[49] Stimme des Volks

[Erste Fassung]


Du seiest Gottes Stimme, so glaubt ich sonst,
In heilger Jugend; ja und ich sag es noch!
Um unsre Weisheit unbekümmert
Rauschen die Ströme doch auch, und dennoch,
Wer liebt sie nicht? und immer bewegen sie
Das Herz mir, hör ich ferne die Schwindenden,
Die Ahnungsvollen, meine Bahn nicht,
Aber gewisser ins Meer hin eilen.
Denn selbstvergessen, allzubereit, den Wunsch
Der Götter zu erfüllen, ergreift zu gern,
Was sterblich ist und einmal offnen
Auges auf eigenem Pfade wandelt,
Ins All zurück die kürzeste Bahn, so stürzt
Der Strom hinab, er suchet die Ruh, es reißt,
Es ziehet wider Willen ihn von
Klippe zu Klippe, den Steuerlosen,
Das wunderbare Sehnen dem Abgrund zu,
Und kaum der Erd entstiegen, desselben Tags
Kehrt weinend zum Geburtort schon aus
Purpurner Höhe die Wolke wieder.
[50]
Und Völker auch ergreifet die Todeslust,
Und Heldenstädte sinken; die Erde grünt
Und stille vor den Sternen liegt, den
Betenden gleich, in den Staub geworfen,
Freiwillig überwunden die lange Kunst
Vor jenen Unnachahmbaren da; er selbst,
Der Mensch, mit eigner Hand zerbrach, die
Hohen zu ehren, sein Werk, der Künstler.
Doch minder nicht sind jene den Menschen hold,
Sie lieben wieder, so, wie geliebt sie sind,
Und hemmen öfters, daß er lang im
Lichte sich freue, die Bahn des Menschen.
Und wie des Adlers Jungen, er wirft sie selbst,
Der Vater, aus dem Neste, damit sie sich
Im Felde Beute suchen, so auch
Treiben uns lächelnd hinaus die Götter.
Wohl allen, die zur Ruhe gegangen sind
Und vor der Zeit gefallen, auch sie, auch sie
Geopfert gleich den Erstlingen der
Ernte, sie haben ihr Teil gewonnen!
Nicht, o ihr Teuern, ohne die Wonnen all
Des Lebens gingt ihr unter, ein Festtag ward
Noch Einer euch zuvor, und dem gleich
Haben die anderen keins gefunden.
Doch sichrer ists und größer und ihrer mehr,
Die allen alles ist, der Mutter wert,
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In Eile zögernd, mit des Adlers
Lust die geschwungnere Bahn zu wandeln.
Drum weil sie fromm ist, ehr ich den Himmlischen
Zu lieb des Volkes Stimme, die ruhige,
Doch um der Götter und der Menschen
Willen, sie ruhe zu gern nicht immer!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hölderlin, Friedrich. Gedichte. Gedichte 1800-1804. [Oden]. Stimme des Volks [Erste Fassung]. Stimme des Volks [Erste Fassung]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7C50-7