[229] An Schlosser
Veranlaßung zu dem folgenden Gedichte

Auszug aus einem Briefe von Schlosser, im März 1793 1.


»Es ist niederschlagend, wenn man in ein Zeitalter, wie das unsrige, gefallen ist! Es weht, dünkt mich, eine pestartige Luft um uns, die jede aufkeimende Blume der bessern Gefühle, jede Anstrengung für etwas, das zum Menschenleben gehört, welken und erschlaffen macht. Auch verfolgen mich überall die Höllen-Gestalten, die nun so ungebändigt zu wüthen Erlaubniß haben. Wenn ich Geschichte lese, so wird mir das alte Laster noch abscheulicher, weil ich die Umrisse, die uns die Geschichte davon geben kann, immer mit den Zügen der neuen Laster ausfülle, die ich [230] jetzt vor mir sehe. Lese ich Gedichte, in welchen edlere, reinere Gefühle leben, so setzt immer mein Geist die Scene in eine andere Welt, und er läßt sich nicht überzeugen, daß so etwas auf dieser empfunden worden wäre. Am eckelhaftesten wird mir das Studium des Menschen selbst und der Sittenlehre, in welchem ich sonst so gern lebte; denn ich erschrecke überall vor dem fürchterlichen Contrast zwischen dem, was der Mensch werden kann, und was er ist. Und greif' ich endlich selbst in mein Herz, und denk' ich an den Werth meiner Freunde, meiner Lieben, so ist mirs, als ob wir alle in einen Sumpf gestürzt worden wären, in welchem alle ersticken müssen, und keiner dem andern helfen kann! Ich begreifs, wie die Stoiker sagen konnten, daß ihren Weisen die Ruinen der Welt treffen, aber nicht schrecken konnten; aber so weit hat, dünkt mich, selbst diese Schule die Ansprüche an Standhaftigkeit nicht getrieben, daß ihre Schüler auch, umringt von lauter Scheusalen des Lasters, noch heiter und zufrieden seyn sollten. In der Lage, worin wir [231] jetzt sind, ist es die Zuversicht auf die Vorsicht allein, wahrlich keine Philophie ists, die uns noch etwas freyen Athem erhalten kann. Von ihr verspreche ich mir, daß sie uns wegnehmen wird, wenn sie beschlossen hat, daß das noch lange dauern soll, wie es jetzt ist. Und wenn wir alle, die wir uns mit Ernst bestreben, reines Herzens zu seyn, so nach und nach abtreten, und hinsterben, so laßt uns das für ein Zeichen annehmen, daß dem Laster noch keine Grenzen gesetzt sind; und weint dann einer von uns über den andern, so laßt uns nur einander nicht wieder zurück wünschen!«


[232] Freyburg, im April 1793.


Freund! In jenen bangen Tagen,
Als so tief die Menschheit fiel,
Ehrt ich deine frommen Klagen,
Rührte nicht mein Saitenspiel;
Aber, hohen Muthes voll,
Schlag' ich lauter nun die Leyer,
Weil kein Höllen-Ungeheuer
Unser Glück uns rauben soll.
Bleibt doch Gottes Sonne stehen,
Wo sie unsre Väter sahn,
Wird der Mond doch glänzend gehen,
Wie vor Alters, seine Bahn;
[233]
Auch der Sternlein goldnes Chor,
Wenn die Büsche friedlich thauen,
Redet mit uns im Vertrauen,
Hebt den Geist zu sich empor.
Laß der Zwietracht Fackel wüthen
Bis zur letzten Gräuelthat!
Wandelt nicht im Kranz von Blüthen
Gottes Segen um die Saat?
Kann des Aufruhrs Feldgeschrey
Wider uns den West empören
Das Geräusch der Bäche stöhren
Und den Waldgesang im May?
Was da lispelt, singt und rauschet,
Kündigt dem geweihten Mann,
Der auf jedes Blättchen lauschet,
Freude nur und Eintracht an;
[234]
Freude säuselt durch das Feld,
Wenn vorbey die Stürme zogen,
Und der Friede seinen Bogen
In die Wetterwolke stellt.
Aus des Pöbels tollen Händen,
Die am selbst gestürzten Herd
Vaterland und Freyheit schänden,
Winde Fürsten-Macht das Schwert;
Und der stolze Königssohn
Spreche da, wo seine Blitze
Trafen, vom Tyrannen- Sitze
Feig gewordnen Völkern Hohn!
Keiner Lerche Lied verstummer
Vor dem Wink der Majestät;
Honig sucht die Bien' und summet
Fort auf ihrem Blumenbeet;
[235]
Holder Freyheit Lobgesang
Schallt von allen Hügeln nieder,
Tönt in Männer-Herzen wieder
Bey der Sklaven Ketten-Klang.
Sollt' herauf aus ihren Nächten
Auch die ganze Hölle ziehn,
Und das Häuflein der Gerechten
Mit geschmähter Tugend fliehn;
Trübte sich des Tages Licht,
Wo der Unschuld Hütten sanken,
Wo Altar und Tempel wanken:
Dennoch siegt das Laster nicht.
Tugend, weggescheucht in Höhlen,
Schafft noch himmlischen Genuß,
Macht das Bündniß schöner Seelen
Enger, treuer ihren Kuß;
[236]
Und die bleiben sich verwandt;
Oder dort in lichter Ferne
Trennet Bosheit einst die Sterne,
Lös't sie des Orion Band.
Mag des Frevels wilde Rotte
Jedes Heiligthum entweihn!
Berge jauchzen unserm Gotte,
Weihrauch duftet ihm der Hain;
Gottes Morgenwinde wehn
Ueber seines Tempels Trümmer;
In der Abendsonne Schimmer
Läßt er uns sein Antlitz sehn.
Nur getrost! dem Reinen fließet
Immer rein die Quell' im Thal,
Und mit Bruderliebe grüßet
Ihn der Edlen kleine Zahl.
[237]
Manche beßre Seele reicht
Uns, zum freundlichen Geleite,
Still die Hand; an ihrer Seite
Wird des Lebens Mühe leicht.
Ruft uns, früher oder später,
Ein befreundter Engel ab;
Unsern Kindern dann der Väter
Guten Glauben bis ins Grab;
Milder Lüfte kühlen Hauch,
Wenn sie Last und Hitze drücken,
Und, den Pilgerstab zu schmücken,
Hier und dort ein Blümchen auch!

Fußnoten

1 Nach der Hinrichtung des Königs in Frankreich.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. An Schlosser [1]. An Schlosser [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8B2A-8