Leander und Ismene,
oder die schöne Zauberin und der entführte Schäfer

In drey Balladen

Erste Ballade

Seit Adam in den Apfel biß,
Glich unter allen Schönen,
Hier unterm Mond, das ist gewiß,
Kein Mutterkind Ismenen.
Bey meiner armen Seel'! es war
Ein Mädchen zum Entzücken,
Mit runder Brust, mit blondem Haar,
Und Adel in den Blicken.
Der ganze Wuchs war Ebenmaaß,
Das Aug voll Himmelsbläue,
Die Wang – ein Chor von Scherzen saß
Darauf in bunter Reihe.
Der Mund, der tausend Lust verhieß,
War sonder alle Mängel,
Und wenn sie sang, so klangs so süß,
Als säng' ein heilger Engel.
[66]
Die holde Schöne, denkt einmal,
That aber arge Thaten,
Und muß vielleicht, im Pfuhl der Quaal,
Jetzt kochen oder braten.
Behexte, wie das Dorf erzählt,
Die Kühe des Magisters,
Darob sein Weibchen treflich schmählt,
Das Federvieh des Küsters.
Sie knüpfte manchem Ehepaar
Den Nestel, als ein Meister,
Und rief, wenns ihr gefällig war,
Ein Rudel Höllengeister.
Ritt, trotz dem besten Postkurier,
Auf ihrem Besenstiele,
Und übergab den Winden ihr
Geringelt Haar zum Spiele.
Sie tanzte stets, am ersten May,
Mit Blumen in den Locken,
Den weißen Busen schleyerfrey,
Im Reigen, auf dem Brocken.
Dann pflag der alte Satanas
Den süßen Herrn zu spielen,
Und wenn sie stand, und wenn sie saß,
Nach ihrer Brust zu schielen.
Begierig küßt' er ihre Hand,
Als wollt' ers Händgen eßen,
Und konnt', an des Kocytus Strand,
Die Schöne nicht vergeßen.
[67]
Sandt' ihr so manches billet doux
Durch seine Hoflakeien,
Schloß kaum die Augenwimpern zu
Und träumte schon vom Freyen.
Allein Ismene lachte nur
Des grämlichen Pedanten,
Und suchte sich, bald auf der Flur,
Bald in der Stadt Amanten.
Sie sah einmal am Wiesenbach,
Wo manches Blümchen keimte,
Leandern, der im Schatten lag,
Und süße Träume träumte.
Er träumte von der Adelheit,
Mit der er sich versprochen,
Daneben von der Seeligkeit
Der ersten Flitterwochen.
Es sollte schon die Priesterhand
Am Altar ihn beglücken;
Man hieng ein langes, rothes Band,
Das Haar der Braut zu schmücken,
Schon an den bunten Flitterkranz;
Man stimmte schon zum Reigen,
Zum Menuet und Wirbeltanz,
Die Flöten und die Geigen.
Was meynt ihr wohl, die Unholdin
Trat vor den schönen Schäfer,
Zupft' ihn am Ohr und vorn am Kinn,
Und rief: wach auf mein Schäfer!
[68]
Sie hatte seines Mädchens Bild
Und Kleidung angenommen.
Leander ward mit Freud' erfüllt,
Und stotterte Willkommen.
Er nannte sie mein lieber Schatz,
Mein Engelchen, mein Kindchen,
Und gab ihr manchen Feuerschmatz
Aufs kleine, rothe Mündchen.
Sie giengen endlich, Hand in Hand,
Der Kühlung zu genießen,
Zum Wald'. Ein schöner Wagen stand
Schnell neben ihren Füßen.
Ein Kutscher, mit besetztem Rock
Und grämlicher Geberde,
Saß majestätisch auf dem Bock,
Und lenkte stolz die Pferde.
Der Wagen war von Elfenbein,
Besetzet mit Opalen,
Kein Galawagen ist so fein,
Die Zaubrin konnt's bezahlen.
Sie stiegen in den Phaeton,
Drauf raßelten die Schimmel
Straks über Stock und Stein davon,
Mit donnerndem Getümmel.
Nun flogen sie gar himmelan,
Ein Wunder anzuschauen;
Leandern, wie man denken kann,
Begonn darob zu grauen.
[69]
Wir wollen, wenn es euch beliebt,
Die Leute fliegen laßen,
Und morgen, wenn Gott Leben giebt,
Den Rest in Reimen faßen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hölty, Ludwig Christoph Heinrich. Gedichte. Sämtliche Gedichte. Leander und Ismene. Erste Ballade. Erste Ballade. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7EC0-A