gesicht flackert. Verratet ihn nicht! Lasset diese Trompeter nicht sein wie das dreimalige Krähen des Hahnes. Verratet nicht um der Heiden willen den, der in Eure Hand gegeben ist.

JULIAN.
Ich sehe wie durch plötzliche Erleuchtung die Möglichkeit einer Probe.
ARZT.
Wodurch man den Unglücklichen retten könnte?
JULIAN.

Ich halte für möglich, daß vieles wird in meine Hand gegeben werden. Der Herr ist imstande, einen sicher wirkenden gewaltigen Schlaftrunk –?

ARZT.
Ich habe ein Theriak in Besitz, das die Kräfte der Seele in tausendfachen Schlaf legt.
JULIAN.
Und könntet mir dasselbe durch eine vertraute Person zusenden?
ARZT.
Darf ich fragen –
JULIAN.
Ich würde einen Reitenden darum schicken.
ARZT.

Ich errate: Ihr wollt den Bewußtlosen in eine andere Umgebung schaffen. Ihm gewisse Personen vor Augen bringen?

JULIAN.

Wir wollen kein Wort zu viel aussprechen. Ich spiele noch in diesem Augenblick um meinen Kopf, wofern ich zu weit gehe.

ARZT.

Und wenn er die Probe nicht besteht? – Euer Blick sagt [281] etwas Gräßliches und Eure herabgezogene Lippe, die den Eckzahn entblößt, setzt das Siegel darunter. Und dazu soll ich beistehen?

JULIAN.
Große Geschicke werden durch große Proben entschieden.
ARZT.
Wenn er mißfällt – wenn die Begegnung – mich schauderts. Was wird aus ihm?
JULIAN.
Dann wird es – vielleicht – gelingen, ihm das gleiche Leben zu fristen, das er bisher geführt hat.
ARZT.
Wie? Was sprecht Ihr aus?
JULIAN.
Gewahrsam auf ewig, in dem Turm den der Herr kennt, im günstigen Falle.
ARZT.
Dazu biete ich nicht die Hand.
JULIAN.

Dann ist es, wohlverstanden, der Herr, der die Kreatur ihrem Schicksal überläßt. Der Schlaftrunk, der vor und nach der Probe das Bewußtsein völlig auslöscht, so daß die getane Reise dem halbverstörten Sinn als nicht gewesen, als eine bloße Wahnspiegelung seines Hirns bewiesen werden kann, das ist unabgängliche Bedingung.

ARZT
tritt zurück.
Es hieße ein Geschöpf Gottes in den Wahnsinn treiben.
JULIAN.
Einen andern Ausweg gibt es nicht. Ich gebe Euch eine halbe Minute Bedenkzeit. Überlegt Euchs.
ARZT
nach einigen Sekunden.

Der Reitende kann den Schlaftrunk morgen nacht bei mir abholen. – Die Dosis ist streng bemessen. Euer Exzellenz schwöre mir, daß der Gefangene den Schlaftrunk aus keiner anderen Hand –

JULIAN.

Aus meiner eigenen Hand. Wofern ich die Zulassung zur Probe bewirken kann. Das steht bei höheren Personen.

ARZT.

Der Schlaftrunk wirkt auf eine erschreckende Weise. – Es kommt zuerst über den, der getrunken hat, eine große Angst und Unruhe. Die elementarischen Lebenskräfte fühlen, daß sie gebunden werden sollen, und empören in ihrer ganzen Stärke sich gegen die Überwältigung. Sodann –

JULIAN
ist ans Fenster getreten, horcht hinaus; wendet sich.
Sodann?
ARZT.

– wird dem Herrn ein Anblick zuteil werden, wie er [282] dem Priester am Sterbebett eines Gerechten zuteil wird. Wie ein vom Feuer durchwebter Himmel wird sich vor dem Herrn der Geist dieses Auserwählten enthüllen. Die wahre Glorie der menschlichen Seele wird zutage treten, für eine unmeßbare Frist: Minuten, halbe Minuten nach der Uhr. Dies währt, bis der Leib das Übergewaltige nicht mehr aushält, in einem Schrei sich der Bedrängnis entlädt, und dumpf hinabstürzt in todähnlichen Schlaf.


Trompeten.
JULIAN
zittert, läutet mit der Handglocke.
ARZT.
Ich bin entlassen?
JULIAN.

Mit der Bitte, diese geringfügige Entlohnung anzunehmen Reicht ihm eine Börse. und dazu diesen Ring als ein Andenken. Zieht den Ring vom Finger, reicht ihn hin, die Hand zittert ihm dabei heftig.

ARZT.
Euer Gnaden belohnen fürstlich. Neigt sich, zieht sich zurück.

Anton zur andern Tür herein, einen schönen Überrock auf dem Arm und Schuhe. Er hilft Julian das Hausgewand ausziehen, den schönen Rock anziehen.
JULIAN.
Wie nahe sind sie?
ANTON.
Die Kosaken, die vorausreiten, traben über die zweite Brücke.
JULIAN.
Ich habe einen einzelnen Reiter heransprengen sehen.
ANTON.
Ja, ja.

Nestelt das Gewand zu.
JULIAN.
Ein Vorreiter, ein Kurier? was?
ANTON.
Ich sags nicht, es täte Sie ärgern. Ein aufgeblasener Kerl!
JULIAN.
Es handelt sich um mich? Was will man von mir?
ANTON.

Daß sie ein königliches Handschreiben bringen, das steigt so einem Stallputzer in die Nase. Soll der König nicht auch einmal einen Brief schreiben? Hat er keine Hände?

JULIAN.
Gerichtet an mich? An meine Person?
ANTON
zieht ihm die Schuhe an.
Ich hab ja gewußt, es wird [283] Ihnen unangenehm sein. – Aber daß es Sie so grausam angreift –
JULIAN
sagt nichts.
ANTON.

Wie wird man sich jetzt herauswinden? Wo die obendrein ein Reitpferd für Sie mitgebracht haben! Was soll man da vorschützen?

JULIAN.
Ein Reitpferd?
ANTON.

Ein russischer Goldfuchs, mit Schabracken aus Silberstück und silbernen Zäumen. Damit Sie morgen mit dem Frühesten aufsetzen und an Hof reiten. Der Herr Woiwod soll sozusagen die ehrenvolle Begleitung bilden, alles zur mehreren Repräsentation und Auszeichnung.

JULIAN
atmet fliegend.
Sind meine Leute aufgestellt?
ANTON.
Spalier.

Bindet ihm die Schuhe.
JULIAN.
Du voraus ans Tor mit dem Leuchter.
ANTON.

Sind ja die Kienfackeln an der Treppe. Wer wird sich strapazieren für Leute, die einem nur Unerwünschtes ins Haus bringen!

JULIAN.

Angezündet! Kniest nieder am untersten Treppenabsatz. Wenn Seine Erlaucht der Woiwod an dir vorbei ist, springst ihm vor, leuchtest die Treppe hinan. Ich geh ihm entgegen, vom obersten Absatz drei Stufen, keinen Schritt mehr.

ANTON
zündet an.
So recht. Er soll verstehen, daß wir auf ihn nicht gewartet haben, die neunzehn Jahr lang.
[284]

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Kreuzgang im Kloster. Im Hintergrund die Eingangspforte.
Zur Rechten Eingang ins Klosterinnere.
Pförtner schließt hinten auf. König Basilius und Höflinge treten ein. Ein Bettler kommt hinter ihnen herein.

KÖNIG.
Ist dies der Ort, wo der Bruder Ignatius die empfängt, die mit einem Anliegen zu ihm kommen?
PFÖRTNER.
Hier stellt euch hin und wartet alle.
JUNGER KÄMMERER.
Vorwärts du, und melde wie ich dir sagen werde.
PFÖRTNER.
Ich darf nicht melden. Das ist nicht meines Amtes. Meines Amtes ist Aufschließen, Zuschließen.
JÜNGER KÄMMERER.
Weißt du, wer vor dir steht?
PFÖRTNER.

Weiß nichts. Darfs nichts wissen. Ist nicht meines Amtes. Diesen kenne ich. Weist auf den Bettler, tritt zu diesem. Stell dich daher. Daß er dich sieht. Er wird sich freuen, daß du wiedergekommen bist.


Bettler stellt sich schweigend abseits.
JUNGER KÄMMERER.
Hier steht die Majestät von Polen, unser aller König und Herr! Hörst du mich, Torwart?
KÖNIG.

Laß. – Dies ist ein schwerer Gang. Ich will die Vettern, die ihn mit mir getan haben, über alle Woiwoden, Palatine und Ordinaten erhöhen.


Die Höflinge neigen sich.
Junger Bruder tritt von rechts heraus; schön, leise, mit einem beständigen Lächeln. Kämmerer tritt hin, redet leise mit ihm.
JUNGER BRUDER
sieht auf den König, tritt dann auf den König und die Höflinge zu, neigt sich ein wenig.

Mir geziemt nicht, die Namen zu kennen. Ich habe ihm zu melden: es ist ein Mann da, in großer Not – oder: es ist ein Weib mit ihren Söhnen von dort und dort – oder: es ist ein Kranker da und bittet um deinen Segen.


Neigt sich, tritt nach der andern Seite.
[285]
HÖFLINGE
unter sich, halblaut.
Ist das erhört! der hochmütige, satanische Gleisner! ist solches erlebt worden!
JUNGER BRUDER
lächelt.
Seiet leise!
KÖNIG.
Schläft er so früh am Tag, daß man ihn nicht stören darf?
JUNGER BRUDER.

Gegen Morgen, wenn die Sterne bleich werden, erst dann schläft er ein, in seinem hölzernen Sarg, und wenn die Vögel sich rühren, ist er wieder wach. Tritt zum Bettler, der betet, das Gesicht in den Händen. Was begehrst du?


Bettler regt sich nicht.
PFÖRTNER.

Es ist der ohne Namen, der herumzieht von einer heiligen Stätte zur andern und Winter und Sommer übernachtet auf den steinernen Stufen der Kirchen. Er hat schon einmal mit ihm gesprochen. Er hat zu ihm gesagt: bist du denn der wiedererstandene heilige Hilarius, oder der auf die Welt zurückgekehrte selige Abt Makarion?

BETTLER
nimmt die Hand von den Augen und man sieht, daß eines seiner Augen ausgestochen ist.
Unwert!
PFÖRTNER.

Jetzt kommt er von der Heiligen Jungfrau auf dem Weißen Berge. Verlaufene Soldaten, wie es jetzt überall gibt, wollten in die Kirche einbrechen und das schwarze Bild stehlen, das leuchtet von Edelsteinen stärker als eine Lampe. Er lag auf der Schwelle, sie stießen an ihn, da schrie er und die Mönche konnten die Kirche verrammeln und es abwehren. Dafür schlugen ihn die Soldaten so lange, bis sie ihn für tot hielten. Ein Auge haben sie ihm auch ausgeschlagen. Er aber hat ihnen vergeben und betet für sie.

BETTLER.
Unwert!

Stellt sich hinter die Höflinge.
PFÖRTNER.

Die Hellebarde ist aus der Hand des Wächters genommen und in die Hand des Räubers gegeben. Was soll da aus uns werden?

JUNGER BRUDER
lächelt.
Das schützende Kleid ist hinweggenommen, so sind wir nackend, wie es sich geziemt zur Züchtigung.
KÖNIG.
Melde! melde, es ist einer da, Basilius, und in großer Not und sein Anliegen ist dringend.
[286]
JUNGER BRUDER
neigt sich.
Er wird bald kommen. Gedulde sich die Herrschaft. Geht rechts hinein.
EIN DUMPFER GESANG
wird hörbar.
Tu reliquisti me – et extendam manum meam et interficiam te!
KÖNIG
tut einen Schritt vor, sieht nach oben.

Heut ist St. Aegydi Tag: da geht der Hirsch in die Brunft. – Ein schöner, heller Abend: die Elstern fliegen paarweise vom Nest ohne Furcht für ihre Jungen und der Fischer freut sich: sie laichen bald, aber sie sind noch begierig und springen im frühen nebligen Mondschein, ehe es noch Nacht ist. Es bleibt lange noch schußlicht, zwischen dem Fluß und dem Wald, und groß und fürstlich tritt der Hirsch aus dem Holz, und löst die Lippen, daß es scheint als ob er lache, und schreit machtvoll, daß die Tiere im Jungholz ihre zitternden Flanken aneinanderdrücken vor Schreck und Verlangen. – Wir waren wie er und haben majestätische Tage genossen ehe das Wetter umschlug, und den schönen Weibern lösten sich die Knie beim Laut Unseres Kommens, und wo Wir beliebten einzutreten, da beschien der silberne Leuchter oder der rosige Kienspan die Vermählung Jupiters mit der Nymphe. Er stützt sich auf den jungen Kämmerer. Und diesem schien kein Ende gesetzt, denn Unsere Kräfte waren fürstlich. – Nun aber ist seit Jahr und Tag die Hölle los gegen Uns, und es lauert eine Verschwörung gegen Unser Glück unter Unseren Füßen und über Unseren Haaren, die sich sträuben, und Wir können die Rädelsführer nicht greifen. Wir wollen dahin und dorthin, und Unsere Gewalt befestigen, und es ist wie wenn der Boden weich würde und Unsere marmornen Schenkel ins Leere sänken. Die Mauern wanken von den Grundfesten aus und Unser Weg ist ins Nicht-mehr-gangbare geraten.

EINER DER HÖFLINGE
ein Greis, tritt neben ihn.

Es ist ein Ding, das kauft die anderen Dinge und so ist es der König über die Dinge: darum ist ihm dein Gesicht aufgeprägt und dein königliches Wappen und die Leute lieben es und nennen es: das gute Geld. Aber wo ist das gute Geld hin? Wie ist es aus [287] dem Land hinausgelaufen und mit ihm der Gehorsam? Denn – wo kein Lohn ist, da ist keine Ehrfurcht; und wo keine Ehrfurcht ist, da ist kein Gehorsam.

EIN ANDERER.

Das haben die feisten Bürger in den Städten verschuldet, die Pfeffersäcke und Wollkratzer und Leimsieder, die aus dem Krieg Nutzen gezogen haben, nicht zehn für hundert, nein hundert für zehn, und über alles die Juden, diese stinkenden Vampire: sie haben dem Land das Mark aus den Knochen geschlürft. Sie haben aus dem Geld das Silber herausgesogen, und in unseren Händen das rote stinkige Kupfer gelassen, dessengleichen sie als Haar auf den Köpfen tragen, die Judasse!

EIN DRITTER
tritt von hinten hinzu.

Sie liegen auf königlichen Schuldverschreibungen, wie auf Gansdaunen, ihr stinkender Fuchsbau ist tapeziert mit Pfandscheinen von Grafen und Bannerherren – und wenn du ihrer zehntausend in deine Hände nimmst, über die du einen eisernen Handschuh gezogen hast, und pressest sie in deiner Hand, bis sie ausgepreßt sind, so wird Blut und Schweiß auf die Erde fließen und die Äcker werden wieder fruchtbar werden und aus den Ähren wird das Gold und Silber fallen auf die polnische Erde.

DER ZWEITE.

Lasse die Königliche Majestät uns reiten mit unseren getreuen adeligen Vasallen gegen die Juden und Judenknecht, die hinter Pfählen sitzen, gegen Aufrührer, entlaufene Mönch, entsprungene Schullehrer, und in sie arbeiten mit soviel Schwertern, Piken, Kolben, als uns noch in unseren fürstlichen Händen verblieben sind – ehe es zu spät wird.

KÖNIG.

Ich kann das Geschmeiß nicht greifen. Ich reite an: sie sind Bettler. Aus abgedeckten Hütten kriechen sie mir entgegen und recken abgezehrte Arme gegen mich. Die Wälder, in denen ich jage, sind voller Bettler: sie fressen die Rinde von den Bäumen und stopfen sich die Bäuche mit Klumpen Erde. Er schaut vor sich, der Kopf fällt ihm nachdenklich auf die Brust. Auch dies war in der Prophezeiung: es waren Dinge in der Prophezeiung, die kein Mensch für möglich gehalten hätte, [288] und sie fangen an, möglich zu erscheinen! Es waren Greuel darin, von denen jeder gesagt hätte, daß sie nur könnten bildlich gemeint sein, und sie fangen an im wörtlichen Verstande einzutreffen. Der Hunger ist in der Prophezeiung; die Seuche ist in der Prophezeiung; die Finsternis, erleuchtet von brennenden Dörfern – der Soldat, der die Fahn abreißt und seinem Oberen die Pferdehalfter ums Maul schlägt, der Bauer, der vom Pflug läuft und seine Sense umnagelt zur blutigen Pike, die Kometen, die Erde, die sich spaltet, die Haufen herrenloser Hunde, die Raben, kreisend Tag und Nacht überm blachen Feld – es ist alles in der Prophezeiung. Leise für sich. Ich habe das Pergamen mit eigenen Händen verbrannt bei verriegelten Türen, aber die Zeilen, wie ich sie habe sich abkräuseln sehen in Zunder, so brennen sie auf in meiner Brust unter der Herzgrube, ob ich lieg oder geh oder stehe. Er seufzt tief auf, der andern vergessend. Nun kommen die Hauptstück: daß die Sonn ausgeht am hellen Tag über einer großen Stadt – nein! zuvor geschieht, daß die Rebellion ihre Fahne bekommt: das ist ein Bündel klirrender, zerrissener Ketten an einer blutigen Stange, und der dem sie vorangetragen wird, das ist mein leiblicher Sohn, mein einziges Kind, den ich gewonnen habe in rechtmäßiger Ehe – und sein Gesicht ist wie eines Teufels Gesicht wiedergeboren aus dem höllischen Feuer, und er ruht nicht bis er mich findet und seinen Fuß auf mein Genick setzt. Ich höre meinen Kopf, der auf die Erde aufschlägt! und er tritt auf mein Gesicht und drückt mich hinein, bis ich Erde fresse und die Erde mich frißt – so geschiehts am hellichten Tage und die Sonne geht aus vor Grausen – so prophezeit! wortwörtlich! da! punktweise geschrieben, wie ich es spreche! Er stöhnt und besinnt sich dann, blickt zurück auf sein Gefolge. Ich bin sehr krank, meine Getreuen! Ich hoffe, ihr habt mich zu einem Arzt begleitet, der mir helfen kann.

DER ALTE HÖFLING
dicht bei seinem Ohr.

Entsinne sich mein gnädiger Herr der Schärfe des Blickes, dem im Staatsrat der verschlungenste Knoten sich löste –

[289]
KÖNIG.

Ich will nicht an seinen Blick denken! Seine Augen gehen wie die Augen des Greifen durch und durch und das Eingeweide hält ihnen nicht stand.Er richtet sich auf, seine Stimme verändert sich. Wir sind noch König in Polen! Wir wollen jetzt, wo nicht sogleich Unserem Wunsch willfahrt wird – so werden Wir diesem Mönchsloch den Rücken kehren und reiten, wohin Unserem Adlerblick zu reiten gelüstet!


Der Großalmosenier wird von rechts herausgeführt. Zwei Mönche stützen ihn. Der junge Mönch von früher schreitet daneben, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand; ein Laienbruder folgt, der einen Faltstuhl trägt. Sie stellen den Faltstuhl hin und lassen den Großalmosenier drauf nieder. Er ist ein neunzigjähriger Greis; seine Hände und sein Gesicht sind gelblich weiß, wie Elfenbein. Die Augen hält er meist geschlossen, doch wenn er sie öffnet, so vermag ihr Blick noch Schreck und Ehrfurcht zu verbreiten. Er trägt das Habit der
einfachen Mönche. Alle sind von seinem Eintreten an still.
DER GESANG
wird deutlich hörbar, eine einzige drohende Stimme.

Ecce ego suscitabo super Babyionem quasi ventum pestilentem. Et mittam in Babyloniam ventilatores et ventilabunt eam et demolientur terram eius.

GROSSALMOSENIER
mit halbgeöffneten Augen.

Hier ist, was sie das Licht des Tages nennen. Eine fahle Finsternis. Lies aus dem Guevara. Hier ist ein Blumengarten – ein Gallert, bunt und stinkig. Er schließt die Augen.

CHOR.
Et demolientur terram eius! Et cadent interfecti in terra Chaldaeorum.
JUNGER BRUDER
liest aus dem Buch.

Fahr hin, Welt, denn auf dich ist kein Verlaß, dir ist nicht zu trauen; in deinem Haus weset das Vergangene nur mehr als ein Gespenst, das Gegenwärtige zergeht uns als ein morscher und giftiger Pilz unter den Händen, das Zukünftige pochet immer an als eine Räuberfaust um Mitternacht, und in hundert Jahren schenkst du uns kaum eine Stunde wahrhaftigen Lebens.

GROSSALMOSENIER.

Nicht eine Stunde wahrhaftigen Lebens! Er schlägt die Augen auf, gewahrt den Bettler, winkt ihm lebhaft. [290] Sieh da, welch ein Gast ist über unsere Schwelle getreten! König beziehts auf sich, will vortreten, Großalmosenier ohne ihn anzusehen winkt ihm verächtlich ab, wie einer eine Fliege scheucht.

HÖFLINGE
fahren auf.
Ha!

König winkt ihnen sich zu bezähmen.
GROSSALMOSENIER
zu dem Bettler in gespannter Teilnahme.

Wie geht es dir, mein Teurer? und woher lenkt sich dein Schritt? und wirst du nun bei uns bleiben, zumindest einen Tag und eine Nacht?

BETTLER.

Sorget nicht für den Tag, den ihr den morgenden nennt, denn vor dem Herren ist kein solcher, sondern alles steht vor ihm als ein Augenblick, unteilbar.

GROSSALMOSENIER
zu den Mönchen.
Horchet auf ihn!
BETTLER
schweigt.
GROSSALMOSENIER.
Führet mich zu ihm, wenn er nicht zu mir kommt, daß ich ihn küsse und seinen Segen empfange.

Will auf, von den Mönchen unterstützt.
BETTLER.
Unwert!

Entspringt.
CHOR.
Et demolientur terram eius! Et cadent interfecti in terra Chaldaeorum.
GROSSALMOSENIER.
Lies im Guevara, solange Licht ist. In der Finsternis sehe ich Gesichte: Wahrheit.
JUNGER BRUDER
hebt das Buch um zu lesen.
Fahr hin, Welt, in deinen Palasten dient man ohne Bezahlung –
KÖNIG
tritt an den Großalmosenier heran.
Herr Kardinal, der König von Polen wünscht Euch einen guten Abend.
GROSSALMOSENIER.
Ich höre eine lästige Stimme, die dazwischenfährt von irgendwo. Lies weiter im Guevara.
KÖNIG
tritt zwei Schritte zurück.
JUNGER BRUDER
liest.

Fahr hin, Welt – in deinem Palast dient man ohne Bezahlung, man liebkost, um zu töten, man erlöst, um zu stürzen, man ehrt, um zu schänden, man entlehnt, um nicht wiederzugeben, man straft ohne Verzeihen. In deinem Prunksaal ist eine Bühne aufgeschlagen, darauf spielst du vier oder fünf wüste Szenen, die sind langweilig zu schauen: da wird um Macht geschachert und um Gunst [291] gebuhlt; da werden die Klugen gestürzt, die Unwürdigen werden hervorgezogen, der Verräter mit Gnade angesehen, die Redlichen werden in den Winkel gestellt –

KÖNIG
tritt abermals heran.
GROSSALMOSENIER
mit geschlossenen Augen.
Wer bist du, der sich vordrängt ungerufen?
KÖNIG.
Ich bins!
GROSSALMOSENIER.
Ich höre: Ich. Ich höre das scheußliche Wort des Hochmuts! Sehr stark. Lies laut weiter, Knabe.
JUNGER
Bruder hebt das Buch, um zu lesen.
KÖNIG
schlägt ihm gebietend aufs Buch.

Ich, der König, trete vor meinen alten Ratgeber und klage, klage, klage die Not des Landes. Die Witwen und Waisen ringen die Hände, im Backofen ist das Feuer gelöscht, aber die Flecken und Städtlein brennen lichterloh; die Straßen kann niemand befahren vor Räubern und Mordbrennern, und die Friedhöf haben allbereits die Dörfer aufgefressen.

GROSSALMOSENIER
fährt mit der Hand durch die Luft, als scheuchte er eine Fliege.
HÖFLINGE
murren, wenden sich als wollten sie gehen.
Unerhört! Unwürdiges Schauspiel!
KÖNIG
tritt auf sie zu.
Bleibet, meine Getreuen! Gehet nicht von mir!
EIN HÖFLING
in Wut, aber mit gedämpfter Stimme.
Man sollte ihn aus dem Sessel reißen und das Maul an die Erde drucken!
KÖNIG.

Ich will den Städten ihre Freiheiten nehmen! ich will die Juden aus meinem Schutz stoßen, und alles soll in eure Hände gegeben werden, wie es zu Zeiten Unserer Vorfahren war.

HÖFLINGE
beugen ihre Knie, küssen ihm Hände und Saum des Gewandes.
KÖNIG
lächelt.
Ah, meine Getreuen! so ist doch die befruchtende Wärme noch nicht ganz von diesen Händen gewichen!
GROSSALMOSENIER.
Lies im Guevara. Ich bin müde, daß noch immer Tag ist.
[292]
JUNGER BRUDER
liest.

– da wird der Aufrichtige in den Winkel gestellt und der Unschuldige verurteilt. Da ist für den Herrschsüchtigen Kredit und für den Redlichen ist kein Kredit. –

GROSSALMOSENIER.

Schales Zeug! wie laues Wasser! Da ist – und da ist – und da ist! Mit gewaltiger Stimme, indem er sich hebt und die Arme in die Luft wirft. Nichts ist! nichts ist! nichts ist als das unerbittliche Gericht und die Sonderung der Spreu von dem Weizen.


Stille, der Gesang hat aufgehört.
Großalmosenier sinkt von der Anstrengung erschöpft im Stuhl zusammen, mit geschlossenen Augen.
KÖNIG
zu den Höflingen.

Tretet alle hinweg. Wendet euch ab. Es muß sein. Geht hin, fällt vor dem Großalmosenier auf die Knie. Du mußt mich hören!

GROSSALMOSENIER
sieht ihn lange durchdringend an.
Ich kenne den Herrn nicht! Lacht lautlos.
KÖNIG.

Kardinal Großalmosenier! Großkanzler der Krone! Großsiegelbewahrer des Reiches! das erhabene Königreich liegt vor dir.

GROSSALMOSENIER
lacht noch stärker, aber lautlos.
Ah! sags noch einmal! Ah, was ist denn das: das erhabene Königreich?
KÖNIG.
Hast du Unser Siegel geführt? Hast du Unser Richtschwert geführt? Jetzt brauchen Wir dich!
GROSSALMOSENIER.

Schrei nicht eitel! Das Wort eitel hat zweierlei Sinn; einmal heißt es: prahlen vor sich selber, Zuschauer sein sich selber, geistige Buhlerei treiben mit sich selber, – zum zweiten heißt es: nichtig, für nichts, im Mutterleib verloren. – Eitel war dein Getanes, dein Gedachtes, dein Gezeugtes – von dir selber im Mutterleib vereitelt.

KÖNIG.
Vater straf mich, aber verlaß mich nicht!
GROSSALMOSENIER.

Vater? Das ist ein furchtbares Wort. Nimmst du wirklich das Wort in den Mund? Vergeht dir nicht die Zunge, indem sie den unausdenklichen Geschmack davon schmeckt?

[293]
KÖNIG
sich halb aufrichtend, leise.

Ich habe meinen einzigen Sohn von mir getan, – dahin wo ihn die Sonne nicht bescheint! – Diese Tat und alle Taten habe ich getan unter deiner Gewalt. Du hast mir gezeigt: eine heilige Ordnung, gesetzt von Gott. Die heißest du mich schützen, und in ihrem Dienst waren wir verbunden.

GROSSALMOSENIER.

Wo war deine Menschheit, die sich hätte verbinden können mit der meinigen? Denn ein Mensch fängt dort an, wo ein viehisch gelüstender Leib überwältigt ist und unter die Füße gebracht von Wesenheit. Das war nicht deine Sache. Dein Wollen sitzt unter dem Nabel und dein Unvermögen in der Herzgrube; unter deinen Haaren war die Bosheit, und der stinkende Hochmut ist dir durch die Nase gegangen: so warst du ein Leib und hast gewuchert mit deinem Leib, und an deinem Leib wirst du gepackt werden. Du hast ins Fruchtfleisch gebissen, das duftend war und weich: jetzt aber beißest du in Holz: dazu ist die Stunde gekommen.

KÖNIG
stark, aber mit gedämpfter Stimme.

Ist die böse Stunde gekommen? und ist es darum, daß du mich verlassen hast mit einer Umarmung und mich ausgeliefert hast mit einem Seitensprung, du Judas? So komme mein königliches Blut über dich, und alles Blut, das fließen wird und darin sie waten werden bis an ihre Knie!

GROSSALMOSENIER
lächelt.
Es steht geschrieben: der verdorbene Mensch liebt nicht den, der ihn strafet!
KÖNIG
sieht ihn scharf an.

Du Basilisk, daß ich aus dir herausreißen könnte die Wahrheit! denn immer hast du das Letzte vor mir verborgen, wie die boshafte Stiefmutter vor der armen Waise.

GROSSALMOSENIER.
Die Wahrheit, die da ist hinter allem Scheine, wohnt bei Gott.
KÖNIG.
So ist es Gott oder Satan, der durch die Sterne redet? Antworte mir!
GROSSALMOSENIER
sieht ihn an.
KÖNIG.
Oder lügen die Sterne?
GROSSALMOSENIER.
Wer sind wir, daß sie uns lügen sollten?
KÖNIG.

Aber es ist prophezeit: er wird seinen Fuß auf meinen [294] Nacken setzen, bei hellichtem Tag und im Angesichte meines Volkes.

GROSSALMOSENIER.

Aber du wirst wackeln mit dem Steiß vor ihm, wie ein Hund vor seinem Herren, und wirst begehren das Schlachtermesser zu küssen mit dem er dich abtut!

KÖNIG.

Verhöhnst du mich? Glaubst du nicht an die Prophezeiung? Antworte mir! Wie können sie gesehen haben, was nicht ist? wo ist der Spiegel, der auffängt, was noch nirgend gewesen ist?

GROSSALMOSENIER.

Recht so! Halte dich an das, was deine Augen sehen, und ergetze dich mit Ehebrecherinnen und Jagdhunden! – Aber ich sage dir: es gibt ein Auge, vor dem ist heute wie gestern und morgen wie heute. Darum kann die Zukunft er forscht werden und es steht die Sibylle neben Salomo und der Sterndeuter neben dem Propheten.

KÖNIG
vor sich.

Ich war unfruchtbar, so viele Jungfrauen und Weiber ich erkannte, und es wurde gesagt: fruchtbar im Brachmond an der Königin, und meine Königin wurde guter Hoffnung im Brachmond. Es wurde gesagt: er kommt, wie einer, der die Türen einrennt, denn er ist ein Gewalttäter von Anbeginn, und das Kind wurde geboren und es zerriß der Mutter den Leib, widerstrebend der weisen Frau und dem Arzte. – Er wollte da sein, nackt aus dem Nackten, blutig aus dem Blutigen, tödlich aus dem Tödlichen, und wahrmachen die Prophezeiung vom ersten Schrei an. –

GROSSALMOSENIER.
Aber es ist dein Kind, gewonnen in heiliger Ehe!
KÖNIG.
Fleisch von meinem Fleisch, du sagst es!
GROSSALMOSENIER.
In der Ehe, vergleichbar dem Geheimnis der Kirche zu ihrem Herrn und Meister.
KÖNIG.

Und ich habe ihn nie gesehen und muß mich gegen ihn verbergen, mit Riegeln und Ketten und Spießen und Stangen!

GROSSALMOSENIER
mit einem undurchdringlichen Ausdruck.
Es entflieht keiner der großen Zeremonie, der König aber und der Vater ist in die Mitte gesetzt!
KÖNIG
fällt abermals vor ihm nieder.
Gib Uns Unser Kind zurück! [295] Wir schreien mit gewundenen Händen: gib Uns Unser Kind zurück!
GROSSALMOSENIER.

In Rom hab ich Theaterspielen sehen, in einem großen Saale, aber schlecht. Was sie nicht anging agierten sie mit gespreizten Leibern und schleppten gebauschtes Zeug hinter sich drein, wie Schlangenschweife. Jetzt sehe ich einen großen Schauspieler.

KÖNIG
steht aufrecht, beugt sich zu dem Greis, drohend.

Berate mich! Verwende dich bei Gott für mich! Gib mir das Kind wieder – oder nimm sein Blut auf dich. – Ich will Ruhe haben in meinem Gewissen – oder Ruhe in meinem Reich für den Rest meiner Tage. Eines von beiden! eines von beiden!

GROSSALMOSENIER.
Wunderbar gefügt aus zweien Enden ist die Zange und sie arbeiten gegeneinander!
KÖNIG
leiser.

Ich habe befohlen, den Mann herzubringen, der ihn bewacht. Ich will das Kind nicht so leben wissen. Aber meine Hände sollen rein bleiben von seinem Blut. – Ich kann nicht mehr! Tritt du für mich vor Gott! Ich trete hin und her wie ein gefangenes Tier! Ich winde mich!

GROSSALMOSENIER
über ihn hinweg.
Auch die schlaffe Frucht unter der Zange gibt einen Tropfen Öl!
KÖNIG.

Redet Gott mit zwei Zungen? Antworte mir! Lügt Gott? – Wenn ich das Geschöpf unschädlich gemacht habe in einem Turm mit Mauern, zehn Schuh dick, – und der Aufruhr soll zu keinem Haupte gelangen – zu welchem Ende ist dann der Aufruhr gekommen? Sind das Spiegelfechtereien? ist Gott wie der Herzog von Littauen, der sich aufs Blüffen legt und mit falschen Würfeln um Länder spielt? Schaff mit, daß Gott eine deutliche Sprache führt, und ich will handeln nach seinem Willen, als ein christlicher Souverän!

GROSSALMOSENIER.

Gott! Gott! nimmst du das Wort in deinen nassen Mund? Ich werde dich lehren, was das ist: Gott! Du kommst zu mir um Hilfe und Erquickung – und findest, was dich nicht freut. Statt eines vertrauten Wesens, worein du wie in einen Spiegel dich hineintust, als in die Gesichter der vor dir wedelnden Menschen, findest du eine unberührte Miene, vor der dich graust. Ein Etwas spricht mit [296] meinem Mund, aber wie aus dir selbst heraus, auf dich selber zielend; es nimmt dich nicht und es läßt dich nicht los; statt daß du von einem zum andern kommst, buhlend, kommt eines ums andere zu dir: nichts Neues, nichts Altes, abgelebt, doch nicht abgelebt, – öd, lahm, doch wirbelnd. In der Mitte aber mußt du stehen, wie an einen Pfahl gebunden. – Du willst aus deiner Haut, bietest und bietest, Mord sogar bietest du an, aber vergeblich. Ganz leise ist die Hölle in dich hineingewachsen, die da heißt: Verlassen von Gott. – Da ist nichts mehr als dein Leib, den kein Leben mehr lockt. Du kannst nichts mehr, ermachst nichts mehr, bedeckt mit schwächendem Schweiß, zergehend und zugleich Stein; in nackter Not – doch nicht frei. Aber da ist noch etwas: das geht auf vor dir, als wollte es dich verschlingen – du hängst ihm überm Rachen – es verschmäht dich und läßt dich liegen. Du schreist: es ist hinter deinem Schrei und zwingt dich und heißt dich deinen Schrei hören, deinen Leib spüren, deines Leibes Schwere wiegen, deines Leibes Gebärde wahrnehmen, wie Wälzen von Schlangen mit schlagendem End, dein Zergehen einatmen, deinen Gestank riechen: Ohr hinterm Ohr, Nase hinter der Nase. Es verzweifelt hinter deiner Verzweiflung, durchgraust dich hinter deinem Grausen, und entläßt dich nicht dir selber, denn es kennt dich und will dich strafen: Das ist Gott!


Er sinkt zusammen, mit geschlossenen Augen.
KÖNIG.
Deinen Rat will ich! deinen Rat!
GROSSALMOSENIER
öffnet ein Auge, lacht lautlos.
KÖNIG.
Ihr, meine Vasallen! Hilft mir niemand gegen diesen Satan und Verräter!

Höflinge wenden sich, tun einen Schritt gegen den Großalmosenier.
GROSSALMOSENIER
richtet sich auf, starrt sie an.
KÖNIG.

Heran meine Getreuen, faßt ihn an! Mein Herr Minister ist Uns Rat schuldig und will Uns sein Schuldiges veruntreuen. Ihr habet gehört, daß er noch einen gewaltigen Atem hat. Traget ihn, wenn er nicht gehen kann, in Unsere Burg! er soll im Staatsrat präsidieren! Ich will aus ihm herausholen, was zu holen ist, denn es ist Not an Mann und [297] Wir sind der anschlägigen Köpfe bedürftig! Auf und fasset!


Höflinge mit einem Sprung heran. Mönche heben abwehrend die Hände. Großalmosenier liegt wie ein Toter.
GESANG.
Ecce ego suscitabo super Babylonem quasi ventum pestilentem.
EINER DER HÖFLINGE
dem Großalmosenier am nächsten.

Es wäre mir eine auserlesene Lust, ihn mit dem Messer in der Seite zu kitzeln bis er Eurer Majestät willfährig wäre, aber ich sehe, es ist eine halbe Leiche, und da geht mich ein Grausen an.

KÖNIG
kehrt sich weg.
Hebet ihn weg.

Mönche nehmen den Großalmosenier auf und tragen ihn ins Haus. Es pocht draußen.
Pförtner schließt auf, läßt den Woiwoden von Lublin eintreten und Julian, hinter ihnen Anton.
JUNGER KÄMMERER
tritt auf den König zu, beugt sein Knie und meldet.
Der Woiwod von Lublin.
WOIWOD
tritt vor den König, beugt sein Knie.

Vergebe Deine Hoheit die Verspätung. Die Straßen sind verlegt von Rebellen. Zamosk brennt. Sie haben mir ein Drittel meiner Leute vom Pferd gerissen. Wir haben uns durch die Wälder ziehen müssen. Hier bringe ich den Edelmann, der den einsamen Turm befehligt.

JULIAN
tritt vor, kniet vor dem König hin.
KÖNIG.
Dieser? sein Wächter? Er tritt argwöhnisch zurück.
JULIAN
bleibt knien.
KÖNIG.

Wir erinnern uns gnädig früherer Begegnung. Reicht die Hand zum Kuß, winkt aufzustehen. Wir sind gewärtig, dich klagen zu hören. Es ist ein tobender Simson, den wir dich bewachen hießen! Wir werden zu belohnen wissen. – Aber wir fürchten, in deinem Aug das Spiegelbild eines unnatürlich wütenden Dämons zu gewahren.

JULIAN
aufstehend, aber mit gebogenem Knie.
Es ist ein sanfter, schöner, wohlgeschaffener Jüngling.
KÖNIG.
Voll Haß im Innern? wie ein Schwamm vollgesogen mit Gift?
[298]
JULIAN.
Arglos. Ein weißes unbeschriebenes Blatt.
KÖNIG.
Menschlich? ein Mensch? Ah!
JULIAN.
Oh! gefiele es dem undurchdringlichen Ratschluß –
KÖNIG
runzelt die Stirn, tritt zurück.
JULIAN.
– den Jüngling einer Prüfung zu unterziehen –
KÖNIG
tritt noch einen Schritt zurück.
JULIAN.

Man ließe ihn, bestünde er sie nicht, in ewiger Kerkernacht wiederum verschwinden. Für den Unglücklichen wäre es wie ein kurzer Traum mitten im dumpfen Schlaf.

KÖNIG.
Der Traum einer Nacht? Kühn – und zu kühn!
JULIAN
schnell.

Nicht zu kühn – durch Handeln wird uns die Welt zur Welt. Er hat nie gehandelt: er kennt nur Schatten und Bilder, nur Träume!

KÖNIG.
Zu kühn! Wer könnte sich verbürgen –
JULIAN.
Ich! Euer Majestät für alles! mit diesem Kopf!
KÖNIG
lächelt.

Ein offenherziger, mannhafter Edelmann! und ein Berater! solch ein Berater! – es ist vielleicht der Ariadnefaden in der Dunkelheit des Labyrinths, den deine Hand Uns reicht – noch wissen Wir nicht, ob ihn zu ergreifen die Umstände Uns gestattet werden. Wir werden Uns bedenken. Du gibst Uns die Regsamkeit der Gedanken wieder. Ein großes Geschenk! – Er winkt ihn ganz nahe zu sich. – Wie viele Jahre waltest du des schweren Amtes?

JULIAN.
Zweiundzwanzig Jahre weniger einen Monat. Sein Alter.
KÖNIG.

Beispiellos! lernet, meine Großen, lernet was Hingabe ist. Dieser gute Edelmann dient Uns seit Zweiundzwanzig Jahren fern Unseren Augen an einem abgelegenen und wüsten Ort mit jedem Tropfen seines Blutes. Es rührt mich. Er wischt sich die Augen mit einem Tüchlein. Mein Herz ist schlicht und jedem Guten offen, wie eines Kindes. – Zweiundzwanzig Jahre. Wir waren vierunddreißig und Unsere Königin eine Fürstin von zwanzig Jahren, schöner und erhabener als Worte es malen können. Zweiundzwanzig Jahre!

[299]
JULIAN
beugt sich über die dargereichte Hand, er hat gleichfalls die Tränen in den Augen.
Sie sind in diesem Augenblick ausgelöscht.

Anton nähert sich von hinten, unmerklich, spitzt seine Ohren.
KÖNIG.

Das Wiedersehen hat Uns sehr bewegt. Es sind deine Arme, die Unseren Verwandten betreuen. Er zieht ihn an sich, mit der Gebärde einer Umarmung. Wie würden Wir es ertragen, ihn selbst – Sein Gesicht verändert sich, aber nur für einen Moment. Wir wollen an ein teures Grab hier nahebei. Zu Julian. Unsere hochselige Königin liegt hier. – Der Pförtner soll Uns begleiten, niemand sonst. Nach einem inbrünstigen Gebet treten Wir wieder unter euch.

HÖFLINGE
verneigen sich.
KÖNIG
schon im Gehen, tritt noch einmal auf Julian zu.

Die Nähe eines treuen Mannes, welch ein Schatz! Berater! Tröster! Du hast mir das Leben wiedergegeben. Winkt Julian vertraulich zu. Er folgt Uns an Hof Wir haben viel mit Ihm vertraulich zu beraten.


Julian neigt sich tief. König winkt dem Pförtner und verschwindet hinten zur Linken. Höflinge treten zu Julian heran. Anton trachtet unauffällig seinem Herrn immer näher zu kommen.
EINER DER HÖFLINGE
unter einer leichten Verneigung.

Wir sind nahe Verwandtschaft. Euer Gnaden Großmutter war meines Herrn Großvaters Schwester. Ich wollte nicht hoffen, daß Euer Gnaden dessen wäre uneingedenk worden in den Jahren, da man Sie nicht bei Hofe gesehen hat.


Anton spitzt die Ohren.
JULIAN
neigt sich leicht.

Wie wäre ich so großer Verwandtschaft uneingedenk worden? Ich hatte alle Zeit Muße, über meinen Stammbaum Betrachtungen anzustellen.


Anton lächelt.
EIN ZWEITER
ebenso.
Trete der Herr mit mir in mein Haus, in welchem Er über alle zu gebieten!
ZWEI ANDERE
ebenso.

Gebe der Herr uns Seine Protektion. Wir ersterben des Herrn bereitwilligste und verpflichtetste Diener!

[300]
JUNGER KÄMMERER
an Julian herantretend, mit einer tiefen Verneigung.
Bacio le ginocchia di Vostra Eccellenza!

König kommt zurück, steht rückwärts. Höflinge rangieren sich; bitten mit Gebärden Julian, einen vorzüglichen Platz in ihrer Mitte zu nehmen. Julian, indem er unter sie tritt, wirft über die Schulter einen Blick auf Anton. Anton bekreuzigt sich, wie zu Tode erschrocken.
Alle gehen.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Im Turm. Fünfeckiges Gemach mit engem vergitterten Fenster. Hinten in einer Ecke eine kleine eiserne Tür. An der Wand ein großes Kruzifix. Eine hölzerne Bank, ein Eimer, ein Waschbecken. Im Hintergrund auf halbverbranntem Stroh sitzt Sigismund. Er trägt einen reinlichen Anzug aus Zwilch und hat nackte Füße, aber ohne Ketten. Man hört von draußen aufsperren.

ANTON
tritt herein.

Aufgeschaut, Sigismund, der Toni ist zurück. Ja, wo war denn der Toni? das möchtest gern wissen. Ist keine Zeit zum Erzählen. Gründlich gemacht wird. Er nimmt einen Besen, der nächst der Tür lehnt, sprengt aus dem Eimer Wasser auf den Boden und fängt an auszukehren.

SIGISMUND
sieht auf ihn, schweigt.
ANTON
im Kehren.

Kriegst einen Besuch oder gar ihrer mehr. Er schnuppert in die Luft. Was ist das? hast gezündelt im Stroh? Bist leicht zwei Jahr alt, oder zweimal zehn und zwei dazu? Versteckst deine Händ? Da schau! Brandstifter! Sollen wir dir die Händ in eine hölzerne Geigen sperren? Mächtig viel Stroh verbrannt, Reiser, alles! – Gnad dir Gott, wenns ein Wächter bemerkt hätt. – Was hast getrieben und zu welchem End?

SIGISMUND
antwortet nicht.
[301]
ANTON
sanfter.
War dir, du wärst ein Köhler? Köhlers Kunst ist Feuer niederhalten, nicht anfachen! Gib Antwort!
SIGISMUND
schüttelt den Kopf.
ANTON
hat wieder zu kehren angefangen.
Hast gemeint, du wärst ein Schmied? Blasbalg treten, Eisen schlagen? willst so hoch hinaus?
SIGISMUND
schüttelt wieder den Kopf.
ANTON
hält inne mit dem Kehren.

Bald dus nicht sagst, wird der Toni schiech. Freut dich das Böse? Bist ein Teufel? Ein Sotek bist! Ein Spirifankerl. Fledermauskrallen werden dir wachsen!

SIGISMUND
hebt stumm flehend die Hände.
ANTON.

Also sags. Du sollst reden mit mir. Reden ist Menschheit. Wenn die Viehheit reden könnt, wären Wolf und Bär die Herren, täten kommandieren auf der Welt. An der Red erkennt man den Mann. – Hast wollen schlafen gehen, Licht auslöschen? – du hast vergessen wie man tut, hast den Kien ins Stroh gesteckt, hast gemeint, so löscht man ihn aus? Darauf hast dir einen Schippel Haar ausgerissen, haben gebrannt lichterloh und gestunken wie dem Teufel sein Huf? Ja?

SIGISMUND.
Groß war mein Feuer!
ANTON.

O du gspaßiger Vogel! wie deine Haar verbrannt waren, hast das Gewand ausgezogen, dem Lohfeuer nachgeschmissen, hast geschrien: Feuer, zieh die Hosen an, damit dich niemand glanzen sieht!

SIGISMUND
schnell.
Mein Vater war im Feuer.
ANTON.

Wie hat er denn ausgeschaut? Ein Feuergesicht, ein rauchiger Mantel, ein blaulodernder Bauch und glühende Schuh?

SIGISMUND
sieht weg.
Mein Vater hat kein Gesicht!
ANTON.

Feuernärrischer Lapp, einen Tunker hast gmacht am Stroh, und die Glut hat dir die Haar versengt: geträumt hat dir das Übrige.

SIGISMUND.

Mir hat nicht geträumt! Das Feuer war da und ich war da, so hab ich das Feuer gesehen und das Feuer hat mich gesehen!

ANTON.

Du Fledermaus! [302] Sprengt geweihtes Wasser über ihn aus einem kleinen bleiernen Becken, das unterm Kruzifix an der Mauer hängt. Aufräumen jetzt! Bist ein Mensch? der grauste sich, wenn ein Zimmer ausschaut wie dem Teufel seine Bettstatt.

SIGISMUND
angstvoll.
Anton, was ist denn das: ein Mensch wie ich ein Mensch bin?
ANTON
gießt ihm Wasser ins Becken.

Da, wasch dir dein Gesicht, so kommst auf andere Gedanken.Man hört die Tür von außen aufsperren. Da hast ein Tüchel. Wirft ihm ein bunt baumwollenes Tuch zu, Sigismund wischt sich ab. Und jetzt! da schau hin! heimgsucht wirst! das ist jetzt ein fideles Gefängnis. Geht bald zu wie in einem Taubenschlag.


Von außen ist die eiserne Tür geöffnet worden. Eine Bauernfrau, Sigismunds Ziehmutter, ist eingetreten, bleibt unweit der Tür stehen. Sigismund kehrt sein Gesicht gegen die Wand.
BÄUERIN
tritt näher, zu Anton.
Ist derselbige krank? weiß er nichts von sich?
SIGISMUND
verbirgt Kopf und Hände im Stroh.
BÄUERIN.

Sieben Jahr hab ich ihn nicht gesehen. Ists wahr, daß ihm Krallen gewachsen sind? glühende Augen, wie bei einem bösen Nachtvogel?

ANTON.
Gelogen! zeig deine Händ, Sigismund. – Dort ist er, schau Sie!
SIGISMUND
faßt sich.
Mutter, bist du zu mir gekommen?
BÄUERIN
tritt zu ihm.
Dein Haar ist wirr. Wo hast du deinen Kamm? Gib ihn mir, daß ich dich kämme.
ANTON
reicht ihr aus einer Wandnische einen bleiernen Kamm.
BÄUERIN
kämmt Sigismund das Haar.

Ebenbild Gottes, halt auf dich. Weißt nicht mehr, wie die Bäuerinnen durch den Zaun gespäht, wegen deiner weißen Wangen, rabenschwarzen Haare? Milch und Honig vor die Tür gestellt, ich dich hab verstecken müssen, Fensterladen zurammeln! Streng war das Verbot!

SIGISMUND.
Wo ist der Mann?
BÄUERIN.

Der Ziehvater ist tot seit vier Jahren. Bet mit mir für [303] seine Seele: Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnaden. – Hast mich verstanden. Bet mit mir. Siehst ihn nie wieder.

SIGISMUND.

Ich seh ihn recht oft. Erst vorige Nacht. Er liegt hinterm Ofen in einer ganz finsteren Kammer. Ist das die Hölle wo sie liegen, auf feurigen Betten, ihnen mit Angelhaken die Zunge aus dem Mund gerissen wird? – oder sind wir schon hier in der Hölle?

BÄUERIN
greift nach ihrem Rosenkranz.
Bet mit. Bet um Erleuchtung.
SIGISMUND.

Ich möchte wohl, aber es läßt mich nicht. – Ich brings nicht auseinander, mich und das andere. Es wächst mit mir zusammen. Unken und Asseln, Mauern und Türm. Es ist alles bald groß bald klein, daß mir schwindelt. Ein Strohhalm wie ein Balken legt sich auf meine Seel, zerquetscht sie. Einen Turm, einen Berg blas ich vor mir hin wie Staub, so – ist meine Seele so stark?

BÄUERIN.

Deine Seele ist ein Web aus reinem unverlöschlichem Licht, so wie das Linnen, das gebunden war an seinen vier Zipfeln, darin das Gewürm war und die Tiere der Erde. Bind es auf, fällt das Getier heraus, das weiße Tuch aber bleibt rein und fährt leuchtend wieder hinauf zum Himmel, von da es heruntergehalten worden ist.

SIGISMUND.
Wo ist aber meine Seele?
BÄUERIN.
Wie denn, wie fragst du da?
SIGISMUND.

Ich frag recht. – Weißt du noch das Schwein, das der Vater geschlachtet hat, und es schrie so stark und ich schrie mit – und wie ich dann kein Fleisch hab anrühren können, und hättet ihr mir mit Gewalt die Zähn aufgebrochen, auch nicht. Dann ist es an einem Kreuzholz gehangen, im Flur an meiner Kammertür; das Innere so finster, ich verlor mich darin. – War das die Seele, die aus ihm geflohen war in dem letzten schrecklichen Schrei? und ist meine Seele dafür hinein in das tote Tier?

BÄUERIN.
Du sprichst nicht recht. Bet mit mir: Vater unser, der du bist in dem Himmel –
SIGISMUND.

Mutter, nimm mich zu dir! dein Gesicht ist wie ein Apfel und auch wieder erdig, deine Augen wasserhell wie [304] Ewiges. Nimm mich zu dir hinüber: denn wo bist du und wo bin ich?

BÄUERIN.

Wir sind vereinigt an einem leiblichen Ort, und wenn du mit mir betest, dann sind wir auch geistlich an einem Ort.

SIGISMUND.
Du bist nicht meine Mutter dem Fleisch nach, so hörst du nicht meine Stimme, die zu dir ruft!
BÄUERIN.
Ich höre deine Stimme.
SIGISMUND.

Nicht die wahre, die wird nicht gehört mit diesen Ohren, sondern die wird gehört von der Mutter zum Kind mit Ohren, die unter dem Herzen sind. Wo ist meine Mutter dem Fleische nach? warum hilft sie mir nicht? wo ist mein leiblicher Vater, daß er mich im Stich läßt! da er mich doch gemacht hat! Ich recke die Hände und schreie nach ihm: Vater!

BÄUERIN
zeigt aufs Kruzifix.

Da ist dein Vater und dein Erlöser! Sieh hin auf den! – drück dir sein Bild ins Herz, das Herz ist weich, das Bild ist hart, drücks ein, wie einen Stempel und Prägestock!

SIGISMUND
sieht lange hin, ahmt die Stellung nach, mit ausgebreiteten Armen; dann läßt er die Arme sinken.

Ich brings nicht auseinander, mich mit dem und aber mich mit dem Tier, das aufgehangen war an einem queren Holz und ausgenommen und innen voller blutiger Finsternis. Mutter, wo ist mein End und wo ist dem Tier sein End?

BÄUERIN.
Hab dein Leiden lieb! reiß' heraus aus dir und Opfers Ihm auf unter seine blutigen Füß!
SIGISMUND.
Ich kann mein Leiden nicht ausreißen aus mir! ist alles eins mit mir! bleibt dann nichts drin!
BÄUERIN.
Du mußt können! Schau an seine brechenden liebevollen Augen –
SIGISMUND
schließt die Augen.
Kanns nicht sehen. In mir ist rotes Feuer und Finsternis. Er soll mir helfen!
BÄUERIN.

Auf die Augen! Schau hin! verlassen vom Vater im Himmel! Mit Dornen gekrönt, mit Ruten geschlagen, ins Gesicht gespien die Kriegsleut! erschau das!

SIGISMUND.

Umgekehrt! hat frei herumgehen dürfen! auf einem Schiff fahren! Hochzeit mitessen! Burg einreiten aufm Palmesel und alle gejubelt um ihn!

[305]
BÄUERIN.

Schau hin, Bock du, widerspenstiger! Dahin hat ihn 's Schiff gefahren! dahin hat ihn die Eselin getragen! Nägel durch die Händ! die Knöchel durchschlagen! den Leib angestochen! Auf die Augen! Fest die Augen auf ihn! an ihn denken bei Tag und Nacht oder du gehst verloren!

SIGISMUND
verhält sich die Augen mit der Hand.
BÄUERIN
tritt hart an ihn.
SIGISMUND
schreit auf.
Mutter, erzürne mich nicht! Ah!
BÄUERIN
tritt zurück.
SIGISMUND.
Keinen Leib an meinen Leib! Messer und Ketten, Prügel und Stein, aber keinen Leib.
BÄUERIN
faltet ihre Hände, betet.

Ihr heiligen vierzehn Nothelfer, ihr starken Kämpfer und Diener Gottes, wunderbar in der Kraft, fest in der Beständigkeit des Glaubens, stehend vor Gottes Thron, verherrlichet und gekrönt mit goldenen Kronen, fahret herbei, diesem zu Hilfe, tuet ab von ihm gefletschte Zähne, geballte Fäuste, lieber lasset die Hände abfallen, die Füße lahmen, die Augen erblinden, die Ohren ertauben und bewahret seine Seele vor der Gewalttat und dem Übel. Amen.

SIGISMUND
still wie zuvor.

Mutter, du bist nicht meine Mutter, aber ich war dir anvertraut und du hast mir Essen gegeben anstatt meiner Mutter – du wendest dich und gehst von mir fort? Weißt du denn, was geschehen wird mit mir?


Hinten ist die Tür abermals aufgesperrt worden und Julian ist eingetreten. An der Tür wird eine andere Person sichtbar, die wartet. Bäuerin neigt sich, küßt Julian den Rock.
JULIAN
bleibt stehen.
SIGISMUND
flüchtet auf sein Strohlager.
Anton! schau hin! da ist mein Mörder über die Schwelle getreten!
JULIAN.
In der Art ist er gesänftiget? Hat das Weib nichts Besseres vermocht? und du –
ANTON
halblaut zu Sigismund.

Meinen Herrn darfst nicht schelten! Das wär halt keine Manier. So was darf man sich nicht einmal im Stillen denken, geschweig denn herausschreien.

JULIAN
tritt näher.

Sigismund, ich bin zu dir gekommen. Winkt, Anton gibt ihm einen niedrigen Holzstuhl ohne Lehne, auf den er sich setzt. [306] Ich komme, um dir Freude zu bringen, Sigismund. Achte gut auf das, was mein Mund jetzt spricht: du hast eine schwere, lange Prüfung überstanden. Fassest du meine Rede?

SIGISMUND
zittert, sagt nichts.
JULIAN.

Du hast viel ausgestanden. Dein Leben war hart und einsam. Zuzeiten hat Angst und Kummer dein Gemüt verstört. Aber die Prüfung, habe ich mir sagen lassen, hat dich nicht töricht gemacht, sondern weise.

SIGISMUND
verbirgt seine Hände unter den Zwilchärmeln.
JULIAN.
Achtest du auf mich?
SIGISMUND.

Du bist oberste Gewalt über mir, vor dir zittere ich. Ich weiß, daß ich dir nicht entrinnen kann. Er verbirgt unwillkürlich seine Hände. Ich sehe auf deine Hände und deinen Mund, damit ich wohl verstehe, was du willst.

JULIAN.

Gewalt ist von oben verliehen. Von einem Höheren als ich bin, merke wohl. Ich war aber dein Retter. Heimlich goß ich Öl deiner Lebenslampe zu; durch mich allein ist noch Licht in dir. Das merke dir. Dünke ich dir so fremd, Sigismund? Hab ich dich nicht einen Winter lang neben mir an einem hölzernen Tische sitzen lassen und vor dir das große Buch aufgeschlagen und darin dir Bild für Bild die Dinge der Welt gewiesen, und sie dir mit Namen genannt und dich dadurch ausgesondert unter deinesgleichen?

SIGISMUND
schweigt.
JULIAN.

Hab ich dir nicht erzählt, von Moses mit den Tafeln und Noah mit der Arche und Gideon mit dem Schwert und David mit der Harfe, von Rom, der großen, mächtigen Stadt und ihren Kaisern, und daß von ihnen unsere erlauchten Könige abstammen? Hab ich dir nicht Begriff gegeben, von Herr und Knecht, von Fern und Nah, von Himmlisch und Irdisch? Antworte mir!

SIGISMUND
starrt zu Boden.
JULIAN.

Hab ich dich nicht erzogen, will sagen: gezogen nach oben, heraus gezogen aus der Tiernatur, die auf die Erde starrt, weil sie gebacken ist aus Leim und Asche und dein Angesicht nach oben gerissen zum Gewölb des Himmels, [307] dahinter Gott wohnt? – Blick auf, gib Antwort auf der Stelle! Oder leugne, wenn du kannst!

SIGISMUND
nickt.
JULIAN.

Ungeheure Wohltat hab ich dir demnach erwiesen. Hineingetreten bin ich in deine Finsternis, wie der Mond, die silberne, gekrümmte Lampe, zu der die Heiden beten. Anbeten solltest du mich dafür nach Recht, niederfallen vor mir und den Zipfel meines Rockes fassen!

SIGISMUND.

Ungleich dem Tier hab ich Begriff von meiner Unkenntnis. Ich kenne, was ich nicht sehe, weiß, was fern von mir ist. Dadurch leide ich Qual wie kein Geschöpf.

JULIAN.

Wunderbarer Vorzug! Danke mir! Preise mich noch mit dem letzten Atemzug! Zum Betrachter der Gestirne hab ich dich gemacht, zum Genossen der Engel! Einen gewaltigen Magier habe ich aus dir gemacht, gleich Adam und Moses! denn ich habe das Wunder der Sprache in deinen Mund gelegt.

SIGISMUND
birgt sich leise stöhnend im Stroh.
JULIAN.

Ha! so liebe ich dich, Sigismund: denn dadurch wird der Mund des Menschen gewaltig, daß er in die Buchstaben seinen Geist eingießt, rufend und befehlend! – Warum stöhnst du?

SIGISMUND.
Ein furchtbares Wort aber ist: das wiegt alle anderen auf!
JULIAN.
Was ist das für ein Wort? wie heißt das Wort? Ich bin begierig, was das für ein Zauberwort ist!
SIGISMUND.

Sigismund! Er fährt sich mit den Fingern über die Wangen und den Leib hinab. Wer ist das: ich? Wo hats ein End? Wer hat mich zuerst so gerufen? Vater? Mutter? Zeig mir sie!

JULIAN.
Deine Eltern haben dich von sich getan. Du warst schuldig vor ihnen.
SIGISMUND.

Grausig ist das Tier. Es frißt die eigenen Jungen, noch feucht aus dem Mutterleib. Meine Augen habens gesehen. Und doch ist es unschuldig.

JULIAN.

Forsche nicht, bis der Vorhang zerreißt. Steh auf dir selber! allein! So hab ich dich ausgestattet! Kriechende und [308] reißende Getiere, an denen dein kindischer Sinn hängt, sind aus der Erde gewirkt, Bäume und Fische aus Wasser, Vögel aus Luft, Sterne aus Feuer, du aus noch reinerem Feuer. Lichtgeist, vor dem Engel knien! Feuersohn, oberster! Erstgeborener!

SIGISMUND.
Warum redest du so groß zu mir? was schwingst du in der Hand, das funkelt und glüht?
JULIAN.

Wonach Hirsch und Adler und Schlange lechzen: daß sie durch Pflanzen und Steine, durch Tränke und Bäder ihr Leben erneuern: denn zweimal geboren wird der Auserwählte. Feuerluft schwinge ich in der Hand, Elixier des neuen Lebens, balsamische Freiheit!

SIGISMUND
schaudert vor dem Fläschchen in Julians Hand zurück.
JULIAN
leise zu Anton.
Sprich ihm zu! Sag ihm von einer Reise!
ANTON.
Hurra! Sigismund! wir machen eine Reis! groß ist die Welt! schön ist die Welt! auf ausm Stroh!
SIGISMUND.
Weh! muß ich für immer ganz ins Dunkle zurück!
JULIAN.
Ans Licht! So nah ans Licht, daß nur ein junger Adler nicht blind wird. – Trink dies.
SIGISMUND.

Du hast mich gelehrt, daß sie Gefangene in einem Trunk vergeben. Sag mir zuvor, wer ich bin, und ich folge dir wie ein Lamm.


Julian ist zur Tür getreten und hat gewinkt. Ein vermummter Diener, der einen Becher trägt, ist eingetreten. Julian nimmt den Becher, gießt aus dem Fläschchen ein, birgt das Fläschchen wieder in seiner Gürteltasche. Der Diener verschwindet.
JULIAN
hält Sigismund den Trank hin.

Du bist du. Dir fehlt die schimmernde Ahnung, was das heißt: Leben. Höre: durch Taten ist die Welt bedingt. Hast du Begriff, was Taten sind? Trink und sieh zu.

SIGISMUND
fällt nieder.
Sag mir, wer ich bin?
ANTON.

Sie werdens dir schon sagen, bald du wo eingetroffen bist! Nur nicht im voraus viel fragen, das macht die Leut aufsässig! Bürst ihn weg, den Trank!

SIGISMUND
weicht zurück.
Ich hab Angst! Ich kenne es seinen Blicken an, daß ich sterben muß, Anton!
[309]
JULIAN.
Genug geredet. Es ist Zeit, daß wir unsere Reise antreten.
SIGISMUND.
Hilf mir, Anton!
ANTON
kniet neben Sigismund nieder.

Nur leben lassen, Euer Gnaden! nur nicht umbringen! ist so ein junges Blut! Man kann ihm einen Maulkorb vors Gesicht hängen, daß er mit niemandem mehr reden kann, nur am Leben lassen, Euer Gnaden!

JULIAN.
Sollen dich die Knechte mit Fäusten packen, dich zwingen zu deinem Heil?
SIGISMUND.

Kommst du mir so? Er steht auf, und verharrt einen Augenblick in tiefem Sinnen, dann. – Ich trinke. Nimmt den Becher und trinkt aus, indem er Julian dabei unausgesetzt ansieht; dann gibt er ihm den Becher zurück. Und ich zieh dich nach, vor Gottes Gericht. Er sieht Julian unverwandt an, sein Gesicht verändert sich. Ah! du! ich zieh dich nach! Nach diesem Aufschrei taumelt er und schließt die Augen. Er geht ein paar Schritte nach hinten und setzt sich auf den Boden.

JULIAN
indem er auf Sigismund hinsieht.
Zieh mich nach auf den Thron!

Anton schneuzt sich. Julian winkt ihn heran, gibt ihm den Becher. Sigismund sitzt auf dem Boden, sein Kopf sinkt gegen die Mauer.
ANTON
läßt den Becher fallen, will hin.
Ich muß ihm den Kopf halten! er soll nicht sterbender am harten Stein lehnen.
JULIAN
hält ihn.
Schweig, Narr! wer redet vom Sterben! der fängt jetzt erst zu leben an.
ANTON.

Schaun doch Euer Gnaden, wie sanft er ausschaut! Kniet bei Sigismund, streichelt ihm die Füße. Sieht denn Euer Gnaden nicht, er hat einen Heiligenschein überm Gesicht! o du heiliger verklärter Marterer du!

JULIAN.
Nichts sehe ich, als die angekündigte Wirkung des Elixiers. Der Trank ist das Honorar wert.

Sigismund schlägt die Augen auf.
ANTON
hei ihm knieend.

Da schaust her! jetzt hat sich der Heiligenschein [310] in ihn hineingezogen, wie die Fetten in einen Krapfen! – Das muß ein Gutes sein, der Elixier. Ich möcht wohl das Becherl ausschlecken.

JULIAN
setzt den Fuß darauf.
Untersteh dich!
SIGISMUND
richtet sich auf, geht gegen vorne.
Welche Versammlung von Gedanken in mir. Mächtig stehen sie in meiner Brust, wie gekrönte Könige.
ANTON.
Jetzt hat der so martialische Gedanken!
SIGISMUND
mit einem lächelnden Ausdruck.

Es glaubt der Mensch, er tue übel an seinesgleichen oder gut: aber wer berührt das Innere? Das ist unberührbar. – Ich habe geklagt, daß mein Vater verborgen sei. Er lacht leise. Mein Vater ist ja bei mir. Der Mensch erkennt schwer, was ihm nahe ist: er sieht die Mauern, aber er sieht nicht, wer mit im Zimmer ist. Hier innen Er kreuzt die Arme über der Brust. sind die vier Enden der Welt; schneller als der Adler flieg ich von einem zum andern, und doch bin ich aus einem Stück und dicht wie Ebenholz: das ist das Geheimnis.

ANTON.
Jetzt redt der Bub so schön, wie ausm Büchl!
JULIAN.
Schweig und ruf die Knechte!
ANTON
geht gegen die Eisentür, die angelehnt ist.
Sind schon da!

Sigismund nähert sich den beiden freundlich, aber nicht als ob er sie erkennte. Zwei vermummte Knechte sind leise eingetreten, halten sich nahe der Türe.
SIGISMUND
zu Julian und Anton, aber wie zu Fremden.

Fürchtet euch nicht in unserer Versammlung, ihr Nichtgestorbenen! und sehet ihr auch Engel, die hinter mir stehen? Engel und Teufel sind eins: sie haben den gleichen heimlichen Gedanken.Er tritt noch einen Schritt vor. Seht ihr auf meinen Mund, daß ich ihn euch sage? Eines Menschen Mund ist wie eine Blume, aber unverwelklich! Aus ihm steigt die Lobpreisung. Der Mensch ist eine einzige Herrlichkeit, und er hat nicht zuviel Leiden und Schmerzen, sondern ihrer zu wenig. Das sage ich euch! Mit veränderter Stimme. [311] Es hebt mich auf. Ganz weg ist alle Furcht. Nur die Füße werden auf einmal so kalt. Wärm sie mir, Anton.

ANTON
bei ihm.
Erkennst mich denn?
SIGISMUND.

Heb sie mir in den feurigen Ofen, darin wandeln singend die Jünglinge, meine Brüder: Herr Gott, dich loben wir! Von Angesicht zu Angesicht! Auserlesen! Er wirft die Hände nach oben. Vater – in deine Hände – Fällt zusammen.


Die zwei vermummten Knechte treten vor.
JULIAN.
Das fürstliche Gewand bereitgelegt? die Schuh, der Gürtel, alles? Ihn einkleiden, ehrerbietig!

Die Knechte nehmen Sigismund auf.
JULIAN
hat seinen Mantel über ihn gebreitet, dann zu Anton.

Den Reisewagen anschirren lassen! Die Eskorte soll bereit sein zum Aufsitzen. Die Wache ins Gewehr treten. Wink draußen aus dem Fenster.


Anton zieht sein Tüchel heraus, läuft hinaus. Die Knechte tragen Sigismund hinaus. Julian folgt. Trompetensignal draußen.
[312]

3. Akt

Der dritte Aufzug

Das Sterbegemach der Königin, in der Königsburg. Im Hintergrund ein hohes Fenster. In der rechten Wand ein Alkoven mit dem Bett, durch einen Vorhang verschließbar. Links vorne ein Oratorium, von welchem man in die Kirche hinabsieht. In der Mitte der linken Wand der Eingangstür gegenüber ein Kamin. Aus dem Oratorium führt eine geheime Tür in einen schmalen Gang, von dem der Anfang noch in der linken Kulisse sichtbar ist. Hier kann man sich aufhalten und durch ein Fenster des Oratoriums unbemerkt in das Hauptgemach sehen. Das Gemach ist karmesinrot ausgeschlagen, desgleichen der Alkoven und das Oratorium. Die Fensterladen sind zu. Im Alkoven brennt ein ewiges Licht.
Der Kastellan sperrt von draußen auf und tritt mit zwei Dienern ein, indem sie nur einen Flügel der Haupttür öffnen. Die Diener öffnen die Holzladen an dem hohen Fenster im Hintergrund: draußen ist heller Tag.

KASTELLAN
mit dem großen Schlüsselbund klirrend.

Das Sterbegemach der hochseligen Königin! Unbetreten durch diesen Haupteingang seit einundzwanzig Jahren. Die ehrwürdigen Schwestern von der Heimsuchung, deren zwei hier von Mitternacht bis Morgengrauen im Gebete verharren, betreten es durch diese kleine Tür, welche durch eine Wendeltreppe, die im Pfeiler verborgen ist, zur Sakristei hinabführt.


Man hört von unten die Orgel und den Gesang der Nonnen. Der Kastellan tritt an den Alkoven, besprengt das Bett mit Weihwasser aus einem silbernen Becken am Eingang des Alkovens, schließt dann ehrerbietig den Vorhang. Man hört draußen die Annäherung von Menschen. Dann das dreimalige Stoßen einer Hellebarde auf den Steinboden. Auf einen Wink des Kastellans eilen die Diener hin und öffnen die Flügeltür sperrangelweit. Der Hof tritt ein; Trabanten, Stabträger, Pagen mit Wachslichtern. Dann der Träger des Reichsbanners mit dem Silbernen Adler, so dann [313] ein Page, der auf karmesinrotem Kissen des Königs Gebetbuch und Handschuhe trägt. Der König, den krummen Säbel umgehängt, seinen polnischen Hut in der Hand. Dicht hinter ihm sein Beichtiger. Hofherren paarweise, zuvorderst Julian allein; hinter den Hofherren vier Kämmerer. Zuletzt der Arzt, mit ihm sein Gehilfe – ein junger Mensch mit einer Brille –, hinter diesem Anton, der ein verdecktes silbernes Becken trägt. – Der König bleibt in der Mitte des Gemaches stehen, hält seinen Hut hin. Ein Page
springt vor, nimmt den Hut mit gebogenem Knie. Der König nimmt seine Handschuhe von dem knieend dargereichten Kissen, zieht den linken an, steckt den rechten in den Gürtel. Die Trabanten und die Stabträger sind rund ums Gemach und wieder zur Flügeltür hinausgegangen, ebenso der Kastellan und die Diener. Die Flügeltür wird geschlossen. Zwei Stabträger nehmen an der Tür innen Stellung. Die Herren stellen sich links, Julian am äußersten rechten Flügel, vor dem Oratorium auf. Der Arzt und der Gehilfe stehen nächst der Tür. Der König tritt auf den Alkoven zu. Ein Kämmerer eilt hin, zieht den Vorhang auf. Ein anderer Kämmerer reicht dem König den Weihwasserwedel. Der König besprengt das Bett, kniet dann nieder, verharrt einen Augenblick im Gebet. Der Beichtiger kniet mit ihm. Der König steht auf, tritt in die Mitte, Beichtiger seitlich etwas hinter ihm. Der Gesang und die Orgel haben aufgehört.
KÖNIG
zum Beichtiger.

Ich habe vor dem Sterbebette meiner seligen Gemahlin für mich gebetet und für ihn. Das kurze Gebet hat meine Seele wunderbar erfrischt. Er winkt den Arzt zu sich. Ihr beharrt drauf, Euch zurückzuziehen?

ARZT.

Eure Majestät hat mir diese einzige Bedingung bewilligt: daß es mir erlassen bleibe, selbst vor das Angesicht des Prinzen zu treten, wenn sich die Nötigung ergeben sollte, nochmals eine Betäubung vorzunehmen. Mein Gehilfe ist von allem unterrichtet, das heißt von den Handgriffen, die nötig werden könnten – nicht von dem Tatbestand. Leiser. Er sieht in dem Prinzen einen geistig Kranken, an dem Eure Majestät um entfernter Verwandtschaft willen Anteil nehmen. Möge alles – Ich habe einen Schwamm getaucht [314] in Essenzen von unfehlbarer Wirkung. Die Betäubung tritt augenblicklich ein, wenn der Duft der Essenz eingeatmet wird, sei es mit Willen, sei es gezwungener Weise. Der Diener dort trägt ihn in einer verdeckten Schüssel. Er war dem Gefangenen vertraut, er kann, wenn es notwendig ist, Beistand leisten. – Mögen diese Vorbereitungen sich als überflüssig erweisen, darum bete ich zu Gott.

KÖNIG.

So beten wir unablässig seit neun Tagen und Nächten. – Ihr seid uns in diesen Tagen sehr nahegekommen. Wir betrachten Eure illustre Person von Stund an als die unseres zugeschworenen Leibarztes.


Reicht die Rechte zum Kuß, der Arzt beugt sich über die Hand. Der Arzt schreitet zur Tür, Stabträger öffnet ihm, der Arzt geht hinaus, an der Tür verneigt er sich nochmals.
KÖNIG.

Stärke mich unaufhörlich mit deinem Rat, ehrwürdiger Vater. – Ich habe mich von meinen Ratgebern überreden lassen. – Ich habe meine weiche menschliche Natur der höheren Einsicht unterworfen.

BEICHTIGER.
Auch die Heilige Schrift –
KÖNIG.

Ich weiß. Auch die Heiden. Selber die Heiden. Es waren die höchsten Beamten in Rom, Königen vergleichbar. Sie standen nicht an, den eigenen Sohn –

BEICHTIGER.
Zweien Söhnen ließ der Konsul das Haupt an einem Tag vor die Füße legen.
KÖNIG.
Zweien! An einem Tag! Was waren seine Argumente? Gegenwart der Argumente ist alles.
BEICHTIGER.
Damit dem beleidigten Gesetz Genugtuung werde.
KÖNIG.
Wie, dem Gesetz? Das Gesetz? Ja –
BEICHTIGER.
Das Gesetz und der Souverän sind eins.
KÖNIG.
Vatersgewalt – der Vater ist der Schöpfer – die Gewalt abgeleitet unmittelbar –
BEICHTIGER.
Von der Gewalt des schaffenden Gottes, dem Quell alles Daseins.
KÖNIG
tritt einen Schritt von den Höflingen weg, zieht den Beichtiger nach sich.

Und die Absolution, wenn ich mich genötigt sehe, ihn dorthin bringen zu lassen wiederum – meinen leiblichen Sohn – wiederum hin, wo die Sonne ihn nicht bescheint –?

[315]
BEICHTIGER.
Du zweifelst? Zur Verhütung unabsehbaren Übels!

Es hat von draußen an der Tür gescharrt.
KÄMMERER
ist hingegangen, spricht mit jemandem durch die halboffene Tür.

Tritt dann zum König, mit gebeugtem Knie. Der Stallmeister ist vor der Tür, der den fremden Prinzen auf seinem Ausritt begleitet hat. Er ist auf kürzerem Wege vorausgeeilt. Der Prinz wird in wenigen Augenblicken in den Burghof einreiten.


König winkt. Stabträger öffnet, läßt den Stallmeister eintreten. Stallmeister eilt zum König, beugt die Knie. König winkt ihm zu sprechen.
STALLMEISTER.

Euer Majestät zu melden: Dieser fremde Prinz ist ein schlechter Redner, dann er tut beinahe den Mund nicht auf, aber das kann ich beschwören, ein geborener Reiter.

KÖNIG.
Ei!
STALLMEISTER.

Er kam vor das für ihn herausgeführte Pferd – und stellte sich zuerst an, als hätte er noch nie den Fuß in einen Bügel gesetzt. Er ließ sich von mir die Zügel in die Hand legen – dann wollte er aufsteigen und setzte den rechten Fuß vorauf, – die Stallburschen lachten – der Fuchs wurde unruhig – da gab uns der Prinz einen Blick wie kaltes Eisen – und dann schwang er sich ohne Bügel hinauf und saß im Sattel und hielt die Sprünge des ungebärdigen Fuchsen aus, wie der fürstlichste Kavalier unter der Sonne.


König sieht Julian an.
JULIAN.
Er ist im Leben nie auf einem Pferde gesessen! Ich war des strengen Verbotes immer eingedenk.
KÖNIG.

Eine Herrschaft über sich selber ohnegleichen! Muß ich nicht die ungeheure Gewalt der Verstellung fürchten?

JULIAN.
Wie, mein gnädiger König?
KÖNIG.

Er würdigt die Personen, die Wir ihm zum Gefolge gegeben haben, kaum eines Blickes, – welche Sprache ist von ihm zu erwarten, wenn er vor Uns tritt?

JULIAN.
Die ehrerbietigste, aber freilich nicht wie sie an einem Hofe gesprochen wird.
KÖNIG.
Sondern?
[316]
JULIAN.

Wie vielleicht die Engel sprechen. Seine Sprache ist Zutagetreten des inwärts Quellenden – wie beim angehauenen Baum, der durch eben seine Wunde einen balsamischen Saft entläßt.


Der Stallmeister zieht sich mit gebeugtem Knie zurück.
KÖNIG
winkt einen der älteren Höflinge zu sich.
Ist der junge Kavalier, der dem Prinzen als Dienstkämmerer beigegeben ist –
HÖFLING.
Graf Adam vom Weißen Berge –
KÖNIG.

Ist ihm eingeschärft, daß er den Fremden durch geschickte Fragen und Anmutungen aller Art, wie zwischen jungen Leuten üblich – dazu verleitet, unvermerkt seine Beschaffenheit zu enthüllen?

HÖFLING.

Der Graf weiß, daß Eure Majestät von verborgener Stelle aus das Gespräch anzuhören geruhen werden, das er scheinbar unter vier Augen mit dem jungen Fürsten führen wird.

KÖNIG
zu Julian, leise.

Der oberste Begriff der Autorität ist diesem Knaben eingeprägt? der Begriff unbedingten Gehorsams? Er sieht ihn scharf an.

JULIAN
hält den Blick aus.

Mein König bedenke, daß der Jüngling diese Welt nicht kennt, so wenig als seine Stellung in ihr. Er kennt ein Höchstes: er hebt seine Augen zu den Sternen und seine Seele zu Gott.

KÖNIG.

Wir wollen hoffen, daß dies genüge. Sehr hörbar. Denn die Welt ist außer Rand und Band und Wir sind entschlossen, das um sich greifende Feuer zu ersticken, – und wenn nötig, in Strömen Blutes.


Die Höflinge, die zuhinterst, dem Fenster zunächst stehen, spähen hinab. Die Pagen drängen sich in der Nähe des Fensters zusammen und suchen unter einiger Unruhe hinunterzusehen. König bemerkt es, sieht hin.
KÄMMERER.

Der Prinz steigt vom Pferde. Graf Adam will ihm den Bügel halten, aber er kommt ihm zuvor. Er wendet sich gegen das Portal und tritt in die Burg.

KÖNIG
zu Julian, sich mit Mühe beherrschend.

Ich will ihn noch nicht sehen. [317] Er führt Julian von den Höflingen weg, nach vorne. Ein großer Augenblick, ein furchtbar entscheidender Augenblick.

JULIAN
fällt auf die Knie.

Seine Worte klingen zuweilen heftig und jäh – bedenke Eure Majestät in ihrer Weisheit und Langmut: das Wesen hat nie einen Freund gehabt.

KÖNIG.
Auch ich habe nie einen Freund um mich gehabt.
JULIAN
auf den Knien.
Sein junger Fuß hat nie einen Schritt getan, ohne eine schwere hündische Fessel!
KÖNIG.
Auch ich, Graf Julian, habe nie einen freien Schritt getan.
JULIAN
auf den Knien.
Sei langmütig, großer Fürst, mit dem Geprüften!
KÖNIG
sieht ihn an.

Sei du für immer sein Berater, mein weiser Julian, milder ihm, als der meine mir!Er nimmt eine goldene Kette mit dem Weißen Adler in Edelsteinen vom Hals und hängt sie ihm um, und spricht dazu. Sic nobis placuit.


Reicht Julian die Hand zum Kusse, hebt ihn auf. Man hört nun wieder die Orgel, aber ohne Gesang. Auf ein Geräusch an der Tür ist der eine Kämmerer hingegangen und hat währenddem mit dem Draußenstehenden gesprochen. Dann steht er und sieht auf den König. König winkt ihn heran.
KÄMMERER.
Der Prinz begehrt in ein inneres Gemach und zu ruhen.
KÖNIG.
Was spricht er?
KÄMMERER.
Kaum ein Wort, keine Frage. Nur dies sagte er, was ich melde.

König nickt.
BEICHTIGER.
Er begehrt in seines Vaters Haus. Ducunt fata volentem.

Die Orgel schwillt etwas an, ohne sehr laut zu werden.
KÖNIG
wirds gewahr.
Was ist dies? Aus der Kirche herauf? Man heiße dies einstellen –
JULIAN.

Lasse mein König dies gewähren. – Seine Seele ist für Töne empfänglich und – bedenken in Gnaden! – er hat nie eine andere Musik gehört als die rauhe Trommel oder die schneidende Trompete!

[318]
KÖNIG
winkt einen der Höflinge zu sich.
Versammle den Hofaußen.

Die Stabträger öffnen die Tür, die Pagen laufen ab, die Stabträger treten ab. Die beiden jungen Kämmerer und einige Höflinge treten ab. – Der König zu der Gruppe, die geblieben. Der Kastellan ist eingetreten mit den Schlüsseln und übergibt sie dem Ältesten unter Verneigen, geht wieder ab.
KÖNIG.

Ihr meine Vertrautesten, durch heilige Eide gebunden – wartet hier innen. Die anticamera, woselbst der Kleine Dienst der Königin sich vor der Messe zu versammeln pflegte – dort haltet euch auf. Was ich mit dem Prinzen zu sprechen habe, verträgt keine Zeugen. Trete ich aber mit meinem jungen Gast auf den Altan und lege ihm als Zeichen des Einvernehmens väterlich den Arm um seine Schulter, dann lasset Posaunen erschallen: denn dann ist für dieses Königreich eine große Stunde herangekommen.


Die Höflinge verneigen sich und gehen. Man sieht sie durch die geheime Tür des Oratoriums in den kleinen Korridor links treten und sich nach links entfernen: außer dem Beichtvater. Ihnen folgt der Gehilfe des Arztes, hinter ihm Anton.
ANTON
im Vorübergehen zu Julian.
Mir hat von schmutzigem Wasser geträumt und von ausgefallene Zähn! es geht schlecht aus.
KÖNIG
winkt dem Beichtvater zu warten, ruft dann Julian durch einen Wink des Auges.

Jene Worte meines hochseligen Großoheims, Kaiser Karls des Fünften, treten mir vor die Seele, mit denen er seine Krone und Länder seinem einzigen Sohne, Don Philipp, übergab. Wenn Euch mein Tod, sprach er, in den Besitz dieser Länder gesetzt hätte, so würde mir ein so kostbares Vermächtnis schon großen Anspruch auf Eure Dankbarkeit gegeben haben. Aber jetzt, da ich sie Euch aus freier Wahl überlasse, da ich zu sterben eile, um Euch den Genuß derselben zu beschleunigen, jetzt verlange ich von Euch, daß Ihr diesen Völkern bezahlet, was Ihr mir dafür schuldig zu sein glaubt. – Er hat die Augen voller Tränen.

JULIAN
kniet nieder und küßt ihm die Hand.

Möge sich seine Seele dir offenbaren. Erringt nicht der Kristall unter gräßlichem [319] Druck seine edle Gestalt? So ist er, wenn ihn dein Auge recht gewahrt.

KÖNIG.

Vielleicht werde auch ich mich für den Rest meiner Tage in ein Kloster zurückziehen – möge ein würdiger Sohn meinen Untertanen bezahlen, was er an Dank mir schuldig zu sein glaubt.


Sein Gesicht verändert sich, er winkt den Beichtiger zu sich, Julian tritt zurück.
KÖNIG
zum Beichtiger.

Wo aber läuft der schmale Grenzrain, dessen Überschreitung vor Gott und der Welt – die äußerste Strenge rechtfertigen würde? wo? mein Vater? – du schweigst. Wenn er seine Hand gegen mich erhübe?

BEICHTIGER.
Das verhüte Gott!
KÖNIG.

Welche werden auch dann noch sagen: das Opfer der Staatsräson sei seiner verstörten Sinne nicht mächtig gewesen.

BEICHTIGER.

Weise Richter, mein König, haben die Erkenntnis gefällt: ein fünfjähriges Kind wird straffällig und kann durch das Schwert vom Leben zum Tod gebracht werden, wofern es zu wählen versteht zwischen einem vorgehaltenen Apfel und einem kupfernen Pfennig.

KÖNIG
lächelt.

Ein fünfjähriges Kind! Höchst weise ersonnen! Ein wunderbares Paradigma! Ein Prinz, der zu Pferde sitzt wie ein geborener König und ein fürstliches Gefolge vor Stolz keiner Anrede würdigt, ist jedenfalls kein fünfjähriges Kind.

DER EINE KÄMMERER
kommt eilig durch die Tür rechts, meldet knieend.
Sie kommen!
KÖNIG.
Wer ist mit ihm?
KÄMMERER.

Der Prinz hieß mit einer gebietenden Gebärde die Diensttuenden zurückbleiben. Graf Adam allein ist pflichtschuldig gefolgt und führt ihn die Treppe herauf hierher.

KÖNIG.

Fort! Dort hinein. Zu den Übrigen. Auch du, ehrwürdiger Vater. Beichtiger und Kämmerer ab. Zu Julian. Du bleibst!


Man sieht den Beichtiger, hinter ihm den Kämmerer, durch den Korridor abgehen. Dann treten der König und Julian in den Korridor [320] und bleiben sichtbar stehen, indem sie durchs Fenster in das Gemach spähen.
Das Gemach bleibt eine Sekunde leer, dann wird der junge Kämmerer, Graf Adam, an der Tür, die aufgeht, sichtbar: er öffnet von außen. Läßt Sigismund eintreten, tritt hinter ihm ein, und schließt die Tür. Sigismund ist fürstlich gekleidet, trägt aber keine Waffe im Gürtel. Er tritt herein, sieht sich um. Dann ans Fenster, sieht hinaus, dann wieder in die Mitte des Zimmers.
GRAF ADAM.

Sie haben ruhen wollen, gnädiger Herr. – Dieses Zimmer ist Ihnen zugewiesen vom fürstlichen Gebieter dieses Palastes, dessen Gast Sie sind.


Er zieht den Vorhang am Alkoven auf und deutet mit ehrerbietiger Gebärde auf das Bett.
Sigismund tritt hin, sieht das Bett, den Alkoven, das ewige Licht an; ein Schauder überfällt ihn, er tritt
zurück.
GRAF ADAM
mit gespielter Unbefangenheit.

Dies ist nicht das Bett, allerdings, auf dem Sie heute morgen erwacht sind. Sie kamen zu unerwartet früher Stunde. Sie waren im Reisewagen fest eingeschlafen – man trug Sie in das nächste beste Gemach. Indessen wurde dieses würdigere vorbereitet.


Sigismund sieht alles an; erblickt sich im Spiegel, der überm Kamin hängt; erschrickt etwas, verbirgt seine Hände unter den Ärmeln. Seine Miene drückt Mißtrauen aus und eine angespannte Wachheit. – Plötzlich läßt er den Kopf sinken. Der Kämmerer springt hin, stellt ihm einen Stuhl hin, der neben dem Kamin stand, Sigismund dankt mit einem schwachen Lächeln und einer kleinen Gebärde, läßt sich auf den Stuhl hin.
KÖNIG
mit Julian außerhalb des Gemaches als Zuschauer sichtbar.
Höchst edel! Fürstlich in jeder Gebärde!

Er stützt sich auf Julian.
SIGISMUND
vor sich, leise.
Mich hungert!
GRAF ADAM.

Ich befehle einen Imbiß hierher und reiche Ihnen knieend Brot und einen Becher Weins, aber nicht mehr als dies, zur Stillung des ersten hitzigen Hungers, – Klatscht gegen die Tür in die Hände. he, Diener! – denn die Mahlzeit selber, die Freude des festlichen Tages, muß mein erhabener Gebieter mit Ihnen zu teilen [321] das Glück haben – er will Sie zu seiner Rechten sitzen sehen und um Sie stehend die Großen, die seine Diener sind – er als erster will den Blick auffangen, Kniet. mit dem Sie zu erkennen geben, daß Ihre Seele einem ungeheuren Umschwung des Glücks gewachsen ist.


Sigismund mustert ihn von oben bis unten, als wollte er fragen: wer bist du, daß du mir so nahekommst?
KÖNIG.

Meine Frau, wie sie leibt und lebt! Gegen jedes Zunahetreten gewappnet mit schierer stummer Unmöglichkeit! Zu Julian. Hinein! und bereite ihn vor! ganz! sag ihm Alles!

JULIAN
leise.
Alles, auch das Letzte?
KÖNIG
von Tränen übermannt.

Auch das Letzte! sag ihm, daß sein Vater hier wartet, ihn an seine Brust zu drücken. Und dann öffne mir die Tür und laß mich allein mit ihm. Geh!


Julian tritt durch die geheime Tür ins Oratorium und von dort ins Gemach. Die Orgel war einen Augenblick stärker hörbar, weiterhin ist sie hie und da sehr leise vernehmlich. Der Kämmerer wird ihn zuerst gewahr, tritt zurück, verneigt sich. Auf einen Wink Julians geht er an die Tür, verneigt sich nochmals tief gegen Sigismund hin und geht hinaus.
Sigismund wendet den Kopf, erblickt Julian, steht jäh auf, kehrt Julian den Rücken. Er zittert heftig.
JULIAN
läßt sich hinter Sigismund, drei Schritte von ihm, auf ein Knie nieder.
Auch er kann seine Erregung kaum bemeistern. Leise. Prinz Sigismund!
SIGISMUND
hebt die Hände wie flehend abwehrend, vor sich hin, aber ohne sich Julian zuzuwenden, mit einem leisen, kaum hörbaren Laut des Schreckens.
JULIAN.
Ja, ich. Eine Stille. Dies war die Reise, die ich dir versprach. Dies Haus ist ihr Ziel.
SIGISMUND
sieht sich hastig um, wendet ihm sogleich wieder den Rücken.
JULIAN.
Habe ich dir je gelogen?
SIGISMUND
schüttelt den Kopf, noch ohne sich ihm zuzuwenden.
[322]
JULIAN.

Hier ist Alles! Was dieses Wort bedeutet, kannst du nicht ermessen – aber indem du es vernimmst, ahndet dir viel. – Du bist weise: du willst die Welt nicht anders als sie ist. Jeden Augenblick nimmst du, wie er ist, möchtest nichts verändern – weil du gelernt hast: zu wissen.

SIGISMUND
kehrt sich allmählich ihm zu.
JULIAN
erhebt sich und spricht aus der gleichen Entfernung.

Du willst nicht fort, da man dich hergebracht hat. Du verlangst nichts; was man dir gibt, nimmst du – denn du weißt: es ist deines Vaters Haus.

SIGISMUND
zuckt zusammen.
JULIAN.

Du hast dir gesagt, daß es dein Vater ist, der so über dich gebietet, und daß, nun du hier bist, er dir auch nahe ist: das hast du dir gesagt, Sigismund, denn dein Sinn ist stark und geht auf den Kern der Dinge. Du begreifst, daß deines Vaters Wege dir unerforschlich sein mußten, wie dem Getier deine Wege übers Getier. Du möchtest nicht leben, wenn nicht Höheres über dir wäre, so ist dein Sinn. – Du fragst nicht: Was ist mir geschehen? –

SIGISMUND
schüttelt den Kopf.
JULIAN.
– Noch: Warum ist es mir geschehen? –
SIGISMUND
schüttelt den Kopf.
JULIAN.

Denn dein Herz ist uneitel. Du verehrtest Gewalt, die über dir ist. Dir ahnt immer das Höhere, weil du selbst von Hohem bist. Und nun bist du bereit?

SIGISMUND.
Wohin führst du mich?
JULIAN.

Bleibe. Verbirg nicht deine Hände. Zeige sie ohne Scheu. Dies halte fest: ich bin deines Vaters Diener. Ein Mann ist bei jedem Atemzug des Höheren eingedenk.

SIGISMUND
steht in unsäglicher Spannung.
JULIAN
nachdem er sich umgesehen hat.

Sigismund, Kronprinz von Polen, Herzog von Gothland, ich habe dir den Besuch deines königlichen Vaters anzukündigen.


Die Orgel tönt nun stärker, schwillt mächtig an, die vox humana tritt gewaltig hervor.
Sigismund steht entgeistert. Dann sucht er mit den Augen wo dieser Klang herkomme, er sieht nach oben, zittert heftig. Tränen schießen ihm in die Augen.
[323]
JULIAN.

So recht. Laß die Orgel dir den Namen: Vater – in die Seele dröhnen. Vater, Schöpfer Himmels und der Erde! Von Angesicht! Fall nieder!

KÖNIG
außerhalb, aber sichtbar, kniet nieder und betet.

Tu ein Wunder, Herr im Himmel! und versöhne ihn mit seinem Schicksal, dessen unschuldiges Werkzeug ich war. Amen.


Sein Gesicht, wie er wieder aufsteht, ist von Tränen überströmt. Sigismund fällt auf die Knie, birgt sein Gesicht in den Händen. Julian eilt hin, öffnet die Tür, läßt den König eintreten. Die Orgel wird leiser. Der König steht im Gemach. Sigismund liegt noch auf den Knien, das Gesicht in den Händen, wie sein Vater schon vor ihm steht.
JULIAN
tritt auf den Korridor hinaus, verschwindet nach links.
KÖNIG
nach einer Pause.
Sprich, mein Sohn. Laß mich deine Stimme hören.
SIGISMUND
auf den Knien, den Kopf zur Erde.
KÖNIG.

Sohn, Wir haben dir verziehen. Du bist Uns heimgekehrt. Unsere Arme sind offen. Laß Uns dein Antlitz sehen!

SIGISMUND
zittert, zuckt; wendet sein Gesicht gegen die Wand; kniet dort nieder, abgewandt.
Drückt das Gesicht gegen die Mauer.
KÖNIG.

Nein, es ist an Uns. Wir demütigen Uns vor dem, der gelitten hat. Wir neigen Uns. Er neigt sich ein wenig.

SIGISMUND
zittert stärker, birgt den Kopf hinterm Sessel.
KÖNIG.

Wie Sankt Martin, da er den Bettler fand, den nackenden, vor Kälte zitternden – Wir schneiden Uns einen Teil Unseres Mantels ab! Er greift ans Schwert. Sieh auf! Sollen Wir Unseren königlichen Mantel mit dir teilen? Oder – Er stößt das Schwert wieder in die Scheide. kommst du an Unser Herz in seine ungeteilte Wärme?


Er öffnet seine Arme.
SIGISMUND
sieht auf.
KÖNIG.
Steh auf, mein Sohn, und tritt getrost auf deinen Vater zu.
SIGISMUND
steht auf.
[324]
KÖNIG.

Laß Uns deine Stimme hören, junger Fürst! Wir sind begierig nach ihr. Wir haben ihren Klang zu lange entbehrt.

SIGISMUND
redet, aber es dringt kein Laut über seine Lippen.
KÖNIG.
Was flüsterst du in dir? Möge es ein guter Geist sein, der aus dir flüstert!
SIGISMUND
kann nicht reden.
KÖNIG.

Rede laut das Wort der gerührten Anerkenntnis. Du vermagst nicht zu wissen, was du gegen Uns verschuldet hast.

SIGISMUND
qualvoll ringend, stumm.
KÖNIG
einen Schritt näher.

Wir bedürfen eines weisen Sohnes. Wir wollen einen jungen Fürsten sehen, der großen Dingen gewachsen ist. Wir wollen Uns selber wiedererkennen im Saft und Glast Unserer Jugend. Wir warten.

SIGISMUND
geht zurück.
KÖNIG.

Scheue nicht zurück vor Unserem Anblick, auch nicht aus Ehrfurcht. Dein Auge in Unseres! vernimm einmal für alle Male, Kronprinz von Polen! Wir vermögen nicht mißzuhandeln als König an dem Untertan, als Vater an dem Sohn; und hätten Wir dir ohne Gericht das Haupt auf den Block gelegt: so war Uns heilige Gewalt verliehen, und da ist niemand, der wider Uns klagete. Denn Wir waren vor dir – so bist du in Unsere Hand gegeben von Gott selber.

SIGISMUND
deutet durch Zeichen, er habe Furcht vor Gewalt, Furcht vor des Königs Händen.
KÖNIG
versteht ihn.

Die Hände? Furcht vor Unseren königlichen Händen? Sie sind milde, fruchtspendend, heilen den Kranken, dem ich sie auflege. Aber Ehrfurcht gebührt ihnen: recht so, mein kluger Sohn. Eines Königs Hand ist beredter als die Zunge des Weisen. Ihr Wink ist Befehl und im Befehl ist die Welt eingeschlossen: denn in ihm liegt die Vorwegnahme des Gehorsams. Indem er befiehlt, gleicht der König seinem Schöpfer. – Wie Gott befahl: es werde Licht! so befehle ich dir: es werde Licht in deinem Haupt und Gehorsam in deinem Herzen! Und dies wird dir leicht sein: denn rege dich, tritt hierher und dahin, und Alles, worauf dein Auge fällt, kommt von mir!

SIGISMUND
berührt angstvoll den eigenen Leib.
[325]
KÖNIG.

Alles! Auch dein Leib, auf den du deutest. Wir zeugten dich hier – in diesem selben Gemach – dort auf diesem fürstlichen Lager.

SIGISMUND
stöhnt auf.
KÖNIG
tritt wieder vor ihn hin.

Ist dein Herz überwältigt? will es dich vor Unsere Füße werfen? zuckst du vor Ehrfurcht? – Ja, du empfängst viel in einer Stunde.

SIGISMUND.
Woher – so viel Gewalt?
KÖNIG
lächelt.

Nur die Fülle der Gewalt frommt: in der Wir sitzen, als der Einzige, einsam. So ist Gewalt des Königs. Alle andere ist von ihm geliehen und ein Schein.

SIGISMUND
sehr stark.
Woher?
KÖNIG.

Von Gott unmittelbar. Vom Vater her, den du kennst. – Am Tage, da es Gott gefiel, sind Wir in Unser Recht getreten als Erbe. Ein Heroldsruf erscholl in die vier Winde. Die Krone berührte das gesalbte Haupt. Dieser Mantel wurde Uns umgetan. So war wieder ein König in Polen. Denn es stirbt Basilius oder Sigismund, es stirbt nicht der König. Ahndet dir, wer vor dir steht?

SIGISMUND.

Gib schon dein Geheimnis preis! Laß schon dein Gesicht vor mir aufgehen! Offenbar dich mir! – Ich habe nie einen Menschen geküßt. Gib mir den Friedenskuß, mein Vater! Aber zuvor erhöhe mich über dich selber zu dir! Gib dich mir so, wie du mich genommen hast! Laß aufgehen dein Gesicht! Zeige mir, wie du mitgebunden bist worden! mitgeschlagen bist worden! Laß deine Wunden aufgehen! Mutter, Vater! Nimm mich zu dir!

KÖNIG.

Genug. Ich liebe diese Maske nicht. Komm zu dir, Prinz von Polen. Besinne dich, von wo ich, dein König, dich gerufen habe und wohin ich dich erhöht habe.

SIGISMUND
steht ratlos.
KÖNIG.

Setz dich hier zu meinen Füßen, mein Sohn.Er setzt sich auf den hohen Stuhl, Sigismund zu seinen Füßen auf den niedrigen. Der König sieht ihm lange ins Gesicht. Du bist ehrgeizig und begierig nach Macht: das lese ich in deinen Zügen. – Man hat dich gelehrt mit gefühlvollen Worten die Herzen zu gewinnen. – Mögen solche Gaben dir nach meinem Tode zugute kommen. – [326] Er nimmt seine Hand. Mir vertraue und keinem sonst. Eines ist Königen not: daß sie sich ihrer bösen Ratgeber zu erwehren lernen. Sie sind die Schlangen an unserem Busen. Hörst du mich, mein Sohn? Antworte mir.

SIGISMUND.
Ich höre, mein Vater.
KÖNIG.

Du bist verschlossen, mein Sohn. Du bist schlau und geschickt. Ich sehe, du bist jedem Geschäft gewachsen. Ich übertrage dir das erste und größte. Er steht auf, Sigismund gleichfalls. Entledige mich dieses arglistigen Dieners. Mache uns frei von der Schlange Julian, die uns beide umstrickt hat.

SIGISMUND
sieht ihn an.
Wie, mein Vater?
KÖNIG.

Wie, mein Vater? Wie? in Ketten dich? unter seiner Peitsche den Erben dreier Kronen? Und mir deine Wildheit vorgespiegelt! meine Tage vergiftet, meine Nächte ausgehöhlt mit dem Schauermärchen von einem tobenden Knaben mit mörderischen Augen! mit dem Gespenst eines geborenen Aufrührers! – Begreifst du die Anstalten der satanischen Bosheit? Begreifst du, wie er den Keil treibt mit rastlosen Schlägen zwanzig Jahre lang zwischen Vater und Sohn? – Was ist das für ein allgemeiner Aufruhr, mit dessen Androhung er nun wieder mein argloses Herz bestürmt? In wessen Hand, wenn nicht in der seinen, laufen die Fäden zusammen? – Und zu welchem Ende verknüpft er deinen Namen mit diesen Anstalten? Schwant dirs, mein armer Sohn, zu welchem Ende? Dich an ihn zu ketten durch die Gemeinsamkeit des an mir begangenen Frevels – ihn dir unentbehrlich zu machen für immer – dich zu erniedern zum Werkzeug deines Werkzeugs – einen zweiten Basilius aus dir zu machen – einen zweiten Ignatius aus ihm!

SIGISMUND.

Das ist eines Königs Großheit! die ich mir zu ahnen vermeinte, wenn ich einen Roßknochen schwang überm Getier!


Er bedeckt sein Gesicht mit den Händen.
KÖNIG.

Ich frage dich nicht! Wer schürt seit einem Jahr diesen Aufruhr in meinen Ländern? Ich verhöre dich nicht. Ich begehre nicht, daß du mir deinen Lehrer preisgibst. Ich [327] gebe ihn dir preis. In deinen Händen sei sein Geschick. Ich rede als ein König zu dem mir geborenen Könige. Wer ist wider zwei Könige, wenn sie einig sind? – Nimm diesen Ring. Steck ihn an deinen Finger. Wer ihn trägt ist der Herr. Meine Garden gehorchen ihm. Meine Minister sind die Vollstrecker seiner Befehle. Ich habe ihn einem gewaltigen Teufel vom Finger genommen. Du sollst ihn tragen, mein Sohn. Er steckt Sigismund den Ring an. Handle du für uns beide. Sei klug, sei stark, sei kühn. Tritt hervor aus dieser meiner Umarmung und sei wie ein Blitz. Verhafte diesen Julian und sieh zu, ob der angezettelte Aufruhr nicht dahinfällt wie ein Bündel Reisig. Jeder deiner Schritte sei furchtbar, schnell und entscheidend. Überwältige die Bösgesinnten, ehe sie sich vom blassen Schreck zu einer rebellischen Besinnung erholt haben. Treibe Stand gegen Stand, Landschaft gegen Landschaft, die Behausten gegen die Hauslosen, den Bauer gegen den Edelmann. Der Menschen Schwäche und Dummheit sind deine Bundesgenossen, riesengroß, unerschöpflich. – Aber deine erste Tat sei jäh, erschreckend, besinnungraubend – und wäre sie die Hinrichtung dieses Julian! Die Prärogative dieses Ringes an deiner Hand sind unermeßlich. Sie heben den Lauf der Gerichte auf. Sie legen den Griff des Richtbeils unmittelbar in die Hand des Trabanten, der dich auf einem nächtlichen Gang begleitet. Sie machen dich mir gleich, mein Sohn, damit du handeln könnest für uns beide. Es ist von nun ab ein König in Polen: aber er wandelt in zwei Gestalten. Weh unseren Feinden! Er öffnet seine Arme.

SIGISMUND
tritt zurück.

Wer bist du, Satan, der mir Vater und Mutter unterschlägt? Beglaubige dich! Er schlägt ihm ins Gesicht.

KÖNIG.
Trabanten! Zu mir! Auf deine Knie, Wahnwitziger!
SIGISMUND
packt ihn.

Was fletschest du? Warum wird dein Gesicht so gemein? – Ich habe schon einmal einen alten Fuchs mit Händen erwürgen müssen! Er hat gerochen wie du! Stößt ihn von sich.

[328]
KÖNIG.

Nieder auf deine Knie, rebellisches Tier! Hört niemand? Wir werden dich züchtigen! Wir werden nicht anstehen, dich im Angesicht des Volkes auf den Richtblock zu schleifen.

SIGISMUND.

Ich bin jetzt da! Alles andere ist Gewölle, wie es die Krähen ausspeien! – Ich bin da! – Ich will! An mir ist nichts vom Weib! Mein Haar ist kurz und sträubt sich. Ich zeige meine Tatzen. Diese Stunde, zu deinem Schrecknis, hat mich geboren.

KÖNIG.
Unantastbar! Die Majestät! Zu Hilfe!

Er will nach links, Sigismund vertritt ihm den Weg.
EINES PAGEN STIMME
von links.
Der König ruft!
SIGISMUND
bedrängt den König, reißt ihm das Schwert aus der Scheide, schwingt es.

Ich befehle! Da hinüber! Nieder auf den Boden! Ich will treten auf dich! – Seitdem ich da bin, bin ich König! Wozu riefest du mich sonst?

KÖNIG
stöhnt unter seinem Griff.
SIGISMUND.
Röhr doch! Mach Lärm! Rufe! Schrei dich tot! Her den Mantel!

König will entspringen. Julian wird in dem Korridor links sichtbar, stürzt herein und durch die Tür rechts wieder heraus. Sigismund läuft dem König nach mit geschwungenem Schwert. König fällt zusammen. Sigismund reißt ihm den Mantel ab und hängt ihn sich um die Schultern.
PAGEN
im Korridor links, schreien auf.
Zu Hilfe!

Etliche Höflinge stürzen herbei, dringen durchs Oratorium ins Zimmer. Der Korridor füllt sich mit Hofherren, Kämmerern, Pagen.
ALLE
schreien durcheinander.
Wer ruft? Was ist geschehen? Da hinein! Es ist verboten! Der König ist tot!

Die ins Zimmer Eingedrungenen halten sich links.
SIGISMUND
den Blick fest auf ihnen.

Stille! Keinen Blick auf die alte Leiche! Auf die Knie mit euch! Küsset die Erde vor den Füßen eueres neuen Herren und werfet das alte Fleisch dort in die Grube – vorwärts hier! Die Vordersten zwei! Er deutet auf zweie mit der Spitze des Schwertes. Fort mit dem Erblasser! Packt an! – Da, ich will das nicht sehen!


[329] Die Höflinge regen sich nicht. Hinter ihnen haben sich mehrere ins Zimmer geschoben. Die Tür rechts öffnet sich.Julians Kopf erscheint. Er sieht nach allen Richtungen, springt dann herein.
JULIAN
hat das Reichsbanner an sich gedrückt, wirft sich vor Sigismund auf die Knie, indem er ihm das Banner überreicht und ruft.
Es lebe der König!
SIGISMUND
ergreift das Banner mit der Linken.

Herein da mit euch! Hier seht euren Herrn! Bereitet euch! Ich will mit euch hausen wie der Sperber im Hühnerhof. Mein Tun wird meinem Willen genugtun. Verstehet mich! Meine Gewalt wird so weit reichen als mein Wille. Auf die Knie mit euch! Er wirft ihnen das nackte Schwert vor die Füße. Da! Ich brauche das nicht! Ich bin der Herr!


Einige der vordersten knien nieder.
GRAF ADAM
zwischen den Höflingen, schreit auf.

Der König lebt! Zu Hilfe Seiner Majestät! Er reißt aus Sigismunds Hand das Panier an sich. Es ist nur ein König in Polen! Vivat Basilius!


Zwei Kämmerer schieben sich an der linken Wand entlang und kommen Sigismund in den Rücken. Der eine wirft seine Arme von hinten um Sigismund und bringt ihn zu Fall. Mehrere stürzen sich nun noch auf ihn. Er wird in den Alkoven halb gerissen, halb getragen. Die älteren Höflinge und die Pagen eilen zum König, helfen ihm sich aufrichten. Pagen bringen von hinten den Mantel, hängen ihn dem König um. Der Beichtiger stützt ihn.
Gleichzeitig.
EINE STIMME
aus dem Alkoven.
Er liegt!
EINE ANDERE STIMME.
Her mit dem Arzt!

Der Gehilfe des Arztes, Anton mit der verdeckten Schüssel neben ihm, sind als letzte aus dem Oratorium getreten. Der Gehilfe geht gegen den Alkoven, von wo man ihm winkt. Er sieht sich nach Anton um. Anton preßt die verdeckte Schüssel gegen sich. Mehrere kommen gelaufen, reißen Anton die Schüssel weg, tragen sie hastig nach dem Alkoven. König hat sich aufgerichtet.
GKAF ADAM
kommt atemlos aus dem Alkoven, wirft sich vor dem König auf die Knie, überreicht den Ring.
Ich habe ihm von hinten die Sehne durchschnitten wie einem Hirsch. Er liegt.
[330]
EIN ANDEBER JUNGER HÖFLING
ebenso.
Ich habe ihn aufs Bett gerissen.
EIN DRITTER
ebenso.
Wir haben ihm den Schwamm unter die Nüstern gehalten und jetzt liegt er unschädlich.

Julian kommt nach vorne. Er ist leichenblaß und wie betäubt. Er geht mechanisch bis an die linke Wand und stellt sich dorthin, wo er zu Anfang gestanden hat. Eine Gruppe älterer Höflinge nehmen seitlich hinter ihm Stellung, heften drohende Blicke auf ihn und halten ihre Dolche gezückt, König scheint Julian nicht zu sehen. Julian wird sich plötzlich der Lage bewußt, fällt mit dem Gesicht gegen den König auf die Knie, ohne sich dem König zu nähern. König wendet sich ein wenig, so daß er den knieenden Julian nicht mehr vor dem Gesicht hat. Von den Höflingen einige, die nächsten, küssen gerührt den Saum von des Königs Rock, dann andere. Beichtiger redet leise und eindringlich auf den König ein.
KÖNIG.

Es ist geschehen, wie prophezeit war. Er hat seinen Fuß auf mich gesetzt im Angesicht des Volkes. Jetzt muß er sterben.

BEICHTIGER
dicht bei ihm.

Erhaben, ich weiß es, mein König, war dein Denken im entscheidenden Augenblick. Dein Leib lag im Staub, unterworfen dem Rasenden, aber deine Seele in einem Nu schwang sich auf und du standest vor Gott, erhöht und nicht erniedrigt.

KÖNIG.

Wie prophezeit war! Aber Wir sind Unserer Krone mächtig geblieben und können über ihn die Strafe verhängen! Ah! Wer hätte das gewagt zu hoffen!

BEICHTIGER.

Als du lagest unter dem Schwert des rasenden Sklaven, wie ein verlorener Mann, da war in Wahrheit ein Gedränge von Engeln zwischen der gezückten Schneide und deinem Nacken und deine Seele lag wie ein Tropfen Tau im Kelch einer Lilie, die im Frühwind schaukelt, und ihre Gedanken, ich weiß es, waren erhaben und ruhig. Was empfandest du, mein heiliger König, im Augenblick, da uns das Blut in den Adern gerann? Welches Bild erfüllte deine Seele erhaben und glanzvoll, wie der Pinsel des begnadeten Malers es schafft auf die Tafeln, zu zieren den Hochaltar?

[331]
KÖNIG.

Als ich hinschlug auf den Boden, dröhnte in meinem Ohr eine schwere gräßliche Last! Wie von eisernen Stangen und Ketten. Was war das?

BEICHTIGER.

Heil dir! Das waren die Ketten, die er tragen soll in der Nacht seines Kerkers! Eingegeben durch Gott, dröhnte durch dich das Sinnbild der unblutigen Sühne. Hebe deine weißen Hände zu Gott, barmherziger König, er hat dir eingegeben, deine Hände rein zu halten von Blutschuld. Dank wollen wir sagen unserem Gott und Herrn!


Die Türe rechts geht auf, Diener bringen einen Trunk, Kämmerer reichen ihn knieend dem König.
EIN HÖFLING.
Der König trinkt!
ALLE.
Heil Eurer Majestät!

König gibt den geleerten Becher zurück. Dann wendet er sich, winkt dem Hof ihm zu folgen und geht mit starken Schritten durch die Türrechts, die vor ihm auffliegt, ab. Alle folgen in Eile. Die Julian zunächst stehen, bespeien ihn. Julian bleibt an seiner Stelle und stöhnt dumpf.
ANTON.
Recht so – machen sich Luft – daß sich die Gall nicht inwendig aufs Herz ergießt –
JULIAN
stöhnt.
ANTON.
O mein! ist Ihnen so schlecht?
JULIAN.

Nicht ich – nicht mich laßt zur Ader – aber das Tier mit Hörnern, bis es weiß wird und umfällt: den alten Bock mit einer Krone auf! Alle Herrschaft ist auf den Wahnwitz der Untertänigkeit gegründet, ein Narr wird mit einem Strohhalm regiert, ein Elefant gehorcht einem Zwerg, den er zertrampeln könnte wie eine Mücke.

ANTON.

Die Red ist dunkel, aber sie kommt halt auch aus einem blauschwarzen Gesicht heraus. Reden nur weiter. Schaun mich nur nicht so stier an!

JULIAN
verloren.
Was?
ANTON
in Angst.
Natürlich! natürlich! Wie Sie es sagen!

Die Tür rechts geht auf, einer der Höflinge tritt mit starken Schritten ein, Pagen mit ihm.
HÖFLING
vor Julian stehenbleibend.

Mit engelsgleicher Fassung nimmt mein Souverän das Geschehene hin, daß zu unerforschlicher [332] Prüfung ein Teufel, die inkarnierte Rebellion, sich verkleidet hat in höchst sein eigenes Fleisch und Blut, der erhabenen Dynastie zu höllischem Hohn. Dunkler Ort wird diesem Wesen zum Aufenthalt angewiesen. Als ein Namenloser, nie zu Nennender verbleibe er in ewigem Gewahrsam – der Raum da er seine Glieder rege, soweit eine Kette gestattet, dreißig Pfund schwer, mit der man seinen satanischen Leib schmiedet an den mittelsten Pfeiler des Gewölbes. Nun zu dir –

ANTON.
Bedenken Euer Erlaucht, mein Herr ist nicht recht gesund, lassen mich lieber um den Arzt laufen –
HÖFLING
hebt den Stock gegen Anton, dann zu Julian.

Über dir schwebt unverjährbares Urteil wegen hochverräterischer, satanischer Konspiration: aufgeschoben nur die Vollstreckung, hängt das Richtschwert über dir bei Tag und Nacht an einem Haar. Dein Tun trotz alledem und was dich mag getrieben haben in dunkler Brust deckt die Nachsicht des erhabenen Monarchen mit einem milden Schleier. Du bleibst nach wie vor sein Wärter. Deutet auf Sigismund hin. Wachst über seinem Leben bei Tag und bei Nacht. Du hast ins Angesicht der Majestät ein vermessenes Wort gewagt: Bestünde, sprachst du, dein Pflegling nicht die Probe, so wären diese Stunden hier zu achten als ein kurzer Traum mitten dumpfem Schlaf. Das mache wahr und friste mit diesem Dienst dein Dasein, es ist dir für unbestimmte Zeit geliehen. Der Ort, da du es fristest, ist der Turm dort, einsam im Gebirg. Wer dich antrifft nur einen Büchsenschuß weit von seinem Gemäuer, er sei ein freier Mann oder leibeigener Sklav, der vollzieht an dir die Acht und Aberacht – gibt dein Blut und Gebein der Erde, dein Auge den Vögeln, deine Zunge den Hunden. Ab vom Gürtel jetzt das königliche Insiegel, durch Verstellung von dir erschlichen, ab vom Nacken die herrliche Kette, die dir nicht ziemt. – Edelknaben, tut euren Dienst!


Pagen fallen Julian an und entreißen ihm Kette und Siegel. Höfling geht ab, die Pagen mit den Kleinodien vor ihm. Julian stöhnt.
[333]
ANTON.
Lassen sich hin! legen sich in den Sessel!

Will den Sessel heranrücken, Julian weigert sich zu sitzen.
Arzt tritt ein mit Gehilfen und Dienern. Er geht zum Alkoven.
JULIAN.
Stehen! Aufrecht hier hinausgehen –
ARZT
am Alkoven.

Verbände an die Füße, dies leichte seidene Tuch über sein Gesicht. – Wesen aus einem einzigen Edelstein, du darfst keine Schmach erleiden! Er steht einen Augenblick in Gedanken.

ANTON
läuft zum Arzt.
Kommen hierher, unser gnädiger Herr ist der ärgere Patient.

Arzt tritt hin, richtet den Blick auf Julian. Julian tritt ihm einen Schritt entgegen, schwankt dabei.
ARZT
reicht ihm ein Fläschchen aus seiner Tasche.

Trinken der Herr von diesem, es wird Ihnen die Kräfte geben, daß Sie, auf meinen Arm gestützt, bis in mein Zimmer kommen, wo ich Ihnen eine Ader schlagen werde. Jetzt mehr als je hat der Ihnen anvertraute hohe Jüngling Anspruch auf Ihre ganzen Kräfte.


Die Diener unter Aufsicht des Gehilfen heben Sigismund vom Bette und tragen ihn langsam hinaus.
JULIAN.

Was wollen Sie von mir? Welche Hoffnung ist noch zurück? Sind Sie in Unkenntnis, was über uns verhängt ist?

ARZT.

Jede Hoffnung. Denn er lebt und wird leben. Das verbürge ich. So und nicht anders war von jeher den Heiligen gebettet zur Erwachung.

JULIAN.
Klafterdicke Mauern um uns! Überm Kopf die Faust des Wärters.

Der Kastellan und die Diener verschließen den Alkoven, sind nun näher gekommen.
ARZT
leiser.

Gewaltig ist die Zeit, die sich erneuern will durch einen Auserwählten. Ketten wird sie brechen wie Stroh, Stürme wegblasen wie Staub.

JULIAN.
Was bindet deine Seele mit so gewaltigem Glauben an diesen Jüngling? Du hast kaum mit ihm geredet!
ARZT
leise.

Acheronta movebo. Ich werde die Pforten der Hölle aufriegeln und die Unteren zu meinem Werkzeug [334] machen – der Spruch war von Geburt an auf der Tafel Ihrer Seele geschrieben.

JULIAN.
Haltet mich! Angst wandelt mich an, zu sterben und nichts hinter mir zu lassen.

Zwei Diener treten, von links herein, der eine mit einer Fackel.
ARZT.
Man kommt, wir müssen fort von hier.
DER EINE DIENER.
Ist hier der Doktor? Seine Gnaden der Graf vom Weißen Berge suchen den Herrn.
ARZT
tritt hervor.
Hier bin ich!

Julian tritt seitwärts ins Dunkel, kehrt das Gesicht gegen die Wand.
GRAF ADAM
an der Tür stehenbleibend.

Euer Hochgelahrt empfangen hiemit den Befehl, mit dem Kranken erst bei sinkender Nacht die Reise anzutreten. Es sind Umstände dazwischen getreten.

ARZT.
Welcher Art?
GRAF ADAM.

Gebietende für den Augenblick. In das niedere Volk ist die Hirnwut gefahren. Rottierer haben etwas Unsinniges ausgestreut. Sie liegen zu Tausenden vor den Kirchen und beten für einen Bettlerkönig, einen namenlosen Knaben, der ihr Führer sein und in Ketten ein neues Reich heranbringen soll. – Man wird mit Dragonern und Musketieren die Straßen absperren. Euer convoi verbleibt ohne jede Gefährdung.


Er nickt ihm zu und geht. Die Diener hinter ihm.
ARZT
laut.
Ich bin unbesorgt über den Ausgang.Wendet sich zu Julian.
JULIAN.

Gewaltiger Mann, wie dein Sehstern leuchtet! Bleibe bei mir, ich werde dich verehren wie einen Engel.

ARZT.

Ihr werdet mich kaum wiedersehen. Die Kräfte freizumachen ist unser Amt, über dem Ende waltet ein Höherer.


Sie gehen hinaus.
[335]

4. Akt

Der vierte Aufzug

Unterirdisches Gewölbe, links eine Wendeltreppe nach oben in den Fels gehauen.
Sigismund auf seinem Bette sitzend. Julian kommt die Wendeltreppe herab, Anton leuchtet ihm mit einer Lampe; er trägt unter dem linken Arm Kleider in ein Tuch eingeschlagen.

JULIAN.
Weck ihn, Anton!
ANTON.
Sigismund! schläfst du? Er hat die Augen offen.
SIGISMUND
sieht Julian an.
Mein Wächter, du bist lange nicht bei mir gewesen.
JULIAN.

Ich habe eine Reise tun müssen, heimlich: um deinetwillen. Zu dir zu treten, Ohnmacht zur Ohnmacht, dessen war ich überdrüssig. Nun aber komme ich zurück als ein Verwandelter. Schüttle den Schlaf ab, völlig, für immer. Ich bleibe von jetzt an bei dir, als dein Diener, Tag und Nacht.

SIGISMUND
sieht ihn an.

Du bist mit flüsterndem Anhauch immer bei mir, wie die Gruft selber mir vertraut, als ihr Atem: daß keine Welt ist, außer meinem Traum, so hast du mich gelehrt, und daß aus ihm kein Erwachen sein wird.

JULIAN.

Anton, achte, ob mein Bote nicht kommt, wir haben nicht Zeit zu verlieren, vor Tag müssen wir weit von hier sein.

ANTON.
Hörst dus, Sigismundi! mach deine Ohren auf! Jetzt kommt eine unverhoffte Neuigkeit!
SIGISMUND
schaut ringsum, wo das Licht hinfällt, dann auf Julian.

Immer wieder trittst du herein in meine Finsternis, wie der zaubernde Mann, von dem die Ziehmutter gesagt hat, da ich ein Kind war. Vor dem war mir Angst, aber dich fürchte ich nicht. Sooft du gekommen bist und dies rosige Licht geflossen ist aus deiner Lampe gegen die Wände meines Grabes, sooft bin ich wieder in der Welt gewesen. Ich liege hier und dennoch zugleich fliege ich dahin, die Kühle [336] der Nachtluft weht mir ins Gesicht und unter mir sehe ich das Dorf und den Wald in dem Licht des Mondes, in dem alles von Schmach befreit ist, und im Fluß, unter dem silbernen Schimmer stehen die Fische und freuen sich an der lauen fließenden Tiefe und ich spiele in ihrer Mitte, aber dann kehre ich hierher zurück und sehe dein Gesicht an und es verwandelt sich vor mir – ich weiß nicht wie – und goldenes und blaues Licht fließt um deine Schläfen und um deine Wangen – und trächtig mit Botschaft richten sich deine Augen auf mich, aber dann lösen sich deine Lippen voneinander und es kommt – o weh! von ihnen zu mir aufs neue immer nur das Wort, das hart zu hören ist, o mein Lehrer! die Wahrheit!

JULIAN.

Ja! Höre nun, höre, mein Sohn! Denn von mir bist du, deinem Bildner, nicht von dem, der den Klumpen Erde dazu hergegeben hatte, noch von ihr, die dich unter Heulen geboren hat, ehe sie dahinfuhr –: ich habe dich geformt für diese Stunde, nun lasse mich nicht im Stich!

ANTON.
Es ist ein Schuß gefallen, Euer Exzellenz, jetzt noch einer, ganz in der Nähe. Was wär denn das?
JULIAN.

Achte auf einen, der oben klopfen wird, sonst auf nichts! Zu Sigismund. Mein Tun, verborgen dir, war Verwirklichung; ein Plan, ungeheuer, unter dem allem. Fassest du mich! Aufruhr, offener Aufruhr schüttelt diese Nacht seinen Rachen wie der Bär, der auf das Dach des Schafstalles geklettert ist. Über den Wäldern und Bergen geht jetzt Brand auf. Zwinger, solche wie dieser da, bersten und die Kerker geben ihre lebenden Eingeweide von sich, und Wut stürzt auf Wut. Aber die Zehntausend, die ein Pferd und einen adeligen Degen haben, reiten mit blutenden Sporen querfeldein, und ihr Feldgeschrei ist dein Name.

SIGISMUND
hebt abwehrend die Hände.
JULIAN.

Noch mehr! höre noch mehr! Ich habe durchgegriffen bis ans Ende, die Erde selber habe ich wachgekitzelt und was in ihr wohnt, was aus ihr geboren ist, den Bauer, den Kloß aus Erde, den fürchterlich starken – ich habe ihm [337] Atem eingeblasen – das Tier mit Zähnen und Klauen habe ich aufgestört, aus Schweinsschnauze und Fuchsrachen stößt es deinen Namen hervor und erwürgt mit erdigen Händen die Schergen und Büttel. Das habe ich zustande gebracht! denn Gewalt gibt es, wo es einen Geist gibt – und Recht hat der, der gesagt hat, daß man die Unterwelt aufwühlen muß. – Jetzt steh auf und komm mit mir dorthin wo du Legionen der Deinigen so siehst, wie der Mond am Jüngsten Tag die Auferstehenden sehen wird, und sein Auge wird nicht groß genug sein, ihre Menge zu fassen -laß dich ankleiden und tritt mit mir hin, dies zu sehen. – Du hast lange genug ins Schwarze gestiert.

SIGISMUND.

Wissend: das sind Träume! – denn so hast du mich gelehrt zu benennen und zu erkennen, was sich regt vor meinem Auge. – Träume! – so hast du mich es nennen gelehrt.

JULIAN.

Träume! Recht so. Das Wort war Weisheit und Schutz gegen dich selber. Sprach ich: dies, was dir widerfuhr, war Wirklichkeit, so stürzte die Welt auf dich und begrub dich unter Trümmern. Darum sprach ich: es träumt dir. Und wiederum: es träumt dir!

SIGISMUND.
Bis es fing – dann hatte es mich, und keine Hand reißt den Köder aus mir als mit meinen Eingeweiden.
JULIAN.
Deine Seele hat leiden müssen, um sich zu erheben – und alles andere war eitel!
SIGISMUND.
Du hast es mich fassen gelehrt. Eitel ist alles außer der Rede zwischen Geist und Geist.
JULIAN.

Jetzt aber ist Herrschaft vor dir hingebreitet, Allmacht greifbar – Wirklichkeit, goldene! Knieende Männer, zehntausend Edelleute reißen die Schwerter aus der Scheide; wer in den Sturm hinaushorcht, der hört deinen Namen donnernd von ihren Lippen!

SIGISMUND.
Aber mein Geist schwebt höher, und Schreien ficht mich nicht an!
JULIAN.

Deinem Geist gab ich Nahrung; denn ich habe ihn gezeugt in dir! Dich selber gebildet aus dir selber, mein Innerstes eingießend in dich!

SIGISMUND.

Aber ich nun, dein Gezeugter, bin über dem Zeugenden. [338] Wenn ich liege, einsam, so geht mein Geist, wohin deiner nicht dringt.

JULIAN.
Ja? Erfüllt dich Ahnung? Gewaltige Ahnung deiner selbst? Herrliche Zukunft?
SIGISMUND.

Zukunft und Gegenwart zugleich. Fasse ganz, was du selber in mich gelegt hast, wenn du mich hinauftrugest an deiner Brust unter die Sterne, die aufziehen überm Turm – denn so hast du mich erhöht, um meine Seele heil zu erhalten vor der Starrnis der Verzweiflung. Da ich gewaltiger Mensch eins bin mit den Sternen, so lehrtest du mich, darum warten sie wissend auf mein Tun. Aus meiner Brust gebäre ich ihnen die Welt, nach der sie zittern. Ihnen ist alles Gegenwart, die sich gebiert – die Qualen, die dem niedrigen Menschen geschehen mit Harren und Stocken, und daß ihn zermalmen will mit zermalmendem Heranschreiten ein Übergewaltiges – derer sind sie ledig. Ihresgleichen aber, so sprachest du, mein Lehrer, – ihresgleichen in Auserwählung ist eines träumenden Menschen herrliche Brust, die aus sich selber die Welt schafft, genießend ihres innersten Selbst. Wer daliegt im Dunkel und dieses weiß, was bedarf der noch? so sprachst du zu mir: diese Erde kann ihm nichts hinzu geben.

JULIAN.

Gepriesener! den kein Königsmantel erhöhen kann. Ich habe dich einmal hinausgeführt aus diesem Turm, angetan mit fürstlichen Gewändern, was aber ist das gegen die Ausfahrt, die ich dir jetzt bereitet habe!

SIGISMUND.
Richtig: denn jetzt laufe ich nimmer Gefahr, daß der Wahn als ein Wahn sich ausweist!
JULIAN.
Du sprichst es aus, mein Sohn, denn diesmal bist du gesichert.
SIGISMUND.
Ja, das bin ich. Herr und König auf immer in diesem festen Turm!

Er schlägt sich auf die Brust.
JULIAN.
Jetzt geht es nicht mehr um die Teilung des Erbes.
SIGISMUND.
Nein, das Ganze bleibt bei mir auf immer und niemand wird mirs entwinden!
JULIAN.
Jetzt sind wir die Weissager und die Wahrmacher zugleich!
[339]
SIGISMUND.
Wahrhaftig, das sind wir! Heil uns, daß wir gewitzigt sind!
JULIAN.

Taten tun, das ist nunmehr uns vorbehalten! Nur der Gebietende tut – die anderen braucht er nur nach seiner Willkür, wie Geräte!

SIGISMUND.
Ha! das haben wir erfahren! als sie uns auf den Wagen warfen, wie ein Kalb mit gebundenen Füßen.
JULIAN.

Meine Herrschaft! Mein Reich! Diese beiden Worte presse an dein Herz! Zieh dich an! Er zieht ein Gewand, einen scharlachnen Leibrock, aus dem Pack. Die kühnen Edelleute nehmen dich in ihre Mitte, fünfzigtausend Bauern sind auf und haben ihre Sensen umgenagelt zu Spießen!

ANTON
nähert sich Julian.

Es zieht sich Lärmen und Schießen immer näher. Jetzt läuten sie Sturm in unserer Kapelle und es riecht nach Brand. Was wär dann das?

JULIAN.

Der lebendige Beweis meines Tuns! Der Adel ist herein. Sie läuten. Sie zünden gewaltige Freudenfeuer an. Sie schießen Viktoria. Vorwärts! Das Gewand her! den Gürtel!

ANTON
läuft wieder an die Treppe, horcht nach oben.
Ich höre was: es lallt so. Es stöhnt wer. Es kommt wer die Stiege hinunter. Geht sie hinauf.
JULIAN
packt vollends die Kleider aus und reicht sie Sigismund hin.

Schnell! schnell! Ich habe in deinem Namen die Schlachta aufgeboten! und die Nackigten aus den Erdhöhlen ans Licht gestampft! Nimm! Zieh an! Wir reiten!

SIGISMUND.

Ich verstehe was du willst, aber ich will nicht. Ich stehe fest und du bringst mich nicht von der Stelle. Ich habe mit deinen Anstalten nichts zu schaffen.

ANTON
von der Treppe her, zu Julian, halblaut.
Kommen gleich daher. Der Berittene ist zurück. Er redet was, aber ich versteh ihn nicht.
JULIAN
zu Sigismund.
Jetzt versag mir nicht, denn jetzt ist unsere Stunde gekommen.
SIGISMUND.

Was weißt du von mir? Hast du den Zugang zu mir? da ich unzugänglich bin, wie mit tausend Trabanten verwahrt.

[340]
JULIAN.
Zieh an das Gewand. Schnall um den Gürtel!
SIGISMUND.
Ich tus nicht!
JULIAN.
Tust es nicht?
SIGISMUND
wehrts ihm, weicht zurück.

Du hast mich ins Stroh gelegt wie einen Apfel und ich bin reif geworden und jetzt weiß ich meinen Platz. Aber der ist nicht dort wohin du mich haben willst.

JULIAN.
Zu mir! ich reiß dich hinaus aus deiner Gruft.
SIGISMUND.
Einmal und nicht wieder! Jetzt, jetzt! versinke ich dir, wie dem Gräber der Schatz beim Hahnenkrat!
JULIAN.
Ich werde auf meinem Nacken dich aus deinem Kerker tragen!
SIGISMUND.
Nein, das wird nicht sein! Ich gehöre mir und nichts kann mich berühren!
ANTON
bringt den Reiter die Treppe herabgeschleppt, ein Bub kommt hinter ihm, der Reiter und der Bub schwarz wie aus dem Morast gezogen.
Der Reiter wäre da. Aber die Unsrigen haben auf ihn geschossen. Das hat ihm die Red verschlagen.
JULIAN.
Was ist die Botschaft, schnell! Was melden die wohlgeborenen Herren aus deinem Mund?
REITER
faltet die Hände und murmelt Sprüche.
Quibus, Quabus, Sanctus Hacabus! Jetzt und in der Stunde unseres Absterbens, Amen.
ANTON.
Mit Sprüchemurmeln, sagt der Bub, sind sie durch die aufrührerischen Bauern durchgekommen.
REITER.
Sanctus Hacabus! surgite mortis!
ANTON.

Sie tropfen von Schlamm, haben sich im Sumpf verstecken müssen drei Tag und drei Nächte! Darüber hat er den Verstand verloren!

REITER.

Pater nisters! gratibus plenis! Als auch wir vergeben unsern Schuldigern und erlöse uns von dem Übel, Amen.

JULIAN.
Her die Botschaft! Sie werden sie ihm eingenäht haben. Heraus damit!
SIGISMUND.
Achte nicht auf diese! Höre meine Weigerung und immer wieder meine Weigerung!

Reiter, unter Zittern, bringt nichts heraus.
BUB.
Die Bauern sind auf aus ihren Erdlöchern. Haben Flegel in der Hand, Mistgabeln, Sensen –
[341]
JULIAN.

Gerufen von mir. Was zitterst du, Narr! Deine Botschaft von den Herren! wo halten die Geschwader? gib Antwort!


Er rüttelt ihn.
BUB.

Die Herren sind alle im Wald, sie gehen nicht heraus. Ihre Füße sind in der Luft, so hoch! Lacht verwirrt. Die Bauern sind über sie und haben sie in die Bäume gehängt!

JULIAN.
Unsere Pferde! Pack diesen dort! Hinauf mit uns! Durch die Furt in den Wald.
BUB
kommt hervor.
Es ist kein Weg frei. Der Olivier, der rebellische Soldat – der verritten war –
JULIAN.

Verritten ist der in meinem Auftrag. Rebellisch ist der in meinem Sold. Mit Sendungen und Briefen von mir.

BUB
lacht.

Umgekehrt ist auch gefahren. Zurück selbzwanzig um Mitternacht auf eigene Faust! Er und die Seinigen machen mit Spießen unsere Leut nieder. Man hört schreien bis hier in Keller. Jetzt läuten sie Sturm, daß ihrer noch mehr zusammenlaufen, Räubergesindel, Landlose, Diebsleut, Mörder!

JULIAN.
Wo sind die Pferde? Er schüttelt ihn. Wo sind unsere Pferde?
BUB.
Weiß nicht! weiß nicht! es ist alles drunter und drüber. Es geht jeder gegen jeden.

Reiter entweicht nach oben.
JULIAN.

Ich hab die Hölle losgelassen und jetzt ist die Hölle los. So muß ich ihr ins Gesicht schauen. Anton, du wartest hier. Ruf ich, so bringst du mir diesen nach, oder – Er zieht ein Pistol. du bist dahin. Er will hinauf.

BUB
hängt sich an ihn.
Nicht hinaufgehen! Sie erschießen alles was herrisch ist: auch Buben, Pferd, Katzen, Hund.

Julian schüttelt ihn ab, geht hinauf, Bub schleicht ihm nach.
ANTON
vor Angst trippelnd.
Mir wird entrisch! sehr entrisch wird mir! Auf, Sigismundi, jetzt heißts gescheit sein.
[342]
SIGISMUND
ganz ruhig.
Was ist dir, Anton? Anton, bring mir frisch Wasser, mich dürstet.
ANTON
will ihm Reitstiefel anziehen.
Ziehn schon an! Ziehn an! wir reiten! hopp, hopp! über Land! Wir müssen uns davonmachen!
SIGISMUND
sinnt etwas, setzt sich aufs Bett.
ANTON.
Heraus aus dem Traum! Kennen mich? Sigismund! Prinz! Prinz!
SIGISMUND.
Was willst du, Anton? Gut kenn ich dich!
ANTON.
Es geht ums Leben, Herr Prinz. Wir müssen fort! hinaus!
SIGISMUND.

Mir ist gut. Hab zu trinken und Brot. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Dank schön, Anton. Geh weg. Nimm die Latern. Ich brauch kein Licht.

ANTON.
Heut ist nicht wie alle Tag. Es geschieht was. Es ist was los.
BUB
von der Treppe.
Der Herr schreit nach dir! Sie schießen auf den Herrn.
ANTON.
Wer?
BUB.
Alle miteinander, Rebellische! Er will reden, aber sie lassen ihn nicht. Sie stechen auf ihn los!

Verschwindet wieder.
ANTON.

Soll ich davonlaufen ohne ihn? Mutter der Schmerzen! Sigismund! hören auf mich! Himmlische Trompeten! Hinaus! uns verstecken! es geht ums Leben!

SIGISMUND.

Du sprichst nicht recht, jetzt geschieht etwas Neues mit mir. Ich spürs wie einen Vorschmack, aber nicht im Mund, sondern tiefer unten in der Brust.

ANTON.

Strafende Hand Gottes! Wir haben dich um den Verstand betrogen! Du warst wirklich im Schloß vor einem Jahr! Es gibt deinen Vater! Es war kein Traum, sondern die Wahrheit. Das hohe Schloß steht, so wahr wie der Turm da. Jetzt sollst du wieder hin! König sein drin!

SIGISMUND.

Ich weiß recht wohl, daß ihr das ausgesonnen habt. Aber ich will nicht. Ich bleibe noch hier. Bis ich werde hinausgehen wollen.

ANTON.

Jetzt schwitz ich Blut! – Jetzt bleibt mir ein einziger Ausweg! [343] Er zieht ein Messer, geht mit gespielter Drohung auf Sigismund los. Gleich folgst du mir, Bub, widerspenstiger! – oder –

SIGISMUND
sieht ihn ruhig an.

Ich will nicht, denn ich habe mit denen nichts zu tun, die Schwerter und Messer in den Händen haben. Wenn ich aber sagen werde: ich will! dann wirst du sehen, wie herrlich ich aus diesem Turm hinausgehe.

ANTON
gewahrt eine Brandröte von oben.
Jesus Maria und Josef!
SIGISMUND
lacht.
Was beißt sich der Anton in die Fäust?
ANTON.

Unglückseliger, siehst du nicht den roten Schein? Mord und Brand ist das! Tumult von draußen. Verkriech dich in Winkel! Jetzt kommts: die Hand an die Gurgel, das Knie auf die Brust! Und das muß mir passieren! mir, einem rekommandierten Herrschaftsdiener aus Wien! Wie bin ich denn in das vermaledeite Land hineingekommen! Ich kann mich auf gar nichts mehr besinnen! Er läuft nach hinten.

SIGISMUND
sieht um sich, lächelt.

Schön wirds jetzt hier; die Sonne geht auf aus dem Finsteren, die Spinnen in der Mauer freuen sich, wie wenn der Frühling kommt über Nacht und der Hecht mit seinem Schwanz das zarte Eis zerschlägt. Horch, Leute kommen, viele, wie Rauschen vom Bach!

STIMMEN.
Sigismund! Sigismund! Sigismund!
ANTON.
Jetzt brüllen die Höllteufel deinen Namen! verkriech dich!
SIGISMUND.
Tritt her, weise auf mich und schreie laut: hier steht er!

Der Fackelschein wird stärker.
OLIVIER
mit Aufrührern von rechts.

Noch im Hintergrund. Halt! Wer zuerst der Kreatur ansichtig wird, tut die Meldung an mich. Rufet ihn noch einmal bei seinem Namen.

VIELE.
Sigismund!
ANTON
leise.
Achtung! Der hat Heu am Horn, der ist stößig!
SIGISMUND
tritt ein.
OLIVIER
fährt zurück.
Spieße gefällt! Äxte parat! Ist dies die Kreatur?
[344]
ANTON
laut.
Lassen ihn! verschonen ihn! Ihm ist nicht richtig. Er ist kein vollsinniger Mensch.
OLIVIER.

Bringet ihn ins Licht. Zwei mit Fackeln treten hin. Sperrt er einen Wolfsrachen auf? Wo ist mein Passauersegen? Greift unters Wams. Gebet ihm zu verstehen, daß er sich als unser Alliierter anzusehen hat! Wir wollen zwei Schritte ihm entgegen, damit er uns erkenne und seine Reverenz erweise, als seinem Retter. Er trinkt aus einem zinnernen Branntweinkrug, den einer ihm hinhält.

ANTON
grüßt.
JERONIM
tritt vor.

Sehet her, nackigte Brüder, erstgeborene Söhne Adams! Dies ist der, von dem ich euch gesagt habe. Sehet: der Königssohn unter der Erde, mit Ketten geschmiedet an das fließende Gewölb!


Immer mehr bewaffnete Bauern hinten herein.
ANTON.

Wie der Herr sagt. Er ist tiefsinnig geworden über dem, was sein Vater ihm angetan hat. Es ist über ihn gekommen, wie der Dummkoller beim Roß, wenn der Herr das weiß. Nicht einmal Essen freut ihn.

OLIVIER.

Maul halten, Lakai. Zu Sigismund. Tritt vor, Kreatur. Bist du deiner Sinne mächtig und willens, deines Vaters Blut aus einem silbernen Humpen zu trinken?

SIGISMUND
antwortet nicht.
OLIVIER.

Haben sie dir dein Hirn aus dem Schädel kastriert? Vermagst du zu erkennen, was man dir hinhalt? Zücket ein Waffen gegen ihn!


Sie tuns.
SIGISMUND.

Es geht ein süßer Geruch vom Eisen, wie von Bohnenblüten in der Luft: das kommt vom Blut, in das ihr sie getaucht habt.

OLIVIER.
Du erkennst demnach, was man dir vor Augen bringt?
[345]
SIGISMUND.

Die Geräte des Ackers sind entfremdet ihrem Dienst und müssen jetzt die Welt reinigen. Das erkenne ich. Und ich erkenne auch, daß du der Rechte bist für ein blutiges Werk, genau so wie du bist. Denn du hast einen Stiernacken und die Zähne eines Hundes.

OLIVIER.

Ha, spricht meine Miene dich an? Recht so: denn ich brauche dich und lege meine Hand auf dich. Fassest du meine Rede?

SIGISMUND
tritt zurück.

Alles geht in mich hinein und aus mir wieder heraus, und ich bleibe in meinem Gedinge. Ich bin mein eigener Vater und Sohn und lebe mit mir in Eintracht.


Der Feuerschein wird stärker.
OLIVIER.
Wo glotzest du hin? Bougre, Larron, écoute.
SIGISMUND
hebt die Hand.

Horch, jetzt flattern die Dohlen um den Turm und schreien über ihre Nester, in denen die Brut verbrennt – aber der Wanderer, der zehn Stunden weit übern Hochpaß geht, sieht nur ein kleines, glimmendes Fünkchen. So bescheiden ist alles!

OLIVIER.
Sperr die Ohren auf! Weißt du, wessen Fleisch und Blut du bist?
SIGISMUND
sieht ihn an.
Ich habe es erfahren müssen.
OLIVIER.

Dann weißt du genug. Reiß dein Maul auf und schrei: Tod, Tod, Tod! Mordjo! Gericht! Gericht! Tod und Verdammnis über meinen Mörder!

SIGISMUND.

Ich habe einmal geschrieen wie einer, den der Alp drückt, aber ich habe mir keine Hilfe herbeigeschrieen. Ihr riecht nach Verbranntem, nach Geschlachtetem und nach Erde! Euer scharfer Dunst macht mich dürsten.


Anton reicht ihm den Krug, er tut einen langen Zug.
OLIVIER.

Her jetzt mit dem Judas, mit dem malefikantischen Hofschranzen, und ob er aus siebenundneunzig Wunden blute, her mit Seiner Exzellenz, lebend oder tot. Denn dazu sind wir aufgestanden, damit wir allezeit das Rad der Gerechtigkeit aus dem Sumpf stemmen!


Einige bringen Julian getragen, er ist notdürftig verbunden, er hält die Augen geschlossen, sie setzen ihn auf das Bett.
JERONIM
verneigt sich.

Königlicher Prinz Sigismund, erkennst [346] du diesen für den belialischen Judas, deinen Kerkermeister, der dich, unsern König, an der Kette gehalten hat, ärger wie einen Hund?

SIGISMUND.
Was arg und was nicht arg ist, wer entscheidet das?
OLIVIER.

Was! du Gans, die in ein neues Faß sieht! Schrei Zeter, gib Zeugnis gegen ihn! – Und du, antworte ihnen, so wie man es brauchen kann, du! – Ich will eine Prozedur! Jetzt ist bei mir das schleunige Recht! Kapierst du?

JULIAN
schweigt.
OLIVIER
zu Julian.

Hast du die zehn verbotenen Artikel gemacht! Oder nicht? Hast du dir in einem silbernen Waschbecken die Hände gewaschen! Oder nicht? Was? Das Maul nicht auf? Leugne das, wenn du kannst! Her mit dem Waschbecken, daß ich es ihm um den Schädel schlage! Vorwärts!

JULIAN
öffnet die Augen.
ANTON.
Sofort! zu Befehl!

Will gehen, einer stellt ihm ein Bein, man hält ihn.
SIGISMUND.

Er hat mich nicht geschlagen, wie ihm befohlen war, sondern: er hat mich gehalten, wie er ausgesonnen hatte: in der Erfüllung seines geistigen Werkes. Denn er war der Meister über dem allen. Und solange er lebte, hielt er sein Werk nicht für verloren, und mit Recht.

OLIVIER
nachdem er getrunken.

Maulhalten jetzt, bis das Waschbecken da ist. Habt acht, ich habe Inspiration, einen Befehl zu erlassen! Regimentsschreiber, schreib! An die gesamten Haufen! Also setzen, ordnen und befehligen wir: Die Bauern sind allerorts vom Pflug zu rufen, weil ein neuer Weltstand eintreten wird, bei dem die Erde nicht mehr umgebrochen wird, sondern das menschliche Fleisch und Bein wird umgebrochen. Alle Männer von fünfzehn bis siebenzig sind befehligt unter die Blutfahn; die nicht wollen vom Pflug lassen, denen die Händ abhauen. An die Pflüge gespannt Edelleute und Bürger – Salz gesät in die Furchen: Im neuen Weltstand werden wir vom Überfluß ernährt und bewegen uns immer von der Stell, so braucht es einen Acker nimmermehr. Sodann: Alle Eß waren herbei, [347] dem Heer zu dienen: als da sind die Waben und die Käse, die Lebkuchen und den Branntwein, die Kälber und Schwein, die Lämmer, die Ziegen, Hühner und Gäns, Salz und Schmalz, Störe und Hecht – also gegeben unter der Blutfahn. – Unterschreibts. Vorwärts in der Prozedur! Quetsch aus ihm heraus was nötig ist nach Form Rechtens, daß wir ihn aufs Rad flechten!

SIGISMUND.

Ich bezeuge, dieser Mann hat mich die Wahrheit gelehrt, die einzige Wahrheit, vermöge der meine Seele lebt, denn meine Seele braucht Wahrheit, wie die Flamme, die ausgeht wenn ihr die Luft versperrt wird.

OLIVIER.
Und was ist das für Wahrheit? Du Erzkreatur, du epileptische?
SIGISMUND
zu ihm.

Wir wissen von keinem Ding wie es ist, und nichts ist, von dem wir sagen könnten, daß es anderer Natur sei als unsere Träume. Aber mißverstehe mich nicht. Was ich fürchte, ist der Irrtum, als ob ich dadurch anders sei als du oder dieser oder einer dort unter diesen. Ich bin wie ihr seid. Aber ich weiß, und ihr seid ohne Wissen.

JERONIM.

Höret alle! er läuft am lichten Tag herum und glaubt, daß ihm träumt! wie einer dem man den Kopf in einen Sack gesteckt hat und den Sack am Hals fest zugebunden hat. Er bezeugt, daß sie ihn närrisch gemacht haben! Dafür werden sie von euren Händen sterben müssen.


Einige seufzen schwer.
SIGISMUND.

Ich sage dir: es ist kein Ding anderer Natur als unsere Träume, – das Wasser, das aus diesem irdenen Quellbrunnen rinnt, – Er zeigt auf seinen Krug. – was ist wirklicher? Aber auch diesem ist das beigemischt – und die Sterne schwimmen wie Fische im gleichen. Dieses haben sie mich gelehrt.

JERONIM.
Hört alle! Volk! Oh! Oh!
SIGISMUND.

Sie haben mich hinangeführt, bei Nacht mit verbundenen Augen in meines Vaters Palast, und mich wieder zurückgeführt und haben gesagt: Du warst nirgends als du bist Dies, und das ist einerlei Ort.

[348]
JERONIM.

Mit solchen Reden ihrer vermaledeiten, satanischen Zungen, ihr guten Ackersmänner, haben diesen euren armen König um den Verstand gebracht der Scherge da und sein Lakai. Dafür müssen sie sieben Fuß höher hängen und die Raben müssen ihnen die Zungen aus dem Maul hacken!

ANTON
dicht bei Sigismund.
Jetzt hats g'raten! Jetzt zeig, daß du weißt, wo der Bartel den Most holt!
SIGISMUND.

Sei still. – Sie haben zu mir gesagt: du hast geträumt, und immer wieder: du hast geträumt! Dadurch, wie wenn einer einen eisernen Finger unter den Türnagel steckt, haben sie vor mir eine Tür ausgehoben und ich bin hinter eine Wand getreten, von wo ich alles höre, was ihr redet, aber ihr könnt nicht zu mir und ich bin sicher vor euren Händen!

OLIVIER.

Verdeutsch ihnen den Galimathias! schrei es aus, Schlaukopf, so daß alle es begreifen, was sie für eine Malefizschandtat an dieser Kreatur verübt haben.

JERONIM
mit schriller Stimme.

Er sagt sie haben ihn frieren und hungern lassen, und wenn sie vollgesoffen waren, haben sie ihn geprügelt wie einen störrischen Esel.


Volk stöhnt auf.
OLIVIER.

Wir wollen sie hängen, ehrwürdiges Volk! aber zuvor will ich ein Einbekenntnis haben und den da zu unseren Füßen um Gnade winseln hören für sein Leben!

ANTON.

Jetzt ist Matthäi am letzten! Sag ihnen, daß ich ein fremdländischer Herrschaftsdiener bin und mit der Sache nichts zu tun habe.

OLIVIER.

Rede, Ankläger! Vorwärts! Laß Schlauheiten aufsteigen aus deinem Bauch! Bring ihn zum Reden! Er soll wiehern vor Angst! Als einen Geständigen will ich ihn hängen!


Junge Zigeunerin mit dem silbernen Waschbecken und einem schönen Handtuch kommt, ängstlich. Man zeigt ihr den Weg.
OLIVIER
zu Julian.

So viel Zeit als ich brauche, mir die Hände zu waschen, geb ich dir zu deiner Rechtfertigung. Dann will ich dies Spülwasser hingeben und sie werden dir darin den Strick einseifen!

JULIAN
blickt um sich.

Du Gesicht einer Ratte! Du Schweinsstirn mit bösen nach oben schielenden Augen! Du [349] Schnauze eines gierigen Hundes! – Klumpen ihr, wandelnde! Beim Licht dieser Fackel, die mir eure scheußlichen Gesichter zeigt – ich will über euch lachen ohne daß ihr mich kitzelt! Er hebt sich auf. Tut eure Spieße fort! Ha, du Nichts mit tausend Köpfen, vor mir totem Mann weichst du zurück wie die Schafherde vor dem Hund, und dennoch erdrückst du Erdhaufen den, der in unsagbarer Mühe dich unterwühlt hat um dich über Nacht auf das Dach seines Feindes zu stürzen. Denn ich habe aus einem Nichts ein Etwas gemacht – aber daß ich dies gewollt habe, war das Einzige, das mir angestanden hat! Du kannst mir nichts davon rauben, Kanaille. – Du dienst mir jetzt noch, denn meine Schwermut, wie ich dich ansehe, wird zu gewaltig, als daß das Grausen mich angehen könnte. Steh unter meinem Blick, du Nichts, du Kehricht, das ich zusammengekehrt habe. Solange ich dich mit den Augen bändige, werde ich das Gefühl meines Selbst nicht entbehren.

OLIVIER.

Geht nichts anderes aus diesem hoffärtigen Rachen als stinkende Schmähung? So will ich dir dies Spülicht aus deinem eigenen Wasserbecken übern Schädel gießen, so wahr nunmehr das schleunige Recht bei mir ist!

JULIAN
sieht ihn fest an.
Das wirst du nicht wagen!
SIGISMUND.

Mein Lehrer, warum sprichst du zu ihnen? Was zu sagen der Mühe wert wäre, dazu ist die Zunge zu dick.

JULIAN
wendet sich ihm zu.

Bist du auch da, mein Geschöpf? -Er ist, wie er da steht, mein Werk, und erbärmlich. – Wer ist der, der mir ein Werk aufgedrungen hat, das über meine Kräfte ging?

SIGISMUND.

Deine Augen sind vermauert mit dem was nicht ist, sonst würdest du erkennen, daß dein Werk gelungen ist und nicht vereitelt.

JULIAN.

Kehre dich ab von mir, du Kloß aus Lehm, dem ich das unrechte Wort unter die Zunge gelegt habe. Ich will dich nicht sehen.

SIGISMUND.

Du hast mir das rechte Wort unter die Zunge gelegt, mein Lehrer, das Wort des Trostes in der Öde dieses Lebens, und ich gebe es dir zurück in dieser Stunde.

[350]
JULIAN
setzt sich wieder auf sein Bett.

Ich will dich nicht sehen! Wendet den Blick von ihm. Ich habe etliche in ihren Betten sterben sehen, die in feiger Angst alles an sich raffen wollten. Ich aber stoße jetzt alles von mir und bleibe allein.


Er schließt die Augen.
SIGISMUND.

Ich lächle dir zu in deine Einsamkeit. – Dein Gebet ist nicht ohne Kraft, wenn du auch die Fäuste ballst anstatt die Hände zu falten.

JULIAN
öffnet die Augen und schließt sie wieder.
Ich habe das Unterste nach oben gemacht, aber es hat nichts gefruchtet!
SIGISMUND.

Du quälst dich, daß eine Ader in dir aufgehe, von der du trinken könntest. In mir aber fließt es ohne Stocken, und das ist dein Werk.

JULIAN
öffnet noch einmal die Augen, als wollte er reden, schließt sie dann und sinkt um mit dem einen Wort.
Nichts!
OLIVIER
tritt näher.

Ist er mir echappiert? Denn was hab ich davon, wenn ich einem Toten Spülwasser übern Schädel gieße? Her, daß ich mir die Hände trockne! Er tuts. – und hängt dort die lakaiische Sau an ein Fensterkreuz. Er trinkt Branntwein.


Einige fassen Anton an.
SIGISMUND
tritt an Julians Bette.

Gleich wird dir so zumut sein wie mir ist. Es gibt etwas Besseres als Vergessen: eine wunderbare Erleuchtung in der Einsamkeit. – Er ist tot. – Und du Zu Anton. bleibe bei mir und fürchte dich nicht. Auch der Hund will zuweilen gestreichelt sein, geschweige denn der Mensch. Also lasset diesen in Frieden.

OLIVIER.

Du Malefizschindaasvogel mit Teufelsflügeln! Hab ich dich dazu, daß du mir Insubordination prästierst unter meinen Augen?

SIGISMUND
sieht ihn ruhig an.

Du hast mich nicht. Denn ich bin für mich. Du siehst mich nicht einmal, denn du vermagst nicht zu schauen.

OLIVIER.

Wirfst du dein Maul auf gegen meine Erlauchtige [351] Person? – So will ich dich demnächst in ein Hundsfell genäht in die Mistgrube fahren lassen. – Aber zuvörderst habe ich dich betreffend anzubefehlen! Habt acht! Trommelwirbel. Denn ich brauche seine phantastische Fratze für die Weiber, daß sie mir warm bleiben und sich mit Messern an die Kürassierpferde machen. –

SIGISMUND.

Es braucht keine Weiber, denn ihr werdet durchreißen wie der Ostwind, ihr werdet Gefangene zusammenraffen wie Heu, und alle Türme und Festungen werden euch ein Scherz sein!

OLIVIER.

Potz Element! Bist du der Prophet Daniel? So sollst du mir auf einem Ochsenwagen immer vor dem mittelsten Haufen herfahren und sollst schreien: Blut über meine Verkäufer! Lasset die Blutfahne wehen!

SIGISMUND.
Irre dich nicht, denn bei mir ist kein Ding besser beherbergt als ein anderes.
OLIVIER.

Dafür will ich ihn füttern und er soll auf seinem Wagen so viel zu essen haben, daß ihm der Bauch platzt. – Wofern er aber als ein Narr das Maul gegen unsere Sache aufwirft, so soll getrommelt und geblasen werden in seine Red hinein, daß er sein eigenes Wort nicht hört, indem es ihm aus dem Maul fährt, – dafür stehst du mir ein, tatarischer Aron, und zu diesem Behuf sollst du mein Stab- und Statthalter übern Tross sein.

JERONIM.
Dazu hast mich gemacht, Olivier, und es mir überm Becher Branntwein zugeschworen!
OLIVIER.

Du hast mich Gestrenger Generalissimus anzusprechen und dein Maul zu halten, wo ich Anordnung treffe. Achtung! Wer ist hier Kapitän?Trommelwirbel. Jedennoch werde ich mich herbeilassen, jetzt sogleich unter währendem Bankett eine ewige Rangliste anzufertigen, gemäß der sich zu halten sein wird in jeglichem Stück, und euch, meine Generalleutnants, will ich Teufelsnamen geben, wie eine alte Hexe sie mir zugeraunt hat – und unter diesen Namen sollt ihr fliegende Brandrotten kommandieren! Wo die auftreten, da sollen die Edelleute und Stadtbürger [352] pissen vor Angst, wissend, daß ihr letztes Stündlein geschlagen hat. – Was siehst du mich so an, Kreatur? Glaubst du mir nicht? Ich sage, die in Burgen, Herrenschlössern und Städten wohnen, sollen Junge kriegen vor Grausen! Aus ihren Bäuchen soll das Letzte heraus, wenn sie auf ihren Mauern stehen und uns anreiten sehen!

JERONIM.

Und was, gestrenger Kapitän, wenn wir straßauf straßab die Häuser besetzt haben und mit einem solchen geschliffenen Schlüssel Er deutet auf eine Axt. die Türen aufgesperrt haben, was soll dann mit den Herrn der Häuser geschehen?

OLIVIER.

Herren! Herren! Daß dich der Schwarze schänd und dir das Wort in der Kehle abwürg! Die Herren sollen kopfunter in den Abtritt fahren!

JERONIM.
Und die Grundherrn?
OLIVIER.
Die sollen in die Erde, von der sie Zins erhoben haben, eingegraben werden.
EIN ANDERER.

Und die Herrn über Flüsse und Teiche? die Brückenzoll erhoben und armen Leuten das Fischen verwehrt haben?

OLIVIER.
Ersäuft sollen sie werden in ihren Gewässern!
JERONIM.
Und die Jagdherrn?
OLIVIER.
In Wolfshäute vernähen und ihre Bluthunde auf sie hetzen!
EIN DRITTER.
Und die Pfaffen? Schullehrer? Amtsschreiber? Steuereinnehmer? Lakaien?
OLIVIER.

Hinwerden müssen sie wie Fliegen! Die Zucht soll verschwinden! Es sollen hinter uns die Geier und Wölfe kommen und sie sollen nicht sagen, daß wir halbe Arbeit getan haben. – Jetzt aber bin ich genug inkommodiert und behelligt, und es weiß jeder wonach er sich zu achten hat, und es ist mir die Kehle trocken. Jetzt sollen die Stabsmetzger und der Koch herbei und ich will ihnen den Brocken Fleisch anbefehlen, den ich will an Spieß gesteckt haben, und dich da, keine andere, will ich den Branntwein einschenken sehen – und wenn ich eine martialische Gesundheit ausbringe, so will ich sie vom Altan mit Posaunen [353] und im Burghof mit Stücklösen verkündet wissen und das soll bis in den hellen Tag hinein währen.

SIGISMUND.

Recht so. Aber du mußt später einmal auch die Hefe aussaufen, und mein Trunk da Er deutet auf den irdenen Wasserkrug. bleibt immer lieblich.

OLIVIER.

Achtet mir auf den Masilisken da und hängt ihm einen Maulkorb um, wofern er seine Zunge nicht im Zaum hält. – Euch zwei da will ich verantwortlich machen, daß diese Kreatur nütze und nicht schade. Er soll keinen Schritt tun ohne meine Genehmigung. – Generalmarsch! zu meinem Abgang! schlag auf das Fell, daß dir die Schlägel samt den Fingern abfliegen. Tambour schlägt den Generalmarsch. Jedermann soll wissen, daß meine Erlauchtige Person sich jetzt zur Mahlzeit begibt. Fackeln voraus! und ihr da rangiert euch hinter meine Durchlauchtige Magnifizenz! Geht ab mit Gefolge die Treppe hinauf unter Trommelschlag und Vorantritt von Fackeln.

EINER VOM VOLK
zu Sigismund, mit Ehrerbietung.
Wir sind bei dir! Sprich zu uns!
EIN ALTER MIT EINEM STELZBEIN.
Das ist der Armeleute-König und sie werden vor ihm das Schwert und die Waage tragen.
EIN ANDERER.
Sprich zu Uns!
EIN DRITTER.
Rufet ihn bei seinem Namen!
EIN ANDERER.
Dieser Name darf nicht genannt sein!
EIN FÜNFTER.
Die ihn beim Namen genannt haben, denen ist die Zunge stumm geworden!
EIN GREIS
sich vordrängend.

Sehet ihn an, unseren König, wie er dasteht. Wie in lebendigem Flußwasser gebadet, so glänzt er von oben bis unten.

EINEB.
Er fürchtet sich vor uns!
MEHRERE.
Fürchtest du dich, Herr?
EINER.
Sprich zu uns!
EIN ANDERER.

Wenn er schreien wollte, würde uns allen die Seele bersten wie ein Sack. Weckt ihn nicht auf. Er ist scheintot.

[354]
EINE ALTE FRAU.
Ich sehe ihn!
DER ALTE STELZBEINIGE.
Ein Spalt geht auf und das Reich dieser Welt wird hineinstürzen.
SIGISMUND.
Mutter, komm zu mir.

Mehrere bringen goldgestickte Gewänder, eine Dalmatika, goldene Schuhe, – eine goldene Krone.
EINER.
Sie wollen ihn bekleiden mit goldenen Gewändern!
EINER
mit dem Gewand.
Will unser König gestatten, daß wir bekleiden?
EIN ALTER.
Laß dich bekleiden. Wir haben es genommen vom Altar weg und wollen es dir mit Ehrerbietung umhängen.

Sie bekleiden ihn.
DER STELZBEINIGE.
Ein Spalt geht auf und das Reich dieser Welt wird hineinstürzen!
EIN ANDERER.
Bleib bei uns! Harre aus bei uns!
EIN ANDERER.

Ein feuriger Engel wird vom Himmel kommen und wird den Bauern die Pflughand abhauen! Aber mit der linken Hand werden sie das Schwert schwingen!

SIGISMUND
vor sich, halblaut.
Ich aber werde mit euch hinausgehen.
EINER.
Er spricht zu uns!
EIN ANDERER.
Bleib bei uns!
EIN ANDERER.
Daß wir nicht sterben, o Herr!
EINER
von denen, die hinten stehen.

Die Weiber sollen ihn sehen! Hebet ihn auf, unsern König! Aber achtet auf ihn wie auf ein wächsernes Bild!

INDRIK, DER SCHMIED. Machet eine Gasse, damit alle, die draußen stehen, ihn sehen können. Öffnet, damit alle ihn sehen können!


Es geschieht.
SIGISMUND.

Tretet beiseite. – Ich spüre ein weites offenes Land. Es riecht nach Erde und Salz. Dort werde ich hingehen.

STIMMEN.
Bleib bei uns!
EINER.
Willst du fahren?
EIN ANDERER.

Wir wollen einen Wagen rüsten und zwölf Paar Ochsen vorspannen. Auf dem sollst du fahren, und eine [355] Glocke soll läuten auf deinem Wagen, als wärest du eine Kirche auf Rädern.

STIMMEN.
Bleib bei uns! Harre aus bei uns!
EIN ANDERER.
Daß wir nicht sterben, o Herr!
EINER.
Die Weiber wollen herein, seine Füße küssen.
EIN ANDERER.
Jagt sie fort, die Stuten! Sie sind es nicht wert, sein Gesicht zu sehen.

Die Weiber draußen schreien auf.
EINER.
Hungert dich nicht? Die Weiber schreien, daß wir dich hungern lassen.
EIN ANDERER.

Bringet alles herbei! Ladet alles ab von dem Troßkarren, was herrlich zu essen ist, und breitet es vor seine Füße!

STIMMEN.
Bleib bei uns! Harre aus bei uns!
ANDERE.

Bringet alles! Machet einen Berg vor ihm. Bringet Fleisch, Brot und Milch. Bringet Honig und Rahm. Bringet Geräuchertes und Gebackenes wie für zehn hungrige Männer, die gedroschen haben.

VIELE.
Bringet! Bringet! Bringet!
EINIGE.
Bleibe bei uns, o Herr!

Sie bringen das Genannte in Körben, auf Blättern, auf Holztellern. Häufen es auf.
SIGISMUND.

Nicht was die Vogelschlinge noch was der Angelhaken geschafft hat, noch das Messer an der Kehle des Schweines, – aber dies da aus weißem Mehl ist eine schöne Speise. Er nimmt etwas, teilt es mit Anton. Aber auch dieser muß bei mir bleiben, Er nimmt seinen Trinkkrug, birgt ihn an der Brust. denn mich wird viel dürsten in eurer Welt.

ANTON
frißt eine Wurst.
Sprichwort – Wahrwort! Auf einen Schrecken wird der Mensch hungrig. Jetzt versteh ich die Red!
EINER
der Sigismund in einem bunten: Tüchlein Essen vorhält.

Meinst du jetzt auch noch, daß du träumst? Wenn du von allem diesem gekostet hast, wirst du dann immer noch meinen, daß alles ein Traum ist?

ANTON.
Ah, gar kein Denken! Jetzt wacht er gleich auf!
[356]
STIMMEN.
Wache auf bei uns!
ANDERE.
Gehe nicht fort von uns!
SIGISMUND
den Krug an seine Brust drückend.

Wie der Hahn auf dem Hofe rieche ich den grauenden Morgen und die Stunde, wo die Sterne von ihrem Wachtposten abtreten. Lasset uns zusammen fortgehen. Er tut einige Schritte.

ARON
taumelt die Wendeltreppe herab, eine kostbare Decke um.
Wo ist die Kreatur? Wo habt ihr sie hingeschafft?
INDRIK, DER SCHMIED hebt seinen Hammer. Hier steht unser König! Was willst du von ihm?

Sigismund wendet sich nach ihm.
ARON.

Hinauf mit dir! Her du! Du kommst mit mir! Unser Generalissimus ist in großer Delektation und will, daß du ihm aus einem sonderlichen Becher knieend eine Maß Pfaffenwein kredenzen sollst. Also hinauf mit dir im Galopp! Es ist befohlen! Kapierst du?


Er taumelt.
INDRIK
stellt Aron ein Bein und wirft ihn hin.
Da lieg, säuischer Kerl, und verreck, wenn sie die Fackeln in die Pulverkammer schmeißen.
SIGISMUND.

Laß ihn liegen. Dort wo wir hingehen wird gehorsamt ehe befohlen war und gemäht ohne Hoffnung aufs Nachtmahl. Aber du bist rüstig und sollst Vormäher sein.


Indrik kniet hin und küßt den Saum von Sigismunds Kleid.
VIELE.
Herr, schütze uns! Harre aus bei uns!

Sigismund geht hinaus, sie folgen ihm.
[357]

5. Akt

Der fünfte Aufzug

Das Innere eines Zeltes. Haupteingang in der Mitte. Nebeneingänge je zwei links und rechts. – Ein gebrochener Stuhl und eine hohe Trommel als Sitze. Eine eiserne Regimentskasse in der Nähe. – Rechts vorne ein Haufen Beute: Teppiche, kostbare Gewänder, Sattelzeug, Linnen, alles auf einen Haufen geworfen. Es ist dunkel, kurz vor Tag. – Signale ah und zu, wie von dem Zeltlager ringsum. Öfters Schießen in der Ferne.
Ein Tatar bringt die gebundene Zigeunerin an einem Strick geführt. Der Reiterbub ihm voraus. – Simon sieht sich um; er ist mit dem Durchzählen und Aufschreiben der erbeuteten Sachen befaßt. – Indrik steht auf von einem Schemel, auf dem er gesessen hat. Er ist gewaffnet und hat einen Streitkolben vom Gurt hängen. – Der Arzt tritt seitwärts aus dem Dunkel hervor und Graf Adam von einer andern Seite.

REITERBUB.

Das ist die Zigeunerin und der Reiter, der sie eingebracht hat. Sie hat blutige Füß, er hat sie hinter dem Pferd laufen lassen.


Der Arzt tritt näher hin. Der Tatar tritt ab, der Reiterbub gleichfalls, nachdem er Graf Adam etwas leise gemeldet.
ARZT.
Es hätte ihr Tod sein können. Sie ist schwanger.
INDRIK.
Schwanger vom Olivier? So kommt sie mit dem leibhaftigen Satan nieder.
GRAF ADAM.
Wie seht Ihr das sogleich? Ich hätte ihr nichts angekannt.
ARZT.
Es prägt sich aus, untrüglich. Die Haltung, die Augen. Ich könnte es kaum sagen.
INDRIK
zu Simon.
Ist das die rechte Olivierische Haupthur? Simon, schau sie an!
ADAM.
Nicht so laut, der König schläft.
ANTON
tritt leise links heraus.
Nein, er ist auf und liest in einem Buch.
SIMON
tritt hin, aber nicht nahe.

Wie heißt die Rechte? Zwölf [358] und zwanzig Weiber hat er hinter ihm drein bei Tag und bei Nacht, aber diese ist die große Lieblingin von ihm gewesen jederzeit. Mir gewünscht, daß ich sie nie mit meine Augen hätt gesehen einziehen in ä Stadt. Was dahinter bleibt, is ä Schindanger voller halb noch zappelnde Leichen.

REITERBUB
tritt wieder ein, sieht Adam an.
ADAM.
Eintreten lassen.
REITERBUB
ab.
ADAM.
Es gehen die Bannerherren jetzt hier durch. Schafft das da beiseite.
INDRIK
zu der Zigeunerin.
Hock nieder. Er wirft einen Teppich über sie.

Reiterbub öffnet den Vorhang am Haupteingang. – Zwei Tataren treten ein mit Lanzen. Dann eine kleine Schar Herrn von Hof, ohne Waffen, dann wieder zwei Tataren.
ADAM.

Nehmen die erlauchten Herren hier vorlieb,Er weist auf den kleinen Ausgang rechts. Seine Majestät wird Sie bald vor sich befehlen.

EINER DER HERREN
halblaut.
Es ist uns freies Geleit gesichert. Wir sind ohne Waffen. Wozu die Tataren uns am Leib?
ADAM.
Eine Ehrenwache, nichts weiter, erlauchter Herr.

Er führt sie rechts hinüber.
EIN ANDERER HERR
im Gehen halblaut.

Ihr, Vetter Adam, habt geschwind erraten, wie der Wind sich drehen wird. Ich mache Eurer Vorsicht mein Kompliment.

ADAM
öffnet den Vorhang rechts.
Belieben die gebietenden Herrn hier einzutreten. Er läßt sie eintreten und folgt ihnen.

Zwei Tataren bleiben an der Tür rechts, zwei am Haupteingang.
INDRIK
zieht den Teppich weg und reißt die Zigeunerin vom Boden auf gegen das Licht.

Wo ist dein Kerl? dein Gschwuf? Wo zündet er jetzt Dörfer an und haut den Kindern die Köpfe ab? Wir sind ohne Nachricht von Seiner besoffenen Magnifizenz! Gib Antwort oder man wird dich anders fragen!


Die Zigeunerin preßt die Zähne zusammen. – Anton horcht nach [359] links, tritt dann vor den linken Eingang, hebt den Vorhang ehrerbietig.
ADAM.
Der König. Neigt sich.

Simon tritt zurück. – Indrik zieht die Zigeunerin nach hinten.
SIGISMUND
tritt herein, in einem langen Leibrock, ungewaffnet; er geht auf den Tisch zu.
Woher sind die Landkarten? Er setzt sich.
INDRIK
tritt vor.
Aus dem Kloster, das gestern abend rechter Hand unserer Marschlinie gebrannt hat.
SIGISMUND
beim Tisch, ohne aufzusehen.

Die Tataren sollen sich in acht nehmen. Wenn ich wieder einen roten Himmel sehe, lasse ich ihrer ein Dutzend hängen. Da er den Blick des Arztes auf sich ruhen fühlt. Wundert Ihr Euch, daß ich schnell die Sprache der Welt gelernt habe? – Guter Freund, mein Ort ist ein schreckenvoller Ort, und ich lebe unter den Sternen auch am lichten Tage, und nichts ist da oder nicht da: alles, indem es ist, war schon da. Er winkt Adam heran, zeigt ihm die Karte. Eine schöne Darstellung. Da liegt das ganze Land bis ans Gebirge hin. Schön liegt es da, wie in einem Korb. Hier seht Ihr die Sümpfe südlich.

ADAM.
In die wir den Olivier mit Gottes Hilfe werfen werden.
SIGISMUND.
Oder er uns mit des Satans Beistand.
ADAM.

Bei unseren Tataren hält sich hartnäckig ein Gerücht, wonach es zwischen ihren Leuten und ihm zu einem für uns glücklichen Treffen gekommen wäre. –

SIGISMUND.

Wir wollen sicherer gehen, denn wir stehen einem starken Teufel gegenüber. Es sind keine Nachrichten herein? – Deine Kundschafter, Simon?

SIMON
tritt heran.

Es ist keiner zurück. Aber die dort ist mehr wert als ein Bericht. Er zeigt auf die Zigeunerin, die dem Tisch den Rücken kehrt.

SIGISMUND.
Ist das eines seiner Weiber?
SIMON
leiser.
Das ist eine große Mitwisserin von allem was er vorhat.
[360]
SIGISMUND
zu Indrik.

Sorge, daß du sie zum Reden bringst. Ohne Gewalt! Geh mit, Simon. Nehmt von dem Zeug da und bestecht ihre Begehrlichkeit.


Die Zigeunerin lacht lautlos. – Indrik und Simon ab nach links hinten mit der Zigeunerin.
SIGISMUND
zum Arzt.

Ich habe im Plutarch die Biographie gelesen, die Ihr mir aufgeschlagen hattet. Es sind große Bezüge darin auf uns und unsere Lage trotz der Verschiedenheit der Zeiten. Ich möchte mich mit Euch darüber unterhalten. Vielleicht findet sich abends eine Stunde.


Der Arzt neigt sich. – Anton, indessen Sigismund redet, hin zu ihm und richtet ihm etwas am Schuh.
SIGISMUND.

Fütter dich besser, Anton, ruh mehr aus, laß dir doppelte Rationen geben. Ich will dein altes ausgepolstertes Gesicht wieder sehen.

ANTON
küßt ihm die dargereichte Hand.
SIGISMUND
zu Adam, indem er sich wieder an den Tisch setzt.
Ich habe stark schießen hören bei den Feldwachen kurz vor Mitternacht. Was war da?
ADAM
tritt heran.

Darf ich Eurer Majestät melden – die Palatine und Bannerherren, so viele ihrer noch am Leben sind, sind mit einer salva guardia durch die Vorposten herein und warten hier nebenan. – Das Schießen war am Fluß zwischen unseren vorgeschobenen Posten und den Grünen. Sie haben jenseits ein festes Lager geschlagen. Aber sie haben sich neutral erklärt und das Schießen ist eingestellt worden.

SIGISMUND.

Die Grünen sind Marodierer, Versprengte von der königlichen Armee, verlaufene Mordbrenner von Oliviers Haufen. Seit wann schlägt solches Lumpenpack ein festes Lager und gibt Neutralitätserklärungen ab?

ADAM.

Diese sind ein großes kriegsmäßig geordnetes Korps. Es sind Kinder aus allen drei Ländern und sie haben einen Kinderkönig über sich.

SIGISMUND
sieht auf von der Landkarte.
Was meinst du damit, Adam?
ADAM.
Es sind Halbwüchsige, die sich gesammelt haben –
ARZT.

Solche sind überall in den Wäldern, seit der vierjährige [361] Krieg unter Basilius die Grenzländer zu einer Wüstenei gemacht hat. Es sind die zusammengelaufenen Waisen aus den Dörfern ohne Häuser. Da oder dort führt ein alter Mann, der sich auf einen Buchenzweig stützt, sie in einen versteckten Winkel auf die Grasweide, solange bis ein harter Winter kommt und sie alle erfrieren. Man hat solches seit Jahren sehen können, wenn man durchs Gebirge geritten ist.


Simon tritt hinten wieder ein, dahinter Indrik mit der Zigeunerin.
ADAM.

Es sind ihrer gegen zehntausend. Sie haben besondere Rechte und Bräuche und über sich einen gewählten König, der ein starker und schöner Bursch sein soll und aus den Augen schauen wie ein junger Löwe. Sie pflügen und leben wieder wie die Menschen vordem. Sie verrichten Handwerk und singen dazu.

SIGISMUND.

Ich werde nicht zehntausend mit einem verschanzten Lager in meiner Flanke lassen. Das hieße, ihnen gegenüber drei Regimenter und Geschütz zurücklassen um meinen Nachschub zu sichern; soviel Deckung kann ich nicht entbehren. Sie haben einen König, sagst du?

ADAM.

Von dem wunderlich genug geredet wird. – Er soll des Königs Basilius Kind sein, von einem schönen wilden Weib, die ihn auf der Jagdhütte bediente- aber sowie er zur Welt kam, von der Mutter in die Wälder verschleppt ohne Kenntnis: er seiner Kindschaft, so der König seiner Vaterschaft.

SIGISMUND.

Den Burschen will ich sehen – ich lasse ihm freies Geleit anbieten. Schick einen Parlamentär mit einer weißen Fahne in allen Formen. Wir wollen Seiner grünen Majestät nicht nahetreten. Er wendet den Kopf gegen Simon. Was habt Ihr in Erfahrung gebracht?


Adam gibt den Tataren an den Türen Befehl. Der Reiterbub tritt an die Tür.
SIMON
hintretend.

Sie äußert sich: zu solchem Gelumpe wie wir sind wird sie nicht den Mund auftun. Wenn sie mit Eurer Königlichen Majestät allein wäre. [362] Leiser. Sie stände Eurer Majestät nicht zum ersten Mal vor Augen.

SIGISMUND
steht auf.
Ich weiß das. Es wird nichts anderes übrig bleiben. Oder Zum Arzt. wißt Ihr eine andere Methode?
ANTON.

Allein unter vier Augen? Leise. Wenn die canaglia ein Dolchmesser bei sich hat? Verhindern das der Herr Doktor!

ADAM
halblaut.

Man hat sie untersuchen lassen bis auf die Haut. Sie hat weder Schriftliches bei sich noch eine Waffe.

SIGISMUND.

Laß indessen den Grafen ein Frühstück vorsetzen – wenn wir etwas haben! Zum Arzt. Verschaffet durch einen Reitenden das Buch, von dem Ihr gesprochen habt. Des Kaisers Marcus –

ARZT.
Marcus Aurelius –

Graf Adam, nach einer Verneigung, ist rechts abgegangen; vorher sind auf seinen Wink die Tataren abgetreten.
SIGISMUND.

Betrachtungen oder wie Ihr es genannt habt. Ein großer Monarch, – und voll edler Gedanken und weiter Pläne, die Zukunft Europas auf Jahrhunderte in gewisse Bahnen zu lenken. Aber auch er den Umständen unterworfen und stirbt im Gezelt, mitten aus seinen Entwürfen. – Ich beneide Euch um Euer Wissen. Nein, ich liebe Euch darum. Es wohnt bei Euch nicht zur Miete, sondern im eigenen Palast. – Verlasset mich nicht, außer wenn Eurem Körper unsere Lebensweise zu beschwerlich fällt.


Indrik bringt die Zigeunerin näher heran.
SIGISMUND
wirft einen Blick auf sie und kehrt ihr dann wieder den Rücken, das Folgende halb für sich, aber doch auch zum Arzt hin sprechend.

Durch zweierlei übt das Olivierische in der Welt seine satanische Gewalt aus, durch die Leiber und durch die Sachen. [363] Er streift mit dem Fuß die aufgehäuften Dinge. – Tu ihr die Stricke ab. Zum Arzt, so daß die Zigeunerin es nicht hören kann. Mit ihr werde ich allein sein beim Schein einer Lampe, wie Olivier, aber zu andern Geschäften, weiß Gott. – Sie ist jung und eher schön als häßlich, und dennoch schauderts mich. Aber wir haben nichts anderes, das uns Mutter werden könnte, als dieses Geschlecht, und dies ist der Stoff, aus dem die Welt gemacht ist.

ANTON
leise zu Indrik.
Laß ihr die Hände gebunden.
SIGISMUND
hats gehört.
Frei die Hände!

Anton zögernd ab. – Indrik tritt ab.
SIGISMUND
setzt sich an den Tisch und blickt in die Karte.

Ich habe eine Meldung, daß der rebellische Haufen, den dein Mann befehligt, von meinen tatarischen Truppen ans Gebirge gedrückt und aufgerieben ist. Was sagst du dazu, Wahrsagerin?

DIE ZIGEUNERIN.

Wer? der General? Lacht rauh. wer erdruckt den? – Ihr erdruckt vielleicht ein ungeborenes Kind, Ihr! Das trau ich euch zu!

SIGISMUND
sieht auf.
So trägst du ein ungeborenes Kind in dir?
DIE ZIGEUNERIN
schweigt und zieht im Dunkel mit den Fingern Kreise.
Womit ich trächtig bin, das sollst du sehen!
SIGISMUND.
Was murmelst du?
DIE ZIGEUNERIN
schnell auf einem Kreis gehend.
Svahah! angah! – Ellio! mellio! – Selo, elvo, delvo, helvo!
SIGISMUND
ohne hinzusehen.

Du kannst gehen, wenn du nicht reden willst. Lauf. Melde deinem Herrn: ich war eine ungeschickte Botin!

DIE ZIGEUNERIN
in einem sonderbaren tanzartigen Schritt auf ihn zu; ihr Haar knistert.

Blutige Füße – schlechte Boten! Kommen weit her – laufen welche mit? Sie wirft sich hin, legt's Ohr an die Erde. Viele! eine Armee! Sie schlägt mit den flachen Händen leicht auf den Boden, sogleich [364] erfüllt sich die Luft mit dem Geräusch von vielen trippelnden und schleifenden Tritten.

SIGISMUND
sieht auf, geht zu ihr.
Sind wir so weit?
DIE ZIGEUNERIN
wirft den Kopf zurück.
Wir sind so weit! Aus der Erde! aus der Gruft! – Aus dem Abtritt! aus der Luft!

Ein Pfeifen und Trippeln von Ratten und anderem Getier: huschende Schatten überall.
SIGISMUND.
Wo wimmeln die Kellerasseln her? Was wollen die Mäus und Ratten, groß wie die Katzen?

Er lacht.
DIE ZIGEUNERIN.

Auf, ihr! auf, ihr! – wir sind viele – er ist einer! Groß wird klein, und klein wird groß! alles springt aus einem Schoß!

SIGISMUND.

Du kannst nichts aus deinem Schoß schütteln, schwarzer Engel, womit ich nicht auf du und du wäre! Aus dem Dunkel hebt sich etwas wie ein Weib, mit einem entfleischten Pferdekopf an Stelle des Kopfes. Deine Schwestern mit den Roßzähnen haben bei mir kein Glück. Ich habe ihrer welche mit mir im Bettstroh gehabt: sie erwärmen einen schlecht. – Das Ding kommt ihm seitlich näher. Er scheucht es weg. Laß mich, Bettschatz. – Und du versteh mich, kleine Friedenstaube. Ich bin begierig nach einer Botschaft von deinem Herrn Gemahl. Sie brennt dir auf der Zunge; denn du hast dich absichtlich fangen lassen. Wie die Ziege dem Melker, bist du mir zugelaufen. – Also tu den Mund auf, bevor ich dich meinen Tataren in die Arme lege!

DIE ZIGEUNERIN.

Deinen Tataren? dir folgt ja niemand! du hast ja keine Armee! das sind ja lauter Lügengeister! die haben alle Teufelsnamen, deine Tataren! Die machst du ja aus Dunst! aus gelbem giftigen Nachtnebel machst du die! -Wie kämen sie denn so lautlos über einen, wenn man marschiert! Wie könnten sie denn ohne Schrei die Wachen erwürgen? – Und doch hast du mit solchem Blendwerk den leibhaftigen Herrgott in den Sumpf getrieben, Judas, verfluchter!

SIGISMUND.

Ist der Rote Satan tot? Ah! sassa! Ich – du lügst? du willst mich fangen? – Ich will seinen Leichnam sehen!

[365]
DIE ZIGEUNERIN.
Freßt ihm die Augen aus, ihr Toten – Erde, schüttel den Bauch aus!

Brandröte, Sturm, daß die Zeltpflöcke schüttern. Große Knochen rasseln aus der Erde.
SIGISMUND.

Das ist er! So wahr ich – Er stinkt nach Brand und Blut wie der Brunfthirsch! – Bei meiner Überkraft! So wahr ich dich hergezogen an dem tiefsten Strang den ich in der Hand habe!

DIE ZIGEUNERIN
niedergekauert, wimmert.
Helft mir, Geziefer! Nagt den Strang ab! Er reißt mich!
SIGISMUND.
Her vor mich! den Leichnam!

Immer stärkere Brandröte.
DIE ZIGEUNERIN
an der Erde, wirft sich herum, deutet nach hinten, dort steht eine zweite Gestalt, ihr völlig gleich.

Schau die! schau die! Wie ihr Liebster ihr den Weg erleuchtet mit angesteckten Dörfern! Die kommt weit her! Winkt die Gestalt heran. Hier her!

SIGISMUND.

Sessa! bist du doppelt, Hagreiterin? Ich bin auch mehr als einer – da, ich will dir Tempo geben! Er ergreift einen großen Knochen, schwingt ihn, spricht einen Spruch und tut dazu schwere Schritte nach dem Takt, wie ein an den Pflock gebundener Bär. So schrein die sieben Siegel: die Fische werden brüllen, die Engel werden weinen, und schmeißen sich mit Steinen, die Gräslein werden zahnen, und alle hohen Tannen!


Es trommelt in der Luft gewaltig. – Die aufrechte Zigeunerin kommt mit schweren Schritten, auf jeden Trommelschlag einen Schritt, heran. Sigismund schlägt mit dem Knochen den Takt dazu.
DIE AUFRECHTE ZIGEUNERIN
mit weit offenen, aber nicht sehenden Augen, im Gehen.

Immer geh! immer geh! Blutige Füß! verliert nicht den Mut! Ihr kommt schon hin! ihr kommt schon hin! Freu dich mein Kind! mein Kind im Bauch! Dein Vater brennt die Welt an! das leucht't dir auf den Weg! Sie kommt dicht an Sigismund.

SIGISMUND
hebt die Hand.
Halt! Stockan! Hier steht wer!

Die kauernde Zigeunerin lacht.
[366]
DIE AUFRECHTE ZIGEUNERIN
plötzlich ganz nahe bei Sigismunds Gesicht, jäh den Ausdruck verändernd, als erkennte sie ihn.

Pfui, Lagerdieb! Auspeitschen den mit einem Zügel! – Da, bindet ihn! Sie will ihn fassen, er schlägt mit dem Knochen durch die Luft, sie weicht zurück. Der Schmarotzer! Deinem Generalissimus hast das feurige Lüftel aus dem Leib gestohlen! Da drin ists, was du gestohlen hast! Sie schlägt sich auf den Leib. Du Alraun! Samen, vom Galgen geträufelt!

DIE KAUERNDE ZIGEUNERIN
fährt mit der Hand in dem Haufen Knochen herum.

Ein Fuchs bellt heiser und wühlt sich unter den Knochen hervor mit glühenden Augen. Fürcht dich nicht, mein alter Buhl. Er ist an der Kette. – Was? fletscht er die Zähne gegen dich! Dein leiblicher Sohn, auferstanden aus der Senkgrube. Beiß ihn, hussa, hetz! Ich schmeiß dich auf ihn. Sie nimmt den Fuchs in die Arme; plötzlich hat sie statt seiner den König Basilius in den Armen, der mit halbem Leib aus der Erde ragt.

SIGISMUND.
Hinweg! Das ist vorbei. Das liegt in dem Bauch der Erde.

Basilius lacht, streckt seine Zunge gegen Sigismund und fällt zusammen als ein gekrümmter Fuchs, dem die Zunge aus dem Maul geht.
DIE STEHENDE ZIGEUNERIN.
Was liegt, steht auf gegen dich. Jetzt geht alles um.

Ein Mann, mit schrecklicher fremder Miene, wälzt sich unterm Zeltvorhang hervor.
SIGISMUND.
Ich bin gefeit gegen euch. Erde auf euch!
DIE KAUERNDE ZIGEUNERIN.
Erd folgt dir nicht! Ausgestoßen von der Erd. Ausgespien von der Luft! Alraun!
SIGISMUND.

Wer bist denn du, alter Nachtwandler? Solche wie du hab ich in meinem Kofen immer um mich sitzen gehabt.

DER MANN AUF DER ERDE
reißt sich sein unkenntliches Gesicht ab und enthüllt sich als der tote Julian.

Er sitzt auf der Erde und [367] winkt Sigismund mit seiner grünen Hand. Hör mich. Ich habe wenig Zeit. – Sigismund. – Ich hab dich nicht die rechte Sprache gelehrt. Ich möchte mir die Haare raufen. Die ich dich gelehrt habe, reicht nur für die Anfänge. Es geht aber alles immer weiter. Hier, wo ich wohne, ahne ich erst die neue Sprache: die sagt das Obere und Untere zugleich.

SIGISMUND.

Sie kommt schon auf acht Füßen zu mir. Aber ich habe keine Zeit. Ich bin ein General in seinem Zelt und muß nach zwei Fronten schlagen.

JULIAN.
Ich muß dir meinen Kopf leihen, damit du die Welt von unten siehst.

Sein Kopf allein mit einem gräßlich angespannten wissenden Ausdruck kommt auf Sigismund zu.
SIGISMUND
schlägt mit dem Knochen in die Luft.
Die Lektion hab ich schon im Turm gelernt. Laß mich!

Der Kopf verschwindet. Auch der tote Fuchs ist verschwunden. Der Sturm wird wieder stärker. Ein Krachen wie von einer eingebrochenen Tür.
DIE STEHENDE ZIGEUNERIN.
in den Sturm hinein. Herbei, du Starker! Herbei, du Großer! Hol ihn dir!

Die Lampe erlischt, der Feuerschein mitten im Zelt wird stark. In ihm steht Oliviers Gestalt, aber
undeutlich wie aus Glas. Die kauernde Zigeunerin ist von nun ab verschwunden.
SIGISMUND.
Antworte mir! Zeig dich mir an! Ich will es. Ich befehle.
OLIVIERS
Gestalt wird deutlicher.
DIE ZIGEUNERIN.

Reckst du gebietend deine Hand gegen deinen Herrn? Du Krott! Du Natternbub! Deine Hand wird man dir lähmen.

OLIVIER
steht und starrt.
Er hat einen zerhauenen Schädel.
DIE ZIGEUNERIN.

Brüll ihn an, daß ihm die Eingeweide aus dem Leib fallen. – Ah, wie er schaut. Wie er die armen Zähne bleckt. Wie er die blutigen Haare sträubt. Herr! Herr! Herr!

SIGISMUND.

Du hast meinen Blick niemals ausgehalten wie du noch im Fleische warst. Sonach fort mit dir. Aber nicht wie du selbst willst, sondern wie ich will. So wie dein letzter Augenblick war, so fährst du dahin vor meinen Augen.


[368] Olivier will auf Sigismund los. Er hebt den Stumpf eines Schwertes und will auf ihn hauen. Aber seine Tritte sind unsicher wie auf Sumpfboden. -Jeronim und Aron, von Morast triefend, reißen sich links und rechts zu ihm empor und hängen sich an ihn. Er brüllt auf und versinkt mit ihnen.
DIE ZIGEUNERIN
indem er noch da ist.

Was? wer? welche Waffen für dich? – Straf mich nicht, ich bin da. Deine Sklavin ist da. Dein Geschöpf ist da.


Nach Oliviers Versinken im Augenblick fast völlige Dunkelheit. – Die Zigeunerin ist in diesem Augenblick Sigismund sehr nahe.
SIGISMUND
stark.
Lichter her, und schafft das Weib weg!

Ein Lichtschein von links. – Die Zigeunerin greift in die Luft und fällt zusammen. – Adam kommt eilig von rechts mit einem Licht, ebenso von links der Arzt und Anton, sowie mehrere Diener. – Es dringt indessen von draußen auch das grauende Tageslicht durch die Zeltwände ein.
SIGISMUND
Adam entgegen.
Olivier ist tot. – Versteht ihr mich? Olivier ist tot.
ARZT.
Ist das möglich?
ADAM.
Verläßliche Nachricht? Handgreifliche Beweise?
SIGISMUND
sehr lebhaft.
Er hat mir soeben die Überzeugung davon beigebracht!
ARZT.
Wie denn?

Indrik tritt von hinten herein.
ADAM.
Wo ist das Weib hingekommen, Indrik?
INDRIK.
Hier liegt sie.
ADAM.
Tot?
INDRIK.
Ich weiß nicht.

Man trägt die Zigeunerin fort.
SIGISMUND.
Freunde, ich bin Herr im eigenen Haus. Gebt mir ein Tuch. –
ANTON
reicht ihms, er wischt sich die Stirn.
SIGISMUND
sehr lebhaft.

Es ist nicht Angstschweiß, sondern ein kalter Tau, der sich vom Anhauch der untern Welt angesetzt. Ein Ding sicher zu wissen lohnt ein bißchen kalten Schweiß. Ja, Doktor, es war jemand da. Aber in anderer Weise als Ihr und ich. Es scheint noch etliche Weisen zu geben, von denen wir erst mit nächstem erfahren werden. – [369] Hier stand es. Es ging ein Wind davon aus, der das Licht löschte, und das Fleisch ein wenig kräuseln machte. – Es geschahen dabei nicht viel Reden. Ich schrie das Ding an und es verschwand. – Es sieht aus, als ob wir zu höheren Dingen bestimmt wären.

ARZT.
Eure Majestät bluten ja!

Er greift nach der Verbandtasche, die er um hat.
SIGISMUND.

Was denn? – Zu Adam gewandt. Mit zerhauenem Schädel liegt er in einem Sumpf. – Adam, es sind blutige Zeiten. Wo blute ich?

ARZT.

Hier an der Hand. Wie kommen Eure Majestät zu der Wunde? Es ist ein scharfer Schnitt quer über die ganze Palme hin und senkrecht durch die Lebenslinie.

SIGISMUND.
Was weiß ich! Ja: ich habe etwas gespürt. Das Weib war mir nahe.
ARZT.
Das Weib! da sei Gott vor!
ANTON
sucht am Boden, hebt ein winziges Dolchmesser auf.
Da! kann es das sein? Ein Messer, nicht größer als eine Haarnadel.
ARZT.
Sehr wahrscheinlich. Zu Anton. Einen großen Becher vom stärksten Branntwein! sofort!

Anton ab.
SIGISMUND
zum Arzt.

Hier stand das Ding. Vor einer Minute hätte ich es Euch zu erklären vermocht – bild ich mir ein – aber der Augenblick ist scheelsüchtig und hinterläßt seinem Nachfolger nur eine leere Truhe mit der Aufschrift: Hier war es! Er geht zum Tisch und sieht in die Karte. Jetzt kann mein Vortrab einschwenken. Die zwei Haufen ohne Führer sind im voraus verloren. Nun, warum verbindet Ihr mich nicht?

ARZT
indessen Sigismund bei der Karte steht.
Graf Adam!
ADAM
bei ihm.
Was macht Ihr für ein fürchterliches Gesicht! Gift?
ARZT.
Es ist mehr als möglich.
INDRIK
hats gehört, stürzt hin, nimmt Sigismunds Hand, indem er vor ihm kniet.
Laßt mich die Wunde aussaugen!
[370]
ANTON
mit dem Becher, zitternd.
Herr Doktor, was ist denn da geschehen?
ARZT.
Ruhe! – Zu Indrik. Laßt gehen, der Schnitt ist dafür zu tief.
ADAM.
Wie fühlen sich Eure Majestät?
SIGISMUND.
Wie immer. Was seht ihr mich so an? Wie? Was habt ihr alle? Bin ich vergiftet?
ARZT.

Leeren Eure Majestät für jeden Fall diesen Becher. Die Zigeuner, weiß ich, gebrauchen das Gift der Viper. Dies ist das einzige Gegenmittel, das mir zur Hand ist.

SIGISMUND.
Mir ist ganz wohl, und Ihr wißt, mir widerstrebt der Branntwein.
ARZT.

Er wird Eurer Majestät jetzt nicht widerstehen. Ich bitte darum. Und dann eine kleine Ruhe. Das Herz bedarf vielleicht jetzt seiner Kräfte, um sich zu wehren.


Er verbindet ihm die Hand.
SIGISMUND
trinkt den Becher aus.

Wir müssen unsere Geschäfte erledigen und können vorläufig die Stunde nicht wählen. – Zu Adam. Die Grafen wollen eintreten. Wir können diesen zweideutigen Großen jetzt mit freierem Blut entgegentreten als vor einer Stunde.

ARZT.
Das gebe Gott!
SIGISMUND
zu Adam.

Sag ihnen, daß der schwarze Haufe in den Wind geschlagen ist. Es gibt keine Olivierische Armee mehr, die mir entgegenstünde, und sie sind nicht mehr das Zünglein an der Waage, das sie sich zu sein dünken. Vorwärts – aber halt sie im Ungewissen über den Empfang, den ich ihnen bereiten werde. Und wart noch! laß ihnen ihre Schwerter zurückgeben: sie sollen nicht wie Köche und Stallmeister vor mich treten.


Adam tritt rechts ab. – Der Arzt hat sich von Anton den Becher abermals gefüllt bringen lassen und tritt damit auf Sigismund zu.
SIGISMUND.
Wozu das noch? mir fehlt nichts.
ARZT.
Ich bitte inständig.
SIGISMUND.
Ich bin völlig wohl, bis auf –

Er streicht sich übers Knie.
[371]
ARZT.
Bis auf –?
SIGISMUND.

Ein Nichts. Eine große Schwere in den Beinen. Wir sind auch drei Tage und Nächte kaum aus dem Sattel gekommen. Er setzt sich, nimmt die Karte zur Hand.


Anton sieht angstvoll auf Sigismund und macht ein verzweifeltes Gesicht und beißt sich in die Fäuste. – Der Arzt tritt zu Sigismund und drängt ihm den Branntwein auf. –
Der Vorhang an dem Haupteingang wird auf ein Zeichen Adams aufgehoben. Es treten ein: ein Offizier, der die Reichsstandarte trägt, ein gewappneter Bauer mit der Aufrührerstandarte: eine schwarze Stange, woran oben ein Bündel zerrissener Ketten befestigt ist, und ein tatarischer Hauptmann mit einer Standarte, bestehend aus vergoldetem Halbmond und Roßschweif. Die drei Standartenträger stellen sich an der linken Schmalwand des Zeltes auf. Indrik tritt hin und ergreift die Standarte mit den zerrissenen Ketten. – Von links treten die Bannerherren herein, denen Adam vorantritt. Eingetreten knien sie sogleich Sigismund gegenüber nieder. Gleichzeitig treten durch den Haupteingang Sigismunds Feldhauptleute ein, fünf oder sechs geharnischte Männer aus den niedrigen Ständen, und nehmen links rückwärts nahe dem Eingang Stellung. – Adam, wieder eingetreten, ergreift das ihm von einem Knaben gereichte Reichsschwert in einer samtenen Scheide und stellt sich links hinter Sigismund.
SIGISMUND
bei dem Tisch auf der Trommel sitzend, betrachtet jeden einzelnen der Knienden sehr aufmerksam, dann.

Stehen die Herren auf – wir sind im Feldlager, nicht am Hof. – Aber ich bin gewärtig, meine Vasallen, eurer einträchtigen Huldigung, endlich!

DER ÄLTESTE BANNEKHERR
knieend.

Erlauchtester! Großmächtigster! Unüberwindlichster! – Erhabene Majestät! Unser aller souveräner König und Herr!

SIGISMUND.
So stehet auf, Vettern! Stehet!
DER ÄLTESTE BANNERHERR
stehend, sowie alle andern gleichfalls aufstehen.

Wie der Morgenstrahl die Schiffbrüchigen nach grausiger Sturmnacht, trifft uns die milde Anrede unseres gnädigen Königs. Heil uns Geprüften! und Heil nach welcher Nacht des Grauens. Welches Menschen Mund spricht aus, was in diesen Zeiten geschehen ist! – Die Städte von [372] der Erde weggekehrt mit einem Besen, die Burgen und Klöster starrende Brandstatt, die Felder Blutmoore, die Überlebenden in hohlen Bäumen oder in Klüften unter der Erde. Aber unser angestammter König redet uns huldvoll an, und mit dem männlichen Auge, in dem keine Träne zittert als die der ehrfürchtigen Rührung, erschauen wir in diesem Siegerzelte aufgepflanzt unseres alten Reiches hochehrwürdiges Banner – und blicken auf dieses allein, das da rausche früh und spät überm Scheitel unseres rechtmäßigen Königs.

SIGISMUND.

Ihr möget auf alle dreie blicken, Herren, sie flattern und klirren einträchtig im Winde, wo wir reiten. Sprecht weiter, Palatin.

DER ÄLTESTE BANNERHERR.

Furchtbar ohne Maßen war das Dräuen der Zeit, aber furchtbarer war der Zwiespalt, der unser Herz zerriß. Gewalt und Gesetz, diese beiden, auf denen die Welt ruht, vor unsern Augen in ungeheurem Widerstreit! Der Sohn gegen den Vater, Herrschaft gegen Herrschaft, Gewalt gegen Gewalt wie Wasser gegen Feuer, aber ein drittes gegen beide, wie wenn am Tage des Gerichtes die Erde sich auftut und Wasser und Feuer verschlingt: mit den Narren und Verbrechern, den Gottesfeinden und Schwarmgeistern, den Gleichmachern und Selbsthelfern brach Asien herein und wollte Herr sein in unserem Hause wie in grausigen Tagen der Väter. Furchtbar über dem Chaos schwang in Eines Gewaltigen Hand das Banner der zerrissenen Ketten, daß es klang über unsern gebeugten Häuptern wie Gottes Geißel. – Wie konnten wir in dieser Hand die Hand unseres gebenedeiten Königs erkennen? – Der niederwarf geheiligte Vatersgewalt, entblößte die Städte der schützenden Mauern, die Burgen schleifte, nicht wehrte dem Brand der Kirchen und dem Hinfall der Klöster! Dem zitternd um ihr Leben die Hauslosen auf zerstampfter Heerstraße entgegenzogen und das Brot, ihm darboten, gesalzen mit den eigenen Tränen – aber er war es!

SIGISMUND.

Er war es. Er ist es. Euer König und Herr aus der Kraft und der Notwendigkeit, hier bin ich. – Die alten Könige sind tot, die Gewohnheiten vernichtet, das Verbundene [373] aufgelöst. Es ist vom Nordmeer bis zum dunklen Meer im Süden, dem dies Reitervolk anwohnt, keine Gewalt mehr aufrecht außer mir. Aus Schmieden und Viehtreibern habe ich meine Feldhauptleute gemacht, umgeschweißt die Pflugscharen zu Schwertern – und alles war möglich, das vordem unmöglich geheißen hatte.

INDRIK.

Du hast uns gezeigt: Gewalt, unwiderstehliche, und über der Gewalt ein Höheres, davon wir den Namen nicht wissen, und so bist du unser Herr geworden, der Eine, der Einzige, ein Heiligtum, unzugänglich.

DER ERSTE BANNERHERR.

Ja, es erhob sich aus dem brennenden Nest ein Phönix, und da er sich aufschwang, erkannten wir die Brut unserer Könige und den gewaltigen Flug deiner nordischen Ahnen, und jetzt hat der Alptraum ein Ende und die Wüste unseres Lebens wird wieder wegsam vor unseren Augen. – Herr, laß uns einen großen König sehen, der der schwärmerischen Unkraft der Zeit den Pol der männlichen Gewalt entgegensetzt: gerecht und groß, milde und mächtig!

SIGISMUND
steht auf.
Der will ich sein.
DIE HERREN.
Es lebe der König!
SIGISMUND
tritt einen Schritt auf sie zu.

Aber daß wir uns recht verstehen! Ich nehme mir heraus, daß ich beides in diesem Dasein vereine: zu ordnen und aus der alten Ordnung herauszutreten. Und dazu bedarf ich euer: Einwilligung ist das Teil, das ich von euch verlange, Einwilligung, die da mehr ist als Unterwerfung!

DIE HERREN.
Ordne, Herr! Gib uns Friede! Lasse Gerechtigkeit walten!
SIGISMUND.

Was ihr Friede nennt, das ist eure Gewalt über die Bauern und die Erde. Was ihr Gerechtigkeit rufet, damit meinet ihr eure Gerechtsame und daß die Wölfe anstatt der Hunde sein sollen. Könnet ihr diese Begier nicht abtun? Wisset ihr nichts, als zu sitzen im Besitz und zu trachten nach Vorrang! – Ich trage den Sinn des Begründens in mir und nicht den Sinn des Besitzens, und die Ordnung, die ich verstehe, ist gefestigt auf der Hingabe und der Bescheidung. Denn ich will nicht dies oder das ändern, sondern das [374] Ganze mit einem Mal, und dann wollen wir alle zusammen die Bürger des Neuen sein. Er geht einmal auf und nieder, wobei der Arzt gespannt auf ihn sieht, und tritt dann wieder auf die Herren zu. Vettern, ihr glaubet, euer Geschick lasse sich noch eingrenzen wie ein Bauerngut durch eine Hürde: aber dem ist nicht so – denn die Welt will sich erneuern, und wenn die Berge sich gegeneinander bewegen, achten sie nicht eines alten Kirchturmes in ihrer Flanke. Was lange aufrecht war, liegt danieder: der Deutsche Orden ist dahingefallen gegen die Krämerstädte, auf dem moskowitischen Throne sitzt ein erwürgtes Kind, und es ist niemand gewaltig in der Mitte dieser Erde als dieser, der Großherr, Er zeigt auf die Tataren. mein Verbündeter, und ich. Er hat das große Ostreich aufgerichtet: die Kraft Asiens faßt er zusammen unterm schwellenden Mond und dem wehenden Roßschweif und er zählt nicht die Völker die ihm gehorchen, und zwischen sich und mir hat er den Fluß dort unten gesetzt, Borysthenes oder Oglu, wie sie ihn heißen, und seine breiten Wellen spiegeln das Lächeln unserer Eintracht, und vielleicht werde ich ihm durch meine Einwilligung Konstantinopel dahingeben als ein Pfand: denn es ist Zeit, daß die Großen einander in großer Weise begegnen. – Eure kleinen Reiche aber, eure Häuser, die ihr gegeneinander baut, und euren Glauben, den ihr gegeneinander habt, die achte ich nicht und verwische eure Grenzen: ich will euch kleine Völker neu mischen in einem großen Mischgefäß.

DER ÄLTESTE BANNERHERR.

Gut und Blut dir, o unser König und Herr! aber laß dich erkennen von deinen Getreuen! Nicht neben deinem heiligen Panier wehe der Roßschweif der Heiden! und laß in die Erde vergraben das Banner der zerrissenen Ketten: denn was soll das Zeichen der Empörung, wo du doch der Herr bist! – Sondern die heilsame Krone berühre dein Haupt und schaffe es unverletzlich und heilig! Mache einen Bund mit uns, die wir deine Vasallen sind, und gewähre, daß wir dich krönen mit der Krone deiner Väter!

INDRIK.

Seine Stirn trägt das Zeichen der Herrschaft für alle [375] und er braucht nicht eure alte Krone. Keinen Bund zwischen ihm und euch!

DIE HERREN.
Gewähre die Krönung! Gewähre, o Herr! – Es lebe unser gekrönter König!
SIGISMUND.

Halt! Ich will nicht Herr sein in den Formen, die euch gewohn und genehm sind, sondern in denen, die euch erstaunen. Es ist noch die Zeit nicht, daß ihr mein sanftes Gesicht sehet, sondern das kommt später. – Wenn das, was ich schaffen werde, nicht dauern kann, so werft mich auf den Schindanger zu Attila und Pyrrhus, den Königen, die nichts begründet haben. Wenn aber ja, dann wollen wir Kronen aufsetzen und lächeln. Die Göttin Zeit, meine Freundin aus dem Kerker, möge uns günstig sein! – Warum wird es mit einmal so finster? Er taumelt. Öffnet! lasset doch Licht herein!Er sinkt dem herbeispringenden Anton in die Arme.


Der Vorhang des Zeltes wird aufgezogen. Draußen steht das Volk, viele gewaffnet, alle barhäuptig. Inmitten des Lagers erhebt sich ein gewaltiger Mast mit einem Bündel zerrisener Ketten.
ARZT.
Treten die Herren zurück. Der König ist unwohl.

Anton und Adam, der dem einen der Feldhauptleute das Reichsschwert abgibt, springen hin und betten Sigismund rechts im Vordergrunde auf ein Lager aus den Kleidern und Teppichen die dort aufgehäuft liegen. –
Die Herren treten beiseite.
EINER DER HERREN
leise.
Was ist das? Hat er die fallende Sucht wie sein Vater?
EIN ANDERER.

Sehet, wie bleich sein Gesicht ist. Was gebt ihr für unser Leben, Herren, wenn er die Augen nicht wieder aufschlägt?

ANTON
bei Sigismund knieend.

Geben ein Zeichen, großmächtige Majestät! Geben ein kleines Zeichen dem Anton! Nur einen Wink mit dem Finger.

ARZT
zu den Feldhauptleuten, die herangetreten sind.
Zurück da, daß die Luft und das Licht herein dringt! Der König ist sehr krank. Zurück, ich bitte!

Die Volksmenge draußen vermehrt sich, aber in lautloser Stille.
[376]
SIGISMUND
schlägt die Augen auf.

Wer ist der Magere da? Er sieht meinem alten Anton ähnlich.Anton weint. Und was ist dort der große steigende Brand? Hängt die Tataren, daß sie wieder diesen Turm angezündet haben!

ARZT.
Die steigende Sonne blendet Seine Majestät! Haltet einen Schild vor!

Es geschieht.
SIGISMUND.

Nein! sehen! – Mein Lehrer im Kerker hat mich die Dinge richtig nennen gelehrt, aber das ist vom jetzigen Augenblick mir eingegeben, daß ich diesen flammenden Turm dort oben für meinen Wohnsitz hielt. – Verstehet mich wohl: ein Mensch braucht keinen geringeren Raum als die ganze Welt, um in der Wahrheit da zu sein – aber ich habe zwanzig Jahre in einem hohlen Stein gewohnt und ein Wort kannte ich nicht: Sehnsucht. Denn wo ich bin, da dringe ich ein und bin gegenwärtig und herrsche. – Sehet nicht scheu, Vettern. Habe ich euch eine strenge Miene gezeigt? – Es ist etwas Scharfes in unser Blut gekommen, ohne das man Schlachten nicht gewinnen kann – aber wir haben auch ein wenig Geist gewonnen: aus dem Mark unserer Knochen und der Vermählung unseres Innern mit der Notwendigkeit. – Ich frage euch: – so wahr ihr Männer seid – ob nicht etwas in euch ist, das ja sagt zu mir trotz allem?


Er hebt sich auf, sieht sie an, und läßt sich dann wieder hinsinken. Etliche küssen ihm die Hände und den Saum des Gewandes.
DIE HERREN
knien um sein Lager.

Empfange, Herr, den Treuschwur deiner Vasallen! – Gewähre, daß wir dich krönen! – Das heilige Salböl treffe deine Glieder und sie werden heil sein!


Der Arzt beugt sich über Sigismund.
SIGISMUND
schlägt die Augen auf und schließt sie gleich wieder; leise aber deutlich.
Ich werde gleich sterben.
EINER DER JÜNGEREN BANNERHERREN
Sigismund zunächst.

Du wirst leben, Herr, und die Salbung empfangen mit dem heiligen Öle. Wunderbar ist das smaragdene Gefäß heil geblieben im Gewölbe unter der Brandstatt.

EIN ANDERER.

Wunderbar ist der Greis am Leben geblieben, [377] der hundertjährige, Ignatius, einst der Lenker des Reiches, und seine Hände werden die Krone auf dein gesalbtes Haupt setzen; dazu hat das Geschick ihn aufgespart.

SIGISMUND
richtet sich auf.

Ah! wo war ich! noch einmal im Turm? In der Schwärze! ah! ah! erschlagt den Alten! zerschmeißt den Turm! zerbrecht die Ketten! Ich bin da! ich will nicht sterben! Entblößt das Schwert! mir! Ich will es halten!Er versuchts. Es ist niemand da außer mir! Ihr sehet nicht wie die Welt ist. Nur ich, weil ich schon einmal tot war. – Er reißt sich ganz auf. Alle zu mir! Mit dem Schwert brechen wir die Tür in die Zeit auf! Her! her! – Ich reiße euch alle mit mir herein – in das – in die Sonne – Gift und Licht – und – dennoch! dennoch! Er fällt zusammen.

DAS VOLK
schreit auf.
Ah!
ADAM.
Ist unser König ohne Abschied von uns gegangen?
ARZT
hält Sigismunds herabhängende Hand.
Er lebt, er ist nicht tot. Sein Puls geht klein und schnell wie bei einem kleinen Vogel.
SIGISMUND
schlägt die Augen auf.
ARZT.
Wie fühlt sich Eure Majestät? Ich schöpfe Hoffnung.
SIGISMUND.
Laßt das sein. Mir ist viel zu wohl zum Hoffen.

Eine Stille. Er liegt mit offenen Augen.
Die Herren flüstern miteinander und horchen. Man hört ein Glöckchen, wie das Glöckchen des Knaben
vor dem Priester. Es nähert sich.
EINER DER HERREN.
Im voraus stärkt dich das Salböl, das auf einem Wagen herannaht.
EIN ANDERER DER HERREN.

Höre die Fanfare! höre das Glöckchen! Sie bringen den Bruder Ignatius getragen, der dich krönen wird.


Das Kriegsvolk außen gibt eine Gasse frei.
DER REITERBUB
kommt, eine weiße Fahne in der Hand.

Sie kommen! Nicht nur der junge König kommt jetzt, den unser Herr geladen hat durch diese Fahne, sondern viele von den Seinigen sind mitgekommen, alle ohne Waffen und in weißen [378] Gewändern! Sie sind schon zwischen den Unsrigen und niemand hält sie ab.


Zwei Knaben, in weißen Gewändern mit nackten Füßen. Der eine hält ein Glöckchen, der andere einen weißgeschälten Zweig.
DER KINDERKÖNIG
ist durch die offene Gasse etwas hinter den beiden Knaben herangetreten.

Er trägt ein weißes Gewand und auf dem Kopf einen gekrönten Helm. Er bleibt in der Mitte stehen. Ich bleibe hier, und diese, die das Wasser und das Erz spüren, werden mir sagen, ob der Ort geheuer ist.


Sigismund liegt regungslos. – Der Arzt sieht unverwandt auf ihn.
DER KINDERKÖNIG.
Mir geziemt nicht, das Übel zu sehen.
DER ERSTE KNABE
zu denen, die um Sigismund gedrängt sind.
Tretet zurück und lasset diesen frei liegen.
ADAM.
Wer befiehlt hier?
DER KINDERKÖNIG.
Ich! denn die leben werden, haben mich über sich gesetzt.

Die Herren machen Miene, ihre Schwerter zu ziehen.
DER KINDERKÖNIG.
Schämt euch vor unseren ungewappneten Händen und steckt die Schwerter ein.
ARZT
zu dem ihm zunächst stehenden Knaben.

Habt ihr keine Heilkräuter? Ist kein weiser Schäfer unter euch? Wir brauchen um Christi willen ein herzstärkendes Antidot!

DER ZWEITE KNABE.
Wir sind Heilkräuter selber. Wir sind im Gebirge groß geworden.

Er wendet sich von ihm ab. Die beiden Knaben stellen sich in einer gemessenen Entfernung vor Sigismund auf. Alle sind zurückgetreten, ihnen Platz zu machen.
DER ERSTE KNABE
nachdem er mit erhobenem: Kopf die Luft in sich gesogen hat, singt.
Das Licht ist sanft, und ich höre die Sichel gehen im Gras und die Schwaden über die Sense fallen.
DER ZWEITE KNABE
singt.

Gewaltig! die Lerche ist gewaltig! und die Sonne zeigt ihr herrliches Haus und alles deutet auf einen Punkt.

DER ERSTE
singt.

Gewaltig ist die Erde und gewaltiger der Mensch. Es ist sonst nichts da! Er ist ein Maß und wird gemessen.

DER ZWEITE
singt.
Hier ist der Fels, aus dem der Quell fließt, Milch und Honig.
[379]
BEIDE
zusammen.
Hier ist alles gereinigt! und keine Furcht ist nahe.

Sie knien nieder, gegen Sigismund gewandt.
SIGISMUND
schlägt die Augen auf.
Was weckt mich noch einmal! Wer wohnt noch in mir, den ich nicht kenne?

Der Kinderkönig tritt einen Schritt näher.
SIGISMUND
für sich.
Jemand.

Er richtet seinen Blick auf den Kinderkönig. Sie betrachten einander.
DER KINDERKÖNIG
noch zwei Schritte näher tretend.

Ich weiß deinen Namen und ehre dich nach deinen Taten. Meine blutende Mutter hat ihn mir gesagt, ehe sie mich hieß in den Brunnen steigen, damit ich am Leben bleibe.

SIGISMUND
lächelt.
Wer bist du?
DER KINDERKÖNIG.

Ein König! Er neigt sich zu ihm. Weißt du, es ist das in mir, wovon eine geringe Gabe die Menschen störrisch macht, eine große aber zahm und folgsam wie Hunde. Du sollst mir Schwert und Waage geben: denn du bist nur ein Zwischenkönig gewesen. – Wir haben Hütten gebaut und halten Feuer auf der Esse und schmieden die Schwerter zu Pflugscharen um. Wir haben neue Gesetze gegeben, denn die Gesetze müssen immer von den Jungen kommen. Und bei den Toten stellen wir Lichter auf.

SIGISMUND
sieht ihn an, lächelt.
DER KINDERKÖNIG.
Tretet alle zurück und lasset mich allein mit meinem Bruder.

Die beiden Knaben stehen auf und treten nebeneinander hinter den Kinderkönig. – Der Kinderkönig tritt ganz nahe zu Sigismund hin. – Sigismund schließt die Augen.
DER KINDERKÖNIG.

Mit einem in der Welt war es mir bestimmt, Blutbrüderschaft zu schließen – und jetzt – Er kniet zu Sigismund hin. erschrick nicht. Das was du nicht sagen kannst, das allein frage ich dich.


Alle knien nieder, sowohl die im Zelt als das Volk draußen. Das Volk draußen seufzt tief.
EINIGE AUS DEM VOLK.

Wir können nicht seinen Kopf sehen! [380] Höre uns! Wir rufen dich! wir! wir! Du unser Haupt! Rede nicht mit dem Fremden!


Sigismund schlägt die Augen auf und reckt die rechte Hand empor, damit alle sie sehen können. – Das Volk weint.
DER KINDERKÖNIG
leise.
Dein Gesicht! Wer ist dieses Göttliche, das jetzt auf die Schwelle tritt?
SIGISMUND
sieht ihn an.

Das zergeht bald. Leiste mir Freundschaft, solange ich da bin. – Furchtbar fest haftet die Seele im Leib. Aber die Wahrsagerin hat es gesagt, daß für mich kein Platz in der Zeit ist.

ANTON
zu Sigismunds Füßen knieend.
Uns haben der Herr König nichts zu sagen?
SIGISMUND
sieht um sich, dann mit klarer Stimme, den Arzt ansehend.
Gebet Zeugnis: ich war da. Wenngleich mich niemand gekannt hat.
DAS VOLK.
Verlasse uns nicht! Harre aus bei uns!
DIE BEIDEN KNABEN.
Lasset ihn sterben! – Freude!
SIGISMUND
mit ganz heller Stimme, sich ein wenig aufrichtend.
Hier bin ich, Julian! Er fällt zurück, tut einen tiefen Atemzug und stirbt.

Der Kinderkönig steht auf und hebt die rechte Hand. – Alle erheben sich und recken, wie er, die rechte Hand empor. – Die drei Bannerträger senken die Banner zu Sigismunds Füßen.
DAS VOLK.
Zerreißet unsere Standarten!
DER KINDERKÖNIG.
Ruhe, ihr! – In der Zeit könnet ihr diesen nicht messen: aber außer ihr, wie ein Sternbild.
DAS VOLK.
Sigismund! bleibe dein Name bei uns!
KNABEN
zwischen dem Kriegsvolk hervorgetreten, singen mit heller Stimme.
Mitte spiritum tuum, et creabuntur, et renovabis faciem terrae!
DER KINDERKÖNIG
indem er das in der Scheide geborgene Reichsschwert ergreift.
Hebet ihn auf. Wir brauchen sein Grab, unsern Wohnsitz zu heiligen.
KNABEN
heben Sigismunds Leiche auf.
DER KINDERKÖNIG.
Vorwärts und folget mit mir diesem Toten.

Trompeten.
Vorhang.

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TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Dramen. Der Turm. Der Turm. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-78E9-6