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Die Teck

Ah! so hab ich noch die Traubenhügel erstiegen,
Ehe der leuchtende Strahl an der güldenen Ferne hinabsinkt.
Und wie wohl ist mir! Ich streck im stolzen Gefühle –
Als umschlänge mein Arm das Unendliche – auf zu den Wolken
Meine gefaltete Hände, zu danken im edlen Gefühle,
Daß er ein Herz mir gab, dem Schaffer der edlen Gefühle.
Mich mit den Frohen zu freuen, zu schauen den herbstlichen Jubel,
Wie sie die köstliche Traube mit heiterstaunendem Blicke
Über sich halten, und lange noch zaudern, die glänzende Beere
In des Kelterers Hände zu geben – wie der gerührte
Silberlockigte Greis an der abgeernteten Rebe
Königlich froh zum herbstlichen Mahle sich setzt mit den Kleinen,
O! und zu ihnen spricht aus der Fülle des dankenden Herzens:
Kinder! am Segen des Herrn ist alles, alles gelegen – –
Mich mit den Frohen zu freuen, zu schauen den herbstlichen Jubel,
War ich herauf von den Hütten der gastlichen Freundschaft gegangen.
Aber siehe! allmächtig reißen mich hin in ernste Bewundrung
Gegenüber die waldigte Riesengebirge. – Laß mich vergessen,
Laß mich deine Lust, du falbigte Rebe, vergessen,
Daß ich mit voller Seele sie schaue, die Riesengebirge!
Ha! wie jenes so königlich über die Brüder emporragt!
Teck ist sein Name. Da klangen einst Harnische, Schwerder ertönten
Zwischen den moosigten Mauren der Fürsten und blinkende Helme.
Eisern waren und groß und bieder seine Bewohner.
Mit dem kommenden Tag stand über den moosigten Mauren
In der ehernen Rüstung der Fürst, sein Gebirge zu schauen.
Mein dies Riesengebirge – so stolz – so königlich herrlich – ?
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Sprach er mit ernsterer Stirne, mit hohem, denkendem Auge –
Mein die trotzende Felsen? die tausendjährige Eichen?
Ha! und ich? – und ich? – bald wäre mein Harnisch gerostet,
O! der Schande! mein Harnisch gerostet in diesem Gebirge.
Aber ich schwör – ich schwör, ich meide mein Riesengebirge,
Fliehe mein Weib, verlasse das blaue redliche Auge,
Bis ich dreimal gesiegt im Kampfe des Bluts und der Ehre.
Trage mich mein Roß zu deutscher stattlicher Fehde
Oder wider der Christenfeinde wütende Säbel –
Bis ich dreimal gesiegt, verlaß ich das stolze Gebirge.
Unerträglich! stärker als ich, die trotzende Felsen,
Ewiger, als mein Name, die tausendjährige Eichen!
Bis ich dreimal gesiegt, verlaß ich das stolze Gebirge.
Und er ging und schlug, der feurige Fürst des Gebirges.
Ja! so erheben die Seele, so reißen sie hin in Bewundrung,
Diese felsigte Mitternachtswälder, so allerschütternd
Ist sie, die Stunde, da ganz es fühlen, dem Herzen vergönnt ist. –
Bringet ihn her, den frechen Spötter der heilsamen Wahrheit,
O! und kommet die Stunde, wie wird er staunen, und sprechen:
Wahrlich! ein Gott, ein Gott hat dieses Gebirge geschaffen.
Bringet sie her, des Auslands häßlich gekünstelte Affen,
Bringet sie her, die hirnlos hüpfende Puppen, zu schauen
Dieses Riesengebirge so einfach schön, so erhaben;
O und kommet die Stunde, wie werden die Knaben erröten,
Daß sie Gottes herrlichstes Werk so elend verzerren. –
Bringet sie her, der deutschen Biedersitte Verächter,
Übernachtet mit ihnen, wo Moder und Disteln die graue
Trümmer der fürstlichen Mauern, der stolzen Pforten bedecken,
Wo der Eule Geheul, und des Uhus Totengewimmer
Ihnen entgegenruft aus schwarzen, sumpfigten Höhlen.
Wehe! wehe! so flüstern im Sturme die Geister der Vorzeit,
Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!
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Ritterwort, und Rittergruß, und traulicher Handschlag! –
Laßt euch mahnen, Suevias Söhne! Die Trümmer der Vorzeit!
Laßt sie euch mahnen! Einst standen sie hoch, die gefallene Trümmer,
Aber ausgetilget ward der trauliche Handschlag,
Ausgetilget das eiserne Wort, da sanken sie gerne,
Gerne hin in den Staub, zu beweinen Suevias Söhne.
Laßt sie euch mahnen, Suevias Söhne! die Trümmer der Vorzeit!
Beben werden sie dann, der Biedersitte Verächter,
Und noch lange sie seufzen, die fallverkündende Worte –
Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!
Aber nein! nicht ausgetilget ist biedere Sitte,
Nicht ganz ausgetilget aus Suevias friedlichen Landen – –
O mein Tal! mein Teckbenachbartes Tal! – ich verlasse
Mein Gebirge, zu schauen im Tale die Hütten der Freundschaft.
Wie sie von Linden umkränzt bescheiden die rauchende Dächer
Aus den Fluren erheben, die Hütten der biederen Freundschaft.
O ihr, die ihr fern und nahe mich liebet, Geliebte!
Wärt ihr um mich, ich drückte so warm euch die Hände, Geliebte!
Jetzt, o! jetzt über all den Lieblichkeiten des Abends.
Schellend kehren zurück von schattigten Triften die Herden,
Und fürs dritte Gras der Wiesen, im Herbste noch fruchtbar,
Schneidend geklopfet ertönt des Mähers blinkende Sense.
Traulich summen benachbarte Abendglocken zusammen,
Und es spielet der fröhliche Junge dem lauschenden Mädchen
Zwischen den Lippen mit Birnbaumblättern ein scherzendes Liedchen.
Hütten der Freundschaft, der Segen des Herrn sei über euch allen!
Aber indessen hat mein hehres Riesengebirge
Sein gepriesenes Haupt in nächtliche Nebel verhüllet,
Und ich kehre zurück in die Hütten der biederen Freundschaft.

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TextGrid Repository (2012). Hölderlin, Friedrich. Gedichte. Gedichte 1784-1800. Die Teck. Die Teck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7B76-C