Arno Holz
Sonnenfinsternis
Tragödie

Personen

[97] Personen.

    • Hollrieder, Maler.

    • Musmann, Maler.

    • La bella Cenci.

    • Url.

    • Professor Lipsius, Bildhauer.

    • Der Präsident der Sezession.
    • [97]

1. Akt

Erster Akt

Schon bevor der Vorhang hochgeht, ertönt auf einem Harmonium gespielt das Thema des zweiten Satzes aus dem Schubertschen D-Moll-Quartett:


[98] Bei der Wiederholung des zweiten Teils, an der mit einem Kreuz bezeichneten Stelle, teilt sich langsam der Vorhang. An der mit einem Doppelkreuz
bezeichneten Stelle ist er voll auseinander gegangen. Die Bühne stellt ein hohes, geräumiges Atelier dar. Die Hinterwand wird fast ganz von einem einzigen, etwas hoch ansetzenden, dreiteiligen, flachbogigen, großscheibigen Fenster eingenommen. Und zwar haben dessen Seitenteile der Breite nach je drei, der Mittelteil vier Fensterfelder. In der Mitte des Mittelteils führt eine Tür, die mit ihren Scheiben die Breite von zwei Fensterfeldern einnimmt, auf einen langen, aber nur schmalen Balkon, der mit seiner flachen, niederen Eisenbrüstung fast über die ganze Bühne verläuft. Rechts und links dieses Fensters zwei bis auf den Boden reichende, naturleinene Lichtvorhänge, mit denen das Ganze beliebig von der Seite abgedeckt werden kann. Außerdem, den drei Fensterteilen entsprechend, drei weitere solcher Vorhänge, durch die das etwa unterste Drittel noch besonders abdeckbar ist. In den beiden Seitenwänden je eine Tür. Die Tür in der Seitenwand links [99] mehr dem Fenster zu, die in der Seitenwand rechts mehr nach dem Zuschauerraum. Die Tür rechts öffnet sich nach dem Zuschauerraum, vor der Tür links hängt ein tiefweinroter Friesvorhang, der nach dem Zuschauerraum hin zur Seite geschoben werden kann. Hinter diesem Friesvorhang erst ein tieferes Türgerüst. Die Türen, wie das Fenstergerüst,
schwarz. Um den ganzen Raum läuft ein dreieinhalb Meter hoher, steingrauer Paneelanstrich. Darüber die Wände und die Decke weißlich. Die Wände mit gerahmten Bildern bedeckt, die ausnahmslos Berliner Milieus darstellen. Der Boden fast ganz von einem echten, vielfarbig prächtigen Tierteppich eingenommen. An der Seitenwand rechts vor einer Chaiselongue mit ebenfalls tiefweinroter Decke ein halb eingebauter, schwarzer, brennender Gasofen, mit dem unterhalb des Fensters rechts und links der Tür eine steingrau gestrichene Warmwasserheizung korrespondiert. Am Kopfende dieser Chaiselongue nach dem Fenster zu eine leere Staffelei, hinter der mit den Rückseiten nach dem Zuschauerraum ungerahmte Bilder lehnen, Rotten stehen usw. Etwas nach der Hinterwand links auf geschweiften Beinen ein großer, schöner, runder Tisch mit allerhand Malutensilien und Rauchzeug, um den, die Polster wieder tiefweinrot, zwei entsprechende Sessel. Auf der Mitte des Tisches ein mächtiger, silberner, siebenarmiger Rokokoleuchter mit gelben Wachskerzen in roten Schutzschirmen. An der Seitenwand links, ganz nach vorn, ein kostbar geschnitztes, altgotisches Regal mit einer von rotem Tuch überspannten Hockergondel davor im gleichen Stil. Über der Chaiselongue ein kunstvoll gearbeitetes, japanisches Wandschränkchen.
Zwischen dem Regal und der friesverhangenen Tür zwei hohe, altchinesische Vasen. Mehr nach dem Fenster zu, zwischen Tisch und Chaiselongue, auf einem holzskulpturierten, sechseckigen Untersatz ein großer, bunt emaillierter Bronzekranich. Vor dem Regal, in der Tracht und Frisur der heiligen Cäcilie auf dem van Eyckschen Altarflügel, das Haar prachtvollstes venetianisches Rot, La bella Cenci. Auf der vorderen Ecke der Chaiselongue, ganz versunken, Url schlank; bartlos; edles, harmonisches, feindurchgeistigtes Cherubsgesicht; kurzes, apollinisch gelocktes Kastanienhaar; langer, leicht glockenförmig [100] geschnittener Tuchrock aus allertiefstem Violenblau; Hose aus dem gleichen Stoff, dunkle, künstlerische, ziemlich hochgehende Seidenweste; geschmackvolles, selbstgebundenes, von einer Nadel mit einer einzigen schwarzen Perle zusammengehaltenes Plastron unter einem Umlegestehkragen und dünne, feinstgliedrige, um den Hals getragene Golduhrkette. – Durch das große Fenster im Hintergrund, mit verschneiten Dächern, ein weit ausgebreitetes Panorama Berlins. Noch helles Nachmittagslicht.

LA BELLA CENCI
während der Vorhang aufgeht und die Melodie immer lichter wird, in ihrer Pose aus dunkler Schwermut sich bis zu aufgelöster Ekstase steigernd.

Nachdem die letzten Töne verklungen; die Hände noch auf den Tasten. Nun? ... Sitzen jetzt die sechzig Takte? ... Und meine Pose? ... Nochmal? ... Sich halb nach Url wendend. Oder sind Sie schon zu müde? Url: aus seiner Versunkenheit erwachend; er findet noch keine Worte; irritierte Bewegung, als ob ihm der Halskragen zu eng wäre; rechte Hand nach der Schläfe, La bella Cenci: auf ihrem Hocker jetzt ganz nach ihm umgedreht. Wo ... waren Sie wieder? Überhaupt: was ist Ihnen heute?

URL
schwer.
Ich hätte ... am vierundzwanzigsten Dezember ... nicht durch die Leipziger Straße gehen sollen.
LA BELLA CENCI
im ersten Moment noch ganz perplex.

Sie ... hätten ...? Ach, so! Jaja! ... Mit dem Hocker sich ganz nach ihm hindrehend. Bin ich mal wieder n Bähschäfchen! Mit ändern Worten: Sie wünschten, Sie hätten mich nie gesehn!

URL
zögernd-schwankend.
Ja und ...
LA BELLA CENCI
aus seiner »Seele«.
»Nein!« Leicht mokant. Delphisch-mystisch wie immer!
URL
sich zusammenraffend.
Also denn ...
LA BELLA CENCI
ihm zuvorkommend.
»Ja!«
URL
energisch nickend.
Ja!
LA BELLA CENCI
leis pikiert.
Soso! Hmhm!
URL
leicht abwehrend.
Sie ... dürfen das nicht ...
LA BELLA CENCI
fast wegwerfend-achselzuckend.
Kostbar! ... Sie sind ein seltsamer Heiliger!
[101]
URL
gequält vor sich hin, die Linke aufs Knie, die Hand vor der Stirn.
Wenn ich mir jenen ... sonderbaren ... Moment ... unserer damaligen Begegnung ... so nochmal ...
LA BELLA CENCI
überlegen-spitzspöttisch.

Gut. Also rekapitulieren wir! Mit einer gewissen liebenswürdigen Unbarmherzigkeit ihn aufziehend, um sich an ihm zu »rächen«. Ein junger ... offenbar den wohlhabenderen Ständen der Bevölkerung angehörender ... besser gekleideter Herr ... der in seinem Zwanzigtausendmarkpelz ...

URL
von diesem »Zwanzigtausendmarkpelz« etwas unbehaglich berührt.
In ...
LA BELLA CENCI
noch unterstrichen betonter.
Der in seinem Zwanzigtausendmarkpelz ...
URL
in seiner sitzenden Stellung sich aufrichtend, ihrer Kandare sich fügend, in ihrem begonnenen Satz gelassen-ruhig weiter.
Und ... mitten im dicksten Weihnachtstrubel ...
LA BELLA CENCI.

Ganz versunken ... vor dem großen Spielzeugschaufenster von Wertheim stand. Dazu ... eine nicht ... minder noch junge Dame ... die neben ihm plötzlich ... Fast dämonisch-boshaft triumphierend. »Drehn Sie sich nicht um! Reichen Sie mir Ihren Arm! Führen Sie mich zu einer Droschke!«

URL
von ihrer detaillierten Erinnerung, fast wie gegen seinen Willen, »gepackt«.
Ihre ersten ...
LA BELLA CENCI
noch triumphierender.

Worte! Nicht wahr? Die ruckten Sie nicht schlecht zusammen? So etwas war Ihnen noch nie passiert! Letzter »Hieb«.. Is ja auch!

URL
noch ganz vorwurfsvoll schmerzlich.
Sie rissen mich an jenem Abend ... aus einer Stimmung ...
LA BELLA CENCI
in ihrem grausamen Katz-und- Maus-Spiel nicht nachlassend.
An unserm Tischchen bei Borchardt habe ich nichts davon bemerkt!
URL.
Wenn ich es auch ... selbstverständlich ... für meine Pflicht hielt ...
LA BELLA CENCI
ihn lebhaft unterbrechend.

Oh! Nicht nur das! Von dem Moment ab, wo ich mich Ihnen als der berühmte, international weltgefeierte, sagen wir ... »Stern von Paramaribo« entpuppt hatte, waren Sie von einer Amüsantheit ... von einer Liebenswürdigkeit, [102] und ... Url: leis abwehrend gequälte Geste. aber ganz unbedingt, ja!

URL
leicht zustimmend ironisch.
Zweifellos!
LA BELLA CENCI
noch in ihrem selben Satz schnell weiter.

Und ... versteht sich, bei aller gesitteten Wohlerzogenheit, die für mich noch immer eine Art Gloriole um Ihr Haupt webt ... von einer Laune, daß ich die instinktive Sicherheit, mit der ich meine schnelle Wahl getroffen, im stillen selbst bestaunte!

URL
von ihrem Ton angesteckt.

Und als ich dann noch gar auf mein kleines Hottehüh-Steckenpferdchen geklettert war, »die moderne Wiedererweckung des antiken Mimodrams« ...

LA BELLA CENCI
ihn unterbrechend; in seinem Satz weiter.

Von dem herab Sie mir, und zwar in blühendsten Tintorettofarben, diese Sensationsnummer für meinen nächsten Winter improvisierten, jawohl ...

URL.
Da blendete ich Sie durch einen »Geist« ...
LA BELLA CENCI
zustimmend; in seinem Satz, wie vorhin, weiter.
Kaptivierten Sie mich durch einen souveränen Übermut, funkelten Sie von einem Temperament ...
URL
erst jetzt seinen Satz schließend.

Kein Prestidigitateur hätte spielender Chrysanthemen aus seiner Manschette in die Soffitten schleudern und immer wieder zurückfangen können, als ich damals ... meine spirituellen Einfalle!

LA BELLA CENCI.

Gewiß! Mit allen diesen Vorzügen, und wenn Sie sie jetzt auch nachträglich noch so sehr selbst verspotten, waren Sie damals behaftet! ... Seitdem freilich, ich kann Ihnen das ja ruhig sagen, sind Sie zu mir fast nur noch ... von einer wachsenden Wunderlichkeit!

URL
ausweichend gequält.
Wenn ich Ihnen diese ganze Zeit über wie ein verschrobener Sonderling ...
LA BELLA CENCI.

Pardon! ... Nicht erst »diese ganze Zeit über«. Ihre Absonderlichkeit setzte bereits ein, als ich Sie mir nach unsrer zweiten Veuve extra dry über das rote Seidenschirmchen weg aufs Korn nahm und dann plötzlich mit meiner Attacke überrumpelte, mir Ihre so keck sich steigernden Phantasien ... Bei jedem neuen Wort dessen betreffenden Inhalt durch Haltung und Ausdruck unwillkürlich leicht symbolisierend. Venus Coelestica, [103] Venus Genetrix, Venus Nutrix, Venus Perversa, Venus Dolorosa, Venus Ultrix, Venus Pandemos ... doch allerhöchst-eigenhändigst selbst einzustudieren! In dem Augenblick zogen Sie ein Gesicht, einen »Flunsch« ... na! ... So schnell, weltmännisch gefaßt, Sie sich auch wieder aufrappelten; Sie merktens ja: auch mir war der ganze Brei verhagelt! Daß ich mich über meinen Vorschlag mit Ihnen schließlich trotzdem einte, war nur noch ... rein äußerlich! Sie ... »wurden« nicht mehr, und ich ... hatte auch meinen Teil! Wir schieden und waren wohl beide überzeugt, daß sich unsere Wege zum zweitenmal ... nicht mehr kreuzen würden!

URL
der unter ihren Worten fast physisch gelitten; gequält.
Sie ... ahnten ja nicht ...
LA BELLA CENCI
grausam; fast höhnisch.
Was Sie ... in jener Sekunde ... gelitten!
URL
sie vollst anblickend; letzt schmerzlichst.
Nein! Das ... wissen Sie auch noch nicht!
LA BELLA CENCI
durch seinen Ton unwillkürlich berührt, jetzt etwas einlenkend.

Ich bitte Sie! Wenn ich ... als »Mädchen an sich« auch nicht Psychologie studiert habe so viel »seelisches Einfühlungsvermögen« dürften Sie mir schon zutrauen: daß Sie mir über das Verzweifelte Ihrer Lage nicht gleich reinen Wein eingeschenkt hatten ...

URL
ganz überrascht betroffen.
Sie scheinen ... anzunehmen ...
LA BELLA CENCI
ihm schnell ins Wort; immer wärmer begütigend.

Aber nichts war verzeihlicher! Ich begriff und verstand Sie sofort und vollkommen, als am übernächsten Vormittag statt Ihrer Ihr Brief kam.

URL
der ihr ganz starr zugehört.
Mein ...? Wie in plötzlich halbem Begreifen; die Augen noch auf sie geheftet, unwillkürlich. Ja!
LA BELLA CENCI
noch begütigend wärmer als vorhin; zuletzt mit einem Blick durch den Raum.

Wem ein so schwerer Schicksalsschlag nicht einmal die eignen vier Wände gelassen, wenn Ihnen auch noch dies Asyl hier bei Ihrem Freunde geblieben war ...

URL
der ihrem Blick unwillkürlich gefolgt war.
Bei ...
LA BELLA CENCI.
Wirklich! Sie sollten sich über eine solche mehr als Entschuldbarkeit nicht noch nachträglich so ...
[104]
URL
sich mit der Linken, als ob ihm endlich etwas wie ein Verständnis dämmerte, vor die Stirn fassend.
Erst jetzt wird mir klar!
LA BELLA CENCI.
Um Gottes willen, was denn?
URL
ausbrechend.

Ich in meiner unglückseligen Verzwicktheit, nie an die gerade allereinfachsten Selbstverständlichkeiten zu denken! Sie mußten ja zu dieser für mich so beschämenden Auffassung gelangen!

LA BELLA CENCI
jetzt fast ebenso ratlos wie er vorhin.
Auch jetzt noch, ich ...
URL
immer erregter.

Ein Mensch, der sich prahlerisch mit einer Existenz brüstet, die er schon längst nicht mehr ... führt, und der sich dann auf solchem verdrehten Schwindel ertappt sah ... Ein mich noch peinigenderes Mißverständnis ...

LA BELLA CENCI
der seine Erklärungen immer rätselhafter geworden, fast angstvoll.

Ja, wie denn? Sie ... schrieben nur doch! Anderer Tonfall. Ihr so glücklich weltabgekehrt einziges, nur von Ihrem ehrwürdig silberhaarigen Turteltäubchen- Dienerehepaar »Philemon und Baucis« rührend unsichtbar betreutes, kleines, sonderbares Grandseigneurtum, in das ich mich schon beinahe halb wie verliebt hatte, existierte nicht mehr, Sie wieder Blick durch den Raum seien hier nur noch ...

URL
der ihrem Blick wieder gefolgt war.
Haben Sie sich von mir ...
LA BELLA CENCI
mit dem Wunsch, ihrem offenbar gegenseitigen Mißverstehen endlich ein Ende zu machen; anderer Tonfall; fast scharf.
Wollen Sie mir nun, bitte ... volle Aufklärung geben?
URL
mit dem Versuch, seine Erregung so sehr als möglich zu dämpfen; die hauptsächlichsten Worte prononciert betont.

Der Fallit meines Vetters Brockenhusen, der Verlust unseres ganzen altererbten Familienvermögens, lag an jenem Abend allerdings ... schon wochenlang hinter mir! La bella Cenci: noch ratloser. Aber noch nicht eine Stunde ... bevor Sie dann so plötzlich ... verschleiert neben mir standen ... hatte mir ... Wieder, wie vorhin, Blick durch den Raum. Herr Hollrieder ...

LA BELLA CENCI
die seinem Blick wieder gefolgt war.
Herr ...
URL
noch nachdrücklicher.

Herr Hollrieder ... der einzige Mensch, der sich meiner angenommen, obgleich er mich damals noch kaum [105] kannte ... die niederschmetternde Nachricht bringen müssen ... alle seine Bemühungen, mir wenigstens zu einem leidlichen Arrangement zu verhelfen, seien endgültig gescheitert! In gerechter Selbstverteidigung. Durch mein Haus mit seinen Sammlungen, durch erhebliche Liegenschaften noch von meinem Großvater her, durch allerhand beträchtliche Außenstände, die sich dann ... als illusorisch erwiesen, glaubte ich ganz bestimmt und mit gutem Fug und Recht hoffen zu dürfen ... Sich plötzlich selbst unterbrechend und das letzte zusammenfassende Fazit ziehend. Ich hatte die lächerliche Höhe der Verpflichtungen, die ich in meiner totalen Hilflosigkeit allem Geschäftlichen gegenüber zum Teil auch noch für ganz Wildfremde übernommen hatte, gar nicht übersehn!

LA BELLA CENCI
die ihm mit steigernder Überraschung zugehört und sich nun vor einem neuen, ihr um so tieferen Rätsel sehend.
Und nach einem ... derartigen Debakel ... sofort hinterher ...
URL
immer verinnerlicht-suggestiver, zuletzt ihr sein volles Geständnis ablegend.

Daß ich Ihren ... drängenden Worten ... gleich so willenlos gefolgt war ... steht in meiner Erinnerung ... immer noch wie ein Rätsel! Nach einer Verzweiflung, deren Abgründigkeit Sie jetzt ... vielleicht ermessen werden ... nach einem innern Niederbruch sondergleichen ... in einem Zustand und einer Verfassung ohne jedes Hoffen mehr ... war unser Beisammensein ... so kurz und so flüchtig es dauerte ... mir als der letzte Rausch erschienen, den mir das Leben ... noch hatte schenken wollen! ...

LA BELLA CENCI
nach einer kleinen, unwillkürlichen Pause; den Kopf etwas zurück, die Augen halb geschlossen; gepackt, das letzte Wort fast flüsternd.
Also auf diesem ... Untergrunde!
URL
ausholend; von neuem.
Ich hatte meinem Wieder Blick durch den Raum. Freunde ...
LA BELLA CENCI
die seinem Blick wieder gefolgt war; ganz verständnislos .
..?
URL.
Er mußte wohl gemerkt haben ... wie es mit mir stand. Seine rauhe Außenseite ...
LA BELLA CENCI
aus ihrer halben Erstarrung wie erwacht; wieder unwillkürlicher Blick nach den Bildern; sich innerlich empörend.
Seine ... Selbst da noch? In einem solchen Moment?
[106]
URL
in dem Gefühl, falsch oder wenigstens nicht ganz richtig begonnen zu haben.

Nein. Ich hatte mir von ihm ... eine ganz falsche Vorstellung gebildet! Allmählich immer wärmer und eifriger. Hinter dem erbitterten Kunsteiferer, vor dem ich bis dahin eigentlich immer etwas ... wie Scheu empfunden, ja dessen, wie mir damals noch schien, denn doch vielleicht zu übertriebner Wirklichkeitsfanatismus mich oft ... geradezu von ihm abgestoßen hatte, spürte ich jetzt ... zum erstenmal ... den lebendigen Menschen: jene verstehendste Psyche jedes wahrhaft Schaffenden, die ich an ihm deutlich schon längst hätte bemerken müssen, wenn ich nicht durch die wiederholt schiefen Charakteristiken ...

LA BELLA CENCI
reserviert abwartend.
Hm?
URL
leichte, verdeutlichende Geste nach der Tür rechts; in seinem Satz weiter.
Eines interessierten Dritten ...
LA BELLA CENCI
die seinen Blick und seine Bewegung verstanden; zweite Silbe kurz.

Aha! Leicht ironisch-anklagend; jetzt ebenfalls Blick nach der Tür rechts. Der Herr Nachbar! Ich verstehe.

URL
der ihr durch melancholisch-schmerzliches Nicken bedauernd beigepflichtet; von neuem in seinem Aufklärungsbericht weiter.

Um mich zu trösten ... wie ich wohl fühlte ... offenbarte er mir: seine mürrische Verschlossenheit, seine schroffe Härte, die ihn ... seit Monaten schon ... von jedem Verkehr mit anderen so gut wie isoliert hatte ... sei nur noch ... mühsame Maske! Es sähe in ihm ... wahrscheinlich noch schlimmer aus ... als in mir! Nach länger als zehnjährigem Ringen ... sei er mit seinem Glauben nicht bloß an sich, sondern auch an seine Kunst selbst ... zusammengebrochen! Aber das Leben ...

LA BELLA CENCI
ihn hart unterbrechend.

Sehr vernünftig! ... Anderer Tonfall. Wie grauenhaft muß man mit allem fertig sein, um ... Abbrechend, wie in einer unwillkürlichen Rückerinnerung.

URL
der auf ihre sonderbare Erregung, in diesem Augenblick zu sehr mit sich selbst beschäftigt, gar nicht geachtet.

Und er überzeugte mich so, er suggerierte mir seine zähe Widerstandskraft derartig, daß ich ihm aus freiem Antrieb ... das feierliche Versprechen gab, das heilige Ehrenwort ...

LA BELLA CENCI
die ihm, immer erregter, zugehört; fessellos grausam, in extremster [107] Verdammung.

Und dieses »feierliche Versprechen«, dieses »heilige Ehrenwort«, würden Sie dann also noch an demselben Abend gebrochen haben ...

URL
fanatisch; in ihrem Satz wie parenthetisch.
Ohne jedes Gewissen!
LA BELLA CENCI
jetzt, trotz ihrer ihm eben noch erst so elementar-schonungslos ins Gesicht geschleuderten Verurteilung, fast triumphierend.

Wenn jener noch nicht sechzigste Teil einer Minute Sie nicht jäh daran erinnert hätte, daß es für Sie inzwischen ...

URL
in ihren Satz einfallend und ihn schließend; sich rückhaltlos offenbarend.

Dazu schon zu spät geworden war! ... La bella Cenci: aufgestanden und in den Raum links vom Tisch hin. Url: ihr nachblickend. Ja!

LA BELLA CENCI
nach kurzer Pause zu ihm zurückgekehrt; scharf; fast zornig.
Warum erzählen Sie mir das jetzt? Weshalb haben Sie mir das damals nicht sofort a tempo gesagt?
URL
zurückgestutzt, aufgestanden, sie groß anblickend.
Ich habe nicht ... gewußt ...
LA BELLA CENCI
heftig; seinen Blick sprühend erwidernd.
Was Sie sich und mir dadurch verbutterten! Zu den Bildern tretend und ihm den Rücken drehend.
URL
ganz perplex konsterniert.
Hätte ich ... auch nur im geringsten ...
LA BELLA CENCI
abwehrend eisig; nervös nach den Bildern.
Bitte! Für künstliche Wiederbelebungsversuche bin ich nicht!
URL
der sich immer noch nicht gefaßt hat; noch gesteigerter.
Hätte ich geahnt ... Sich, ganz ermattet, wieder setzend.
LA BELLA CENCI
wie vorhin; ohne ihn anzublicken.

Trösten Sie sich! Es ist auch möglich, daß mir das alles nur so in der Erinnerung scheint! Sie waren damals anders, und ich war anders!

URL
aus schwerstem Ringen.

Um so schmerzlicher für mich ... die Gewißheit ... daß ich zu jenem befreienden Entschluß ... Unwillkürlich nach dem auf dem Hocker liegengebliebnen Mantel von ihr und dem Regal rüber. nun nie wieder den Mut finden werde!

LA BELLA CENCI
von ihrer Betrachtung der Bilder wieder einen kurzen Moment halb nach ihm zurück.

Sie sind ... ein Mann! Url unter ihrem[108] Wort leicht zusammengezuckt .... Da scheint mir Ihr Freund ... Nach ihm voll zurückgedreht. Sie sollten dem Leben mehr die Zähne zeigen!

URL
bitterst; gegen ihre maßlose Grausamkeit, im tiefsten Herzen verwundet, in ohnmächtiger Wehr.
Wo ich doch eben noch erst ... bedauerte ... daß ich damals nicht schon sofort ...
LA BELLA CENCI
scharf; fast verächtlich; wieder von ihm weggedreht.
Sie reden vom Tod, wie n kleines Mädchen von einem verpaßten Tanzvergnügen!
URL
noch gesteigerter als vorhin; fast in letzter Verzweiflung.
Wozu ich ... nach allem ...
LA BELLA CENCI.

Mein Gott, Sich vom Tisch eine Zigarette ansteckend,. nun blasen Sie doch nicht wieder auf Ihrer alten Verzweiflungsflöte! Über irgend etwas in seinem Leben muß jeder weg! Sie können doch nicht ewig Ihren futschikato gegangenen Kupons nachweinen!

URL.
Es ist nicht das Geld, dem ich nachtraure.
LA BELLA CENCI
sich in den Sessel links plazierend und eifrig mit ihrer Zigarette beschäftigt.

Sondern der hohe, edle, stolze, drolligerweise nie von dem geringsten Gasflämmchen oder gar elektrischen Fadenglühlämpchen profan erleuchtete, immer nur stil- und stimmungsvoll von IhrenLeichte, ironische Bewegung nach dem jetzt letzten dieser »Mohikaner«. vierundzwanzig silbernen, siebenarmigen, echten Rokokoleuchtern feenhaft durchstrahlte, anachoretisch einsame ... sagen wir »Elfenbeinturm« Entsprechende Geste nach dem Fußbelag. mit uralt ehrwürdigen Perser-Tierteppichen, den Sie sich dafür gebaut hatten! Als letztes Geheimsymbol der ganzen HerrlichkeitKopfbewegung nach dem kleinen Japanschränkchen über der Chaiselongue. Ihre Giftsammlung und hinter einem Florentiner Brokatvorhang als Allerheiligstes Ihre verflossne Geliebte, die Mona Lisa! ... Als ob ich das nicht alles längst auswendig wüßte! Url: leicht hilflos-abwehrende Geste. Andere Leute müssen sich doch auch ihr Brot verdienen! Glauben Sie, ich produziere mich Abend für Abend zu meinem Vergnügen vor einem Parkett in Zylindern als Trikotschönheit? Päh? ...

URL.

Wer von früh auf, wie ich, immer bloß in seinem vergoldeten [109] Käfig gesessen, mit instinktivem Grauen vor jeder Wirklichkeit ...

LA BELLA CENCI.

Erlauben Sie, wer hat Ihnen denn anvertraut, daß ich nicht auch mal in einem, solchen gesessen? ... Sie können das doch gar nicht wissen!

URL
langsam wieder aufstehend.
Sie ... sagen es mir jetzt.
LA BELLA CENCI.

Ich sage gar nichts. Ich sage nur ... daß Sie nicht so ein Ebenfalls aufstehend. Troddelmops sein sollen. Url, der unter ihrem Wort fast wie unter einem körperlichen Schmerz gelitten, nach dem Fenster zu gegangen. Na ja, wenn Sie einen ... nervös machen. Ein bißchen mehr Hoppsassa hinter der Unken Brusttasche, und einem Intellekt wie Ihrem ... Abbrechend und sich nach rechts in den Vordergrund der Bühne in Bewegung setzend. Vielleicht hat Ihnen Ihr verewigter Herr Vetter mit seinem glorreichen Bankkrach sogar noch den allergrößten Dienst erwiesen! Allein dies eine Programm, das Sie mir geschenkt haben! Url: leicht abwehrende Bewegung; La bella Cenci, vorn in der Mitte der Bühne, stehngeblieben. Jawohl. Geschenkt. Bar geschenkt. Ein neuer Trick ein neuer Hunderttausendmarkschein. Mindestens! Es kann auch das Vier und Fünffache werden! Erst jetzt sollte das eigentliche Leben für Sie beginnen!

URL.

Und statt dessen ... La bella Cenci: nervös ungeduldig. Url: sich schmerzlich zurück im Raum umsehend. drücke ich mich hier bei meinem Freunde nun. Bei einem Menschen, der selbst nichts hat!

LA BELLA CENCI
wieder nach links.

Ich habs Ihnen doch angeboten! Ich brauche eine Kraft! Um Ihre eigne Idee zu lanzieren! Wenn Sie ihr nicht helfen, und zwar permanent weiterhelfen wollen, wie Sie mir schon bei diesem ersten Anfang geholfen: aus sich selbst wird sich die »moderne Wiedererweckung« Ihres »antiken Mimodrams« nicht in die Welt setzen! Oder geniert Sie das? »Impresario einer Brettl-Diva«? Einigen wir uns auf »Sekretär«, und die Sache verliert vielleicht ihren Beigeschmack.

URL
noch ganz entschlußlos; mit der Rechten zaudernd am Kranich rumstreichend.
Gönnen Sie mir ... noch einige Bedenkzeit.
LA BELLA CENCI.

Wenn Sie glauben, daß Ihre Situation sich dadurch ändern wird ... Nach den Vasen hin. Die paar Trümmer, die Sie noch [110] gerettet haben, halten Sie bis an Ihr Lebensende nicht über Wasser. Besonders, wenn Sie Ihr generöses Wirtschaftssystem jetzt noch fortsetzen und alles zum Fenster hinauswerfen. Entweder ich übernehme In der Nähe des Regals. Ihr selten prächtiges, vollendet kunstvoll umgebautes Lieblingsinstrument zu seinem vollen Wert, oder Sie behalten den alten Kasten Auf die Tür links zu. Sie sollten dem Zufall unsrer Begegnung dankbarer sein. Den Friesvorhang links etwas zur Seite hebend. Margot? Die Tür wird geöffnet: »Madame?«. Vergessen Sie doch nicht nachher im Hotel. Der Portier soll streng darauf achten, daß sich niemand mehr mit einem photographischen Apparat einschleicht.»Oui, Madame!« Die Tür wird geschlossen. Ich habe heute einem Unverschämten seine Kamera aus der Hand schlagen müssen.

URL
an den Sessel rechts getreten.
... Darf ich ... Sie mal etwas fragen?
LA BELLA CENCI.
Wenn es nicht zu neugierig ist?
URL.
Kannten Sie den Herrn, vor dessen Zudringlichkeit Sie mich damals ... um Schutz baten?
LA BELLA CENCI
durch diese Frage einen Moment fast wie verwandelt; hinterm Sessel links; ihm gegenüber; aus ihrer Stimme klingt plötzlich beinahe etwas wie Angst.
Warum ... inquirieren Sie mich?
URL.
Weil Sie mir aus diesem einen Punkt her ...
LA BELLA CENCI
noch ganz verwirrt.
M?
URL.
Sie sind doch sonst eine so energische Natur,
LA BELLA CENCI
sich mit Mühe fassend.
Gott sei Dank!
URL.

Ich bin den Eindruck, den Sie damals auf mich machten, gar nicht mehr losgeworden! Sie waren ganz aufgeregt. Sie zitterten ordentlich. Sie müssen es doch ... gewohnt sein, daß Ihnen die Männer auf der Straße nachgehn.

LA BELLA CENCI
sich von ihm abwendend; in den Vordergrund nach dem Regal zu.
... Bestien! ...
URL
nach einer kleinen Pause; zögernd.
Sind Sie mir ... böse?
LA BELLA CENCI
ihrer Erregung mehr und mehr Herrin werdend; aber ihre Sicherheit, die ursprünglich eine naive gewesen ist, ist im Grunde nur noch eine nervös markierte.

Nein. Denn von einer einzigen Episode abgesehn, die hier nichts zur Sache tut, sind Sie der [111] erste anständige Mensch in meinem Leben. Wenigstens bei dem ich wieder das Gefühl habe, daß er in mir nicht bloß das Weib sieht. Nur ... wie oft soll ich Ihnen denn das sagen? Ich kenne Berlin nicht. Ich bin zum erstenmal hier. Noch den Abend vorher war ich in den Folies-Bergères aufgetreten, kontraktlich am ersten Feiertag früh begann mein Engagement im Wintergarten, ich war also erst vor wenigen Stunden auf dem Potsdamer Bahnhof angekommen. Wieder nach dem Tisch zurück. Oder meinen Sie, daß jener geheimnisvolle Unbekannte, der Sie so überflüssig zu interessieren scheint, mir schon von Madrid oder Petersburg her gefolgt war? ... Lächerlich. Ein alter Beau, wie sie einem überall zu Dutzenden nachscharwenzeln. Mit dem Versuch zu lächeln. Wenns wenigstens ... noch n junger gewesen wäre! ...Ihren Zigarettenrest in den Aschbecher stoßend. Ich begreife Sie gar nicht!

URL
auf sie zu.
Verzeihn Sie. Ich hätte nur diese Frage ... nicht erlauben sollen.
LA BELLA CENCI.
Also? Ihm die Hand reichend. Wenn wir gute Freunde bleiben wollen.
URL
der ihr die Hand geküßt hat; sich wieder aufrichtend.
Ich habe den Herrn ... gar nicht gesehn.
LA BELLA CENCI
nach einem schnellen, mißtrauischen, sich vergewissernden Blick auf ihn.

Um so besser. Wieder in den Vordergrund getreten, wo sie den Mantel aufnimmt. »Die sieben Verwandlungen der Venus!« Nummer eins: Die heilige ... Käkilie! Nachdem sie sich den Mantel um die Schultern gehängt hat; sich in ihn einwickelnd; kurzer, gemacht schwärmerischer Augenaufschlag. Virgo Immaculata! Die Jungfrau an sich, oder das verklärte Gänseblümchen! An sich hinuntersehend. Bekleideter kann n Mädchen fürs erste nicht recht sein. Mit einer halben Bewegung nach dem Harmonium hin. Wollen wir fortfahren? ... Oder nein. Ich sehs: Sie sind noch immer in den Mantel zu verliebt. Dieser bunte Lappen hat Sie heute ganz ...

URL
in dem der Eindruck, den vorhin ihr verändertes Wesen auf ihn gemacht hat, noch nachklingt; etwa in der vorderen Mitte der Bühne.
Er ist herrlich.
LA BELLA CENCI
an ihrem Mantel leicht herabblickend.

Ich finde auch. Der auf [112] dem van Eyckschen Altarflügel gleißt trotz seiner fünfhundertjährigen Patina kaum seraphischer. Wieder auf den Tisch zu. Na, ich kann ihn ja denn noch n Weilchen Parade tragen.

URL
ihr langsam folgend.
Ich bin schon ein Lehrmeister.
LA BELLA CENCI
sich eine neue Zigarette ansteckend.

Wie ich mir einen besseren überhaupt ... Auf eine bescheiden abwehrende Bewegung von ihm; sich in ihren Sessel links setzend. Nun ja! Ein andrer als Sie hätte einen so altehrwürdigen Kunstgroßpapa doch gar nicht zu variieren gewagt. Und dazu noch, um das Sakrileg voll zu machen, als musikalisches Motto Unwillkürlich nach dem Regal blickend. dies Schubertsche G-Moll-Motiv:Sich in den Sessel zurücklehnend; aus tiefer, rührender, klagend-bitterer Schwermut. »Vorüber! ach, vorüber! geh, wilder Knochenmann! Ich bin noch jung, geh! Lieber! und rühre mich nicht an.«Sofort anderer Tonfall. Versprechender Anfang!

URL
nach seinem Regal blickend.

Ja, ich ... weiß wirklich nicht. Mein ... Sich setzend, mit entsprechender. Geste real massiges, schweres, gotisches Regal ... auf Wolken ...

LA BELLA CENCI
auf seine plötzlich nachträgliche Bedenklichkeit nicht eingehend; wie als das allerselbstverständlichste von der Welt.

Rechts oben, dahinter mit Harfe, Flöte, Kinngeige und Pandore, die vier musizierenden, quinquilierenden, psalmodierenden Weibsengel ...

URL
in seiner begonnenen Linie, noch gesteigert, weiter.

Dieser blutend rosendurchrankte, einfassende Lilienwald in seinem zierlich maßwerkgekrönten Spitzbogenrahmen nur durch einen spielenden Scheinwerfer flach phantasmagorisch hingezaubert ...

LA BELLA CENCI
in unterstrichenem Erstaunen.
Nun ja, und?
URL
die in ihm aufgestiegenen Zweifel gegen die praktische Durch führbarkeit der von ihm selbst gefaßten Ideen noch immer nicht preisgebend.

Gewiß! Allerdings! Als ... visuell bildhaft mitten in einen dunklen Raum vor eine davon überraschte und überrumpelte Menge suggestiv hingehängtes erste Silbe betont Symbolen ... Aber ... rein technisch ... als Ganzes ...?!

LA BELLA CENCI
seine Bedenken zu zerstreuen suchend; ein Zigarettenwölkchen energisch in die Luft paffend.

Aus Licht und Leinwand läßt sich heute alles machen! Url eine das abermals in Zweifel ziehende [113] Geste. Noch bestimmter. Alles! Verlassen Sie sich: Ihr byzantinisches Goldmosaik, das zu irisieren beginnt, Ihr verblassender Renaissancegobelin, der sich in Nebel löst, Ihr pompejanisches Wandgemälde, aus dem ich vor allem Volke so angenehm dekolletiert ins Meer steige. Nach der Richtung sind wir Ihrem geliebten, altrömischen Pantomimenidol längst überlegen! Und die Hauptsache, die fortschreitende Verinnerlichung, markiert lediglich, wie Ihre treffsichern Berliner sagen würden, durch »Pelle«, ja, da helpt nix: das muß jetzt im Schweiße Ihres Angesichts eben von mir erarbeitet werden. Ich will mir die Welt erobern, und ich werde sie mir erobern!

URL.
Die ... haben Sie sich schon erobert.
LA BELLA CENCI
überrascht.
Seit wann ... verlegen Sie sich aufs Schmeicheln?
URL.
Ich glaube ... ich referiere doch wohl nur ... eine Tatsache.
LA BELLA CENCI.

Diese ewige »Lebende Statue«! Gräßlich! In prallweißer Seide bis an den Hals, das Gesicht und das Haar voll Kreide, und auf dem hohlen Postament ...

URL.
Sie sind die erste gewesen, die dieses Genre als Künstlerin bewältigt hat!
LA BELLA CENCI
aufstehend; verächtlich den Rauch ihrer Zigarette von sich stoßend.

»Künstlerin«! Nach dem Vordergrund rechts zu; Url unwillkürlich ebenfalls aufgestanden. Wenn ich mich auch, gottseidank, nie an das üblich Abgedroschne hielt, wenn ich auch in meinem kleinen Weibshirn zum Glück noch immer so viel Grips besessen, um mir meine mehr oder minder »verführerischen«, sogenannten »Plastiken«, so im Grunde sie mich auch gleichgültig ließen, wenigstens aus Eigenem zu leisten: ich werde aufatmen, wenn ich das ganze Konditorzeug in der nächsten Saison nicht mehr zu tragieren brauche!

URL
der ihr noch immer nachblickt.
Sie sollten nur unsre Maler und Bildhauer hören.
LA BELLA CENCI
scharf; nach ihm zurückgedreht.

Bitte! Mit den Herrschaften ... Mir genügt, was ich von diesen »Edelsten« der Menschheit kennengelernt habe Wieder von ihm weggedreht.

URL
durch den gereizt-aggressiven Ton ihrer Worte etwas seltsam berührt.
Wo Höhen sind, da sind auch Tiefen.
LA
BELLA CENCI Bezweifle ich nicht.

Nur grade: weil ich Ihnen Ihre Höhen zu [114] gebe, ohne weiteres, um so ... Besonderer Tonfall. grauenhafter die Tiefen!

URL
unwillkürlicher Blick nach beuten Wänden.
Ich weiß einen ... für den ich meine Hand ins Feuer legen würde.
LA BELLA CENCI
auf die Chaiselongue zu, nach den Bildern rechts hin.
Der diese widerwärtigen Bilder gemalt hat.
URL
jetzt langsam ebenfalls nach, rechts rüber.

Sie sind nicht widerwärtig. Etwas hinter ihr vor diesen Bildern. Sie sind die leidenschaftlichsten Versuche, sich mit einer als Qual empfundenen Umwelt auseinanderzusetzen, denen ich begegnet bin. Dinge, die wir nie sahen, oder doch wenigstens an denen wir täglich vorübersahen, sind hier mit einer Wucht gepackt und wiedergegeben, daß man fühlt: so schmerzvoll empfänglich schwingt nur die Seele eines Autopersönlichsten.

LA BELLA CENCI.

Und doch hatten Sie von diesem »Qualvollen«, als Sie noch der verwunschene Glücksprinz waren, Ihrem »Autopersönlichsten« auch nicht ein einziges abgekauft? Während Sie seine pinselnden, meißelnden, kritzelnden ...

URL
nicht mehr ganz bei der Sache; leicht irritierter Blick nach der Tür rechts.
Machwerke ...
LA BELLA CENCI
in ihrem Satz ahnungslos weiter.
Herren Konkurrenten und Kollegen ...
URL
peinlich abwehrende Handbewegung, Blick die Wand hoch.
Die ich mir nie ...
LA BELLA CENCI
wie vorhin.

Darunter sogar den erbärmlichsten seiner Nachbeter, diesen durchwachsnen, armselig traurigen Tropf Musmann ...

URL
unwillkürlich wieder einen schnellen, unruhigen Blick nach der Tür rechts werfend.
LA BELLA CENCI
lächelnd.
Das hören Sie wohl nicht mehr gern?
URL
mit seinen Augen wieder auf den Bildern.
Damals ... verstand ich dies alles noch nicht. Wie ich auch ... den Menschen noch nicht verstand.
LA BELLA CENCI.
Und jetzt »verstehn« Sie ihn?
URL.

Wie ein ... Unfruchtbarer einen Fruchtbaren, wie ein Überflüssiger einen Notwendigen überhaupt verstehn kann.

LA BELLA CENCI
unwillig-verwundert; fast fragend.
Sie setzen sich in einer Art und Weise vor sich selbst herab ...
[115]
URL.
Er ist für mich einer jener ganz Wenigen, wie sie vielleicht nur alle paar Generationen mal ...
LA BELLA CENCI
parodistisch-respektvoll; gemacht-beifällig.

Plötzlich aus der berühmten, mirakulös schöpferischen Tiefe Ihres ... Plötzlich wieder anderer Tonfall. sonst aber und im übrigen von Gott und seinen sämtlichen Heiligen blamabelst verlassenen, sogenannten »Volkes« auftauchen! Summierend. Freuen Sie sich, daß ich kein Talent zur Eifersucht habe!

URL
der während ihrer letzten Replik wieder nach der Tür gesehn hat; warm.
Sie kennen ihn nicht!
LA BELLA CENCI.
Und damit es Sie beruhigt, es ist auch nicht meine Absicht, ihn kennenzulernen!
URL
erneute leise Unruhe nach der Tür hin.
LA BELLA CENCI
jetzt etwas aufmerksam.
Warum Sie nur ...? ...
URL
über ihre Frage hinweggehend.

Erbitterter mit seiner Kunst hat noch keiner gerungen. Er hat, jetzt schon und heute, und zwar rein aus eigener Kraft, ohne auch nur ein einziges Mal je seinen Fuß in irgendeiner Zeichen oder Malklasse irgendeiner öffentlichen oder Privatakademie gesetzt zu haben, ein Niveau erklommen, daß längst alles neben ihm Zeitgenössische ...

LA BELLA CENCI.
Sie haben eine Hochachtung für diesen Mann ...
URL.
Für diesen ehemaligen Steinmetz. Ja. Neuer Blick nach der Tür hin.
LA BELLA CENCI
die bei dem Wort »Steinmetz« befremdet aufgehorcht hat.
Sie sagten ...
URL.

Verzeihung. Auf die Tür zu. Ich habe die Empfindung ... Hat die Tür schnell aufgemacht. Aah, Herr Musmann. Da der Ertappte bereits die Flucht ergriffen hat, ihm nachrufend. Wünschten Sie was? ... Die Tür schließend, achselzuckend. Schon um die Ecke.

LA BELLA CENCI.
Empörend!
URL
wieder etwas auf sie zu.

So peinlich mir dieser Zwischenfall auch ist, und so äußerst Sie das vielleicht auch überraschen mag, aber ich muß Ihnen gestehn, ich war auf Ähnliches schon die ganzen Tage gefaßt. Da sein Atelier hier von diesem nur durch meine Kammer getrennt liegt, bin ich überzeugt, sooft Sie bisher den Korridor passierten ...

[116]
LA BELLA CENCI.

Lauerte dieser edle Dritte in Ihrem Bunde hinter seinem Schlüsselloch. Noch vorn links zu. Ich Schaf! Und in dieser Höhle ...

URL
von ihrem scharf-erregten Ton wieder ganz betroffen; sich etwas verlegen zusammenreißend.
Es bleibt mir nichts mehr übrig, als Sie um Entschuldigung zu bitten.
LA BELLA CENCI.

Wie kann nur Herr Hollrieder, dies Nonplusultrawesen, vor dem Sie ja fast knien ... mit einem nervösen Blick nach der Tür rechts; stehngeblieben Mir ist diese Freundschaft ganz unverständlich!

URL
beide jetzt im mittleren Vordergrunde der Bühne.
Sie existiert nicht mehr.
LA BELLA CENCI.
Aber sie hat doch mal existiert!
URL.
Sogar leider bis zu dem Grade, das ihr erstes Bild ein gemeinschaftliches war: »Kameraden«.
LA BELLA CENCI
dieses Bild unwillkürlich an den Wänden suchend.
URL
der ihrem Blick gefolgt ist.

Es ist ihm inzwischen ... so tief zu wider geworden, daß er es längst ... Leichte Kopfbewegung nach der Tür rechts, mit dem er schon jetzt, noch bevor er seinen Satz fortsetzt, andeuten will, daß sich das Bild drüben bei Musmann befindet.

LA BELLA CENCI.

Mag es jetzt hängen, wo es Lust hat, das erklärt mir noch nichts! Da Url noch zögert. Wenn Sie aber natürlich vorziehn ...

URL.

Nein. Ich sehe jetzt im Interesse meine Freundes keinen Grund mehr. Wenn Herr Hollrieder nicht der traurigen Überzeugung lebte, daß dieser arme Bedauernswerte, wie er ihn nennt und an dem er seit Jahr und Tag in jeder Weise gradezu alles getan, eigentlich nur noch pathologisch zu nehmen sei ...

LA BELLA CENCI
die seiner Eröffnung mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt war.
Und dann hat er ihn nicht schon längst von sich abgeschüttelt?
URL.

Im Gegenteil. Je mehr sich für ihn die Anzeichen gehäuft haben, daß die Psychose seines früheren Schülers, Schützlings, oder wie Sie sonst wollen, sich immer deutlicher gegen ihn richtet ...

LA BELLA CENCI.
Wie ist das nur möglich?
URL.

Falls eine solche überhaupt vorhanden sein sollte ... mit Naturnotwendigkeit. Auf ihr erneut fragendes Erstaunen. Er stand ihm am nächsten.

[117]
LA BELLA CENCI.
Dann ist nicht dieser »arme Bedauernswerte«, sondern Ihr Herr Hollrieder selbst der Narr.
URL.
Bis zu einem gewissen Grade leider ja.
LA BELLA CENCI
wieder etwas rechts nach dem Tisch zu.

Sein Leben mit solchem Ballast behängen! Wie kann man nur! Als ob nicht jeder ... doch wahrhaftig schon grade immer genug mit sich allein zu tun hätte! ... Sich umdrehend. Haben Sie denn gar keinen Einfluß auf ihn?

URL
mit machtloser Geste.
Ich habe mir mit all meinen gutgemeinten Warnungen bisher ...
LA BELLA CENCI
wieder vor den Bildern links.
Sie sagten vorhin »Steinmetz«. Wie ist das zu verstehn?
URL
langsam zu ihr hin.

Wie ich es sagte. Wörtlich. Der erste, der seine Begabung auch als Maler erkannte, und der ihm dann, rein materiell, seine frühsten Anfänge ebnete, war Herr Professor Lipsius. La bella Cenci: plötzlich maßlos überrascht, starrt ihn groß an; Url: dem diese erneute Veränderung in ihrem Wesen auffällt, stehngeblieben. »Deutschlands größter lebender Bildhauer«. Man mag diese Einschätzung überschwenglich finden. Auch über den Menschen braucht man vielleicht nicht einig zu sein. Wenigstens nicht in jeder Beziehung. Der neidloseste Förderer alles Aufstrebenden, der nobelste, hilfreichste Kamerad und Gentleman speziell in diesem Falle steht außer allem Zweifel.

LA BELLA CENCI
die kaum auf ihn gehört hat; wieder auf die Bilder starrend.

Seltsam. Kleine Pause; ihre Stimme hat nicht mehr ganz den selben Klang. Kommt Herr Professor ... Lipsius manchmal her?

URL.

Da ich als Gast meines Freundes erst seit dem ersten Weihnachtstag hier hause, kann ich Ihnen wirklich nicht ... So viel ich weiß, weilt Herr Professor Lipsius jetzt in Italien.

LA BELLA CENCI.
Ja. Jetzt!
URL
durch das Eigentümliche ihrer Replik etwas befremdet.

Wenn ich nicht irre, schon seit Anfang Dezember. Er ist in einem besonderen Auftrage der Regierung für längere Zeit, ich glaube, nach Florenz gegangen.

LA BELLA CENCI.

Diese Mitteilung brachte die ganze europäische Presse. Ich habe sie seinerzeit im »Temps« gelesen. Scheinbar sehr für eins der[118] Bilder interessiert. Trotzdem waren der Herr Professor am Vierundzwanzigsten noch in Berlin.

URL
überrascht.
Sie kennen ihn?
LA BELLA CENCI.
Nein. Nur seine Werke. Die ich so abgeschmackt als möglich finde.
URL.

Der Mann ist kein Rodin. Seiner ganzen Generation fehlte bei uns vielleicht das letzte original Schöpferische. Aber so viele jüngere ihm auch längst nachdrängen: er ist ganz zweifellos noch immer der verdienstvollste.

LA BELLA CENCI
noch immer ihm den Rücken drehend.
Und der verlogenste! Mit scharfer Wendung wieder etwas nach dem Vordergrund links zu.
URL
in dem ein aufgestiegener Verdacht immer starker wird.

In diesem Punkt ... muß ich Ihnen leider widersprechen. Ich erinnere Sie nur an die eine Gruppe: jene Jungfrau, noch fast Kind, die den Drachen tötet. Etwas im tiefsten Sinne Wahreres kann aus Marmor und Bronze nicht geschaffen werden.

LA BELLA CENCI
fast wider ihren Willen; stehngeblieben.
Ich ... hasse diese Gruppe.
URL
unwillkürlich etwas zurückgetreten; nach kurzem Stutzen.

Sie ist unter unsern neueren Skulpturen die einzige, für die ich wirkliche Verehrung hege. Diskret weitertastend. Das Stückchen Romantik, das sich an sie knüpft, ist Ihnen bekannt.

LA BELLA CENCI
ausweichend.
»Romantik«?
URL.

Das Modell zu jener Figur ... deren Entstehung jetzt übrigens ... ja, zehn Jahre zurückliegt ... La bella Cenci: fragender Blick. dies Modell.., soll seine einzige Tochter gewesen sein.

LA BELLA CENCI
mit einem leicht irritierten Klang in der Stimme.
Das ist doch nicht so sonderbar.
URL.
Sie entlief ihm.
LA BELLA CENCI
kurz.
Ah! ... Das allerdings! ... Kröte.
URL.

Ich kann darüber wirklich nicht spotten. Sie voll anblickend. Die glänzend Begabte La bella Cenci: unruhig. die an ihrem Vater zärtlich hing, soll von diesem abgöttisch geliebt worden sein. Sie war, wie man sich erzählt, in allem das vollkommene Ebenbild ihrer ganz jung verstorbenen Mutter.

[119]
LA BELLA CENCI
mit leis anklingender Erbitterung.
Sie scheinen diesen Roman bis in alle Details zu kennen.
URL.
Nur soweit mein Freund in ihn verstrickt ist.
LA BELLA CENCI
schnell.

Ihr Freund? ... Mit einem gleitenden, unwillkürlichen Blick über die Bilder. Herr Hollrieder? ... Inwiefern?

URL.

Er war damals noch nicht zwanzig. Er hatte seine Lehrzeit grade hinter sich und war eben als Hilfsarbeiter ... Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß Herr Professor Lipsius bei seinen Riesenaufträgen ...

LA BELLA CENCI.
Ich kanns mir denken.
URL.

Er soll auch noch heute immer eine große Anzahl Leute beschäftigen. Die Ateliers lagen in einem alten Garten, der hinten ans Wasser stieß. Mein Freund hatte unter den vielen, zum Teil erst angefangenen Werken seine erste Nachtwache, und da alles um ihn still, und es nach einem außerordentlich heißen Julitag war, plötzlich die Absicht ...

LA BELLA CENCI
mit einem scharfen, halb erschreckten, »vorbeugenden« Seitenblick zu ihm rüber.
Sie werden sehr ausführlich.
URL
der ihr Erschrecken bemerkt hat; um so bestimmt-ruhiger weiter.
Es war lichter, heller Vollmond. Er stand ... seiner Kleider grade entledigt, noch im Dunklen ...
LA BELLA CENCI
von ihm abgewandt; ihn nervös unterbrechend.
Lassen Sie. Ich weiß.
URL
nach einer ganz kleinen Pause mit gemachtem Erstaunen.
Sie ... wissen?
LA BELLA CENCI
halb mit dem Versuch, das eben von ihr eigentlich ganz gegen ihren eigenen Willen Gesagte nachträglich zu vertuschen, halb als ob das, was sie jetzt vorbringt, das im Grunde genommen Allernatürlichste von der Welt wäre.

Gott, wie man von so etwas ... hat läuten hören und es dann wieder ... Ich entsinne mich. Jener mißglückte dumme, kindliche Ertränkungs- und Selbstmordversuch des Mädels, und wie sie dann am nächsten Morgen schon verschwunden war. Plötzlich andrer Tonfall; unterdrückte Heftigkeit; rechts vor ihm vorbeigehend. Nur daß allerdings nach der Version, die ich kenne, die wider ihren Willen Gerettete ihren Retter himmelhoch gebeten haben soll, über die Affäre reinen Mund zu halten! ... Zu ihm zurückgedreht [120] stehngeblieben. Was starren Sie mich so an? ... Als ob Sie mich noch nie gesehn hätten! ...

URL
alles wieder »zudeckend«.
Pardon.
LA BELLA CENCI.
Der Verschwiegenste scheint Ihr Herr Freund demnach nicht zu sein.
URL.
Mein Freund, für den dieser Vorfall vielleicht der tiefste Ein druck seines Lebens geblieben ist ...
LA BELLA CENCI
schnell; zwei Schritte auf ihn zu.
Woher wissen Sie das? ... Das wird er Ihnen doch kaum ...
URL
mit besonderer Betonung des Doppelsinns.

Gewisse Dinge ... errät man. La bella Cenci: sich abwendend; Achselzucken. In keinem Falle würde er sein Wort gebrochen haben, wenn ihm nicht die grenzenlose Verzweiflung des unglücklichen Vaters bereits an jenem nächsten Morgen die Mitteilung des Erlebten einfach zur Pflicht gemacht hätte.

LA BELLA CENCI
nachdenklich.
Also auf diese Weise! ...
URL.

Erst viel später ergab sich, daß die Verschwundne nicht, wie man zuerst angenommen, doch noch Hand an sich gelegt hatte, sondern entflohen war. Nach einem kurzen Stocken. Wie sehr der Vereinsamte unter diesem Geschick auch als Künstler gelitten ...

LA BELLA CENCI
wieder vollständig gefaßt; nach dem Tisch zu in Bewegung.

Lassen wir ihn. Das Mädel wird ihren Grund gehabt haben. Der Herr Papa interessiert mich nicht. Ihren Zigarettenrest in den Aschbecher werfend; wieder in ihrem Mantel vor dem Regal; die Finger auf den Tasten; den alten Claudiusschen Text rezitierend. »Gib deine Hand, du schön und zart Gebild! bin Freund und komme nicht zu strafen.« Wie abwesend auf die Tasten starrend; aufstehend und den Mantel wieder zurücklassend. Nein! Ich bin nicht mehr aufgelegt. Dieses lächerliche Intermezzo mit Ihrem Herrn Musmann hat mich ganz aus dem Konzept gebracht! ... Sich abermals eine Zigarette nehmend. Beatrice, sich die Zigarette anbrennend. die schöne Zigarettenfresserin!

URL
ihr zugewendet; einen Schritt zurücktretend.
»Bea ...trice«?
LA BELLA CENCI.

Beatrice Cenci. Jawohl! ... Sie sehn, ich paffe Ihren Herrn Freund noch ärmer, als Sies ohnehin schon alle beide sind.

URL
sich zusammenruckend.
Aber ich bitte.
[121]
LA BELLA CENCI
nervös auf ein andres Thema; wieder nach dem Regal zu.

Wissen Sie auch, daß ich zu unserer ersten Kostümprobe heut meine arme Friseuse fast zwei Stunden lang gequält habe?

URL
mit dem Versuch, darauf einzugehn.
Dafür sieht man Ihrem Haar auch nicht mehr an ...
LA BELLA CENCI.

Daß es gestern noch von sozusagen »strahlendstem Goldblond« war. Mit der Rechten über ihr Haar. Finger, die solche Probleme in fünfzehn Minuten erledigen, gibts doch eigentlich nur in Paris! ... Überhaupt ... Paris! ...Plötzlich, unvermittelt. Ich hätte nie wieder hierher zurückkommen sollen!

URL
unsicher einen Schritt zurück.
Sie hätten ...?
LA BELLA CENCI
ihn voll anblickend.

Sagen Sie nichts! Fragen Sie nichts! Denken Sie bei sich, was Sie wollen, nur halten jetzt wenigstens Sie reinen Mund! ... Auf ihn zu und ihm die Hand entgegenstreckend. Versprechen Sie mir das?

URL
der ihr die Hand gegeben, seiner Bewegung Herr werdend.
Ich verspreche es Ihnen.
LA BELLA CENCI
von Url, der ihr nachgeblickt, an die Fenstertür getreten; von ihm abgewandt hinausblickend; langsam.

Gibts im Leben ... überhaupt einen Zufall? Url: nicht fähig, ihr zu antworten ... Seit Jahr und Tag bereits. Ich habs gewußt. Irgendwie ... würde es wieder ...auftauchen.

URL
unwillkürlich etwas auf sie zu.
Noch ... steht es vielleicht in Ihrer Macht ...
LA BELLA CENCI
sich wieder ins Zimmer drehend.

Ich will nicht! Ich habe einmal A gesagt, ich werde jetzt auch B sagen! Ich muß mit dem ... was hinter mir liegt ... mal endlich und für alle Zeit fertig werden! ... Wieder vor den Bildern links; andrer Tonfall. Wie sind Sie eigentlich miteinander bekannt geworden?

URL
der ihrem inneren Kampf so lange teilnehmend gefolgt war; am Tisch.
Wunderlicherweise durch das Medium Musmann.
LA BELLA CENCI.
Der sich an Sie herangedrängt hatte. Verstehe.
URL.

Der immer eifrigst auf seinen Ruhm Bedachte hatte sich mir gegenüber zwar stets als das Originalgenie aufgespielt, als ich dann aber zufällig ...

LA BELLA CENCI
ihn unterbrechend; kopfschüttelnd vor einem der Bilder.
Wie [122] kann man als Mann nur solche Weiber malen! ... Diese betrunkne Alte, Pfui!
URL.

In diese betrunkne Alte ... war er verliebt. La bella Cenci: verständnislos. Wie Franz Hals in Hille Bobbe.

LA BELLA CENCI.

Scheußlich! Und diese entsetzlichen jungen Dinger hier! Das ist ja der Abschaum! Und die ... »Jöhrenschaft«! Trostlos! ... Und womöglich noch abschreckender als die Menschen, die Dinge!

URL
ihr höflich nicht ganz zustimmend; kurzes »a«.
Ja ...
LA BELLA CENCI
den Blick nochmals über die Bilder schweifen lassend.

Ich begreife nicht! Wie können Sie dieser peinigenden Häufung alles Abscheulichsten auch nur den geringsten Geschmack abgewinnen? ... Sie, grade Sie, der Sie bisher in einer Welt gelebt hatten ...

URL
ruhig.

In der man sich selbst betrügt. Mit den Augen nach den Bildern. So gewiß dies hier auch noch nicht das Allerletzte sein mag: es genügte, um mir die ganze Leere meiner bisherigen, steril nichtigen Scheinexistenz grausam unbarmherzig ins Bewußtsein zu rücken.

LA BELLA CENCI
die ihn kaum gehört hat; den Blick wieder auf den Bildern.

Ich ... fasse es gar nicht! ... Wieder zu ihm hin. So mir unbegreifbar respektvoll Sie sich auch über alles dies vorhin äußerten ich frage wirklich: Gibts denn das? Den Blick nochmals auf den Bildern. Soviel Häßlichkeit auf einem Fleck und diese Häßlichkeit immer variiert? Das ist doch gar nicht möglich!

URL.

Er malt, was er sieht. Er ist der Entdecker unsrer Berliner Bannmeile. Und wie er seine Entdeckung büßen muß ... zeigt sein Erfolg. Von seiner gesamten Produktion fehlt hier auch noch nicht ein einziges Stück.

LA BELLA CENCI
den Blick noch immer auf den Bildern.
Kann ihm das denn aber ... Freude ma chen?
URL
hinter den Sessel rechts getreten.
Ich habe einen Freudlosem noch nicht gesehn.
LA BELLA CENCI
hinterm Sessel links.

Nein! So etwas ist keine Kunst mehr. Das ist kein Arbeitsraum, das ist eine Folterkammer! ... Besitzen Sie eine neuere Photographie von ihm?

URL
auf diese direkte Frage einen Moment nicht imstande, seine [123] Betroffenheit zu verbergen; dann.
Eine Photographie ... dürfte von Herrn Hollrieder wohl überhaupt kaum ... existieren.
LA BELLA CENCI
sich setzend.

Schade! ... Was stellte jenes erste Bild, von dem Sie vorhin andeuteten, daß es jetzt drüben hängt, dar?

URL
das Bild sich in seinem Gedächtnis rekonstruierend.

Zwei zerlumpte ... jugendliche Arbeitslose, die mit geschnürtem Bündel auf Berlin zu wandern, im Schnee. Der eine ... Sich ebenfalls setzend.

LA BELLA CENCI
stutzend und wie sich plötzlich an etwas erinnernd.
»Der ...?« ...
URL.

Der eine, zu dem der Kopfbewegung nach der Tür rechts rüber. damals noch verehrend zu ihm aufblickende »Gesunde« drüben ihm Modell gestanden hatte, bereits am Wegrand liegengeblieben und der andere, der die Züge ...

LA BELLA CENCI
mit jetzt zuversichtlichster Bestimmtheit.
Der die Züge von Herrn Hollrieder trägt!
URL
bestätigend nickend und seinen Satz schließend.

Um ihn bemüht und dabei wie nach Hilfe in die weite Ferne spähend, wo aus violetter, sinkender Dämmrung die erste, vorgeschobne Silhouette der Großstadt taucht.

LA BELLA CENCI
die jedem seiner Worte gespannt aufmerksamst gelauscht hat; mit fast aufgeregter Lebhaftigkeit.
Das kenne ich! Es hatte mich seinerzeit ... auf einer Reise ...
URL.
Es lag mal ... schon vor Jahren ...
LA BELLA CENCI
noch aus ihrem, eben von Url unterbrochenen Gedankengang.
Ich weiß: es war in Brüssel!
URL
seinen Satz endend.
Als farbige Reproduktion einer Zeitschrift bei.
LA BELLA CENCI
nickend.
»Kunst und Künstler«. Ja!
URL.

Es hatte in Fachkreisen damals besonderes Aufsehen erregt, weil Schnee noch nie vordem so gemalt worden war.

LA BELLA CENCI
von neuem nach den Bildern.

Allerdings. Einzelnes ... Abermals vor ihnen; Url ebenfalls aufgestanden. wenn man sich Mühe gibt ...

URL
leicht achselzuckend-mißbilligend.
»Mühe«?
LA BELLA CENCI.

Jedenfalls ... alles Landschaftliche ... und die Luft ... alles mehr Milieuartige ... immerhin! ... Trotz alles Abstoßenden von einer Wahrheit ...

[124]
URL
ihr Urteil noch steigernd.
Von einer Kraft und einem Können ...
LA BELLA CENCI
über ihre letzten inneren Widerstände hinweg.
In der Tat! Ich ... muß Ihnen da ...
URL
mit letzter, ihr zuredender Bestimmtheit.
Aber ganz und gar zweifellos und unleugbar!
LA BELLA CENCI
eins der Bilder ganz besonders musternd.

Merkwürdig. Noch schärfer hinblickend. Je länger man ... Erst jetzt sehe ich diesen ... fabelhaften ... direkt stupend gemalten ...

URL
durch ihren Beifall noch ermutigter.

Regengrünnassen Baumstamm, der dies Wort in dieser Situation gradezu mit Wonne rausbringend hundsgewöhnlich und simpel glatt, durch den Bildrahmen brutal abgeschnitten ...

LA BELLA CENCI
von seinem Enthusiasmus mit angesteckt, seinen begonnenen Satz aus tiefstem Verständnis beendend.
Geradezu wie eine Art ... symbolisch schreckhaft gespenstisches Wunderwesen wirkt!
URL
triumphierend; mit einem gewissen, gerechten, leuchtenden Apostelstolz.
Wo Sie auch ... hinblicken!
LA BELLA CENCI
plötzlich wieder ganz unvermittelt; man fühlt, wie sie nun auch dem Künstler Hollrieder gegenüber ganz und gar umgeschlagen ist; erregt; fast hastig.

Warum blieb er immer von unsern Stunden weg? Geniere ich ihn? Ist er denn gar nicht n bißchen neugierig? Hat er mich mal auf der Bühne gesehn?

URL
durch dies wachsende Interesse von ihr, das sich immer deutlicher verrät, wieder beunruhigter .

.. Nein. Erstens ... wissen Sie ja, gibt er, oder ... muß er vielmehr selbst Unterricht geben und ... dann ...

LA BELLA CENCI.
Dann?
URL.
Ja, wenn Sie ... wie soll ich sagen, auf diesen ... kleinen Verrat dringen ...
LA BELLA CENCI.
Ich dringe darauf.
URL
mit dem deutlichen Versuch, sie von ihrem Vorhaben, das er jetzt ahnt, zurückzuhalten.
All zu besondern Respekt vor allem, was Weib heißt, hat er nun grade nicht.
LA BELLA CENCI
Worin er im Gegensatz zu einem gewissen Jemand sehr recht hat.

Mit plötzlichem Entschluß. Also riskieren wirs. Url: zurückgezuckt. La bella Cenci: auf sein Mienenspiel, in dem das [125] Gegenteil von Zustimmung zu lesen steht. Aber gewiß! Warum denn nicht? Bereits nach der Tür links gewandt. Ich kleide mich jetzt um und werde dann hier auf ihn warten.

URL
der ihre Absicht noch immer nicht ganz fassen kann.
Sie wollten ... wirklich ...? ...
LA BELLA CENCI
leicht zurückgewandt; scheinbar wie nebensächlich, aber dabei doch ganz bestimmt akzentuiert.

Sie brauchen nach keiner Richtung hin irgendwie besorgt zu sein. Ich werde mich durchaus ... Abbrechend; lächelnd. Ich muß mir doch mal endlich Ihren Herrn und Meister ansehn.

URL
sich ihr fügend; machtlos.
Er ist weder mein Herr ... Gott sei Dank ... noch leider ... mein Meister.
LA BELLA CENCI
mit der Hand bereits den Vorhang hebend.
Aber weh Ihnen, wenn ich nachher enttäuscht bin! ...
URL
steht da und starrt auf die Tür, hinter der sie verschwunden ist.

Nach einer Weile; veränderte Stellung; ungefähr in der Mitte der Bühne; sich mit der Rechten über die Stirn fahrend; leise. »Beatrice«! ... »Beatrice Cenci«! ... In innerem Grauen sich wie fremd im Raum umblickend. Der eigne ... leibliche ... Vater? ...

LA BELLA CENCI
die die Tür hinterm Vorhang wieder geöffnet hat.

Ach, bitte, den Mantel. Url ihn ihr reichend; sie hat das Kleid bereits abgelegt, man sieht nur ihren nackten Arm. Nur drei ganz kleine Minuten!

URL
Tür wieder zu; Url am Tisch von neuem in sich versunken.

Schließlich vor dem Regal, gegen das er sich mit der Rechten stützt; sich dann langsam setzend; vor sich hinbrütend; den Ellbogen auf dem Regal, den Kopf in die Hand gestützt. Vorbei! ... Für mich ... vorbei! Die Hand sinken lassend; Kopf nach der Tür rechts; aufgestanden, immer noch mit dem Blick nach der Tür, unterdrückt-energisch. Nein! ... Er darf sie überhaupt ... erst gar nicht sehn! ... Sich langsam wieder setzend, mit gefalteten Händen zwischen den Knieen stumpf vor sich hin; nochmals aus noch ganz verständnislosem, aber tiefinnerstem Entsetzen. Der ... eigne ... Vater! ... Plötzlich ... von draußen rechts her schwere, müde Schritte, die er nicht hört.

HOLLRIEDER
ohne daß Url etwas gemerkt hat, eingetreten.

Große kraftvolle [126] Erscheinung; das leicht gewellte Haar rötlich germanisches Blond; kurzer, etwas eckiger, ebensolcher Spitzbart. Dunkler bequemer Ulster; kleiner, schwarzer Schlapphut. Blauschwarze, doppellknöpfige Joppe, ebensolche Hose und kreisrund geschlossener Stehkragen. Die Hand noch auf der Türklinke; Url betrachtend; nach einer kleinen Pause; apathisch. Wir ... passen schon zu enander!

URL
aufgesprungen; verwirrt.

Du, ich ... Blick nach der Tür links; seine Stimme, wie überhaupt im Fortgang fast der ganzen folgenden Szene, etwas gedämpft. Sie ist noch hier!

HOLLRIEDER
der die Tür noch nicht ganz geschlossen.

Deine Prinzessin Chimay. »O« kurz und offen. No! Schon halb sich wieder abwendend. Denn geh ich wieder.

URL
hastig.
Ja! ... Geh!
HOLLRIEDER
dem diese Hast auffällt, nach einer kleinen Pause; die Hand noch immer auf der Klinke.
Warum? Url achselzuckend. Wenn du aber n besondern Grund hast?
URL.
Ich kann dir nichts verbieten.
HOLLRIEDER
mit einem verwilderten Blick von ihm nach der Tür links.
Doch nicht etwa ... Anwandlungen? ... Plötzlich? Meinetwegen?
URL.
Aber ich muß dich doch ... bitten!
HOLLRIEDER
erst jetzt die Tür hinter sich zuziehend, Hut und Mantel an einen Haken zwischen Tür und Gasofen hängend.
Also bleiben wir.
URL.

Du weißt doch schließlich noch gar nicht ... ob es ihr überhaupt ... Hollrieder: von seiner Attacke gar nicht Notiz nehmend. Du bist heute merkwürdig früh gekommen.

HOLLRIEDER
vor einem großen Abreißkalender auf der anderen Seite der Tür unmittelbar im Vordergrund.

Elfter Januar! ... Fünfzehnten April letzter Ablieferungstermin ... Plötzlich nach Url zu rück Ich hab immer noch nichts!.

URL.
Wenn du dir an nichts genügen läßt ...
HOLLRIEDER
Geste.
Strick! ... Einzje!
URL.

Und du hast mich damals ... als ich dies Ganze schon so gut wie hinter mir hatte ... ja, gradezu fast mit Gewalt hast du mich zurückgehalten?

HOLLRIEDER
müde nach der Mitte der Bühne.

Du bist nicht so ein Narr, den [127] die verrückte Zwangsvorstellung plagt, Bilder malen zu müssen! Mit einem Blick nach dem Fenster. Berlin! Sieht sich im Raum um. Ekelhaft!

URL
besorgter Blick nach der Tür links.
Ja, tu mir wenigstens den Gefallen und ...
HOLLRIEDER.

Keine Angst. Werd se nich auffressen. Leichte Kopfbewegung nach dem Regal rüber. Wie weit seid ihr denn?

URL
mit Widerstreben darauf eingehend; immer mit einer leichten Unruhe nach der Tür links.
Was in dieser kurzen Spanne Zeit zu leisten war, hat sie mehr als geleistet.
HOLLRIEDER.

Wirst du den Posten nu antreten?Url gequält; ratlose Geste. Wonach andre sich die Pfoten lecken würden?

URL
beinah unwirsch.
Ich kann mich im Moment ... noch zu nichts entscheiden.
HOLLRIEDER
sich abwendend und nach dem Fenster zu.
Gut. Dann spring ich ein!
URL.
Hätt ich geahnt, daß du zu allem auch noch in einer solchen Verfassung sein würdest ...
HOLLRIEDER
halb zurückgedreht.
Hast du mich schon mal in ner andern gesehn?
URL.
Ich kann mir nicht denken, daß ... wenn du erst wieder vor deiner Arbeit stehst ...
HOLLRIEDER
zum Fenster rausblickend; grimmig.
Da luer up!
URL.
Ja, wenn du die Arme selbst sinken läßt ...
HOLLRIEDER
in den Raum wieder zurück.

Eher hacke ich mir die Finger ab, als daß ich mich nochmal In der Mitte der Bühne nach seinen Bildern hin. mit solchem Zeug begnüge! ... Steinklopper hätt ich bleiben sollen! Mit m Priem im Maul, aber vergnügt! ... Haute ich drauf zu, daß die Funken spritzten, und hätte nischt auszustehn!

URL.

Wenn dich die Malerei so enttäuscht hat, du weißt: Deine ersten ... merkwürdig überzeugenden Arbeiterstatuetten ...

HOLLRIEDER
verächtlich-wegwerfend; ganz kurzer Laut.
Pöh!
URL
noch nachdrücklicher.
Die ich ... völlig unerwartet damals bei Musmann sah ...
HOLLRIEDER
fast wie kaum noch auf ihn achtend; unwillige Kopfbewegung nach der Tür rechts.
Wo sie noch immer ...
[128]
URL
betont-hartnäckig in seinem Satz weiter.
Und die mich ... durch ihre geradezu glänzend geniale, farbige Virulenz ... und Bewegtheit ...
HOLLRIEDER
vorn rechts, denn jetzt doch etwas stutzend-lauschend aufmerksam geworden, stehn geblieben; ihn anblickend.
Du tust ... Sich umdrehend und auf die Chaiselongue zu; zornigst abweisend. Mmadder!
URL
seine Besorgnis nach der Tür links einen Augenblick vergessend.
Ich hätte sonst nie darauf bestanden, dich kennen zu lernen! ...
HOLLRIEDER
auf der Chaiselongue; die Schultern vorgeduckt, die Unterarme über den Knieen, die Hände offen gefaltet; bitter vor sich hin.

Nichts, nichts war mir gut genug. Selbst die Extremsten ...Zu seinen Bildern hoch. Da! Sardonisch-sarkastisch, sich selbst persiflierend. Japan, Dürer, die neuen Franzosen, Velasquez, deine frühsten Gotiker, alles, wie du es wünschst, in eins verschmolzen! Arbeiter, die mit Blechkannen »in de Fabrike ziehn«, Pennbrüder, die sich mit Bindfäden die Stiebel zusammenflicken, Liebespaare, daß einem übel wird, statt Kornfelder Schornsteine und Telegraphenstangen, statt deines Waldes Brezeliand die Hasenheide, und statt römischer Aquädukte oder der Thermen des Caracalla die liebliche Verbindungsbahn! Wieder aufgestanden. Nett!

URL.

Dir scheint wirklich bloß noch wohl zu sein, wenn du dich selbst quälst. Nur an diesen Dingen, weil sie noch unverbraucht waren, konntest du dir deine Technik erringen.

HOLLRIEDER
wieder in der Mitte der Bühne.

Und steh nun mit ihr da! Der Besitzer einer allerkompliziertesten Präzisionsmaschinerie, mit der er nichts zu präzisieren versteht! »Technik«! Der erste beste Grasfleck im Sonnenschein schlägt die ganze Malerei dot!

URL
mit steigender Unruhe nach der Tür links.
Wenn du dich doch nur ...
HOLLRIEDER.

Ah ja so! Vor dem Cloisonneestück. Für dies eine Kranichbein schenk ich dir den gesamten Impressionismus! Mit einem erbitterten Blick nach seinen Bildern. Laß die bunte Photographie da sein, und ich bin der Grimmig. elendste Schmierer auf Gottes Erdboden gewesen! Es klopft; Url auf die Türe links zu und den Vorhang zur Seite schiebend.

[129]
LA BELLA CENCI
vornehmer, langer, dunkler Pelzmantel, Muff und Mütze; verschleiert; in der Tür sich halb zurückwendend.
Jawohl. Die Sachen bleiben da. Sie können gehn.
URL
leicht nach dem Tisch zu.

Mein Freund Hollrieder. Sie schlägt den Schleier zurück, Hollrieder steht wortlos da und starrt sie an. Url: aufs höchste gespannt; beide heimlich beobachtend.

LA BELLA CENCI.
Es war lieb von Ihnen, wie Sie an Herrn Url gehandelt haben.
HOLLRIEDER
auf den Tisch zu.
Taper.
URL.
Da hören Sie ihn.
LA BELLA CENCI
lächelnd.
Mit Glaceehandschuhen scheinen Sie die Menschen nicht zu streicheln.
HOLLRIEDER
der sich vom Tisch eine Zigarre anbrennt.
Sie gestatten.
URL.
Wenn er sich ärgert, muß er rauchen.
LA BELLA CENCI.
Und wenn Sie sich nicht ärgern, müssen Sie wahrscheinlich auch rauchen?
HOLLRIEDER.
Selbstverständlich! Nach dem Fenster zu. Dann erst recht.
LA BELLA CENCI
zu Url.

Wollen Sie mir, bitte, einen Wagen besorgen? Da Url noch unentschlossen dasteht und zögert; an ihren Handschuhen knöpfend. Grad heut ... muß ich etwas pünktlich sein.

URL
sich aufraffend.

Wir brauchten nur wie immer ... Während Hollrieder, vor der Fenstertür sich zurückdrehend auf ihn und sie einen halb verwunderten Blick richtet. Der nächste Halteplatz, wie Sie wissen, ist von hier noch keine zwei Minuten.

LA BELLA CENCI.
Machen wir heute mal eine kleine Ausnahme.
URL
nach einem nochmaligen Blick auf beide; fast formell.
Wie Sie es wünschen. Ab.
LA BELLA CENCI
nach einer kleinen Pause.
Warum starrten Sie mich eben so an?
HOLLRIEDER
mit dem Rücken gegen die Fenstertür, so daß sich seine Gestalt fast als Silhouette abzeichnet.
Sie weckten ... einen Augenblick lang eine Erinnrung in mir.
LA BELLA CENCI.
Eine Erinnrung?
HOLLRIEDER.
Ja.
LA BELLA CENCI
in den linken Sessel unaufgefordert sich setzend.
Sie erregen meine Neugier.
HOLLRIEDER.
Das lag nicht in meiner Absicht.
LA BELLA CENCI.
Und wenn Sie mir nun damit ... einen besonderen Gefallen täten?
[130]
HOLLRIEDER
nach der Chaiselongue; Zigarre.
Es ist mir peinlich, aber ich muß Sie bitten, davon abzubrechen.
LA BELLA CENCI.

Das ist deutlich. Kleine pikierte Pause; Hollrieder Zigarre. Hat Ihnen Ihr Herr Freund schon etwas mitgeteilt?

HOLLRIEDER
in der Mitte der Bühne.
Von Ihrem Angebot.
LA BELLA CENCI.
Von meiner Bitte. Ich schätze Herrn Url, wie Sie ihn schätzen.
HOLLRIEDER
nach rechts in den Vordergrund.
Er ... fing mal davon an.
LA BELLA CENCI.
Werden Sie ihm zureden?
HOLLRIEDER
nach kurzem Zaudern; ganz rechts stehngeblieben; ihr zugewandt.
Nein.
LA BELLA CENCI
befremdet.
Warum denn nicht?
HOLLRIEDER.
Ich möchte Ihnen darauf nicht antworten.
LA BELLA CENCI.
Ich bitte darum.
HOLLRIEDER.
Sie würden die Antwort nicht vertragen.
LA BELLA CENCI.
Wer sagt Ihnen das?
HOLLRIEDER.
Sie würden sie mir übelnehmen.
LA BELLA CENCI.
Ich werde sie Ihnen nicht übelnehmen.
HOLLRIEDER.
Weil Sie ihn bald ... zu Ihrem Affenpintscher machen würden.
LA BELLA CENCI
aufgestanden und erregt ein Stück nach dem Regal zu.
...Warum ... beleidigen Sie mich?
HOLLRIEDER.
Ich habe nur gesagt, was sein würde.
LA BELLA CENCI
im Vordergrund links zu ihm rüber.
Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie von Ihrem Freunde ... eine solche Meinung haben.
HOLLRIEDER
Zigarre.

Die Meinung, die ich von meinem Freunde habe ... und über die ich niemand Rechenschaft schulde ... wird durch das, was ich gesagt habe, in keiner Weise tangiert. Nicht im geringsten!

LA BELLA CENCI.
Sondern?
HOLLRIEDER.
Er ist nur ... ein schwacher Mensch.
LA BELLA CENCI.
Und ich?
HOLLRIEDER.
Sie? ... Sie sind ein starker.
LA BELLA CENCI.

Sie haben eine eigentümliche Art Wieder nach dem Tisch; zu ihm hin über die rechte Schulter. einem Komplimente an den Kopf zu werfen.

HOLLRIEDER
Zigarre.

Es ist kein Kompliment, wenn ich eine Stearinkerze eine Stearinkerze nenne und ... eine Mücke eine Mücke.

[131]
LA BELLA CENCI
vor dem Tisch stehend, die Hände hinter sich.
Sie halten mich für so ... gefährlich?
HOLLRIEDER.
Für meinen Freund ... ja.
LA BELLA CENCI
sich nach dem Sessel rechts drehend.

Sie sind der erste, der mir einen Korb erteilt. Vor dem Sessel rechts, noch stehend, ihm wieder voll zugewandt. Warum mißfalle ich Ihnen?

HOLLRIEDER.
Sie mißfallen mir nicht.
LA BELLA CENCI
leicht.
Ah so! ... Sich setzend; Blick nach den Bildern hin. Warum sind Sie dann nicht ... höflicher zu mir?
HOLLRIEDER.
Bin ich unhöflich?
LA BELLA CENCI.
Nun es macht sich. Hollrieder Zigarre; Pause; zu ihm hin. Warum malen Sie solche Bilder?
HOLLRIEDER
nach links.
Weil ich Maler bin.
LA BELLA CENCI.
Es gibt doch schönre Dinge auf der Welt.
HOLLRIEDER
nun seinerseits über die rechte Schulter.

Es gibt überhaupt nur schöne Dinge auf der Welt. Vor sich in die Luft. Man muß sie bloß richtig sehn.

LA BELLA CENCI.
Dann sehe ich sie nicht richtig.
HOLLRIEDER
vorne links, zu ihr hingewandt, stehngeblieben.
Mag sein.
LA BELLA CENCI.
Sie sind grob!
HOLLRIEDER.
Weil ich die Differenz unsrer Augen konstatiere?
LA BELLA CENCI.
Nein. Weil Sies überhaupt sind!
HOLLRIEDER.
Danke. Zigarre und sich wieder nach rechts in Bewegung setzend.
LA BELLA CENCI
die sich einen Moment mit ihrem Muff abgegeben, nach einer neuen Pause.
Was zog Sie an Herrn Url so an? Weshalb haben Sie ihn, wenn ich dies so ausdrücken darf, »gerettet«?
HOLLRIEDER
rechts stehngeblieben, ihr zugewandt; zuerst fast widerstrebend.

Weil er ein ... feiner Mensch ist. Weil er mehr Kultur in sich hat, als von meiner Sorte n halbes Dutzend!

LA BELLA CENCI.

Trotzdem er weder malt, noch schreibt, noch sonst etwas? Trotzdem er, außer zu seinem bißchen Musik, wie er sagt, zu eigentlich gar nichts taugt?

HOLLRIEDER
Blick vor sich auf den Teppich.

Das bliebe doch wohl erst abzuwarten. Dann zu ihr auf. Er hat in mir Zigarre, und sich nach links wieder in Bewegung setzend. rein durch sein Wesen Perspektiven geweckt, an die ich vordem nie auch nur gedacht hatte.

[132]
LA BELLA CENCI
fast »neidisch«.

Dann hätten Sie also ... so kurz Sie sich auch erst kennen, bereits, einer vom ändern, beide gelernt?

HOLLRIEDER
stehngeblieben und voll nach ihr hin.
Es gibt zwischen Männern kein Band, das stärker knüpft.
LA BELLA CENCI
mit einer Kopfbewegung nach der Tür rechts.

Und Herr Musmann? Hollrieder finster. Der bis in die letzte Zeit allen und jeden Vorteil von ihm gehabt hat? Hollrieder, der sich wieder in Bewegung nach rechts gesetzt hat, mit dem Blick folgend. Der von jenen Zuwendungen und Bildverkäufen vielleicht jetzt noch lebt? Warum hat der sich nicht um ihn bekümmert?

HOLLRIEDER
den Blick nach oben mißvergnügt in die Luft.
Der? ... Zigarre, zweimal starke Rauchwolke. Das war nicht zu verlangen gewesen.
LA BELLA CENCI.

Sie sollten ... mit diesem HerrnHollrieder aufmerksam stehngeblieben wirklich .... etwas vorsichtiger sein!

HOLLRIEDER
ihr scharf zugewandt.
Also auch darüber hat Ihnen das alte Plappermaul ...?
LA BELLA CENCI.
Auch darüber.
HOLLRIEDER
sich nach links erregt in Bewegung setzend.

Dann sind Sie wohl so gut ... Zigarre. das wieder zu vergessen. Ich habe mich mit diesem meinem ehemaligen Kameraden jahrelang durchgehungert Zigarre. er ist, so lang er für sich verantwortlich war Sich wieder nach rechts wendend. in ehrlichster Weise mit mir durch dick und dünn gegangen, und ich möchte nun nicht ... Abbrechend, ergrimmt vor sich in die Luft. Es gibt Angelegenheiten, die die Betreffenden am besten unter sich allein abmachen.

LA BELLA CENCI
zuerst mit ihrem Muff spielend.

Dann will ich Ihnen nur wünschen ... daß Sie mit Ihrem rührenden Zartgefühl ... wenigstens nicht gleich die allzu bösesten ...

HOLLRIEDER
der, bereits bei dem Wort »wünschen« stehngeblieben, mit der rechten Fußspitze nervös den Teppich bearbeitet hat; ihre Replik kurz abschneidend und auf dem Gasofen die Zigarre abstreifend.
Hoffen wirs! Neue Pause; Rauchwolke.
LA BELLA CENCI.
Porträtieren Sie auch?
HOLLRIEDER
wieder nach links; leicht obenhin; mit einem leisen Unterton der Ablehnung.
Nur zu Studienzwecken.
LA BELLA CENCI.
Wieso?
[133]
HOLLRIEDER.

Weil mir meine Auftraggeber ihre Porträts sonst an den Kopf werfen würden. Zigarre. Leute, die zahlen, wollen geschmeichelt sein. Und dazu ist die Malerei nicht da. Dann hätte ich ebenso gut Schuster werden können. Links vorn stehngeblieben; Blick über beide Wände. Und das wäre vielleicht auch das gescheiteste gewesen! ...Zigarre.

LA BELLA CENCI.

Vielleicht gibt es Menschen, die auch von Ihnen gemalt ... Blick nach der Hille- Bobbe-Alten. nicht allzu scheußlich aussehn würden.

HOLLRIEDER
sie voll anblickend.
Vielleicht.
LA BELLA CENCI
nach einem ersten, kurzen Anlauf fest auf ihr Ziel zu.

Ich habe eine Unmenge ... exakter Spezialaufnahmen von mir zu eigenen Studienzwecken. Obwohl öffentlich natürlich keine einzige davon existiert. Sie genügen mir jetzt nicht mehr. Ich möchte zum erstenmal ein ... wie soll ich sagen, genial abregiertes Abbild von mir zu einer Affiche. Würden Sie, wenn ich Sie darum bäte, einen solchen Auftrag annehmen?

HOLLRIEDER.
Für die »Sieben Verwandlungen« ...?
LA BELLA CENCI.
Ja.
HOLLRIEDER.
Als »Heilige Cäcilie« ...?
LA BELLA CENCI.
Ja.
HOLLRIEDER
Vielleicht auch in Ihrer Schlußnummer.
Als »Phryne« ...?!
LA BELLA CENCI
nach kurzem Zaudern.
Wie Sie wollen.
HOLLRIEDER
wieder nach rechts; Zigarre.
Bedaure. Vielleicht wenden Sie sich an Herrn Musmann.Zigarre.
LA BELLA CENCI
empört aufgestanden.
Sie sind abscheulich!
HOLLRIEDER
mit einem Blick nach ihr hin.

Sie sind für mich weder eine römische Heilige, noch ... einen Augenblick, nach ihr zurückgedreht, stehngeblieben. erlauben Sie ... Wieder weiter eine griechische Hetäre. Ich würde Sie nur malen können, wie Sie sind.

LA BELLA CENCI.
Ich verzichte.
HOLLRIEDER
sich wieder nach links wendend, mit einem Blick zu ihr rüber.
Was mir leid tut.
LA BELLA CENCI.
Dann sind wir ja einig.
HOLLRIEDER.
Wir könnten einiger sein.
LA BELLA CENCI.
Nun, es lag ja wohl nur an mir.
[134]
HOLLRIEDER
sie dabei nicht anblickend.
Zum Teil wenigstens.
LA BELLA CENCI.
Ich beneide Herrn Url nicht! Sie sind noch zehntausendmal schlimmer, als er mir gesagt hat!
HOLLRIEDER
vorne links, von ihr abgewandt, stehngeblieben, zuckt die Achseln, man hört von draußen Schritte.
LA BELLA CENCI
aufatmend und etwas auf die Tür zu.
Gott sei Dank, daß er da ist! Hollrieder sich nach der Tür drehend.
URL
sofort, nachdem er geklopft, eingetreten.
LA BELLA CENCI
zu Hollrieder, während Url auf beide aufmerksam ist.
Es waren mir sehr interessante fünf Minuten. Zu Url; Schleier vor. Wir müssen uns beeilen.
URL.
Bitte sehr.
HOLLRIEDER
der sich stumm verbeugt hat; allein.

Hört, wie sie sich entfernen. Schleudert seine Zigarre auf den Tisch in den Aschbecher, geht einigemal nervös auf und ab und wirft sich dann auf die Chaiselongue. Ich ... Rindvieh! ... Schnellt plötzlich auf, klinkt die Tür in dem großen Atelierfenster auf und blickt vom Balkon auf die Straße hinab, jedoch möglichst so, daß er von unten aus nicht bemerkt werden kann; leises, durch den Schnee gedämpftes Großstadtgeräusch.

MUSMANN
hat behutsam die Tür aufgemacht, durch den Spalt neugierig ins Atelier gesehn und bemerkt nun Hollrieder.

Zieht sich wieder zurück, klinkt die Tür vorsichtig zu und klopft leise. Tritt dann ein und beobachtet ihn; ungefähr in der Mitte der Bühne. Mittelgroß. Kleidung genau wie Hollrieder, nur schmuddligsalopp. Schwarzes, glattglänzend gescheiteltes Slawenhaar; kurzer, »mottenzerfreßner« Vollbart mit Hängeschnurrbart. Gedunsen bleichbräunliches Gesicht mit schlaffen Zügen. Die schwarzen Augen zugleich glupend und stechend. Dreht in diesem Moment dem Zuschauer den etwas unadrett krummgehaltenen Rücken zu. Wem ... kuckste denn da so nach?

HOLLRIEDER
in den Raum zurückgetreten und die Tür hinter sich schließend.

Man kloppt erst an!Musmann: nochmal das Atelier musternd; wobei man ihm anmerkt, daß ihn namentlich die neu hinzugekommenen Stücke Urls interessieren; Hollrieder, der wie in plötzlich angewiderter Abneigung hinter den Tisch links getreten. Hast du nicht gehört?

[135]
MUSMANN
ohne ihn dabei anzusehn.
Wenn du ... keine Ohren hast ...
HOLLRIEDER
in den Vordergrund links.

Hast dich jetzt drei Wochen lang nicht mehr blicken lassen.Nach ihm zurückgedreht. Also, was willst du?

MUSMANN.
Ihr zieht hier ... Mit den Augen nach dem Regal. Netze um mich.
HOLLRIEDER
erregt nach rechts; dann sich umdrehend, heftig an seinem Joppenkragen ruckend; stehngeblieben.
Jawohl.
MUSMANN.
Erst hat man euch beide ... zusammengebracht ... und das ist dann jetzt ... der Dank!
HOLLRIEDER.
Sonst noch was?
MUSMANN
schnuppernd; ironisch anerkennend.
Pafühm! ... Seit wann ... Wieder schnuppernd. gehts denn bei euch ... so wohlriechend zu?
HOLLRIEDER
wieder nach links zu.
Seitdem du dir hier deine Visiten schenkst.
MUSMANN
mit einem Blick nach der Tür zurück; mit der Hand das Rauschen von Röcken andeutend.
Sogar ... seidne Unterröcke hat se.
HOLLRIEDER
stehngeblieben; kurz; schroff.
Hn?
MUSMANN
nach einer kleinen Pause; seinem Blick standhaltend.
Du hast mir ... schon mal ... von einer nichts gesagt!
HOLLRIEDER
seinen Gang fortsetzend; abschneidend.
So ist es!
MUSMANN
hartnäckig.
Du ent ... sinnst dich doch noch?
HOLLRIEDER
nicht reagierend.
MUSMANN
den Kopf vorgeduckt; lauernd.
Fräulein ... Sibylle Lipsius!
HOLLRIEDER
wieder stehngeblieben; links bei den Bildern; abwartend, .
..Und? ...
MUSMANN
hämisch.

Biste schön dumm gewesen! ... N blutjunges ... nacktes, bildhübsches Mädel im Mondschein ... und du selbst ...

HOLLRIEDER
sich bezwingend.
Halt dein ... ungewaschnes ...
MUSMANN.

Paradiesisch ... Abbrechend und in seiner »praktischen Philosophie« weiter. Nachdem du se dir erst ... so schön paddelnaß ... aus m Schlingkraut gefischt! ... Könnteste heute der Schwiegersohn von nem mehrfachen Millionär sein!

HOLLRIEDER
Soso.

Sich wieder nach dem Vordergrund links in Bewegung setzend. Jaja. Na! Alle dreimal »a« kurz; dann hinterdrein .... Scheinst ja dann später selbst etwas wie Absichten gehabt zu haben.

MUSMANN
scheinbar wie aus den Wolken gefallen.
Ich?
[136]
HOLLRIEDER
auf seinem Weg von links nach rechts.
Du hast sie doch Bezeichnende kreisförmige Drehung vor der Stirn. »suchen« wollen.
MUSMANN
ihn nicht aus den Augen lassend; mit höhnisch explizierend vorgestreckter Rechten; seine permanente, intensive, innere Beschäftigung mit diesem ganzen Problem verratend.

Hätte man doch bloß ... rauskriegen brauchen, wo se den berühmten ... Hochzeitsschmuck ihrer verstorbnen Frau Mutter gelassen!

HOLLRIEDER
die erste Silbe als kurzer, ärgerlicher Lachlaut.
Nachdem Jahre drüber vergangen!
MUSMANN
seinen Haß nicht länger zurückhaltend.
Das hat euch ... wohl nicht gepaßt? Das war euch ... unbequem!
HOLLRIEDER
wieder, Vordergrund rechts, stehngeblieben.
»Euch«?
MUSMANN.
Dir und dem ... Alten!
HOLLRIEDER
mit Mühe an sich haltend; mit der rechten Stiefelspitze nervös den Fußboden klappend.
MUSMANN.
Fideler lieber Herr ... dein edler Wohltäter.
HOLLRIEDER
drohend.
Wie?
MUSMANN
So die kleenen .
.. Lämmerchen! Berlin W! Mit überlegen-absprechendstem Nasenrümpfen. Nobelste Gesellschaft!
HOLLRIEDER
auf ihn zu.
Halt den Mund!
MUSMANN
mit Mittelfinger und Daumen ein kleines, kokettes Kreisrund markierend.

Altersgrenze so bis höchstens Siebzehn! ... Und wenn einer mal ... aus Versehn ... was dagegen hat ... Heranwink mit dem Finger Bitte. meine Herren! ... Mit beiden Händen Geste; mit der rechten die des Schießens; ein Auge zugekniffen. Gleich quer übers Schnupptuch! ... Das mögen damals ... nette Dinge gewesen sein!

HOLLRIEDER
vor ihm stehngeblieben.
Willst du dich nicht etwas deutlicher ausdrücken? Vielleicht langts noch!
MUSMANN.

Du glaubst ... ich hab mich nicht mehr in der Gewalt? ... So weit ... hast du mich noch nicht! ... Und du wirst mich auch nicht ... soweit kriegen!

HOLLRIEDER
sich wieder nach links in Bewegung setzend.
Lieblich! ... Befindest dich ja mal wieder in einem reizenden Zustand!
MUSMANN.
Du denkst wohl ... ich weiß das nicht? Was du mir auch nie ... gesagt hast?
HOLLRIEDER
von neuem stehngeblieben; vor den Bildern links nach ihm zurückgedreht.
[137] »Auch nie«? ... Wieder gereizt, nach dem Regal zu. Also denn los, los! Genier dich nicht!
MUSMANN
sich umsehend.
Hast du n ... Schnaps da?
HOLLRIEDER.
Bedaure. Den mußt du dir selbst halten.
MUSMANN.
Erst ... gewöhnst du einem ... sowas an ...
HOLLRIEDER
wieder, Vordergrund links, stehngeblieben.
Bist du des Deubels?
MUSMANN.

So. Na, wer hat mich denn immer ... vor soundsoviel Jahren ... bei zwölf Grad Kälte in »seinen« Schnee geschleppt?

HOLLRIEDER
von neuem nach rechts.
Wenn du son n Schwachmatikus warst ... Ich hab keinen getrunken!
MUSMANN
vor dem Tisch; mit dem Finger drauf zeigend.
Aber so n ... Ziehjarrn kann ich mir doch ...?
HOLLRIEDER
ohne sich umzublicken.
Nimm!
MUSMANN
die Zigarre sich anbrennend.
Einzje Tugend von dir! Wenn du doch in allem so wärst.
HOLLRIEDER
wieder, Vordergrund rechts, nach ihm zurückgedreht stehn geblieben.
Also willst du dich nun mal endlich ... Spuck nicht!
MUSMANN
boshaft.
Du hoffst, ich hab die ... Schwindsucht? Du hast se!
HOLLRIEDER
von neuem in Bewegung, nach links.
Die Schwindsucht, den Krebs, die Syphilis, die Paralyse, und bucklig bin ich noch außerdem!
MUSMANN
dessen Augen flinkem.

Man kann das nie ... wissen! ... Aber das weiß ich! Und wenn du s mir auch noch so verborgen gehalten hast: deinem Alten seine Drachen-Donna, mit Sternenschleier und sonst, wie se noch heut ... auf allen Postkarten paradiert ... Kurzer, abgebrochner Grunzlaut. in seinem Schlafzimmer ... steht se anders! Porträtähnlich! Von Bademantel nich die Spur, und der Lindwurmkopp, in den se rinpiekst, is zufällig sein eigener! ... Zufällig!

HOLLRIEDER
bei dem Wort »porträtähnlich«, Vordergrund links, wieder stehn geblieben.
In seinem ... Schlafzimmer? ... Woher weißt du das?
MUSMANN.
Das ... sag ich nicht.
HOLLRIEDER
nachdem er ihn einen Moment fixiert hat; wie etwas von sich weisend.

Quack!Dann von neuem unruhig, während er seine Promenade längs den Bildern links wieder aufgenommen hat. Und kurz und gut, selbst einen Augenblick angenommen, es wäre so? Was willst du damit andeuten?

[138]
MUSMANN.
Andeuten? ... Ich? ... Nichts!
HOLLRIEDER.
Denn quatsch nich!
MUSMANN.
Wer war denn die ... Als ob er einen Geruch in sich zöge. Dame?
HOLLRIEDER
sich zurückdrehend.
Meine verstorbne Großtante.
MUSMANN.
Deine ... »verstorbne Großtante«. Mit ner Kammerjungfer, die Französisch spricht!
HOLLRIEDER.

Na denn weißt es ja! Nach einer kurzen Pause, da Musmann nicht geantwortet, ärgerlich hinterdrein; wieder, Vordergrund links, stehngeblieben. Scheinst also wieder schön rumspioniert zu haben!

MUSMANN.

Das ... willst du ja! ... Da Hollrieder ihn daraufhin verwundert ansieht. Dazu hältst du mich ... doch an! ... Daß das nicht ... aus mir selbst kommt ...

HOLLRIEDER
der ihn jetzt begriffen hat.

Natürlich! Das hab ich dir »suggeriert«! Um dich immer wieder hinter meine angeblichen Geheimnisse kucken zu lassen! Nach rechts. Ich bin schon einer!

MUSMANN
nach den Vasen rüber; zugleich dabei nach dem Kranich glupend, der ihn ganz besonders beunruhigt.
Die hat er dir wohl ... geschenkt?
HOLLRIEDER.
Und n Rittergut zu jeder noch obendrein!
MUSMANN
mit dem Finger nach dem Wandschränkchen zeigend.
Sogar die ... Giftapotheke!
HOLLRIEDER
ohne sich umzudrehen.
Falls du dich bedienen willst ...?
MUSMANN
geduckt-mißtrauisch zu Hollrieder rüber, wie ungewiß, ob dieser das ernst meint; dann mit heimlicher Wut höhnisch nach dem Regal schielend.

Dieser ... glattrasierte Erzengel! Acht Tage geht das nu schon! Immer, wenn du weg bist! Und auf seiner alten Quetschkommode ... Glaubst du, ich hör und seh nichts?

HOLLRIEDER
zurückgedreht und auf dem Wege nach links.
Hör und sieh, was du Lust hast.
MUSMANN.

Daß Gestreckter Daumen über die Schulter rechts nach dem Balkon hin. die nicht zu deinem ... Ähnlich nach dem Leuchter hin. gerupften Paradiesvogel kommt ... o nein, mein Lieber. Jetzt täuschst du mich nicht mehr! Heut hab ich dich beklappt! ... Plötzlich. Soll ichs dir sagen? ...Ihn gespannt beobachtend. Das ist se!

[139]
HOLLRIEDER
mit einem Ruck im Vordergrund links stehngeblieben und ihn einen Moment lang anblickend.

Wieder mal! ... Von neuem nach rechts in Bewegung. Zum soundsovielten! Die alte Leier! Es braucht nur irgend n Weibsbild aufzutauchen, und der Dreh dich ist bei dir fertig!

MUSMANN
verächtlich-schadenfroh; um ihm nur ja noch den Hieb zu versetzen.

Bis auf n Balkon biste jerannt! ... Wärst ihr am liebsten ... nachgesprungen! ... Hast dich doch sonst nicht so!

HOLLRIEDER
im Vordergrund rechts stehngeblieben; Kopfbewegung nach der Tür hin, durch die Musmann gekommen.
Möchtest du mich nicht jetzt doch n bißchen ...
MUSMANN
plötzlich; unruhig nach den Bildern hin; man merkt ihm eine besorgte Angst und Spannung an.
Hast du schon was?
HOLLRIEDER
brüsk.
Ich frag ja dich nicht!
MUSMANN
triumphierend.

Du hast also noch nichts! ... Sieh, sieh! Tut! ... Hämisch. Seit wieviel Monaten ... kannste denn nu schon eigentlich nischt mehr?

HOLLRIEDER
noch immer stehngeblieben; drohend.
Du? ... Nimm dich in acht!
MUSMANN
versteckt.
Wo du jetzt ... Wieder nach dem Regal. hin so viel andres zu tun hast ...
HOLLRIEDER
noch immer in derselben Stellung.
Du darfst die Geduld, die ich mit dir habe ... Sich bezwingend; wieder nach links. Kaffer.
MUSMANN
mit den Augen ihn verfolgend.
Du ... bist gar kein Maler!
HOLLRIEDER
mit verbißnem Grimm, ohne sich in seiner Promenade dadurch stören zu lassen.

Nein. Ich bin Bildhauer. Was ich die zehn Jahre zusammengepinselt habe, ist ohnmächtiger Kitsch!Wieder nach rechts. Dieser alte Schlaumeier von Lipsius hat mir meine ersten primitiven, bunt kolorierten Knetversuche, die ihm damals sicher und ganz zweifellos mit gutem Recht zu exzessiv malerisch vorgekommen waren, weshalb er mir lebhaft sofort riet ... Abbrechend und in seinem unterbrochenen Satz wieder weiter. nur deshalb ausgeredet, weil er in mir seinen künftigen Konkurrenten witterte! Wieder rechts angelangt und nach links zurück. Die ganze Welt steckt voller Gauner und Schurken, und jetzt möchte ich dich am liebsten wieder vergiften, weil du der »Heimliche Kaiser« bist und ich vor Neid auf deine kommende Größe fast platze!

[140]
MUSMANN
der bei dem Wort »vergiften« mit einem Ruck zusammengefahren war; über seine linke Schulter mit heimlichem Grauen nach dem Schränkchen hin; leise für sich.
Vergiften? ...Dann wieder zu Hollrieder. Warum hast du mich denn ... die ganzen Jahre ...?
HOLLRIEDER
links stehngeblieben.
Du meinst, aufgepäppelt! ... Male ich, wie du malst, oder malst du, wie ich male?
MUSMANN.
Du willst doch nicht etwa ... damit sagen ...
HOLLRIEDER.
Gewiß will ich das damit sagen!
MUSMANN.
Das war doch wohl nur ... Parallelentwicklung!
HOLLRIEDER
sich wieder nach rechts in Bewegung setzend.
Nette Parallelentwicklung!
MUSMANN.
Auf deine Veranlassung ... war ich damals von der Akademie gegangen.
HOLLRIEDER.
Hör auf!
MUSMANN.
Ich wäre heute zehnmal weiter ...
HOLLRIEDER
wieder auf ihn zu, stehngeblieben.
Hältst du nu die Labbe, oder nich? ... Das geht ja auf keine Kuhhaut!
MUSMANN
vor ihm zurückgewichen; mit arbeitender Brust; seine Stimme wie über innere, heimliche Katarakte.

Möchtest du nicht ... bei dieser Gelegenheit ... mal endlich ... die große Güte haben ... mir offen zu sagen ... oder ... das heißt, wenn du ... ehrlich sein willst ... zu verraten ... was ich eigentlich ... so Schweres ... gegen dich verbrochen habe? ...

HOLLRIEDER
mit erneut aufsteigender Ungeduld; wieder nach rechts; halb durch die Zähne.
Herrgott Herrgott!
MUSMANN
an seinen Worten wie würgend; die Augen quellen ihm aus dem Kopf.

Immer ... deine Gedanken denken! ... Wenn ich aufwache ... stehst du da! ... Hollrieder in Haltung und Stimme in ein eingebildetes »Teuflisches« karikierend; immer ohne ihn dabei anzusehn. »Halts Maul! ... Kusch dich! ... Die ganze Malerei ...« Abbrechend; wieder in seinem eignen Ton; fast schäumend. So n ... Blödsinn! ... Als ob alles ... nach deiner Pfeife tanzen müßte! ... Ich bin Mensch! Ich ... will auch leben ... Ich kann malen! ... Ich hab Augen ... und Hände wie du! ... Ich kann mir sogar jetzt ... mein Geld verdienen! ... Ich brauch dich nicht mehr! ...Plötzlich umschlagend; weinerlich. [141] Ich hab dir doch ... nichts getan! Warum ... In sich hineinwimmernd.

HOLLRIEDER
dicht vor ihm; beide Hände, ihn begütigend, ihm auf die Schultern gelegt; vollständig anderer Tonfall.
Also nu nimm mal Vernunft an. Was du da faselst, is Unsinn. Ich bin dein Kamerad, nicht dein Henker.
MUSMANN
unartikulierter Laut; auf einmal wieder ganz verändert; vor sich hinstarrend.
Mir ist zumut ...! Knirschend. Dieses ... Weib!!
HOLLRIEDER
der ihn wieder losgelassen; energisch.
Ruck dich zusammen! Du kannsts! ... Wenn dich andre so sehn! ...
URL
in der Tür; erstaunt auf Musmann sehend.

Was? ... Zu Hollrieder, der sofort, nachdem er die Stimme Urls gehört, Musmann läßt und nach dem Fenster geht. Der ist schon wieder da? Zu Musmann, der mit kaum glaublicher Selbstbeherrschung sofort, bis auf einige Kleinigkeiten, seine ganze Haltung geändert hat. Ich habe Sie doch eben erst ...

MUSMANN
nach ihm rüberschielend; zugleich zu Hollrieder hin.
Dein neuer ... Herzensbruder!
URL
ihn verächtlich, namentlich auf sein »Habit« hin, von oben bis unten und von unten bis oben musternd.
Sie ... Ableger!
MUSMANN
der diesen Blick sehr wohl kapiert hat; dumm-dämlich, die Rechte ausgespreitet vor der Brust, sich selbst inspizierend.
Det is n sehr scheenes ... Zu Url rüber, der angewidert noch in der Tür steht.
HOLLRIEDER
abgewandt; durchs Fenster starrend; unwirsch, aber ohne Härte.
Mach, daß du jetzt endlich rauskommst.
MUSMANN
einen Augenblick unschlüssig; dann zu Url; die Tür passierend.
Na, warten Sie! Ab.
URL
der die Tür hinter ihm geschlossen, näher getreten; zu Hollrieder; nach der Tür zurück.
Und diesen Halunken ...
MUSMANN
den Kopf nochmal durch den Türspalt, nachdem er die Tür nochmals leise geöffnet; zu Hollrieder rüber, der sich unwillkürlich etwas zurückdreht.
Aber du! Das Bild, an dem ich jetzt male ...
URL
an seinem Platz wie festgewurzelt; empört zu Hollrieder; wie nicht begreifend, daß Musmann sich eine derartige Frechheit herausnehmen darf.
[142]
MUSMANN
nach den Bildern hin.
Das ist nicht mehr so n Abklatsch!
URL
auf ihn zu.
Alle Wetter!
MUSMANN
noch schnell, bevor er die Tür zuzieht.
Da wirste was er leben! Ab.
URL
im Vordergrund rechts.

»Pathologisch«! Damit läßt sich alles zudecken. Langsam etwas nach Hollrieder hin. Du mußt in eurer ersten Zeit von einer Blindheit gewesen sein ...

HOLLRIEDER.

Laß. Nach einer kleinen Pause; wieder am Tisch, wo er von neuem seine Zigarre ansteckt. Du bliebst lange.

URL
auf dem Weg zu ihm stehngeblieben; scheinbar gleichmütig; ihn aber dabei heimlich beobachtend.
Es schien dir wohl nur so.
HOLLRIEDER
der kaum einige Züge aus der Zigarre getan, sie wieder hin werfend und nach den Vasen links.
Weißt du, an wen mich die Person im ersten Augenblick erinnert hat? ...
URL
da Hollrieder nicht gleich fortfährt; gespannt.
Du willst es mir nicht sagen?
HOLLRIEDER
vor den Vasen einen Moment stehngeblieben, dann wieder weiter.
Eh! Is ja gleichgültig! ... Is ja auch gleichgültig!
URL
unruhig; ihm nach bis an den Sessel rechts.
Hast du zu ihr ... darüber gesprochen?
HOLLRIEDER
verbissen; halb zurückgedreht.

Zu der neugierigen Pute? ... Noch mehr nach dem Vordergrund. Es gibt wichtigere Dinge, die mich im Moment beschäftigen! ... Nischt mehr hören, nischt mehr sehn! Einsame Insel und n paar Meter hoch Stacheldraht drum rum! ...

URL
auf ihn zu und ihm die Rechte auf die linke Schulter legend; veränderter Tonfall.
Du wirst jetzt ... deine Malschule aufgeben.
HOLLRIEDER
halb zurückgewandt; rauh.
Fängst du jetzt auch an?
URL.

Du darfst für die nächste Ausstellung nicht ohne ein neues Bild sein. Du kannst dich nur dann durchsetzen ...

HOLLRIEDER
seine Hand abschüttelnd und nach rechts.
Wer will sich denn durchsetzen?
URL
ihm nachblickend.

Nach deinen ... Mißerfolgen ... Übrigens »Mißerfolge«! Als ob du schon je welche gehabt hättest! ... Über dein Können sind sich die Leute einig! Wenigstens die, an deren Urteil dir einzig und allein was Hegen darf! Weil sie selbst was können. Also darüber ... Geste, daß er sich nach der [143] Richtung nicht zu beklagen braucht. Jedenfalls nach deinen, sagen wir also rein äußeren Mißerfolgen ist deine Stimmung ja begreiflich.

HOLLRIEDER
der unterdessen im Bogen an der Chaiselongue vorbei wieder die Mitte der Bühne erreicht hat; stehngeblieben; ausbrechend.

Stimmung? Was nun schon länger, als ein ausgeschlagenes Jahr bei mir anhält? Was an mir rumfrißt? Seit du mit deinem verklausulierten Enthusiasmus über den Schund den Stein damals ins Rollen gebracht hast? Was mich zum Kretin gemacht hat? Was mich seit Monaten keinen Pinsel mehr in die Hand nehmen läßt? Nach den Bildern hin. An den ... Stumpfsinn hab ich geglaubt! An den ... Dreck hab ich mein Leben gesetzt! Wenn andre ihr Theater flunkerten, hab ich hinter einem alten Bauzaun gehockt und mich abgemartert, ein idiotisches Stück Vieh zu klecksen, das in widerlichem Kehricht nach Lumpen harkt! Wenn andre ihre »Seligen Inseln« schmierten, war ich so hirnverbrannt, mich in irgend so n Proletenwinkel zu verkrallen, vor dem mir jetzt die Haut schaudert! ... Natur!! Das eine packts nicht und das andre nicht! Das eine schießt rechts vorbei und das andre links! Wir sind alle Schwindler! Alle!! ... Gib mir einen Grund, auf dem ich wieder stehn kann, eine Idee, an die ich wieder »glauben« darf, ein einzjes, das alles umfaßt, die ganze Skala, und ... Erschöpft; auf den Sessel rechts zu, den er packt und an dem er sich hält. ich würde es ... nochmal ... versuchen.

URL
auf den Tisch zu, auf den er die Hand legt; nach einer kleinen Pause.
Du wirst diese ... Synthese finden! Dir wird diese Idee ... aufgehn!
HOLLRIEDER
sich in den Sessel werfend.

Aus meinem Hirn ... wächst nichts mehr! Ein Kaputter mehr in einer Kunst, die vielleicht längst schon ...

URL
hinter den Sessel getreten.

Zum alten Eisen gehört! Weil »der erste beste Grasfleck« et cetera! Deine neuste Verzweiflungstheorie! Mit solchen Anforderungen, wie du sie stellst, hättest du dich überhaupt nie ...

HOLLRIEDER.
Hättest!
URL.

Also hörst du? Ich bestehe darauf! Nach seinen Vasen zurück. [144] Ich brauch den Krempel nicht! Ich möchte wissen, was ich noch damit anfangen soll? Du mußt jetzt deine ganze Zeit haben! Und du wirst sie haben! Ich bleibe bei dir nicht einen Tag mehr, wenn du noch länger gegen dich in dieser Weise bis zur Selbstzerstörung wütest!

HOLLRIEDER
aufgestanden; sich unwillkürlich reckend.

Zehn Jahre! ... Gearbeitet wie ein Sträfling, Qualen ausgestanden wie ein Verdammter, und das ... der Schluß! ... Wieder Mitte der Bühne. Kunst! Greifen, was sich nicht greifen läßt, einem Phantom nachjagen, das unerreichbar ist, auf einer Nadelspitze tanzen, auf der noch nicht mal Raum für den zehntausendsten Teil eines Stäubchens ist!Fast hysterisch; schon halb schluchzend. Auf solche ... Idiotie zu verfallen! ... Sich wieder zusammenraffend; verbissen. »Kunst«!! Kurzes, einmaliges Auflachen ... Und unterdessen Höhnisch. leben andre das Leben!! ...

URL
bitter vor sich hin.
»Leben!« Wie mans auch lebt ...
HOLLRIEDER
scharf nach ihm hin.

Wie es der alte Lipsius gelebt hat! Url: aufblickend. Der hats gelebt! Gründlichst! Der hat sich vor nichts geekelt! ... Trotz seiner bereits Sechs oder Siebenundfünfzig! Der ist noch heute jünger, als wir beide zusammengenommen!

URL
durch seine Stimme, wider Willen, zittert Ekel.
Du würdest ein solches Leben ... Den Sessel lassend und nach dem Vordergrund links zu.
HOLLRIEDER
wieder im Bogen an der Chaiselongue vorbei nach dem Vordergrund rechts.

Weil ich zu dumm bin! Verpfuscht schon vor allem Anfang und noch mehr durch diese blödsinnigen ...In ohnmächtiger Wut zu seinen Bildern hoch' dann halb nach der Tür rechts. durch die ich auch andre noch verpfuscht habe! ... Wieder zu Url; stehngeblieben; von neuem; mit noch immer sich steigernder Heftigkeit. Und so ein Dummkopf ... siehst du?! Das Wort nochmal und allerheftigst. so ein Dummkopf ... bist du auch! Noch weiter in den Vordergrund rechts. Alles hättest du haben können! Alles! Und was hast du gehabt? Wie hast du dir die schönsten Jahre verfumfeit? ... Auf ihn zu. Zwischen deinen Mappen hast du gehockt, in deine Bücher hast du dich gewühlt, in nichts wie in deinen ganzen, alten, albernen, übergefahrnen,[145] schnurrpfeiferischen Krimskrams warst du verdöst! Nichts, nichts, nichts, was nicht ödester, blödester, hirnverbranntester, hirnverbrühtester, hirnverrammeltster Selbstbetrug war! Und jetzt? Jetzt bist du fertig! Fertig wie ich! Jetzt darfst du dort ... Stallknecht werden, wo wahrscheinlich andre ... im Sattel sitzen! Gratuliere!!

URL
im Vordergrund links; einen Schritt vor ihm zurück.

Was habt ihr ... gehabt? Sie war außer sich! Sie will ihren Fuß nicht mehr über diese Schwelle setzen!

HOLLRIEDER
sich umdrehend und wieder nach rechts.
Freut mich! Dann probt ihr in Zukunft eben anderswo! Sehr einfach!
URL
erst in diesem Augenblick mit sich zum Entschluß kommend.
Ich werde die Stellung ... jetzt annehmen.
HOLLRIEDER
ihm rechts gegenüber.
Nimm sie und werde aus einem anständigen Kerl ein Pudel, der ihr die Schleppe nachträgt!
URL.
Du hast mir doch selbst ...?
HOLLRIEDER
nach der Chaiselongue zu.

Vor einer Viertelstunde! ... Jetzt kenne ich sie und weiß Mit letztem Grimm. was den, der ihr unter den Frachtwagen gerät, mit tödlichster Sicherheit erwartet.Nach ihm zurück. Ein Probestück, dem du, lieber Sohn, nicht gewachsen bist!

URL
unruhig; wieder auf den Tisch zu; nach ihm hin.
Sie scheint ja einen merkwürdigen Eindruck auf dich gemacht zu haben
HOLLRIEDER
vor der Chaiselongue stehngeblieben; zu ihm rüber; grimmiger Hohn.
Während sie dich ja ... ganz kalt gelassen hat.
URL
noch unruhiger; stockend; Hollrieder immer dabei beobachtend.
Das ... habe ich ... nie gesagt!
HOLLRIEDER
seiner Eifersucht einen Moment wider Willen die Zügel lassend.
Na also!!
URL
die eine Hand vor der Brust; eindringlich.

Ich gebe dir mein Wort! Was mich an sie fesselt, hat mit dem, was du mir jetzt unterschiebst, nichts mehr gemein! Seinem verwunderten Blick voll begegnend. Nicht das Geringste mehr!

HOLLRIEDER
sich kurz von ihm wegdrehend; brüsk; nach dem Vordergrund rechts.

Das glaub dir einer! ... Höhnisch nach ihm zurück. Seit fünf Minuten! Nicht wahr? Läufst ja schon diese ganzen Wochen wie so n Hypnotisierter rum!

[146]
URL
durch seine Leidenschaft fast verletzt.
Wenn du meinst, daß ich dich in diesem Augenblick belüge ...
HOLLRIEDER
gar nicht mehr auf ihn achtend, im Vordergrund auf und ab.

Kommt einem mal wirklich was in die Quere, wo man fast ahnt, was einem das Dasein Wieder mit einem Blick über seine Bilder. statt dieses vertrottelnden Hinvegetierens alles zu bieten hätte, und man benimmt sich, wie n ...Abbrechend. Wir sind schon n Paar stupide Burschen, alle beide! Url: wortlos von ihm abgewandt .... Jawohl. Du wirst sie nicht kriegen, und ich werd sie nicht kriegen! Du, weil man dir alles verbuttert hat, und ich, weil ich der kompletteste Idiot bin. Also in die Perücken brauchen wir uns deshalb nicht zu geraten. Gott sei Dank nicht! ... Da Url noch immer schweigt. Du! ... Ihn an die Schulter packend. Url! ... Mensch! ... Sei doch vernünftig! ... Durch die Zähne. Wegen solchem ...Das Wort nicht aussprechend.

URL
unter seiner Brutalität zusammengezuckt; einen Schritt zurück; ihm gegenüber.
Wenn ich nicht ... genau wüßte ... daß du an deine Maßlosigkeiten selbst nie glaubst ...
HOLLRIEDER
wieder von ihm weg; ohne ihn dabei anzusehn; nach links hin.

Na, was is denn so n Weib? Gib ihr Rapid. zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, meinetwegen fünfzigtausend Mark, und du hast se!

URL
der ihm ernst nachgeblickt, langsam auf die Chaiselongue zu.
Ich wünschte nur, daß du dich damit nicht täuschtest zu deinem Unglück.
HOLLRIEDER
wieder vor dem Kalender.

Elfter Januar! Mit beiden Unter armen und den ohnmächtig geballten Fäusten gegen die Wand schlagend. Elfter Januar!! ...Als ob sich alles gegen einen verschworen hätte! ... Wieder auf den Tisch zu. So ein Pech! Mußtest du ihr auch grade in den Weg rennen! Als ob es ausgerechnet nur die eine Straße gäbe! ... Was war denn das überhaupt für n ...Stehngeblieben; sich räuspernd-würgend, dann mit doppelter Wut das ihm infame Wort aus sich ausstoßend Stiesel? .... Alt oder jung? Schon n Tattrich, oder ... Sich plötzlich selbst unterbrechend. Im letzten Drittel der Bühne nach dem Fenster hin, durch das über den inzwischen immer blauer gewordenen Schneedächern jetzt ein tiefroter Sonnenuntergang [147] brennt; die Arme etwas seitlich nach hinten ausgestreckt, beide Fäuste gebaut; in die Dachlandschaft vor sich wie gebannt starrend. Herr Gott ... die ... Sonne!! ...

URL
der auf der Chaiselongue sitzt; auf derselben Stelle wie am Anfang; einen Moment nach dem Fenster zurückgedreht; langsam fragend- schmerzlich; Hollrieders letztes Wort wie mechanisch zweimal wiederholend.

»Sonne«? ... »Sonne«?? ... Die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in beiden Händen; aus seiner Stimmung dunkeldüster vor sich hin. Finsternis!

HOLLRIEDER
noch in derselben Stellung; wie visionär-entrückt; Urls letztes Wort automatisch-echoartig aufgreifend.

»Finsternis!« ... Plötzlich, wie elektrisiert, zu Url rüber. Du!! ... Url, von dem seltsam elementaren Ton, mit dem Hollrieder diese eine Silbe ausgerufen, aus seinem Brüten aufgeschreckt; Hollrieder, wieder nach dem Fenster blickend, noch wuchtiger. Ich habs! ... Wieder zu Url rüber; der unwillkürlich erwartungsvoll aufgestanden. Eben! ... Diese Sekunde! ... Wieder nach dem Fenster hin; mit dem Finger deutend; fast keuchend; zwischendurch immer wieder nach Url zurückblickend. Sieh! ... Sieh!! ... Das ist noch nichts! ... Das ist noch gar nichts!! ... Vor fünfzehn Jahren! ... Jene ... große Sonnenfinsternis!! ... Nach Url zurückgedreht; mit halb erhobenen Händen, wie an einer Vision formend. Berlin an jenem unvergeßbaren Augustmorgen! ... Hunderttausend, die früh auf den Kreuzberg gezogen waren ... aus allen Ständen, in allen Gruppen ... Menschen, Tiere ... der Himmel in hundert Farben, rund der qualmende Riesenhorizont ... das ganze Tempelhofer Feld, unabsehbar, eine wimmelnde Masse ... Erwartung ... auf schauernde Kühle, und dann, langsam ... das Grauen! Hier noch ein grelles Stück Sonnenlicht, leuchtendste Wipfel, Turmspitzen, die Gesichter lachend, fröhlich, dort schon die Dämmrung; die Tiere unruhig, die Menschen grünbleich, schwirrende Dunkelheit, Entsetzen! ... In diesem Moment stak alles! Alles!! ... Die ganze Skala!

URL
der ihm mit steigender Ergriffenheit zugehört; unfähig sich von seinem Platz zu rühren; unwillkürlich.
Ja! Ja!!
HOLLRIEDER
wie plötzlich über sich selbst gewachsen; noch immer sich steigernd.

Lichtwirkungen, Lichtausschüttungen, Lichtoffenbarungen,[148] daß einem vor Staunen und Grausen kaum noch ... das Herz schlug ... Mienen, Gebärden, Gesten, Bewegungen ... Szenen, die sich in die Seele ... wie Senkbleie gruben ... eine Idee, eine Zusammenballung ... eine Synthese, die Augen wie Hirn ... mit gleichem Zauber, mit gleichem Entzücken ... mit gleichem Schauer füllte ... die ein alles umfassendes, alles umreißendes, alles umgreifendes ... Symbol war ... und die dich ... mit ihrer zermalmenden Größe, ihrer schillernden Vielfalt ... ihrer unausschöpfbaren Tiefe ... bis in den letzten Nerv traf! Da gab es nicht einen, nicht einen ... keinen ... der nicht zitternd davon ... gepackt war! ... Das ... mal ich! ... Auf den Sessel zu, die Worte kaum noch aus sich rausbekommend. Sollte ich ... noch einmal ... Vor dem Tisch schluchzend zusammenbrechend ....

URL
erschüttert auf ihn zugegangen; ihm die Schulter streichelnd.
Lieber ... lieber ... h'eher Kerl! ...Neben ihm; fest; aufgerichtet. Es ... wird dir ... gelingen!

Vorhang

2. Akt

[149] Zweiter Akt

Szene wie im ersten Akt. Nur die beiden Vasen und der Kranich fehlen; dafür von der Decke eine große elektrische Lampe und schräg vor dem Fenster, fast unmittelbar aus der Ecke rechts bis etwa zur Mitte der Bühne, auf einer mächtigen Staffelei, nahezu bis auf den Boden reichend, vier zu zweieinhalb Meter, von der oberen Mitte nach hinten stark verknotet, das inzwischen vollendete Bild Hollrieders. Der Vorhang vor der Tür links ist fast ganz zur Seite geschoben. Unter dem rechten Drittel des Bildes eine Metallstange, von der an Ringen ein Leinenvorhang hängt, der nach rechts bis an die vordere Kante des Bildes zurückgeschoben ist. Vor dieser Staffelei, mit Rücksicht auf den kostbaren Teppich Urls, ein dunkles, dickes, betreffend großes Friesstück. Nach dem Fenster zu ein Maltisch, davor ein dreistufiger Tritt. Ein Schemel etwas mehr vorn. Der große Lichtvorhang links etwas vorgezogen, das ganze untere Fensterdrittel durch die entsprechenden drei kleineren Vorhänge abgedeckt. Vormittagslicht. Draußen, in jähem Wechsel, Aprilwetter. Jagende Wolken, aus Schornsteinen zerflatternder Rauch, zwischendurch immer wieder hellste, grellste, blendendste Sonne.

HOLLRIEDER
in langem, elfenbeinfarbnem Malmantel mit Pinsel und Palette vor seinem Bild.

Er arbeitet noch an der Ecke rechts und ist also, namentlich sobald er etwas zurücktritt, für den ganzen Zuschauerraum sichtbar. Url einige Schritte vor Hollrieder nach dem Zuschauerraum zu in einer Haltung, der man anmerkt, daß er Hollrieder grade Modell steht. Hollrieder, der eben aufblickt, zu Url; Drehung mit der rechten Hand; scharf. Bitte! ... Etwas mehr ... Da Url die gewünschte Stellung bereits eingenommen hat So. Keine Sonne.

URL
dessen Haltung und ganzes Wesen jetzt einen ungleich gefestigteren Eindruck macht als im ersten Akt, während umgekehrt Hollrieders Nervosität noch gewachsen scheint, dieselbe Kleidung wie im ersten Akt, nur andre Weste, andres Plastron und [150] dunkle Gamaschen.

Als die Herren vom Vorstand der Sezession eben gingen, hat bei deinem Freund Musmann die Tür geknarrt.

HOLLRIEDER
ohne von seiner Arbeit aufzublicken; etwas ungeduldig.
Ich habs gehört.
URL.
Er wird aufgeschnappt haben, was du noch an der Treppe gesagt hast.
HOLLRIEDER.
Mag er.
URL.
Wenn du doch bloß von deiner Sorglosigkeit zu kurieren wärst!
HOLLRIEDER
mit leisem Stirnrunzeln; da Urls Position sich etwas geändert hat; Bewegung mit der Linken; wie vorhin.
Noch mehr.
URL.
Und die Leute haben sich also tatsächlich damit zufrieden gegeben?
HOLLRIEDER.
Daß ichs erst morgen abliefre. Ja. Drei Stunden vor der Eröffnung.
URL.
Das wird dir doch hoffentlich ... ein Beweis sein?
HOLLRIEDER
der auf die letzte Frage nicht mehr geantwortet hat; jetzt zurücktretend und seine Arbeit nochmals überblickend.

Auch dein Kopf ... scheint mir jetzt wieder zu stimmen. Ihm leicht abwinkend. Danke dir. Diese verdammte Gruppe! Auf die ich den ganzen ... Kitsch überhaupt angelegt habe!

URL
von seiner Haltung wieder frei.
Nun quäl dich doch wieder, ja?
HOLLRIEDER.

Alles auf die drei! Als ob sich das damals ... so abgespielt hätte! Auf die Stelle deutend, an der er eben gemalt hat. Ich stand allein auf dem Fleck! ... Aber das kommt davon, wenn man »komponiert«! Man soll nicht komponieren! Komponieren heißt fälschen!

URL.
Solche »Fälschung« soll dir erst einer nachmachen.
HOLLRIEDER.
Ich möchte wirklich wissen, warum mich der Deubel ritt? Was ihr da zu suchen habt?
URL
ihn musternd.
Du bist total kaputt!
HOLLRIEDER.
Du ... magst vielleicht noch am passabelsten geraten sein, das Weib ...
URL.
Möchtest du nicht jetzt ... doch lieber ...
HOLLRIEDER.

Hab ich die ganzen ... drei Monate geschuftet ... so werd ichs doch wohl ... auch noch diesen einen Tag durchhalten!

[151]
URL.
Dein Bild ist fertig. Du hättest dir diese erneute Nachfrist erst gar nicht geben lassen sollen.
HOLLRIEDER
immer verbißner.
So ... sieht sie ... nicht aus!
URL
Erstens sieht sie so aus, und zweitens .

.. verlaß dich drauf! Jetzt auch vor dem Bild ganz vorn rechts. Grade unsre Gruppe! So scheinbar nebensächlich du sie auch in die Ecke gerückt hast! Man merkt sofort: diese drei sind nicht bloß notwendige Bestandteile des Ganzen, wie die übrigen, sondern sie wachsen aus ihm heraus und genießen dieses ... grandiose Ganze gewissermaßen schon zugleich als Kunstwerk! Erst das ... gibt den letzten Tupf auf das Bild!

HOLLRIEDER.
Ders wieder zum Theater macht! Nach seinen alten Bildern hin. Da waren die anders!
URL.
Ich denke ... das waren bloß ... »Ausschnitte«? Dinge, die man durch die »hohle Hand« sieht!
HOLLRIEDER.
Es kommt drauf an ... wer durch die »hohle Hand« sieht!
URL.
Du wolltest dir »eher die Finger abhacken« ...
HOLLRIEDER
mit zusammengebißnen Zähnen.
Es taugt ... überhaupt nichts!
URL
ungeduldig in den Vordergrund rechts.

In einem Augenblick taugts überhaupt nichts, und im nächsten wirfts wieder die ganze moderne Malerei über den Haufen!

HOLLRIEDER.
Ich kann nichts ... dafür, daß ich nicht mehr klar sehe.
URL.
Um so mehr solltest du endlich aufhören!
HOLLRIEDER.
Und wenn ich dabei ...
URL
stehenbleibend.
Du fliegst ja schon! ... Du kannst nicht mehr!
HOLLRIEDER
jetzt gegen ihn gewandt; feindselig; fast zitternd.
Willst du mich ... wirklich ...
URL
sich achselzuckend von ihm abwendend; weiter links.

Du bist überreizt! Diese letzten Nachtarbeiten haben dir den Rest gegeben! ... Ganz vorn links stehngeblieben und nach der Decke hoch. Aber daran ist diese niederträchtige Lampe schuld! Ich habe dich gleich gewarnt! Du hättest früher nie bei solchem Licht gemalt! Das muß einen ja ... Geste.

HOLLRIEDER.
Und wann ...war ich dann fertig geworden?
URL
wieder nach rechts.
Aber wie du »fertig« geworden bist, was dir das gekostet hat ... danach fragst du nicht!
HOLLRIEDER
mit den Augen immer in seinem Bild.

Ich weiß es ist mehr [152] wert ... als was ich je gemacht habe! Aber ob es das ist, was es sein soll ... ob es das wirklich ist ... Sich wie unter einem körperlichen Schmerz windend mm! ... Gott sei Dank, daß sie heute noch mal kommt!

URL
der ihn fortwährend im Auge behalten, schon vor seinem letzten Satz etwas in der Mitte des Vordergrundes stehngeblieben.
Ja.
HOLLRIEDER.
Zum letztenmal!
URL.
Sie war oft genug hier.
HOLLRIEDER.
Und ich bin dir ... aufrichtig dankbar ... Stockt.
URL.
Da du mir kategorisch erklärt hattest, daß du dein Bild ohne sie nicht weitermalen würdest ...
HOLLRIEDER.
Du sahst es doch ... ein.
URL
wieder nach rechts weiter.

Nun, ich habe dir ja deinen Wunsch erfüllt, und ... allzu schwer hat sie s mir nicht grade gemacht. Sonne.

HOLLRIEDER
schnell.

Es war ohne jede Frage ...Mit einem kleinen Anlauf. außerordentlich liebenswürdig von ihr, mir ihre Privat-Studienaufnahmen, die, von dir abgesehn, noch niemand bis dahin gekannt hatte ...

URL
der inzwischen wieder nach links umgeschwenkt.

Hundert Stück an der Zahl, und zwar, noch ehe du ihr dann deine erste Antrittsvisite gemacht hattest, völlig überraschend und unaufgefordert hierher ins Haus zu schicken.

HOLLRIEDER.
Doch nur ... weil sie selbst nicht wieder kommen wollte!
URL
trocken.
Du hast ja dann auch das erreicht.
HOLLRIEDER.
Ich kann dir dafür ... nur nochmal ...
URL
abgewandt im Vordergrund links.
Ich habe deinen Dank bereits akzeptiert.
HOLLRIEDER
vor seinem Bild; kleine Pause; pfeift verbittert, die erste Taktphrase des Rakoczymarsches; dann wie leichthin.

Und euer Programm ... habt ihr also inzwischen beide zu Ende geführt?Bissig. Das überwältigende Schlußtableau ist euch geglückt? Wieder dunkel.

URL
der ihn permanent beobachtet, bereits wieder im mittleren Vordergrund.

Soweit ich dies als vorläufiger Nochnichtfachmann beurteilen konnte ...? Sie ist von einer Begabung, die selbst das Gewagteste ...

[153]
HOLLRIEDER
noch gesteigert.
»Kunst!« ... Selbstprostitution! ... Schamlos!
URL
ihm nicht mehr sichtbar rechts; scheinbar gleichgültig; Achselzucken.
Wer das so auffassen will ... Mir persönlich lag das jedenfalls immer sehr fern.
HOLLRIEDER
erbittert an seinem Bild weiter.

Die ... Augen! ... Die werd ich ... nie rauskriegen! Die bleiben mir ... wie tot drin! Oder obs am Mund liegt? ... Ich hab sie immer bloß ... wie durch ne Glaswand gesehn! ... Gleich von jenem ersten Tage ab! ... Und das ist nie anders geworden! ... Wie sie in Wirklichkeit is ... was sie in Wirklichkeit is ...Mit einem plötzlichen Blick zu Url rüber. das weißt du auch nicht!

URL
immer den Blick auf ihn; schon wieder weit links.
Ihre Sache.
HOLLRIEDER
unwirsch.

»Ihre Sache!« Geste: wie sich etwas vormachend. Man darf sich doch wohl noch ... da muß irgend etwas ... Aus seinem dunklen Verdacht raus, tastend-ausholend, weiterbohrend. Wer fähig ist ... mit seinem eignen Korpus ... mimoplastisch eine solche Reihe ... unbezweifelbarer Kunstwerke hinzupflanzen ... wie sie uns ... aus jenen geradezu fabelhaften Photographien ...Auf ein unwillkürliches Räuspern Urls, nach einem rapiden Blick auf ihn. die sie mir ... rein sachdienlich ... für mein Bild zur Verfügung gestellt ... ganz unwiderlegbar ad oculos bewiesen waren ... kann absolut unmöglich ... bloß die kommune, trivial übliche Modell Vergangenheit hinter sich haben! Sondern ein solches ... phänomenales ... ja in seiner Art einfach geradezu singuläres ... »Individibum« ... Von neuem helle Lichtstimmung.

URL
der, ganz vorn links, beobachtend stehngeblieben; seufzend-achselzuckend.
Cha ...
HOLLRIEDER
in seinem Satz gesteigert weiter.
Muß meinem fachmännischen Urteil und Dafürhalten nach ... schon von frühst an ...
URL
scheinbar vollkommen ruhig-gleichmütig seinen Satz fort setzend und beendend.

Sagen wir, in einer Sphäre aufgewachsen sein ... die eine solche eminente Entwicklung ... ganz besonders begünstigte. Möglich. Warum nicht?

HOLLRIEDER
ärgerlich, mit seiner »Diplomatie« keinen Schritt weitergekommen zu sein.
Freilich, freilich! Das eben meinte und behauptete ich ja!
[154]
URL
achselzuckend; nach rechts.
Bloß ich ... ahne nicht ...
HOLLRIEDER
hartnäckig weiter; dabei innerlich immer nervöser.

Sie muß nach meinem ... verlaß dich drauf ... untrüglichen, grade in diesem Punkt ... unfehlbaren Instinkt ...

URL
ihm seinen Satz wieder beendend, wie vorhin.
Aus einer Künstlerfamilie stammen. Vielleicht.
HOLLRIEDER
mit apodiktischer Bestimmtheit.
Und zwar aus einer allerersten!
URL
rechts wieder stehngeblieben; dies für alle Fälle vorsichtshalber doch lieber in Frage stellend; achselzuckend.
Das ... Sonne.
HOLLRIEDER
wie vorhin; nur noch hartnäckig verbißner und durch Urls vorsichtig-unvorsichtigen, halben Widerspruchsversuch sich steigernd bis ins letzte.

Wozu für mich, abgesehn davon und außerdem, auch noch ihr direkt ... faszinierend auffällig überlegnes, du wirst mir zugeben, ohnedem für ein solches, sonst geradezu Musterbeispiel feminini generis ... wie soll ich mich ausquetschen ... aber auch total ... völlig unerklärbares ... exorbitant außergewöhnliches, gewandt nach jeder Richtung, in allen Farben, Lichtern und Tönungen verführerisch ... schlangenklug schillerndes ... kurz und gut, frappierend ... einzigartig ganzes Wesen und Wissen paßt.

URL
der diese offenbar indirekte Liebeserklärung, fälschlich-irrtümlich an seine Adresse gerichtet, stoisch über sich hatte ergehen lassen müssen; wieder notgedrungen bestätigend; etwas zögernd; dabei nach links.
Allerdings. Leis nachklappende Ironie. Eva als Genie!
HOLLRIEDER
von seinem Bild nach ihm hin; »rauh wie Esau«.

Warum denn bloß immer Adam? Url: zugeknöpft. Und nur durch ein ... weiß der Deubel was für ein Ereignis ... mir vollkommen schwanenhaft ... Da Url, jetzt abwartend stehngeblieben, ihm noch nicht antwortet; in seinem Unmut mit wachsender Heftigkeit. kann dieses Weib ... Starke Verdunklung.

URL
weiter nach links, mit dem Versuch, die Diskussion abzuschneiden.
Wozu ...
HOLLRIEDER
mit dem Versuch, seinen Satz zu enden.

Aus seiner ihr mal ursprünglich wie angegossen passend ... kongenialen und konformen ... ganz und gar anders gearteten Welt ... in diese ... skandalös widerwärtige ...

[155]
URL
wieder stehngeblieben, achselzuckend; scheinbar vollkommen kalt.
»Hypothese!«
HOLLRIEDER
grimmigst.

»Hypothese!!« ... Nach einer kleinen Pause. Hast du schon mal übrigens was ... von ihrem merkwürdigen Renommee gehört? ... Da Url, im vorderen Mittelgrund stehngeblieben, ihn scheinbar verständnislos anblickt. Von ihrer ... »Spezialität«? ... Da Url noch immer abwartet. Alles an sich herankommen lassen, ja gewisse Dinge geradezu provozieren und im entscheidenden Moment dann ... Tritt?!

URL
wieder nach rechts.
Hier in Berlin ... hat man ihr nichts nach reden können.
HOLLRIEDER
verbissen.

Nein! Hier war sie von einer Vorsicht ... Auf ein anderes Thema springend; immer bei seiner Arbeit. Diese sonderbaren, seltsamen Umständlichkeiten und Bedingungen, als sie mir damals zusagte! Kein Mensch dürfte sie hier sehn! Auf die Zugvorrichtung hin. Diese schauderöse Zugvorrichtung, daß ja nicht ein Unbefugter ihr Porträt ... Sollte es mal kungeln oder klopfen, »wer es auch sei« ...

URL
umschwenkend nach dem Tisch.
Es hat sich ja alles erledigt.
HOLLRIEDER
Palette und Pinsel auf den Maltisch werfend und auf dem Schemel vor dem Bild plötzlich zusammenbrechend.

Äh!! ... War ich doch nie auf diese wahnsinnige Idee verfallen! Kopf in beide Hände. Hätt ich dies ganze, furchtbare Biest doch überhaupt nicht angefangen!

URL
sich vom Tisch eine Zigarette anzündend.

Nerven. Wenn du s für zwanzigtausend Mark verkauft haben wirst, machst du vorläufig mal Schicht und ... ich hielte dann als das entschieden Beste für dich Nordland, Lappmarken oder die Lofoten.

HOLLRIEDER
sich von seinem Schemel wieder aufrichtend.
Wo sich die Wölfe mit den Polarfüchsen gute Nacht sagen! Danke schön! ... Und ihr?
URL
sich in den Sessel links setzend.

Wir bleiben bis zum Achten in London, wo wir unsern Vertrag mit der Alhambra persönlich abschließen müssen, passieren am Zwanzigsten San Franzisko und schlagen dann unser Sommerquartier wahrscheinlich irgendwo am Fusijama oder in Nikko auf.

HOLLRIEDER
wieder vor seinem Bild.
Ihr reist ... bestimmt?
[156]
URL.
Morgen mittag mit dem Einuhrzug.
HOLLRIEDER.

Sie hat mir versprochen ... noch in die Sezession zu kommen. Um zwölf ist die Eröffnung für die Geladnen. Um elf ... will sie da sein. Ich habe um die Erlaubnis ...

URL
ungehalten-vorwurfsvoll, ihn unterbrechend.
Jawohl! Kopfbewegung. Vorhin auf der Treppe! Als bei dem Gentleman da die Tür knarrte!
HOLLRIEDER
ungeduldig-unwillig.

Nu, wenn schon, wenn schon! Ich habe also jedenfalls um die Erlaubnis auch für dich gebeten. Falls du sie also ... begleiten willst?

URL.

Ich werde sehn. Nach dem Fenster blickend, an das eben wie der ein Hagelschauer prasselt. Ein Wetter heut!?

HOLLRIEDER
flüchtig von seinem Bild auf.

Ja. Famos. Kleine Pause. Hollrieder eifrig weiterarbeitend, dann, von seinem Bild dabei nicht aufsehend. Wenn das Biest ... nun doch was ist ... ich meine ... wenns mir auch noch morgen gefällt ... wo s aus dem Atelier is ... wo ich s unter den ändern Bildern ... vielleicht wieder beurteilen kann ... ginge es da nicht ... daß ihr ebensogut ... erst übermorgen aufbrecht?

URL
sieht erstaunt nach ihm rüber; unruhig.
Nachdem wir nun unsre Abreise von Tag zu Tag schon seit Wochen verschieben?
HOLLRIEDER
seine Arbeit überblickend; nicht ganz sicher.
Schließlich ... würden doch auch wir uns dann ... sobald nicht wiedersehn!
URL
widerwillig.
Wenn du drauf bestehst ... Wir dürften dann nicht über Paris fahren.
HOLLRIEDER
überrascht.
Wolltet ihr das?
URL.

Sie besitzt dort bei Bougival ein kleines Landhaus, das ihre ganze Freude ist. Und da ihr dieser ... Japan-Entschluß ja eigentlich ziemlich Hals über Kopf kam ...

HOLLRIEDER
»einhakend«.
Als ich ihr neulich mal wieder nicht gleich Order pariert hatte!
URL.

Du meinst die kleine, peinliche Geschichte mit dem Phryne Arrangement. Scheinbar leichthin. Sie hätte dich allerdings nicht erst auffordern ... und bitten sollen.

HOLLRIEDER.
Hattet ihr mich solange nicht gebraucht ...
URL.
Ich glaube kaum ... daß hier ein ... direkter Zusammenhang besteht.
[157]
HOLLRIEDER
unwirsch.
Wer hat das behauptet?!
URL.
Es klang mir so.
HOLLRIEDER
nachdem er auch diese Pille verschluckt; von neuem.
Also jeden falls einrichten ließe es sich?
URL
aufgestanden und nach dem Regal zu.

Ist sie dir zuliebe die letzten vier Wochen geblieben, so wirds ihr wahrscheinlich auch auf diese vierundzwanzig Stunden wieder nicht ankommen.

HOLLRIEDER.
Mir zuliebe? ... Unsicher. Das heißt ... du meinst wohl eigentlich ... mehr dem Bild zuliebe.
URL.
Oder dem Bild zuliebe.
HOLLRIEDER
auffahrend.
Ja, du lieber Gott, da ich doch nun mal mitten bei der Arbeit war ...
URL
vorn links stehngeblieben.

Jedenfalls sie blieb. Nachdem sie bereits zweimal ihren Vertrag verlängert hatte! Wieder seinen Weg zurück. Nimms mir nicht übel, aber jede Sekunde, die wir jetzt früher aufbrächen, wäre mir nachgrade wie eine Erlösung!

HOLLRIEDER
mit aller Kraft sich bezwingend.
Also in aller Form abgewimmelt.
URL
bestimmt-fest.
Wir haben hier nichts mehr zu suchen.
HOLLRIEDER
mit seinem Malzeug in Unordnung.
Verflixt!
URL
unwillkürlich stehngeblieben; schneller, sich orientierender Blick auf ihn.
HOLLRIEDER
verärgert weiterarbeitend; nach einer kurzen Pause.

Wie stehts übrigens mit deinem ... Durch die Zähne. Riesenzentralkunstmarkthallenprojekt? Von dem sie ja so entzückt war?

URL
wieder nach vorn.

Du scheinst es für ein bloßEntsprechende, das Aufsteigen einer Hirnblase markierende Geste vor der Stirn mit der Rechten .... nebulos eingebildetes Hirngespinst zu halten!

HOLLRIEDER
amüsiert-sarkastisch.

Ecke Leipziger- und Friedrichstraße, der ganze Block bis zur Dreifaltigkeitskirche in einem einzigen, pompös monumentalen, gewaltigen Passagenbau umgeschmolzen ...

URL
ihn unterbrechend.
Nach deinen ...
HOLLRIEDER
schnell-bissig.
Entwürfen! Als dein neuer ...
URL
vorn links; nicht minder fix; fest-bestimmt.
Michelangelo! Ja wohl! Gewiß!
HOLLRIEDER
Urls Unterstreichung gar nicht beachtend; in seinem Satz von [158] vorhin, noch ironisch gesteigerter, weiter.
Phantastisch bombastisch mit vier bizarren ...
URL
der sich nicht aus seiner Fassung bringen läßt.
Assyrisch karthagischen Erz- und Ecktürmen, oben mit ...
HOLLRIEDER
erbittert seinem Ende zu.

Sagen wir hängenden Gärten etcetra, durch den du als Neo- Ratten, Mädchen- und Menschenfänger, wenn auch nicht von Hameln ... Einen Augenblick Sonne.

URL
mit ruhiger Energie; bestätigend.

Durch den ich ... »verlaß dich drauf« ... in sicherster, zuverlässigster, statistisch kühlst bestimmtester Vorausberechnung den ganzen Weltstadtverkehr zwingen will ... zwingen will und zwingen werde ... So ist es ...

HOLLRIEDER
fast höhnisch.

Wenn es dir gelingen wird ... Abbrechend und schneller Schluß. Alle Achtung! Das muß man dir lassen: mit Kleinem gibst du dich nicht erst ab!

URL
wie nebensächlich; dabei nach rechts schwenkend.
Grade das imponierte ihr ja so.
HOLLRIEDER
einlenkend; widerwillig-anerkennend.
Immerhin! ... So hundsgemein miserabel und hanebüchen mußtest du erst verkrachen ...
URL
stehngeblieben; seinen Satz ihm von sich aus fort und weiterführend.
Um aus dem weltabgekehrtesten aller Wolkenkuckucksheimer ...
HOLLRIEDER
ihn unterbrechend; halb bereits beifällig, halb noch knurrend.
Du hast dich gewandelt in einer Weise ...
URL
schließend und seinen letzten Trumpf ausspielend.

Jetzt viel leicht doch noch etwas wie ein halbwegs brauchbarer Mensch zu werden. Weiter nach rechts. Amüsanter als umgekehrt! Es wird wieder dunkler.

HOLLRIEDER
durch diese Ruhe geschlagen; plötzlich heimlich-hastiger Blick auf Url, von dem er annimmt, daß dieser ihn nicht bemerkt hat; dann an seinem Bild mit besonderem Eifer.

Sie hat dir damals ... stockt nicht die Wahrheit gesagt! Url: vorn etwas nach rechts stehngeblieben; ihn prüfend ansehend. Sie kennt Berlin! Sie ist aus Berlin!

URL
sich nach links wieder in Bewegung setzend.
Möglich.
HOLLRIEDER
ihm nachblickend.
Ich schließ es aus dem Verschiedensten! Da Url schweigt. Ich muß es draus schließen.
[159]
URL.
Meinst du, ich war taub und blind?
HOLLRIEDER.
Du hast mir ... nie etwas davon gesagt!
URL.
Du auch nicht.
HOLLRIEDER.
Wir haben ... seit jenem erstenmal ... nickt mehr über sie gesprochen.
URL.
Was das vernünftigste war.
HOLLRIEDER.
Und du weißt also ... immer noch nicht, wer das damals ... war an jenem ersten Abend?
URL
vor dem Regal, gegen das er sich lehnt, die Hände hinter sich auf dem Instrument.
Da ich jetzt bald mit ihr in Yokohama sein werde, ist mir das gleichgültig.
HOLLRIEDER.
Du dachtest ... früher anders.
URL.
Du nicht?
HOLLRIEDER.
Ich glaubte ... es interessierte dich noch.
URL
wieder nach rechts.

Mich interessiert jetzt, wie gesagt, nur noch, daß wir so bald als möglich von hier fortkommen! Und zwar Mit besonderer Betonung. zum gleichen Wohl aller Beteiligten!

HOLLRIEDER.
In deinen Antworten ... vibriert ein Ton ...? Sich bezwingend. Schweigen wir.
URL.
Das ist oft das beste. Pause.
HOLLRIEDER
bei seiner Arbeit.
Du glaubst also in allem Ernst, daß du mit deinem ... phantastischen ... kapitalen ...
URL
vorn rechts stehngeblieben, mit etwas hochgezogenen Augenbrauen.
»Phantastischem«? ... »Kapitalem«? ...
HOLLRIEDER
noch verärgert-betonter.

Jedenfalls überkandidelten Kunstkauftempel und Allerweltsbasar, in dem du dann ja wohl auch allerhöchsteigenpersönlichst meine Bilder verhökern willst ...

URL
nach links schwenkend; trocken.
Und zwar schon bei deinen Lebzeiten zu den Preisen, die sie sonst erst später mal ...
HOLLRIEDER
ihn nicht erst ausreden lassend; in seinem eignen Satz weiter und zu Ende.

Daß du damit also wirklich eines schönen Tages ... Einen kurzen Moment ungläubig-thomashaft zu ihm aufblickend nimms mir nicht übel, de facto in Ehren niederkommen, durchs Ziel passieren ... Bereits wieder bei seinem Bild und deine ... wieder stockend.

URL
wieder nach rechts schwenkend; wie um ihm die Fortsetzung seines Satzes zu erleichtern.
Bitte ...?
[160]
HOLLRIEDER
noch intensiver an seinem Bild; erst jetzt seinen Satz schließend.

Durch dieses ... monströse achte Weltwunder ... total überraschte, überrannte und überrumpelte Zeitgenossenschaft beglücken wirst? Eine kurze Zeit wieder heller.

URL
wieder vorn etwas nach rechts, Hollrieder zugedreht; von sei nem sarkastisch bohrenden Zweifel ganz unberührt.

Ein ... solches, in der ganzen Welt noch nicht vorhandenes, gestatte mir schon, Kolossalhaus ... durch das täglich fast halb Berlin fluten würde, in dem es vom Billigsten bis zum Erlesensten nicht einen geschmacklosen Gegenstand gäbe, und das allabendlich, durch eine besondere Einrichtung, mit einem Ruck seine gesamten Geschäfts und Ausstellungslokalitäten in Klub, Vertrags und Konzerträume wandelte, verbunden mit Restaurants, Kaffees und Theatern, so daß das Geschäftliche für das Künstlerische und das Künstlerische für das Geschäftliche einspränge ... warum nicht?

HOLLRIEDER
sich noch immer nicht ergebend; mit letztem Groll.

Und in diesem Rassen–, Klassen- und Massenbumms ... in dieser ideal-realen Jahrmarktsbaracke und bachanalischen Trödelkarawanserei dich ...

URL
ihn unterbrechend; bereits auf dem Weg schräg nach dem Tisch hin.
Ausgesucht mich ...
HOLLRIEDER
noch höhnend-stärker.

Dich in deinem ewig nobel diskreten, stets leicht glockenförmig gleichen, immer ... ätherisch distinguiert ... präraffaelitisch angehauchten Kostüm als maître de plaisir!

URL
gelassen seine Zigarette dabei in den Aschbecher werfend.
Meinst du, du würdest dich dazu besser eignen? Von neuem dunkler.
HOLLRIEDER
abspringend; vor dem Porträt auf seinem Bild.

Dies eigentümliche Haar! ... Als ich die Partie hier anlegte, hatte ich eigentlich bloß ... das scheußliche Rot in Erinnrung! Url: links stehngeblieben; sich vergewissernder Blick nach ihm. Nur einmal ... glaube ich solches Haar schon gesehn zu haben.

URL
scheinbar gleichgültig.
So?
HOLLRIEDER
mit einer gewissen, seltsamen, plötzlichen Erbitterung.
Verrücktheit steckt an!
[161]
URL.
Wie meinst du das?
HOLLRIEDER.

Musmann. Da Url noch abwartend dasteht und ihn ansieht. Ich bin diese letzten vier Wochen schon oft drauf und dran gewesen, seine fixe Idee, die in jedem Weibsbild, das auftaucht ...

URL
energisch auf das Regal zu.
Also doch!
HOLLRIEDER
auffahrend.
Ja, wenn du mich wieder gleich so haarsträubend ...
URL
wieder umkehrend; gelassen.
Bitte?
HOLLRIEDER
noch ganz aufgebracht.

Weiß der Himmel, wo das arme Mädel längst ... selbstverständlich! Url: von neuem, nach rechts. Halt mich nicht für so hirnverbrannt! ... Wenn sies wäre, brauchte sie dem Alten doch bloß ne Rohrpostkarte hinzupusten, nach Benevent, oder wo er sich jetzt sonst amüsiert, und das ganze Tiergartenviertel würde vor Enthusiasmus koppstehn!

URL
vor dem Kalender, der das Datum »30.

April« trägt, und das er scheinbar interessiert anblickt; zögernd. Du weißt ja gar nicht ... was sich die ... junge Dame damals ... vielleicht hatte zuschulden kommen lassen.

HOLLRIEDER
nachdem er zuerst unwillkürlich kurz gestutzt.

Du lieber Gott! ... Lipsius! ... Man mag ihm alles nachsagen! Aber Moralfatzke ...? Sie hätte pekziert und ... angestellt haben können, was sie wollte! Wiederholt sogar und nach allen Dimensionen! Da Url, wieder etwas im mittleren Vordergrund, eigentlich im Moment gegen sein eigenes Interesse unwillkürlich eine, das etwas wie in Zweifel ziehende, leichte Bewegung macht; dadurch noch gereizter. Mit Pauken, Zinken, Zithern, Zimbeln und Trompeten! ... Bis ins Aschgraue! ... Abwehrend-kopfschüttelnd. Aber Moralfatzke? ... Zu Url direkt. Lipsius? ... Lipsius?? ...Energisch. Lächerbar! Unter keinen Umständen! Nein!! Also deshalb ...?! ... Geste. Nur man muß diesmal zugeben! Mehr als rätselhaft ... »Beatrice!« ... »Beatrice Cenci!« Man nennt sich nicht so!Hagel.

URL
im Vordergrund links sich nach rechts wendend; fast erschrocken; sich schnell fassend; Achselzucken.
Echt weiblich exzentrische, unbedacht leichtfertig unkontrollierbare ...
HOLLRIEDER
wie mit der Tartsche drein.
Abstrus geschmacklose Laune und Kaprice!
URL
der sofort stehngeblieben war.
Die leider bei ihrer ganzen, [162] herausfordernd, extravaganten, aufreizend rücksichtslosen Art ...
HOLLRIEDER
seinen Versuch, diesen verräterischen »nom de guerre« psychologisch harmlos zu erklären, nicht anerkennend.
Die aber in diesem Falle denn doch ...
URL
sich wieder in Gang setzend; sein Vorbeugungs- und Vertuschungssystem nach Kräften fortsetzend.
Nun ja, ja, aber ...
HOLLRIEDER
jetzt einen Moment nicht mehr an seinem Bild arbeitend; ihm voll zugekehrt.

Ich bitte dich! ... Stell dir doch nur mal vor! Ausgerechnet, extra und expreß nach dieser mehr als zweifelhaften ... canaillös, pervers, blutschänderisch verbrecherischen ... Vatermörderin aus dem Cinquecento!

URL
der, ohne ihn anzublicken, wieder stehngeblieben war; erneutes Achselzucken; Hollrieders ihm vielleicht denn doch etwas zu undifferenziert-naiv geratene Geschichtsauffassung in einen immerhin möglichen Zweifel ziehend.
Man kann Weiter nach rechts. historisch-kritisch über diese Donna ...
HOLLRIEDER
ihm alles weitere abschneidend; wieder an seinem Bild.

Trotz ihrer späteren Verehrer, deiner Lieblinge, Shelley, Stendhal und Konsorten! Man tituliert, etikettiert und nennt sich nicht so! Wie man sich ja auch nicht Torquemada, Rinaldo Rinaldini oder Schinderhannes nennt!

URL
wieder nach links rüber.
Gewiß nicht!
HOLLRIEDER.
Na ja also!
URL.
»Also!« ... »Also!«
HOLLRIEDER.
Es muß doch was ... dahinterstecken!
URL.
Frag sie.
HOLLRIEDER.
»Frag sie!« ... Ich an deiner Stelle ...
URL
ganz links stehngeblieben und nach ihm rüber.

Erstens nennt sie sich nicht so ... Hollrieder von seiner Arbeit wie elektrisiert nach ihm hingedreht. Wenigstens nicht ... direkt öffentlich ...

HOLLRIEDER
scharf nach ihm blickend.

Und neulich ... nach jener völlig überflüssigen ... abrupt von ihr vom Zaun gebrochnen ... blödsinnig lächerlichen Phryne-Arrangements-Affäre ...

URL
aufs peinlichste durch diese Rückerinnerung berührt.
Die mir selbst, wie du weißt, höchst ...
HOLLRIEDER
offensiv in seinem Satz weiter, und fast jedes Wort schärfst betont, [163] ihn beendend.

Gleich sofort den nächsten Tag drauf ihre, wie mit dem Besenstiel, provokatorisch auffälligst auf offner Karte hingehaune und, wie ich das erfreut quittierende Gefühl hatte, für mich bestimmte, unmißverständlich deutliche Unterschrift an dich?

URL
durch die innere, eigne, scharfe Ablehnung, die er damals gegen diesen »Coup« von ihr empfunden, und die in ganzer Stärke jetzt wieder in ihm auftaucht, seltsam geistesgegenwärtig kühl.
Du solltest dir über sie nicht so den Kopf zerbrechen.
HOLLRIEDER
wieder bei seiner Arbeit.
Mein Gott, ich ...
URL.
Es ist zwecklos!
HOLLRIEDER.
Du mißverstehst mich.
URL
die Daumen in den Hosentaschen, auf seine rechte, etwas vorgeschobene Fußspitze sehend.
Um so besser!
HOLLRIEDER.
Es ist absolut nicht meine Absicht ...
URL
versuchend, ihn noch weiter abzulenken.

Wenn sie schließlich mir zu Gefallen ... Aus der bloßen Tatsache, daß sie dir Modell gestanden hat ...

HOLLRIEDER.
Meinst du?
URL.
Sie war stets mehr als kühl zu dir.
HOLLRIEDER.
M!
URL.
Während sie zu gleicher Zeit gegen mich von einer gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit war ...
HOLLRIEDER
der ihn nicht mehr angeblickt.
Brechen wir davon ab! Wieder heller.
URL
vollständig nach rechts rüber.

Ich habe nicht davon angefangen Nach einer diesmal etwas längeren Pause; froh, die Angelegenheit damit erledigt zu haben; auf der Ecke der Chaiselongue schräg nach vorn, wie im ersten Akt; Unterarme auf den Knien, die Hände lässig gefaltet; veränderter Tonfall. Du erzähltest mir mal früher ... gelegentlich von einer Idee. »Gloria victis!« Oder »Nach der Revolte!« Ein verschneiter Kirchhof von Militär besetzt, die Särge schon im offnen Massengrab, die Menge mit entblößten Häuptern, die Führer ...

HOLLRIEDER.
Na ja, und?
URL.
Damit du informiert bist. Das Bild ist inzwischen gemalt worden.
[164]
HOLLRIEDER
ohne von seiner Arbeit dabei aufzusehn.
Ehren-Musmännchen?
URL
vor sich in die Luft blickend; besonders betont.
In einer Verballhornung, die du morgen sehn wirst.
HOLLRIEDER
gleichgültig.
Eins von meinen Dutzenden. Sei froh, daß ich nicht drauf reinfiel!
URL
mit scheinbar gelassener Verwunderung, durch das Bild nach ihm hin.
Du scheinst nicht im mindesten überrascht zu sein.
HOLLRIEDER
von seiner Arbeit etwas zurücktretend; die Stelle, an der er eben gemalt hat, musternd.
Da ich meine Leute kenne ... offen gestanden nee! ... Taugts wenigstens was?
URL
aufgestanden, fast an Hollrieder vorbei; indignierter Tonfall.
Ich habs nicht zu Gesicht bekommen. Aber ich muß sagen, als ich davon hörte ...
HOLLRIEDER
nach seiner Uhr sehend.
URL
im Vorbeigehn.

Du hast noch Zeit Stehngeblieben und nach ihm zurückgedreht. Sie kommt heute erst später. Und mit solchem zusammengeluchsten Zeug ...

HOLLRIEDER
wieder vor seinem Bild.

Mir genügt, daß er uns die ganze Zeit ungeschoren ließ. Stoß von außen gegen die Tür rechts. Willst du mal sehn? Von neuem dunkler.

MUSMANN
kopf durch den Türspalt.
Augen sofort nach dem Bild rüber. Das ist euch doch ... angenehm?
HOLLRIEDER
zu Url, der ganz erstaunt dasteht.
Wenn man ihn bloß an die Wand malt!
URL
unwillkürlich mit dem Fuß auftrampfend.
Es ist doch ...
MUSMANN
der sich ins Atelier geschoben hat; kurzer, offner, heller Sommerpaletot, darunter braunes Samtjackett, lichtfreudige Hose, roter Künstlerschlips, herausfordernd hoffnungsgrünlicher Plüschhut.

Alle Stücke seltsam neu; angesäuselt; mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt; mit dem rechten Daumen nach der Richtung des Fensters hinstochernd; triumphierend zu Url; während seine Augen immer wieder nach dem Bilde schielen. Da unten ... steht einer!

URL
nach einem schnellen Blick auf Hollrieder; Musmann entsetzt anstarrend.
Da unten? ... Wer?!
MUSMANN
schiefer, triumphierender Blick von Url quer durch das Bild zu Hollrieder rüber.
Der ... Retter!
[165]
HOLLRIEDER
der sich nicht vom Fleck gerührt hat; an seinem Bild ruhig weiterarbeitend.

Hhm-m! Ton auf der zweiten Silbe. Zu Url, während dieser eilig hinter ihm vorbeigeht; sich leicht umdrehend, als ob er nicht recht begriffe. Was hast du?

URL.

Einen Augenblick. Hat den mittelsten Fenstervorhang zurückgezogen, die Tür zum Balkon aufgerissen und lehnt sich nun, nach allen Seiten spähend, über das Geländer. Man hört eine kurze Zeitlang, lauter als im ersten Akt, das ferne Gebrande der Großstadt.

HOLLRIEDER
wieder vor seinem Bild; pfeift leise vor sich hin: »Komm herab, o Madonna Theresa!«.
MUSMANN
etwas näher getreten; mit dem Versuch, um die Ecke zu glupen.
Das is ja ... so groß?
HOLLRIEDER
nachdem er zuerst geschwiegen hat, als ob er ihm gar nicht antworten wolle.
Jawoll!Mit Absicht maßlos übertreibend. Zwanzig Meter breit, fuffzig hoch!
MUSMANN
der sich unterdessen eine erloschene Virginia aus der untern Außentasche seines Überrocks gefischt hat und nun den noch feuchten Rattenschwanz umständlich anbrennt.
Haste nu also ... doch noch was ... fertig jekricht.
HOLLRIEDER.
No, sosolala! So mit Müh und Not, weißte.
MUSMANN.
Da isse ... wohl drauf?
HOLLRIEDER.
Vielleicht.
MUSMANN.
Der Herr Geheimrat ... gestatten wohl noch nich ...
HOLLRIEDER.

Daß es der Herr Oberkonsistorialrat bereits ... Musmann: automatisch wie eine Gelenkfigur auf das Bild zu; Hollrieder: Handbewegung, die ihn sofort wieder bis gegen die Tür klebt. Junge?! ...

MUSMANN.

Zweimal ... Aufschub ... und so neNach der Lampe hin. Tranfunzel ... noch obendrein! ... Haste dich ... schon blamiert!

HOLLRIEDER.
Sixte?
MUSMANN
beide Hände mit ausgespreizten Fingern rechts und links krampfhaft gegen das Türgerüst; Kopf vorgestreckt.
Ich hab ... keine Angst mehr vor dir!
HOLLRIEDER.
Neenee Zu Url, der die Tür wieder hinter sich schließt. Na?
URL.

Du hast recht An Hollrieder vorbei mit einem halben Blick nach Musmann. Gewisse Dinge stecken wirklich an.

[166]
HOLLRIEDER.
Ich sagts ja.
MUSMANN
der sofort, nachdem Url die Tür hinter sich geschlossen, wieder neugierig ein paar kleine Schritte vorgetappt ist.
Ihr habt jetzt n ... schönen Bammel!
HOLLRIEDER.
Vor deinem »Retter«! ... Mordsmäßig.
MUSMANN
der sich nicht weiter vortraut; Kopfbewegung nach dem Fenster hin.

Das is n ... Bruder! ... Zu Url. Der läßt sich von keinem ... in die Suppe spucken! Tolpatschig mit dem Finger wie mit einem imaginären Revolver hantierend. Wenn der erst ... anlegt ...

HOLLRIEDER
erst zu Url rüber.
Aha so! ... Dann zu Musmann. Quatschkopp.
MUSMANN
nach Hollrieder hin, höhnisch.
Der knallt nich vorbei!
URL
der Hollrieders Blick nicht erwidert hat; bereits nach der Tür rechts.
Du entschuldigst. Sollte ich nicht doch mal ...
HOLLRIEDER
ihn damit an seine Stelle bannend.
Menschenskind! Merkste denn nich? Lipsius! ... Wie kannst du nur einen Augenblick ...
URL
sich notgedrungen zwingend und Musmann wieder den Rücken drehend; mit dem Bestreben, sich selbst zu beruhigen und vor allem auch, namentlich in Hollrieder, keinen Verdacht aufkommen zu lassen.
Aber selbstverständlich, ja! Natürlich nicht.
MUSMANN
einige Schritte vor, nachdem er den ihm wieder ausgegangenen Stummel, von den beiden andern unbemerkt, seitlich hinter sich nach dem Gasofen geworfen.

Ich hab alles rausgekricht! Du hast mich ... beschwindelt! Wie du den Alten ... auch beschwindelt hast!

URL
fest auf ihn zu.
Unerhört!
HOLLRIEDER
achselzuckend; leichter, gleichgültiger Schnalzlaut.
MUSMANN.

Du hast sie ... in deiner Gewalt! Die ganzen ... Jahre schon! Wie du mich ... auch mal ... in deiner Gewalt hattest! Deinetwegen ... müssen se alle ... abblitzen! ... Das macht dir ... Spaß! Einer ... hat sich schon aufgehängt! Und ich ... soll mich jetzt ... auch aufhängen! Ich ... häng mich nicht auf l Eh'r ... Hände krampfhaft, als ob er wen würgen wollte.

HOLLRIEDER
der jetzt wieder etwas zurücktritt, und nochmal sein Bild besieht; zu Url, der ganz starr steht.
Möchtest du dem Herrn nicht n Stuhl anbieten? Er scheint einen nötig zu haben.
URL.
Es ist wirklich ...
[167]
MUSMANN.
Sie ... haßt dich! Wie ich dich ... auch hasse! Du ... brutaler Hund, du ... Unterdrücker du!
URL
zu Hollrieder.

Und das ... läßt du dir gefallen?Zu Musmann. Wenn Sie auf Ihrer Verrücktheit hier Konzerte geben wollen ...

HOLLRIEDER
zu Url; verächtlich.
Ich bitt dich!
MUSMANN.
Ich werd sie schon noch ... befreien! Wie ich mich ... auch befreit habe!
HOLLRIEDER
um die Ecke des Bildes ihn musternd.
So siehste aus.
MUSMANN.
So lang ich noch meine Bilder malen kann ...
URL
entrüstet.
»Malen?« ... Mopsen!
MUSMANN
grinsend; zu Hollrieder; mit dem Daumen nach Url hin.
Der is ... jut! ... Wieder zu Url. Er meint ...
HOLLRIEDER
leicht abwehrende, lässige Bewegung zu Url.
MUSMANN
ebenfalls zu diesem; mit dem mißglückten Versuch, sich etwas wie Haltung zu geben.

Und die ... Rosen ... die s bei mir regnet? ... Aus den Wolken? ... Rote? Blaue? Grüne? Gelbe? Und zu denen sie alle ... die janze Jesellschaft ... Unwillkürlich selbst eine solche Stellung markierend. wie verzückt ...

URL
zu Hollrieder; trocken.
Da hast du s.
HOLLRIEDER
der beim Wort »Rosen« aufgehorcht und Musmann mit wachsendem Erstaunen zugehört hat; hat sein Malzeug beiseitegelegt, ist langsam auf ihn zugetreten und steht nun, die Hände in den Taschen des Malmantels, breitbeinig vor ihm.
»Rosen«?
URL.
Wie ich dir vorhin ...
HOLLRIEDER
der auf ihn gar nicht gehört hat.

Aus den »Wolken«? Entsprechende Geste mit der Rechten, als ob Verschiedenes aus der Luft fällt. »Rosen«?

MUSMANN
der unwillkürlich vor ihm etwas zurückgetreten; ihn verglast anstierend.
Nu ja! ... Man kann doch nicht immer bloß ... wie auf meinen »Kameraden« ...
HOLLRIEDER
der kaum seinen Ohren traut.
»Deinen«? ...
MUSMANN
ganz verdattert-dämlich; wie entschuldigend erläuternde Geste nach seinem Atelier rechts hin.
Na warum hast du se mir denn sonst ...
HOLLRIEDER
unwillkürlich, Zischlaut.

Tche! ... Zu Url; grimmig-verächtliche Kopfbewegung nach Musmann hin; ebenfalls ganz kurz. Hä! ... Unterdrückt zornig-bitter. Wie ... recht du in allem hast!

[168]
URL
verbissen-vieldeutig.
Leider, leider!
HOLLRIEDER
zu Musmann; gesteigert heftig.
Weiter! ... Weiter! ... Also Rosen? ... Rosen??
MUSMANN
nach Hollrieders alten Bildern hin.

Du hast mir doch ... ixmal selbst ... Sich einen Ruck gebend. Bloß dadurch ... hab ich das Ding doch ... überhaupt erst ... Sich mit vorgearbeitetem Brustkasten auf Hollrieder fast zuwälzend, sofort aber wieder zurücktaumelnd. auf mein Niveau gehoben!

HOLLRIEDER
der ihn an der Schulter gepackt hat.

Mensch!! Wenn du nicht sternhagelvoll betrunken wärst ... Hat die Tür geöffnet. Also nu aber ...Geste. Abgebrochner, pfiffähnlicher Laut.

URL
der ihnen beiden nachgeblickt, aufatmend.
Endlich!
MUSMANN
noch nicht ganz in der Tür; in seinen Taschen wühlend; mit einem schiefen Seitenblick zu Url rüber.
Du hast mir mal ... ne Zigarre gegeben.
HOLLRIEDER.
Danke. Du darfst se behalten!
MUSMANN.
Haste nich ... noch eine?
HOLLRIEDER.
Nee! Aber wenn du nu nicht bald ...
MUSMANN
noch einmal beide mit einem giftigen Blick streifend; heimtückisch.
Ihr werdet schon noch ... sehn!
HOLLRIEDER
auf einmal jäh, einen Augenblick lang sich fast selbst vergessend.
Raus! ...
URL
zu Hollrieder, der hinter Musmann, »als welcher« auf seinen einen Laut fast zusammengesackt war und fluchtartig das Lokal geräumt hatte, die Tür geschlossen hat; leis ironisch.
Du verblüffst mich mit einer plötzlichen Energie gegen den Mann ...
HOLLRIEDER
wieder ergrimmt vor seinem Bild.
Mit dem wär ich jetzt fertig!
URL
auf dem Weg nach links.
Wenns dir nicht wieder leid tut!
HOLLRIEDER
seine Replik gar nicht beachtend.

Daß er mich bestohlen hat ... schnuppe! Is nich das erstemal! Aber das, was ich ihm eingebleut habe, so zu verraten und wieder mit dem üblichen Kompromiß zu kommen, mit einer so ausspintisierten Verlogenheit ...

URL
der sich vom Tisch eine neue Zigarette angezündet hat, das Streichholz in den Aschbecher werfend.
Ja ... lieber Sohn ...
HOLLRIEDER.

Man schließt keine Kompromisse! Man setzt sich durch, oder man krepiert! Wenigstens wenn man Künstler ist!

[169]
URL
noch am Tisch; verächtlich nach der Tür rechts rüber.
Der?
HOLLRIEDER
hartnäckig.

Ja: »Der!« ... Und wenn du jetzt auch noch so über ihn herziehst ... Wär an dem ... Lumpen nichts dran gewesen ...

URL.
Aber der Mann ...
HOLLRIEDER.

Unsinn! So total übergeschnappt is er nich! Von seiner fixen Idee abgesehn, weiß der noch ganz genau, wie der Hase läuft! Ich kenn ihn wie meine linke Westentasche! Laß ihn nüchtern und mit Dritten zusammen sein, und von seinem Pips merkt ihm keiner auch nur das Geringste an!

URL.
Um so mehr versprichst du mir jetzt: Sobald ich weg bin ...
HOLLRIEDER.
Du hast gehört! Er ist für mich erledigt!
URL
sich wieder in Bewegung nach rechts setzend.
Hoffentlich! Pause.
HOLLRIEDER.
Was hattest du vorhin?
URL
ausweichend.

Ach ... natürlich nichts Bestimmtes. Da Hollrieder jetzt von seiner Arbeit wieder leicht nach ihm hin aufsieht; durch sein Bild vor ihm verdeckt. Nur bei dem ... Schubjack muß man ja auf alles gefaßt sein!

HOLLRIEDER
wieder bei seiner Arbeit.
»Schubjack«?
URL
der sich wieder nach ihm umgedreht.
Nun verteidigst du ihn ja schon wieder! Ich denke, er ist für dich erledigt?
HOLLRIEDER
ärgerlich über sich und Url zugleich; noch eifriger weitermalend.
»Erledigt«! Daß der arme Kerl im letzten Grunde tief zu bedauern is ...
URL
wieder, etwas vorn, an ihn vorbei nach links rüber.

»Bedauern« oder nicht! Entsinne dich, mit welchem Raffinement der »arme Kerl« dich mir anfänglich als seinen geistigen Schmarotzer hingestellt hat!

HOLLRIEDER
sarkastisch bitter.
Du lieber Gott!
URL
nach ihm hin.
Der Mensch ist dein Unheil!
HOLLRIEDER
immer bei seiner Arbeit; tiefernst.

Und ich ... war seins! ... Hätte ich ihn nicht aus seiner natürlichen Bahn gerissen ... hätte ich ihm nicht für sein Wollen meins gesetzt ... hätte ich ihm nicht diese ... überschraubten Ziele gesteckt, für die sein Hirn nicht langte ...

URL
ganz links stehngeblieben, nach ihm hin.
Dann wär aus ihm überhaupt nichts geworden.
[170]
HOLLRIEDER.

Möglich. Sogar ... ich gebs dir zu, höchst wahrscheinlich! ... In keinem Fall hätte er dann so seine Balance verloren. Was früher, wenigstens in seinen ersten Anfängen, wärmste, herzlichste Zuneigung zu mir war, ein Gefühl des sicheren Sichgeborgenwähnens ... und ...

URL
gequält-ungeduldig.
Jedenfalls diese entsetzliche, widerwärtige Form, in der sich das jetzt alles äußert ...
HOLLRIEDER
seine »Oratio pro Roscio« fortsetzend.

Aufrichtigste Anerkennung und Dankbarkeit ... Abbrechend-summierend. Es ist eben alles bei ihm in sein diametrales Gegenteil umgeschlagen!

URL
wieder nach rechts.

Um so schlimmer! Daß du erst von ihm geheilt sein wirst, nachdem er dir wahrscheinlich Kopf und Kragen gekostet hat, ist für mich nachgrade ... Geste. Also reden wir nicht mehr darüber. Auch darüber nicht!

HOLLRIEDER.
Einverstanden. Pause.
URL
ganz rechts stehngeblieben, Hollrieder durch das Bild ihm verdeckt.
Seit wann hat dir Lipsius nicht mehr geschrieben?
HOLLRIEDER.
Aus Rom überhaupt nicht mehr.
URL.
Er kann doch vor vierzehn Tagen unmöglich hier sein?
HOLLRIEDER.
Nach seinen Dispositionen ... kaum! ... Wie kommst du darauf?
URL
leicht zögernd.
Ich ... meinte nur.
HOLLRIEDER
um das Bild blickend; etwas verwundert.
Du meinst doch nicht etwa wirklich ...
URL
schnell; sich dabei wieder in Bewegung nach links setzend.
Ich meine, ich bin überzeugt, er wird sich sehr über dein Bild freuen! Es lichtet sich wieder auf.
HOLLRIEDER.

Ja so ... Natürlich Wieder an seinem Bild arbeitend; nach einer erneuten Pause. Soll ich dir sagen? ... Wie mir zumut is? ... Nach Url, der am Tisch wieder die Zigarette abstreift. Was fortwährend in mir schon die ganze letzte Zeit wühlt? ... Url zu seiner Rechten hinter ihn getreten, ihn fragend ansehend. Hollrieder: mit den Augen wieder auf seinem Bild. Ich werde in meinem Leben nicht mehr über dies Bild hinauskommen! Es spricht von mir so alles aus ... daß ich die Furcht habe ...

URL
mit einem leisen Klang fast wie von Neid in der Stimme.
Es kann eine tiefere Empfindung eines Künstlers seinem Werk gegenüber nicht geben.
[171]
HOLLRIEDER
nach einer kurzen Pause; scheinbar fast widerwillig; aber dabei doch voll letzter, innerer Wärme; ganz blauer Himmel, hellste Lichtstimmung des Aktes.

Ich habe dir noch nie ... gedankt! Auf eine leicht abwehrende Geste Urls. Nicht der nebensächlichen paar Groschen wegen, die ich dir ja jetzt hoffentlich bald werde wiedergeben können, sondern ... überhaupt! ... Erst durch dich ... und deine ganz andre Welt ... ist mir das Wichtigste aufgegangen! Die Bewertung der Dinge! Nicht was ich malte, wie ich es malte, war mir früher die Hauptsache! Heute weiß ichs! Beides! Der ist kein Erster, bei dem diese Waage nicht gleich steht!

URL
der dem Arbeitenden so lange still zugeblickt; ihm die Linke während seiner Replik leicht auf die rechte Schulter legend; durch seinen Ton seine letzte innere Sorge um ihn verratend.
Und doch ... bist du jetzt von dieser nervösen ... ich möchte fast sagen ... Unsicherheit?
HOLLRIEDER.

Nicht bloß meinem Bild gegenüber, sondern jedem! ... Meinem ganzen Metier gegenüber! ... Ich bibbre davor schon heute, wenn ich daran denke, daß ich das Ding morgen ... unter all dem andern Kram ...

URL
mit beiden Unterarmen, die Fäuste geballt, eine energisch zuredend eindringliche Geste machend.
Geh nicht hin!
HOLLRIEDER
ihn dabei anblickend.
Feigheit ...Wieder nach seinem Bild. Nein.
URL
Kopfbewegung.
Ich nenn es nicht Feigheit, wenn du nach einer Überanstrengung wie deiner ...
HOLLRIEDER
fest.

Ich hab ihr mein Wort gegeben!Wieder nach seiner Uhr sehend. Sie muß jetzt kommen! Wieder in sein Bild verbissen. Nur noch dieser eine Ausdruck! Dann: meinetwegen!

URL
der jetzt ebenfalls nach seiner Uhr sieht; fast erschreckt; erst jetzt wieder an Musmanns »Retter« denkend.

Sollte sie ... Von Hollrieder nicht bemerkt, unwillkürlicher Blick nach dem Balkon hin. eine plötzliche Abhaltung gehabt haben? Jähe Verdunklung.

HOLLRIEDER
der von seiner Arbeit aufgeblickt hat; aus einem jäh in ihm aufschießenden Verdacht.

Du hast ihr doch nicht etwa ... Dieses letzte Wort drängt sich bereits fast wider Willen über seine Lippen. [172] abgeraten? Beide sehn sich einen Augenblick lang an. Hollrieder wieder an seiner Arbeit. Verzeih.

URL
der sich von ihm abgewandt hat; nach einigen Schritten auf das Regal zu; sich wieder nach ihm umdrehend; leise; schmerzlich.
Also so weit ist es schon mit uns gekommen!
HOLLRIEDER
ohne ihn anzusehn.
Ich habe dich ... bereits um Entschuldigung gebeten.
URL
eindringlich; gedämpft; auch noch eine Weile im folgenden; wie vorhin.
Laß mich es dir wiederholen! Du irrst dich! Wenn sie dir auch dies Opfer gebracht hat ...
HOLLRIEDER
gereizt; ihn dabei ansehend.
Also mit andern Worten, du glaubst ... du hoffst ...
URL.

Ich »glaube« und »hoffe« für mich gar nichts! Ich habe dir das schon einmal erklärt. Ich denke nicht mehr daran! Ich möchte nur nicht ...

HOLLRIEDER
durch die Zähne.
Aber in Yokohama möchtest du bald mit ihr sein!
URL
sich wieder von ihm wegdrehend; noch weiter nach dem Regal zu.
Du wirst nichts mehr daran andern können.
HOLLRIEDER
der wieder mehr und mehr die Herrschaft über sich verliert.
Also denn laß uns, bitte, heute allein!
URL
ihm wieder zugewandt; ganz vorn links; ihn groß ansehend; langsam.
Ist das ... dein Ernst?
HOLLRIEDER
wieder durch die Zähne; ohne ihn dabei anzusehn.
So ungeheuer spaßhaft mir in diesem Augenblick zumut ist ...
URL
einige Schritte auf ihn zu.
Ich ... bitte dich! ... Ich bitte dich flehentlich!
HOLLRIEDER
mit verstecktem Hohn.
So sicher bist du dir.
URL
noch an derselben Stelle.

Ich kann nicht in ihrer Seele lesen. Sie ist und bleibt mir in ihrem letzten Wesen ... ein Rätsel. Aber ein Mann wie du ...Hollrieder abwartend, Url nicht ganz klar, wie er sich in diesem Augenblick ausdrücken soll. Bei deinem extremen Standpunkt gegenüber gewissen Dingen, bei deinem unglücklichen Temperament nach jeder Richtung, du wärst imstande, du würdest dich nie ... Hagel.

HOLLRIEDER
scharf; jeder Nerv an ihm ist gespannt.
Du weißt was von ihr!
URL.
In ihrer Vergangenheit ...
[173]
HOLLRIEDER
kurzer, heftig fragender, fast röchelnder Laut.
URL.
Schuldlos ... schuldlos oder nicht ...
HOLLRIEDER.
Warum sprichst du nicht weiter?
URL
unwillkürlich noch etwas näher.
Es würde ... es würde dein ganzes Leben zerreiben! ... Deins ... oder ihrs!
HOLLRIEDER
der kaum noch an sich halten kann; ihm aufrecht gegenüber.

Wenn du durchaus und absolut willst ... daß uns dies noch im letzten Augenblick auseinanderbringt ... Beide messen sich.

URL
zuckt die Achseln und geht langsam auf die Tür rechts zu.
Du bist hier ... der Hausherrn.
HOLLRIEDER
der ihm erregt nachgesehen, bis er die Tür erreicht hat; unwillkürlich zwei Schritte auf ihn zu.
Bleib!
URL
die Hand bereits auf dem Drücker; beherrscht; fast den Eindruck vollkommener Ruhe machend.

Ich kann und werde jetzt nicht mehr bleiben. Aber wie das Abenteuer, in das du dich in deiner Verblendung jetzt stürzen willst, auch auslaufen wird: ein Mensch von deinen Qualitäten scheint mir zu wertvoll ...

HOLLRIEDER
sich wieder zu seiner Arbeit wendend; gekrauste Stirn, leicht abwehrende Geste mit der Rechten.
Ach, bitte.
URL.

Trotz deiner erhabnen Abwehr: ich würde nicht tatlos zusehn, wenn du dieser einen Leidenschaft wegen, von der ich nicht mal überzeugt bin, daß sie auch nur das Glück der ... sagen wir andern Partei sein würde, deine ganze Zukunft aufs Spiel setzt!

HOLLRIEDER
zu ihm rüberblickend; grimm-verwundert.
Du? ...
URL
Hand vom Drücker; einen halben Schritt wieder in den Raum zurück.

So wenig ich allerdings auch ... bisher verstanden habe, mein bißchen eignes Schicksal in der Hand zu behalten ...

HOLLRIEDER
sich wieder an seine Arbeit machend.
Um so mehr laß also dann jetzt deine Hand von andrer Leben! ... Dabei würde was Schönes rauskommen!
URL.

Und wenn ich mich damit ... um das Letzte bei dir brächte! Der zarte Herr mit dem Stich ins Ultraviolette, für den du mich noch immer zu halten scheinst, Auf einen entsprechend musternden Blick Hollrieders. und zwar trotz meines von dir kaum eben erst so dankenswert anerkennend hochgefeierten »Kostüms«, bin ich nicht mehr. Ich sehe hier klarer und weiter, als du.

[174]
HOLLRIEDER
bei seiner Arbeit.

Also möchtest du mir über deine beabsichtigte weise Vor- und Fürsorge nun mal endlich reinen Wein einschenken? ... Darf ich drum bitten?

URL
hat einen Augenblick noch geschwankt, als ob er von neuem anheben wolle, dann entschlossen- ruhig wieder auf die Tür zu, die er mit der Rechten öffnet; zu Hollrieder gedreht, mit der Rechten auf der äußeren Klinke; bereits im Abgehn, mit der Linken die Tür schließend.
Du wirst mich nicht wankend machen.
HOLLRIEDER
die Palette sinken lassend; ihm nachblickend.

Man hört von draußen eine zweite Tür ins Schloß fallen. So ein ... Narr! Palette und Pinsel auf den Maltisch werfend; auf die Tür zu; die Tür bleibt auf, man hört klopfen und an einem Drücker rütteln. Du! ... Machst du nicht auf? ...Wieder zurück und vor seinem Bild. Kindisch!Sein Malzeug wieder wegwerfend; erbittert auf und ab. Sich einzuriegeln! ... Man hört von draußen eiligste Schritte, die Tür wird aufgestoßen, und mit allen Zeichen höchster Erregung, noch ganz erschöpft, erscheint Beatrice. Ihr Haar ist nicht mehr rot, sondern goldblond.

BEATRICE
schicker, ihre Kleidung ganz deckender Gummimantel, entsprechende Kopfbedeckung; nachdem sie die Tür gleich hinter sich zugeschlagen hat, fast noch atemlos ihren Schleier hebend; dann hastig nach der Mitte des Vordergrunds; angstvoll halb zu Hollrieder hin, halb nach der Tür zurück; Hollrieder, ganz perplex, in der Nähe des Tisches.

Es will jemand zu Ihnen! ... Schließen Sie ab! Da Hollrieder, von ihrer Aufregung halb angesteckt, dies mechanisch tun will, Beatrice, längst an ihm vorbei, schon auf dem Weg nach der Tür links wieder stehngeblieben. Nein! Lassen Sie! ... Verdecken Sie bloß mein Bild!

HOLLRIEDER
der jetzt doch »erwacht«; unwillkürlich auf das Bild zu und sich vor dessen Vorderkante wieder nach der Tür rechts zurückdrehend; mit halb erhobenen Unterarmen, maßlos erstaunt, fast drohend.
Ja, bitte, wer ...
BEATRICE
hinterm Tisch links; in fliegender Hast.
Ich erinnre Sie an unsre Verabredung! ... Sie können dem Betreffenden unmöglich ...
HOLLRIEDER
der sich bei dem Wort »unmöglich« mit einem Ruck nach ihr zugedreht hat; noch gesteigerter.
Das ... wäre ...?!
[175]
BEATRICE
noch bestimmter.

Die Tür weisen ... Aber sagen Sie nichts! Hören Sie? Nichts! Kein Wort! ... Man vernimmt bereits Tritte die Treppe hoch; flüsternd; schon halb hinterm Vorhang vor der Tür links; nach dem Bild. Vergessen Sie nicht!

HOLLRIEDER
der sich noch immer sträubt; aber doch bereits auch mit gedämpter Stimme.
Ich werde doch nicht in meinem eignen ... Es klopft.
BEATRICE.

Mein Gott, mir zuliebe! ... Mit besonderer Betonung, da Hollrieder noch zaudert. Mir zuliebe! ... Schnell. Ziehn Sie den Schlüssel ab!

HOLLRIEDER
nachdem es jetzt zum zweitenmal geklopft hat, schnell auf die Tür links zu; abschließend, den Schlüssel aber nicht zu sich steckend.

Es klopft nochmals und stärker. Er findet kaum Zeit, über die rechte Ecke seines Bildes den Leinenvorhang zu ziehn.

LIPSIUS
hohe, vornehme Erscheinung.

Haar stark silberfädig. Buschige schwarze Brauen. Teint frisch-gebräunt. Stolze, noch kraftvolle, durch die Spuren überstandener und wohl auch noch immer in ihm wühlender Leidenschaften doppelt interessante Züge. Langer, krauser, spitz zulaufender Künstlervollbart. Sehr elegant. Weicher, mondäner Reisemantel, entsprechender Hut. Stock, Garmaschen. Trotz seiner bereits nahen Sechzig noch fast jugendlich elastisch. Seinem Benehmen merkt man an, daß er innerlich womöglich noch nervös erregter als Hollrieder ist. Aber er hat sich in der Gewalt und verbirgt seinen wahren Zustand fast durchgehends mit größter Geschicklichkeit. Bereits mit seinem ersten Blick den Raum musternd. Störe ich?

HOLLRIEDER
sein Malzeug in der Hand; vor Überraschung wie gelähmt.
Sie ... Herr Professor?
LIPSIUS
erst jetzt die Tür hinter sich schließend.
Sie vergaßen ... Etwas näher tretend. »Herein« zu rufen.
HOLLRIEDER
seiner Überraschung noch immer nicht ganz Herr geworden.
Ich war allerdings ... so in mein Bild vertieft ...
LIPSIUS
noch näher auf ihn zu; mit leiser Ironie.

Daß Sie mein dreimaliges Klopfen ... ganz überhört haben! ... Nach dem Bild hin, das er noch nicht ganz überblicken kann. Gestattet? Jetzt ebenfalls vor dem Bild hinter Hollrieder, der ihn nicht daran hatte hindern können. Donnerwetterja! ... Etwas zurückgetreten, [176] um das Bild in möglichst günstiger Beleuchtung zu sehn; es ist wieder einen Moment heller geworden; die Situation einen Augenblick ganz vergessend; in ehrlicher Bewundrung. Wo bleibt da alles, was Sie bis jetzt gemacht haben? Vom Bild aufblickend; zu Hollrieder hin, der etwas nach dem Fenster zu steht. Nun sind Sie doch hoffentlich geheilt von Ihrer Krankheit? ... Eine Kunst, die noch solche Dinge kann ...Nach dem Leinenvorhang rechts hin. Darf ich mir jetzt mal das Ganze ...

HOLLRIEDER
sich der Situation wieder bewußt werdend.
Verzeihung! Dieses ... letzte Drittel rechts ...
LIPSIUS
zurücktretend; kühl.

Ja so! ... Pardon. Mit einem Rundblick wieder den Raum musternd; dabei, leise, die Tür links streifend. Starke Verdunklung.

HOLLRIEDER
der Palette und Pinsel jetzt wieder auf den Maltisch deponiert hat; nach dem Zigarrenbecher auf dem Tisch hin.
Sie rauchen?
LIPSIUS
ablehnend.
Ich danke.
HOLLRIEDER.
Ich erwartete Sie erst ... in drei Wochen.
LIPSIUS.
Umstände.
HOLLRIEDER
durch seinen Ton etwas reserviert- höflich; nach dem Tisch und den Sesseln.
Aber wollen Sie sich nicht ...?
LIPSIUS
leicht abwehrende Handbewegung.

Danke. Vor dem Schränkchen über der Chaiselongue; nachdem er es mit scheinbarem Interesse gemustert. Ein schönes Stück. Da Hollrieder, unmittelbar neben der Bildkante stehngeblieben ihm mit zusammengezogenen Brauen fragend nachblickend, nichts antwortet. Hm. Sich zurückdrehend und nach dem Vordergrund links zu, dabei den Teppich sowie den Leuchter musternd. Herrlich!Jetzt einige Schritte vor dem Regal, das ihm selbstverständlich ebenfalls noch unbekannt ist. Seltsam! Mit einem abermaligen Blick nach der Tür links etwas mehr nach dem Tisch hin, zu Hollrieder. Es hat sich hier ... Verschiedenstes ...Abbrechend und dabei scheinbar die alten Bilder inspizierend; gemacht leichthin. Verkehren Sie noch mit diesem ... e ... Als ob er nicht gleich auf den Namen käme; noch näher auf eins der Bilder zu, als interessiere ihn das ganz besonders. Richtig! Musmann! Dabei leger zu Hollrieder zurückgewandt. So ... titulierte sich ja wohl Ihr ... ehemaliger Intimus?

[177]
HOLLRIEDER
finster.
Er existiert für mich nicht mehr.
LIPSIUS
jetzt auch die Bilder der andern Wand musternd, soweit sie ihm sichtbar sind; das auf der Staffelei vermeidend.
Sie haben sich beide ... gekabbelt?
HOLLRIEDER.
Wenn Sie es »kabbeln« nennen, daß ich ihm eben habe ... die Tür weisen müssen ...? ...
LIPSIUS
etwas näher tretend.

Ja. Ja. Freundschaft!Da Hollrieder, der ihn mißtrauisch beobachtet, wieder nicht antwortet. Aber sonst ... e ... Einen Blick Hollrieders auffangend, der ihn veranlaßt, in der Nähe des Tisches stehnzubleiben und seinen Augen nicht länger auszuweichen. Veränderter Tonfall. Es ging vor mir eine Dame rauf. Ich glaubte ... sie wäre hier verschwunden.

HOLLRIEDER
sich aufrichtend.
Ja. Und sie haben auf diese Dame schon unten gewartet!
LIPSIUS
starkes Stutzen; fast wie Schreck; dann, wie durch einen inneren Zwang, weitergetrieben.
Entweder ... diese Dame befindet sich dort hinter jener Tür ...
HOLLRIEDER.
Oder sie hat das Haus bereits wieder verlassen.
LIPSIUS
nach einem kurzen Augenblick des Zauderns, ob er den Kampf eröffnen soll.
Die Dame ist einer Begegnung mit mir ausgewichen!
HOLLRIEDER.
Es war von vornherein ihr Wunsch, hier niemand zu begegnen.
LIPSIUS.

Ich hatte auf der Treppe den bestimmten Eindruck, daß diese Flucht mir persönlich galt.Hollrieder: Achselzucken. Lipsius: hartnäckig; ihn scharf dabei fixierend. Sie galt mir persönlich.

HOLLRIEDER
nachdem er erst kurz den Atem an sich gezogen und die Lippen zusammengekniffen hat; dann, wie über sich, Beatrice und Lipsius zugleich ergrimmt.
Dafür könnte ich nicht!
LIPSIUS
nach einem erneuten Schreck wieder weitergetrieben; ihn fest dabei anblickend.
Die Dame steht Ihnen ... Als ob dies Wort nicht recht über seine Lippen will. Modell.
HOLLRIEDER
seinen Ton abweisend.
Zu einer Figur auf diesem Bild. Allerdings!
LIPSIUS.

Wollen Sie mir dann also nicht wenigstens ihr ... Nach dem Leinenvorhang hin; unwillkürliche Handbewegung. ihr Porträt aufdecken?

HOLLRIEDER.
Bedaure.
[178]
LIPSIUS
noch einen Schritt näher; in seinem Ton bereits aufsteigende Heftigkeit.
Was ... berechtigt Sie ...
HOLLRIEDER.
Die gleiche Frage ... wollte ich eben an Sie stellen, Herr Professor.
LIPSIUS.
Nachdem Sie mich eben ... belogen haben. Sie waren »so in Ihr Bild vertieft« ...
HOLLRIEDER
nach einem Augenblick stummen Aufbrausens; ruhig; lächelnd; mit einem Zuge leiser Verachtung.
Sie sind ja jetzt hinter die Wahrheit gekommen. Hagel.
LIPSIUS
heftig.
Ganze Jahre ...
HOLLRIEDER.
Haben Sie mich für einen anständigen Menschen gehalten.
LIPSIUS.
Jedenfalls für einen Menschen, von dem ich nicht erwartet hätte, daß er hinter meinem Rücken ...
HOLLRIEDER
kalt.
So fahren Sie fort!
LIPSIUS
drohend.
Wenn Sie glauben, daß Sie mir zu alledem auch noch mit ... faden Anödereien kommen dürfen ...
HOLLRIEDER
zwei Schritte auf ihn zu; ihm gegenüber; auch er hält sich jetzt nur noch mit Mühe zurück.
Herr Professor ...!!
LIPSIUS
ihn mit seinen Blicken messend.
... So irren Sie!
HOLLRIEDER.

Wenn ich Ihnen auch zu Dank verpflichtet bin, und welche Gründe Sie auch veranlaßt haben mögen, dieser Dame lästig zu fallen ...

LIPSIUS
der sich nicht mehr länger halten kann.
Herr!
HOLLRIEDER
nach einer kurzen Pause; wieder auf seinen alten Platz; kalt; ihn dabei nicht anblickend.

Ich darf Sie nach allem, was Sie an mir getan haben, leider nicht ersuchen ... diesen Raum zu verlassen. Pause.

LIPSIUS
veränderter Tonfall; Blick nach dem Bild hin; bitter.
Sie werden mich jetzt ... allerdings nicht mehr brauchen.
HOLLRIEDER.

Nach dem Eimer kalt Wasser, den Sie mir eben über den Kopf gegossen haben, hoffentlich nein, Herr Professor.

LIPSIUS.
Sie verweigern mir also über die Dame jede Auskunft?
HOLLRIEDER.
Jede.
LIPSIUS.
Auch wenn ich Sie ... bitte?
HOLLRIEDER.
Auch dann.
LIPSIUS
zögernd.
Es könnte ... sein, daß ich mich übereilt habe und daß hier ein Irrtum vorliegt.
[179]
HOLLRIEDER.
Das läßt sich jetzt nicht feststellen.
LIPSIUS.
Sie brauchten nur ... Nach dem Bild.
HOLLRIEDER
ablehnende Geste.

Bitte. Pause. Lipsius: nervös. Hollrieder: veränderter Tonfall; erst jetzt ihn wieder voll anblickend. Warum sprechen Sie nicht frei und offen zu mir, Herr Professor? Das war doch früher Ihre Art. Oder sollte mein ehemaliger ... »Intimus«, wie Sie ihn vorhin nannten ...?

LIPSIUS
ausweichend; ihn dabei nicht anblickend.
Ich verstehe Sie nicht.
HOLLRIEDER.
Sollte dies ... Lamm Gottes wirklich an Ihrer beschleunigten Rückkehr so ganz unschuldig sein?
LIPSIUS
zögernd.
Daß mir von unbeteiligter dritter Seite ...
HOLLRIEDER.
»Unbeteiligter« ist gut.
LIPSIUS.

Beteiligter oder nicht, jedenfalls, daß gewisse Winke und Mitteilungen mir zugegangen sind, leugne ich nicht. Leugne ich keinen Augenblick! Achselzuckend. Aber der ... Name ...

HOLLRIEDER
zu sich; durch die Zähne.
Diese ...Unwillkürlicher Blick nach der Tür rechts. Canaille!
LIPSIUS
erstaunt.

Sie zeigen sich orientiert in einer Weise, daß ich an der Richtigkeit der Angaben, die man mir gemacht hat, eigentlich kaum noch zweifeln kann.

HOLLRIEDER
sich zusammenraffend.
Ich darf Ihnen darauf ... nichts erwidern.
LIPSIUS
noch immer schwankend.
Sämtliche Einzelheiten, soweit ich sie bisher habe kontrollieren können, stimmen!
HOLLRIEDER.

Halten Sie von mir, was Sie wollen, schieben Sie mir in die Schuhe, was Sie Lust haben, ich bin im Moment ... gegen Sie wehrlos!

LIPSIUS
ihn nervös fixierend.
Merkwürdig! ... Wird das Bild morgen in der Sezession sein?
HOLLRIEDER.
Es wird noch heute in seinen Rahmen gehoben und dann abends von meinem Spediteur ...
LIPSIUS
sich zum Gehen anschickend.

Nun ...Langsam quer über die Bühne an Hollrieder vorbei in den Vordergrund rechts. Damit wüßte ich ja dann jedenfalls ...

HOLLRIEDER
zum Schluß drängend.
Wann, wo und wie Sie sich die gewünschte, letzte Klarheit selbst werden beschaffen können ...
LIPSIUS
sich zurückdrehend; es fällt ihm offenbar schwer, den Raum schon wieder zu verlassen.

Die Beschuldigung ... ist eine so [180] ungeheuerliche, die ... ganze Sache so ... ich ... kanns noch nicht glauben!

HOLLRIEDER.
Sie peinigen sich ... und mich, Herr Professor! Der Hagel hat aufgehört, jagende Wolken.
LIPSIUS
.

.. nach einer steifen, kaum merklichen Verbeugung auf die Tür zu; sich zusammenruckend. Also auf morgen! ... Die Hand schon auf dem Außendrücker, nochmals zu Hollrieder, der ihm gefolgt ist, zurückgedreht. Und ich will hoffen ...

HOLLRIEDER.

Gleichfalls, Herr Professor! Die Tür hinter ihm schließend. Nach einem kurzen Blick auf die Tür links; die Augen geschlossen, die Hände gekrampft, die Zähne zusammengebissen. Na! Auf die Tür links zu, die er aufschließt und öffnet; zwei Schritte zurück. Herr Professor Lipsius war so liebenswürdig, Ihnen den Eintritt wieder zu gestatten.

BEATRICE
wundervollstes, in violetten Tönen gehaltenes, modern-zeitlos fließend künstlerisches Phantasiekostüm; dasselbe, in dem Hollrieder sie seit Wochen malt; hastig; von dem Gehörten noch ganz aufgewühlt; von ihm abgewandt nach dem Vordergrund links.
Sie hätten ihm das ... nicht sagen sollen!
HOLLRIEDER
finster; zwischen den Augenbrauen eine tiefe Falte.
Daß mein Bild morgen in der Sezession sein wird?
BEATRICE.
Ich hatte Sie doch ... gebeten!
HOLLRIEDER
bis neben den Tisch getreten und ihr nachblickend.
Sie haben alles ... gehört?
BEATRICE.
Alles!
HOLLRIEDER.
Auch das ... mit meinem verfloßnen Freund Musmann?
BEATRICE.
Auch das.
HOLLRIEDER.
Und Sie ... sagen dazu?
BEATRICE
noch immer von ihm abgewandt nach dem Vordergrund rechts.
Nichts. Als daß ich, Gott sei Dank ... nie etwas mit ihm zu schaffen gehabt habe!
HOLLRIEDER
jetzt mitten vor den Tisch getreten, auf den er sich mit der Linken stützt, die Rechte in der Hüfte.

Herr Professor Lipsius konnte nur in Andeutungen sprechen. Da er Sie hinter der Tür vermutete. Und weil er seiner Sache nicht sicher war! Haben Sie diese ... Andeutungen verstanden?

BEATRICE.
Nein.
[181]
HOLLRIEDER.
Nach keiner Richtung?
BEATRICE
zögernd.
N ... nein.
HOLLRIEDER.
Nicht im geringsten?
BEATRICE
fest.
Nein.
HOLLRIEDER.

Sie beklagten sich wiederholt, daß Ihnen der ... Gentleman da nebenan auf der Treppe nachgeschlichen wäre. Und mehr als einmal haben Sie ihn nach der Vorstellung noch stundenlang gegenüber von Ihrem Hotel bemerkt. Hat er Sie sonst noch ... zu behelligen versucht?

BEATRICE.
Nicht, daß ich im Augenblick wüßte.
HOLLRIEDER.
Oder haben Sie ... anonyme Briefe erhalten?
BEATRICE
vorn rechts nach ihm zurückgedreht; ganz verwundert.
Wieso?
HOLLRIEDER.

Er hält Sie für das vor zehn Jahren verschwundne Fräulein Tochter Mit einem unwillkürlichen, kurzen, ergrimmten Rücknicker nach der Tür. von dem Herrn!

BEATRICE
erschreckt.
Mich?
HOLLRIEDER.
Ja. Und so abenteuerlich das ist, als ich Sie zum erstenmal sah ...
BEATRICE.
Sind Sie wirklich auch schon ...?
HOLLRIEDER
der seine Stellung bis dahin nicht geändert; kühl; die Arme übereinander kreuzend.
Ich glaube, ich habe nur wenig Anlage dazu.
BEATRICE
wieder nach links.
Wenn Sie jene junge Dame so genau kannten ...
HOLLRIEDER.
Ich habe sie nur einmal und ganz flüchtig gesehn!
BEATRICE.
Sehr interessant.
HOLLRIEDER.
Im Ungewissen Licht einer Mondnacht und nachdem ich sie mit eigner Lebensgefahr ...
BEATRICE.

Der Roman Ihrer Jugend ist mir durch Herrn Url ... Ganz vorn in der Mitte der Bühne; erst jetzt wird ihr bewußt, daß sie mit Hollrieder ja ganz allein ist; lebhaft beunruhigt; unwillkürlich nach der Tür rechts blickend. Übrigens ... wo ist Herr Url?

HOLLRIEDER
leise Kopfbewegung nach der selben Tür.
Ich habe ... ihn gebeten ...
BEATRICE
die Situation sofort fassend; unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten.
Ah! ...
[182]
HOLLRIEDER.
Wollen Sie mir nun ... erklären ...
BEATRICE
wieder nach rechts zurück.
Ich habe Ihnen nichts zu erklären!
HOLLRIEDER
letzte, forschendste Eindringlichkeit; äußerste Bestimmtheit.
Wir haben uns also in jener Mondnacht ... nicht gesehn?
BEATRICE
wie von dem, was sie spricht, aufs tiefste überzeugt; nach ihm zurückgedreht.
Sind Sie ein Phantast! ...
HOLLRIEDER.
Dann bleibt mir nur eine Deutung!
BEATRICE
die Augen blitzend.
Und die wäre?
HOLLRIEDER
langsam.
Daß dann hier ein seltsamster Zufall vorliegt.
BEATRICE.
Bitte deutlicher!
HOLLRIEDER.

Das Leben, das Herr Professor Lipsius nach einer gewissen Richtung führt, ist bekannt! Einsetzender Hagel.

BEATRICE
bleich; mit groß-offenen Augen.
Sie wollen ... damit sagen?
HOLLRIEDER
etwas veränderte Stellung, Hände in beiden Hüften, den rechten Fuß leicht vor; zum erstenmal ihren Blick meidend.

Genau das, was Sie aus meinen Worten raushören! Daß Sie unter der Zahl seiner mehr oder minder freiwilligen Opfer ... Abbrechend; den Blick wieder nach ihr hin. Es brauchte ja nicht erst ... seit heute und gestern zu datieren.

BEATRICE
noch immer vorn rechts; fast zitternd.

Ich verbiete Ihnen, in diesem Tone zu mir weiter zu sprechen! Das Leben, das Herr Professor Lipsius nach Ihrer »gewissen Richtung« führt, oder führen mag, geht mich nichts an! Wie es Sie auch nichts angeht! Mit einem schnellen Blick über die Bilder; mit sehr verständlicher Betonung. Wenigstens wenn ich recht informiert bin! Von neuem bis in die Mitte des Vordergrunds und dann wieder zurück.

HOLLRIEDER
nach einer kleinen Pause; finster; auf der Stirn wieder die Falte; die linke Hand mit gespreizten Fingerspitzen auf dem Tisch, auf den er die drei ersten Worte über die Augen gesenkt hält.
Ich hatte mir ... diese Aussprache zwischen uns ... anders gedacht.
BEATRICE
mit scheinbarem Verwundern nach ihm zurück.
»Aussprache«?
HOLLRIEDER.
Sie wissen sehr wohl ...
BEATRICE
schnell; mit größter Entschiedenheit; wieder von ihm abgewandt und nach links weiter.
Nichts weiß ich!
HOLLRIEDER
in derselben Stellung.
Mir »zuliebe!« Gequältes Auflachen.
[183]
BEATRICE
ohne sich nach ihm umzudrehen.
Wenn Sie eine solche ... Redensart allerdings gleich wörtlich nehmen ...
HOLLRIEDER
noch immer in derselben Stellung.

Glauben Sie, ich hätte mich sonst dazu hergegeben, einen Menschen, der mir nur Gutes getan, einen Mann, den ich trotz seiner Fehler verehre ...

BEATRICE
ganz vorne links stehngeblieben und sich nicht nach ihm umdrehend.

»Verehren« Sie ihn! ... Sie haben dazu Ursache! Höhnisch-bitter. Grade Sie haben dazu Ursache! ... Grade Sie!

HOLLRIEDER
nach einer kurzen Pause; in seinem Verdacht dadurch nur bestärkt; noch immer vorm Tisch; mit flach zusammengelegten, halb erhobenen Händen sie fast bittend; allereindringlichst.

Sie kennen ihn! Sie kennen ihn vielleicht sogar noch genauer als ich! ... Warum wollen Sie mir nicht die Wahrheit sagen?

BEATRICE
nach ihm zurückgedreht.
Sie haben ... kein Recht an mich!
HOLLRIEDER
die Rechte über die geballte Linke und beide Hände dann heftig von sich schleudernd.

Das ist nicht wahr! ... Mit offnen Handflächen, den Kopf leicht vor, die Hauptbetonungen stärkst unterstreichend, zum Schluß beide Fäuste energischst geballt. Wenn Sie sich diese ganzen Wochen auch durch kein Wort verraten haben ... Ihre Augen, Ihre Stimme ... es ist nicht wahr!

BEATRICE
seinen Blick voll erwidernd.
Nein. Es ist auch nicht wahr!
HOLLRIEDER
der tiefst aufatmend, mit lässig herabhängenden Händen, sein ganzes Schwergewicht auf den rechten Fuß verlegt.
Wollen Sie mir ... vielleicht jetzt ...?
BEATRICE
einige Schritte nach der Richtung der Chaiselongue zu.
Weder jetzt ... noch jemals! Ich werde Ihnen dieses Rätsel ... nie lösen.
HOLLRIEDER
erbittert.
Aber Herrn ... Url scheinen Sie s ... »gelöst« zu haben!
BEATRICE
von ihm wegblickend; wieder ganz in den Vordergrund rechts.

Wenn Herr Url sich Ihnen gegenüber Vermutungen erlaubt haben sollte ... Stehngeblieben; ihn wieder anblickend. Übrigens ... ich glaubs auch nicht.

HOLLRIEDER
der ihr nicht geantwortet hat, sondern nur überlegend drei Schritte nach links gemacht und sich nun wieder umdreht; veränderter Tonfall.
Reisen Sie morgen?
BEATRICE.
Wie ich dies bestimmt habe. Jetzt mehr denn je.
HOLLRIEDER.
Und wenn ich Sie nun ... zu bleiben bäte?
[184]
BEATRICE.

Sie? ... Der Sie vor vier Wochen noch zu stolz waren, auf meine Einladung damals, als ich Sie so gern zu unsrer letzten Probe gehabt hätte ...

HOLLRIEDER
gequält; auf sein Bild zu; sie dabei nicht anblickend.

Es war mir ... nicht möglich! Ich ... konnte nicht anders! Schon der bloße Gedanke an diese ... Schaustellungen hat mich gemartert! ... Fast nur zu sich. Widerwärtig! Beatrice zusammenzuckend ... Voll nach ihr zurückgedreht. Ich kann arbeiten! Ich werde von morgen ab unabhängig sein! Ich darf jetzt daran denken ... ein andres Leben an meins zu ketten! ... Geben Sie Ihren ganzen ... Jahrmarktströdel auf und ...

BEATRICE
ihn groß anstarrend.
Sie sollen sich ... nicht an mich wegwerfen!
HOLLRIEDER
mit zusammengepreßten Zähnen.

Ich bin Ihnen ... nicht gut genug! Sich schnell steigernd. Aber wenn statt meiner jetzt ... er hier vor Ihnen stünde ... er ... der große Künstler ... mit seinen Millionen und seinen bald sechzig Jahren auf dem Rücken ...

BEATRICE
mit gefalteten Händen; näher auf ihn zu; entsetzt.
Um Gottes willen! Sie hören doch!
HOLLRIEDER
ausbrechend.
Was haben Sie mit ihm gehabt?
BEATRICE
mit ihren Blicken die Tür suchend.
Wenn Sie nicht wollen, daß ich auf der Stelle ...
HOLLRIEDER.

Glauben Sie, ich habe mich auch nur einen Augenblick in die Illusion gewiegt, daß ein Wesen wie Sie, das seit Jahren jeder Anfechtung ausgesetzt war, das von Hunderten begehrt ... Zerquält abbrechend.

BEATRICE
vor seinem Ausbruch ganz entsetzt, sich schnell steigernd; an ihre Stelle, einige Schritte vor dem Bild, wie gebannt.

Von diesen Hunderten hat mir keiner auch nur die Fingerspitzen berühren dürfen! Ich habe sie ihr Begehren entgelten lassen! Ich habe mich an jedem, der sich mir zu nähern wagte, für das, was man mir angetan, gerächt! Wenn Sie ahnten ... Leiser, von ihrer Leidenschaft fast erschöpft. wie es bis vor kurzem noch ... in mir ausgesehn!

HOLLRIEDER
nachdem er zuerst kurz gestutzt hatte; über ihre Worte hinweg; in seinen Ideengang verrannt; fanatisch weiter.

Alles verstehe[185] ich! Alles begreife ich! Leichtsinn! Leidenschaft! Jugendrausch! Aber dieser Mann, der Ihr ... Vater sein könnte ...

BEATRICE
noch näher auf ihn zu.

Ich bitte Sie! Schweigen Sie! ... Was Sie sich da vorphantasieren, ist Wahnsinn! ... Ich kenne ihn! Gewiß! Und er kennt mich auch! ... Aber wenn ich einen hasse, wenn ich einen verachte, wenn ich heute einem ... das Schlimmste wünschte ... dann ist es er! ... Er!! ...

HOLLRIEDER
der instinktiv nach seinem Malzeug gegriffen; vor ihrem Ausdruck zurückgewichen.
Zum ... erstenmal ... seh ich Sie!
BEATRICE.

Was er mir angetan, ist mehr als Mord! Er hat mein ganzes Empfinden vergiftet! Er hat mir mein Leben zum Abscheu gemacht! Er hat mich um Alles gebracht! ... Und ihm ... nur ihm haben Sie es zu danken, daß Sie mich morgen ... zum letztenmal sehn! Während gegen die Scheiben noch die letzten Hagelkörner prasseln, draußen schon wieder blendende Sonne.

HOLLRIEDER
der, immer den Blick auf ihr, den mittelsten Fenstervorhang wieder zugezogen, sowie die Bildgardine wieder zurückgeschlagen hat, sich bereits an die Arbeit machend; sie mit den Augen wie ganz in sich einsaugend; verbissen.
Erst ... das Bild! Erst ... das Bild! ... Wie zu Anfang des Akts. Bitte.

Vorhang.

3. Akt

[186] Dritter Akt

Die Bühne stellt drei hintereinander gelegene Ausstellungsräume der Sezession dar. Der vorderste ist in so geringer Tiefe durchschnitten gedacht, daß rechts und links nur eben gerade noch ein offener Türrahmen Platz hat. In seinem Hintergrund rechts und links etwa je ein Meter Wand. Dazwischen führen drei, fast über die ganze Bühne verlaufende Stufen in den auf dem Niveau der dritten liegenden, zweiten, eigentlichen Raum hoch, aus dessen Hinterwand links man durch eine sehr breite Türöffnung in den letzten Raum sieht. Rechts, etwas nach der Mitte zu, in ungefähr halber Mannshöhe mit der Schmalseite nach unten, ein rechteckiger Ausschnitt, durch den man in sonnenflimmerndes Frühlingsgrün blickt: ein blütenknospiger Fliederbusch und ab und zu von leiser Luft bewegt, junge Birken und Buchen. Der Vorderraum ist mit kirschrotem Rupfen belegt. Der Belag der Stufen und der weiteren Räume graugrüner Rupfen. Alle Wände, auch die im Vorderraum, sehr hoch hinauf mit demselben graugrünen Rupfen bespannt. In der Mitte des Mittelsaals ein großer, rechteckiger, niederer, lederbezogener, rissig graubunter Sitzblock. Das Oberlicht silbrig abgedämpft durch eine Leinwandschwebe. Auch durch die Türrahmen
rechts und links sieht man in weitere Ausstellungsräume. Neben der Treppe rechts und links Bronzestatuen, über denen je ein kleineres Landschaftsbild. Auch über den Türen rechts und links, auf der einen Seite ein Tierstück, auf der andern ein Stilleben. An den drei Hinterwandteilen des Mittelraumes je ein größeres Bild: in der Mitte ein Interieur, rechts ein Figuren–, links ein Landschaftsstück. Die Hinterwand des dritten Raums mit einem großen Bilderarrangement bedeckt. In der Mitte dieses dritten Raums eine größere Marmorgruppe. Hinten in den Seitenwänden dieses dritten Raums rechts und links sind Türen gedacht. Unter den Werken der Maler bemerkt man namentlich solche von Max Liebermann, Walter Leistikow, Hans Thoma, Lovis Corinth, Ludwig v. Hofmann und Max Slevogt. Die Bildwerke stammen von Fritz Klimsch, August Gaul und Louis Tuaillon.

[187]
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
schlanke, mittelgroße Rasseerscheinung; schwarzer Schnurrbart ohne Spitzen: Kött, gestreifte Hose, Zylinder; vor der Seitenwand rechts, an der zwei Arbeiter eben noch beschäftigt sind, das große Bild Hollrieders zurechtzurücken; etwas schräg vor der Sitzgelegenheit; noch etwas mehr vorn, respektvoll hinter ihm, Musmann, der das Bild fast mit den Augen verschlingt.

Bißkn mehr rechts! ... Höher! ... Halt! ... Nochn bißkn! ... Vorsicht! ... Det Ding is noch naß! ... So! ... Nu jehn Se! ... Horchen Se aber erst im Büro nach! T sind da noch son paar Lorbeertöppe oder sowat umzustelln! ...Wartet, bis die beiden Arbeiter, denen er mit den Augen folgt, durch den letzten Raum nach rechts verschwunden sind; dann zu Musmann: Bratenrock, schwarze, ungebügelte Hose, aufgearbeiteter Zylinder. Neenee, wissen Se, ick kann det nich leidn, wenn da draußn vorn Einjank eener immer so rumstreicht! ... Wat wolltn Se dnn schon so früh? ... Is ja noch keen Mensch da!

MUSMANN
der trotz aller »Haltung«, die er sich zu geben versucht, seinen innern Zustand fast fortwährend verrät: Gesichtszuckungen, Halsverdrehungen, Spielen der Finger usw.
Ach, ich ... pflege öfter ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.

Ochso! Nu ja! Natierlich! ... Ick fleje ooch efter! ... Setzn sich doch n Hut uff! Ick erkälte mir ooch nich jern!Nach dem Bild Hollrieders. Na? ... Wat sagen Se nu zu Ihrn Freund? ... For dies eene Bild jeb ick die janze Ausstellung, wissen Se! ... Verwundert. Habn Se t dnn noch jar nich jesehn? ... Sie machen Oogen ...

MUSMANN
die Augen auf dem Bild.
Nein! ... Wir haben uns diesmal ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.
Ich denke, Se sind de beedn dickstn?
MUSMANN
verwirrt; ausweichend.
Ach ... das nun grade ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
mit einem schnellen Blick auf ihn.
Soso. Aus seiner Betonung geht hervor, daß er den Hauptsachverhalt damit bereits durchschaut hat.
MUSMANN
sich jetzt unwillkürlich ängstlich nach seinem eignen Bild umsehend, das in der Mitte der Seitenwand links hängt.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
der seinem Blick gefolgt ist.

Beschwern könn sich nich! Jrad vis-a-vis haben wir t jehänkt! Die beiden Bilder, mit dem geistvoll [188] scharfgeschnittenen Charaktergesicht nach dem Zuschauer, aus der Ferne miteinander vergleichend. Ick finde, det s sehr lehrreich! ... Zwee Maler, die mal von een und den selben Punkt ausjingen, und nu diese beedn Resultate – det is n Schulfall! ... Zu Musmann direkt; mit leiser Ironie. Wer war dnn nu eijntlich »derjenje welcher«?

MUSMANN
mit dem Bestreben, sich den betreffenden Zahn, falls möglich, nicht allzu genau untersuchen zu lassen.
Gott, das kann man wohl nicht so ... sagen.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
unbarmherzig.
Warum dnn nich? ... Brauchen sich jar nich zu schenieren! ...
MUSMANN
behutsam-vorsichtig.
Jedenfalls ... Eigentümer des Bildes ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
den Sachverhalt sofort witternd; flink; scheinbar ganz nebensächlich-unschuldig und dabei doch mit einem gewissen, nicht mißzuverstehenden Unterton.
So? Hattert Ihn also jeschenkt?
MUSMANN
unbehaglich-betreten.
Er hatte wohl ... den Eindruck ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
amüsiert-ironisch; stark durchsichtig.

Nu ja, sehn Se. Da hätten wirs mal wieder. Den jeht wie mir! Ick habe meine Bilder ooch nich jemalt! ... Mit der flachen Hand zeigend. Det war son Kleener! Und jestottert hatter ooch noch! ... Na, Se kenn ihn ja.

MUSMANN
der nicht recht weiß, wie er sich aus der Affäre ziehn soll.
Sie meinen ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.

Den und keen andern! ... Er kam mal zu mir, und denn hab ick ihn mein Sommerpaletot jeschenkt! ... Ihm auf die Schulter klopfend; »väterlich«. Verschenken Sie nie n Sommerpaletot! Nach Musmanns Bild hin. Der Schnee is nich schlecht jemalt! ... Nich jrade, det man sich uffrehcht, aber ... Scharf akzentuiert, während er Musmann dabei anblickt. Der frühr war anders! ... Einige Schritte hinter Musmann vorbei auf dessen Bild zu; Musmann ebenfalls ganz seinem Bild zugekehrt. Auch jejn det Millitehr hab ick nischt, wissen Se! Sojar die Arbeeter! ... Den Kopf einen Augenblick kritisch auf die Seite legend. Vielleicht schon n biskn zu sehr, verstehn Se, mit son jewissen Aweck nach det ... uffjepluhstert Heroische rüber, aber schließlich ... wenn man son Sujet nu mal annimmt ... warum nich? Sowat jibts! ... Noch einige weitere Schritte auf [189] das Bild zu. Bloß wat habn Se sich Verdeutlichende Handbewegung, als ob etwas aus der Luft fällt. bei die ulkjn buntn Dinger jedacht?

MUSMANN
geschmeichelt; die Augen verliebt auf seinem Bild.
Ich habe mir ... gedacht ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
zu ihm zurückgedreht.

Det heeßt, nu ja, natürlich! Wat Se sich bei »jedacht« habn, weeß ick! Wozu malt der Mensch? Dett er t verkooft! Und sowat verkooft sich! Sich abwendend und einige Schritte nach links hinten; ihn blutig dabei aufziehend. Nich wahr? Det meen Se doch? ... Wieder nach ihm zurückgedreht. Bloß mir sind noch keene uffn Kopp jefalln!

MUSMANN
gekränkt.
Ich meinte eigentlich ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
fast grob.
Na Ihn doch ooch nich! ... Mit der Rechten nach Musmanns Bild hin. Am wenichstn in Friedrichshain!
MUSMANN.
Ja, das soll ja auch gar nicht ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
von neuem nach seinem Bild hin; sich fast dabei ereifernd.

Na da habn Se doch t Motiv her! Det fühlt doch ne blinde Frau mit n Krückstock! Nach ihm zurück. Also redn Se nich!

MUSMANN.
Ich ... hatte die Idee ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
hinterm Block einige Schritte auf Hollrieders Bild zu.

Ach wat, Idee! Stehngeblieben und nach dem Bild rüberdeutend. Da! Kiekn sich mal Ihrn olln Kompagnon an! Idee is da ooch drin! Aber wat for ne? Von n Maler aus! ... So jroß, da Ein Auge ironisch zukneifend, so daß man merkt, daß er damit natürlich eigentlich bloß Musmann meint. können wir beede uns man dafor verkriechen! ... Det heeßt ... ick verkriech mir ja so leicht nich! Jlooben Se? ... Wieder nach dem Bild Musmanns hin. Soll k Ihn sagn, wat det is? ... Det is keen Bild, det s n Lehrjedicht! ... Oder, wenn Se wolln, n Leitartikl aus n »Vorwärts«!

MUSMANN
stiert kläglich sein Bild an; dann nach dem Bild Hollrieders; beginnender Triesel; dumpf vor sich hin.
Was man auch ... tut ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
der seinen Zustand bemerkt; einen Ausbruch sofort energisch unterbindend; den Blick auf das Bild Hollrieders, brüsk auf dieses zu.

Kunst kommt von Könn'n! Jetzt, ganz rechts, wieder nach ihm zugedreht. Dankn Se Jott, det Se diesmal nich überhaupt schon bei de Jury rinjeschliddert sind! ...

MUSMANN
nach dem Bild Hollrieders; sein Gesicht zuckt, er scheint nur [190] noch mit Mühe seinen Kopf zu balancieren.
Ja, aber ... finden Sie nicht ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
wieder nach dem Bild zu.

Aber nu natürlich! Selbstverständlich find ick! ... Mit dem rechten Zeigefinger nach dem Bild hin, den Kopf nach Musmann. Uff det Bild könnt ick nich stolzer sind, und wenn ick t selbst jemalt hätte! ... Mit scheinbarer Vertraulichkeit; etwas zu ihm nähertretend. Und wolln Se mer jloobn? ... Ooch det verkooft sich? N hiesjer Kunsthändler, den Se sehr jenau kenn'n, verstehn Se, hat n jestern nachmittach fünwunzwanzichdausnd Mark jebotn!

MUSMANN
fast zurückgetaumelt.
Fünfundzwanzig ...?
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
fast beleidigt; einen halben Schritt zurück.

Det s doch keen Preis? ... Mit der Rechten wieder nach dem Bild hin. Mit jedn Dach, wo t hier hänkt, wirds um dausnd Mark wertvoller! ... Se machn wieder Oogen ... Plötzlich in markierter Besorgnis um das Bild. Bohrn Se mer keene Löcher rin! ... Wenn t ooch schon versichert is!

MUSMANN
wie aus einem bösen Traum erwacht.
...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
zwei kleine Schritte auf das Bild zu und nach dessen Seite rechts deutend.

Det s die von damals aus n Winterjartn! ... Eene Fijur ... Geste; erhobne Rechte, zugespitzte Finger Zucker! ... Wieder zu Musmann direkt; etwas näher an ihn herangetreten; scheinbar vertraulich. Sie machn sich wohl nischt aus die Weiber?

MUSMANN
eilig.
O grade!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
ganz überrascht etwas von ihm zurück; ihn musternd.
Ach nee!
MUSMANN.
Im Gegenteil! Ich ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
einlenkend.

Sonst ... wer so ville arbeet, verstehn Se, det kommt vor! ... Mir mein ick natürlich nich! ... Mit einem Seitenblick. Sind n bißken nervös! ... Müssn heiratn! ... Sonst sehn Se janz jesund aus!

LIPSIUS
im letzten Raum, mit einem Ausstellungsdiener von rechts her; offener, schwarzer, auf Seide gearbeiteter Paletot, Zylinder, im übrigen wie der Präsident der Sezession, nur noch eleganter, helle Gamaschen.

Danke. Der Diener, der sich vor dem ihm bekannten, großen Künstler ehrfurchtsvoll verbeugt hat, noch im selben Raum wieder ab.

[191]
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
der sich umgedreht hat; ganz erstaunt; zugleich augenscheinlich sehr angenehm überrascht.

Nanu? ... Hinten um den Sitzblock herum auf ihn zu. Wo kommn Se dnn her? ... Ich denke, ich höre nich recht! ... Mit vorgestreckten Armen. Sind doch in Italjn!

LIPSIUS
den Präsidenten der Sezession durch einen Handdruck begrüßend; beide Herren lüften höflich ihre Zylinder, der Präsident der Sezession enthüllt für einen kurzen Augenblick eine den Respekt herausfordernde Glatze.
Verzeihn Sie. Kurzer, etwas befremdeter, dabei aber doch nicht ganz sichrer Blick zu Musmann rüber.
MUSMANN
auf den das plötzliche Auftauchen dieses Dritten einen unverkennbar stärksten Eindruck gemacht hat; nach einigen Schritten vorn um den Sitzblock tief seinen Hut ziehend; stammelnd.
Mmusmann.
LIPSIUS
sich zusammennehmend; kühl.
Ich erinnere mich. Zum Präsidenten der Sezession. Da ich grade vorüberkam ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.
Aber, lieber Professor! Anderer Tonfall. Warum habn Se dnn nischt ausgestellt?
LIPSIUS
der jetzt das Bild Hollrieders entdeckt hat, hinter dem Sitzblock auf dieses zu.

Da ist es ja! ...Er sieht sofort nach der Ecke rechts und blickt dann schnell nach Musmann, der diesen Blick triumphierend auffängt. In seinen Mienen wie in seiner ganzen Haltung drückt sich eine große, innere Bewegung aus, deren er nur mit Mühe Herr werden wird.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
der ihm hinten um den Sitzblock gefolgt; strahlend.

Wat? ... Det s ne Leistung! ... Sowat habn Se da unten nich zu sehn jekricht! ... Uff zehn Quadratmeter alles, was Se von n modern'n Bild überhaupt bloß verlangen können! ... Und nich etwa bloß technisch, Jott! ... Sich im Raum umblickend; dabei flüchtig Musmann streifend. Mit de Finger malt hier überhaupt keener schlecht! Nee! Mit janz wat andern! Ich kann det Wort »Seele« nich ausstehn! Wie ch mir keene blaue Feder an Zylinder steck, und wie ch nich Schlachsahne mag. Und »Jehirn« langt nich. Aber nenn Se mir wat Drittes, und s jefällt mir ... mit den is det jemacht! ... Alles ibrije hierWie vorhin. is man Ehlfarbe und Leinwand!

[192]
LIPSIUS
sich mit Gewalt von dem Eindruck losreißend, den auf ihn das Porträt in der Ecke rechts gemacht hat; mit dem Versuch, auf das Ganze einzugehn.
In der Tat! ... Ich glaube, diesmal ... darf Herr Hollrieder mit sich zufrieden sein!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
zu Musmann, der mit verzerrten Zügen seinem Enthusiasmus gefolgt war und schließlich bei dem Wort »Seele« auf den Ausschnitt aufmerksam geworden ist, den er jetzt, einige Schritte rechts vorm Sitzblock, gespannt mit dem Bild Hollrieders vergleicht.
Wat habn Se dnn?
MUSMANN
hastig.
Oh, nichts! Ich ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
jetzt auch auf den Ausschnitt aufmerksam.

Och, det Stückskn Jartn da meen Se? ... Mit erläuternder Handbewegung nach dem Bild Hollrieders hin. Det eenzje Bild, det die Konkurrenz verträcht! ... Wat anders Landschaftliches hättn wir da jar nich hinhängn könn! ... Da sehn Se! ... Zu Lipsius. Und wem dankn wir det?

LIPSIUS
fatal dadurch berührt; gepreßt ablehnend.
Ich bitte Sie.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
nach dem Bild hin.

Mensch mit den Dickkopp? ... Mit einem erneuten, schnellen Blick nach Musmann rüber. Könn Se sagen, wat Se wolln!

LIPSIUS.
Der Mittelste in der Gruppe rechts ist Herr Hollrieder selbst. Wer ist die Dame?
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
ihm scherzhaft drohend.

Sie? ... Gelaunt zu Musmann, der jetzt wieder heimlich Lipsius belauert, ab und zu aber immer wieder von Hollrieders Bild nach dem Ausschnitte schielt. Da heern Se jleich, was n Sachverständjer is! ... Könn Se wat lern! ... Wieder zu Lipsius. Ihr junger Freund scheint Glück zu habn! ... Dets eijntümlich, aber die hat noch keen jesessn! ... Ooch in Paris nich!

LIPSIUS.
»Paris?« ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.

Ja, da staun Se! ... Fast wie triumphierend, halb nach Musmann. Se werdn noch mehr staun! ... Wieder zu Lipsius. Da könnt k noch mal jung werdn! Wieder zu Musmann. Warum sollt ick nich ooch Jlück habn? Von neuem zu Lipsius. Ick bin ältester Uradel! Ick bin oller Assyrer! ... Nach dem Bild zeigend; wieder ganz Künstler. Achtn Se bloß mal uff den Ausdruck! ... Dets Rasse! Wat? ... Da wah jestern vormittach noch [193] so jut wie janischt von da! ... Die gezeigte Stelle ganz verliebt bewundernd. Weeß der Deibl, wie er det jemacht hat! ...Wieder zu Lipsius direkt. Wolln Se, det ick se Ihn nachher vorstelle?

LIPSIUS
Musmann beobachtet ihn gespannt.
Kommt die Dame ... her?
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
verschmitzt; ein Auge zukneifend; von der Seite.
Soll ich Se mal uff ne sieße Folter spann?
LIPSIUS
betreten; mit einem flackernden Blick nach Musmann.
Liebster Herr Professor, ich ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.

Der? ... Dets n janz Jefährlicher! ... Von uns drei is der der Schlimmste! ... Wat der mir vorhin alles so durch de Blume zu verstehn jejebn hat ... na, ick will nischt jesaacht habn!

MUSMANN
geduckt; vermeidet den Blick von Lipsius und schielt wieder nach dem Ausschnitt.
Im letzten Raum von rechts her ist von neuem der Diener aufgetaucht.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.

Een Oognblick! Ist dem Diener bis zum andern Raum entgegengegangen und hört nun, was dieser ihm leise zuflüstert. Ne Dame? ... Jetzt schon? ... Zu Lipsius zurück. Det is se! ... N paa Minutn!

LIPSIUS
der sich, ebenso wie Musmann, nach dem Flüsternden umgewandt hat; sich von seiner Überraschung wieder zusammenruckend.
Bitte!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
ohne sich um Musmann, der Lipsius nicht mehr aus den Augen läßt, noch zu kümmern, gefolgt von dem Diener, nach rechts ab.
LIPSIUS
nach einer kurzen Pause, während welcher er sich nochmal unruhig das Porträt besehn; unvermittelt zu Musmann, einige Schritte auf ihn zu nach vorn; man spürt deutlich, wie es ihm Überwindung kostet, an diesen Menschen, den er verachtet, überhaupt das Wort zu richten; unwillkürlich etwas gedämpft.
Sie haben mir ... anonyme Briefe geschrieben.
MUSMANN
dem das Wort, da er auf eine solche Festnagelung nicht gleich gefaßt war, in der Kehle steckenbleibt.
»A ...«?
LIPSIUS
schon etwas lauter.
Anonyme Briefe. Jawohl. Was bezweckten Sie damit?
MUSMANN
der jetzt sieht, daß er es unmöglich leugnen kann; obgleich er es zuerst instinktiv hat versuchen wollen.
Ich ... glaubte, Sie wären ... hintergangen worden.
[194]
LIPSIUS
mit einem schnellen Blick auf das Porträt in der Ecke rechts.

Das glaube ich jetzt allerdings auch! Zu Musmann; Stimme wieder regulär. Und meine Frage? ... Sie haben sie mir noch nicht beantwortet.

MUSMANN
blickt ihn nicht an und schweigt.
LIPSIUS
ihn schärfst fixierend.
Man geht doch nicht so hin und verrät seinen besten Freund!
MUSMANN
ihn groß anstarrend; von dieser ihm gänzlich unerwarteten Auffassung von Hollrieders Stellung zu ihm vollständig perplex.
Meinen »besten ...«?
LIPSIUS
ungeduldig; seine Abneigung gegen Musmann, trotzdem er sich mit aller Gewalt zu zügeln versucht, einen Augenblick fast unverhüllt hervortreten lassend.

Machen Sie keine Faxen! ... Ich weiß, was Herr Hollrieder für Sie getan hat! ... Ist es wahr, was man mir erzählt, daß Sie oft ... sagen wir, nicht ganz Herr über Ihre Nerven sind?

MUSMANN
erregt.
Das kann nur ... von Herrn Hollrieder stammen!
LIPSIUS
mit zusammengezogenen Brauen.
Ich habe mit Herrn Hollrieder darüber kein Wort gewechselt!
MUSMANN
dessen Erregtheit sich von jetzt ab steigert.
Er möchte mich am liebsten ...
LIPSIUS
ihm seinen Satz abschneidend.

Das ist mir egal. Nervös, daß die Erwarteten sich noch nicht zeigen. Wußten Sie, daß die Dame sich hier heuteMit einer entsprechenden Kopfbewegung. nochmal das Bild ansehn würde?

MUSMANN.
Ich hatte es gestern ... zufällig ... auf der Treppe gehört.
LIPSIUS.

»Zufällig.« Ah so. Wieder einen Blick nach der Tür zurück, durch die der Präsident der Sezession verschwunden.

MUSMANN
mit dem Versuch, sich gegen diesen Ton von Lipsius ihm gegenüber zur Wehr zu setzen.
Ich habe nicht ... verdient, Herr Professor ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
im letzten Raum zu Beatrice.
Neenee, meine Gnädigste! Da zuletzt! ... Zuerst muß ich Ihn die Franzosn zeijn!
LIPSIUS
selbst etwas in den Hintergrund tretend, zu Musmann, der, sofort aufmerksam, verstummt ist; schnell; leise, aber sehr bestimmt.
Treten Sie zur Seite. Musmann schleunigst hinter ihn rechts.
[195]
BEATRICE
jetzt auch sichtbar; seidnes Mantelkleid, auf Maleraugen berechnet, Hut feinst dazu abgestimmt.
Sehr liebenswürdig, aber ich habe leider nur ganz wenig Zeit.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.
Wenn sichs um n Manet und n paa Monets handelt?
BEATRICE.
Schön.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
über seinen Sieg sehr vergnügt, sie nach links führend.

Nachher sehn Se se mir nich mehr an! ... Was nützt alle Kunst, wenn nischt richtich uffenanderfolcht!

BEATRICE
lächelnd.
Das allerdings! ... Hoffentlich kenne ich die Bilder nicht schon. Verschwindet mit ihm nach links.
LIPSIUS
der solange, von Musmann mit schadenfrohem Triumph beobachtet, auf Beatrices Stimme gelauscht hat.

Hinten bis über den Sitzblock hinaus und sich vergewissernd, daß beide wieder verschwunden. Nach Musmann zurückgedreht. Gedämpft. Man fühlt, wie der Klang der solange nicht von ihm gehörten Stimme ihm innerlich den Rest gegeben. Wie sind Sie nur ... dahintergekommen? ... Dieser Verkehr zwischen den beiden kann doch nicht schon seit damals datieren!

MUSMANN
dessen Augen glänzen.
Das ... weiß ich nicht. Wenigstens nichts Bestimmtes.
LIPSIUS.
Hat Herr Hollrieder Ihnen ... irgend eine Andeutung gemacht?
MUSMANN
versteckt in sich hineinkichernd.
Er hat sich ... gehütet!
LIPSIUS
mit einem unterdrückt zornig düstern Blick nach dem Porträt rüber; um den Sitzblock links herum etwas nach vorn rechts; dabei halblaut wie zu sich selbst; seine Stimme zittert.

Mich so zu ... belügen! ... Nach einer erneuten kleinen Pause; veränderter Tonfall; Musmann dabei absichtlich nicht anblickend. Für heute um elf hat sich bei mir in derselben Angelegenheit ein Herr Url angemeldet. Musmann heftig stutzend, zu ihm direkt. Ist der Ihnen bekannt?

MUSMANN
hämisch; einige Schritte bis zum Sitzblock; nach Urls Porträt auf dem Bild hin.
Sein neuer »Freund«! ... Den er mir abspenstig gemacht hat!
LIPSIUS
die Augen wieder auf dem Bild; in seiner Erinnerung suchend.

Den muß ich doch ... schon irgendwo gesehn haben? Unruhig; halb für sich. Was mag der von mir wollen?

[196]
MUSMANN
sich plump vertraulich bis an seine Seite schmuggelnd; linken Zeigefinger nach dem Bild hin.
Mit dem ... hat er sich gestern ... auch gezankt! ... Erst mit ihm ...
LIPSIUS
von seiner Nähe angewidert, sich noch etwas weiter nach vorn von ihm absondernd; trotzdem drängend.
Sie wissens also ... auch nicht!
MUSMANN
grübelnd; vor sich hin.

Der ist so dumm ... der glaubt vielleicht ... Plötzlich; anderthalb Schritte auf das Bild zu; triumphierend; halb zum Porträt, halb zu sich selbst, als ob Lipsius gar nicht da wäre. Na, so ein ... Kerl! Der will jetzt ... auch ... Bloß ... weil er kein ... Geld mehr hat! Da bin ich ihm diesmal ...

LIPSIUS
mit gekrauster Stirn.
Was soll das? Was heißt das?
MUSMANN
sich zusammenrückend; ausholend; nochmals näher auf ihn zu; man merkt ihm an, daß er einen besonderen Coup vorhat; erwartungsvoll.

Da sich nun alles ... bewahrheitet hat ... Ich hege die größte ... Verehrung für Sie! Auch für die Dame! Schon seit Jahren! Und ich glaube, wenn ich jetzt vielleicht ... hoffen dürfte ...

LIPSIUS
unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten; ihn verächtlich von unten nach oben messend.

Ah! ... Jetzt überseh ich! ... Also daraufhin steuern Sie! ... Sie sind ja riesig talentvoll! ... Auf irgend ein ... Trinkgeld, Verehrtester, wollen Sie für Ihre Bemühungen, bitte, in keinerlei Form rechnen!

MUSMANN
bis in die Lippen bleich geworden; nach rechts zurückgetreten.
Ich bin ... Künstler!
LIPSIUS.

Was Sie nicht abhalten sollte ... Abbrechend; energische, sich orientierende Blicke nach den beiden Türöffnungen links; dann scharf. Ich wünsche, daß Sie mich jetzt allein lassen.

MUSMANN
nach Atem ringend.
LIPSIUS.
Sind Sie schwerhörig?
MUSMANN
ihn mit groß aufgerissenen Augen anstarrend; fast keuchend.
Sie könnten es vielleicht ... zu bereuen haben!
LIPSIUS
in aufsteigendem Zorn.
Sie riskieren es ... mir zu drohen?
MUSMANN
mit gehässigem Triumph.
Nach dem ... was Sie auf dem Kerbholz haben ...
LIPSIUS
sich das schwarze Möbel zurechtrückend.

Ich hege die ... auf [197] sich übrigens auch schon in Ihren Briefen erlaubt hatten, lassen mich vollkommen kalt.

MUSMANN
ihn höhnisch anstierend; sein Gesicht hat sich bereits ganz verzerrt.
Das ... Bildwerk ... in Ihrem Schlafzimmer ...
LIPSIUS
sich einen Augenblick fast vergessend; sich aber doch noch so beherrschend, daß seine Stimme fast ohne Klang bleibt.
Infam!
MUSMANN
den bezylinderten Schädel vorgeduckt.
... Ist ein ... Beweis!
LIPSIUS
nachdem er sich erneut vergewissert, daß die beiden Erwarteten den Nebenraum vorn links noch nicht betreten haben.
Zu Musmann wieder zurückgewandt. Wenn Sie nicht jetzt sofort ...
MUSMANN
seine Beherrschung mehr und mehr verlierend.
Auf sowas ... steht Zuchthaus!
LIPSIUS
drohend auf ihn zu; die rechte Faust hinter sich geballt; dicht vor ihm.
Noch den leisesten Muck ...
MUSMANN
durch dessen Erregung jetzt der Rappel gebrochen ist.

Vor Lipsius hinten um den Sitzblock herum retirierend; bösartiger Knurrlaut. Halb idiotisch. Nach seinem Bild hin. Wie verwandelt. Alle ... haben se sich zusammenjetan! ... Erst ... taugt das Bild nischt ... dann ... Wieder nach dem Bild Hollrieders gedreht; es von unten auf bösartig anglupend; plötzlich wegwerfende, halb konvulsivische Bewegung mit der rechten Hand nach seitwärts hinter sich; groteske, fauchende Zischlaute, als ob er dabei spucke. Das ... hat man davon!

LIPSIUS
der ihn mit erstauntem Widerwillen beobachtet.
Jetzt zeigen Sie Ihr wahres Gesicht!
MUSMANN
nach ihm umgedreht; ihn von unten auf messend.

Wat der sich ... Nach einem schnellen Blick jetzt auch auf sein Bild; ihn von neuem messend. noch rausnimmt? Ab durch den letzten Raum nach links, dabei nochmal nach Lipsius blickend. Bande! ...

LIPSIUS
ihm nachblickend; leise durch die Zähne.

Vor dem Burschen ... nimm dich in acht ... Aus dem vorderen Nebenraum links die Stimme des Präsidenten der Sezession. Lipsius hat sich sofort zusammengeruckt und steht nun wieder vor dem Bild Hollrieders, wie interessiert auf das Porträt starrend.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.

Schade, schade! ... Und denn hat uns natierlich Erst bei diesem Wort ist er im linken Türrahmen sichtbar geworden. auch alle [198] gewundert Von der ersten Stufe links aus bereits auf das Bild Hollrieders deutend. det das dort det erste Bild von Ihn is! ... Nich mal ne Fotojrafie hat man jekricht!

BEATRICE
ist, sobald sie, die erste Stufe betretend, Professor Lipsius erblickt hat, der, mit dem Rücken gegen die Ankommenden, scheinbar stark interessiert Hollrieders Bild betrachtet, blitzschnell zusammengezuckt; sich sofort wieder fassend.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
hat das nicht bemerkt, da sie etwas hinter ihm geht, und außerdem seine Aufmerksamkeit in diesem Augenblick gerade auf das Bild abgeleitet war; bei seinem letzten Satz hat Professor Lipsius sich umgedreht, und er stellt nun die beiden einander vor.
Darf ich die Herrschaften ...? Herr Professor Lipsius ... La bella ...
BEATRICE
ihn unterbrechend, sich selbst vorstellend; beide Worte besonders betonend.
Beatrice Cenci!
LIPSIUS
unter der Nennung dieses Namens merkbar zusammengezuckt; sich verbeugend.
Die allbekannte ... große Künstlerin.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
verblüfft; zu Beatrice; einen Schritt zurückgetreten; wie sich auf etwas besinnend.

Wartn Se mal! ... Zu Lipsius. Da war doch so was? ... »Beatrice Cenci?« ... Unter irjnd son Papst Clemens? ... Wieder zu Beatrice. N Vater, der seine Tochter, oder ne Tochter, die ihren Vater ... Wieder zu Lipsius. Wat weeß ick!

BEATRICE
dabei in scheinbarer Ruhe bereits nach dem Bild blickend.
Nach dieser Dame aus dem sechzehnten Jahrhundert habe ich mich benannt.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
zu Lipsius, der nur mit Mühe seine kaum wiedergewonnene Fassung bewahrt.
Det s ulkich! Wat? ... Von neuem zu Beatrice. Herr Professor war leider diesen Winter ...
BEATRICE
zum Präsidenten der Sezession.
Ich bin unterrichtet.
LIPSIUS
zu Beatrice; sich mit aller Gewalt zusammenreißend.
Erst jetzt allerdings ... bedaure ich ...
BEATRICE
kühl.
Sie haben nichts versäumt.
LIPSIUS
der seine Augen nicht von ihr lassen kann.
Hätte ich gewußt ...
BEATRICE
zwischen beide durch auf das Bild zu.

Um so angenehmer werden Sie dafür überrascht gewesen sein Vor der Mitte des Bildes nach Lipsius halb zurück. als Sie eben ... wahrscheinlich ganz unvorbereitet, vor dieses Bild traten.

[199]
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
der das Benehmen beider, das ihm auffällt, von sich aus auf die Situation schiebt; zwischen beide getreten; wieder lebhaft zu Lipsius.

Sehn Se? Zu Beatrice. Das hab ich Herrn Professor Lipsius ooch schon jesaacht! Wieder zu Lipsius. Der Mann wär ohne Sie ... Auf eine leicht abwehrende, beinahe gequälte Bewegung von diesem. Neenee! Das laßk mir nich ausreden.

BEATRICE
um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben; ihre Aufmerksamkeit auf den Ausschnitt richtend; dabei einen Augenblick ihre Lorgnette hebend.

Köstlich! ... Dies bißchen Grün da in der Sonne! ... Den Ausschnitt, nachdem sie ein klein wenig zurückgetreten, mit dem Bild Hollrieders vergleichend. Man könnte wirklich fast in Zweifel sein, welches von den beiden Bildern eigentlich das schönere ist.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
etwas zurückgetreten und die Wirkung des Ausschnitts nochmals prüfend.
Erloobn Se mal! Wir haben doch da hoffentlich ... keene Dummheiten jemacht?
BEATRICE.
Wenn mir das schon auffällt ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
achselzuckend.

Ja ... Zu Lipsius rüber, dessen Blick, soweit dies die Situation zuläßt, immer wieder auf Beatrice ruht; bissig. Det sind so die kleen polizeilichen Architektnwitze! ... Zu Beatrice. Eijntlich und von Rechts wejen is det n Notausjank! ... Da s n Hof hinter, wissen Sie! ... Allgemein. Na, nu s nischt mehr zu wollen!

BEATRICE
wieder auf das Bild zu.

Schade. Lipsius, der kaum noch seine Augen von ihr läßt, möglichst ignorierend. Jedenfalls haben Sie nicht übertrieben. Das Ganze wirkt auf mich wieder in einer Weise ...

LIPSIUS
fast wie aus einer Eifersucht auf das Bild; einen Schritt, scheinbar prüfend, zurücktretend.
Es ist allerdings ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
schnell.
Nu aber alle mal! Det Beste ...
LIPSIUS
unwillkürlich; mit leiser Eifersucht.
»Das ...«
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
über seine Bezweiflung hinweg; stark unterstrichen.

Das Beste, was wir hier bis jetzt überhaupt ... Abbrechend und ihm dabei im geheimen gründlich über den Schnabel fahrend. Und zwar »allerdings«!

LA BELLA CENCI
das ganze Werk nochmal mit aller Konzentration auf sich wirken [200] lassend.
Es ist fast ... kein Bild mehr ... es ist gradezu ... wie ein gemalter Mythus!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
der diesen Ausdruck erst »verdauen« muß; schnell.
»Mythus«? »Mythus«? ... Dann, nicht wenig stolz auf dies Urteil, zu Lipsius. Hörn Se?
LIPSIUS
ablenkend; nach der Ecke rechts zu.
Dieser ... seltsame Ausdruck auf dem Porträt hier.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
ganz schnell; zu Beatrice, die in diesem Augenblick scharf nach Lipsius sieht, kurzes »a«.

Da! Jetzt sehn Se wieder so aus! Beatrice, nachdem sie blitzschnell nach ihm rübergeblickt, mit den Augen wieder auf dem Bild. Ebn habn Se so ausjesehn!

BEATRICE
sich leicht auf die Unterlippe beißend; mit unterstrichener Betonung für Lipsius, den sie aber dabei nicht anblickt.

Eine alte ... ErinnrungZum Präsidenten der Sezession; sich vom Bild abwendend; andrer Tonfall. Wäre hier sonst noch etwas für mich?

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
zu dem Bild Musmanns hinüber, auf das zu er einige Schritte macht.

Falls Sie vielleicht noch n kleen Blick uff det Jejnstück dort werfn wolln ... Aber erschreckn Se nich! Auf den großen Sitzblock deutend. For alle Fälle is da jleich sone kleene Sitzjelejnheit!

BEATRICE
die, ihm gefolgt, das Bild wieder durch ihre Lorgnette besieht.
Was ist denn das?
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION.

De neuen Märzjefallnen! Zuerst nochmal nach dem Bild Hollrieders zurück, dann wieder nach dem Bild Musmanns gedreht. Hier kann eener, was er will, und dort will eener, was er nich kann! Dets der janze Unterschied!

BEATRICE.

Ah, richtig! Ich habe bereits gehört. Herr Musmann! ... Und mit diesem Bilderbogen ...Aus einem entfernten Nebenraum erklingt ein Hämmern; alle horchen auf.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
unwillig.

Wer hat dnn da noch zu kloppn? Im Begriff, nach dem Raum hin, aus dem das Hämmern wieder ertönt, abzugehn; ärgerlich. Da soll doch ...

BEATRICE
die sich ihm anschließen will; schnell.
Wenns Ihnen recht ist ... möchte ich gleich ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
eifrig.

Neenee! Erst muß k det untersuchn! ... Hier darf keen Nagel ... Zu Lipsius, der isoliert, ihnen zugedreht, von rechts stehngeblieben war und, nun sich höflich, kaum merklich verbeugend, [201] einige Schritte auf sie näher tritt. Herr Professor? Mit einer hastig galanten Handbewegung nach Beatrice hin. Sie sind wohl so freundlich! ... Bereits auf dem Weg nach dem Hämmern. Nischt wie Dummheitn! Wenn man nich überall is! ... Durch den letzten Raum nach rechts eilig ab. Das Hämmern setzt noch einmal ein, dann verstummt es.

BEATRICE
um Lipsius anscheinend ganz unbekümmert, sich nochmal Hollrieders Bild ansehend, auf das sie wieder zugegangen.
Trotzdem merkt man ihr eine große innere Erregung an.
LIPSIUS
der sich ihr erst nicht zu nähern gewagt hat; hinter ihr; mit fast erstickter Stimme.
Si ... bylle!
BEATRICE
als ob er gar nicht vorhanden wäre.
LIPSIUS
flehentlich.
Ich ... bitte dich! ... Nur ... ein ... Wort!
BEATRICE
sich jäh umwendend; mit blitzenden Augen.
Glauben Sie, ich fürchte mich vor einem Skandal?
LIPSIUS
nach einigen Sekunden; fast flüsternd.
Du hättest mir das ... nicht antun sollen!
BEATRICE
flammend.
Ich?? ... Dir?? ...
LIPSIUS
in letzter Zerknirschung.
Ich habe es so bereut! Die ganzen Jahre! ... Ein einziger, unbewachter Augenblick ...
BEATRICE
kaum fähig, ihm zu antworten.
Der mir mein ... Leben zerstört hat! ...
LIPSIUS
nach einer kleinen Pause; bettelnd.
Verzeih!
BEATRICE
ihm wieder den Rücken drehend; mit Mühe sich zügelnd.
Gehn Sie!
LIPSIUS
mit unterdrückter, aufsteigender Leidenschaft.
Ich wußte, daß ich dich wiedersehn würde! ...
BEATRICE
bei diesem Tonfall zusammengeschauert; ohne sich wieder umzudrehn, mit vor Empörung zitternder Stimme.

Noch ein Wort ... Im letzten Raum von links ist spähend Musmann aufgetaucht und verschwindet wieder nach rechts.

LIPSIUS
der, auf ihre empörte Drohung etwas zurückgetreten und sich argwöhnisch umsehend ihn bemerkt hat; wieder hinter ihr; noch unterdrückter und dringlicher.
Nur das ... hielt mich aufrecht! ... Nur diese Hoffnung! Ich wäre ohne sie ...
BEATRICE
die sich vor Zorn kaum noch halten kann; wieder zu ihm umgedreht.
Wollen Sie, daß ich einen Diener rufe?
[202]
LIPSIUS
mit plötzlich elementar vorbrechender Eifersucht.

Ihr habt mich ... Unwillkürlich etwas zurückgetreten, seine Augen durchdringend sprühend in ihren. betrogen!

BEATRICE
ihm erstaunt, wie erst nicht begreifend, ins Gesicht starrend .
..
LIPSIUS
mit den Augen einen Moment nach dem Bild hin.
Er ... Wieder zu ihr; mit entstellten Zügen. und du! ... Jahre! ...
BEATRICE
unwillkürlich einen halben Schritt zurück.
Also das ... ist die »Reue«?! ... Eifersucht!! ...
LIPSIUS
unterdrückt, fast flüsternd; ganz nah auf sie zugetreten.
Gestern ... als ich vor seinem Hause stand und ... auf dich wartete ... ich wußte: ich wagte alles!
BEATRICE
ohnmächtig mit sich ringend; der Wucht seiner Leidenschaft einen Moment fast erliegend.
...
LIPSIUS
in elementarster, beschwörendster Suggestion.
Komm zurück! ... Komm wieder zu mir!! ...
BEATRICE
nur noch mit dem letzten Teil ihrer Kraft.
Du bist ... von Sinnen!!
LIPSIUS
noch drängender.
Laß es ... vergessen sein! Flehend. Du wirst sehn!
BEATRICE
sich wieder aufraffend; die Hände wie zur Abwehr halb erhoben; vor ihm zurückschaudernd.
Geh!
LIPSIUS
der sich kaum noch selbst kennt; die Lider einen Augenblick geschlossen, die Lippen zusammengekrampft.
Du weißt nicht ... was ich um dich ... gelitten habe!
BEATRICE
sich hochrichtend.
Und ich?! ... Was ich gelitten?
LIPSIUS
seine Augen wieder in ihren.
Ohne es zu wissen, hattest du mich auf eine Marterbank gespannt, die auch den Stärksten ...
BEATRICE
ausbrechend.
Ich ... ertrags nicht mehr!
LIPSIUS
starr vor ihr aufgerichtet; sie noch immer nicht lassend.

Alles will ich für dich hingeben! Alles! Nur ... Vor ihrem Ausdruck mit bebender Stimme; den linken Fuß einen halben Schritt zurück. Du ... stößt mich ... von dir?

BEATRICE
letzte Verachtung; dreht sich wieder nach dem Bild um .
..
LIPSIUS
nach einem kurzen, inneren Kampf; einige Schritte rechts neben sie getreten, um sie von neuem dabei anzublicken; mit veränderter Stimme.

Weißt du auch ... was du damit ... tust? Da sie ihm nicht antwortet; mit arbeitender Brust. Du stößt mich [203] damit ... in ein Leben zurück, das ich ... Ich verachte mich selbst!

BEATRICE
die sich nicht mehr länger zwingen kann; wieder nach ihm umgedreht.
Gehn Sie nun, oder nicht? ...
LIPSIUS
zwei Schritte zurückgetreten; noch gedämpfter, als meist ohnehin schon bisher.
Nicht an mir allein ... lag die ... Schuld!
BEATRICE
ihn verzerrt anblickend.
Jetzt ... nur noch das Geringste, und ich ... schrei s allen Men schen ins Gesicht!! ...
LIPSIUS
vor ihrem Ausdruck den Blick senkend; die Hände an den herabhängenden Armen geballt; stumm quer nach links, durch den letzten Raum nach rechts ab.
BEATRICE
die ihm nachgesehn; in letzter Erschöpfung und Qual; sie will sich langsam wieder rechts nach dem Bild zu drehn, und ihre Augen bleiben dabei wie gebannt auf dem Ausschnitt hängen; sie tritt unwillkürlich etwas vor ihm zurück.
MUSMANN
der während der letzten Szene bei dem Wort »Geh!« hinten im letzten Raum von rechts her nochmals aufgetaucht und dann nach links hin verschwunden war.

Vorn von links her. Er hat sich wieder zusammengerafft, aber seine ganze Haltung, jede Bewegung verrät trotzdem deutlich, wie es in ihm aussieht. Wirft, ehe er sich in den zweiten Raum hinauftraut, erst einen Blick nach Beatrice rüber, die ihm in diesem Moment den Rücken zukehrt, vergewissert sich durch einen zweiten Blick, daß Lipsius inzwischen gänzlich verschwunden ist, betritt vorsichtig die Stufen, vergißt nicht, eitel nochmal nach seinem Bild rüberzuschielen, hüstelt und nähert sich schließlich dem Ziel seiner Sehnsucht.

MUSMANN UND BEATRICE
die sich auf sein Hüsteln sofort wieder gefaßt und von neuem das Bild Hollrieders besehn hatte; sich nach ihm umwendend; dabei wieder ihre Lorgnette brauchend.
Der Herr, der vor drei Monaten an einer Tür gehorcht hat! ... Das ist allerdings eine Überraschung.
MUSMANN
vollständig fassungslos.
Sie ver ... kennen mich.
BEATRICE.
Ihre Krawatte sitzt schief.
MUSMANN
sich bezwingend.
Ihre unverschämten Anspiegelungen, die Sie richtigste Verehrung für Sie!
[204]
BEATRICE.
Sie beabsichtigen doch nicht etwa ... mir eine Liebeserklärung zu machen?
MUSMANN.
Ich weiß nicht ... Nach einem halben Blick auf sein Bild. ob Sie meine Werke kennen.
BEATRICE.
Sie sind drollig!
MUSMANN.

Herr Hollrieder ist ein Mensch ... von einer so rohen ... Gemütsart ... Sie müssen sich doch ... In seine fixe Idee verbohrt. unglücklich fühlen!

BEATRICE.
Sie werden immer amüsanter!
MUSMANN.
Sie hatten gestern ... eine erregte ... Auseinandersetzung mit ihm!
BEATRICE.
Sie haben also wieder ... gehorcht?!
MUSMANN.
Bei meinem lebhaften ... Interesse ...
BEATRICE
einen Schritt zurückgetreten; ihn von oben bis unten musternd .
..
MUSMANN
verzweifelt; mit einer letzten Anstrengung aus einer andern »Ecke« her.
Ich habe eben ... mit Ihrem Herrn Vater gesprochen!
BEATRICE
empört.
Sind Sie verrückt?
MUSMANN.
Wenn Sie nur ... Die Hand täppisch nach dem Herzen. ahnten ...
BEATRICE.

Es scheint wirklich die höchste Zeit, daß Sie sich nach irgendeiner Heilanstalt umsehn! ...Hinten um den Sitzblock ab durch den letzten Raum nach rechts.

MUSMANN
mit vorgestrecktem Hals, ihr in ohnmächtiger Wut nachblickend.

Warte! ... In sich reinknirschend. Dir ... werd ich das! ... Sich mit mehreren Schritten auf derselben Stelle langsam voll dem Zuschauer zudrehend und von unten auf erst nach seinem Bild und dann wieder nach Hollrieders glupend. Ich bin doch nicht ... verrückt? ... Kläglich vor sich hin. Das sind doch bloß ... meine Nerven! ... Plötzlich gespannt aufhorchend und wie einer fernen Stimme lauschend; vollständig veränderter Tonfall; geschäftig. Was sagste da? ... Was? ... Du kannst nicht dafür? ... Na warum hat se mich denn eben so ... behandelt? Doch bloß, weil du ... Nickend. Jaja! Atchee! Die Stimme scheint verklungen, das »innre Telephon« abgestellt; dumpf murrend vor sich hin. Alles ... für dich allein! ... Alles ... Ganz nach dem Bild Hollrieders. Es beglotzend. Du ... Schuft! Du ... Alles– ... Zertrümmrer! Du ... Anti– ... Christ! ...Seine Zähne mahlen. Plötzlich zwei Schläge mit geballter Faust schnell [205] hintereinander nach dem Bild hin. Hutt, hutt!! ... Nochmal; noch stärker; fast wie das ganze Bild zermalmend. Hutt!!! ... In demselben Augenblick im letzten Raum von rechts her die Stimme Hollrieders.

HOLLRIEDER
noch nicht sichtbar.
Nein. Ich will das Bild jetzt nicht mehr sehn!
MUSMANN
hat beim ersten Laut aufgehorcht und verschwindet sofort, die Stufen fast hinabstolpernd, im vorderen Nebenraum rechts.
BEATRICE
mit Hollrieder im letzten Saal jetzt sichtbar.
Sie sind eigensinnig.
HOLLRIEDER
mit Beatrice den Mittelraum betretend, wo er, fast noch am Eingang, mit ihr so stehnbleibt, daß er sein Bild im Rücken hat.

Kleidung wie der Präsident der Sezession. Geschmackvolle Hose, tadelloser Schlips. Überm linken Arm dunkler Paletot. Wir hatten uns hier erst für elf verabredet! Wäre ich also nicht eine volle Viertelstunde früher gekommen ...

BEATRICE
in ihrem Benehmen nicht mehr so sicher wie bisher.
Ich hatte geglaubt ...
HOLLRIEDER
ihre Erklärung sofort abschneidend.
So hielten Sie Ihr Wort!
BEATRICE
zögernd.
Ich hätte es vielleicht ... trotzdem gehalten ... wenn nicht auch Herr Url ...
HOLLRIEDER
erregt auf den Sitzblock zu.
Url! Url! Immer Url! ...
BEATRICE
die an ihrem Platz etwas links stehngeblieben war; aufmerksam; erst jetzt seine Eifersucht ahnend.
Sie sind so ... sonderbar verstimmt auf ihn ...
HOLLRIEDER
den Überrock ärgerlich auf die »Sitzgelegenheit« abwerfend.
Er soll sich gefälligst um seine komplizierten eignen Angelegenheiten kümmern!
BEATRICE.
Er war zweifellos überzeugt, daß es so für alle Teile ...
HOLLRIEDER
neben den Überrock den Zylinder plazierend; mit durchsichtiger Betonung.
Namentlich für alle Teile!
BEATRICE.
Sie sind ganz und gar ungerecht gegen ihn!
HOLLRIEDER
die Handschuhe energisch in den Zylinder befördernd.
Mit Wonne! ...
BEATRICE.
Haben Sie sich denn seit gestern ... noch gar nicht gesehn?
HOLLRIEDER
ergrimmt bissig; mit einem erbitterten Blick nach ihr.

Nachdem Sie ihn für Ihre Heimfahrt wieder zu Ihrem Ritter requiriert hatten! ... Sie ostentativ dabei nicht anblickend; sich unwillkürlich reckend. Er hat es für angebracht gehalten, seitdem [206] auch nicht ein Wort mit mir zu sprechen! Der zwischendurch schon wiederholt nach dem Bild Musmanns geblickt; plötzlich. Lächerlich!! ... Wirft jetzt einen schnellen Blick auch auf sein eignes Bild, sieht dann aber sofort wieder vor sich in die Luft, als ob der Raum, in dem sie sich befinden, gar nicht existierte. Herr Professor Lipsius war hier! In der Türöffnung vorn rechts, ganz Ohr und ganz vorsichtig, taucht Musmann auf; jedes Wort Hollrieders in seinem Gesicht sich widerspiegelnd. Ich traf ihn vorm Eingang! Er schien mich für Luft zu halten! Hatten Sie das Vergnügen. Ihre alte Bekanntschaft mit ihm wieder aufzufrischen? Beatrice in stummer Qual; wieder Blick vor sich in die Luft. Pardon! Ich bin nicht mehr neugierig. Da Beatrice schweigt; von neuem nach ihr hin. Reisen Sie heute?

BEATRICE
leise, ohne ihn dabei anzublicken.
Um eins.
HOLLRIEDER
sie stehenlassend.

Reisen Sie! ...Geht jetzt auf sein Bild zu und bemerkt fast gleichzeitig den Ausschnitt. Zwei Schritte zurückprallend, beides miteinander vergleichend. In ein höhnisches Lachen ausbrechend und mit der flachen Hand nach dem Ausschnitt weisend. Da!! ...»A« kurz; Beatrice zusammengeschrocken, Hollrieder wie magnetisch von ihm angezogen, auf den Ausschnitt zu, den er mit vorgeducktem Kopf studiert, Musmann panisch verduftend.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
aus dem letzten Saal von links; man hat ihn bereits kommen sehn; noch im Türrahmen; zu Beatrice; verwundert, daß Lipsius nicht mehr da ist.
Wo is dnn ...?
BEATRICE
etwas links nach Musmanns Bild zu; achselzuckend; mit einer hilflosen Geste nach Hollrieder hin .
..
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION erst jetzt näher getreten und Hollrieder bemerkend? Ach so!
HOLLRIEDER
mehrere Schritte zurückgetreten und mit einem Arm nach seinem Bild, mit dem andern nach dem Ausschnitt hin.

Das ist nun die Probe auf mein Exempel! Sich umdrehend und die Hände erbittert-grimmig in den Taschen, nach vorn vor dem Sitzblock. Wir können uns alle begraben lassen!

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
noch nicht gleich ganz begreifend, um was es sich handelt; zu Beatrice.
Wat dnn?
HOLLRIEDER
der ohne Aufenthalt bis ganz nach links vorn weitergegangen, [207] ungestüm umschwenkend und mit dem ausgestreckten Zeigefinger der Rechten nach seinem Bild hin.

Erde, Himmel, Menschen, Tiere, die ganze Menagerie aufgebotenInzwischen bis zur Linie des Ausschnitts zurückgelangt, stehngeblieben, mit der erhobenen, flachen Linken nach diesem weisend. und dort ... ein Strauch, drei Birken und zwei Buchen!

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
nach einem Blick zu Beatrice, erregt hinter dem Sitzblock nach dem Ausschnitt zu, Achselzucken, Hände auswärts, total aus dem Konzept gebracht.
Da habn wir dn Salat!
HOLLRIEDER
sich mit höhnischer Verachtung, den Rücken nach dem Zuschauer, im Raum umblickend.
Dieser ganze Kitsch ist nicht wert ...
BEATRICE
ganz wenig nach ihm zu.
Beruhigen Sie sich doch!
HOLLRIEDER
brüsk nach ihr hin, als ob er sie »fressen« wollte.
Haben Sie keine Augen?
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
durch diesen Ton verdutzt, von einem zum andern blickend, man merkt, wie ihm ein »Licht« aufgeht, zu Beatrice, die, durch die Heftigkeit Hollrieders sichtlich getroffen, an ihrem Platz wie festgewurzelt steht, schnell doppelte, begütigende Handbewegung.

Jut, jut! Zu Hollrieder, auf den er mit ein paar flinken Schritten zugeht. Also denn lassen wir det Ding noch schnell zukleistern ... Von außen de Tür zu, und inn n paar Lattn mit n bißkn Stoff drüber! ... So vill Zeit is noch! ... Wieder halb zu Beatrice, andrer, sich mit ihr in »Verbindung« setzender, sich quasi »kollegialisch« beschwerender Tonfall. Hat n Mensch schon sowas jehört!

HOLLRIEDER
ohne sich nach ihm hinzudrehn, ganz auf sein Bild zu.

Glauben Sie, Sie könnten mir mit Ihren paar Latten und n bißchen Stoff drüber auch zugleich mein Gehirn zukleistern?

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
wie ungewiß, ob er recht gehört; energisch.
Watt?
HOLLRIEDER
wieder ungestüm umgeschwenkt auf ihn zu.

Vor der mir jetzt endgültig klar gewordenen Erkenntnis, daß sich an ein Rechteck aus Sackleinwand kein Pinselstrich mehr lohnt? Im Türrahmen rechts wieder, wie vorhin, Musmann.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
scharf.
Erloobn Sie mal!
[208]
HOLLRIEDER
fast unmittelbar vor ihm.

Weil sich von uns aus heute mit diesen überlebten, längst ausgequetschten, primitiv einseitig einfältig unzulänglichen Mitteln ...

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
»aufmuckend«.
Nanu?!
HOLLRIEDER
unbeirrt weiter.

Das Letzte und Eigentlichste, das, worauf es überhaupt und immer wieder von neuem ankommt, das, was Kunst zu Kunst erst macht ...

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
als Kampfhahn ihm gegenüber; rapid.
Jewiß-jawoll-und- und?
HOLLRIEDER
unwillkürlich nach dem Ausschnitt hin, dessen Bäume jetzt wieder leise zu wehen begonnen, mit erhobener, erläuternder Rechten, in seinem Satz weiter und ihn, sich noch steigernd, schließend.

Das ... Unsagbare, das ... Unnennbare, das Unbegreifbare ... das aus jedem Windhauch weht, das ... zarte, entzückend ... rätselhafte ... immer wieder schillernd wechselnd ... lebendige ... Zittern der Seele, das ... zu tiefst in uns allen Schwingende, das ... vom höchsten Genie ... noch kaum erst Geahnte, das Geste: herausgeschleuderte Rechte, die letzten zwei Finger eingebogen, die drei andern wie Krallen, die ein funkelndstes Juwel halten. Hinter-allen-Dingen ... so bitter wir auch darum ringen, so schmerzvoll blutend wir uns auch mühen, so grausam elend wir uns auch ... Tag um Tag, Stunde um Stunde, Sekunde um Sekunde ... Grade diese drei Worte, alte Heimatsworte, fast wie mit religiöser Inbrunst von sich schleudernd. abplacken, abrackern und abmarachen ...Von neuem ausholend und mit elementarster Wucht endend. weil sich das Aller-Allerletzte ... und Aller-Aller-Allereigentlichste ... von uns aus ... nicht mehr erreichen läßt?!

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
der nicht vor ihm wankt und weicht.
Sie könn doch nich verlangn ...
HOLLRIEDER
noch an der gleichen Stelle.
Ich verlange, daß dieser Ausschnitt hier in Ihrer Sezession nicht das beste Bild ist!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
fast auf ihn eindringend.

Det verlangn Se man! ... Sich von ihm wegdrehend; erbittert. Det Kunst keene Natur is ... Halb zu ihm zurück. wenn Se damit kommn,Bis hinter den Sitzblock. uff die Art könn wir natürlich alle inpackn! ... Mitten hinterm [209] Sitzblock; den Rücken gegen die Hinterwand; die zornig klugen Augen aufgebracht gegen den Plafond, den letzten Ingrimm aus sich rauspolternd. Da sind Sie der erste nich! ... Dets n Thema, das s schon paa dausnd Jahre älter, als wir! Jetzt unwillkürlich wieder zu Beatrice, die von ihrem Platz aus die beiden sich fledernden Phönixhähne mit stärkster Anteilnahme und wechselndem Mienenspiel fast atemlos beobachtet hat. Man sollte wirklich jlooben, mancher Mensch Nochmal nach dem Ausschnitt. hätte in seinem Leben noch keenen Fliederboom jesehn!

HOLLRIEDER
der seinem Gegner zuerst noch »feindlich« nachgeblickt, dann bei dessen Worten: »wenn Se damit kommn« sich brüsk von ihm abgewandt und nach einem »vernichtenden« Blick auf sein Bild bis ganz in den Vordergrund rechts getreten war, von wo er mit dem Rücken gegen die beiden andern wütend vor sich in den ersten Raum starrte; mit einem Ruck nach ihm zurückgedreht.
Würden Sie ...? ... Musmann wieder verschwunden.
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
scharf nach ihm rüber.

Wat ick würde, kommt hier nich in Frage! ... Ick würde Zugleich nach dem Ausschnitt und dem Bilde hin. mir so ne Mottn erst jahnich in Kopp setzn! ... Wieder, wie zu seiner »Hilfsfreundin«, zu Beatrice. Det n jemalter Baum keen jewachsner is ... mein Jott!

HOLLRIEDER
nach dem Vorderraum halb wieder zurückgedreht, dabei Blick nach Beatrice.
Alles oder nichts! Nicht die Hand mehr rühr ich!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
mit der entsprechenden Geste nach dem Bild hin.
Nachdem man Ihn jestern erst ...? ...
HOLLRIEDER
ihn nicht anblickend.
Bitte, sagen Sie jenem Herrn, ich nehme sein Gebot an!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
brüsk; dabei zornig ein paar Schritte nach rechts und wieder zurück.
Det sagn Se ihm man alleene! ...
HOLLRIEDER
sich nach links zu in Bewegung setzend; andrer, entsprechender Tonfall.

Hat man sich zermürbt und gequält, hat man alles ... alles hingegeben und geopfert, hat man nicht mal die geringsten Freuden gehabt ... Ganz vorne links, beiden abgewandt, stehngeblieben.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
hinter seinem Sitzblock.
Und det Verjnüjn, det Ihn Ihre Arbeit immer selbst jemacht hat? ... Det zähln Se wohl nich?
[210]
HOLLRIEDER
wieder zurückgedreht und nach rechts; erbittertste Ironie.

»Vergnügen«! ... »Vergnügen«!! Dieses beneidenswerte Gefühl, daß sich für einen Augenblick der Strick lockert, von dem man weiß, daß er einem schon im nächsten wieder ... Vorn rechts stehngeblieben. die Kehle zudrücken wird!

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
achselzuckend; Hände im gestreiften Beinkleid.

Cha! ... For umsonst wischt sich nich nachher jeder Hans ...Schneller Blick nach Beatrice rüber; sich mit Rücksicht auf sie noch flink verbessernd. jeder Hans Dämlack de Neese an Ihn ab!

HOLLRIEDER
wieder nach links.

Die sogenannte ... »Entwicklung« weiterschieben! Sich das Gehirn ... aus dem Schädel schinden! »Kunst«-werke fabrizieren! Er Mitte vorn stehngeblieben; einmaliges kurzes, grimmiges, Auflachen. Hä! Dann sofort wieder weiter.

DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
wieder etwas nach rechts und zurück.

Dazu sind wir doch noch jrade jut jenuch! ... Von neuem halb zu Beatrice. Ich möchte wissn, wat der sonst wollte!

HOLLRIEDER
ganz links, scharf zu ihm umgedreht.
Leben!! ...
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
um den Sitzblock herum auf ihn zu; einige Schritte vor ihm stehngeblieben.

»Leben«?? ... Sie?? Nachdem Se nu Nach dem Bild hin. uff diese Weise schon länger als zehn Jahre nischt jetan habn, als det Se in een wech mit m Kopp jejn de Wand jerannt sind? ... Nach rechts. Lassn Se man? ... Sich einen Moment nach ihm zurückdrehend und dann sofort weiter. Det könn Sie nich mehr, und det kann ick nich mehr! ... Det habn wir überhaupt alle beede nie jekonnt!

HOLLRIEDER
noch an seinem Platz vorn links; ihm nachblickend; immer verbißner.
Dann werde ich für meinen Teil es jetzt eben noch lernen!
DER PRÄSIDENT DER SEZESSION
zorniger Lachlaut; von ganz rechts wieder nach links.

Det versuchn Se man! ... Witt n scheenet Jemiese wern! ... Nee! ... N kleen Piepvogl ham wir alle! Ick schon überhaupt! Aber so een ... Erneut zu Beatrice, von der nicht unweit er stehnbleibt; sich dabei zerstreut nach der Tasche fühlend. Und meine Rede hab ich nu ooch bald zu haltn! ... Wo isse dnn? ... Das Manuskript wieder zurückgleiten lassend. Alles wat recht is, aber damit kann k mir nu nich länger mehr uffhaltn! ... Nach einem letzten »väterlichen« Zornblick auf Hollrieder, zu Beatrice. Dem [211] setzn Se man dn Kopp zurecht! ...Ärgerlich durch den letzten Raum nach rechts ab.

HOLLRIEDER
nach einer kurzen Pause zu Beatrice, die sich noch nicht von der Stelle gerührt hat; mit gemachter Kälte, so sehr auch noch alles in ihm »kocht«.
Falls Sie für Ihre Reise noch ... Vorbereitungen zu treffen haben? Sie werden sich verspäten! ...
BEATRICE
zwei kleine Schritte auf ihn zu; in der Stimme eine bei ihr seltsame Weichheit.
So ... wollen Sie, daß ich ... von Ihnen gehe?
HOLLRIEDER
der sie nicht angeblickt hat; achselzuckend.
BEATRICE
im gleichen Tonfall.
Warum sollten wir nicht wenigstens ... als gute Freunde scheiden?
HOLLRIEDER
der vor sich in die Luft blickt.
Gewiß! Warum nicht? ... Kopfbewegung nach ihr hin. Können wir ja!
BEATRICE
mit offnen, leicht erhobnen fast bettelnden Händen.
Also nicht einmal das!
HOLLRIEDER
nach einem kurzen Blick auf sie; »kühl«.
Nein.
BEATRICE
nach einer kleinen Pause; eindringlich.
Ihr Werk hält alles ... was Sie sich von ihm versprochen haben.
HOLLRIEDER
nach rechts an ihr vorbei; scheinbar zerstreut die übrigen Stücke musternd, sein eignes Bild immer vermeidend.

So! ... Hm! ... Na ja! ... Da schein ich mir ja dann also nicht allzuviel von ihm versprochen zu haben.

BEATRICE
nach einer erneuten kleinen Pause; Hollrieder rechts vorn stehngeblieben; Beatrice bis vor den Sitzblock; mit letztem Zureden.

Sie haben sich ... diese letzten drei Monate ... zu sehr überarbeitet! Sie werden vielleicht schon morgen ... oder doch wenigstens ... hoffentlich einigen Tagen ...

HOLLRIEDER
halb nach ihr hingedreht.
Interessiert Sie das noch?
BEATRICE
zögernd; halb schon wie ein Geständnis.
Vielleicht ... bin ich ... mit schuld daran, daß Sie jetzt in dieser Verzweiflung sind.
HOLLRIEDER
wieder wie vorhin.

»Verzweiflung«? ... Sich auf den Ausschnitt zu, den er dabei anblickt, in Bewegung setzend. Ich habe mich nie wohler befunden!

BEATRICE
die ihm nachblickt, stumm.
HOLLRIEDER
scharf umbiegend und hinten um den Sitzblock herum.

Es kann für jeden nur gesund sein, wenn er von seinen Illusionen geheilt wird! ... Da Beatrice auch jetzt noch schweigt. Von seinen[212] Illusionen über sich und ... Links in der vorderen Linie des Sitzblocks stehngeblieben; mit einem Blick nach ihr; unwillkürlich die Stimme sinken lassend. über andre.

BEATRICE
nach einem letzten Zaudern; mit plötzlicher Entschlossenheit; trotzdem noch stockend; zu ihm hingewandt.
Und wenn ich nun ... bliebe?
HOLLRIEDER
steht starr und sieht sie an; schwer.
Jetzt?? ... Nach dieser ... Zorniger Blick nach Ausschnitt und Bild hin. Niederlage?!
BEATRICE
bestimmt.
Ich bleibe.
HOLLRIEDER
wie vorhin.
Sie ... wollten ...? ...
BEATRICE
fest.
Ich bleibe!
HOLLRIEDER
nach einer kurzen Pause; wieder hinten um den Sitzblock rum nach rechts; bitter.

Um den Gebrochnen zu trösten! Um den Geschundnen in Watte zu wickeln! Danke! ... Nach Beatrice dabei nicht hinblickend. Ich kann ... dieses Opfer nicht annehmen! ... Ganz rechts wieder in der vorderen Linie des Sitzblocks stehngeblieben und nach ihr hin. Ich wills nicht.

BEATRICE
ihn voll anblickend.
Es ist kein Opfer!
HOLLRIEDER
steht da und starrt sie, wie noch immer im Zweifel, groß an.
BEATRICE
von neuem.

Und selbst ... wenns eins wäre! ... Den Blick zu Boden; etwas leiser. Da ich es Ihnen doch ... bringen will?

HOLLRIEDER
nach einem letzten, kurzen Kampf mit sich; sie immer noch dabei ansehend; langsam.

Ich stellte gestern ... eine Frage an Sie ... Im Türrahmen rechts wieder Musmann. Darf ich sie jetzt ... wiederholen?

BEATRICE
seinem Blick ausweichend, wie in die Ferne zur Seite sehend.
Ich habe Ihnen bereits ... geantwortet.
HOLLRIEDER
stirnrunzelnd.

Sie wollen mir das Geheimnis ... das sich hinter Ihrer leidenschaftlichen Anklage gestern barg ... nicht aufdecken?

BEATRICE
nach einer kurzen Pause; ihn offen anblickend; mit einem, leichten, fast frohen Klang in der Stimme.

Wozu? ... Wir sind frei! Uns bindet beide nichts! ... Und ich will nicht ... daß wir diese Freiheit ... jemals aufgeben!

HOLLRIEDER
einen kleinen Schritt zurückgetreten; wie mit sich im unklaren, ob er den Sinn ihrer Worte wirklich voll erfaßt und verstanden hat.
Soll das ... heißen ...
[213]
BEATRICE
warm.
Das soll heißen, Sie sollen sich an mich nicht gefesselt fühlen! Sie gehören nur sich und der Kunst!
HOLLRIEDER
kurzer, verzweifelter, höhnischer Lachlaut; mit einem erneuten Blick nach dem Ausschnitt.
BEATRICE
fest-überzeugt.

So erbittert Sie sich jetzt auch von ihr abwenden ... irgendwie ... werden Sie wieder zu ihr zurückfinden! Ich will in Ihrem Leben ... Die Stimme sinken lassend. nur eine Episode gewesen sein!

HOLLRIEDER
sie qualvoll anblickend; schwer; dunkel.
Jener ... Dinge wegen!
BEATRICE
einen Schritt auf ihn zu; flehend.
Lassen Sie ... sie ruhn!
HOLLRIEDER
finster; wie bitter vor sich nickend.
BEATRICE
wieder von dem, was sie sagt, ganz durchdrungen.

Klagte ich mich einer Schuld an ... einer wahrhaften, wirklichen ... vor mir ... und meinem Gewissen ... ich würde es Ihnen bekennen!

HOLLRIEDER
sie forschend anblickend.
BEATRICE
noch einen weiteren Schritt auf ihn zu; letzte Eindringlichkeit.
Glauben Sie mir!
HOLLRIEDER
sich unwillkürlich etwas höher reckend; langsam; jedes Wort betont.
Das ist ... wahr?
BEATRICE
seinen Blick erwidernd.

Ich wäre Ihnen sonst überhaupt nie ... unter die Augen getreten! Und ich hätte jetzt sicher nicht den Mut ...

HOLLRIEDER
vor sich hinstarrend, die linke Hand vor der Stirn.
Mir ist das alles ...
BEATRICE
flehendst.

Machen Sie es mir nicht so schwer! ... Ich stehe ja hier und ... bettle! ...Wärmst; eindringlichst; seinen Blick suchend. Vielleicht ist nichts in der Welt ... wert, daß man sich seinetwegen ... um den Augenblick betrügt!

HOLLRIEDER
sich innerlich noch immer zornig dagegen zur Wehr setzend.
Um den ... Augenblick! ...
BEATRICE
noch gesteigerter.

Sie haben ihm noch nie ... gelebt! ... Sondern immer nur ... jener fernen Zukunft ... die dieses bißchen Gegenwart ... mal so sehn soll ... wie Sie sie gesehn haben!

HOLLRIEDER
sie wieder anblickend; schmerzlichst zerquält.
Ich habe ... überhaupt noch nicht ... gelebt!
BEATRICE
fest.
Sie werden Ihr Höchstes ... nur erreichen ... wenn Sie sich mal ganz ... dem Augenblick geben!
[214]
HOLLRIEDER
nach einigen Sekunden, in seiner Stimme noch Schmerz und Qual.

Dem ... Augenblick! Von ihr nach dem Ausschnitt blickend; dann plötzlich hart; mit letztem Entschluß; sie wieder anblickend. Ja! ... Mit ausgestreckten Händen auf sie zu. Ja!! ...

BEATRICE
seine Hände ergreifend; mit heimlich zitterndem Jubel in der Stimme.
Leben! Leben!! Alles übrige ...
HOLLRIEDER
beide blicken sich in die Augen; zum erstenmal letzte, hellste Freude auch in seiner Stimme.
Du hast ... recht!

Vorhang.

4. Akt

[215] Vierter Akt

Atelier Hollrieders. Wie im zweiten Akt. Der aufgeräumte Maltisch sowie der Tritt in die rechte hintere Ecke gerückt. Auf der Staffelei, die mit einer bunten Umkränzung von Frühlingsblumen geschmückt ist, statt des bisherigen Riesenbildes ein bereits gerahmtes, sehr erheblich kleineres und auf dem Tisch in einer tiefblauen Schale ein großer Butterblumentuff. Der Vorhang vor der Tür links etwas zur Seite geschoben. Die Tür nach dem Balkon weit auf, draußen strahlend sonnenblauer Himmel. Am Kalender 1. Mai. Solange die Balkontür offen steht, ab und zu entsprechende ferne und nähere Außenlaute.

MUSMANN
wie im dritten Akt, aber ohne Zylinder; verstört vor dem Bild, das er zurechtrückt, wie um dessen Wirkung zu prüfen; mit den bei ihm in erregten Zuständen üblichen Halsverdrehungen und mit zuckenden Mundwinkeln; nach einer kleinen Pause, durch die gedämpftes Summen der Großstadt tönt.

Das wird ihn doch ... freuen! ... Wenn er jetzt alles ... Nach den Bildern hoch. aufsteckt ... dann ist der Weg ... für mich frei! Dann ... Wieder nach der Staffelei. Ich bin ihm ja ... so dankbar! ... Sich irr umblickend. Wenn er mir jetzt bloß ... verzeiht! Ich ... kann ja doch nichts dafür! Ich ... Auf dem stehngebliebenen Schemel zusammenknickend. Bloß nicht verrückt werden! Leiser; jämmerlich vor sich hin. Bloß nicht ... verrückt werden! ... Das Summen der Großstadt wieder stärker; von draußen her feste Schritte, dann ein Klopfen an eine Tür.

HOLLRIEDER
noch draußen vor Urls Kammer, an die er nochmals, und diesmal stärker, mit der Faust stößt.

Du! ... Url! ... Seine Stimme zum erstenmal aufgeräumt, fast freudig. Ich bins! ... Geklink eines Drückers. Bist du nicht da? ... M! ... In die Tür rechts wird ein Schlüssel geschoben, die Tür geht auf, und Hollrieder im Überrock und Zylinder, die Schlüssel noch in der Hand, steht da und sieht Musmann, der verwirrt aufgesprungen ist, verdutzt an; hat zugleich den Tuff auf dem Tisch und die bekränzte Staffelei erblickt. Wer hat dich hier reingelassen?

[216]
MUSMANN
der vor Erregung kaum sprechen kann.
Als ich vorhin ... zurückkam ...
HOLLRIEDER
die Tür hinter sich schließend; hängt den Überrock neben die Tür an den Haken, an dem bereits sein Hut hängt, und deponiert auf dem kaminartigen Vorsprung des Gasofens seinen Zylinder; währenddem.
»Zurückkam«? ... Du warst doch nicht etwa eben ... auch in der Ausstellung?
MUSMANN
durch den Ton Hollrieders sofort wieder gekränkt; sich zur Wehr setzend.

Ich hatte dasselbe ... Recht! ... Da Hollrieder schweigt. Vielleicht hat man mich sogar ... ohne daß ich erst, wie du ... um die Erlaubnis gebeten, mit reingenommen!

HOLLRIEDER
einige Schritte näher auf ihn zugetreten; die Stirn leicht gekraust.
Als du also wieder zurückkamst?
MUSMANN.

Da war hier ... so n Gärtner da. Wahrscheinlich ... Nach den Blumen hin. Ob das nun ... Url so, oder ... Hollrieder halb lauernd dabei ansehend. Ich weiß nicht.

HOLLRIEDER
der sich nicht vom Platz gerührt hat; nach der Staffelei hin; kurz.
Was ist das für n Bild?
MUSMANN
wie auf einer Schandtat ertappt; dann aber doch erwartungsvoll.
Unsre ... »Kameraden«.
HOLLRIEDER
auf seinem Platz wie vorhin; schneller Blick nach dem Bild rüber, dann sofort wieder zu Musmann; mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Unsre ...«
MUSMANN
ohnmächtig abwälzende Bewegung mit seiner zu einer Art Kralle gekrümmten Linken.
Nu ... laß doch schon! Laß!
HOLLRIEDER
schon etwas herabgemindert.
»Laß«?
MUSMANN
froh, seine Seele endlich erleichtern zu können; zuerst noch etwas »maikäfernd«.
Ich ... du hast den ganzen ... Kitsch gemacht! Du! Du! Und ... ich hab überhaupt bloß ...
HOLLRIEDER
vollkommen ruhig, seinen Satz ihm beendend.

Bloß meine Figur gemalt. Oder mein Porträt. Wie du willst. Mit fester Bestimmtheit. Weil es mir zu stupide und zu saudumm vorkam ...

MUSMANN
verächtlich wegwerfende Bewegung mit der Rechten.
Pftt!
HOLLRIEDER
mit der gleichen Ruhe; seinen Satz schließend.

Mich selbst, dem Spiegel pratschig vis-a-vis, als mein eignes Modell hinzupatzen! ... Pose bleibt Pose!

MUSMANN
geduckt-wehmütig; nach dem Bild hin.

Wenn du dir ... das [217] Ding jetzt wieder ... Scheuer Blick an den Wänden hoch. aufhängen willst? ... Es stand grade ... die Tür auf, und da ... Eine fern vorüberpassierende Elektrische.

HOLLRIEDER
der ihn nicht aus den Augen gelassen; während Musmann ihn zuletzt kaum noch anzusehn gewagt hat.

Du siehst also jetzt deinen ganzen ... Unverstand ein? ... Musmann stumm. Wie lächerlich du dich und mich ... gequält hast? ... Bis du dich dann schließlich ... in einer Weise erniedrigtest ...

MUSMANN
fast heulend.
Ich ... wußte ja nicht ... was ich dir damit ... tat! Ich ...
HOLLRIEDER
jetzt endlich auf ihn zu.

Also gut, gut. Ihm die Hand hinreichend. Probieren wirs nochmal! ... Nachdem er sich etwas nach vorn links gewandt; sich nochmal zu ihm zurückdrehend und warnend mit dem Finger drohend. Vorausgesetzt natürlich ...

MUSMANN
dessen Augen sich vergrößern; andrer Tonfall.

Ich habe alles ... von euch gehört! Ich ... verstehe mich jetzt gar nicht mehr! Ich ... war ja ...Schaudernd. wahnsinnig! ...

HOLLRIEDER
durch diese Eröffnung Musmanns gegen seinen Willen wieder verstimmt.
Du warst in einem der Säle nebenan?
MUSMANN
durch diesen Ton, aus dem fast die alte Schärfe klingt, wieder bis in sein letztes Innre getroffen; steht auf einmal wieder da, als ob er gespannt auf etwas horcht, und antwortet nicht.
HOLLRIEDER.
Was ist dir?
MUSMANN
noch in derselben Haltung; mit zuckendem Gesicht.

Nichts! Sich geduckt langsam wie nach etwas umsehend; groteske Bewegung mit der Rechten, wie im dritten Akt, dann plötzlich ganz veränderter Tonfall; wieder die alte Tücke. Du wirst jetzt nicht mehr ... malen? Wieder stärker das Brausen der Großstadt; eine andre Elektrische.

HOLLRIEDER
sich mit einem schweren Seufzer nach dem Tisch zu abwendend, wieder stehnbleibend und nach seiner Uhr sehend; ihm gar nicht antwortend; die Uhr wieder einsteckend; unruhig um den Tisch herum.
MUSMANN
der ihn mißtrauisch beobachtet hat.
Oder isses dir ... schon wieder leid?
HOLLRIEDER.
Sei unbesorgt. Ich werde dir nicht mehr ins Handwerk pfuschen.
MUSMANN
Wie geistesabwesend vor sich hin.

Nicht mehr ... malen! ... [218] An allem ... wie blind vorbei! ... Nicht mehr ... Zu den Wänden aufblickend. Künstler sein wollen! Das ist ja ... nicht möglich! Das ...

HOLLRIEDER
in der offenen Balkontür; mit dem Rücken gegen Musmann; in die Sonne draußen blickend.
Abwarten!
MUSMANN.
Hast du ... mein Bild gesehn?
HOLLRIEDER.
Ja. Aber nun geh.
MUSMANN.
Wie hat dir ... der Schnee gefallen?
HOLLRIEDER.
Ich möchte nicht, daß ... wenn nachher Url kommt, und außerdem ...
MUSMANN
fast atemlos.
Du sagst nichts?
HOLLRIEDER
noch immer von ihm abgewandt; in seiner Stimme eine leichte Ungeduld.

Ich habs dir schon ixmal gesagt. Du hast noch nie welchen gesehn! Für solche Dinge muß man wie ich aus dem bittersten Nordnordosten sein! Nach einigen Sekunden. Auch n Vergnügen! ... Dafür verstehst du die Maisonne besser! ... Draußen zwitschernde Spatzen.

MUSMANN
über sich selbst erbittert; hilflos vor sich hin.

Die Maisonne! ... Die ... Maisonne! ... Nie einen ... erreichen! Nie ... Abbrechend; scheu nach Hollrieder hin; wie ihn aushorchen wollend; angstvoll. Könntest du s ... ertragen ... wenn du wüßtest ... daß einer ... größer ist, als du?

HOLLRIEDER
halb nach ihm zurück; verblüfft; dann trotz des Ernstes der Situation einen Augenblick fast amüsiert; kurz; kräftig.
Mm-nee! ... Von neuem auf die Straße blickend.
MUSMANN
nachdem er einmal heftig mit dem Hals geruckt; erwartungsvolle Neugier; neue, beginnende, leise Unruhe.

Was wirste denn ... nu anfangen? ... Du mußt doch ... n Plan haben? ... Wieder besorgt; beinahe angstvoll. Du tust nichts ... ohne Absicht!

HOLLRIEDER
sich wieder zurückdrehend.

Früher mal! Man fühlt, wie er mit seinem momentanen Zustand, trotz seiner gegenteiligen Versicherung, nichts weniger als zufrieden ist. Als ich noch derselbe Hammel war, der du noch jetzt bist!

MUSMANN
ihn bösartig anfunkelnd.
HOLLRIEDER
auf ihn gar nicht achtend; an dem Butterblumentuff vorbei, auf den er einen Blick wirft, seinen Gang nach links wieder aufnehmend; [219] mit dem Versuch, sich mehr und mehr von sich selbst zu befreien.
Ein Mensch, der über die nächsten fünf Minuten raus denkt, ist für mich ein Narr! ... Kinderstimmen.
MUSMANN.
Du wirst jetzt ... wohl wieder ... Bildhauer werden?
HOLLRIEDER.
Bildhauer, Kaiser von China, Kunstkaufmann wie Url ...
MUSMANN
fast zurückgeprallt.
Wie ... wie ... Url? ...
HOLLRIEDER
ärgerlich, daß er sich verplappert hat.
Na ja ... oder wie sonst wer!
MUSMANN.
Du willst mich ... bloß einlullen! Du ... denkst gar nicht so!
HOLLRIEDER
durch die Zähne.
Un-ver-besserlich!
MUSMANN.
Ich soll mir bloß ... keine Mühe mehr geben! ... Du denkst ... durch deine Suggestion ...
HOLLRIEDER
im Vordergrund links, von ihm abgewandt, einen Augenblick stehnbleibend, mit Gewalt sich zusammennehmend, um nicht loszubrechen.
Machst du einen mürbe! ... Nach rechts rüber weiter.
MUSMANN.

Ich ... lasse mir nichts ... suggerieren! ... So ... schlau du s auch ... anfängst! Höhnisch. Wenn du glaubst, daß ich mir einbilde, die Malerei ...

HOLLRIEDER
mit dessen Selbstbeherrschung es jetzt fast zu Ende ist.

Glaube du ... deinen Glauben ... und laß mir meinen! Wieder nach seiner Uhr sehend; eine dritte Elektrische.

MUSMANN
lauernd.
Du jlupst ja immer so ... nach der Uhr? ... Du erwartest wohl wen?
HOLLRIEDER.
Das geht dich an!
MUSMANN
hämisch losplatzend.
Tchchch ...! ...
HOLLRIEDER
vorn rechts stehngeblieben; ihn verwundert mißbilligend musternd.
Was hast du schon wieder?
MUSMANN
perfid grinsend; nach seinem Schlips greifend.
Meine Krawatte sitzt schief.
HOLLRIEDER
der diese Anspielung natürlich nicht verstanden hat; kurz; seinen Gang nach links wieder aufnehmend.
Dann rück sie grade!
MUSMANN
durch diesen Ton für einen Moment wieder wie verwandelt; mit haßerfüllten Zügen, wie zu einem nur ihm sichtbaren Phantom neben sich; gedämpft.
Du ... Luder!
HOLLRIEDER
wieder stehngeblieben und ihn einen Moment lang scharf anblickend; dann sehr deutliche Kopfbewegung nach der Tür rechts.
Hast du mich vorhin nicht verstanden?
[220]
MUSMANN.
Du ziehst schon wieder ... andre Saiten auf!
HOLLRIEDER.

Und ich werde noch ganz andre aufziehn, wenn du dich nicht endlich ... Wieder stehnbleibend; von der Straße herauf laute Stimmen.

MUSMANN
mit verzerrten Zügen neben den Kranz getreten, an dessen Blüten er jetzt zupft; wieder mit den üblichen Halsverdrehungen.

Sogar ...Dieses Wort ganz besonders durch die Zähne. Himmelsschlüsselbliemchen! Mit einem hämischen Schielblick nach dem Tuff auf dem Tisch; zugleich mit dem Finger zeigend; grinsend. Kiek! ... Deine Lieblingsblumen! Den nicht zu lang gezogenen Brüllaut einer Kuh karikierend. Muuh! ...

HOLLRIEDER
noch immer an seiner selben Stelle; scharf.
Halt deinen ... Schnabel! ...
MUSMANN
in ohnmächtiger Wut noch einen Augenblick zaudernd, dann mit einem Ruck einen Teil der Bekränzung runterreißend.
Rrrritt! ...
HOLLRIEDER
mit einem Sprung neben ihm.
Du machst das sofort wieder an!
MUSMANN
mit zusammengepreßten Zähnen, die Hände geballt, den am Boden liegenden Girlandenfetzen anstierend; dabei schwer pustend und fauchend.
Phhh! ... Phhh! ... Phhh! ... Phhh! ...
HOLLRIEDER.
Wirds?
MUSMANN
ihn anstierend; vor Haß fast zitternd; an seine Stelle wie gebannt.
HOLLRIEDER.
Eins?! ...
MUSMANN
vor sich und der Art Rache, die er an Hollrieder jetzt nehmen will, noch zurückschreckend.
... Duuh ...?! ... Fernes Pfeifen der Verbindungsbahn.
HOLLRIEDER.
Zwei?! ...
MUSMANN
jetzt nicht länger mehr zurückhaltend.
Ich weiß ... wo dein Freund Url ist!
HOLLRIEDER
zurückgezuckt; ihn anstarrend.
MUSMANN
in sich sättigendem Triumph.
Bei deinem ... Herrn Schwiegerpapa!
HOLLRIEDER
wie unter einem erhaltenen Schlag zurückgeprallt.

Url? Nach einem kurzen Augenblick; nochmal; mit starker, fragender Stimme, aus der es fast wie Entsetzen klingt. Url?? ...

[221]
MUSMANN
wie vorhin; nur noch gesteigert.
Bei deinem ehemaligen ... Konkurrenten! ...
HOLLRIEDER
als ob er sich auf ihn stürzen wollte; mit ganzer Gewalt sich zurückhaltend.
MUSMANN.
Jetzt, hehe ... jetzt ... weißte wohl ... warum se dich nich ... heiraten will?! ...
HOLLRIEDER
wie gelähmt.
MUSMANN.
Ein ... saubrer ... Herr ... der ... »Herr Professor«! ...
HOLLRIEDER
ihn noch immer anstarrend; zuerst fast tonlos; dann sich schnell steigernd.
Das ist nicht wahr! ... Du schwindelst!! ... Du phantasierst!!!
MUSMANN
schadenfroh in sich hineinkichernd.

Die »Jungfrau« ... die den ... »Drachen« tötet! ...Dummhärig, als ob da ja allerdings weiter »nichts dran« wäre. Na ja! Beidemal »a« kurz.

HOLLRIEDER
seiner kaum noch mächtig.
Noch eine Silbe ...
MUSMANN
geduckt; mit gespitzten Ohren plötzlich nach der Tür rechts horchend; man hört das Knarren einer Treppe, sich nähernde Schritte und die Stimme Urls.
URL
noch unsichtbar; verbindlich.
Gewiß, Herr Professor.
LIPSIUS
ebenfalls noch unsichtbar.
Also abgemacht! ...
MUSMANN.
Da ... kommen ... die vereinten Herren ... ja schon!
URL
draußen.

Hollrieder steht da, wie versteinert; den Blick auf die Tür geheftet. Url mit einem Schlüssel seine Kammer aufschließend. Wenn Sie die Güte haben wollen ...

LIPSIUS.
Danke. Beide treten in die Kammer ein, und man hört, wie die Tür sich wieder schließt.
MUSMANN
der, wie Hollrieder, atemlos gelauscht hat; schadenfroh grinsend.
Das ist »nicht wahr«! ... Du »schwindelst«! ... Du »phantasierst«! ...
HOLLRIEDER
wieder nach ihm zurückgedreht, einen Augenblick fast wie gebrochen.
Woher hast du das ... Stockend. gewußt?
MUSMANN
sich an ihm weidend.

Ich kenn einen ... der sich für ... furchtbar klug hält! ... So klug! ... Oh! ... Und dabei ... Den Kopf wie blöde vorgestreckt, den Unterkiefer vorgeschoben. ganz dumm isser! ... Ganz dumm! ... Buh! ...

HOLLRIEDER
der zornig auf ihn zugegangen ist und ihn mit der Rechten am [222] rechten Handgelenk gepackt hält; wieder wie sonst; nur noch nachdrücklicher.
Antworte!
MUSMANN
geduckt; Hollrieder in ohnmächtigem Ringen mit sich selbst.

Du denkst wohl ... weil du ... der Stärkre bist! ... Man hört, wie draußen die Kammertür sich wieder öffnet.

HOLLRIEDER
Musmann schleunigst nach der Tür links drängend; gedämpft.
Hinten über den Hof! ... Schnell!
MUSMANN
sich sträubend, unwillkürlich aber auch gedämpft.
Ich ... will doch aber ...
HOLLRIEDER
unterdrückt heftig; ihn durch die Tür schiebend, die er mit der Linken selbst geöffnet hat.
Trapp!
MUSMANN.
Seh ... weinebande ... Nachbrummelnd. verfluchte ... Ab.
URL
nachdem das letzte sich rapid abgespielt hat, leise anklopfend.
HOLLRIEDER
nach einem schnellen Blick auf die Tür rechts; flink die Girlande ordnend; sich mit aller Kraft zusammennehmend; Urls Klopfen absichtlich überhörend; bis von links deutlich die Hintertür geklappt hat, und dann erst noch die Balkontür schließend.
URL
klopft nochmal; etwas bestimmter.
HOLLRIEDER.
Wer ist da?
URL
eingetreten und die Tür hinter sich schließend; Kleidung wie in den andern Akten, nur ganz besonders künstlerisch elegante Weste und entsprechendes Plastron, Halblackstiefel; sich etwas verwundernd umblickend.
Da war doch jemand?
HOLLRIEDER
noch unweit der Balkontür; kurz; nach der Tür links.
Wenn du dich überzeugen willst ...
URL
in seiner feinen, vornehmen Weise leicht abwehrend.

Aber ich bitte dich. Erst jetzt nähertretend; nach dem Bild hin auf der Staffelei. Was ist denn das da?

HOLLRIEDER
trotzdem alles in ihm noch in Aufruhr ist; wie auf etwas absolut Gleichgültiges; markiert leger hinten um den Tisch herum.
N kleiner Scherz Musmanns.
URL
vor dem Bild; mit einem besorgt fragenden Blick auf Hollrieder.
Er versucht es jetzt wieder ... sich an dich heranzuzudrängeln?
HOLLRIEDER
trocken.
Scheint so.
URL.
Du tust mir den Gefallen und gibst mir das bindende Versprechen ...
[223]
HOLLRIEDER
sich in den Sessel links plazierend, der etwas nach vorn neben dem Tisch steht; zurückgelehnt, den rechten Knöchel übers linke Knie.
Überflüssig!
URL
befremdeter Blick.
HOLLRIEDER
der seinen Blick aufgefangen; zuerst gemacht obenhin, dann energisch.

Wenn dich kein weitrer Kummer drückt ... die Sorge kann ich dir abnehmen ... Ich war mit ihm fertig schon damals und bin s jetzt erst recht!

URL
eindringlich; rechte Hand auf der Lehne des Sessels rechts.
Ich darf mich ... absolut drauf verlassen?
HOLLRIEDER.
Absolut.
URL
sich nochmals vergewissernd.

Ich habe also dein Wort! Ich reise jetzt, und du läßt dich ... in keiner Weise mehr mit ihm ein! ... Da Hollrieder hierauf nicht mehr geantwortet. Hörst du? ... In keiner! ... Was er dir auch vorschwatzt!

HOLLRIEDER
ihn plötzlich scharf ansehend.
Ist das alles?
URL
durch seinen Tonfall betroffen; nach der Umkränzung und den Blumen hin.
Du hast mir die bunten Dingerchen da ... doch nicht übelgenommen?
HOLLRIEDER
noch immer vollständig zugeknöpft; aber jetzt doch mit einem leisen Akzent in der Stimme, aus dem es wie eine ferne Anerkennung und Dankbarkeit klingt.
Ganz und gar nicht! ...
URL
dem man anmerkt, wie schwer es ihm fällt, mit dem, was er Hollrieder jetzt gern eröffnen möchte, rauszurücken.

Nach der Mitte der Bühne, sich nach ihm zurückdrehend. ...Du warst ... in der Sezession. Da Hollrieder, jetzt von ihm wegblickend, darauf schweigt. Bist du schon ... lange zurück?

HOLLRIEDER
ihn absichtlich dabei wieder nicht anblickend.
So ziemlich.
URL
von ihm weg; noch weiter nach rechts; von neuem anfangend; im Grunde immer unsicherer.
Es tat mir außerordentlich leid ...
HOLLRIEDER
der ihm wieder nachgeblickt.
Da du eine so außerordentlich wichtige Abhaltung hattest ...
URL
zu ihm zurückgedreht; mit erst jetzt in ihm auftauchender, nachträglicher Besorgnis.
Du warst mit deinem Bilde ... doch hoffentlich zufrieden?!
HOLLRIEDER
scheinbar gleichgültiges Achselzucken; Geste, als sei es gar nicht der Mühe wert, darauf zurückzukommen.
[224]
URL
dadurch vollkommen beruhigt.

Na! ... Gott sei Dank! ... Selbstverständlich! ... Wär ja auch noch schöner! ... Da Hollrieder noch immer stumm bleibt; wieder von ihm weg. Und du hast sie ... getroffen?

HOLLRIEDER
auf diese Frage, die Url, namentlich aber ihr letztes Wort, nur sehr zögernd vorgebracht; schnell erwidernd; mit deutlich durchklingender bissiger Ironie.
Woher weißt du das?
URL
auf diese direkte Frage nicht gefaßt gewesen; wieder zurückgedreht; perplex.
HOLLRIEDER.
Da du sie doch unmöglich schon gesehn haben kannst!
URL
ausweichend.
Ich hätte es allerdings ... für besser gehalten ...
HOLLRIEDER.
Deine weise Fürsorge ist mir berichtet worden.
URL
mit dem Versuch, sich durch einen kühnen Ruck aus seiner Klemme zu reißen; Hollrieder voll anblickend.
Also nu laß uns mal offen reden!
HOLLRIEDER
von ihm weg nach der Decke zu blickend.
Darauf warte ich nur.
URL.

Um eins reisen wir. Damit mußt du dich abfinden! Du bist ein Mensch der Arbeit und wirst nicht lange müßiggehn.

HOLLRIEDER
ihn sich von der Seite besehend.
Das weißt du so genau.
URL
überzeugt.

Daß es für dich ... jetzt keinen Stillstand mehr gibt! Daß der beste Teil deiner Entwicklung ... noch vor dir liegt! Müssen wir andern mit unserm armseligen bißchen Leben schon fast permanent durch allerhand Prüfungen und Fegefeuer, ein Künstler wie du ...

HOLLRIEDER
aufstehend, abschneidend und in den Vordergrund links.

Lassen wir das! ... Das ist nicht der Zweck, zu dem du gekommen bist. Um diese allgemeinen ... Betrachtungen anzustellen ...

URL.

Allerdings nicht. Aber ... Um es dir also zu sagen! ... Ich habe es nicht über mich gewinnen können, dich zu verlassen, jetzt, wo du vielleicht überhaupt erst in deiner eigentlichsten Krisis steckst, ohne dir nicht wenigstens ...

HOLLRIEDER
der diese Verkhiusulierungen nicht länger aushält; noch gezügelt; vor dem Regal nach ihm hingedreht.
Also was, was? Kurz und bündig! ... Du siehst ja ... daß ich auf allerhand gefaßt bin!
URL
noch immer nicht mit der Tür ganz ins Haus fallend.

Ich [225] habe dir wenigstens ... Halb sich rechtfertigende Geste. und sei es einen auch noch so bescheidnen, kleinen Dienst erweisen wollen.

HOLLRIEDER.

Und der wäre? ... Da Url nicht gleich imstande ist, darauf zu antworten; wieder in seiner verbißnen Ironie; etwas nach dem Tisch zu. Du erlaubst doch, daß ich bis zu einem gewissen Grade ... sagen wir, darauf neugierig bin? ...

URL
zögernd; behutsam.
Ich weiß nicht recht ... wie ich dir das ... beibringen soll.
HOLLRIEDER
kalter, fast verächtlicher Blick zu Url rüber.
URL
ausholend.

Du hattest gestern ... nachdem ich mich ... in meinem Ärger ... natürlich gänzlich überflüssig, eingeschlossen hatte ... einen unvermuteten ... ganz überraschenden Besuch bekommen.

HOLLRIEDER
wieder zurück, ohne ihn anzublicken.

Auf den du aber, wie es schien, wunderbarerweise sehr wohl vorbereitet warst! Url, wie plötzlich ganz und gar von etwas überrumpelt, Hollrieder wortlos anstarrend; dieser wieder nach ihm hinblickend. Oder hattest du dich dort Kopfbewegung nach dem Balkon. nach jemand anderm umgesehn?

URL
erregt.

Durch das konfuse Gerede dieses ... Tölpels von ... Musmann; ich will ihn nicht wieder beschimpfen, aber ...

HOLLRIEDER
stehnbleibend.
Aber?
URL.
Ich hatte bloß das ganz allgemeine Gefühl ...
HOLLRIEDER
wieder noch weiter nach vorn.

Soso. Kaum noch imstande, seine wahre Stimmung zurückzuhalten. Also und was Mit einem plötzlichen energischen Ruck nach der Tür rechts. will nu der Herr?

URL
überrascht.
Du hast uns kommen hören?
HOLLRIEDER.
Das war doch deine Absicht.
URL.
Ich wollte dich natürlich ... bei deiner mir bekannten Explosivmanier ...
HOLLRIEDER
ganz vorn links nach ihm hingedreht; seine Stimme hat einen seltsamen Klang.
Führe den Herrn Professor herein!
URL
bestürzt.
...Du darfst nicht vergessen ...
HOLLRIEDER
von sich aus doppeldeutig.
Ich werde ihm nichts vergessen! ... Nichts!!
[226]
URL
eifrig.
Ihr müßt euch ganz unbedingt wieder versöhnen! ... Was euch auseinandergebracht hat ...
HOLLRIEDER
mit einem leisen Unterton von Verachtung in der Stimme.
Du hattest gestern so energisch zu »handeln« gedroht! Ist das jetzt deine große Tat!
URL
achselzuckend; fast wie ihn bemitleidend.

Eine »große Tat« von mir erübrigte sich, nachdem du dann ... mit deinem unsinnigen Vorhaben zu deinem eignen Glück so abgefallen warst.

HOLLRIEDER
ihn von der Seite messend; mit schon fast nicht mehr zurückgehaltnem Hohn.
Psychologe! ...
URL
einen kurzen Augenblick stutzend, dann von neuem.

Titulier mich, wie du willst, ich könnte nicht von hier fort, ich hätte keine ruhige Minute, wenn ihr euch jetzt nicht vernünftig ...

HOLLRIEDER.
Führe ihn herein!
URL.
Du sagst das mit einer Heftigkeit ...
HOLLRIEDER
sich niederzwingend; so ruhig, als es ihm im Augenblick möglich ist.
Also führ ihn herein.
URL
nach einigem Zaudern; ihm zu bedenken gebend.
Das entschieden beste wärs doch, wenn du ihn selbst ... Leis andeutende Geste nach der Tür.
HOLLRIEDER
mit Aufbietung seiner letzten Kräfte.
Liebster Url? ... Seine Augen sprühen. Überspann den Bogen nicht!
URL.
Jedenfalls du versprichst mir ...
HOLLRIEDER.
Ich verspreche gar nichts.
URL
mit einer leichten Geste nach der Kammer hin.
Ja, ich kann den Herrn Professor doch da unmöglich noch länger ...
HOLLRIEDER.
Willst du nun also endlich zu deinem Entschluß kommen? Ja oder nein?
URL
noch einen Augenblick zögernd; dann auf die Tür zu; gewissermaßen sich damit selbst beruhigend.

Du wirst ja sehn. Die Tür bleibt halb auf, und man hört, wie draußen die Tür zur Kammer geöffnet und wieder geschlossen wird.

HOLLRIEDER
mit dem, kaum daß Url den Raum verlassen hat, die erschreckendste Veränderung vor sich gegangen ist: sein Gesicht ist entstellt, seine Hände haben sich gekrampft; er ist, die Augen auf die halb offen gebliebene Tür, langsam bis gegen die vordere Mitte der Bühne gegangen, und man sieht ihm an, daß [227] er jetzt eigentlich am liebsten aufbrüllen möchte.
Statt dessen qualvollstes Gestöhn aus tiefster Brust.
LIPSIUS
noch draußen; nachdem die Kammertür wieder geöffnet worden ist; eine übertriebene Aufgeräumtheit in der Stimme.

O nein! Wenn es Ihre Zeit noch, erlaubt ... Sie stören durchaus nicht! Die Kammertür wird wieder geschlossen.

URL
ebenfalls noch draußen.
Danke sehr.
HOLLRIEDER
hat sich auf die ersten Laute, die er gehört hat, wieder zusammengerissen, ist rückwärts, die Augen immer auf die Tür, bis gegen den Tisch gegangen und steht nun, den Kopf vorgeduckt, Lipsius erwartend, mit beiden Händen sich rücklings auf die runde Platte stützend; durch die Zähne vor sich hin.
Jetzt bin ich ... neugierig! ...
LIPSIUS
Stock und Zylinder in der behandschuhten Rechten, im gleichen eleganten Überrock wie in der Sezession; hinter ihm Url, der die Tür schließt; aufgeräumt warmer Ton.

Also, lieber ...Bereits eine Nuance verdutzt. Ich bin untröstlich! ... Etwas vor der äußersten Kante der Staffelei; die Arme sinken lassend und fragend nach Url zurück, der, vor Hollrieders seltsamer Stellung ganz sprachlos, nicht weit von der Tür stehngeblieben ist. Ja, haben Sie ihm denn nicht mitgeteilt ...?

URL
in seiner Ratlosigkeit nicht recht wissend, wie er die Sache wieder einrenken soll.
Wir haben eben ...
LIPSIUS
der ihn erst gar nicht weitersprechen läßt, zu Hollrieder.
Ich komme, Ihnen doch schließlich ... abbitten!
HOLLRIEDER.
»Abbitten«? ... Was!
LIPSIUS
fast, als ob er das Atelier wieder verlassen wolle.
Wenn Sie aber natürlich ...
HOLLRIEDER.
Also »abbitten«. Ich höre.
LIPSIUS
nicht ganz sicher.
Ich habe Sie gestern ... schwer beleidigt.
HOLLRIEDER.
Und heute, als Sie mich vor der Ausstellung schnitten, zum zweitenmal!
LIPSIUS
verwunderter Blick zu Url rüber; Url: beschwörende Geste.
HOLLRIEDER.
Wollen Sie fortfahren!
LIPSIUS
wie im Zweifel, ob er an dieser Stelle nicht doch lieber die Unterredung bereits abbrechen solle.
Wenn ich nicht wüßte, daß Sie durch Ihre Arbeit ...
[228]
HOLLRIEDER
hart.

Von meiner Arbeit, die hinter mir liegt, reden wir hier nicht mehr! ... Das Zeug ist nicht die Leinwand wert, auf die es geschmiert ist!

URL
der in seiner ersten Überraschung nicht fähig gewesen, auch nur ein Wort rauszubringen, starrt Hollrieder vollständig verständnislos an; auch Lipsius, der von ihm zu Hollrieder blickt, steht wie angewurzelt; Url: endlich.
Du hast mir ... eben erst ...
HOLLRIEDER
scharf.
Nichts habe ich dir »eben erst«! ... Nichts!
LIPSIUS
dem erst jetzt die Sprache wiederkehrt.

Entweder ... Sie wollen uns hier düpieren, oder ...Zu Url, der noch ganz wie betäubt steht; erbittert. Ich hatte mir von dieser Unterredung ein andres Bild gemacht!

URL
aus seiner Erstarrung sich jetzt lösend; zu Hollrieder.
Ich begreife dich nicht!
HOLLRIEDER
zu Lipsius.

Ich »düpiere« nicht, Herr Professor! ... Weder Sie, noch ... Url mit einem schnellen Blick streifend. sonst jemand! ... Wenn Sie aber allerdings das beklemmende Gefühl haben, daß mein Freund Sie in eine Art Falle gelockt hat ...

LIPSIUS
der hochmütig abweisend ihn bis hierher angehört hat; zu Url; trotzdem aber an seiner Stelle bleibend.

Also ich geh. Ich muß gehn. Ebenfalls zu Url; scharf; dabei halb nach Hollrieder zurück. Schon aus Rücksicht auf Ihren Freund, Herr Hollrieder!

HOLLRIEDER
kalt.
Ich kann Sie nicht halten!
URL
in seiner Aufregung Lipsius, der jetzt endlich Miene zum Gehn macht, von weitem den Weg vertretend; hastig.

Ich ahne nicht, was mit Herrn Hollrieder vor sich gegangen ist, aber sind Sie ihm schon so weit entgegengekommen ...

LIPSIUS
der jetzt wieder zu bleiben bereit scheint.
Alles hat seine Grenzen.
URL
der unwillkürlich einige Schritte näher auf ihn zugetreten war, gedämpft.
Sie kennen ihn doch!
HOLLRIEDER.

Ich rette Ihnen als junger Bursche Ihr einziges Kind, und zehn Jahre später ist dann dafür Ihr Dank ... Vor innrem Ekel abbrechend; Lipsius von oben nach unten musternd. Was müssen Sie für eine Phantasie haben! ... Zu Url, der mit etwas einfallen will. Störe uns nicht! Nur unter dieser Bedingung ...

URL
sich zurückzwingend.
Verzeih.
[229]
LIPSIUS
der sich gleichfalls bezwungen hat; argwöhnisch sich noch nicht klar darüber, wie weit der offenbare Verdacht Hollrieders sich gegen ihn vorwagt; nach einer kurzen Pause.

Meine Kunst ... ist rein! ... Und um mein Leben ... Sich auf reckend und zu Hollrieder direkt. hat sich niemand zu bekümmern! ... Niemand! ... Wieder wegblickend. Sie am wenigstens!

HOLLRIEDER
über den empfangenen Hieb quittierend.

Danke! ... Nach diesem kurzen Moment sofort wieder zur Parade ausfallend. Aber um das Leben andrer bekümmern Sie sich!

LIPSIUS.
Ich konnte nicht ahnen, daß jene Briefe ...
HOLLRIEDER
gallenbitter.

Trotzdem sich der Absender Ihrer besondern Antipathie erfreute! Auf eine nervös gelangweilte Geste von Lipsius, als ob dieser Musmann ihm wirklich für eine solche Antipathie zu gleichgültig-unbedeutend wäre. O, sie war oft sehr deutlich! Während Ihnen die ganze Art des Beschuldigten ...

LIPSIUS.
Ich habe an der einen Seite Ihres Wesens nie gezweifelt.
HOLLRIEDER
einen Ausbruch zurückhaltend.
Aber um so mehr an der ... »andern«, meinen Sie jetzt!
LIPSIUS.
Wir sind alle Menschen!
HOLLRIEDER
unwillkürlich zu Url rüber.
Herrlich! ... In die Luft vor sich hin. Ein anmutiges Bekenntnis!
LIPSIUS
der sich auf die Lippen gebissen hat.

Jedenfalls, als ich dann auch noch diese ... flüchtige Ähnlichkeit entdeckt zu haben glaubte ... Stockt.

HOLLRIEDER
zorniges Auflachen; Lipsius erstaunt hochmütig.

Hollrieder: bitter-boshaft. Sie sagten doch eben »flüchtige Ähnlichkeit«! Lipsius sich befremdet achselzuckend nach Url umblickend.

URL
erregt lebhaft.

Herr Professor hat sich in der Zwischenzeit überführt! Die Dame ist ihm wildfremd! Er hat nie auch nur das Geringste mit ihr zu tun gehabt!

HOLLRIEDER
auf seinem Platz vor dem Tisch, gegen den er noch immer lehnt, vor dieser für ihn einfach ungeheuerlichen Lüge förmlich zurückprallt; Lipsius anstarrend, als ob er plötzlich einen ganz andern Menschen in ihm sähe.
Das, haben Sie den Mut, mir ins Gesicht zu behaupten?
LIPSIUS
nach einer ganz kurzen Pause, während welcher Url ihn erwartungsvoll aufmunternd angeblickt; wieder gesammelt, kalt, aber [230] doch vermeidend, Hollrieder dabei anzusehn.
Es ist die Wahrheit.
HOLLRIEDER.
Die ... Wahrheit!! ...
URL
zu Hollrieder; eifrig.
Du hörst s!
LIPSIUS
die Augen nach der Decke; seine Stimme hat nicht mehr ihren ungebrochnen Klang.

Ich wüßte nicht, was mich im Moment ... davon abhalten sollte ... Ihnen ebensogut auch das Gegenteil zu sagen ... wenn dieses Gegenteil ... der Fall wäre.

HOLLRIEDER
der auf Url gar nicht geachtet hat; nach einer kurzen Pause; es ist ihm gelungen, sich niederzuzwingen; seine Stimme klingt verändert, fast geschäftsmäßig.
Darf ich mir jetzt ... einige Fragen erlauben?
LIPSIUS
zu Url.
Also ein Verhör. Zu Hollrieder. Gut. Verhören Sie.
HOLLRIEDER.
Was hatte Ihr Fräulein Tochter ...
URL.
Du darfst nicht ... Entsetzt beute anstarrend.
LIPSIUS
fast gleichzeitig; scharf.
Das gehört nicht hierher!
HOLLRIEDER
zu Url.

Ich bitte dich dringend! ... Zu Lipsius. Was hatte Ihr Fräulein Tochter damals veranlaßt, lieber den Tod im Wasser zu suchen, als einem Leben entgegenzugehn, um das sie Hunderttausend beneidet hätten?

URL
zu Lipsius, da dieser nicht sofort antwortet.
Hätte ich geahnt ... daß sich mein Freund erlauben würde ...
HOLLRIEDER
zu Url.
Ich ersuche dich nochmal!
LIPSIUS
in dessen Maske durch die grausame Erinnrung, die Hollrieder in ihm geweckt hat, jetzt doch etwas wie Qual aufgetaucht ist; weder Hollrieder noch Url dabei anblickend.
Ich habe meine Antwort ... Herrn Hollrieder bereits erteilt.
HOLLRIEDER
jedes Symptom an Lipsius scharf beobachtend und bei sich registrierend.

Die Gerüchte, die damals im Umlauf waren, sind mir bekannt. Ihr Fräulein Tochter war in vollkommner Freiheit von Ihnen erzogen worden, Ihr Haus, selbst schon zu Lebzeiten Ihrer Frau, die Sie noch dazu »vergöttert« haben sollen, war nie das ... reinste gewesen ...

LIPSIUS
nach einem hastigen Blick auf Url; den dieser aufgefangen hat; sich beherrschend.
Sie sehn: ich unterbreche Sie nicht einmal.
HOLLRIEDER
fortfahrend.

Dutzende von jungen Künstlern, wie ja auch noch heute, umdrängten Sie stets, was Wunder, wenn man also annahm, [231] die damals für tot Gehaltne, die mit diesen jungen Menschen wie mit Kameraden gelebt hatte, die täglich frei durch alle Säle gegangen war, und vor der es nie Metiergeheimnisse gegeben ... diese Ärmste sei irgendeinem von ihnen ... zum Opfer gefallen!

LIPSIUS
schneller, flackernder Blick zu Hollrieder rüber.
HOLLRIEDER
der diesen Blick sehr wohl bemerkt hat.
An dieses Märchen ... glaube ich jetzt nicht mehr!
LIPSIUS
dessen innerer Kampf sich jetzt deutlich in seinen Mienen spiegelt.
Ich kann Ihnen ein andres ... nicht aufbinden.
URL
zu Lipsius; mit einer leicht verdeutlichenden Geste, als ob es jetzt vielleicht doch für ihn an der Zeit sei, den Raum zu verlassen.
Falls Sie es jetzt ... nicht doch vorziehen, Herr Professor ...
LIPSIUS
mit scheinbarer Verwunderung.

Warum? ... Weil Herr Hollrieder sich hier offenbar ... Plötzlich empört bissig. in irgendeiner Hintertreppenphantasie gefällt?

HOLLRIEDER
immer tiefer bohrend; langsam.

Als ich Sie ... an jenem Sommermorgen damals ... in Ihrer Verzweiflung sah ... oder war es ... die Reue? ... da taten Sie mir ... in tiefster Seele leid. Und dieses Mitleid mit Ihnen ... empfinde ich jetzt, in diesem Augenblick ... wieder! Ja ... trotz aller Wut, die in mir kocht ... vielleicht sogar noch stärker!

LIPSIUS
dessen Stimme immer verschleierter klingt; mit seinem Stock um seinen rechten Stiefel spielend.
Sie sollten ... Ihre Gefühle ... an ein würdigeres Objekt vergeuden! ...
HOLLRIEDER
seinen letzten Trumpf vorbereitend.

Ich weiß ... nur eins noch nicht! ... Nur darüber bin ich mir noch nicht klar! ... Wenigstens noch nicht ganz!

LIPSIUS
seinen Blick mit dem Hollrieders kreuzend.
HOLLRIEDER
sehr artikuliert und deutlich.

Bis zu welchem Grade ich berechtigt bin, zu meinem ... Mitleid ... nun auch noch Verachtung zu fügen!

LIPSIUS
nach schnellem Sichniederzwingen; wie beim besten Willen gar nicht begreifend; zu Url, ausholende flüchtige Geste mit spielenden Fingern vor der Stirn.
Apokalyptisch! ...
HOLLRIEDER
von seinem Platz aus plötzlich zu Url; noch bevor dieser etwas [232] zu sagen vermag; heftig.
Warum habt ihr euch beide zusammen getan, um mich zu belügen?
URL
mit dem Versuch, zu Worte zu kommen.
Ich ...
HOLLRIEDER.
Schweig!
LIPSIUS
hochfahrender Blick zu Url rüber, der aber in diesem Moment nur auf Hollrieder achtet.
Ist das ... immer Ihr Ton?
URL
zu Hollrieder; sich dabei unwillkürlich, wie suchend, im Raum umblickend; zuletzt bleiben seine Augen auf der Tür haften, durch die vorhin Musmann verschwunden.
Es scheint ... man hat dir in der Zwischenzeit ... Unwillkürlich einen Schritt auf die Tür links zu.
HOLLRIEDER
leichte Handbewegung nach ihm, die ihn auf seinen Platz zurückbannt; zugleich zu Lipsius, der, durch die Haltung Urls aufmerksam geworden, ebenfalls beunruhigt nach der Tür links blickt.
Wir sind hier ... unter uns.
URL.
Ich versichre dich!
HOLLRIEDER.

»Versichre«! ... Kein Wort mehr glaub ich dir! ... Wieder zu Lipsius. Die Dame, die Sie gestern bis in diesen Raum verfolgten, und von deren Existenz ich bis vor drei Monaten noch nichts gewußt habe ... ich setze voraus Jetzt einen Augenblick zaudernd, da er damit Url trifft .... der ... Herr hat Ihnen das mitgeteilt ... Sofort wieder zu Lipsius. diese Dame Seinen Trumpf ausspielend. ist Ihre Tochter!

LIPSIUS
zusammengezuckt.
URL
sich aufraffend.
Du kannst doch unmöglich ... Wenn Herr Professor selbst ...
LIPSIUS
der sich wieder zusammengerissen hat; als ob er es aufstecken müsse, mit einem Manne wie Hollrieder sich über diesen Punkt noch auseinanderzusetzen.
Wenn Herr Hollrieder das besser weiß ...
HOLLRIEDER
unmittelbar fortfahrend; als hätten die beiden ihre Einsprüche gar nicht erhoben.

Und ich wäre sicher schon längst dahintergekommen, Wieder zu Url, der noch vergeblich nach Fassung ringt. wie du, lieber Sohn, womöglich schon an jenem ersten Abend dahintergekommen bist, Mit einem sich weidenden Blick nach Lipsius rüber, der durch einen scheinbar erstaunt fragenden Blick zu Url rüber, als »begriffe« er nicht, sich nur allzu [233] deutlich selbst verrät. als der mysteriöse »Unbekannte« durch dich von der Bildfläche gewischt wurde Zu Lipsius direkt. wenn nicht meine dumme, blöde Vertrauensseligkeit gewesen wäre! Allgemein. Dieselbe, die mir auch diesen Filou Musmann aufgeladen hat!

LIPSIUS
ebenso allgemein.

»Auch« ist gut. Zu Hollrieder direkt; amüsiertes, mokantes Hohnlächeln. Ich denke, Sie halten diesen Biedern für verrückt?

HOLLRIEDER.

Das ist mit einem Verrückten, verehrtester Herr Professor, wie mit einem Betrunknen. Erst in solchem Zustand verrät sich sein wahrer Charakter. Auf eine Bewegung von Lipsius, die über diese Theorie eine lebhafte Skepsis andeutet. Wenigstens hat er sich in diesem Falle erst so verraten!

LIPSIUS
bedenkliche Geste zu Url.
Ich muß sagen ... derartige Theorien ... Zu Hollrieder. Ich enthalte mich jedes Urteils!
HOLLRIEDER
scharf.
Weil Sie Partei sind!
LIPSIUS
aufblickend .
..? ...
HOLLRIEDER
noch deutlicher werdend.

Weil die Möglichkeit nur allzu naheliegt, daß auch bereits ... gewisse andre Dinge unter diese Rubrik summiert werden könnten!

LIPSIUS
trotz seiner ungeheuerlichen inneren Aufregung den blasiert Gelangweilten spielend; zu Url.
Finden Sie sich da raus? ...
URL
ebenfalls den Verständnislosen spielend.
Ich ... muß offen gestehn ...
HOLLRIEDER
ergrimmt über ihn, durch die Zähne.
Du bist gelungen!
URL
in der verzweifelten Hoffnung, die Situation womöglich doch noch retten zu können.
Es liegt eine Reihe von unglücklichen Zufällen und Irrtümern vor! Ich würde dich doch zweifellos ...
HOLLRIEDER
dieselbe Wendung, sarkastisch ironisiert.

Zweifellos! Dann sofort eisig; beinahe feindselig. Du bist von deiner alten Offenheit mir gegenüber, die ich ja nun schon fast diese ganze letzte Zeit an dir habe bewundern dürfen. In der grausamen Absicht, sich in diesem Augenblick aus seiner verzweifelten Stimmung heraus an Url zu rächen. Oder ... hoffst du noch immer ...

URL
dem es entsetzlich ist, daß in Gegenwart von Lipsius, der sofort scharf aufgemerkt hat, dieses Thema auch nur angeschnitten werden könnte; ihm nach einem schnellen, sich orientierenden[234] Blick nach Lipsius sofort ins Wort fallend.
Du weißt sehr wohl: ich hoffe gar nichts?
HOLLRIEDER
hartnäckig.
Aber du hast doch mal gehofft ...
URL
seine Verletztheit über Hollrieders Vorgehn gegen ihn mit Gewalt niederkämpfend.
Mit dir ist jetzt nicht ... zu rechten.
LIPSIUS
in seinem Benehmen jetzt total erkältet, auch gegen Url.

Es scheint, daß die Herren ... Sich zum Gehn wendend. Ich überlasse Sie also ... Sehr mokant betont. Ihren delikaten Erörterungen.

HOLLRIEDER
scharf; mit Bezug auf Url.
Was wir untereinander abzuwickeln haben, geht Sie nichts an!
LIPSIUS
erstaunt stehngeblieben; über die rechte Achsel hochmütig nach Hollrieder zurückblickend.
HOLLRIEDER
unerschütterlich.

Ich werde Ihnen jetzt nicht eher gestatten, diesen Raum wieder zu verlassen, als bis Sie mir Rede und Antwort gestanden haben!

LIPSIUS
an seinen alten Platz wieder zurückgetreten.
Nun fängt die Sache allerdings an, mir Spaß zu machen.
HOLLRIEDER
die Uhr in der Hand.
Dieser »Spaß« wird für Sie vielleicht überraschend bald ... in einen betäubenden Ernst umschlagen!
LIPSIUS
sich seinen langen Bart streichend.
Um so ... interessanter! ...
HOLLRIEDER
zu Url über; mit verstecktem Hohn, so daß dieser dadurch innerlich noch beunruhigter wird.
Du wirst zu spät in euer Hotel kommen.
URL
der hastig nach seiner Uhr sieht; zu Hollrieder.
Ich habe noch Zeit.
HOLLRIEDER
trocken.
Vorausgesetzt, daß du dich nicht nochmal einmischst!
LIPSIUS
zu Url.
Auch mir täten Sie damit einen Gefallen.
URL
erbittert.
Ich werds versuchen. Sich ganz vorn rechts, die Hände hinterm Rücken, gegen den Türpfosten lehnend.
HOLLRIEDER.
Was hat Sie veranlaßt, Ihre Tochter vor mir zu verleugnen?
LIPSIUS
unwillkürlich wieder zu Url zurück; als ob er es in Hollrieder mit einem Irren zu tun hätte.
Meine »Tochter«! ...
HOLLRIEDER.

Da Sie mir die Antwort verweigern, werde ich sie Ihnen selbst geben! ... Wieder sehr artikuliert und deutlich. Wahrscheinlich das selbe, das die Verzweifelte damals ... fast in den Tod getrieben hatte!

[235]
LIPSIUS
wie mit einmal besonders für die Blumen um die Staffelei interessiert; an einer zupfend.
Lassen Sie sich nicht aus dem Text bringen.
HOLLRIEDER.
Von jenem Bildwerk, das Sie berühmt gemacht hat ...
LIPSIUS
wie nebensächlich, kühl.
Ich bin durch viele Bildwerke berühmt.
HOLLRIEDER.
Von jenem Bildwerk existieren zwei Fassungen!
URL
aufmerksam.
LIPSIUS.
Und das hat man Ihnen erst neuerdings gesteckt?
HOLLRIEDER
nach einigem Zögern; entschieden.

Ja. Und zwar steht das hüllenlose Urbild, dessen Kopf porträtähnlich sein soll, noch heut in Ihrem Hause. Auf eine auffahrende Geste von ihm; langsam; seine Worte besonders betonend. Wenn auch nicht für jedermann zugänglich!

LIPSIUS
auf den letzten Teil seiner Replik gar nicht mehr eingehend.
Als ein ehemaliger Schüler von mir sollten Sie wissen ...
HOLLRIEDER.

... Daß ein Bildner bei einer Gestalt, wie der hier in Frage stehenden, erst die Gestalt und dann den »Sternenmantel« formt. Selbstverständlich! Das Abc kenne ich noch! ... Daß er aber dem Untier, das sich unter ihr krümmt, in jener Urfassung auch noch seine Züge lieh ...

LIPSIUS
der sich wieder gefaßt hat; zu Url rüber.

Entzückend! Wieder zu Hollrieder direkt. Und aus dieser ... Künstlerlaune, der vielleicht originalsten meines ganzen Schaffens, gestatten Sie sich jetzt plötzlich irgendwelche Schlüsse zu ziehn? Das Werk ist seit zehn Jahren einer ganzen Reihe von Leuten bekannt!

HOLLRIEDER.

Leute, die keinen besonderen Verdacht haben, sehn an solchen Dingen vorbei! Wie ja auch ich zum Beispiel immer daran vorbeigesehn habe, daß jene Gestalt, deren Urbild die Verschwundne war, seitdem in all Ihren Schöpfungen unablässig wiederkehrt! Einfach, als läge es gar nicht mehr in Ihrer Macht, sich dieser Art ... Selbsthypnose ... zu entziehn!

LIPSIUS.
Diagnostizieren Sie weiter.
HOLLRIEDER.

Dieser Typus des erwachenden Weibes in seiner ersten ... Frühblüte ... dessen unbestrittener Schöpfer Sie sind ... hat auf diese Weise, zugleich mit Ihrem Ruhm ... auch bereits dessen Verfall begründet.

[236]
LIPSIUS
in prononciert vorgekehrtem Stolz.
Ich befinde mich Gott sei Dank noch immer in einem Aufstieg.
HOLLRIEDER.
Nach außen. Aber jede Ihrer Kopieen ...
LIPSIUS
hochfahrende Geste.
HOLLRIEDER.

Bewußt, oder unbewußt: für das Resultat blieb es sich gleich. Aus der ursprünglichen Reinheit ist allmählich ein ... Gemisch geworden ...

LIPSIUS
der nur noch mit Mühe seine Haltung bewahrt; wieder zu Url zurück.
Das nenn ich bei der Sache bleiben!
HOLLRIEDER.

Es gehörte für mich insofern zur Sache, als Sie sich damals sehr wohl gehütet hatten, Ihr verräterisches Selbstporträt ...

LIPSIUS
endlich aufbrausend.
Ich muß es mir ganz entschieden verbitten ...
HOLLRIEDER
mit scheinbarer Verwundrung.
Sie wollten mir doch Rede und Antwort stehn?
LIPSIUS
sich wieder mäßigend.

Was für mich aber absolut nicht damit eins ist, daß ich mir hier von Ihnen Deutungen bieten lasse, die ...

HOLLRIEDER
ruhig weiter.

Das Mitverschwinden jenes alten Familienschmucks ... Lipsius hoch aufgerichtet. erfuhr ich von Ihnen erst nach Jahren! Ich bin jetzt überzeugt, Sie hatten sein Fehlen schon am ersten Tage entdeckt! Warum verhalfen Sie damals der Polizei nicht sofort auf die Spur?

LIPSIUS
leicht ironisch zu Url rüber; wie sich über Hollrieder belustigend.
Aus dem Nachlaß von Herrn Musmann!
HOLLRIEDER
durch diese scheinbare Sicherheit nicht im mindesten irritiert.

Es genügt, daß Sie mich verstanden haben. Ferner! Sie verwahrten sich vorhin gegen jederlei Einmischung in Ihre Privatangelegenheiten. Ich würde diese Verwahrung mit Vergnügen respektieren ...

LIPSIUS
auf einmal eine ganz andre Haltung einnehmend.
Sie wollen sich erfrechen ...
HOLLRIEDER.
Ich will mich erfrechen, meine »Diagnose« jetzt zum Abschluß zu bringen.
LIPSIUS
sich wieder bezwingend; mit einer deutlichen Drohung im Ton.
Dann wählen Sie aber ... Ihre Worte!
HOLLRIEDER.

Sie sind seit länger als einem halben Menschenalter einer der gesuchtesten ... Unwillkürlich wieder zu Url hin; halb ironisch. [237] ja, wie sagt man da? ... »Löwen« ... Auf eine entsprechende schnelle Bewegung von Lipsius. das kann Sie doch nicht beleidigen! ... unsrer sogenannt besten Gesellschaft. Von der Aureole, die Ihren Namen umstrahlt, ganz abgesehn: Ihre persönlichen Vorzüge ...

LIPSIUS
der in seiner Linken so lange lässig den Zylinder gehalten, in diesem Moment den Stock mit einem plötzlichen Hieb wie spielend durch die Luft sausen lassend.
HOLLRIEDER.
Sie besitzen welche. Sogar sehr beträchtliche. Ich bin der Letzte, das zu leugnen.
LIPSIUS
mit dem Stock einmal auf den Teppich stampfend.
Bemühen Sie sich nicht.
HOLLRIEDER.

Wie Sie wünschen. Trotzdem dürfte Ihnen bereits aufgefallen sein. Wenigstens bildet es das allgemeine Künstlergespräch. Familien ... instinktiv, oder nicht ... mit halberwachsenen Töchtern ...

LIPSIUS
mit dessen Selbstbeherrschung es jetzt aus ist.

Noch einen Laut ... Sich wieder bezwingend; bereits nach ihm zurückgewandt. Sie werden von mir hören.

HOLLRIEDER
kalt; während Lipsius ganz erstaunt sich nochmal nach ihm umgedreht hat.

So sehr mir auch bekannt ist, daß Sie seit geraumer Zeit auf gewisse Provokationen nur noch mit fünf Schritt Distanz und Kugelwechsel bis zur völligen Abfuhr antworten ... ein Sport, an dem ich mich nicht beteiligen würde ... Horcht plötzlich auf. Verzeihung. Alle lauschen; man vernimmt wieder das Knarren von Stufen, leichte Schritte und ein sich näherndes Rascheln wie von Seide.

URL
beide Hände entsetzt auf der Klinke; erst auf Lipsius, dann auf Hollrieder blickend.
Um ... Gottes willen! ... Es klopft.
HOLLRIEDER
an Url vorbei, der, ganz in den Vordergrund rechts getreten, wie gelähmt ihn an sich vorüber läßt, auf die Tür zu.

Auf diesen Augenblick hab ich gewartet! ... Öffnet; auf der Schwelle, in herrlichster, lichter Frühlingstoilette, den Arm voller bunter, langgestielter Rosen, Beatrice.

BEATRICE
die Lipsius, der fast atemlos auf ihre Stimme horcht, noch nicht sehen kann; verwundert lächelnd.

Du machst ja son Gesicht! ... Ich ... habe dir hier ... Zu Url, der, vollkommen fassungslos, [238] sich nicht vom Fleck rührt. Was ist Ihnen denn? ... Wieder zu Hollrieder. Ihr seid beide ...? Habt ihr alten Brummbären ...?

HOLLRIEDER
der vor ihrer strahlenden Stimmung einen Augenblick gezaudert hat; plötzlich vollständig ruhig.
Komm nur herein. Die Tür hinter ihr schließend.
BEATRICE
die jetzt erst Lipsius bemerkt, der wie vor einer Erscheinung bis an den Sessel rechts neben den Tisch vor ihr zurückweicht; sie steht wie erstarrt die Rosen sind ihr alle zu Boden geglitten; fast tonlos.
Du? ... Entsetzt fragender Blick nach Url zurück.
LIPSIUS
fast heiser.
Ich ... kenne die Dame nicht!
BEATRICE
unterdrückt außer sich; auf ihn zu bis an die Stelle, an der er solange selbst gestanden.

Du hast es ... gewagt? ... Nach Hollrieder zurück, der etwas vor der vorderen Ecke der Chaiselongue steht; blitzend. Warum ist er hier?

HOLLRIEDER
auf Url weisend.
Bitte.
BEATRICE
zu Url; wie es noch gar nicht fassend.
Das ... taten Sie Ihrem einzigen Freund an?
URL
zu Lipsius rüber; gedämpft.
Gehn Sie. Hollrieder auf Url aufmerksam.
BEATRICE
deren Empörung jetzt keine Grenze mehr kennt.
Er soll jetzt alles sagen! Alles! ...
URL
zu Lipsius, der inzwischen seine Haltung vollkommen wiedergefunden hat und Hollrieder nun wie einen Rivalen von der Seite mißt, noch eindringlicher.
Ich beschwöre Sie!
HOLLRIEDER
dem durch das Benehmen Urls im Verein mit den Worten, die er eben von Beatrice gehört hat, jetzt alles bis in seine letzte Konsequenz dämmert, mit erhöhter Stimme.
Warum soll er gehn?
LIPSIUS
sich nochmals zusammenraffend.
Der Herr ... scheint nicht zurechnungsfähig!
BEATRICE
die ihn solange sprühend gemessen; keinen Blick von ihm lassend; fast zischend.
Schurke! ...
LIPSIUS
nach einer ganz kurzen Pause; mühsam; die Augen nicht von ihr hissend.
Du weißt wohl nicht ... zu wem du ... sprichst?!
HOLLRIEDER
der wie aus Stein gestanden; bebend.
Herr Professor!
URL
zu Lipsius.
Ich bitte Sie nochmal!
HOLLRIEDER
plötzlich auf Beatrice zu und sie am Handgelenk packend; ihr [239] entsetzt ins Gesicht starrend.

Ist es wahr? Ist es das? ... Hat dich der Schuft ... Einen Augenblick nach Lipsius rüber; dann wieder zu Beatrice. Du kannst mir nicht in die Augen sehn?

BEATRICE
unter seinem Blick sich kaum noch aufrecht haltend; sich ihm zu entwinden suchend; fast keuchend: .
.. Laß mich! ... Du tust mir weh! ... Laß! ...
HOLLRIEDER
nach einem Blick voll Ekel zu Lipsius rüber; wie von Abscheu übermannt, mit einem plötzlichen Ruck sie loslassend, als ob er sie von sich stieße.
Eh! Die Augen wie stier auf die Seitenwand vorn links, starr auf diese zu.
BEATRICE
zwei Schritte vor ihm zurückgetaumelt; die Augen geschlossen; in namenloser Qual .
..
HOLLRIEDER
von allen weggedreht, gegen die Seitenwand links, in stummer Wut und Empörung.
LIPSIUS
zu Beatrice; seit ihrem Ausbruch wie verändert; fast verächtlich zu Hollrieder hin.
Und diesem ... Mann ...
HOLLRIEDER
zu Url; aus derselben Stellung.
Mach die Tür auf!
URL
stumme, flehende Gebärde mit erhobenen Händen zu Lipsius.
LIPSIUS
der sich nicht vom Platz rührt; wieder zu Beatrice; schwer.
Du willst mich ... nicht mehr hören? ...
BEATRICE
stumm; schneller Blick zu Hollrieder rüber.
HOLLRIEDER
fast erstickt.
Warum ist er nicht schon fort?
URL
jetzt leise die Tür öffnend.
LIPSIUS.
Ich frage dich ... nochmal!
HOLLRIEDER
in der gleichen Stellung wie vorhin; mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft.
Ich ... stehe für mich nicht mehr! ...
LIPSIUS
nachdem er nochmal auf irgend ein Zeichen Beatrices, die ihn nicht mehr ansieht, vergeblich gewartet.

Es ist vielleicht ... Nach einem unwillkürlichen Blick zu Hollrieder rüber. meine letzte Bitte! Als sie auch darauf schweigt, sich langsam zum Gehn anschickend. Gut. Dann ... weiß ich ... Mit sehr deutlich unterstrichner Betonung. was ich zu tun habe.

HOLLRIEDER
wie vorhin.
Verbrecher! ...
LIPSIUS
der unter diesem Wort zusammengezuckt ist, wie unter einem Peitschenhieb; unwillkürlich haltmachend .
..
BEATRICE
die ihm mit den Augen gefolgt ist; zu Hollrieder rüber; stockend.

Laß ihn nicht ... so von dir! ... Es genügt ... Schaudernd. [240] daß ein ... Schrecklichstes geschehn ist! Lipsius, unter diesem direkten Geständnis, mit einem Blick nach Beatrice, sich mit Gewalt aufrichtend; auch an Url und Hollrieder hat man einen entsprechenden Eindruck bemerkt.

HOLLRIEDER
nach einer kurzen Pause; noch immer in derselben Stellung.
Wähle!
LIPSIUS
Beatrice, unter seinem Blick, nach kurzem Schwanken, wie automatisch, zwei Schritte auf ihn zu; auf eine kurze Bewegung Hollrieders, der sich in diesem Augenblick wie instinktiv halb nach ihr umgedreht, ebenso wieder auf ihren Platz zurück.

Die Wahl ... Jetzt an ihr vorbei auf die Tür zu; die Rosen nach einem kurzen, unwillkürlichen Stutzen absichtlich zu treten vermeidend. soll dir erspart bleiben! ... Die Tür fassend. Ich werde mein Leben ... zu tragen wissen! ... Mit einem letzten Blick nach ihr. Um deinetwillen! Ab, während die Augen Beatrices in seltsam irrem Ausdruck ihm gefolgt sind; die Tür hinter sich schließend.

URL
nach einer kurzen Pause; da keiner von den beiden andern sich regt.
Das war ... meine Schuld! ... Zu Beatrice rüber. Ich hätte nicht ohne Sie ...
HOLLRIEDER
auch jetzt noch wie vorhin; ohne sich umzudrehn.
Du hast das Beste gewollt!
URL
tiefst schmerzlich.

Grade das ... was ich mit aller Kraft ... hatte verhindern wollen, habe ich jetzt ... durch mein unglückliches Handeln ... heraufbeschworen! ... Wieder zu Beatrice rüber. Sie werden mir das nie ... verzeihen können!

BEATRICE
nach einer kleinen Pause; mit einem Blick über den Raum hin; letzte innere Müdigkeit.
Ich werde jetzt auch gehn.
HOLLRIEDER
erst jetzt wieder ihr halb zugewandt.
... Du? ...
BEATRICE
vor sich wie auf etwas Unabwendbares in die Ferne sehend.
Ja.
HOLLRIEDER
stumm; ihr jetzt ganz zugewandt.
BEATRICE
drei ganz langsame, schlaffe Schritte auf die Tür zu.
HOLLRIEDER
ihr nachblickend; stockend.
Du willst dich mir nicht mehr ... vertrauen? ...
BEATRICE
stehngeblieben; sich nach ihm umblickend; dann traurig den Kopf schüttelnd.
HOLLRIEDER.
Und das ... »Leben« ... auf das wir für uns gehofft hatten?
[241]
BEATRICE
wie abwesend; als hätte sie seine Worte gar nicht gehört.
Der Traum ... ist jetzt aus.
HOLLRIEDER
nach einem letzten, kurzen Kampf mit sich selbst.
Du bist mir ... die selbe geblieben ... die du mir warst!
BEATRICE.

Wenn ich dir das ... auch nur einen Augenblick glauben wollte ... Du versündigtest dich ja ... damit an dir selbst!

HOLLRIEDER
mit steigender Eindringlichkeit.
Du sollst es mir glauben! Du ... darfst es mir glauben! ... Ich will, daß du s mir glaubst!
BEATRICE.
Es gibt Dinge ... gegen die wir mit all unserm Willen ... machtlos sind.
HOLLRIEDER
sie groß ansehend; aufgerichtet.
Du ... beleidigst mich!
BEATRICE
leise.
Hab Erbarmen!
HOLLRIEDER
der sie noch einen Augenblick angesehn hat, wie mit einem plötzlichen Entschluß auf die Tür zu und Hut und Mantel abhakend, den er sich über den Unken Arm wirft; zu Url rüber; in seiner Stimme wieder die alte Energie.

Du wirst aus England die Nachricht von unsrer Trauung erhalten! Schnell an den Tisch zurückgegangen, auf den er aus der Tasche seinen Schlüsselbund legt und von ihm, wie mechanisch, ein gefülltes Zigarettenetui einsteckt. Du schickst uns alles nach. Wir reisen jetzt nicht erst morgen, wir reisen sofort.

BEATRICE
die ihm zuerst nachgestarrt, als verstünde sie ihn gar nicht, wie angstvoll vor ihm zurückweichend.
Nein! ...
HOLLRIEDER
am Tisch, auf seine Art »reisefertig«, zu Url.
Sag ihr Adieu.
BEATRICE
die Augen nur auf Hollrieder; sich bis ins letzte steigernd: .
.. Nein! ... Nein! ... Ich ... Du darfst nicht! Du ...
HOLLRIEDER.
Du sollst dich noch nicht entscheiden.
BEATRICE.

Uns trennt eine Kluft, die ... du würdest mich ... über kurz oder lang ... ja doch nur ... Ich ... Wie vor ihm fliehend, halb rückwärts auf die Tür zu. Bleib! ... Bleib!! ... Ich ... Die Tür aufreißend; schluchzend. kann nicht mehr! ... Ab.

HOLLRIEDER
der solange, ihr nachblickend, am Tisch stehngeblieben war; die Linke schon auf dem Drücker; nach Url, ihm die Hand hinhaltend.
Ich halte mein Wort! ... Leb wohl!
URL
der seine Hand ergriffen hat.
Leb wohl!
HOLLRIEDER
ab.
URL
einen Augenblick auf die geschlossene Tür starrend und lausehend, [242] wie draußen Hollrieders schnelle Schritte verhallen; dann, die Linke vor der wie schmerzenden Stirn, mit geschlossenen Augen langsam, fast automatisch, bis in die Mitte des Vordergrunds; einen Augenblick so stehend, dann nochmals, die Augen immer noch geschlossen, die Hand noch vor der Stirn, wie sich selbst einen gefaßten Entschluß bestätigend, nickend.

Flüsternd, kaum hörbar. Jetzt. Steht noch einen Moment da, läßt die Hand schlaff sinken und schleppt sich mit stockenden Schritten bis vor das Schränkchen über der Chaiselongue rechts, wo er wieder stehnbleibt; die Augen wie hypnotisiert auf das Schränkchen, den rechten Arm schon halb erhoben, dreht sich sein Blick nach den Rosen, und sein Arm sinkt ihm wieder. Plötzlich, kopfschüttelnd, energisch. Nein. Nochmals, aufatmend, mit letzter Entschiedenheit. Nein! ... Nein!! ...

MUSMANN
nach dem ersten »Nein« Urls durch die Tür links, die er lautlos geöffnet hat; auf Spitzzehen bis gegen die Mitte der Bühne; das Gesicht hämisch auf Url gerichtet; leise loskichernd: .
..
URL
der, zusammengefahren, die Hände geballt, mit gerunzelter Stirn sich nach ihm umgedreht hat; entsetzt.
Wo waren Sie?
MUSMANN
verschmitzt »diabolisch« auf das Schränkchen deutend; entsprechende Geste.

Man knipst, und denn springt das so auf! Bewegung, als ob er einen Schnaps hinterkippe. Hupp ...und ...Markierend, als ob ein Vergifteter taumelnd hinschlüge; vorm letzten Moment sich wieder hochruckend. Nee! ... Nu grade! ... Jetzt ... haben wir se! ... Vor Haß funkelnd und auch die Rosen dabei nicht überblickend. Alle!!

URL
von seinem Schrecken sich jetzt erst ermannend, auf ihn zu.
Was Sie auch gehört haben! Sie werden zu niemand ...
MUSMANN
ihn auf einmal wie seinen Kumpan und Vertrauten behandelnd.

Jetzt sind ... Ihm auf die Schulter klopfend. wir an de Reihe! Wenn ich jetzt ... pfeife ... Plötzlich im Ton umschlagend; knirschend vor sich hin. Dieses ... W ... Weib!!

URL.
Kommen Sie zu sich!
MUSMANN
bereits dicht vor einem Anfall.
W ... Wasser! ... Wasser! ...
URL
schnell nach dem Tisch, wo er aus einer Karaffe mit zitternden Händen ein Glas füllt.
MUSMANN
in schäumendem Grauen vor sich selbst; plötzlich mit der geballten [243] Linken sich zuerst die Brust schlagend; dann von oben die linke Schädelhälfte, zuletzt mit beiden Fäusten sich den Sitz und Urquell aller seiner Qualen bearbeitend; die Worte alle einzeln, mit gleicher Wucht, in gleichem Tempo, wie Hammerschläge.

Ich ... bin ... ein ... Schuft!! ... Ich ... bin ... ein ... Schuft!! ...Während der Vorhang sich bereits schließt. Ich ... bin ... ein ...


Vorhang.

5. Akt

[244] Fünfter Akt

Die Bühne ist fast vollkommen dunkel. Im Hintergrund sehr große Scheiben, gegen die Regen schlägt. Dann schlurft, stolpert und grunzt es, und in eine Tür rechts wird von außen ein Schlüssel geschoben. Die Tür springt auf, und ein matter Lichtschein fällt vom Korridor her in das Atelier Hollrieders.

URL
kleiner steifer Hut, dunkler Überrock mit hochgeklapptem Kragen, darunter Kleidung wie immer; von der Türschwelle in den Korridor zurück.
Kommen Sie! Bugsiert Musmann in den Raum bis zur Mitte.
MUSMANN
während ihn Url noch an der Schulter hält.
Hpff! ...
URL.
Darf man Sie jetzt n Augenblick loslassen?
MUSMANN
der schwer geladen hat.
Alle-mmal!
URL
an den Tisch getreten, wo er im Halbdunkel hörbar nach Streichhölzern tastet.
...
MUSMANN.
Sie sind ja ... n juter ... Kerl! ... Gegen Sie ... hab ick nischt!
URL
nachdem er eine gefundene Schachtel geschüttelt.
Endlich.
MUSMANN.
Ihn ... hab ick überhaupt ... das Leben jerettet!
URL
entzündet ein Streichholz und steckt mit ihm die oberste Kerze des Rokokoleuchters an.

Erst mal ... Licht! Im schwach erhellten Raum sieht man: die Wände sind von Bildern ganz leer. Statt ihrer, zwischen dem Regal und der Tür links, ein großer, kaufmännisch-kartothekisch eingerichteter, dunkler Arbeitsschrank mit vielen Abteilungen und Fächern, in denen, ebenso wie auch auf dem Tisch, einige Papierrollen liegen. Auf der Staffelei noch immer die »Kameraden«. Der Wandkalender zeigt als Datum den ersten November.

MUSMANN
sich umblickend und erst jetzt merkend, wo er sich befindet, zusammenschreckend; jedoch nicht zu heftig, da sein ganzer Zustand ihn seelisch gleichsam wie mit Schleim überzieht.

Hier? ... Nachdem Url eine zweite Kerze angesteckt; von dem Ort, an dem er sich befindet, noch »unsympathischer« berührt; zwei Schritte rücklings nach der Chaiselongue zu. Nee! ...

[245]
URL
nun noch eine dritte Kerze der zweiten gegenüber ansteckend.
An ... die ... Stuckerfahrt werd ich denken!
MUSMANN
scheuer Blick nach der offen gebliebnen Tür zurück.
Und ... bei mir ... Stumpf vor sich hin. ooch nich! ... Nirgends!
URL
nachdem er die Streichholzschachtel, die er noch immer in der Linken gehabt, auf den Tisch geworfen; energisch nach ihm zurückgedreht.

Warum wollten Sie denn immerzu aus der Droschke springen? ... Den Leuchter vom Tisch hebend. Sie hatten wohl Angst, ich würde Sie gleich nach dem Polizeipräsidium schaffen?

MUSMANN
einige Schritte zurücktorkelnd; der Schreck ist ihm so in die Beine gefahren, daß ihm von jetzt ab die ganze Szene über die »P«s nicht mehr parieren.
P ... P ... Polizeipräsidium? ... Ich hab doch ... bloß ...
URL
mit dem Leuchter, den er hoch hebt, vor Musmann, der sich nur mit Mühe auf den Beinen hält.
MUSMANN
vor ihm zurück; drei dumpfe Auftapfe auf den Fußboden, die die Stille durchbrechen; sein Hut ist zerbeult, sein langer Paletot ist beschmutzt und an der linken Tasche aufgerissen, das rechte Ende seines Hemdkragens ragt zerknittert, als ob man ihn gewürgt hätte, bis übers Ohr.
URL.
Sie sehn aus! ...
MUSMANN.
Sssauwetter ... verdammtes!
URL
in seinem Ton während dieses ganzen ersten Teils der Szene wie ein Arzt zu einem Kranken; eine nicht verdammende, aber doch gewisse, feste Entschiedenheit: Seit.
wieviel Nächten sind Sie wieder nicht nach Haus gekommen?
MUSMANN
philosophisch vor sich hin.
Das jeht nu so ... schon ... den ... sechsten ... Monat!
URL.
Sie sollen Ihr Messer gezogen haben! ... Erst dann hat man Sie an die frische Luft gesetzt!
MUSMANN.
Die ... B ... brüder!
URL
mit dem Leuchter nach dem Tisch zurück.

Bis in die verrufensten Viertel muß man Ihnen immer nachkriechen! ... Den Leuchter auf den Tisch setzend. Sie frequentieren ja nur noch die niedrigsten Verbrecherdestillen!

MUSMANN
dumpf zornig vor sich hin.
Wenn ... andre Leute ...
[246]
URL
auf dem Wege nach dem Schrank, an dessen dem Zuschauer abgekehrter Seitenwand rechts er an einen Haken seinen Hut anhängen will; einen Moment wartend und nach Musmann zurückblickend.
MUSMANN.
P ... Paris! ... Die ... Turteltäubchen! ...
URL
seinen Hut anhängend.
Ah, so.
MUSMANN
vor der Vorderkante »seines« Bildes; stier nach dem Zuschauerraum.

Hat er erst immer ... so getan ... als ob er der reine Wüstenheilje war ... und nu ... Verdächtige Gebärde, die Url in diesem Moment zum Glück nicht sieht: rundgespreizte Finger, um Brüste anzudeuten, dann linkisch kurze, empörende Geste mit der Rechten nach hinten rum, um auch hier die betreffende Rundung zu markieren. Darauf verächtliche, tolpatschige Geste mit der Linken, als ob er, wie üblich, etwas von sich würfe, Gespucke und so weiter; alles in ganz wenigen Augenblicken und halb taumelnd. Fatzke!

URL
der sich inzwischen auch seines Überrocks entledigt hat; ihn noch in den Händen; halb zu Musmann zurückgedreht; mit einsetzender Ungeduld.

Reißen Sie sich doch mal endlich ... Den Rock jetzt anhängend. mit Ihrem Innern los von den beiden ... An den Tisch zurück. So viel sollte Ihnen doch nachgerade so gut wie gewiß sein: in diesem Leben werden Sie sie kaum wiedersehn!

MUSMANN
unruhig nach der noch immer offnen Tür.
Sie ... werden schon ... noch kommen!
URL
über den eigentümlichen Ton, in dem Musmann diese Worte vorgebracht hat, doch eine Sekunde stutzig; dann leicht ironisch.
Höchst wahrscheinlich. Auf die Tür zu, die er schließt. Vielleicht sind sie sogar schon unterwegs.
MUSMANN
dem es bei dieser Perspektive nicht recht geheuer scheint; sich nochmals umblickend; dann halb nach dem Leuchter zugedreht; aus einer dumpfen, knurrenden Unzufriedenheit mit sich selbst.

Sitzt das da immer ... über seinen dummen ... Grundrissen und ... Tabellen, über seinem ... lächerlichen, übergeschnappten ... Friedrichstraßenpassage ... Schwindelunternehmen und ... rechnet und ... rechnet und ... und ... unsereens ...

[247]
URL
zu ihm getreten; trotz seines Ekels halb mit Mitleid.
Nu ziehn sich mal Ihren schrecklichen Mantel aus!
MUSMANN.
Nee! ...
URL.
Ich werd Ihnen helfen.
MUSMANN
einen halben Schritt vor ihm zurück; noch hartnäckiger.
N ... nee!
URL
ärgerlich an den Tisch zurück, wo er einen etwas verschobenen Schirm zurechtrückt.
Na also dann machen Sie, was Sie Lust haben!
MUSMANN
wieder wie vorhin; nur gesteigert.
Nischt ... kann eener mehr! ... Nischt! ... Knirschend. Dieses ... W ... Weib!!
URL
vom Tisch nach ihm hinblickend.

Es war wieder mal eine Donkischotterie von mir sondergleichen, daß ich Sie nicht Ihrem Schicksal überließ!Verstimmt auf das Regal zu.

MUSMANN
stumpf-grübelnd vor sich hin.

La bella ... »Cenci!« ... Langsam; als ob eine alte, sehr starke Erinnerung in ihm erwacht. Da ...hab ich mal ... sone ...Tijerin jesehn! ... Der ... Blick! ...

URL
der schon bei dem Wort »Tijerin« stehngeblieben und nach ihm hingeblickt, wieder von ihm abgewandt noch etwas weiter nach vorn.
Sie kommen immer wieder auf dieselbe Vorstellung zu rück!
MUSMANN
der gar nicht auf ihn gehört hat; noch bei seinem »Blick«.

Da waren ... Den rechten Handteller, während er vor sich hinstarrt, lose schaukelnd. Dinge ... drin ... Dinge ... Abbrechend; geduckt mißtrauisch; zu Url rüber; halb als ob er sich vergewissern wolle, wie weit er ihm da eigentlich trauen darf. Es gibt doch ... Fernsuggestion? ...

URL
beim Wort »Dinge« lauschend wieder stehngeblieben; forschend stutzend nach ihm zurückgedreht; kein Wort.
MUSMANN
verschmitzt-blöde vor sich hin.

Wenn man ... ne Nadel nimmt ... und man hat ... zum Beispiel ... ne Photographie von wem ... und durchsticht ihr ... den Kopf ... bloß son ... bißchen ... glauben Sie ... daß das was ... hilft?

URL
der bei dem Wort »Kopf« unwillkürlich etwas zurückgezuckt war.

Ich habe Sie wiederholt ... vor dem Bild gesehn! Ich glaube jetzt wirklich, Sie wären imstande ... Wieder seinen Weg zurück. Gott sei Dank, daß die Sezession gestern geschlossen ist! ...

[248]
MUSMANN
befriedigt vor sich hin.
Der wird sich ... freuen!
URL
der wieder haltgemacht.
»Der«? ... Wieso? ... Wer?
MUSMANN.

Achtzichdausend Mark! ... Total ... überjeschnappt! ... Für son Schinken! ... Schadenfroh in sich hineinkichernd. Nu ... kannern sich ... sauer kochen!

URL
auf seinem Gang weiter.
Daß dieser Preis Ihnen kein Vergnügen war, während Sie mit Ihrem Bild ...
MUSMANN
ihn unterbrechend; mit sofort einsetzender Heftigkeit, die sich schnell bis zu letzter, schäumender Wut steigert.

Aufhängen ... müßte man die ganze ... Package! ... Aufhängen! ... Mit ... Petroljum bejießen ... und denn ... anstecken! ... »K ... K ... Kritiker!!« Alle haben se ... Jeld jekricht! ... Vor dem Bild; mit dem Finger zeigend. Ich hab den ... Schnee jemalt! Ich!! ... Ooch den Zaun! Und die ... Pulle! Und die ... Jasanstalt!! ... Überhaupt! ... Nischt hatter jemacht! Janischtl! Nischt!! Keen Strich!! ... Ihm, lockend, von weitem, mit gehaktem Finger winkend; dann auf das Porträt Hollrieders zeigend. Kiekst? ... Wie er aussieht? ... Wie ick ihn ... heimlich ... Den ... Bullenbeißer? Den ... Schlagdot? Den ... Dummkopp?In sich reinkichernd. Und dafor ... willstet jloobn? ... Dafor ... hat er mir noch ... jelobt, det ick ihn nich ... jeschmeichelt hab! In ein triumphierendes Glucksen ausgebrochen.

URL
angewidert, hart.
Nu lassen Sie mal Ihre Destillenwitze!
MUSMANN.

Die ... Maulschnauze! Die ... Glotzen! Det ... Kinn! Verjiften hatter mir wolln!! Verjiften!!! ... Fast auf das Bild eindringend, als ob es der Gehaßte selbst wäre. Dieb! ... Giftmischer! ... Blutschänder!!

URL
seit dem Wort »Petroljum«, fast schon am Tisch, stehngeblieben; vor seinem Ausbruch wie gelähmt.
Hören Sie auf!
MUSMANN
noch stärker.

Blutschänder!! Ihn plötzlich groß anstierend. Du ... Den rechten Arm wie drohend erhoben, einige Schritte schwer auf ihn zu. Daraus ...mach ich dir was! ... Wie ers mir immer ... ins Jehirn telepathiert! ... Jenau so! ... Erst ... der Alte ... dann ... Stiert vor sich hin, als ob er ein ihn unsagbar Quälendes leibhaft vor sich sähe; fast zischend. Diese ... Jemeinheit! ... Alles ... was er mit ihr tut ... bloß immer ... damit ich dabei bin! ... Knirschend. Und das muß ich ... nu aushalten!!

[249]
URL
aus seinem Grauen ihn anstarrend.
Sind Sie ein ... Mensch!
MUSMANN
von neuem zu ihm; seine Augen blinkern.

Merkste? Mit schlenkernden Fingern nach der Tür links. Dazu hat er mich damals ... hinter die Tür jesteckt! ... Das war sein ... Meisterstück!! ... Auf ihn zutaumelnd und den vor ihm Zurückweichenden, wie vertraulich, am Rockknopf packen wollend. Kennste Goya? ... Haste mal was ... von Rops jesehn? ... Anspucken! ... Anspucken sollste ihn noch! ... Anspucken!!

URL
vor Ekel und Abscheu fast keuchend.
Machen Sie ... daß Sie jetzt zu sich rüber kommen! ...
MUSMANN
der vor Urls Ton wieder zurückgetaumelt war; durch seinen Paroxysmus ganz erschöpft; von der Seite nach dem Ausgang rechts schielend.

Nee! ... Sich umdrehend und plump- täppisch, leicht wankend, auf die Chaiselongue zu. Lieber schon ... Gähnend. Uuha! ...

URL
nachdem er sich ermannt hat, und aus dessen Ton jetzt auf einmal eine ihm sonst fremde Härte klingt; ihm nach; fast bis zur Mitte der Bühne.
Ich werde Ihnen sagen: Sie fürchten sich!
MUSMANN
sich mit Gewalt einen Ruck gebend; irritiert-ängstlicher Blick nach Url zurück, der stehngeblieben ist .
..
URL
ihn scharf beobachtend.
Sie können nicht mehr mit sich allein sein! ... Seit sich Ihr ... Opfer damals ...
MUSMANN
erst jetzt sich von seinem Fleck losreißend; wieder nach der Chaiselongue hin.
Ich ... hab den ... Ollen nich ... dodt jemacht!
URL.
O nein. Nicht direkt. Aber ...
MUSMANN
auf die Chaiselongue stierend.
Dafor ... schmeißen se ihm ooch ... in der Sezession ... jetzt ne Kollektivausstellung!
URL
fast grausam.
Das regt Sie wohl wieder auf?
MUSMANN
vor der Chaiselongue, auf die er noch immer starrt.

Mit dm ... Meechn aus m ... Schlafzimmer ... als Pjäß de ... Resistangß! ... Da wird Berlin ... Oogn machn!

URL.

Es war eine übel angebrachte Großmut von mir, damals nich gleich alles aufzubieten, um Sie festzusetzen!

MUSMANN
stumpf wütend; halb nach ihm zurückgedreht.
Ich! ... Ich! ... Immer ich!
URL.

Daß Sie es mir jetzt nachträglich nicht zugeben werden, ist [250] selbstverständlich. Sie haben mit Ihren Ausstreuungen und Drohungen nicht geruht, als bis Sie dem armen Gehetzten schließlich den Revolver in die Hand und die Kugel aus dem Lauf zwangen!

MUSMANN
schon fast hin- und herschwankend.
Das hat er mir ... auch suggeriert!
URL.

Um möglichst schnell in den Besitz der fetten Millionenerbschaft zu gelangen. Natürlich! ... Und die infame, niederträchtige Verdächtigungs- und Verleumdungskampagne, die sich dann nach erfolgter Testamentseröffnung ... mit diesem Ihrem Wahnsinn als Grundlage ... in einer gewissen Presse gegen ihn selbst entspann? ... Die hat er Ihnen wohl auch suggeriert?

MUSMANN
nach ihm zurückgedreht; ihn anstarrend.
Mm m?
URL.
Na wer anders als Sie hat denn dahinter gesteckt?
MUSMANN
ihn feindlich von der Seite messend; verächtliche Handbewegung, wie mit ihm fertig.
Pfff! ...
URL
angeekelt sich von ihm abwendend und nach dem Regal zu.

Sie wußten leider nur zu genau; selbst wenn der durch den Kot Geschleifte, dem man seinen jungen, unerhörten Ruhm beneidete, von seinem freiwilligen Exil aus sich hätte verteidigen wollen ... der Name seiner ihm eben erst angetrauten Frau, der Universalerbin, der in die allgemeine Erregung wie eine Bombe geplatzt war ...Sich auf ein knackendes Geräusch umdrehend; sieht, wie Musmann, der auf Spitzzehen nach der Chaiselongue geschlichen war und erst eine kleine Weile horchend gesessen, es sich heimlich auf ihr bequem macht. Sie! ... Auf ihn zu. Sie wollen doch nicht etwa hier Ihr Nachtquartier aufschlagen?

MUSMANN
sich lang ausstreckend, wobei er ihm den Rücken dreht.
Scht ...uß! ...
URL
ihn rüttelnd.
Ich muß doch sehr bitten!
MUSMANN
stöhnend.
URL
von ihm ablassend.

Widerlich! ... Nach einer kleinen Pause; schon in der Mitte der Bühne und von dort nach dem Regal zu. Jedenfalls wird Ihnen jetzt wenigstens eins aufgegangen sein: daß man Ihnen bei allen Ihren saubern Manipulationen sehr[251] genau auf die gelenken Finger gesehn hat! ...Rechts nach dem Tisch biegend. Und das lassen Sie sich doch ja noch gesagt sein: bei der geringsten Handhabe! Von jetzt ab gibts keinen Pardon mehr! Ein Gemeingefährlicher wie Sie gehört hinter Schloß und Riegel!

MUSMANN
erster Schnarchlaut.
URL
sich nach ihm hindrehend und bis zur Mitte der Bühne.
Der schläft wohl schon gar!
MUSMANN
leiser werdend .
..
URL
jetzt unmittelbar vor ihm.

Da hab ich mir was Schönes eingebrockt! ... Über ihn leicht, halb widerwillig, eine Decke spreitend, die auf der Chaiselongue gelegen; dabei dreimaliges, angeekeltes Ächzen; wieder von ihm abgewandt und auf den Tisch zu. Ich ... danke! Hebt vom Tisch den Leuchter, steht eine Sekunde wie nachsinnend, geht dann mit dem Leuchter, den er ein klein wenig höher hebt, etwas auf den Schrank zu, als wollte er noch arbeiten, steht so abermals einen Moment und dann ganz leichthin. ... Ach ... Sich wieder umdrehend. Morgen! ... Er will nun quer über die Bühne nach seiner Kammer. Es klopft. Einen Augenblick dastehend, als hätte er nicht recht gehört; dann den Leuchter wieder zurückstellend und auf die Tür zu, die er öffnet. Er erblickt vor sich Beatrice; zurückgeprallt; die Klinke noch in der Linken. Sie!? ...

BEATRICE
in dunklem Reisemantel, unter dem sie diskrete Trauerkleidung trägt; an ihm vorbei in den Raum tretend; langsam, wie hypnotisiert auf das Regal zu; in ihrem ganzen Wesen eine große Müdigkeit und Erschöpfung; ungefähr in der Mitte der Bühne stehngeblieben; leise.

Ja. Wie fremd den Raum musternd; ganz kurze Pause; ohne sich nach Url umzudrehen. Sie haben uns nicht ... Ihn jetzt erst mit einem Blick streifend, dann wieder durch den Raum. erwartet?

URL
von seiner Überraschung noch immer nicht ganz zu sich gekommen; mit einer hilflosen Geste die Tür schließend.
BEATRICE
ohne ihn anzublicken.

Ich dachte es mir! ... Aus Ihren Briefen! ... Sie leben hier ... Blick nach Tisch und Arbeitsschrank. unter Ihren Plänen ... wie auf einem Leuchtturm! ... Hat jetzt Musmann entdeckt, nach dem sie, leicht vorgebeugt, spähend [252] hinüberblickt; fragender Blick zu Url, der erst jetzt die Klinke losläßt.

URL
halb zu ihr, halb zu Musmann rüber.

Ich las ihn ... vor noch nicht einer Stunde ... in der Friedrichshaingegend auf. Seit er nicht mehr malt ...

BEATRICE
lasch abwehrende Geste; müde auf den Tisch zu, vor dem sie sich langsam nach Url zurückdreht.

Kleine Pause. Ihn plötzlich voll anblickend. Letzter, erschütterndster Tonfall, als ob man sie ins eigne Herz getroffen. Das ... Bild ist zerstört! ...

URL
der bei dem Wort »Bild« zusammengezuckt war; entsetzt auf sie zu.
»Das ...«?
BEATRICE
schwer; alle drei Silben stark betont, vor der dritten noch ein Einschnitt; klagender, unterdrückter Zorn; Url immer noch anblickend.
Absichtlich!
URL
der vor ihrem Schmerz stehngeblieben war; den Zusammenhang sofort ahnend; jedes Wort stärkst fragend.
Ihr ...? Ihr ...? Bild ...?!
BEATRICE.

Die ... Tat ... eines ... Nach Musmann rüber, zu dem Url jetzt ebenfalls blickt. Wahnsinnigen ... Wieder zu Url. oder ein ... Racheakt!

URL
fast atemlos; mit einem nochmaligen Blick Musmann streifend.
Hat man ... einen Anhalt?
BEATRICE
sich nur mühsam wieder zusammenraffend.

Wie es scheint ... noch nicht. Wir erhielten nur das Telegramm ... und erreichten grade noch den Zug.

URL.
Und wo ist Ihr ... Stockend. Mann?
BEATRICE
als ob dieses Wort sie innerlich getroffen hätte; einen Augenblick ebenfalls stockend.
Der fuhr eben vom Bahnhof ... sofort nach der Sezession.
URL
wieder, wie vorhin, halb nach Musmann.
Hat er schon ... Verdacht auf ihn? Oder sonstwie irgendeine Vermutung?
BEATRICE
ausweichend; wie in weite Ferne vor sich hinsehend.
Ich ... weiß es nicht.
URL.

Das geringste ... Nachdenken müßte ihn doch ... Es ist für mich ... gar kein Zweifel! Ich behaupte sogar ... mit aller Bestimmtheit ...

BEATRICE.
Auch für mich ist kein Zweifel.
[253]
URL
auf Musmann zu.
Er darf ihn hier unmöglich ...
BEATRICE
Geste.

Nein. Lassen Sie ihn! Sie können ihm dann ... auf diese Weise ... für den Notfall gleich versichern ... Sie wären die letzten vierundzwanzig Stunden ... jede Minute mit ihm zusammen gewesen! ...

URL
wieder nach ihr zurückgedreht.

Erst jetzt ... faß ichs! ... Ein Werk, das so ... zitterndstes Leben war! ... Nach allem, was über ihn hereingebrochen ... muß das in ihm aussehn!

BEATRICE.

Die Art ... wie er mir von dem Geschehenen Mitteilung machte ... verriet mir deutlich, was ihm sein Werk in der Zwischenzeit ... wieder geworden war.

URL
mit einem erneuten Blick auf Musmann.
Um Gotteswillen! Wieder zu Beatrice. Bei seiner Maßlosigkeit! ... Wenn er dahinter käme!
BEATRICE.
Er darfs nicht! ...
URL.
Wann hat man es entdeckt?
BEATRICE.
Gestern nachmittag, als die Sezession geschlossen wurde.
URL
wieder mit einem unwillkürlichen Blick nach Musmann zurück.

Nun ... versteh ich! ... In seiner Verfassung erst jetzt ihre absolute Erschöpftheit bemerkend. Verzeihung! ... Ihr am Tisch den rechten Sessel zuschiebend. Ich war von Ihrer Eröffnung ... so konsterniert ... Sie müssen ja todmüde sein!

BEATRICE
ihre langen Handschuhe ausziehend, die sie in eine Tasche ihres Mantels steckt, während Url hinter ihr um den Tisch geht und die übrigen vier Lichter anzündet.

Danke. Sie legt auch den Hut ab; nach dem Bilde hin; während sie den Mantel aufknöpft. »Kameraden!« ... Das hat ihm gekostet! ...

URL
links vor dem Tisch; sie anstarrend; nach einer kleinen Pause.
Sie tragen ... Trauer.
BEATRICE
die sich gesetzt hat.
Sollte ichs nicht?
URL.
Allerdings. Nur ... Abbrechend. verzeihn Sie.
BEATRICE.
Sie dürfen zu mir ... ganz offen sein. Sprechen Sie ruhig alles aus.
URL.

Es ... schoß mir nur durch den Kopf. Ich ... Wie konnten Sie es nur ... über sich gewinnen, Ihren Mann jetzt ... in diesem Augenblick allein zu lassen?! ...

BEATRICE.

Ich? ... Wieder aufgestanden. Sein linker Stiefelabsatz ist ihm mehr wert ... Jäh abbrechend; an die Glastür tretend, durch [254] deren dunkle Scheiben sie hinausstarrt; nachdem sie sich wieder gefaßt hat, sich wieder in den Raum zurückdrehend. Und außerdem wars ja auch meine Pflicht Mit einem Blick nach Musmann. Sie zu warnen.Url: nicht fähig, vor Erschütterung auch nur ein Wort zu sprechen. Beatrice, wieder an den Sessel getreten, andrer Tonfall. Er hat Ihnen die ganzen Monate nichts geschrieben?

URL
mühsam.
Wir korrespondierten ... nur rein geschäftlich.
BEATRICE
während ihr Blick die leeren Wände streift.
Wegen der Bilderverkäufe.
URL.
Persönliches haben wir nie berührt.
BEATRICE
leis mißtrauischer, sich vergewissernder Blick nach ihm, auf den hin Url etwas zur Seite sieht; etwas veränderter Ton.

Wie wir beide auch. Dann nicht ohne einen gewissen kleinen Vorwurf in der Stimme; einige Schritte nach rechts, dann auf das Regal zu. Sie hätten das Geld, das ich Ihnen für Ihre Idee zur Verfügung stellte, nicht zurückweisen sollen.

URL
zögernd.

Ich wollte nicht ... ohne sein Wissen ... Beatrice nach ihm rüberblickend; Url mit einem Blick über die leeren Wände. Und als sich dann hier ... durch meine Tätigkeit als sein unumschränkter Sachwalter ... die ersten Anknüpfungen ganz von selbst ergeben hatten ...

BEATRICE
im Weitergehn auf das Regal zu; ohne nach ihm hinzublicken, halb automatisch.
Dann darf man Ihnen ja also schon fast ... gratulieren!
URL
Geste; ihre Gratulation bis zu einem gewissen Grade akzeptierend.
BEATRICE
vor dem Regal; mit den lose gespitzten Fingern der Rechten leicht über einige Tasten gleitend, ohne daß ein Ton erklingt; melancholisch bitter.
Die sieben ... Verwandlungen! ...
URL
nach einer kurzen Pause; bis zur Mitte der Bühne; dann nach ihr zurückgedreht; langsam.

Ich habe Ihre Einwilligung zur Ausstellung des gesamten Dieses letzte Wort ganz besonders und eigentümlich betont. künstlerischen Nachlasses den Herren von der Sezession übermittelt. In drei Tagen bereits ...

BEATRICE
nach ihm zugedreht, hastig.
Jenes Original befindet sich doch nicht schon dort?
[255]
URL
erschreckt; die rechte Hand vor der Stirn; ihm taucht auf, wie Hollrieder jetzt in der Ausstellung usw.
; beide sehen sich einen Augenblick wie ratlos an.
BEATRICE
vor ihrer Vorstellung zusammenschauernd.
Wenn ers gesehn hätte! Jetzt! In seinem ... Aufruhr! ...
URL
wieder auf seinen Platz links; wie nach einem Ausweg suchend.
Es wäre ein fatalstes ... Zusammentreffen!
BEATRICE
sich aufraffend; mit dem Versuch, sich zu beruhigen, bis in die Mitte des Vordergrunds.

Ich durfte nicht anders handeln. Ich war das dem Andenken meines ... Das Wort nur zögernd aussprechend, als ob es ihr Schmerz bereite; Url unwillkürlich abgewandt. Vaters schuldig! Es bleibt ... sein eigentlichstes Werk.

URL
wieder ihr zugewandt; mühsam; die linke Hand, den Arm ausgestreckt, auf der Lehne des linken Sessels.
Auch auf mich war der Eindruck ... ein elementarer gewesen!
BEATRICE
sich nach ihm zurückdrehend und auf den Tisch zu; kleine Pause; nachdem sie sich gesammelt hat; sich setzend.
Ich habe ... eine Frage an Sie.
URL
hinter den Sessel links getreten; zögernd; nicht ganz sicher, wie er sich dazu stellen soll.
Ich ... ahne nicht.
BEATRICE
zu ihm aufblickend.
Werden Sie sie mir ... beantworten? Auf sein Stutzen. Der Wahrheit gemäß?
URL
leicht bestürzt.
Wenn es in meiner ... Macht und Möglichkeit liegt?
BEATRICE
nach einer wieder ganz kurzen Pause; absichtlich andrer Tonfall; ihn dabei nicht anblickend.

Die erste Zeit, die wir in London verlebten, war für mich ... ich muß heute leider ... überzeugt sein, nur für mich ... eine seltsam glückliche! ... Trotz des ... entsetzlichen Hintergrundes ... ich hätte es nie zu hoffen gewagt ... sie war für mich ... fast schattenlos! ... Schließlich ... freiwillig ... gab ich mein Jawort! ... In plötzlicher Erinnerung zusammenschaudernd. Ich hätte es nie ... tun dürfen! Nach kurzer Pause wie vorhin. Als wir dann ... nach einer sonnigen Überfahrt ... unser Haus in Bougival betraten ... ich weiß es noch: es war an einem Freitag Spätnachmittag ... traf ihn als erstes ... Ihr Telegramm! ... Nie hab ich an einem Menschen, einen blitzschnellen Moment lang, eine so schreckhafte [256] Verändrung gesehn! Ich erriet sofort. »Willst du mir ... das Blatt ... nicht geben?« ... »L. tot. Brief unterwegs!« Mit geschlossenen Lidern; zurückgelehnt. Ich fühle noch heute ... seine Augen auf mir! ... Nach einer kleinen Pause. Jenen Brief, der am nächsten Morgen eintraf, habe ich nie Url dabei groß anblickend. gelesen! ...

URL
nach einem kurzen Kampf; leise, aber bestimmt.
Sie ... durften ihn nicht lesen! ...
BEATRICE
mit aller Kraft sich zusammenraffend; Url wieder nicht anblickend.

Unser ... Hochzeitstag ... war sein Todestag gewesen! ... Seit jener Sekunde ... war alles zwischen uns aus! ... Wir lebten, als ob unsichtbare ... Zerquältes ohnmächtiges Hin und Her der Hände vor sich in der Luft. Glaswände trennten! ... Die Hände wieder lasch über die Lehnen. Kein Wort mehr! Kein Blick! ... Nur die kühlste ... schonendste Rücksichtnahme und Gelassenheit! ... »Rücksichtnahme«! ...

URL
der den Sessel verlassen und einige Schritte nach dem Vordergrund zu getan hat; nach einer kurzen Pause; nachdem er auch diese Eröffnung verwunden; nach ihr zurückgedreht.
Hat er ... gearbeitet?
BEATRICE
schmerzlichst von ihm abgewandt.
Weiß ichs?
URL.
Da er doch ... die ganze Zeit in Ihrem Hause ...
BEATRICE.

In »meinem Hause«! ...Ja! ... In »meinem Hause«! ... Er betrachtete es wie ein gemietetes Hotel! ... Nicht einmal ... die üblichen, laufenden Ausgaben ... ließ er mich mehr bestreiten! Das war »seine Sache«! An irgendeinem Zehncentimestück hätte ja ... Geste; sich selbst unterbrechend; von neuem. Er hat gearbeitet! ... Unablässig! ... Oder vielmehr: es hat in ihm gearbeitet! ... Ohne Rast! ... Ohne Aufhören! ... Innerlich!! ... Er ist ja so durchsichtig! ... So verschlossen er sich auch stellt! ... Aber was? ... Das kann ich Ihnen nicht sagen! ...

URL
von neuem in den Vordergrund links.
Nur Arbeit ... nur neue ... wirkliche Arbeit ... kann ihn retten! ... Ihnen ... und ...
BEATRICE
aufstehend.

Mir ... »rettet« ihn nichts mehr! ... Nach einer neuen kurzen Pause; jetzt im Mittelpunkt der Bühne und sich nach Url zurückdrehend. Als dann ... kurz darauf ... Ihr Brief an mich kam ... der mir die ganze ... für unsre deutschen Verhältnisse [257] ja ... fast unglaubliche Summe der Hinterlassenschaft meldete ... da war mein erster Impuls gewesen: nichts annehmen! ... Nichts! ... Nichts!! ... Alle Brücken hinter sich abbrechen! ... Kein Hauch mehr, der an etwas ... erinnerte! Auf einen unwillkürlichen stummen Einwand Urls; wieder etwas nach rechts. Aber ja, ja! Sie haben ja recht! Und ich sagte es mir ja auch!Wieder nach links. Das wäre für die Meute nur der Beweis gewesen! ... Stehngeblieben; zu Url rüber. Der Beweis! ... Wie man sich auch Von neuem nach rechts. drehte ... wohin man sich auch wendete ... In der Mitte der Bühne wieder nach Url hin. Der Beweis! ... Wieder nach links. Ich brachte es damals ... oft tagelang nicht fertig ... Wieder nach rechts. ihm auch nur unter die Augen zu treten! ... Wieder nach Url zurückgedreht in der Mitte der Bühne. Und er weiß es ... noch heute nicht ... daß ich die Erbschaft antrat! ... Seinetwegen!! ... Vor sich in der Mitte des Raums »wie in die Zukunft« blickend; leidenschaftlichst-wuchtigst, beide Hände in unwillkürlich unterstreichender Geste. Er soll ... wenn ich einmal ... nicht mehr bin ... Abbrechend; sich noch steigernd. Er soll ... frei werden! Ganz frei! ... Fest; trotz ihres Schmerzes. Frei von ... allem!

URL
nach einem tiefen Schreck.

Sie ... ent ... setzen mich! Sie ... lassen mich da ... in einen ... Seelenzustand sehn ... Anders; eindringlich weiter; unwillkürlich etwas auf sie zu. Geben Sie sich nicht ... solchen ... Stimmungen hin! ... Wenn ich mich auch ... damals ...

BEATRICE
die erst jetzt und auf dieses Wort ihre Augen ihm wieder zugekehrt; schwermütigst schmerzlichst; vieldeutig.
Damals!
URL
noch beschwörend-eindringlicher.
Noch zurückreißen ließ ... ich ... weiß am besten ...
BEATRICE
mit großen, wie visionär-starr erweiterten Augensternen, den Kopf halb nach oben, die Rechte leis hebend, den alten Claudiusschen Text langsam, die fast »transzendent« veränderte Stimme metallisch-dunkel schwebend, vergeistert statuarisch, aus letzten Tiefen, wie die Muse der Tragödie, zu rezitieren beginnend.
»Gib ... deine ... Hand ...«
URL
der ihr aus verstehendstem Entsetzen zugehört; leicht vorgebeugt; [258] die wie beschwörendst erhobne Rechte etwas höher als die Linke.
Um ... alles ...
BEATRICE
die Stimme etwas höher; die Rechte noch erhobner; schon wie fast außer Raum und Zeit.
»Bin ... Freund ... und ...«
URL
in fast noch derselben Stellung; beide Hände bricht flehend gewölbt-einwärts in jetzt gleicher Höhe; suggerierendst-eindringlichst.

Sie ... müssen mit ... letzter Kraft Abbrechend und beule Arme mit leisem Achselzucken, wie machtlos, schwer wieder an sich zurückklappen lassend; etwas veränderte Stimme. Es ... gab auch ... für mich ... Die Hände an den herabhängenden Armen mit offnen Flächen, wie bekräftigend, sein Geständnis unterstreichend. noch einen ... Mit der wieder erhobnen Rechten, deren Hand er wie leise warnend schüttelt, nach dem Schränkchen über der Chaiselongue; die erste und die letzte Silbe schmerzlichst betont. Augenblick ...

BEATRICE
die nach aufhorchendstem Begreifen einen kurzen, verstehenden Moment erschauernd nach ihm rübergeblickt; wie magnetisch, trotz innersten Grauens, mit jetzt gleich erhobnen Armen, die Augen groß auf, einen halben Schritt, die rechte Fußspitze noch auf dem Teppich, nach dem Schränkchen; die Stimme noch höher, fast schon wie singend: »Und .
.. komme ... nicht ...«.
URL
ihr nachblickend; ähnliche Geste wie bereits einmal eben vorhin; in seiner Stimme etwas verschleiert-bittres.

Und ... vielleicht ... nur ... Halb wie wehmütig sich beklagend-anklagende Geste mit der wieder etwas erhobenen, leicht vibrierenden Rechten nach jener Stelle vor der Tür. weil ein paar ... armselige ... einer entsetzt überrascht sprachlos ... bis ins Herz Getroffnen ... entglittene bunte ... Rosen ...

BEATRICE
nach einem abermals kurzen Blick nach ihm; mit der halb erhobnen Rechten, die offne Handfläche parallel ihrer Körperseite, die beiden ersten Silben, verstärkt hinweisend, noch verdeutlichend-schärfer akzentuierend.

Die ... dort ...Ganz zu ihm hingedreht; mit einem wie leeren Blick durch den Raum um sich; Ton tiefstinnerster Anteilnahme. Als ... Sie hier ... ganz ... allein ...

URL
wieder die halb hilflos sich wie entschuldigende, halb wie resignierte Geste, wie bereits zweimal vorhin; trotzdem jetzt fester, [259] zuletzt sich ehrlich-offen selbst bezichtigend, in seinem Satz weiter.
Und ... ich ... zum zweitenmal ... töricht glaubte ...
BEATRICE
die ihn jetzt voll angeblickt; wie fast in der Hoffnung, ihn damit »auf ihre Seite« zu ziehn.

Und ... haben Sie s nicht ... Dabei nach seinen Rollen mit den Plänen blickend; unwillkürliche Geste. trotzdem ... bereut?

URL
nach kurzem Kampf; stehngeblieben.
Nein! ... Denn ich habe nun Höhen und Tiefen des Lebens durchfühlt ...
BEATRICE
bitter; ihn unterbrechend; langsam nach vom rechts.
An ... andern!
URL
schmerzlich.

Eine Durchschnittskreatur wie ich ... soll froh sein ... Abbrechend; warm; nach ihr hin. Und wenn ich nichts dafür ... errungen und eingetauscht hätte ... als meine Freundschaft! ... Bereits damals ... die für ihn ... und jetzt ... Leiser. auch die für Sie! ...

BEATRICE
vorn rechts nach ihm zurückgedreht; vor sich hinstarrend; dann ausbrechend.
Wenn ich dafür ... die Erklärung wüßte ... was ihn mir ... so genommen hat!
URL
vor ihrem Ausbruch machtlos; entsprechende Geste; dann wieder ganz nach links vorn.
Das ... weiß ich nicht. Sich wieder nach ihr zurückdrehend.
BEATRICE
in schnell sich steigernder Hysterie; immer näher auf ihn zu.

Sie wissen es! Sie sagen s nur nicht! Sie glauben mich damit ... »schonen« zu müssen ... daß Sie s mir nicht ... verraten! ... Nur um es zu erfahren ... um es endlich rauszubekommen ... habe ich mich ja ... zu dieser Rückkehr ihm aufgedrängt! ... Warum schweigen Sie? ... Warum sind Sie so herzlos? ... Wie können Sie nur zusehn ... daß sich ein Mensch vor Ihnen ... Plötzlich; vor ihm hoch aufgerichtet. Ich will es wissen! Ich muß es wissen! Noch ... lasse ich ihn nicht! ...

URL
erschüttert; nach einer kurzen Pause; halb leise.
Ich gebe Ihnen ... mein Ehrenwort: Ich weiß es nicht! ...
BEATRICE
nach einer Pause; sich abwendend; bis zur vorderen Mitte der Bühne; dann nach ihm zurückgedreht; von neuem; anderer Tonfall.

Sie waren an jenem schrecklichen Tage ... dabei! In diesem Raum hier! ... Einen Moment halb nach der Tür zurückgedreht, durch die Lipsius damals gegangen war. Sie haben [260] sein letztes Wort gehört: ... »Um ... deinetwillen«! ... Und trotzdem! ... Dieser ... furchtbare Ausgang! ...

URL.
Es war für ihn ... vielleicht das beste so.
BEATRICE
einige Schritte nach rechts.
Für ihn!
URL.
Für ... alle.
BEATRICE
wieder zurück; verzweifelt.

Nein! ... Nein!! ... Für mich nicht! ... Für mich ... nicht!! ...In der vorderen Mitte der Bühne von neuem stehngeblieben.

URL
stutzt; nach einem Augenblick fast vollständiger Verständnislosigkeit.
Warum ... quälen Sie sich so?
BEATRICE
nachdem sie sich bis zu einem gewissen Grade wieder gefaßt hat; halb ihm zugedreht, aber ohne ihn anzusehn.

Nie hatte ich die ganzen Jahre auch nur den leisesten Entlastungsgrund für ihn gehabt! In der grenzenlosen Erbittrung, die mich gegen ihn erfüllte, war ich mir meines absoluten Verdammnisurteils so sicher gewesen. Und nun? Wie sich ganz von allem absondernd, die Augen schließend. Weiß ich nichts mehr! ...

URL
erschüttert.
So ... kann ein Tod ...? ...
BEATRICE
wie entrückt; vor sich in den Raum.
Alles in uns wandeln. Ja!
URL
langsam; unterstrichen.
Es gibt ... eine Schuld ... die auch der Tod nicht löscht.
BEATRICE
tiefst, schwerst, dunkelst; aus letztem Untergrund; ihm zugewandt.

Woran sind wir schuld ... und woran sind wir nicht schuld? Wieder wie vorhin; nur womöglich noch gesteigert. Jetzt ... wo alles um mich wankt und sinkt ... fühle ich es wieder ... in mir aufgewacht! ... Letztes, rückhaltlosestes Bekenntnis. Ich habe ihn geliebt, wie man einen Menschen nur lieben kann! Und ... ahnungslos ... habe ich alles getan ...

URL
den ihre ersten Worte wie gebannt gehalten; instinktiv-argwöhnisch nach Musmann rüberblickend, der schon längst den Schlafenden nur noch markiert.
Mir ... war ...
BEATRICE
die das gar nicht beachtet; ihren Satz zu Ende bringend.
Um ihn ... zu Fall zu bringen!
URL
dem fast der Atem stockt.
Nicht einmal ... denken dürfen Sie so etwas!
BEATRICE
der Urls Worte kaum ans Ohr, geschweige denn bis ins Bewußtsein gedrungen sind; wie in eine ferne Erinnerung versunken, [261] die sich ihr qualvoll, fast wider ihren Willen, in Worte umsetzt.

Ich stand vor ihm ... als spähende Psyche. Die betreffende Positur unwillkürlich, wie traumhaft, andeutend. Die Leuchte ... über dem Schlummernden! ... Url, wie hilflos-ohnmächtig, sich auf den Hocker setzend. Schon ... begann ich aus dem Stein zu leben! ...

URL
in Gegenwart Musmanns schon jetzt eine »letzte Offenbarung von ihr fürchtend; angstvoll nach diesem hin.
Um ... Himmels ...
BEATRICE
wie visionär.
Plötzlich ...
URL
seinen unterdrückt-besorgten Ausruf, in den sie unbeirrt mitten hinein weitergesprochen, beendend.
Willen!
BEATRICE
die ihn überhaupt nicht gehört.

Sein Arm sank ... zum erstenmal ... spürte ich ... seinen Blick! Url: beschwörende Geste, daß sie aufhören solle. »Bist du schon ... müde, Vater?«

URL
aufgestanden, fast tonlos.
Ich bitte Sie ...
BEATRICE
visionär weiter.
» Zieh dich an!«
URL
seine angstvoll-ohnmächtige Aufforderung an sie beendend.
Inständigst!
BEATRICE
wie vorhin.

Mir war zumut, als hätten seine Worte mich geschlagen! ... Url in seiner Ohnmacht, den Blick dabei auf sie gerichtet, sich wieder setzend. Ich durfte die gesamten Werkstätten nicht mehr betreten. Kaum ... sah ich ihn noch.

URL
gequält.
Warum ...? ...
BEATRICE
in vollkommener Selbsthypnose.

Heimlich, durch versteckte Zärtlichkeiten, bettelte ich um seine alte Liebe. Er wurde nur abweisender. Das Ende vom Liede? ... Die hundert Meilen weite Pension!

URL
in lebhafter, innerster Anteilnahme; für den Toten eintretend.
Es ... war von ihm ...
BEATRICE
an die kein Laut mehr von ihm dringt.
Ich ... kam mir vor ... wie verstoßen.
URL
wie vorhin.
Diese ... Trennung ...
BEATRICE.

Erbittert ... verbiß ich s! ... Wochenlang! ... Monate! ... Auch von seiner Seite ... kein Wort, kein Zeichen! ... Url wieder beunruhigt nach Musmann rüber. Dann begann es. »Wer hat dich mir gestohlen? Wem habe ich weichen müssen?« Glühende, [262] leidenschaftlichste, tränengetränkte Briefe! »Du hast meine Mutter geliebt? Du hast mir dein Wort gegeben, wenn ich mal ganz erwachsen sein werde, wirst du mir alles von dir sagen? Alles? Es sollte gar kein Geheimnis mehr zwischen uns geben? Deinetwegen habe ich mir heilig gelobt ... Url gespannt zu ihr vorgebeugt. nie heiraten zu wollen?« ...

URL
der kaum recht gehört zu haben glaubt; fast entsetzt.
»Nie ...?!«
BEATRICE
wie vorhin.

»Wirf das ... Frauenzimmer ... raus!« ... Url, da sie ihre Stimme unwillkürlich erhoben, besorgt nach Musmann. Das Ende ... abermals vom Liede? ...

URL
beschwörend.
Lassen Sie ... Vergangenes ...
BEATRICE
ganz entrückt; als erlebte sie jene Zeit nochmals.
Ich ... war wieder ... in seinem ... Haus! ...
URL
noch flehender.
Vergangen sein!
BEATRICE
wie vorhin.

Nichts! ... Ich hatte mich getäuscht ... Niemand! ... Ich begriff nicht. Die Zimmer meiner Mutter, in denen seit ihrem Tode nichts verändert worden war, waren früher stets verschlossen gewesen. Jetzt ... hielt er sich fast nur noch in ihnen auf. Seine Kunst existierte für ihn nicht mehr. Mit Schmerz erfuhr ich: ... er hatte die ganze Zwischenzeit ... kaum in sein Atelier gesehn! ... Die unvollendete Arbeit stand bedeckt ... wie ich sie verlassen hatte. Was war ihm? Er, der sonst so Lebensfreudige, hatte, wenn er sich unbeobachtet glaubte, jetzt einen Ausdruck, vor dem es mich jedesmal ... überlief. Er ging zugrunde, wenn er nicht wieder arbeitete! ... Umsonst drang ich in ihn. Er hörte nicht mal. Ich wollte ihm wieder Modell stehn. Er wies mich ab. Kurz, schroff, heftig! ... War ich schuld? ... Sein Schweigen sagte es mir. Wildeste, ohnmächtigste Kämpfe und Verzweiflungsszenen! Er blieb fest. Ich wand mich vor ihm! Vergeblich. Einmal drohte ich ihm, ich würde auf immer das Haus verlassen! »Tu's«. »Du lebst nur noch ... für eine Tote! Die Lebende ... gilt dir nichts mehr!« Ich beschimpfte die Mutter! ...

URL
der sie bis dahin, wie entgeistert, angestarrt.
Sie ...? ...
BEATRICE.

Wir ... kannten uns nicht mehr! Endlose, eintönige, traurige Tage! Beide mieden wir ihre Zimmer! ... Am Abend vor ihrer Todesnacht. Morgen werde ich sechzehn. Der letzte Raum der [263] langen Reihe. Zitternd hatte ich mich eingeschlichen. Alter Rosenduft. Die weißen Seidenwände schimmerten. Aus mattem Goldglanz, im Brautkleid, ihre strahlende Jugend über ihrem Sterbebett!

URL
unwillkürlich aufgestanden; stumme, wie flehende Gebärde, aufzuhören, nach abermals instinktiv beunruhigtem Blick nach Musmann rüber.
Sie ... sollten ...
BEATRICE
einen Moment ausbrechend.
Ich muß es mir ... von der Seele sprechen! Alles! ... Url: noch beschwörendere Geste. Alles!!
URL
wieder in der Doppelangst um sie und Musmann, abwehrend.
Es hat ...
BEATRICE
in ihren Ton von vorhin zurückfallend.

Im runden Glasspind stand dort noch dasselbe Kleid! Mit verhaltnem Atem ... suchte ich nach dem kleinen Silberschlüssel. Es war offen. Schnell! ... Es paßte ... wie für mich gemacht! ... Erwartungsvoll, mit klopfendem Herzen Immer entsprechende, verdeutlichende Gesten. verglich ich mich mit ihr im Spiegel! ... Nein! ... Das war nicht mehr ich ... ich ... das ... war sie! ... Sie! ... Da ... hinter mir ... aus dem leichtgetrübt blinden ... bunt-venezianisch gefaßten Glas ... im offnen Türrahmen ... aschfahl ... sein Gesicht! Wir starrten uns an. Sekunden? Minuten? Dann ... schwand es. Als ich mich wieder umzudrehen wagte, bewegte sich nur noch leise der lichte, leichte, mit kleinen, blauen Blüten überstreute Vorhang. Was war das für ein ... namenloses Grauen gewesen? Was hatte ihn so ... entsetzt sein lassen? War es schon so weit mit ihm? Hatte er hier ... bei ihr ... von allem ... Abschied nehmen wollen? Wieder Wochen! Ich fand keine Ruhe. Oft, von tödlicher Angst gepackt, lauschte ich an seiner Tür. Und ich merkte: auch er ... belauerte mich! Keiner traute dem andern mehr, jeder wußte ...

URL
aus seiner ängstlich abwartenden Stellung von neuem nach Musmann.
Wenn nur nicht ... das Unheil ...
BEATRICE
um ihn unbekümmert weiter.
Wie er ... bewacht wurde!
URL
nochmals nach Musmann.
Das Unheil ... es will ...
BEATRICE
jetzt halb zu Url; etwas anderer Tonfall.

Allmählich ... langsam ... ohne daß ich es eigentlich selbst recht hatte sagen können, wie es gekommen war, war er wieder anders zu mir geworden. [264] Weich, nachgiebig, oft fast rührend wie zu einem Kind. Und doch so seltsam. Ich mußte mit ihm in Gesellschaften und auf Bälle. Er machte auf einmal ... ich hatte es als Kind nie erlebt ... wieder ein großes Haus. Alles wurde auf den Kopf gestellt. Theater, Konzerte, Feste! Allerhand junge Leute tauchten um mich auf. Die Bevorzugtesten wurden mir wie auf Präsentiertellern gereicht. Endlich merkte ich es. Ich lachte ihn aus! Und was mich dann ganz und gar nicht mehr aus ihm klug werden ließ, er versuchte nicht einmal, mich umzustimmen! Mit einem inneren Triumph nahm ich sogar wahr: er war mir dafür gradezu dankbar!Nach Url nicht mehr hin. Hatte er damals gesehn, wie ich ihr glich? Ihr ... die er so geliebt hatte? Url wieder lebhaft unruhig nach Musmann rüber. War ihm das nachträglich zum Bewußtsein gekommen? ... Url ihr wieder bittend-beschwörend zugewandt. Ich entschloß mich ... zu einem ...

URL
der jetzt die Entschleierung ihres letzten Geheimnisses fürchtet; tiefst erschrocken.
»Zu ...«? ...
BEATRICE
ihren Satz mit erhobner Stimme schließend.
Gewaltstreich!
URL
wieder mit einem besorgt-angstvollen Blick nach Musmann rüber; allereindringlichst.
Ich ... flehe Sie an! ... Sie ... sollen mir nicht ...
BEATRICE
die ihn wieder gar nicht beachtet, von ihrer Erinnerung immer gepackter.
Frühling!
URL
halb nach ihr, halb nach Musmann.
So ...
BEATRICE
weich; fast verzückt.
Morgen.
URL
in seiner Beschwörungsformel weiter; noch angstvoller.
Hören Sie doch!
BEATRICE
mit entsprechender Geste.
Die Ateliers ... leer.
URL
noch dringender; aber auch selbst hier noch in seiner Seelenangst um sie mit behutsamster Diskretheit.
Hören Sie doch!
BEATRICE
durch nichts von ihm mehr ablenkbar.
Er hatte mir ... versprechen müssen: »Punkt sieben Uhr ... holst du dir aus deiner Werkstatt ...«
URL
der sich kaum noch zu »raten« weiß.
Mein ... Gott ...
BEATRICE
ihre eigenen alten Worte, wie sie sie damals gesprochen, noch weiter wiederholend.
»Ich ... sags dir nicht! ... Du versprichst es mir?«
[265]
URL
halb zu sich selbst, halb nach Musmann.
Daß mich ... das Verhängnis ihn ...
BEATRICE
die Szene von damals zu Ende rekapitulierend.
»Bei deiner Liebe ... für meine Mutter?« ... »Ja!« ...
URL
wie vorhin.
Grade heute und ... in diesen ... Sich verzweifelt im Atelier umblickend.
BEATRICE
immer dramatisch-belebter.

Ganz still hatte ich den hohen Raum voll Blumen gestellt. Ganz still die Fliesen mit Rosen bestreut Ganz still sein Arbeitszeug zurechtgerückt. Ich deckte den Marmor ab. Ich schwur mir: Das soll sein größtes Werk werden! Ein letztes Zögern ... Geste, als ob sie schnell etwas von sich abgeworfen hätte.

URL
den Blick, wie gebannt, auf Musmann richtend.
Hat er sich nicht ... deutlich eben ...? ...
BEATRICE
die Arme, noch gestrafft, halb hinter sich; Url voll anblickend.

Ich stand ... an derselben Stelle ... in derselben Haltung, in der ich damals gestanden hatte. Seine schnellen Tritte ... jetzt! ... Sein Entsetzen markierend; Url angstzerquält sich abwendend, Hand vor der Stirn, Augen zu. »Sibylle!!« ... Einen Augenblick noch, dicht vor mir, seine verzerrten, zornigen Züge, seine erhobene Hand ... Die Augen geschlossen, ihrer Erinnerung fast erliegend. dann ...

URL
auf Spitzzehen leis zu Musmann gegangen, vor den er sich, beobachtend, stellt, worauf dieser einen leichten Schnarchlaut markiert; halblaut; unwillkürlich, fast nur wie zu sich.
Nein ...
BEATRICE
ihren Satz schließend.
Sah ich nichts mehr! ...
URL
wie vorhin.
Er ... scheint wirklich ...
BEATRICE
die währenddem, wie in sich versunken, dagestanden; nach einer kleinen, erschöpften Pause; schwach, langsam, wie eine Genesende.

Durchs offne Fenster ... dunkles Grün. Lindenduft! Wo war ich? ... »Du?« ... Er saß vor meinem Bett und streichelte meine Hand. Ein leises ... Grauen. »Kind!« ... Zitternd wandte ich mich ab. Wie lange ... hatte ich so krank gelegen ... Kaum hörbar. »Reich mir ... den Spiegel.« Als ob sie sich in einem solchen besähe. Gott sei Dank! So ... so ... hatte sie ... nie ausgesehn! ... Kraftlos fiel ich zurück. Seine Lippen auf meinen. Schmerz durchzuckte mich. Als ich die Augen wieder öffnete,[266] rollten von meinen Wimpern seine Tränen. Ich spürte nur das eine: Nie wieder ... wird er dir ... etwas abschlagen können! Nie ... dir die Erinnerung daran ... verwischen! ... Wie behutsam er jetzt auch verfuhr, sobald er den Blick von mir ließ, verfolgte ich ihn mißtrauisch, und sah er mich an, so verbarg ich mich ihm wieder. Nicht einen Augenblick aber ... verlor ich die Gewißheit: Nun hast du Gewalt über ihn! Für immer! ... Bis ich ... wieder aufstehn durfte! ... Fast nach den ersten, schwachen Schritten schon, so schaudernd ich fühlte, wie grausam das war: planmäßig, gegen alle Vernunft in mir, taub gegen eine deutliche, innere Stimme, die mich warnte, tu's nicht, quäl ihn nicht, habe Mitleid mit ihm, machte ich von meiner Macht Gebrauch. Erbarmungslos! »Was hatte dich so furchtbar gegen mich aufgebracht? Was habe ich dir getan? Was hattest du die ganze, schreckliche Zeit gegen mich?« Er bat mich und flehte: »Laß das Vergangene! Was gewesen, ist nicht mehr!« »Das ist nicht wahr! Das glaub ich dir nicht! Das glaubst du selbst nicht!« Er schwieg und duldete. Ich spannte ihn auf die äußerste Folter. »Warum durfte ich dir nicht Modell stehn? Wenn du's mir sagst, quäle ich dich nicht langer! Siehst du? Du liebst mich nicht mehr! Wenn du mich noch liebst, warum willst du mein Abbild jetzt ... nicht vollenden?« ... Am nächsten Morgen ... begannen wir. Seine Qual war mir Lust. Seine Marter Triumph. Seine Pein Wonne. War das noch Liebe? ... Liebe? ... Das war schon damals ... Haß in mir!

URL
der, etwas rechts hinter ihr, stehngeblieben war; betroffen zwei Schritt zurücktretend; wie vollkommen verständnislos.
»Haß«?! ...
BEATRICE
in letzter, innerster Qual und Verzweiflung über sich und alles; langsam.

Was ... weiß der Mann ... vom Weib ... und was ... wissen beide ... von sich selbst? ... Er arbeitete verzweifelt! Finster! Wortlos! Der Block unter seinen Händen wandelte sich, schon am dritten Tage war es nicht die ursprüngliche Idee mehr. Was ging in ihm schöpferisch vor? Warum verhehlte er es mir? Das Werk wuchs. Rapid. Aus dem jungen, in Angst und Erwartung bebenden Griechenmädchen, immer erkennbarer, wurde [267] jetzt eine hochmütige strafende, christliche Madonna! Ich hatte eine Apotheose erwartet! Das war eine Abwehr! Seine Kunst, die mir bis dahin die einzige Freundin gewesen, für die ich meinen ganzen zähen, jahrelangen, leidvoll schmerzensreichen Kampf gekämpft, stand jetzt plötzlich vor mir aufgereckt. Drohend! Als meine erbittertste Feindin! Sie, die bisher ... von mir so Vergötterte ... der ich als Magd ... gedient ... und die mich ... wie eine ... Himmlische ... verherrlicht hatte ... hielt ... über mich ... Gericht! Hatte er mich durchschaut? Ahnte er, was in mir wühlte? Eins wußte ich: ich war für ihn eine gänzlich andere geworden! Mit seinem letzten Meißelschlag würde ich für ihn ... erledigt sein. Endgültig! Wie man etwas in die Ecke wirft, oder mit dem Fuß ... von sich stößt. Stumme, häßliche, ohnmächtige Wut! Mein Ebenbild, je lebender es sich gestaltete, in unzähligen, kleinen, kaum Merklichkeiten, spiegelte mir, wie sehr ich mich in einem fort verriet! Wie fein und treu seine Künstlerseele alles von mir registrierte! Noch nie hatte ich ihn seines Könnens so sicher gesehn! Mehr und mehr entglitt er mir.

URL
erregt-atemlos; halb nach ihr, halb nach Musmann zurück; fast tonlos.

Und ... dann ...? Da Beatrice, wie eine Statue, stumm bleibt; sich unwillkürlich etwas steigernd. Dann ... dann? ...

BEATRICE
von neuem; anderer Tonfall.

Der letzte Tag. Die ganze Nacht hatte ich wach gelegen. Bis in den dämmernden Morgen mit jeder Fiber gehorcht, wie es noch immer, aus seinem Werkraum unten, klang und hämmerte. Ohne Modell schürfte er an seinen Gestalten nie das geringste Korn ab! Es war nur die eine Möglichkeit: er arbeitete an dem dunklen Klump, der sich mir zu Füßen wand! Der mich, in seiner seltsamen Formlosigkeit, schon so lange ... beunruhigt hatte! Ich zählte jeden Uhrenschlag. Welche letzte Demütigung stand mir noch bevor? Endlich war es still geworden. Erschöpft streckte ich mich in die Kissen. Ich schrak auf! Flutender, sengender, schon stechend brutwarmer Sonnenschein, Spatzenlärm! Ich flog durch den Garten. Vor den großen Glasflügeln, die Hand auf der Klinke, hielt ich wie gelähmt. Aus dem Halbdunkel, unter der Leuchtenden, mir voll zugedreht, geisterhaft flimmernd, ein sich [268] krümmendes, teuflisches, rächend anklagendes Ungeheuer, das deutlich ... seine Züge trug! Meiner kaum noch mächtig, riß ich die Tür auf! Er wars! Wie in jenem Moment, als er mich damals, zornzitternd, hatte ... schlagen wollen! Jener schrecklichen Sekunde, die über mein ganzes ... Schicksal entschied! Der Schleier vor meinen Augen riß. Das war ein Peitschenhieb! Eine offne Beichte, die ein beschimpfendes Geständnis war! Ohne es zu wissen ... hatte ich alles gewußt. Ich hätte das Ganze ... zertrümmern mögen! Gab es noch irgendeine Tortur für ihn? Eine Quittung? ... »Schon?« Pfeifend, ohne sich um mich zu bekümmern, war er an seinen Werktisch getreten. Er steckte sich eine Zigarette an. Alle Fenster zugezogen, strömendes Oberlicht! »Bist du so weit?« Ich stand, wie ich immer gestanden hatte. Ein langer, prüfender Blick erst auf sein Werk, ein flüchtiger auf mich, dann kühl: »Du kannst dich wieder anziehn. Wir sind fertig.« Er drehte mir den Rücken. »Ganz?« »Für jetzt und für immer. Ja!« Ein Unerklärliches gewann Macht über mich. Meine eigne Stimme klang mir fremd. »Hilf mir.«

URL
aus fast tonlosem Grausen.
... Wie?!
BEATRICE
den Stimmfall des Entsetzten damals haarscharf reproduzierend.
»Ich ... ich soll dir ...?!«
URL
beinah vor ihr zurückgeprallt.
Sie ...
BEATRICE
fast diabolisch-triumphierend weiter.
»Du sollst mir helfen!«
URL
noch entsetzter in seinem Satz weiter.
Haben ...?!
BEATRICE
noch gesteigert-dramatischer.

»Sibylle!« »Du ... fürchtest dich wohl?« »Hehe!« Er lachte! Verächtlich! Grimmig! »Das dort vom Diwan! ... Auch das! ... Bitte! ... Stell dich nicht so ungeschickt! ... Noch heute verlaß ich dein Haus! ... Du kannst nicht mal ne Schleife binden! Deine Hand zittert! Mit der Linken schnell nach ihrem eigenen Arm packend. Du drückst mich! Das tut weh! ... Verfährst du mit allen deinen ... Damen so zart? ... Du!!!« Url, durch ihren jähen Aufschrei aus seiner halben Betäubung zu sich gekommen, geht leise zu Musmann, über den er sich beugt: Beatrice, wie aus etwas erwacht, Url auf einmal verstehend. Er schläft. Fest sogar! ...

URL
der sich davon überzeugt zu haben glaubt; trotzdem nicht ganz sicher; stockend.
Der Himmel ... gebe ...
[269]
BEATRICE
plötzlich anderer Tonfall; hart.

Ich hatte die Schuld! ... Ich allein hatte die Schuld! ... Und es war das Schwerste, was mich treffen konnte, daß ich sie damals nicht In tiefster, seelischster Selbstzerknirschung. sofort habe büßen dürfen!

URL
in letzter Zerschmetterung; sich in den Vordergrund bis etwas von ihr rechts schleppend; mit nach auswärts gefalteten Händen, die Arme vor sich herab.
Sie sollten sich nicht so ... in sich selbst ... Stimme fast verlöschend. verwühlen.
BEATRICE
fiebrisch.

Es ist vielleicht ... Wahnsinn, was aus mir spricht! Krankhafte, törichte, phantastisch-hypersensitive Einbildung und ... Abbrechend. Ich ... glaubs ja auch nicht! Ich kanns nicht glauben! Aber ... Anderer Tonfall; zuerst fast geschäftsmäßig, dann lebhaft inquirierend. Meine Verwaltung hatte Ihnen auf meine Anordnung damals sofort alle Schlüssel ausgehändigt. Hat er Aufzeichnungen hinterlassen? Irgendwelche ... Notizen oder Papiere?

URL
bestimmt.
Nichts.
BEATRICE
sich trotzdem noch vergewissernd.
Auch vorher ist keine Zeile von ihm in meines Mannes Hand gelangt?
URL
wie vorhin.
Nicht eine einzige.
BEATRICE
ratlos; sich abwendend; etwas nach links.

Dann ... stehe ich vor einer Mauer. Nach einer kleinen Pause; abermals andrer Tonfall; nach ihm zurückgedreht; fast klagend-kindlich. Er hatte mir so bestimmt sein Wort gegeben! Ich hatte so ... darauf vertraut! Er hätte doch wissen müssen, wie mich sein Tod ... Plötzlich auf eine kleine, verräterische Bewegung Urls, der wieder unwillkürlich beunruhigt nach Musmann blickt; ebenfalls nach diesem hin; dann wieder zu Url, der ihrem Blick kaum standhält. Sie sollen mir nichts sagen. Sie sollen mir nur antworten! Nach Musmann hin. Wars der? Hatte er wieder gehorcht?! ...

URL
nach der Tür links.
Dort. Nebenan. Durch die eigne, leichtfertige Unvorsichtigkeit Ihres Mannes!
BEATRICE
schnell; hastig; auf ihn zu.
Weiß das mein Mann?
URL.
Es stand ... in jenem Brief.
BEATRICE
die Augen groß auf Url, unwillkürlich etwas zurückweichend.
Also ... das war es! Das hat in mir so ... Selbstanklage?! ... Selbstvorwürfe?! ...
[270]
URL
zögernd; Geste: die Achseln hoch, die Handflächen offen.
Wenn das der Grund war ...
BEATRICE
jetzt wie fast nur noch zu sich; Linke vor der Stirn.
Gewissensbisse?!
URL
schmerzlich, ihr das »zufügen« zu müssen.
Übertriebne!
BEATRICE
die in ihrer aufsteigenden Hoffnungsseligkeit seine bezweifelnde Einschränkung kaum beachtet hat; ihn fast wie fremd anstarrend; sein letztes Wort halb wiederholend.

»Über ...«? Geste und ihn damit nach ihrer Art rektifizierend. Kindische! Unnötige! Selbstquälerische! Überflüssige!

URL
ruhig nachgebend-zugebend.
Gewiß.
BEATRICE
den Blick jetzt wie grüblerisch-nachsinnend zu Boden.

Jedenfalls ... Dann ... dann wäre es ja ... Nachdem sie aufs tiefste aufgeatmet. Dann ... dann könnte ja ... noch alles wieder ...

URL
von Mitleid mit ihr fast überwältigt; sie ermutigend-bestärkende Geste.
Ich ... zweifle nicht ...
BEATRICE.

Dann ... Erregt einige Schritte in den Hintergrund nach links. hätte ich ja fast ... noch etwas, wie eine ferne ... beseligende ... beglückende Hoffnung vor mir! Dann ... Ihren Satz nicht zu Ende sprechend; nach ihm zurückgedreht. vergessen Sie ... was ich Ihnen gesagt habe! Begraben Sie in sich ... was ich Ihnen in meinem halben ... delirierenden, halluzinatorischen Irrsinn ... Abbrechend.

URL
ihr nachblickend; bestätigend-bekräftigende Geste.
Ich ... habe es ... nur so ...
BEATRICE
nach dem Regal zu; immer erregter; sich schnell steigernd.

Es ... kann vielleicht auch ... alles anders gewesen sein! Ja! Ja! Ja!! Es ... ist anders gewesen! Es ... muß anders gewesen sein! Es ... ist ja einfach gar nicht denkbar, daß ich ...

URL
noch entschiedner als vorhin; immer nur mit der einzigen Absicht, ihren Mut und ihre Hoffnung, soweit es ihm möglich, zu kräftigen und zu stärken.
Ich habe kernen Augenblick ...
BEATRICE
ganz vorn links ihm wieder zugewandt; in jetzt letzter Überzeugtheit; ihn voll anblickend.
Ich habe eine ... Schuld auf mich genommen, die ich sicher ... niemals ...
URL
mit äußerster Suggestionskraft.
Die Sie sicher niemals ... gehabt haben!
[271]
BEATRICE
ihn groß anstarrend; fast wie sich beklagend-schmerzlichst; sein letztes Mitleid herausfordernd.
Heut! ... Nach zehn Jahren! ... Wie soll ich das noch ... wissen?!
URL
ihren Blick erwidernd; dabei zuletzt leis nach der Tür rechts; mit Überzeugtester Bestimmtheit.
Und ich ... bin nur gewiß, daß auch ... er ...
BEATRICE
grade dadurch umschlagend; immer aufgeregter; sich wieder zurückdrehend und die Seitenwand links entlang nach dem Hintergrund zu.

Nein! Nein! Nein!! Ich bin ihn nicht wert! Ich ... ich richte ihn zugrunde!! ... Ich ... ich richte ihn auch noch zugrunde!! ...

URL
leise; aus tiefstem Gefühl.
Er ... liebt Sie!
BEATRICE
auf ihrem Weg wieder zurückgedreht; ausbrechend.

Er ... hat mich geliebt! Er ... hat mich geliebt! Er ... Aus tiefstem Jammer. Wie kann ein Mensch mich noch lieben?! Bereits wieder ganz vorn vorm Regal; die Hände schmerzhaft vor den Augen. Ich bin ja ein so gekennzeichnetes Geschöpf!

URL
vor ihrem Schmerz fast vergehend; einige Schritte auf sie zu bis in den mittleren Vordergrund.
Ein ... Wort ... wird alles wieder gutmachen.
BEATRICE
auf ihrem Platz ihm zugedreht; wie schon mit allem fertig; immer verzweifelter.

Das ich nie ... sprechen werde! Das nie ... über seine Lippen kommen wird! Mir ... bleibt nur noch ...Sich im Raum wie irr umblickend.

URL
man hört draußen Tritte; beschwörend.

Ich ... bitte Sie ... um alles ... Abbrechend; ruckt sich zusammen. Unwillkürlich ein paar Schritte in den Hintergrund bis etwas rechts vor die Staffelei und von dort fest die Tür ins Auge fassend. Es klopft energisch; von Musmann sofort einmaliger, sehr intensiver Schnarchlaut.

HOLLRIEDER
der nicht erst auf ein »Herein!« gewartet; dunkler Reisemantel, schwarzer, weicher Hut, dunkelblauer Jakettanzug; in der Hand eine kleine, elegante Reisetasche; mit einem Blick die »Situation« überfliegend; kalt-finster, mit markiertem Gleichmut.
Nabnd! ...
URL
einen kleinen Schritt auf ihn zu mit einem zugleich halb vorbeugend besorgten Blick nach Musmann.
Ich ...
[272]
HOLLRIEDER
der seinem Blick gefolgt ist; starr festgewurzelt, mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
Da ... isser ja!
URL
zwei weitere Schritte auf ihn zu.
Ich kann dir versichern ...
HOLLRIEDER
der nochmal »die ganze Gesellschaft« mit einem »Blick« überflogen; Urls » Versichrung« ignorierend; jetzt nach Musmann.
Nach dem ... angenehmen Fuselduft zu urteilen ...
URL
übertreibend-achselzuckend.
Er ist jetzt fast jeden Abend ...
HOLLRIEDER
wieder nach Musmann; wie sich selber innerlichst etwas bestätigend; kurz.
Sieh, sieh!
URL
in seiner »Politik« weiter; nachdem er mit Beatrice einen, wie er glaubt, von Hollrieder nicht bemerkten Blick gewechselt hat.
Er kommt überhaupt ... aus diesem Zustand ...
HOLLRIEDER
die »Sache« abbrechend.

Hmhm! Soso! Zu Beatrice rüber, die regungslos vor dem Regal lehnt, die Hände hinter sich leicht gegen die Tastatur; während er die kleine Tasche neben der Tür vor dem Gasofen absetzt und Hut und Mantel an ihren alten Platz hängt; kühl, gelassen. Wenns dir recht ist, logieren wir nicht irgendwo in einem Hotel. Ich kampiere hier auf dem Sofa, und du ... Mit einer leichten Kopfbewegung nach der Tür links; dann plötzlich abbrechend und zu Url. Du schläfst doch noch immer in deiner Kammer?

URL
der vergeblich in seinen Gesichtszügen zu lesen versucht hat.
Es ist alles noch ... wie du es verlassen hast.
HOLLRIEDER
wieder zu Beatrice; diesmal jedoch nur noch halb.
Also dann stünde ja nichts im Wege.
BEATRICE
in mühsam wiedergewonnener Fassung.
Wie du willst.
HOLLRIEDER
jetzt näher getreten; nachdem er Url stumm die Hand gereicht; sich flüchtig im Raum umsehend.
Daß es hier grade besonders gemütlich wäre ... Auf den Tisch zu. Noch immer deine ... Projekte?
URL
dem sein Wesen noch immer beängstigend-unerklärlich ist; nach einem besorgten Blick zu Beatrice rüber; wieder etwas nach vorn getreten.
Es wäre jetzt so weit ... daß ich dich nun endlich bitten könnte ...
HOLLRIEDER
in eine der Rollen blickend; man fühlt, wie schwer es ihm fällt, sich scheinbar für diese ihm im Moment vollkommen ferne Angelegenheit zu »interessieren«.
Jaja, du ... schriebst mir ja.
[273]
URL
den sein merkwürdig verhaltener Zustand noch immer ganz seltsam berührt.
Ich brauche nur noch ... zuzugreifen.
HOLLRIEDER
die Rolle plötzlich auf den Tisch werfend; kurz, knapp, hart.

Also das Ding ... das Bild, das Biest ist futsch! ... Zwar nicht radikal, total und ganz ... aber immerhin! ... Genügt! ... Vor den »Kameraden«; zu Url. Wenn ich dir diesen Beweis meiner ehemaligen Blödheit sondergleichen Url: erschreckter Blick nach Beatrice zurück, den diese stumm auffängt. noch offerieren darf ... ich überlaß ihn dir! ... Mit einem leicht ironischen Blick auf die kahlen Wände; nervös in den Vordergrund rechts. Als nachträglichen Prozentsatz für deine Bemühungen! Mit seltsamem »Scherz« halb nach ihm zurückgedreht. Hätt ich dir nie zugetraut! ... Trotz seines Ingrimms mit auffälliger Selbstbeherrschung weiter; rechts vorn stehngeblieben. Zuerst ... hatte ich ja allerdings noch immer etwas wie gezweifelt! ... Aber nachdem ich mich überzeugt habe ... Blick nach Musmann, der jetzt den unruhigen Schläfer spielt. klar! ... Einen Augenblick zu Beatrice rüber. Der Stich ist mitten durch dein Porträt gegangen! Url und Beatrice, beide zusammengezuckt. Man siehts: erst ein Messer Halb nach Musmann zurück .... wahrscheinlich dasselbe, das ich dem Lumpenhund ... und dann ...Drehen mit der Faust. noch so hübsch gründlich nachgebohrt!

URL
der erst jetzt wieder zu sich kommt; mit einem Blick nach Musmann.
Du nimmst doch nicht an ...?
HOLLRIEDER
fast lachend.

Mann! ... Mensch!! ... Für wie naiv hältst du mich noch! ... Umschlagend; bis zur Mitte des Vordergrunds. Wirst du nie gescheit? ... Jetzt, wo du son eminenter Praktiker geworden bist? Anderer Tonfall; wie absolut uninteressiert; stehngeblieben. Übrigens ... Nach dem Tisch rüber. ist mir jetzt gleichgültig. Interessiert mich nicht mehr! Nach einer kurzen Pause, während welcher Url und Beatrice sich verwundert angeblickt haben; zu Beatrice. Wenn du vielleicht so gut sein willst und mal ... Mit einer legeren Kopfbewegung nach der Tür links. nachsehn? ... Ihr vom Tisch die Streichhölzer reichend; mit einer halben Wendung nach Musmann. Unterdessen spedieren wir den.

BEATRICE
links ab, nachdem sie in der Tür noch einen letzten Blick mit [274] Url gewechselt; die Tür bleibt einen Augenblick leicht angelehnt, dann hört man, wie eine Gasflamme aufblufft, deren Schein durch den Türspalt fällt, und die Tür wird geschlossen.
HOLLRIEDER
der, etwas vom Tisch vor der Seitenwand links, so lange nervös gewartet hat; den Vorhang, den Beatrice etwas zur Seite geschoben hatte, wieder ganz zuziehend; zu Url rüber; Stimme unwillkürlich etwas gedämpft.

Ich habe eben jenes ... Schon wieder bis vor den Tisch getreten; dieses Wort, als ob es ihm schwerfiele. Original gesehn! Du weißt! ... Es war nobel von ihr, daß sie die Einwilligung erteilt hat!

URL
nachdem er seinen ersten Schreck zurückgedämmt.
Anfangs ... ich muß gestehn ... hatte ich ja abgeraten! Als ich dann aber ... einsah ...
HOLLRIEDER
sich nach dem Vordergrund rechts in Bewegung setzend.

Unsinn! Es ist das einzige, was er gemacht hat! Von einem Feuer und einer Gewalt ... Vor ihm. Was hätte aus dem armen Kerl alles werden können! ... Schon an ihm vorbei. Schmach! ... Jammer!! ... Im Vordergrund rechts nach ihm zurückgedreht. Und was mich am meisten gepackt hat: Als ob er es vor sich sähe. Das ... Untier! ... Die Maske! ... Das war nicht bloß Selbstgericht, das war zugleich blutigste, furchtbarste, bezichtigendst wuchtigst unbarmherzigst verräterischste Anklage! ... Url voll anblickend. Anklage gegen wen? Da Url, unter seiner Wucht fast wie gebrochen, schweigt. Das weißt du heute, wie ich! Der Mann ...ging nicht an sich allein zugrunde! ...Damals ... als mich dein Telegramm traf ... daß er ihr sein ... Unwillkürlich fast auf denselben Platz deutend, an dem er jetzt selber steht. freiwillig, fest und feierlich gegebnes Versprechen ...

URL
achselzuckend, Lipsius entschuldigende, nach Musmann hin diesen anklagende Geste.
Erst nachdem ...
HOLLRIEDER
der seine Geste verstanden und begriffen; noch unterstrichennachdrücklicher; kurzer, entsprechender Blick nach Musmann rüber.
Mag der komplette Schuft ...
URL
Musmann jetzt Hollrieder gegenüber fast entschuldigend.
Er ... ist jetzt fast ganz ...
HOLLRIEDER
über seine Verteidigung hinweg; noch empört-enragierter.

Trotz seiner Verrücktheit! Trotzdem! Mag dieser geborne Charakterschurke, [275] mag dieser jetzt in schönster Besoffenheit daliegende Seeräuber den »armen Gehetzten und Verfolgten«, wie du mir damals schriebst, mit seinen infamen, gemein nichtswürdigen, niederträchtigen »Enthüllungs«-Androhungen und Erpressungsversuchen in seinem ohnehin schon so ... erbärmlich verletzten Stolz ...

URL
mit einer halb hilflosen Handbewegung nach der Tür links.
Du ... warst es schließlich selbst, der ...
HOLLRIEDER
in ohnmächtiger Wut nach Musmann hin, der jetzt einen erneut ostentativen Schnarchlaut entläßt.

Der dieses perfide Erzvieh, der dieses schleichende Erzschwein, der diesen hinterhältigen Erzhalunken, diesen ... Als ob er mit seinen Beschimpfungen des schweratmend vor ihm Liegenden sich gar nicht genug tun könnte; abbrechend; etwas veränderte Stellung; entsprechende, fast grotesk-burleske, allerzornigste Geste und Gebärde. mit diesen, seinen eigenen, des Abhauens und Abhackens wert und würdigen Sauklauen ... Auf eine zerquält-nervöse, fast wie ratlose Geste Urls; wie festgewurzelt an seiner Stelle, mit entstelltverzerrten Zügen nach dem Hintergrund links hin. ihm, ihr und uns damals ... direkt hinter die Tür postiert hatte! ...

URL
mit dem beinahe mitleidigen Versuch, ihn vor sich selbst zu entschuldigen.
Du ... warst ...
HOLLRIEDER
der ihn sehr wohl verstanden hat; über seinen »Versuch« hinweg.

Mag ... Mag dem so schandbar schimpflich Gedemütigten, Gemarterten und Erniedrigten mein unverantwortlich bodenloser, lächerlicher, verruchter Leichtsinn ... meine unerhört taprige, alberne, hirnblinde Überstürztheit, Fahrlässigkeit und Dummheit ... auch geradezu wie eine Art »Freipaß«, wie eine Art Dispensation von so manchem, wie eine Art unfreiwillig ihm schon im vorweg erteilter Entlassungsdecharge erschienen und vorgekommen sein ...

URL
der jetzt einen kurz scheuen Blick nach der Tür links geworfen.
Wenn du doch wenigstens ...
HOLLRIEDER
mit nur mühsam gedämpfter Stimme.

Mag ihm selbst der endgültig für immer und ewig unabänderlich besiegelte Verlust der ihm nach so langen Jahren an jenem lieblich verhängnisvollen, sonnenblendend schwarzen, für uns alle so entscheidend [276] gewordenen Schicksalstage plötzlich für kaum wenige, flüchtige, entsetzendurchzitterte Zufallsmomente Wiedergeschenkten den dann gänzlich Vereinsamten auch noch so grausam schmerzlich getroffen und belastet haben ... nie würde ein Mann wie Lipsius, der trotz aller seiner vielen, großen, ganz fraglos schwersten Fehler, trotz seiner unfaßbar, unausdrückbar gegen alle Gesetze nicht bloß unsrer sogenannt menschlichen Gesellschaft, sondern sogar auch schon jeder höher entwickelten Natur elementarst sich vergehenden, durch nichts zu entschuldigenden Freveltat, trotz seiner brüchigen, morschen, innerlichen Längstzerfressenheit doch im Grunde, alles in allem, der anständigste, prächtigste, denkbar nobelst großherzigst ritterlichste Gent war, dem noch tausend Möglichkeiten offenstanden und der die tragischen Folgen seines traurigen Verzweiflungsschritts, wenn er ihn wirklich tat, im voraus voll hatte überblicken müssen ... nie würde eine derart bis dahin durch nichts gebeugte Kraftnatur wie seine sich zu diesem letzten, dunklen, grauenhaften Weg entschlossen und verstanden haben, er würde vielmehr im Gegenteil nichts unterlassen und alles darangewandt habenWieder mit einem, der Situation angemessen »liebevollen«, verächtlich-erledigenden Wut–, Abscheu- und Ekelblick nach »Ehren-Musmännchen« rüber, der sich gedrangsalt fühlt, diesen ihn so feiernden Moment für alle Fälle mit einem den Umständen angemessenen, kurz gurgelnden, abermals neuen Schnarchen zu quittieren. diese schnar-chende Viper, diese giftgedunsne Otter, diese geschwollen aufgereckt steilhoch nach ihm züngelnde Kobra, durch eine Schnell mit der Rechten die Gebärde des Geldaufzählens. populär bekannte, simple, entsprechend ihn befriedigende Manipulation, durch nötigenfalls Kopfwendung nach Url, sich telegraphisch, mit diesem in Verbindung setzender Blick und damit korrespondierende Geste. einen gewissen, ihm schließlich ja doch nicht ganz unerreichbar gewesnen andern Dritten, oder Jähe, heftige, wie etwas ihm Unangenehmstes energischst wegfeuernde Arm- und Handbewegung. was weiß ich Fast ausbrechend. maulstill, maulstumm und maultot zu kriegen ... wenn er nicht haarscharf ... das sicherste ... aber auch das allersicherste Bewußtsein [277] gehabt hätte ... nicht er ... nicht er allein war der Schuldige ...

URL
mit dem ohnmächtigen Versuch, ihn in seiner furchtbaren Überzeugung zu erschüttern.
Wie ... kannst du ...
HOLLRIEDER
mit eherner Bestimmtheit.
Sondern ...
URL
noch ringender mit ihm als vorhin.
Wie ... darfst du ...
HOLLRIEDER
etwas links der Mitte stehngeblieben; große, wie alles vor sich wegfächernde Geste mit der flachen Linken nach Url hin.

Sag, was du willst! Predige dir vor, was du Lust hast! Such mir einzureden, was dir in den Kram paßt!Auf einen von neuem einsetzenden Versuch Urls, zu Wort zu kommen; ruhige, fast feierliche, ihm Schweigen gebietende Gebärde mit der beinah senkrecht gegen ihn ausgestreckten Rechten; mehr und mehr gänzlich sich verändernder Tonfall. Jedenfalls ... als mich ... in der heiterst rosigsten ... herrlichsten ... trotz alles dunkelst schwerst Voraufgegangenen ... strahlendst, freudigst, glücksgesättigst aller-allerhöchsten ... Stimmung ... meines Lebens ... beim Eintritt in ihr wundervoll auf einem grünen, kleinen, lachenden Hügel, inmitten einer üppig friedlich reichen, von tausend schmucken, blitzsaubren, zierlichen Siedlungen belebten, unter einem zartblauen, weich lichtem Glanzhimmel sich breitenden Paradieslandschaft, fast unmittelbar dicht an der sich hier in unzähligen, sanften, immer wieder aufblitzenden Silberschlänglungen von Paris her windenden Seine gelegnes, in graziöst feinsterlesenstem Kunstgeschmack erbautes, zu unserm Empfang, zu unserm Willkomm, zu unsrer Begrüßung über und über märchenschön mit duftendst prachtvollst bunten Blumen geschmücktes Haus ... wie ein ... Blattschuß ins Herz ... dein ... Telegramm traf ... so wahr ich hier stehe ... plötzlich, mit einem Ruck ... ich war auf einmal wie hellsehend geworden! ... Ich wußte alles!! ... Da Url, sich jetzt ermannend, eingreifen will; nach Musmann. Meine Schuld ... für die ich jetzt büße ... büße ... Nach der Tür links. und ... ihre! ... Nach rechts. Und daß wir beide in unser Verderben ... Nach links. wie blind gerannt waren! ...Seine Stimme, wie überhaupt seit Beatrice nebenan ist, mit Gewalt wieder dämpfend; trotzdem sich fieberhaft steigernd. Arbeiten! Vergessen!! Auf Stunden! Auf Minuten! [278] Auf Sekunden!! Etwas haben, woran man ... Geste, als ob er an etwas formte.

URL
der während des vorigen verschiedentlichst angstvoll nach der Tür links geblickt und in seiner Erregung nach Hollrieders Worten »wie blind gerannt waren« wie verstört nach dem Vordergrund rechts gegangen war; fast atemlos nach ihm hin.
Du wolltest ... wirklich wieder ...? ....
HOLLRIEDER.
Ich bin jetzt so weit! ... Vorm Regal nach ihm zurückgedreht. Durch diesen Eindruck! ...
URL
fast strahlend ihm gegenüber.
Du ... weißt nicht ... wie ich mich freue! ...
HOLLRIEDER
mit halb erhobenen Armen; sein Ausdruck hat etwas starr Visionär-Ekstatisches angenommen; bei dem Wort »einen« zwei Schritte auf ihn zu und wieder stehnbleibend.

Denk dir ... einen Marmorberg! ... Nach jedem »in« immer zwei weitere Schritte auf ihn zu; bei den Worten »flimmernden«, »schimmernden«, »schillernden« immer wieder stehnbleibend; die ein wenig gesenkt auseinandergebreiteten Arme vor dem zweiten und dritten »in« immer weiter sinken lassend. In allen ... verflirrend schwimmend flimmernden Tönen ... in allen ... märchenhaft schimmernden Tuschtinten ... in allen ... feenhaft schillernden Farben! ... In der vorderen Mitte der Bühne stehend; die Arme bei jedem Wort immer wieder hebend; diesmal in stärkeren Rucken; zuletzt wie zwei Fackeln. Kompakt! ... Mächtig!! ... Riesig!!! ...Mit machtvoll weitauseinandergebreiteten Armen. Den ... »Berg des ... Lebens«! ... Von jetzt ab halb zu seinem Gegenpartner, halb nach dem Zuschauer; alle seine ringenden Worte durch korrespondierende Gesten und allerbelebtestes Mienenspiel fortwährend wie in eine Art transzendentale Musik wandelnd; keinen Ton dabei trotz beständig wachsenden Tempos »unter den Tisch« fallen lassend; jeden Laut, permanent sich steigernd, mit entsprechend letztem Ausdruck und in schärfster, äußerster, geistiger Konzentration; so daß seine ganze Seele, sein ganzes Leid, seine ganze Qual mehr und mehr sich entschleiern und das geträumte Werk, aus farbigst funkelndstem Laut–, Ton- und Wortmosaik, bis in alle Einzelheiten, fast plastisch, vor dem Innern des Zuhörers aufwächst, [279] aufsteigt und wie gewissermaßen schon jetzt zu einer Art existierender Wirklichkeit wird. Die Kommata, wie schon im Vorangegangenen, bedeuten kurze Ausdrucks–, die Punkte etwas längere Ausholpausen, die eingefügten Regiebemerkungen noch längere Gedankenpausen. Und auf ihm ... aus ihm ... über ihm ... in Höhlen und Schlünden ... in Grotten und Gründen ... auf Kuppen und Klippen ... rasend ... zur infernalischen Musik ... eines fiedelnden Entfleischten ... der aus Erz und ... Elfenbein ist ... aus Onyx, Silber ... Malachit, Beryll und Jade ... der imperatorisch, gigantisch ... breitbeinig ... mit leeren, grausen ... grünschwarz glimmenden Augenlöchern ... die grinsen ... mit stakrig fahlbeinern ... spitzig bloßgelegten Knochenarmen ... die faulen ... mit langdürr bleichblank ... modrig kralligen Knöchelfingern ... die verwesen ... den hohen, blauen ... von tausend ... giftgärend, giftschwärend, giftsinternd ... verfließenden, verrieselnden, verrinselnden ... Pestbeulentunken ... wie glasig ... überronnenen Gipfel krönt ... und dems noch ... klackernd, schlackernd ... schlumpig ... von allen Gelenken ... von allen ... Hals–, Brust–, Lendenwirbeln und Rippen ... von beiden Beckenbeinen und Schulterblättern baumelt ... jenen ganzen ... öden, blöden ... wütend, idiotisch hirnverbrannten ... übergeschnappten Sanktveitstanz ... den unser rührendes deutsches Wörterbuch ... so amüsant, stupid naiv ... zum Kugeln, treuherzig anerkennenswert ... mit ... »Liebe« betitelt! ... Mit vor sich geballten Fäusten, finster, höhnisch, grimmig, wie in eine bodenlos vor ihm gähnende Abgrundtiefe blickend. »Liebe«!! ... Jetzt direkt zu Url rüber; in Ausdruck, Geste und Mienenspiel alles lebendigst, gleichsam wie aus ihm unsichtbar zuströmendem Stoff formend; dem von ihm so Dargestellten entsprechender, anderer Tonfall. Vom zartesten, sanftesten ... schmelzendsten Adagio ... bis dir vor Grauen ... die Zähne klappern! ... Von neuem wachsendes Tempo. Von der ... unberührt, unschuldig, hingebend keuschen ... sogenannt »reinen« ... rosig, erglühend, zärtlichen Jungfrau ... bis zur ... abstoßendst, abschreckendst ... verworfenst, verderbtst, triefäugigst alten ... kropfadrigst höllischsten Vettel! ... Den Rhythmus, der der Rhythmik der Vorgänge und [280] Dinge bis ins letzte entspricht, an dieser Stelle noch ganz besonders liebevoll heraushebend. Vom schmachtenden, schwärmerischen ... lockig mondhin, sehnsüchtig flötenden Jüngling ... bis zum zittrigen, balzenden ... zahnlos kahlköpfig, geldbeutelhoch, lüstern meckernden Greis! ... Nachdem er eben zuletzt die beiden Gegenfiguren »Jüngling« und »Greis« auch durch »illustrierendste« Mimik und Geste entsprechend ganz besonders lebhaft zur Darstellung gebracht, jetzt in eisernster Ruhe, die Arme herabhängend, mit der energischst geballten Linken sämtliche »alle« durch kleine, wie elektrische Rucke unterstreichend, nur bei dem letzten fast wie zu einem Hammerschlag stärker ausholend. Alle Situationen ... alle Komplikationen ... alle Praktiken, alle Taktiken ... alle ... Möglichkeiten! ... Wieder ganz Feuer, wieder ganz Funkensprüher, wieder ganz Flamme; jedes Einzelwort von charakteristischster Färbung, jeder Tonwert beseelt, jeder Superlativlaut aus empfundenster Notwendigkeit; alle von ihm wie aus dem Nichts in Licht und Luft gestellte drei Vorstellungs-Widerpaare qualvollst von ihm gefühlteste, schöpferischst gestaltete, lebendigste Organismen. Gewagteste, verruchteste ... herausforderndst zynischste Grotesken ... und grimmste, verzweifeltste ... herzbeklemmendst schaurigste Tragödien! ... Einzelne, einsame ... stupid schimpflichst schändliche Solos ... und ... heiße, glühende ... ekstatischst, traumtiefst verzückteste ... verstrickteste ... beseligtst, weltvergessenst verschlungene Duos ... orgiastischst, wollüstigst ... farcenhaftst freche ... ausschweifendst tolle Trios ... und taumelndst tumultuarische ... faunischst, viehischst, wie beseßne ... bachantischst, buhlerischst ... wüste Massenchöre! ... Nach der enormen, unerhörten, seelischen Entladung, die hinter ihm liegt, jählings wie eine Erzstatue; die Worte wie eherne Schläge. Mann und Weib! ... Weib und Mann! ... Mann und ... Mann!! ... Weib und ... Weib!! ... Von neuem sich aufruckend; in sofortiger, stärkster, rapidester Steigerung. In allen ... erdenkbar, ersinnbar, ergrübelbar ... raffiniert, brutal ... absonderlich zügellosen Posen ... in allen ... dämonisch, frenetisch paroxystisch ... überschäumenden, übersprudelnden ... verfänglichst unsagbar bizarren ... sinnverwirrenden Nuancen ... [281] in allen ausfindbar ... in allen vorstellbar ... in allen einbildbar ... entmenschst, satanischst scheusäligen ... hirnkrankst krassen ... entnervendst, horriblen Perversionen! ...Zuerst hochaufgereckt wie ein Weltenrichter, dann wie ein reuiger Gerichteter, mit der geballten Linken sich mehrmals dröhnend vor die Brust schlagend, zuletzt, die noch immer geballte Linke eine Handbreit über dem Herzen, den Kopf etwas vorgeduckt, wie über alles in tiefstem Abscheu das letzte Urteil aus sich schleudernd. Taumel und Anbetung! ... Inbrunst und Brunst! ... Cherub und Tier! ... Selbstbetörung, Selbstbegimplung, Selbstbetäubung ... Selbstbetrug ... und bewußte ... bewußteste Gemeinheit!! ... Veränderter Ausdruck; mit erhobenen, auseinandergebreiteten Armen, beim zweiten Wort diese noch höher hebend; sich steigernder Hohn, die Blicke nach oben. »Liebe«!! ... »Liebe«!! ... Den Blick voll aufwärts, wie zum »Schöpfer aller Dinge«; die Arme biblischst ganz nach oben; letzter, vibrierend-verächtlichster Grimm, Spott und Hohn. »Liebe«!!! ... Wieder veränderter Ausdruck; beide Fäuste im spitzen Winkel vor sich geballt; die Worte »so soll«, sich steigernd, jedesmal mit ihnen unterstreichend; bei den gleichen Worten immer zwei Schritte auf Url zu und dann wieder stehnbleibend; äußerste Energie, angespanntester Wille, intensivste Konzentriertheit; zuletzt, bei den Worten »noch ... noch keiner« usw., direkt vor Url, der in treuster Spiegelung, wie gebannt auf seinem Platz, das ganze, kommende Zukunftswerk Hollrieders schon jetzt in sich erlebt hat; die Augen sprühend in seinen. So ... soll man dies Mordbiest ... so ... soll man diese ... Canaille ... so ... soll man dies ... Rabenaas ... so ... so soll man es noch nie ... noch ... noch keiner soll es ... so dargestellt haben! ... Sich von ihm abwendend; wie nach einem niedergeprasselten Gewitter; letzte Donner und Blitze. Frei sein! ... Nach der vorderen Mitte der Bühne zu. Von diesem Wahnwitz nichts mehr wissen! ... Abermals weiter; noch heftiger. Auf ihn ... speien ... und ihn in Stein hinstellen! ... Von neuem weiter; allerletzter Schlag. Aere perennius!! ... Jetzt beinah auf seinem alten Platz; sich nach Url wieder zurückwendend; einen Augenblick fast stolz-triumphierend; das Wort [282] »weiß«, wie mit einem ersten, vorweggenommenen Meißelschlag, mit der geballten Rechten wuchtigst unterhauend. Dann ... weiß man doch wenigstens ... wozu man mal ... da war! ... Mit flackernd halberhobenen Händen, die ihm allmählich ruckweis wieder sinken, bis sie zuletzt mit offen leer ausgespreiteten Flächen rechts und links von ihm fast wie erstorbne, kaum noch zu ihm gehörige Wesen hängen; in zuerst wieder grimmster Steigerung, dann verebbend; zuletzt mit schmerzlichst geschloßnen Augen; seinen ganzen Seelenzustand ihm jetzt direkt offenbarend. Wozu man ... durch dies ... Purgatorium ... wozu man ... durch diesen traurigen ... graurigen, gräßlichen Höllensumpfpfuhl ... wozu man ... durch all diese Leidqual ... wozu man ... durch all dies Entsetzen ... wozu man durch diesen Wust ... wozu man durch diesen Mulm ... wozu man durch diesen ... Dreck geschleift ist! Sich von Url abdrehend nach vorn; beide Hände über die wie hämmernden Kopfhälften; die Augen großauf vor sich hin; wie vor etwas langsam zurückweichend; bei dem Wort »Leben« stehngeblieben, die Arme nach unten wie von sich schleudernd und zuletzt sich wieder ganz nach oben hebend; letztes, zusammenfassendes Endurteil. Dann hat diese ganze ... ruchlos infame ... widrige ... scheußliche, lächerliche, nichtswürdige Sinnlosigkeit ... die sich »Leben« nennt ... »Leben«! »Leben«!! Leben!!! ... doch wenigstens etwas ... wie »Sinn« gehabt!!! ...Sich umdrehend und nach dem Hintergrund.

URL
der einen Moment wieder nach der Tür links gesehn; nach einer kleinen Pause; einige Schritte auf Hollrieder zu, der, auf das dunkle Fenster starrend, im Hintergrund stehngeblieben ist.
Willst du ... möchtest du ... diese Idee ... nicht jetzt auch ... offen deiner Frau mitteilen? ...
HOLLRIEDER
schweigt.
URL.
Sie hat ein ... Anrecht darauf.
HOLLRIEDER
sofort; nach ihm zurückgedreht; scharf.
»Anrecht«? ...
URL.
So sehr sie ... ein etwas in deinem Plan ... schmerzen würde ...
HOLLRIEDER
nach dem Vordergrund links; harter, unbarmherziger Lachlaut.
Hhä! ... Letzter Grimm und Hohn. Na also! Da haben wirs ja! ...
[283]
URL
ihm nachblickend.
Sie wird seine Größe ... nicht verkennen. Und im letzten Grunde ... doch froh sein ...
HOLLRIEDER
der vom links stehngeblieben war; längs der Wand nach hinten; heftig; eigensinnig; wie aus einer fixen Idee heraus.

Also wenn dus darauf anlegen willst ... wenn ihr beide wollt ...Nach einem Blick auf die Tür links sich jäh umdrehend und seinen Weg zurück. daß ich euch den ganzen Krempel wieder ... vor die Füße schmeiße ... für jetzt und für immer ... Vorn wieder stehnbleibend. dann bitte! Bitte!l ...

URL
stumm.
Einen Augenblick Pause; niemand rührt sich.
BEATRICE
durch die Tür links; man merkt ihr an, daß sie nur noch ihre letzte Kraft zusammennimmt; sie hat noch den Mantel um.
Bin ich hier ... überflüssig?
HOLLRIEDER
der sich wieder zusammengeruckt hat.
Nicht im geringsten! ...
BEATRICE.
Verzeih! ... Wir hatten geglaubt ...
HOLLRIEDER
nach rechts rüber.
Was hattet ihr geglaubt?!
BEATRICE
mit einem halben Blick nach Musmann.
Du bist von einer Gefaßtheit ... Als wir gestern abfuhren ...
HOLLRIEDER
zerstreuter Blick; jetzt ebenfalls nach Musmann.

Ach so! ... Jaja! Zweites »a« kurz .... sich wieder umdrehend, nach links. Den Kopf soll n andrer flicken!

BEATRICE
hinterm Tisch; von Url angstvoll beobachtet, zu Boden blickend.
HOLLRIEDER.

Und wenn er das Ganze ... kurz und klein geschnickst hätte! ... Vorn links stehngeblieben, ohne sie anzusehn. Geht mich nichts an! ... Rührt mich nicht mehr! ...

BEATRICE.
Du willst es ... nicht wenigstens versuchen?
HOLLRIEDER.
Nein! ...
BEATRICE
schweigt.
HOLLRIEDER
dem die schroffe Form seiner Ablehnung in seinem Innern bereits leid tut; dabei wieder rechts rüber.

Solche Dinge sind doch nicht bloß Handgelenk! Solche Dinge sind Stimmung! ... Willst du mir vielleicht sagen ... wo ich die jetzt hernehmen soll? ...

BEATRICE
die Augen wie im Schmerz geschlossen; auf die Tür nach dem Balkon zu: .
..
HOLLRIEDER
vorn rechts stehngeblieben; zu Beatrice, die die Balkontür inzwischen geöffnet hat.
Du wirst dich erkälten.
BEATRICE
die Tür wortlos hinter sich schließend.
[284]
HOLLRIEDER
nach einer kleinen Weile.
Es. regnet nicht mehr! ...
URL.
Nein. Es hat aufgehört. Nach einer neuen kleinen Pause. Entschuldige.
HOLLRIEDER
ihn fragend anblickend.
URL.
Du warst ... zu deiner Frau eben zu schroff.
HOLLRIEDER
wieder nach links.

Das beruht bei uns auf Gegenseitigkeit! .... Sie kümmert sich um mich nicht mehr, ich sehe also nicht ein ...

URL.
Du hast sie verletzt!
HOLLRIEDER
einen Moment stehngeblieben, stumm nach ihm rüberblickend und wieder weiter.
URL.
Du hast ihr weh getan!
HOLLRIEDER
wieder stehngeblieben und nach ihm rüberblickend.
URL
mit einer halben Wendung nach dem Balkon zu.
Möchtest du sie nicht jetzt ... wenigstens reinholen?
HOLLRIEDER
scharf nach ihm hingedreht.
Sie, die um einen andern Trauer trägt?
URL.
Dann will ich es tun.
HOLLRIEDER
unwillig ausholende Bewegung mit der Rechten, zugleich dabei kräftigst mit Daumen und Mittelfinger knipsend, so daß Url unwillkürlich innehält.
... Ich wünschte auch nicht, daß man mir in solchem Falle nachliefe! ...
URL.

Bei all deiner ... momentanen Erregtheit, die ich begreife: du gingst entschieden zu weit! ... Sie faßt es persönlich auf!

HOLLRIEDER
unwirsch.
»Persönlich!« ...
URL.
Ich weiß, du willst sie nicht kränken!
HOLLRIEDER
wieder nach rechts; kurz.
Will ich auch nicht.
URL.

Aber du tust s! ... Durch jede Bewegung! ... Durch jede Miene! ... Durch jedes Wort! ... Wohin soll das führen? ... Nach der Tür rechts hin; Hollrieder stehngeblieben. Als sie vorhin eintrat ... ich erschrak ordentlich! ... So ... vollständig verändert hat sie sich!

HOLLRIEDER
gereizt; kurz wie vorhin; nach ihm rüber.
Bin ich daran schuld?
URL.
Sie etwa?
HOLLRIEDER.
!...
URL
erregt.
Weißt du auch ... daß du sie mit diesem Achselzucken ...
HOLLRIEDER
dreimal mit der rechten Fußspitze auf den Teppich klopfend.
URL.
Daß du sie damit einfach ...
[285]
HOLLRIEDER
von neuem nach links.

Das ist nicht deine Sache! ... Nach einer kurzen Pause; andrer Tonfall; stehngeblieben, zu ihm hin. Wie ich jetzt klar sehe ... Sich wieder in Bewegung setzend nach rechts. wie ich unter dem, was sie sich wahrscheinlich nicht einmal selbst gesteht ... leide ... leide ... leide!! ... Stehnbleibend; Geste des unsäglichsten Leidens; einen ganz kleinen Augenblick Pause; sich wieder umdrehend und nach links. über diesen Komplex ... über diesen Punkt ... über dieses Thema ... wünsche ich jetzt mehr ... mit niemand zu reden! ... Mit niemand! ... Kurzer Blick nach ihm hin. Auch mit dir nicht! ...

URL
einige Schritte auf Hollrieder zu, der wieder vorn links stehngeblieben.

Es scheint ... ihr solltet euch mal rückhaltlos miteinander aussprechen! ... Ich warne dich! ... Hollrieder nach ihm umgewandt. Auch mit ihrer Kraft ... könnte es mal ... zu Ende gehn! ... Hat die ganze Zeit über wiederholt unruhig nach dem Balkon geblickt.

HOLLRIEDER
der jetzt unwillkürlich ebenfalls dahingeblickt hat; wieder zu Url, dessen Hand er krampfhaft gepackt hält; noch gedämpfter als vorhin; schwer; jedes Wort betont.

Liebster Junge! ... Wenn ich so leichtfertig wäre, deinen Rat zu befolgen ... ihr die Binde von den Augen zu reißen, daß sie sich selbst sieht ... selbst ... ohne gnädigst bergende, schützende, hüllende Verpackung ... in letzter, seelischer, grausamster Gürtellosigkeit und ohne Schleier ... und seis auch nur den blitzenden Bruchteil einer einzigen, flüchtigsten, winzigsten Zehntelsekunde ... Nach einem nochmaligen Blick nach dem Balkon. Es gibt keinen Ausweg! Ganz nahe zu ihm hin; fast flüsternd. Nicht einmal Verdacht gegen sich darf sie fassen!

URL
erschüttert.
Und so ... wollt ihr euer Leben ...
HOLLRIEDER
der seine Hand inzwischen losgelassen und nach der Chaiselongue zu sich in Bewegung gesetzt; andrer Tonfall; nach Url zugedreht.

Wüßtest du eine andre Möglichkeit? ... Da Url schweigt; nach seiner Uhr sehend. Es wird Zeit.Auf Musmann zu, den er rüttelt. He! Du! ... Angewidertst-stärkst. Ferkel!

MUSMANN
der die ganze Zeit über wie »tot« gelegen und nur einmal, während Hollrieders großer Werk-Vision, bei dem letzten »Liebe«!!! sich erschreckt-unbemerkt etwas aufgerichtet hat; [286] ihn wie traumtrunken anglotzend und sich dann wieder mit einem plötzlichen, lauten Schnarchen auf die Chaiselongue zurückfallen lassend.
HOLLRIEDER.
Ist drüben auf?
URL
von seinem Entsetzen noch immer nicht ganz zu sich gekommen.
Ich glaube nein.
HOLLRIEDER
Musmann, vor dem er steht, mit geballten Fäusten so zornig anblickend, daß Url besorgt wird.

Dieser ... Wo mag er die Schlüssel haben? Da Url sich sofort bemüht; diesen am Arm packend; aus letztem, seelischem Wutekel und seiner fast kaum noch mächtig; die Augen zusammengepreßt. Hilf mir, daß mir nicht ...

URL
Musmann die Schlüssel aus der Tasche holend.
Sofort.
HOLLRIEDER
die Schlüssel in Empfang nehmend; nach einem neuen Blick auf die Balkontür; letzte, wuchtigste Eindringlichkeit; die Rechte dabei warnend erhoben, Url fest in die Augen sehend; langsam.

Also höre! ... Ich verlasse mich drauf! ... Du sagst ihr nichts! ... Du sagst ihr gar nichts! ...Ab.

URL
der Hollrieder wie betäubt nachgeblickt hat, während Musmann einen Augenblick lang wieder den unruhigen Schläfer markiert; nach einem Blick auf ihn, schnell auf die Balkontür zu, die er hastig öffnet; steigende, letzte Eindringlichkeit.
Fassen Sie sich! Sie dürfen unmöglich ... Sie müssen ihm jetzt das erste Wort geben!
BEATRICE
wieder im Raum; kaum noch fähig, sich aufrecht zu halten; Url hat die Balkontür in der Eile nur hinter sich angelehnt.
Ich bin ihm ... nur noch im Wege!
URL.

Sie tun ihm Unrecht! So schroff er auch immer scheint! Er meint es nicht so! Sie haben zu lange um den Toten getrauert! Sie gehören nur noch dem Lebenden!

BEATRICE
leichte, kaum merkbare Bewegung nach der Tür links; einige Schritte nach vorn.
Ich habe vorhin ... Er sprach zuletzt ... so laut und erregt ... daß ich fast alles ... gehört habe.
URL
erschreckt.
BEATRICE
zusammenschauernd; noch weiter nach vorn.
Diese ... grauenhafte Idee! ...
URL
der kein Auge von ihr läßt; ihr folgend.
Sie ist jetzt das einzge ...
[287]
BEATRICE.

Alles, was er vor mir ... verborgen hatte, was er finster ... mit sich herumtrug, diese ... schreckliche Zeit über ... alles spricht sich in ihr aus! Alles! ... Sein ganzer ... Widerwille gegen mich! Sein ganzer ... Abscheu! Seine ganze Verachtung!! ... Nie, nie, nie würde ich ... mit meinen Augen ... ein solches ... Werk von ihm sehn können! ...

URL
sie entsetzt anstarrend.
So dürfen Sie nicht denken! Es ist jetzt ... unsre Aufgabe ...
BEATRICE
in letzter, verzweifeltster Mutlosigkeit.

Ich habe ... keine Aufgabe mehr! ... Er hat seine Idee mal gefaßt, und ... nichts, nichts wird ihn mehr ... nichts, nichts, nichts ... von ihr abbringen! Ich kann ihn jetzt nur noch ... von mir befreien! ...

URL
nach einer kleinen Pause; fast tonlos.
Sie würden ihn ... todunglücklich machen!
BEATRICE.

Eine Zeitlang. Ja. Aber dann ... Ausbrechend; noch weiter nach vorn. Durch wieviel Hände glaubt er mich vielleicht schon gegangen. Mit wieviel Schmach glaubt er mich schon beladen! Von wieviel Schmutz glaubt er mich überhäuft! Für ganz ... besudelt hält er mich! ...

URL
der ihr wieder gefolgt ist; nach Atem ringend.

Sie täuschen sich! Eine solche Niedrigkeit, eine solche ... verächtliche Abscheulichkeit, eine solche letzte, seelische ... häßlichste Roheit, daran ... denkt er nicht einmal! Das liegt ihm völlig ... Was ihm jetzt ... so unerträglich scheint ...

BEATRICE
entsetzt.
Was? ... Was ist ihm jetzt so ... unerträglich?!
URL.
Ich werde sofort ... Sich bereits zum Gehn wendend.
BEATRICE
angstvoll.

Nein! ... Nein! ... Holen Sie ihn nicht! Tun Sie s nicht! Ich will es nicht wissen! Ich ... Ich würde ... Sie zwingen mich ... Sich wirr im Raum umsehend.

URL.
Ihre und seine Qual muß ein Ende nehmen! Ich verspreche Ihnen! In einer Minute! Von Angst gejagt ab.
BEATRICE
einen Augenblick aufatmend.

In einer Minute! ... Dann sich wieder wie irr und nach Hilfe suchend im Raum umblickend; unsicher vor Musmann, um sich zu vergewissern, ob er noch schläft ....

MUSMANN
sich aufrichtend.
Madam? ...
BEATRICE
vor ihm zurückschaudernd.
Was ... wollen Sie von mir?
[288]
MUSMANN
während sie vor ihm bis an den runden Tisch zurückgewichen ist, um den sie jetzt beide, langsam, kreisen; keiner den Blick aus des andern Augen lassend.

... Lilith! ... Du bist ... Lilith! ... Du hast ihn ... in den Tod gehetzt! ... Wie du uns ... alle in den Tod hetzt! ... Du hast ihn ... verführt!

BEATRICE
unter seinem Blick wie gebannt; angstfiebernd; kaum hörbar.
Ja! ...
MUSMANN.
Wie du uns ... alle verführst!
BEATRICE
wie aus einer inneren Erleuchtung sich mehr und mehr selbst begreifend.
Ja! ... Ja!! ...
MUSMANN.

Vampir! ... Sein Gesicht verzerrt sich, seine Finger strecken sich leicht krallenartig vor, halb als ob er sie liebkosen, halb als ob er sie würgen wolle. Täubchen?! ...

BEATRICE
jetzt die Kraft findend, von der grauenhaften, langsamen Jagd um den Tisch rum plötzlich nach dem Schränkchen zurückzuspringen; sie hat es bereits erreicht, als er sie einholt; aus Ekel und Abscheu vor ihm zurückweichend, da ihr davor graut, daß er sie berühren könne; verzweifelt.
Weg! ... Gehn Sie da weg! ...
MUSMANN
zwischen ihr und dem Schränkchen; höhnisch grinsend.
So n kleines ... Beruhigungspülverchen! ... Das ... möchteste wohl!
BEATRICE
deren ganze Haltung sich wieder gestrafft hat.
Sie ... gehn nicht?
MUSMANN
dessen Augen fast aus den Höhlen treten; in geduckter Wut.

Er soll dich ... nicht wieder loswerden ... der große Goliath! ... Wie die ... Katzen sollt ihr euch noch ...

BEATRICE
ihm ohnmächtig gegenüber; vor Abscheu fast zitternd; etwas zurückgewichen.
Teufel! ...
MUSMANN.
Kaputt soll er an dir gehn! ... Kaputt! ... Mitsamt seinem ... »Werk«!!
BEATRICE
aus ihrem Mantel blitzschnell die langen Handschuhe ziehend und sie ihm quer übers Gesicht schlagend.

Da! ... »a« kurz; Musmann, fast geblendet, auf sie zu; sie stößt ihn mit letzter Kraft, daß er hintenüber umschlägt; dann schwingt sie sich mit dem rechten Fuß schnell auf die Chaiselongue, drückt das Schränkchen auf und wühlt die kleinen Flakons und Büchsen um, von denen einige bis auf den Fußboden kollern.

[289]
MUSMANN
der sich noch nicht aufgerichtet hat; schon halb in seinem beginnenden Kollaps.
Hilfe! ... Hilfe!! ...
BEATRICE
steht da und bemüht sich vergeblich, eins der Fläschchen aufzubekommen; da in diesem Augenblick vom Flur bereits eiligste Schritte schallen, wirft sie in demselben Moment, wo Url die Tür aufstößt, das Fläschchen von sich, reißt die Balkontür auf und stüzt sich über die Brüstung; von der Straße rauf ein Schrei, dann ein Fall.
URL
der sie noch fast erreicht hätte; zurücktaumelnd; von unten Lärm und Geschrei.
Herr- Gott!!!
HOLLRIEDER
jetzt ebenfalls in der Tür; eine Sekunde wie betäubt stutzend, dann schnell bis zur Mitte der Bühne; zu Url, der die Balkontür hinter sich angelehnt und jetzt dasteht, als ob er ihm den Weg versperren wollte; noch wie blöde, obgleich sein Innerstes längst alles begriffen hat.
Was ist!? ...
URL
mit ausgebreiteten Armen vor der Tür.
Nicht! ... Nicht!! ...
HOLLRIEDER
unartikulierter, furchtbarer Aufschrei, aus dem seine ganze Qual zittert, sein ganzes Entsetzen.
MUSMANN
der sich wieder aufgerichtet hat; unwillkürlich langsam wie eine zweibeinige Klapperschlange, die noch im Flüchten nach der Ferse sticht, nach dem Winkel rechts retirierend.
Nu kannst du ihr ... ja nachspringen! ... Jetzt ... hast du se ja ... so weit! ...
HOLLRIEDER
der sich auf ihn stürzen will.
Hund!!
URL
der schnell zwischen beide gesprungen; Musmann mit seinem Körper deckend.
Halt! ... Fest. Für den sorge ich! ...
HOLLRIEDER
in der Mitte der Bühne; nach dem Sessel rechts wankend und auf ihm mit einem dumpfen Laut, Arme und Kopf auf dem Tisch, zusammenbrechend; während von der Straße her noch, etwas gedämpft, der Lärm klingt.
MUSMANN
hinter Url; idiotisch mit dem Finger nach ihm.

Da! ...Während Url ihm, von Grauen gepackt, Platz macht; langsam auf Hollrieder zu; zuletzt ganz krumm und fast hockend. Da! ... Da!... Alle drei Male »a« kurz.

HOLLRIEDER
sich im Sessel wieder aufrichtend; Kopf zurück, Arme krampfig über die Lehnen, Augen geschlossen.
Ich ... Mörder!

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TextGrid Repository (2012). Holz, Arno. Dramen. Sonnenfinsternis. Sonnenfinsternis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-834D-D