[192] An Antoinetten

Als sie, am Feste des heiligen Nikolaus, einen neuen Schleyer bekam. 1


Frommes Mädchen! nimm den Schleyer,
Den ein Heiliger dir giebt;
Und dann höre meine Leyer:
Mädchen hat sie nie getrübt.
Fromm, wie du, sind ihre Saiten:
Aber ach! was sing' ich dir?
Ernste Todtenglocken läuten;
Opferkerzen schimmern hier.
Sing' ich, wie der Engel beßter
Deine Schönheit sich bekennt,
Und dich seufzend seine Schwester,
In dem Chor der Engel, nennt?
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Wie am jungfräulichen Bette,
Wo er sorgsam dich bewacht,
Holder ihm, als Antoinette,
Kein geweihtes Mädchen lacht?
Wie, bevor die Morgensonne
Hinter Bergen sich entdeckt,
Er vertraulich seine Nonne
Mit dem goldnen Flügel weckt;
Jedes Aemtchen treu verwaltet,
Emsig um den Nachttisch irrt,
Und den Schleyer selbst entfaltet,
Welcher dich verschönern wird?
Wie die kleinsten Seraphinen,
Wenn du dich zum Feste schmückst,
Um die Wette dich bedienen,
Und du alle sie entzückst?
Oder, wenn in deine Zelle,
Bey gestorbner Lampe, still,
Von den Geisterchen der Hölle
Sich der Kühnste wagen will;
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Wie er nach dem rothen Kreuze
Deines Schleyers ängstlich sieht;
Aber schneller vor dem Reize
Deines sanften Auges flieht?
Soll ich singen, wie die Seelen
Der Verklärten, unsichtbar,
Mit dem Himmel dich vermählen,
Am erleuchteten Altar?
Wie die jauchzenden Gerechten
Dort, im Paradiese, schon
Mirthen dir zum Kranze flechten,
Bey der Hymne lautem Ton;
Und, für diese dunkle Zelle,
Schon die jüngste Himmelsbraut
Dir, an ewig grüner Quelle,
Frische Rosenhütten baut?
Wie du, glänzender und freyer,
Einst in Sonnentempeln stehst,
Und den Engeln, ohne Schleyer,
Freudiger entgegen gehst?
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Wie – doch nein, geliebtes Mädchen!
Meine Lieder bringen nur
Diesem oder jenem Städtchen
Die Befehle der Natur.
Lerne denn von meiner Leyer,
Daß der Liebe Lächeln nicht
Deinem Kreuze, deinem Schleyer,
Deiner Zelle widerspricht.
Du bedrohst mich, Antoinette?
Blickst hinweg, und athmest schwer,
Als bewegten ihre Ketten
Schwarze Geister um dich her?
Schrecken dich, an jenen Wänden,
Stumme Bilderchen von Stein,
Mit emporgehobnen Händen,
Und mit einem goldnen Schein?
Weil sich Heilige betrübten,
Kniest du einsam hin, und weinst?
Gutes Mädchen! O sie liebten –
Glaube mir, sie liebten einst.
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Um die Höhle, wo sie lagen,
Standen Liebesgötter da;
Unter manchen leisen Klagen
Sang ihr Lied Cäcilia.
Nur ein Irrthum jener Zeiten
Schuf den Bannstrahl für die Lust;
Wollte süße Zärtlichkeiten
Tilgen in der jungen Brust;
Ließ, die Freude zu entfernen,
Arme Mädchen Buße thun;
Aber, wandelnd über Sternen,
Folgen sie der Liebe nun.
Und noch zärtlicher, als diese,
Küssen Engelchöre sich:
O wie könnten Paradiese
Blühen, wo die Liebe wich?

Fußnoten

1 Dieses Lied wurde zwar durch eine junge artige Klosterfrau veranlaßt, ihr selbst aber niemals gezeigt: es ist folglich als bloße Dichterphantasie anzusehen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. An Antoinetten. An Antoinetten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8ACE-D