[257] [262]An Belinden

Es hörte diese Zelle
Noch nie der Liebe Gruß,
Und die geweihte Schwelle
Betrat kein schöner Fuß.
An öden Mauern gehen
Gespenster, blaß und stumm,
In sich gehüllt, und sehen
Nach mir sich warnend um.
Ach, aber ach! Belinde,
Dein Bildniß folgt mir nach,
Dein Bildniß, welche Sünde!
Ins fromme Schlafgemach.
Statt heiliger Gesänge,
Statt Hymnen, tönet hier
Durch lange dunkle Gänge
Nur deine Stimme mir.
[262]
An jene Finsternisse
Denk' ich in dieser Nacht,
Als unsre letzten Küsse
Die Liebe selbst bewacht.
Der du den Tempel schützest,
Mit Bischöflichem Stab
Hoch auf Altären sitzen,
Komm, Heiliger! herab 1,
Und strafe das Verbrechen
Getreuer Zärtlichkeit,
Wenn einen Kuß zu rächen
Dir Lieba nicht verbeut 2.
O denke, welch ein Feuer
Im Busen dir gebrannt,
Als mit dem keuschen Schleyer
Die Nonne vor dir stand;
[263]
Als du den Schleyer küßtest,
Und an zu seufzen fingst,
Und für die Sünde büßtest,
Und wieder sie begingst!
Wie war sie deinen Blicken,
O wie so himmlisch schön,
Du wolltest, voll Entzücken,
Nach ihr noch sterbend sehn;
Mit ihr zugleich verwesen,
An ihrer Seite ruhn 3;
Was Lieba dir gewesen,
Ist mir Belinde nun.

Fußnoten

1 Bonifacius ist eigentlich Stiftspatron: Mauritius nur der Heilige der Kirche, die sonst nicht zum Stifte gehörte.

2 Mit andern Frauenspersonen ließ Bonifacius sie aus England kommen, um den Frauenklöstern vorzustehen. Man beschuldigt ihn einer allzugroßen Vertraulichkeit mit ihr.

3 Er äußerte wirklich diesen Wunsch. S. den Wilibaldus in vita Bonifacii, c. 8.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. An Belinden. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8AAF-6