Ulrich Jahn
Schwänke und Schnurren
aus Bauern Mund

[1]
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund

[1] [5]Der Dünk.

Es war einmal ein reicher Bauer, der hatte Äcker und Wiesen und Weideland und einen großen Wald. Als nun die Zeit kam, daß Langholz und Klobenholz gefahren wurde, wo er mit allen Knechten tagaus, tagein in den Busch mußte, verdroß ihn das schlechte Alltagsessen bei der harten Arbeit, und er sagte darum eines Nachts zu seiner Frau:

»Mutter, wir haben den ganzen Hof voll Hühnervolk. Was brauche ich immer dasselbe zu essen, wie Knecht und Magd! Du könntest mir morgen wohl ein gebratenes Huhn auf den Tisch setzen.«

»Das sollst du haben, Vater,« antwortete die Frau; und als am andern Morgen der Mann ausgefahren war, fing die Bäuerin ein Huhn und schnitt ihm den Hals ab, rupfte und sengte es und nahm es aus und legte es in die Pfanne.

Der Nachbarin von drüben zog der liebliche Geruch in die Nase, und sie kam, wie sie ging und stand, herübergelaufen und sprach: »Nawersch, was giebt's? Hier riecht's ja so braterig!«

[5] »Das macht, weil ich meinem Manne ein fettes Huhn brate,« antwortete die Nachbarin.

»Deinem Manne ein Huhn?« rief die Frau und wäre vor Verwunderung schier auf den Rücken gefallen. »Laß den dummen Kerl doch Kartoffeln und Speck essen, und das schöne Huhn verzehren wir! Und wenn er nach Hause kommt und schilt, so sag ihm nur, er habe die Nacht stark geträumt, du sähest es wohl, er habe den Dünk.«

Die Rede gefiel der Bäuerin; und als das Huhn gar war, nahm sie es von der Pfanne und aß es mit der Nachbarin auf; ihrem Manne aber legte sie, wie gewöhnlich, Speck und Kartoffeln in die Schüssel.

»Mutter, was ist das?« sagte der Bauer, als er Glocke zwei oder drei aus dem Busch heimkehrte. »Du hast mir doch versprochen, ein gebratenes Huhn in die Schüssel zu legen, und nun habe ich wieder Kartoffeln und Speck.«

»Mann,« antwortete die Frau, »schnack immer zu! Wann hast du mir so etwas gesagt? Du hast das geträumt, ich sehe es wohl, du hast den Dünk.«

»Hab' ich den Dünk, so ist es gut,« versetzte der Bauer und war stille bis auf den Abend, da er wieder bei seiner Frau im Bette lag.

»Mutter,« hub er auch diesmal an, »ich bin der Herr und darf wohl einmal ein besseres Essen haben, wie das Gesinde. Brat mir morgen eine Ente in der Pfanne!«

»Von Herzen gern, Vater,« antwortete die Frau, und sie briet auch am andern Tage die Ente. Aber die Nachbarin kam wieder dazu und redete so lange auf sie ein, bis sie die Ente aus der Pfanne nahm und mit der [6] Gevatterin verzehrte. Ihrem Manne aber setzte sie wiederum Kartoffeln und Speck vor; und als er zornig wurde und schalt und nach der Ente fragte, sprach sie, wie gestern:

»Du hast es geträumt. Ich sehe es wohl, du hast den Dünk.«

Sprach der Bauer: »Wenn ich den Dünk habe, so ist es gut,« und dann war er stille; denn er traute seiner Frau nicht zu, daß sie so schlecht gegen ihn sei. Zur Nachtzeit aber wiederholte er seine Rede zum dritten Male und bat um eine gebratene Gans, und die Frau versprach ihm, daß er den Braten bekommen solle.

Diesmal wollte sie ihn auch wirklich nicht hintergehen. Aber wie es so zu geschehen pflegt, die Nachbarin roch wieder den saftigen Braten, und als der Bauer heimkehrte, hatte er Speck und Kartoffeln in der Schüssel, von der Gans aber war kein Knöchelchen mehr zu sehen.

»Mutter, wo ist die Gans?« fragte er.

»Ach, papperlapapp,« zankte sie, »du hast wohl wieder den Dünk!«

Das ging dem Bauer denn doch über den Spaß; und nach dem Mittagsessen wankte er in den Garten zum Backofen und schnitt dort Wachholder und Nesselbusch ab und band es mit der Peitschenschnur zusammen, daß es eine handliche Rute wurde. Dann schlich er sich leise in das Haus zurück und legte die Rute unter die Bettstelle. Die Frau hatte es aber doch bemerkt durch das Küchenfenster, und – hast du nicht gesehen – lief sie zu ihrer Nachbarin und sagte:

»Nawersch, mir ist heute gar nicht so recht zu Mute, [7] und mein Mann schilt, wenn ich jammere und stöhne. Willst du nicht heute nacht bei meinem Manne schlafen?«

Der Nachbarin Mann war gerade über Land gegangen, darum antwortete sie:

»Gewiß, Gevatterin, ich werde es thun, wenn's mir auch schwer ankommt. Aber sie soll das Huhn, die Ente und die Gans nicht zu ihrem Schaden mit mir geteilt haben.«

Damit war die Sache abgemacht, und als es dunkel geworden war, legte sich die Nachbarin statt der Bäuerin zu dem Bauer ins Bett.

Kaum war sie warm geworden, so zog der Bauer mit der Rechten die Rute unter dem Bette hervor, mit der Linken schlug er die Kissen zurück und drückte sie der Frau auf das Gesicht, daß sie nicht schreien konnte; und dann hieb er auf sie ein, der Kreuz und der Quer, bis ihm der Arm müde wurde und er nicht länger schlagen konnte.

Sobald die Nachbarin frei war, sprang sie, wie der Wind, aus dem Bette heraus und lief, als ob die Hunde hinter ihr her wären, über die Diele und durch den Garten in ihre Kammer. Dort bestrich sie sich am ganzen Leibe mit Wundsalbe und Balsam und kühlte und pflasterte vier Wochen lang, bis alles wieder heil geworden war.

Die Bäuerin aber war indessen geschwind an ihrer Stelle in das warme Bett gekrochen und wartete ab, bis am andern Morgen der Bauer erwachte.

»Vater,« sagte sie darauf zu ihm, »was ist eigentlich mit dir? Die ganze Nacht liegst du steif und still da, wie ein Besenstiel, das war doch früher nicht so!«

[8] »Mich dünkt, ich bin munter genug gewesen,« antwortete der Bauer, »du wirst wohl ein halb Jahr genug haben an den Prügeln.«

»Was redest du da von Prügeln?« antwortete die Frau. »Mich hat kein Mensch geschlagen! Schau, Vater, wir sind allein, beguck mich hinten, beguck mich vorn, ist nicht alles schier und blank?«

Da sperrte der Bauer Nase und Mund auf und sagte: »Frau, du hast recht, mit mir ist's nicht richtig, ik häf de Dünk!«

[9] Das arme Edelfräulein und der reiche Graf.

Es war einmal ein Edelmann, der besaß nur ein ganz kleines Schloß und ein Stückchen Land davor. In dem Schlößchen wohnte er mit seiner Tochter, denn die Frau war ihm gestorben; und Lottchen, das Mädchen, war Köchin und Stubenmagd, Kammerjungfer und Aufwärterin, alles in einer Person.

Das Edelfräulein sah über die Maßen schön aus, war schlank gewachsen, wie eine Tanne, und trug langes, goldenes Haar; aber so schön es war, so stolz war es auch. Alle Freier, die auf das Schlößchen zogen und bei dem Vater um die Hand seiner Tochter anhielten, mochten ihr nicht gefallen. Der eine war zu groß, der andere zu klein; der dritte schielte auf dem rechten Auge, der vierte auf dem linken; diesem stand die Nase schief im Gesicht, und jener lief die Absätze krumm. Kurz und gut, sie hatte an jedem etwas auszusetzen und reichte keinem die Hand.

Am meisten ärgerte sich über ihren stolzen Sinn der [10] reiche, junge Graf aus der Nachbarschaft, denn er hatte sie am meisten geliebt; und weil er sie nicht zur Frau bekommen konnte, so wollte er wenigstens seinen Ärger an ihr auslassen. Darum ritt er jeden Morgen, wenn er zum Könige mußte, über den Fußsteig auf des armen Edelmanns Land hart an des Fräuleins Fenster vorbei. Und wenn sie dann an dem Fenster saß und nähte, so rief er ihr zu:

»Bar Geld lacht!
Bar Geld lacht!«

Das trieb er ein paar Wochen lang; und endlich konnte es das Fräulein nicht mehr ertragen und beschloß, ihm einen Streich zu spielen.

Als der Edelmann auf eine Reise gegangen war, zog es sich schlechte Arbeitskleider an und drückte sich eine abgetragene Mütze ins Gesicht, nahm einen Spaten über die Schulter und ging dann den Fußsteig auf und ab, wie ein Knecht, den sein Herr dorthin geschickt.

Wie nun der junge Graf seiner Gewohnheit nach den Fußsteig einbog, um das stolze Edelfräulein zu kränken, trat es schnell auf ihn zu, ergriff das Pferd beim Zügel und sprach:

»Mein Herr, Ihr seid gepfändet! Steigt herab, daß ich das Pferd in den Stall führe, bis Ihr es eingelöst habt.«

»Dummes Zeug,« antwortete der Graf, »wie wird ein Nachbar den andern so behandeln!«

»Das weiß ich nicht,« versetzte das Fräulein, »der Edelmann hat es mir so befohlen.«

[11] Da zog der Graf den Beutel aus der Tasche und rief: »Nun gut, so werde ich bezahlen, was ich schuldig bin.«

»Geld darf ich nicht nehmen!« sagte das Fräulein. »Und nun sperrt Euch nicht lange und steigt herab, daß ich das Pferd in den Stall führen kann!«

Dem Grafen gefiel das gar nicht; denn der König wartete auf ihn, und mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen. Er legte sich darum auf's Bitten und bat und quälte, er möge ihn doch noch einmal laufen lassen.

»Gut,« sagte der verkleidete Arbeiter, »Geld darf ich nicht nehmen, so verdient Euch das Pferd. Wenn Ihr dem Gaul drei Küsse unter den Schwanzriemen gebt, so will ich Euch laufen lassen.«

Dachte der junge Graf: »Der Kerl thut's nicht anders; aber er kennt dich nicht, und das Pferd ist ein reinliches Tier. Die Sache ist am Ende gar nicht so schlimm, als sie sich anhört.«

Er faßte also das Roß beim Schweif, um ihm die Küsse unter den Schwanzriemen zu geben.

Das Pferd aber dachte, sein Herr wolle etwas von ihm, und drehte sich um. Und als es das mehrere Male gethan, ward der Graf ungeduldig und rief:

»Purr, Rappe, steh!
Purr, Rappe, steh!«

Da stand denn auch das Roß, und der Graf gab ihm die drei Küsse und ritt davon.

Als er am andern Morgen wieder bei dem Schlößchen vorbei kam und das Edelfräulein am Fenster sitzen sah, rief er ihm zu, wie er gewohnt war:

[12]
»Bar Geld lacht!
Bar Geld lacht!«
Antwortete das Edelfräulein mit lauter Stimme:
»Purr, Rappe, steh!
Purr, Rappe, steh!«

Die Worte fuhren dem jungen Grafen wie ein Dolch ins Herz, er kehrte sogleich um, ritt auf sein Schloß zurück, legte sich ins Bett und war todsterbens krank, so sehr hatte ihn die List des Edelfräuleins gekränkt.

Da lag er eine ganze Zeit, bis endlich einmal ein altes Mütterchen vor sein Bett trat und ihn fragte, wie es ihm ginge und was ihm fehlte.

»Gehe sie nur in die Küche, Mütterchen,« sagte der Graf, »dort wird man ihr zu essen geben.«

»Ich habe dort schon zu essen bekommen,« antwortete das alte Weib mitleidig, »mir liegt nur schwer auf dem Herzen, daß der junge Herr Graf so krank darnieder liegt.«

»Was geht sie das an,« erwiderte der Graf kurz.

»Nicht doch, gnädiger Herr,« versetzte die Alte, »wie würde es mir gehen, wenn ein anderer auf das Gut käme, der die armen Leute mit Hunden vom Hofe hetzt! Erzählt mir doch, was Euch fehlt.«

Sprach der Graf: »Meinetwegen, aber helfen kann sie mir doch nicht!« Und dann erzählte er dem Mütterchen alles haarklein, wie es gekommen war.

»Wenn es weiter nichts ist,« lachte die Alte, »dann sollt Ihr morgen schon gesund sein. Thut nur, was ich Euch sage!«

»Mütterchen,« rief der Graf, »wenn sie das wahr[13] machen kann, so schenk' ich ihr das Häuschen da drüben auf Lebenszeit, und Speise und Trank darf sie sich aus meiner Küche holen, und wenn sie krank ist, sollen es ihr meine Diener bringen.« Und da er wieder Hoffnung hatte, fühlte er sich auch sogleich gesund und stark und sprang aus dem Bette heraus.

»So ist es recht,« sagte die Alte, »und morgen komm' ich zu Euch, und noch ehe die Glocke zwölfe schlägt, sollt Ihr an dem Edelfräulein gerochen sein.«

Am andern Morgen war das Mütterchen schon bei Zeiten im Schlosse, zog dem Grafen alte, abgerissene Kleider an und strich ihm die Haare ins Gesicht; dann hieß sie ihn, sich so linkisch und täppisch gebärden, als er immer könne, auch dürfe er kein Wort sprechen und müsse so thun, als ob er nichts höre. Nachdem ihr der Graf versprochen hatte, er wolle alles thun, wie sie ihm gesagt, nahm sie ihn bei der Hand und ging mit ihm der Stadt zu. Bei dem Schlößchen machte sie halt und ging mit dem Grafen in die Küche.

»Lottchen,« sprach sie, »sieh einmal, mein Enkelkind, der dumme, alberne Junge, ist mir nachgelaufen, und ich darf ihn doch nicht mit in die Stadt nehmen, da rennt er ja alle Leute um! Thu mir den Gefallen und behalt ihn bei dir.«

»Mütterchen,« sagte Lottchen, »ist der Junge auch nicht unnütz?«

»Unnütz?« antwortete die Alte. »Der kann nicht hören und nicht reden, und wo er einmal sitzt, da bleibt er sitzen.«

[14] »Na ja,« sprach Lottchen, »er mag in der Küche sitzen bleiben.«

»Um Mittag hole ich ihn ab,« sagte das Mütterchen und ging zum Hause heraus in die Stadt hinein.

Kaum war die Alte fort, so lief Lottchen zu dem Fräulein und rief: »Gnädiges Fräulein, das alte Weib, das immer betteln kommt, hat uns ihr Enkelkind in der Küche gelassen. Das ist dumm, taub und stumm, aber ein hübscher Kerl, so einfältig es auch in die Welt schaut.«

»Lottchen,« antwortete das Fräulein, »was meinst du? Ich hätte längst gern gewußt, wie ein Kuß von von einem Manne schmeckt.«

»Dann ist der Junge der rechte,« sprach Lottchen, »der kann nichts nachsagen.«

»Führ ihn zu mir herein!« sagte das Fräulein eifrig, und Lottchen brachte den Jungen in die Stube, daß er dem Fräulein einen Kuß gäbe. Er that aber so einfältig, daß er dastand, wie ein Stock, und sich nicht rückte und rührte.

»Lottchen, gieb ihm einen Schupps!« rief das Fräulein.

Da gab ihm Lottchen einen Schub, daß er auf das Fräulein fiel und sie zur Erde riß. Nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatte, sagte sie:

»Lottchen, ich will und muß wissen, wie ein Kuß schmeckt!«

Da ergriff Lottchen den Jungen beim Kragen und drückte seinen Mund auf den des Edelfräuleins; er wollte aber nicht küssen. Jetzt ward Lottchen ärgerlich, zog eine Nadel aus dem Latz und stach damit den Jungen in den [15] Buckel. Das that ihm weh, und das Edelfräulein hatte ihren Kuß weg.

»Lottchen, das schmeckt!« rief sie vor Vergnügen;

»Stich, Lottchen, stich!
Stich, Lottchen, stich!
Und wenn du für tausend Thaler Nadeln verstechen solltest!«

Und Lottchen stach auch, und jedesmal, wenn es stach, gab der Junge in seiner Angst dem Edelfräulein einen Kuß. Aber lange dauerte die Freude nicht, denn die Alte kam an dem Fenster vorbei; und sie mußten schnell machen, daß sie den Jungen wieder in die Küche bekamen.

»Nun, ist er unnütz gewesen?« fragte das Mütterchen.

»Nein, er ist so artig und still gewesen, daß es eine Freude war,« antwortete Lottchen.

»Das sagte ich dir ja,« sprach die Alte, »wenn man ihn nicht schuppst, so rührt er keinen Fuß vor den andern.«

»Das hab' ich vernommen,« dachte Lottchen bei sich, sagte es aber nicht laut; doch das Mütterchen nahm ihr Enkelkind bei der Hand und ging mit ihm aus dem Schlößchen heraus.

Als sie draußen waren, rief der Graf vergnügt: »Mütterchen, das Haus ist dein, und alles, was ich dir gestern versprochen habe, halte ich fest und will dir noch zehnmal mehr geben, als ich gesagt habe.« Und vor Freude schritt er so schnell aus, daß die Alte ihm kaum nachkommen konnte.

[16] Als der andere Tag kam, ließ er wieder sein Roß satteln und ritt zur Stadt. Am Fenster saß das Edelfräulein; und wie es den jungen Grafen vorbeireiten sah, rief es ihm höhnisch zu:


»Purr, Rappe, steh!
Purr, Rappe, steh!«

Da antwortete der junge Graf lachend:

»Stich, Lottchen, stich!
Stich, Lottchen, stich!
Und wenn du für tausend Thaler Nadeln verstechen solltest!«

Das Edelfräulein schlug das Fenster zu und fuhr zurück, als wenn's eine Natter gestochen hätte, und schämte sich so sehr, daß es sich nur noch in der Hinterstube aufhalten mochte; denn jetzt merkte es wohl, wer das dumme, einfältige Enkelkind der alten Bettelfrau gewesen war. Eine Zeit lang fraß die stolze Jungfrau ihren Gram in sich, dann konnte sie das Elend nimmer mehr ertragen und schickte Lottchen auf das Grafenschloß, daß es den Herren bäte, ob er nicht einmal, als Gärtner verkleidet, hinunter in das Schlößchen kommen wolle. Der junge Graf ließ sich nicht lange bitten und kam.

»Du hast gemacht, daß ich mich nicht mehr unter den Leuten sehen lassen darf,« sprach sie weinend.

»Warum nicht gar?« antwortete der junge Graf. »Hab' ich nicht meinen Rappen auf dein Geheiß dreimal unter den Schwanzriemen geküßt? Trotzdem lass' ich mich überall sehen und hab' dich noch immer so lieb, wie zuvor.«

[17] »Dann will ich dich auch,« sprach das Fräulein und fiel ihm um den Hals. Und als der arme Edelmann von seiner langen Reise in das kleine Schlößchen zurückkehrte, gab er ihnen seinen Segen, und sie feierten eine vergnügte Hochzeit; und wer mit dabei gewesen ist, dem ist der Mund noch darnach lecker.

[18] Das wunderbare Stöcklein.

Es war einmal ein König, der ließ in seinem Reiche bekannt machen, alle jungen, starken Leute, welche kommen wollten, möchten sich in der Hauptstadt einfinden, damit er unter ihnen einen Hofjäger erwähle.

Nun lebte in einem Dorfe desselben Landes ein reicher Bauer, der hatte drei Söhne: Michel, Krischan und Hans.

»Michel,« sagte der Bauer, »Hofjäger, das wäre eine Stellung für dich! Was meinst du, willst du dich nicht in die Stadt begeben?«

Die Rede gefiel Micheln wohl, und seine Mutter mußte ihm den Kaliet (Kober) voll Fleisch, Brot und Kuchen packen, damit er unterwegs keine Not litte und in der Stadt nicht so viel im Gasthaus zu verzehren brauche; dann sagte er Vater und Mutter lebewohl und schritt der Hauptstadt zu.

Unterwegs mußte er durch einen großen Wald. Als es Mittagszeit war, wurde er hungrig und setzte sich nieder, holte seinen Kaliet hervor und ließ sich die guten Sachen trefflich schmecken. Mit einem Male[19] kam ein kleines, steinaltes Männchen angehumpelt, das jammerte und sprach:

»Michel, mich hungert so sehr, gieb mir ein wenig ab von deinem Mahle!«

»Das fehlte noch gerade,« antwortete Michel, »darum habe ich mich wohl mit dem Kaliet geschleppt, daß ich für fremde Menschen Essen trage! Such dir nur Wurzeln und Beeren, mir geht es selber knapp.«

»Dann nicht!« sagte das Graumännchen und ging seinen Gang.

Michel aber schritt, nachdem er satt gegessen und getrunken hatte, mächtig aus, um bald die Hauptstadt zu erreichen. Er lief, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann, und erreichte auch vor Abend ein großes Dorf. Das kam ihm so bekannt vor, und als er auf einem Hofe ansprach, um dort zu übernachten, war es seines Vaters Haus. Der lachte den dummen Michel aus, und Krischan und Hans spotteten auch; aber Michel rief zornig:

»Versucht ihr es nur, es wird euch nicht besser gelingen!«

»Das will ich auch thun,« antwortete Krischan, und der Bauer gab die Erlaubnis dazu, und die Mutter packte ihm ebenfalls die schönsten Leckerbissen in den Korb; und am andern Morgen, als die Sonne aufging, war Krischan unterwegs und wanderte der Stadt zu.

Es ging ihm aber nicht anders, als seinem älteren Bruder. Da er eben so gierig und hartherzig war, wie Michel, und dem alten Graumännlein nichts abgeben wollte von seinem Überfluß, so verblendete dasselbe ihm [20] die Augen; und als er am Abend einkehrte, um ein Nachtlager zu suchen, befand er sich gleichfalls auf seines Vaters Hof.

Jetzt war das Spotten bei Michel.

»Guten Abend, Herr Hofjäger,« sagte er, »wie ist es doch so leicht, in die Stadt zu kommen.«

Hans aber lachte seine beiden Brüder aus und schüttelte sich vor Vergnügen und sprach:

»Ich sehe wohl, ich muß mich auf den Weg machen; sonst ist es mit dem Hofjäger nichts.«

»Du Kiek-in-die-Welt und Taugenichts, bleib du nur hinter dem Ofen sitzen!« riefen Michel und Krischan zornig.

»Und daß du ihm nichts mit auf den Weg giebst, Mutter!« fügte der alte Bauer hinzu.

Aber Hans kümmerte das wenig, er ging zu dem Mehlsack, rührte sich einen Teig und briet auf dem Herde drei Aschenbacke; dann steckte er die paar Thaler, die er sich erspart hatte, in die Tasche, und als die Sonne aufging, machte er sich auf den Weg und pfiff ein munteres Lied vor sich hin. Als es Mittagszeit war, ließ er sich nieder, holte einen Aschenback hervor und biß hinein. Indem kam auch schon das kleine Graumännchen auf ihn zu und sagte zu ihm:

»Guten Tag, Hans, mich hungert so! Giebst du mir nicht ein wenig ab von deinem Mahle?«

»Recht gern, liebes Graumännchen,« antwortete Hans, »es wird dir nur nicht schmecken.«

Damit gab er ihm genau die Hälfte von seinem Vorrat, einen ganzen Aschenback und einen halben.

[21] »Auch einen Thaler sollst du bekommen!« fuhr er fort. »Zwei hab' ich, und ich bin gesund und stark und werde mir wieder etwas verdienen können.«

Das Männchen bedankte sich schön und ging seiner Wege.

Gegen Abend trat es wieder auf den Jungen zu, als er sein Abendbrot verzehrte.

»Guten Abend, Hans,« sagte es, »ich bin so hungrig, gieb mir etwas zu essen!«

Hans dachte, es sei ein anderes Graumännlein und sprach zu ihm: »Das meiste habe ich zwar schon fortgegeben; aber es wird doch noch für uns beide reichen. Hier hast du einen halben Aschenback und einen halben Thaler, und das ist genau die Hälfte.«

»Hab Dank, lieber Hans!« sprach das Graumännchen und steckte seinen Teil zu sich und ging davon.

Hans aber kletterte auf einen Baum, band sich dort fest, daß ihn die wilden Tiere nicht fräßen, und schlief ein. Am andern Morgen ging er erst ein Stündchen, dann holte er das Stückchen Aschenback, das ihm noch geblieben war, aus der Tasche hervor und wollte gerade abbeißen, als wiederum das Graumännchen erschien und zu ihm sagte:

»Guten Morgen, Hans, ich sterbe vor Hunger, gieb mir ab von deiner Speise!«

»Mein liebes Graumännchen,« entgegnete Hans, »viel wird's ihm nicht helfen, denn ich habe nur noch dies Stückchen Aschenback; aber die Hälfte von dem, was ich habe, sollst du bekommen.«

Damit brach er das Stückchen Aschenback in zwei[22] Teile und gab dem Graumännchen den einen; sodann zog er den halben Thaler aus der Tasche hervor und zählte davon sechs gute Groschen dem Graumännchen in die Hand.

»Hans,« sprach darauf das Graumännchen, »hier hast du all dein Geld und die Aschenbacke, welche du mir geschenkt hast, wieder, ich brauche sie nicht. Ich wollte nur sehen, ob du ein besseres Herz hättest, als deine beiden Brüder. Darum kam ich dreimal zu dir und bat dich um eine Gabe. Nun sollst du auch, weil du so gutherzig gewesen bist, des Königs Hofjäger werden. Dort, wo der Weg die Krümmung macht, steht ein großer Eichbaum, der ist innen hohl, und in der Höhlung hängt ein Jägeranzug, den zieh dir an. Und bei dem Anzug steht ein Stock, den nimmst du zu dir und hältst ihn hoch in Ehren; denn was du damit auch schlagen magst, es sei tot oder lebendig, das muß dir Rede stehen und die lautere Wahrheit sagen.«

Diesmal war das Danken bei Hans; aber das Graumännchen ließ ihn nicht viele Worte machen, sondern trat in die Büsche hinein und war verschwunden.

Hans machte große Schritte, daß er bald zum Eichbaum käme; und als er dort war, fand er alles so, wie das Graumännchen gesagt hatte. In der Höhlung hing der schönste Jägeranzug, den du dir denken kannst; und als Hans ihn angezogen und den Hirschfänger in die Seitentasche gesteckt hatte, kannte er sich selber nicht mehr, so schmuck und stattlich sah er aus.

»Ob's nun auch wohl mit dem Stock seine Richtigkeit hat?« sprach er bei sich; dann ergriff er den hübschen [23] Stab, der in der Höhlung stand, schlug damit auf einen alten, morschen Stubben und rief:

»Stubben, wie viel ist die Uhr?«

»Die Glocke in der Stadt hat eben zehn geschlagen!« brummte der Stubben und war wieder still.

Da war Hansens Freude noch größer, und vergnügt und fröhlich wanderte er der Stadt zu, die er noch vor Mittagszeit erreichte. Er kehrte in dem besten Gasthofe ein; und als der Wirt den schmucken Jägersmann erblickte, sprach er zu ihm:

»Ihr wollt Euch wohl auch zu der Wahl zum Hofjäger stellen? Dann ist 's aber hohe Zeit; denn heute ist der dritte und letzte Tag, und mit Sonnenuntergang ist die Sache entschieden.«

»So komme ich immer noch früh genug!« antwortete Hans und ließ sich Wein und Braten auftragen; und nachdem er genug gegessen und getrunken hatte, ging er zum König und stellte sich ihm vor.

Obwohl nun schon sehr viele gelernte Jäger bei ihm gewesen waren, so mochte ihm doch keiner besser gefallen, als Hans; und als mit Sonnenuntergang die Wahl beendet war, war Hans zum königlichen Hofjäger gewählt. Da hatte er sein gutes Auskommen; und weil er fleißig und bescheiden war und gut auf den Dienst achtete, so gewann ihn der König von Tag zu Tag mehr lieb.

Eines Tages kam Hans zu ihm und sprach zu ihm:

»Mein Herr König, ich möchte wohl freien. Darf ich das thun?«

»Warum nicht?« lachte der König. »Freien ist doch [24] keine Sünde! Ich bin ja auch verheiratet, und ich dächte, du wärest Manns genug, eine Frau zu ernähren.«

Als Hans wußte, daß der König nichts dagegen habe, ging er zu dem Wirt in den Gasthof und sprach zu ihm:

»Weißt du keine Frau für mich? Sie mag sein, wie sie will, nur darf sie noch keinen Bräutigam gehabt haben.«

»Lieber Hans,« antwortete der Wirt, »solche Mädchen mag's früher gegeben haben, heuer sind sie rar. Doch wie wär's mit des reichen Kaufmanns einziger Tochter, die ist erst siebenzehn Jahre alt und mag wohl noch niemals brauten gegangen sein.«

»Ich will's versuchen,« sagte Hans und ging zu dem reichen Kaufmann und fragte ihn, ob er seine Tochter zur Frau bekommen könne. Er müsse sie aber vorher gesehen haben, wenn sie schliefe.

»Dummes Zeug!« antwortete der Kaufmann.

»Nun, dann wird aus der Hochzeit nichts,« antwortete Hans.

»Aber Herr Hofjäger,« antwortete der Kaufmann, »wer wird sich denn gleich so abschrecken lassen, wenn man auf Freiers Füßen geht! Mir wollte nur soeben nicht ganz in den Sinn, daß Ihr das Mädchen zuvor im Schlafe sehen möchtet. Aber wenn Ihr darauf besteht, so soll's Euch gerne gewährt sein.«

Da blieb denn Hans bei dem Kaufmann zu Abend; und als das Mädchen zu Bette gegangen und eingeschlafen war, durfte er zu ihr in die Kammer schleichen. [25] Da zog er seinen Stock hervor, schlug ihr damit leise auf den Mund und fragte:

»Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?«

»Einmal der hübsche, junge Ladendiener,« antwortete der Mund.

»Du bist nicht die rechte!« rief Hans, ging zu dem Kaufmann und sprach zu ihm: »Eure Tochter gefällt mir nicht, sie hat sich schon einen andern erkoren.«

Der Kaufmann schalt und schrie; aber der Hofjäger kehrte sich nicht daran und ging wieder auf das Schloß zurück.

Am andern Tage sagte er zu dem Wirt:

»Mit des Kaufmanns Tochter ist es nichts, die ist schon mit einem andern brauten gegangen.«

»Ist's die Möglichkeit! Ein siebenzehnjähriges Mädchen!« antwortete der Wirt. »Doch ich sagte es dir gleich: Mädchen, wie du sie suchst, sind heuer rar. Aber wie wär's mit des Amtmanns Tochter, die ist auch jung von Jahren und reicher Leute einziges Kind. Die wohnt ja auf dem Lande und wird gewiß noch keinen Schatz gehabt haben.«

»Ich will's versuchen,« versetzte Hans und machte sich auf den Weg in des Amtmanns Haus.

»Guten Tag, Herr Amtmann, darf ich wohl Eure Tochter heiraten?«

»Warum nicht, Herr Hofjäger,« sagte der Amtmann erfreut, »wir wollen gleich die Verlobung feiern!«

»Nein, nicht so schnell,« fiel ihm Hans ins Wort, »ich muß sie zuvor allein im Schlafe gesehen haben.«

[26] »Papperlapapp, daraus wird nichts!« sprach der Amtmann.

»Gut, dann wird auch aus der Hochzeit nichts,« erwiderte Hans.

Da mußte sich der Amtmann wohl oder übel dazu bequemen, dem Hofjäger seinen Willen zu thun. Als er nun am Abend in die Kammer trat und erkannt hatte, daß das Mädchen fest schlief, zog er wieder den Stock hervor, klopfte ihr damit auf den Mund und sprach:

»Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?«

»Zweimal der Herr Inspektor!« antwortete der Mund.

Da hatte Hans genug, schlich sich wieder aus der Schlafkammer heraus und sagte zu dem Amtmann:

»Eure Tochter mag ich nicht, sie hat schon einen Liebsten, dem sie ihr Herz geschenkt hat.«

»Daß dich der Teufel!« schalt der Amtmann zornig; aber Hans hörte seine Worte nicht mehr, er war schon aus dem Hause heraus und schritt seiner Wohnung zu.

»Lieber Freund,« sagte am nächsten Tage der Hofjäger zu dem Gastwirt, »weißt du denn gar keine Frau für mich? Mit des Amtmanns Tochter ist es auch nichts geworden, die hat sich schon einen andern erkoren.«

»Sagt' ich's nicht,« erwiderte der Wirt, »es hält schwer, ein passendes Mädchen zu finden! Nun weiß ich nur noch des dicken Edelmanns Kind. Wenn der dich zum Schwiegersohn haben will, das Mädchen wird wohl noch keinen Bräutigam gehabt haben, dazu ist es zu stolz.«

»Wir wollen's hoffen,« sagte Hans bekümmert; dann [27] erbat er sich von dem König Pferd und Wagen und fuhr zu dem Edelmann hinaus.

Als er vor ihm stand und sein Anliegen vorgebracht hatte, rief der Edelmann seine Frau herbei, und sie berieten mit einander, welche Antwort sie dem Freier geben sollten.

»Es ist des Königs Hofjäger und sein Liebling,« sprach die Edelfrau, »wir machen uns das Herz des Königs geneigt, wenn wir ihm unsere Tochter geben.«

Das schien dem Edelmann ein guter Rat, und er sprach zu Hans und pustete dabei, als ob ihm die Luft ausginge:

»Herr Hofjäger, Ihr sollt meine Tochter haben!«

»Aber eine Bedingung stelle ich noch,« sagte Hans, »ich muß Eure Tochter eine Nacht vor der Verlobung im Schlafe gesehen haben.«

Das gefiel dem Edelmann gar nicht; aber weil Hans darauf bestand und sagte, sonst würde aus der ganzen Hochzeit nichts, so gab er endlich nach, und der Hofjäger wurde in der Nacht in die Schlafkammer der Tochter geführt. Als er wieder allein war, klopfte er ihr mit dem Stocke auf den Mund und sprach:

»Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?«

»Dreimal der Herr Rechnungsführer,« antwortete der Mund.

»Jetzt geb' ich das Freien auf!« dachte Hans bei sich, rief dem dicken Edelmann in die Schlafkammer hinein:

»Eure Tochter mag ich nicht, die hat schon einen andern Schatz,« und ehe der dicke Herr Luft und Worte [28] fand, den Hofjäger darüber zur Rede zu stellen, hatte Hans seinen Wagen anspannen lassen, war eingestiegen und auf und davon gefahren in die Stadt zurück.

Ein paar Tage darauf feierte der reiche Kaufmann seinen Geburtstag und lud den Amtmann und den dicken Edelmann zum Festmahle ein; denn die beiden waren seine guten Freunde. Als sie gegessen hatten und von dem starken Weine ihre Zungen gelöst waren, nahm der Kaufmann den Amtmann beiseite und sagte zu ihm:

»Mein lieber Freund, wir haben bisher Freud und Leid gemeinsam getragen, so will ich dir auch meinen jüngsten Schmerz nicht verhehlen: Des Königs Hofjäger hat um meine Tochter angehalten, und ich habe sie ihm auch zugesagt; er hat sie aber nicht genommen, sondern hat sie sogar noch obendrein beschimpft.«

»Mit mir hat er es auch so gemacht!« platzte der Amtmann heraus.

»Da können wir einander die Hände reichen,« pustete der dicke Edelmann, »bei mir ist er ebenfalls gewesen.«

Das war nun zwar ein Trost im Unglück, daß sie einander nichts vorzuwerfen hatten; der Trost war aber auch recht schwach. Sie beschlossen darum, alle drei gemeinsam den Hofjäger beim Gericht zu verklagen, daß er nachweise, was er gesprochen, oder gehenkt würde.

Als der König von der Klage hörte, sprach er zu seiner Frau, der Königin:

»Mutter, ich muß heute der Gerichtsverhandlung beiwohnen, vielleicht kann ich dem Hofjäger noch in etwas zu nutze sein.«

Nach diesen Worten ging er hin auf das Gericht,[29] und Hans sollte sich gerade verteidigen, wie er dazu käme, den Töchtern des Kaufmanns, des Amtmanns und des Edelmanns so böse Dinge nachzureden.

»Man führe des Kaufmanns Tochter herein,« bat er; und als sie vor ihm stand, klopfte er ihr mit dem Stock auf den Mund und sprach:

»Nun sag einmal, Mund, wie oft hat dich ein fremder Mann geküßt?«

»Einmal der hübsche, junge Ladendiener!« antwortete der Mund.

»Des Kaufmanns Tochter ist überführt,« sagte der Richter, jetzt kommt des Amtmanns Kind an die Reihe.

Hans nahm wiederum seinen Stock, klopfte dem Mädchen damit auf den Mund und sagte: »Mund, wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?«

»Zweimal der Herr Inspektor,« antwortete der Mund.

»Auch bei des Amtmanns Tochter hat der Hofjäger nicht gelogen,« sagte der Richter, »man führe das Edelfräulein herein.«

Das Edelfräulein hatte aber durch das Schlüsselloch gesehen und gehorcht, und es merkte wohl, welche Macht in dem Stocke läge; sie steckte darum ein großes Stück Semmel in den Mund und trat so in den Saal hinein. Als ihr Hans mit dem Stock auf den Mund klopfte und ihm zu sprechen befahl, antwortete derselbe darum nur:

»Mummummummummum!«

»Was ist denn das?« rief Hans erstaunt, klopfte ihr mit dem Stock auf die Nase und sprach: »Näschen, was ist Mäulchen, daß es nicht reden kann?«

»Mäulchen hat einen Kloß Semmel zwischen den[30] Zähnen,« erwiderte Näschen, »darum kann es nicht sprechen.«

Da zog Hans dem Edelfräulein die Semmel zwischen den Zähnen hervor, und sogleich redete der Mund und sprach:

»Dreimal der Herr Rechnungsführer!«

Somit war auch das Edelfräulein überführt; der Hofjäger wurde freigesprochen, und der Kaufmann, der Amtmann und der Edelmann mußten mit Schimpf und Schande mit ihren Töchtern nach Hause ziehen.

Als der König von dem Gericht nach Hause kam, erzählte er seiner Frau die ganze Geschichte, und dann lachte er, wie er seit lange nicht gelacht hatte. Die Königin freute sich auch; mit einem Male aber kam ihr ein Gedanke, und sie sprach:

»Was meinst du, Männchen, könntest du dir nicht einmal von dem Hofjäger den Stock geben lassen, damit wir sehen, wie es mit unserer Tochter, der Prinzessin, steht?«

»Ja, das werde ich thun,« antwortete der König; und als ihm der Hofjäger den Stock übergeben hatte, ging er am Abend ganz leise, leise mit der Königin auf Strümpfen in die Schlafkammer der Prinzessin hinein. Sie schlief auch schon ganz fest, und so zog denn der König den Stock hervor, schlug damit auf ihr kleines, rotes Mäulchen und fragte:

»Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?«

»Das hat noch niemand gethan,« antwortete das kleine, rote Mäulchen, »aber wenn ich einen küssen dürfte, so wäre es Hans, unser Hofjäger.«

[31] »So, so!« sagte ihr Vater, der König, und »So, so!« sagte ihre Mutter, die Königin, und dann schlichen sie beide so leise, wie sie gekommen waren, wieder aus der Kammer heraus.

»Was machen wir aber nun mit dem Hofjäger?« sprach die Königin, als sie draußen waren.

»Ich denke, wir geben ihm unsere Tochter zur Frau,« erwiderte der König, »wenn sie sich einmal gut sind, so kommen sie doch zusammen, mögen wir wollen oder nicht.«

»Er ist auch ein guter, hübscher Mensch,« meinte die Königin, und dann legten sie sich beide zu Bette und schliefen bis an den lichten Morgen.

Den andern Tag, wie sie beim Frühstück saßen, hub der König an und sprach zu seiner Tochter:

»Mein Kind, was würdest du thun, wenn ich dir den Hofjäger zum Manne gäbe?«

Und während er das noch sagte, war die Prinzessin schon aufgesprungen, fiel ihm um den Hals und streichelte ihm die Wangen und rief: »Mein herzallerliebstes Väterchen, giebst du mir den Hofjäger, so machst du mich glücklich für alle Zeit.«

»Ich habe nichts dawider,« versetzte der König, »doch wie wird er zu der Sache stehen? Vielleicht will er dich gar nicht einmal. Frag ihn doch!«

»Ach, Papachen, frag du ihn!« schmeichelte die Prinzessin.

Da wurde Hans gerufen, und der König fragte ihn, ob er seine Tochter heiraten wolle; einen andern Schatz habe sie noch nicht gehabt, das habe er heute nacht erfahren. Hans glaubte anfangs, der König mache Scherz; [32] als er aber einsah, daß es ihm Ernst sei mit der Sache, sagte er mit Freuden ja, und die Hochzeit wurde gefeiert, und sie lebten vergnügt und fröhlich bis an ihr seliges Ende; und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

[33] Der Zornbraten.

Es war einmal ein reicher Graf; aber viel Freude hatte er von seinem Reichtum nicht, denn er hatte eine bitterböse Frau und eine bitterböse Tochter. Was die beiden Frauensleute sagten, das mußte er thun; und tanzte er nicht, wie sie pfiffen, so fielen sie mit dem Lederschuh über ihn her (denn Gräfinnen tragen keine Pantoffeln) und schlugen ihn auf Rücken und Hände, bis er wieder folgsam geworden war.

Eines Tages hatten sie ihm wieder die Hölle heiß gemacht, und er wurde schließlich so zornig, daß er sprach:

»Der erste Mann, der jetzt auf den Hof kommt und noch unverheiratet ist, erhält meine Tochter zur Frau; dann bin ich wenigstens die eine Plage los.«

»Das wird sich finden«, antwortete die Gräfin, »meine Tochter heiratet keinen andern Mann, als den, welchen ich ihr gebe!«

Die Worte hörte aber der alte Graf nicht mehr; denn er stand schon unten am Thore und schaute aus, ob nicht bald ein Freiersmann käme. Es dauerte auch gar nicht lange, so kam einer angeritten auf einem[34] schwarzen Roß, ein Windspiel lief gegen ihm auf, und einen Falken trug er auf seiner Hand.

»Heda, guter Freund«, rief ihm der alte Graf zu, »wollt Ihr nicht meine Tochter freien? Es ist mein einziges Kind und erbt nach meinem Tode alle meine Güter. Aber heute noch muß die Hochzeit sein!«

Die Rede gefiel dem fremden Rittersmann, und er stieg von dem Rosse und ging mit dem alten Grafen in die Stube hinauf.

Als die Gräfin und ihre Tochter den Gast sahen, sprachen sie leise:

»Diesmal soll Vater recht behalten, das ist ein feiner Freiersmann.«

Und das war er auch; denn ihm gehörte ebenfalls eine ganze Grafschaft, und er stand an Reichtum dem alten Grafen nicht nach. Ehe aber die Hochzeit gefeiert wurde, nahm die Gräfin ihre Tochter besonders, und sie mußte ihr in die Hand schwören, daß sie ihren Mann ebenso ziehen wolle, wie ihre Mutter ihren Vater gezogen. Dann wurde der Prediger gerufen, das junge Paar ward zusammengegeben, und nach dem Mahle sollten sie abreisen.

Der alte Graf wollte die große Kutsche vorfahren lassen.

»Nichts davon«, rief der Rittersmann, »ich reite, und meine junge Frau hat ihre gesunden Glieder, die kann gehen.«

Das mißfiel ihr zwar sehr; aber sie wollte nicht gleich mit Zank und Streit anfangen und fügte sich. Er ritt also zum Thore hinaus, ganz sachte, und sie schritt neben ihm her. Als sie im Walde waren, lief das Windspiel [35] zwischen die Bäume und jagte den Vögeln und Hasen nach.

»Komm her!« befahl der Graf und pfiff ihm; und als der Hund nicht auf das erste Mal hören wollte, zog er die eine Pistole aus der Satteltasche heraus und schoß ihn tot, daß er kein Glied mehr rührte.

Durch den Knall erschreckte sich der Falke und flog auf in die Höhe.

»Komm her!« befahl der Graf wiederum und pfiff ihm; und als der Falke nicht sofort gehorchte, zog er die andere Pistole aus der Tasche und erschoß ihn ebenfalls, daß der Vogel tot zu Boden stürzte.

»Herr Gott, was ist das für ein Mann, den du dir hast antrauen lassen!« dachte die junge Gräfin, und es überlief sie kochheiß über den ganzen Leib.

Indem kamen sie an eine Stelle, wo der Weg holprig und ausgefahren war, und das Roß stieß häufig mit dem Fuße an und stolperte. Der Graf ertrug es eine gute Weile, dann sagte er:

»Rappe, jetzt sieh dich vor!«

Kaum hatte er jedoch die Worte ausgesprochen, so stolperte das Tier schon wieder; der Weg war auch gar zu schlecht. Das kümmerte aber den Grafen wenig, er sprang ab, zog sein langes Dolchmesser aus der Tasche und stieß es dem Rappen zwischen die Rippen, daß er zusammenbrach; dann schnallte er das Sattelzeug ab und sprach:

»Jetzt hab' ich kein Pferd mehr, aber reiten will ich. Komm her, Frau, daß ich dir den Sattel umlege!«

»Ach Herzensmännchen!« antwortete sie.

[36] »Komm her!« rief er zornig. »Soll ich denn zweimal befehlen?«

Da dachte sie: »Wir sind allein im Walde; und wenn ich nicht gehorche, so geht es an dein Leben. Wenn er das Windspiel, den Falken und das Pferd nicht verschonte, so wird er auch deiner nicht schonen!« Und sie ließ sich den Sattel geduldig umlegen, und als ihr Mann sich auf ihren Rücken gesetzt hatte, kroch sie auf allen vieren mit ihm fort.

Ein paar Schritte ging es; dann fing sie bitterlich an zu weinen.

»Was ist dir denn?« fragte er.

»Ach, Herzensmännchen«, antwortete sie, »den Sattel will ich ja gerne tragen, aber dich nicht.«

»Ist dir der Sattel denn lieber, wie ich!« rief er zornig.

»Ach, Herzensmännchen«, antwortete sie in Todesangst, »du hast mich falsch verstanden, du bist mir zu schwer, ich kann nicht mehr weiter; aber den Sattel will ich dir gerne tragen!«

Sprach der Graf: »Wenn du mich nicht tragen kannst, kann mir auch der Sattel nichts nutzen,« schnallte ihn ab und warf ihn in das Gebüsch. Dann gingen sie zu Fuß ihres Weges weiter.

Als sie vor seinem Schlosse angelangt waren, sprach er zu seinem Weibe:

»Höre, Frau, du sollst es gut bei mir haben, denn ich bin reich, und es wird dir an nichts fehlen. Ziehst du aber ein einziges Mal ein schiefes Gesicht, wenn ich dir etwas sage, so bist du des Todes.«

[37] Da schwur sie ihm hoch und teuer, sie wolle ihm immer und ewig gehorsam sein; und er hatte recht, sie lebte so glücklich mit ihm, wie Mann und Frau nur mit einander leben können. Er that ihr alles zu Gefallen, und sie las ihm seine Wünsche von den Augen ab. Kurz und gut, sie lebten zusammen, wie die Kinder.

Eines Tages sprach sie zu ihm: »Ach, Herzensmännchen, wollen wir nicht einmal meine Eltern besuchen?«

»Die mögen uns besuchen,« gab er zur Antwort, und da war sie auch sogleich mit zufrieden.

Und mit dem Besuche kam es auch so. Die alte Gräfin lauerte und lauerte auf Nachricht von ihrer Tochter; als endlich ein ganzes Jahr verstrichen war, ließ sie den Wagen vorfahren, setzte sich mit ihrem Manne hinein, und die Reise begann.

Es dauerte auch gar nicht lange, und sie waren da. Der junge Graf empfing sie sehr freundlich, half seinen Schwiegereltern aus der Kutsche, und während die Mutter zu der Tochter auf die Stube ging, zeigte er dem alten Grafen seinen reichen Viehstand und die schönen Wiesen und Felder. Als sie zurückkamen, saß die alte Gräfin allein in der Stube.

»Wo ist meine Frau?« fragte der junge Graf.

»In der Kammer!« antwortete das böse Weib kurz; doch der Schwiegersohn that, als merke er nicht ihre Bosheit und ging in die Kammer, und der alte Graf folgte ihm nach.

Da saß die junge Frau an dem Tische und weinte bitterlich.

»Warum weinst du?« fragte ihr Mann.

[38] »Ach, Herzensmännchen,« erwiderte seine Frau, »meine Mutter fragte mich, wie wir beide zusammen lebten. Was er will, will ich, und was ich will, will er, antwortete ich, wir leben wie die Kinder. Sprach sie: Hast du mir nicht einen teuren Eid geschworen, daß du ihn dir ziehen willst, wie ich deinen Vater gezogen habe! Er soll wollen, was du willst! Und: Quatsch, quatsch! schlug sie mir ihren Lederschuh rechts und links um die Ohren.«

»Ja, es ist ein böses Weib!« warf der alte Graf ein. »Nicht wahr, Schwiegersohn, dir geht es mit meiner Tochter nicht anders?«

»Ich kann mir keine bessere Frau wünschen«, antwortete der junge Graf, »und daß deine Frau so schlimm ist, liegt ganz allein an dir. Sie ist so schlecht gar nicht. Wenn ich sie vier Wochen bei mir hätte, sie sollte schon ordentlich werden.«

»Nimm sie«, rief der alte Graf erfreut, »aber helfen wird's nicht! Mach mit ihr, was du willst; in vier Wochen komme ich wieder!«

Sprach's und stieg in den Wagen und freute sich, für einen ganzen Monat des bösen Weibes ledig zu sein.

Die alte Gräfin wollte gerade aus dem Fenster ihrem Manne nachschreien, wie er ohne ihre Erlaubnis fortfahren könne, da trat der junge Graf mit dem Kutscher, dem Gärtner, dem Koch und dem Diener herein. Zwei mußten die Gräfin an den Händen packen und zwei an den Füßen; dann befahl er ihnen, daß sie seine Schwiegermutter auf den Tisch legten.

Sie mochte schreien so viel, wie sie wollte, das half [39] ihr alles nichts, die Kerle hielten fest; der junge Graf aber sprach:

»Jeder Mensch hat zwei Zornbraten; wer zu zornig ist, dem müssen sie ausgeschnitten werden.«

Als er dies noch sagte, hatte er auch schon das scharfe Dolchmesser aus der Tasche gezogen, und: Ritz, ratz! schnitt er zweimal der Länge und zweimal der Quere in das dicke Fleisch hinein und holte ein Stück heraus, anderthalb Spannen lang und eine halbe Spanne breit. Das warf er vor die Gräfin auf den Fußboden, daß es klatschte, und sprach:

»Den einen hätten wir; jetzt kommt der andere Zornbraten an die Reihe.«

»Ach, liebster Herr Schwiegersohn«, rief da die Gräfin, »ich fühle, es hat schon geholfen; der eine Zornbraten wird es schaffen!«

»Wollen sehen«, antwortete der Graf, »es ist ja später immer noch Zeit!«

Darauf mußten die Knechte die Gräfin loslassen, und sie konnte die Wunde ausheilen.

Nachdem die vier Wochen vergangen waren, fuhr der alte Graf wieder vor.

»Jetzt ist Mutterchen gesund«, sagte der junge Graf lachend, »und wenn sie wieder böse werden will, so sag ihr nur, du würdest sogleich anspannen lassen, daß ich den andern Zornbraten auch ausschnitte.«

Da nahm der alte Graf seine Frau zu sich in den Wagen und fuhr mit ihr auf sein Schloß zurück. Und richtig, die Gräfin war von jetzt ab die folgsamste Frau; und wenn sie wirklich einmal böse werden wollte, so [40] brauchte er nur mit seinem Schwiegersohn und dem zweiten Zornbraten zu kommen, dann rief sie schnell:

»Ach, Herzensmännchen, laß nur, es war bloß ein Anfall, und der ist schon wieder vorüber.«

So lebten die beiden Grafen mit ihren Frauen in Glück und in Frieden; und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Das war die Geschichte von dem Zornbraten.

[41] Die Lebensalter.

Als Gott, der Herr, die Welt geschaffen hatte, setzte er dem Menschen und dem Esel dreißig, dem Hund und dem Affen aber einem jeden zwanzig Jahre; darin sollten sie sich des Lebens freuen.

Es dauerte gar nicht lange, so kam der Mensch und wollte eine längere Frist haben. Indem er noch bat, trat der Esel vor Gottes Thron und sagte:

»Nimm mir zwanzig Jahre ab von meinem Leben, lieber Herr; die Last wird mir bei der vielen Arbeit und dem geringen Futter zu schwer!«

»Nimm sie ihm und gieb die zwanzig Jahre mir!« rief der Mensch, und unser Herrgott willfahrte den beiden.

Nach dem Esel stellt sich auch der Hund ein und klagte:

»Sieh an, Herr, meinen schlechten Dienst und die magere Kost, welche ich bekomme; und dabei muß ich in Schnee und Regen dem Menschen das Seine bewachen. Nimm mir ab die Hälfte meines Lebens! Wenn ich zehn Jahre lebe, so lebe ich lange genug.«

»Gieb sie mir!« bat der Mensch, und der Herrgott[42] nahm dem Hunde die Hälfte seiner Lebensjahre und legte sie dem Menschen zu.

Zu guter Letzt stellte sich auch der Affe ein und wollte ebenfalls des halben Lebens verlustig sein.

»Ich muß klettern und springen,« sagte er, »und Gesichter schneiden und Faxen machen, daß die Menschen lachen. Zwanzig Jahre sind zu lang, Herr, nimm mir die Hälfte ab!«

»Gieb sie mir!« bat der nimmersatte Mensch zum dritten Male und drängte und quälte so lange, bis der Herrgott auch dem Affen die zehn Jahre nahm und sie dem Leben des Menschen zufügte.

So hatte der Mensch zu seinem richtigen Leben zwanzig Eselsjahre und zehn Hunde- und zehn Affenjahre bekommen, und er hat sie behalten bis auf den heutigen Tag.

Bis zum dreißigsten Jahre lebt jedermann leicht dahin; dann muß er zwanzig Jahre als Esel verbraucht werden und im Schweiße seines Angesichts arbeiten und schaffen, daß er unter dem Kreuze schier zusammenbricht. Vom fünfzigsten Jahre an beginnt das Hundeleben, da der Mensch dasjenige, was er in den Eselsjahren zusammengerafft und erworben hat, mißgünstig wie ein Hund bewacht. Auf die Hundejahre folgen die Affenjahre vom sechzigsten bis zum siebenzigsten. Dann sind die Menschen wie die Affen mit den kleinen Enkelkindern, springen und tanzen ihnen vor und schneiden Gesichter und machen Faxen, daß die Kleinen darüber lachen; und am Ende werden sie ganz kindisch und beschmutzen sich beim Essen und Trinken.

[43] Das hat der Mensch davon gehabt, daß er nicht damit zufrieden war, wie es unser Herrgott ihm gesetzt hatte. Lebt er über dreißig Jahre hinaus, so muß er als Esel, als Hund und als Affe verbraucht werden bis auf diesen Tag.

[44] Die verschiedenen Stände.

Was geht da so lustig: Bim bam? Was brummt dazwischen so dumpf: Bum bum?

»Das sind die Glocken, Alt-Vater, die gehen so lustig: Bim bam! Das sind die Kanonen, die brummen so dumpf dazwischen: Bum bum! Heut wird ja die große Schlacht gefeiert!«

Hast recht, Junge, so ist es, und es muß auch so sein! – Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer. Darnach schuf er eine große Menge Kaiser und Könige, Fürsten, Grafen und Herren und die ganze Geistlichkeit; dann erst sprach er: »Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei!« und schuf Adam und Eva. Und als später die Gebote gegeben wurden, sind dieselben nur an die Adamskinder gerichtet worden.

Darum sind die großen Herren frei von den Geboten und dürfen Kriege führen und in Kämpfen und Schlachten die Menschen in Scharen zusammen treiben und tot schlagen lassen. Zur Erinnerung daran muß in den Kirchen gesungen und von den Türmen geblasen, mit den Glocken geläutet und mit den Kanonen geschossen werden; wenn [45] aber ein gewöhnlicher Mensch jemand tot schlägt, so kommt er an den hell lichten Galgen.

»Meines Lebens, wie sind denn aber die Unterschiede in die niederen Stände gekommen?«

Das ist so zugegangen: Adam und Eva haben ein langes Leben geführt und viele Kinder bekommen, und Kinder machen den Eltern Mühe und Arbeit. Nun begab es sich, daß der liebe Gott nach dem Sündenfalle sich wieder einmal des Adams und der Eva erinnerte; und weil so viele Jahre verstrichen waren, daß er sie nicht gesehen hatte, machte er sich eines Sonntags Morgens bei Zeiten auf, sie zu besuchen.

Eva war gerade dabei, ihre Kinder zu waschen und zu putzen, als sie durch das Fenster den Hergott von ferne ankommen sah. Die Hälfte war erst gewaschen! Geschwind trieb sie darum die andern in die Hölle hinter den Ofen, damit der liebe Gott sie nicht sehen und auf die Mutter schelten möchte, daß sie nicht früher aufgestanden sei und sich an die Arbeit gemacht habe.

Als nun der liebe Gott in die Thüre getreten war und die fein geputzten Kinder erblickte, reichte er ihnen die Hand und gab einem jeden eine gute Ausstattung mit auf den Weg.

»Du sollst ein Kaufmann werden und du ein Küster,« sagte er, »du ein Müller und du ein kunstreicher Schmied und du da ein reicher Bauer!«

Die Worte gefielen der Eva wohl, und sie gedachte der ungewaschenen Kinder hinter dem Ofen, zog sie aus der Hölle hervor und sprach: »Schau, Herr, ich habe noch mehr Kinder!«

[46] Die sahen aber schwarz aus, wie der Teufel, und der liebe Gott mußte ihrer lachen und sprach zu dem ersten: »Du sollst ein Schornsteinfeger werden!«

Den zweiten machte er zum Kuhhirten, den dritten zum Besenbinder, den vierten gar zum Schweinejungen, und den übrigen erging es nicht besser. Sie bekamen allesamt einen niederen Dienst, sie sollten in Hütten in den Dörfern, über das Land hin zerstreut, wohnen und Krautgemüse essen und ihrer sauberen Geschwister Knechte sein.

Sieh, so sind die verschiedenen Stände in die Welt gekommen!

[47] Der eiserne Kasten.

Es war einmal ein armer Bauer, der fuhr eines Morgens, früh, ehe die Sonne aufging, in den Wald, um Holz zu schlagen. Da traf er unter einer Eiche ein steinaltes Mütterchen, das stand vor einem großen, eisernen Kasten und sprach zu ihm:

»Du kannst mich erlösen und dich glücklich machen! Hier, dieser eiserne Kasten ist bis oben an mit harten Thalern gefüllt. Nimm ihn mit dir nach Hause; sag aber keinem Menschen ein Sterbenswörtchen davon, es würde dein Unglück sein.«

Die Worte gefielen dem Bauern von Herzen wohl, und das alte Mütterchen war noch so freundlich, mit anzufassen, daß er die Kiste auf den Wagen bekam. Dann bedankte er sich schön und fuhr wieder nach Hause zurück.

»Mutter«, sagte er, als der Wagen vor der Thüre hielt, »ich soll's zwar niemand sagen, aber du bist meine liebe Frau; für dich gilt das Versprechen nicht.«

»Da hast du auch recht, Vater,« erwiderte die Bäuerin neugierig, »ich bin verschwiegen wie das Grab. [48] Was ist 's denn? Warum kommst du so früh aus dem Walde zurück?«

»Ja das ist 's eben!« antwortete der Bauer. »Ich habe unter einer Eiche einen großen Kasten voll Geld gefunden. Nun hat all unsre Not eine Ende. – Aber halt reinen Mund. Und jetzt besorg uns etwas Gutes zu essen, ich habe seit acht Tagen kein Fleisch mehr gesehen.«

Sie hoben darauf den Kasten vom Wagen und trugen ihn in den Keller; dann nahm die Bäuerin einen Thaler aus der eisernen Kiste, kaufte Fleisch ein und briet am Herde, daß es eine Freude war. Die Nachbarin roch jedoch kaum den lieblichen Geruch, als sie herbei gelaufen kam und schnüffelte und sagte:

»Guten Tag, Gevatterin, was hat sie denn in der Pfanne?«

»Ach, Nawersch«, erwiderte die Frau, »ich darf es zwar keinem sagen, aber sie ist ja verschwiegen. Mein Mann hat im Walde, als er Holzhauen fuhr, unter einer Eiche einen großen, eisernen Kasten voll Geld gefunden.«

»Ei, das ist ja schön«, antwortete die Gevatterin, »und du bist an die Rechte gekommen, ich sag's niemand nach!« Dann lief sie wieder in ihr Haus zurück.

Es dauerte gar nicht lange, so kam ihres Bruders Frau vom Hofe nebenan zu Besuch.

»Schwägerin, weißt du schon, was geschehen ist?« rief sie ihr entgegen. »Du mußt aber auch reinen Mund halten!«

»Als ob ich ein Plappermaul wäre!«

»Na, das weiß ich ja, und darum sag' ich dir's [49] eben. Der Nachbarin von drüben Mann, der kleine Bauer, hat im Walde beim Holzhacken unter einer Eiche eine große Kiste mit Geld gefunden.«

Die Schwägerin hielt auch reinen Mund und trug die Sache zu des Küsters Frau; und ehe die Sonne untergegangen war, kam die Sache vor den Amtmann. Der ließ den Bauer vor sich rufen und sprach:

»Ich weiß alles! Du hast einen Kasten Geld gestohlen, der steht unten in deinem Keller. Heraus mit dem Gelde!«

»Nein, gnädiger Herr«, antwortete der Bauer, »das ist die Wahrheit nicht. Ich bin so arm, wie eine Kirchenmaus, aber ein ehrlicher Kerl, und habe nichts gestohlen.«

»Das wird sich finden, alter Freund«, versetzte der Amtmann, »deine Frau hat es selbst gesagt.«

»Ach, gnädiger Herr, meine Frau ist verrückt.«

»Geh' er nur! Ueber vierzehn Tagen ist Gerichtssitzung, da wollen wir sehen, ob seine Frau verrückt ist.«

Dem Bauer war gar nicht wohl, als er vom Edelgut ging, und er dachte an die Worte, welche das steinalte Mütterchen unter der Eiche zu ihm gesprochen hatte. Aber er verlor den Mut nicht, machte, daß er nach Hause kam, und nahm aus der Kiste eine gute Handvoll Thaler heraus; dann spannte er an, stieg auf den Wagen und fuhr in die Stadt. Dort kaufte er von den Bäckern alle Kringeln auf, die sie vorrätig hatten, so daß er wohl einen halben Wispel davon auf den Wagen zu laden hatte. Damit fuhr er nach Hause zurück und streute die Kringeln auf dem Hofe aus, derweile seine Frau in der Küche stand und etwas Gutes in der Pfanne hatte. Ein [50] paar Metzen warf er auf das Dach, und auch vor das Thor legte er einige Stücke. Dann lief er in die Küche und rief:

»Frau, du bist doch wie die andern alle! Kaum haben wir ein bißchen Geld in der Tasche, so wirtschaftest du ins Blaue hinein und läßt unsern Herrgott draußen Kringeln regnen und bückst dich nicht einmal darnach, sie aufzuheben!«

»Mann, bist du nicht klug?« gab ihm die Bäuerin zurück. »Kringeln hat's geregnet?«

»Gewiß doch, sieh selbst nach,« erwiderte der Mann.

Da schaute die Bauersfrau zum Fenster hinaus, und als sie die vielen tausend Kringeln auf dem Hof erblickte, war sie aller Freuden voll, lief hinaus und sammelte ein paar Stunden lang und füllte drei große Fleischtonnen voll.

Den andern Tag sagte der Bauer:

»Höre, Frau, als ich neulich in der Stadt war, hab' ich erfahren, unser König habe sich neue Soldaten verschrieben mit langen, spitzen, eisernen Schnäbeln. Damit picken sie vornehmlich auf die Frauensleute und stechen sie tot. Heute sollen sie durch unser Dorf kommen. Ich werde das große Waschfaß über dich stülpen, dann finden sie dich nicht. Mich sollen sie auch nicht bekommen, ich verstecke mich auf dem Boden.«

Da setzte sich die Bäuerin in großer Angst nieder, und der Bauer stülpte das Waschfaß über sie. Dann ging er in den Hühnerstall, fing alle Hühner und trug sie auf den Flur, streute Gerste aus, um das Waschfaß herum und oben darauf, und: Pick, pick, pick! fraßen[51] die Hühner die Gerste auf, bis kein Körnchen mehr zu finden war. Darnach liefen sie auf den Hof zurück, der Bauer aber deckte das Faß wieder auf und sprach zu seiner Frau:

»Mutter, jetzt sind sie aus dem Dorfe heraus!«

»Ach, Vater, was habe ich Angst ausgestanden!« sprach die Bäuerin. »Hu, wie sie pochten: Pick, pick, pick! mit ihren langen, eisernen Schnäbeln! Aber ich habe nicht gemuckst, und sie haben mich nicht gefunden.«

»Gott sei Dank, auch mich haben sie nicht entdeckt!« sagte der Bauer, und damit war die Sache abgemacht.

Als nun die vierzehn Tage vergangen waren, wurde der Bauer mit seiner Frau vor Gericht geladen. Der Bauer leugnete alles rund ab. Als die Herren aber seiner Frau hart zusetzten, verschwur sie sich hoch und teuer, es sei so gewesen, wie sie ihrer Nachbarin erzählt habe.

»Glaubt dem Weibe nicht, ihr Herren,« rief der Bauer, »sie hat's im Kopfe! – Wann ist's denn gewesen, Mutter, daß ich die Kiste nach Hause brachte?«

»Besinn dich doch, Vater,« antwortete die Frau, »den Tag vorher, als unser Herrgott Kringeln regnen ließ!«

Die Gerichtsherren schüttelten mit den Köpfen, und der Bauer sagte:

»Hab ich nicht recht? Sie ist verrückt!«

»Ich soll verrückt sein?« fuhr die Bäuerin eifrig fort. »Besinn dich doch, Vater, es war zwei Tage vorher, als unsers Königs neue Soldaten mit den langen, spitzen, [52] eisernen Schnäbeln durch das Dorf zogen und in unsern Hof kamen und: Pick, pick, pick! an das Waschfaß schlugen, das du über mich gestürzt hattest!«

»Bauer, er hat recht,« sagten die Herren, »seine Frau ist nicht bei Sinnen. Geh' er mit ihr nach Hause, und trage er gut Sorge, daß sie kein Unheil anrichtet.«

Da war der Bauer aus allen Nöten und zog mit seinem Weibe in das Dorf zurück. Dort gab er ihr den Kreuzdornstock zu schmecken, und das bekam ihr so gut, daß sie niemals wieder etwas ausgeplaudert hat. Sie kauften nach und nach von dem Gelde im eisernen Kasten ein Stück Land nach dem andern zu dem Hofe hinzu und wurden endlich steinreiche Leute; und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

[53] Jochem Ochs.

Es waren einmal ein Paar Bauersleute, die hatten keine Kinder, und so sehr sie auch den lieben Gott darum baten, er schenkte ihnen keins. Da kalbten eines Tages zwei schöne Kühe des Bauern zu gleicher Zeit, und als er die Kälberchen so ansah, kam ihm der Gedanke:

»Wie wär's, wenn du die Tierchen an Kindes Statt annehmen würdest!«

Er rief Muttern herbei, und da diese sich mit der Sache einverstanden erklärte, so wurde Kindelbier gefeiert, und die beiden Kälber wurden Jochem und Krischan genannt. Sie wuchsen und gediehen, daß es eine Freude war, die Sache mit anzusehen. Doch Jochem schien der Bäuerin besser geraten zu wollen, als Krischan; deshalb hing ihr Herz an ihm. Und als die Tiere drei Jahre alt geworden waren und der Bauer sie vor den Pflug spannen wollte, sprach sie darum:

»Wie kann ein Vater seinen Kindern so thun? Und wenn es noch Krischan wäre! Aber Jochem ist zu gut zum Ziehen.«

[54] Doch der Bauer dachte: »Wenn's auch deine Söhne sind, lernen müssen sie etwas,« wischte aus dem Auge eine Thräne und fuhr mit den Ochsen zu Acker.

Als er die erste Furche gezogen hatte und den Pflug umdrehen wollte, sah er am Grenzrain unter dem Baume fünf junge Herren sitzen, die thaten sich gütlich bei Brot, Braten und Wein.

»Heda, Bauer,« rief einer von ihnen, »will er auch ein Glas Wein mittrinken?«

»Recht gern, liebe Herren,« antwortete der Bauer, ging hin und trank einen guten Schluck; dann fuhr er fort: »Was habt Ihr denn für ein Handwerk gelernt?«

»Wir sind Studenten,« sagten die Herren.

»Ach, das ist gewiß ein schönes Leben!« meinte der Bauer.

»Ja, das ist es,« sprachen die Studenten, »es ist sogar das schönste Leben!«

»Ich bin wohl schon zu alt dazu?« fragte der Bauer weiter; und als die Studenten gesagt hatten, mit ihm ginge es nicht mehr, fuhr er fort und sprach: »Was meint Ihr aber, werte Herren, sollten meine beiden angenommenen Söhne das Studieren wohl noch lernen? Von Jochem hält Mutter immer so große Stücke und meint, es sei Sünd' und Schande, daß er in dem Pflug gehen und den Acker bestellen müsse. Krischan ist nicht so gut geraten.«

Als die Studenten merkten, daß es dem Bauer Ernst sei mit seiner Rede, sprachen sie zu ihm:

»Ei, warum sollte Jochem nicht ein Student werden können, wir sind es ja auch!«

[55] »Nun, dann nehmt ihn gleich mit!« antwortete der Bauer froh.

»Nein, lieber Bauer, so geht das nicht,« entgegneten die Studenten, »erst müssen wir sehen, ob auf der hohen Schule auch noch Platz für ihn ist. Und dann kostet das Studieren Geld. Vierhundert Thaler und einen Wispel Kartoffeln und einen Wispel Gerste muß er schon daran wagen.«

»Das will ich gerne thun,« versetzte der Bauer.

Da sprachen die Studenten, sie würden ihm schreiben, wenn Jochem ankommen könne, sagten ihm lebewohl, drückten ihm auch noch zum Abschied die Hand, und dann machten sie, daß sie in die Stadt zurück kamen. Dort setzten sie einen großen Brief auf, darin schrieben sie dem Bauern, Jochem sei angenommen und könne ein Student werden, er möge ihn nur bald bringen. Da spannte der Bauer den großen Wagen an und lud einen Wispel Gerste und einen Wispel Kartoffeln darauf, dann steckte er vierhundert Thaler in die Tasche und fuhr in die Stadt; Jochem und Krischan trotteten hinterher.

»Guten Tag, Ihr Herren,« sagte er zu den Studenten, »hier ist mein Jochem! Den Krischan habe ich auch mitgebracht, damit sich das arme Kind nicht zu sehr nach Muttern bangt.«

»Hat er auch das Geld nicht vergessen?« sprachen die Studenten.

»Wie werd' ich das Lehrgeld zu Hause lassen!« antwortete der Bauer und zählte die vierhundert Thaler auf den Tisch.

Darauf wurden der Wispel Gerste und der Wispel[56] Kartoffeln abgeladen; und nachdem der Bauer sich noch schön bei den Studenten bedankt hatte, daß sie Jochem auf die hohe Schule verholfen, und als er erfahren hatte, übers Jahr könne er einmal nachfragen, was aus seinem Jungen geworden sei, stieg er wieder in den Wagen und fuhr auf das Dorf zurück. Die Studenten aber verkauften Jochem und Krischan an den Schlächter und die Gerste an den Bierbrauer, die Kartoffeln behielten sie für sich; von den vierhundert Thalern jedoch und dem Gelde, das sie für die Ochsen und die Gerste bekommen hatten, lebten sie ein ganzes Jahr hindurch lustig in Saus und Braus.

Als das Jahr zu Ende gegangen war, sprach der Bauer wieder in der Stadt vor, um seine Kinder zu besuchen.

»Er ist ein gutes Vierteljahr zu spät gekommen,« sagten die Studenten, »Krischan hat die Stadtluft nicht vertragen können und ist gestorben.«

»Ach, was frag' ich nach Krischan,« antwortete der Bauer, »was mein Jochem macht, will ich wissen!«

»Der hat schon ausstudiert,« erwiderten die Studenten, »und ist in der nächsten Stadt Bürgermeister geworden.« Das sagten sie aber, weil dort wirklich ein Bürgermeister war, der Jochem Ochs hieß.

»Und das schreibt mir der Schlingel nicht einmal!« rief der Bauer voll Zorn. »Hab' ich das schwere Geld an ihn gewagt, und nun ist er so! Na, warte nur, Junge, dir werd' ich's besorgen!«

Dann lief er spornstreichs nach Hause, nahm einen neuen Strang mit sich und die gute dreifachgeflochtene [57] und mit schwarzem Leder überzogene Peitsche und ging damit in die Stadt, wo Jochem Ochs Bürgermeister war.

»Wohnt der Schlingel, der Bürgermeister Jochem Ochs, hier?« fragte er den Nachtwächter, als er zum Rathaus gekommen war.

»Ist er des Teufels!« antwortete der Nachtwächter. »Wenn das unser Bürgermeister hört, so läßt er ihn in Ketten legen und bringt ihn an den Galgen.«

»Das fehlte noch gerade!« schalt der Bauer, stieß den Nachtwächter beiseite und ging die Treppe hinauf in des Bürgermeisters Zimmer. Da saß er und hatte ein Paar große Vatermörder umgebunden und fuhr den Bauer strenge an, daß er so ohne weiteres in sein Zimmer gedrungen sei. Doch der Bauer verstand keinen Spaß.

»Du nichtsnutziger Lümmel!« rief er zornig, »kannst du deinem alten Vater, der dich studieren ließ, nicht einmal einen guten Morgen bieten?«

Dann warf er dem Bürgermeister den neuen Strang über den Nacken, zog ihn vom Stuhle herab und schlug mit der dreifach geflochtenen Peitsche auf ihn ein, daß ihm Hören und Sehen verging.

»Jetzt kommst du mit nach Hause; und da mag Mutter sagen, was sie will, du wirst wieder vor den Pflug gespannt! Vierhundert Thaler für ihn bezahlt, und dann schreibt er noch nicht einmal und wird Bürgermeister und bietet seinem alten Vater keinen guten Morgen!« Und indem er das sprach, schlug er unaufhörlich auf ihn ein.

Der Bürgermeister schrie, als wenn er am Spieße stäche, aber es kam niemand, ihm zu helfen; und da der [58] Bauer immer von vierhundert Thalern redete, die er für ihn ausgegeben, rief er in seiner Angst:

»Ich will Euch ja gerne die vierhundert Thaler wieder geben.«

»Das ist etwas anderes,« antwortete der Bauer, »dann magst du meinetwegen im Amte bleiben; aber mein Sohn bist du nicht mehr.«

Der Bürgermeister war froh, daß ihm der Bauer den Strang abnahm und die Peitsche in Ruhe ließ, lief zum Geldschrank und zahlte die vierhundert Thaler auf den Tisch. Der Bauer strich das Geld ein, gab ihm noch zu guter Letzt einen Hieb mit der Peitsche, daß er daran denken konnte, und ging, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Rathaus heraus und kehrte auf seinen Hof zurück.

»Mutter,« sagte er, als er dort war, »wenn ein Ochse erst ein großer Herr wird, dann kennt er seinen eigenen Vater nicht mehr. Unser Jochem ist Bürgermeister geworden, trägt zwei Vatermörder und bot mir nicht einmal einen guten Morgen. Aber ich habe ihm die Peitsche zu schmecken gegeben; da rückte er wenigstens die vierhundert Thaler heraus.«

»Das ist doch noch ein Trost, Vater,« antwortete die Bäuerin, »aber soviel weiß ich, wir lassen nie wieder einen Ochsen studieren und Bürgermeister werden.«

[59] Wuurans dei Schult in Tätrow prädigt hät.

As eis dei Preisters so knapp wier'n, doon keem'n dei Tätrow'schen maeglich in dei Klemm. Denn ehr ull Paster wier dood blääb'n, und sei künn'n naarens ein annern her kriegen. Tauletzt fööl ehr in, sei wull'n den Schulten taun Preister maaken. Un dei deer dat uk.

As hei nu syn eerst Prädigt hulln haar, keem em tau Uhrn, datt dei Buurn nich recht darmit taufräden wiern.

»Is myn Prädigt denn nich geliert naug?« fröch hei syn'n Nawer.

»Ne,« sächt dei, »so as ik hüürt häf, fäälen dar latiensche Wüür mang.«

»Jä!« sächt dei Schult, »denn möt ik my man eis nan Köster maaken, ob dei kein weit; ik häf kein up Lager.«

Dei Köster wüßt twast uk kein, säär aewer tau em:

»Kumm man mit nan Hult, dar waar'n wy woll weck finn'n!«

[60] Sei wier'n noch nich wiet gaan, doon säär dei Schult: »Wat is denn dat von'n hoogen Boom?«

»Jetzüü!« sächt dei Köster, »dar häbb'n wy ja all ein: Hoogboomus!«

Dat duurt nich lang, doon platzt dei Schult wedder ruut: »Dar is ja 'n Kraigennest up dei Eik!«

»Kraigennestus!« säär dei Köster.

Ein Enn wierer, dar leej ein afreeten Schauhschlarm.

»Kiek,« sächt dei Schult, »ein afreeten Schauhschlarm!«

»Schauhrietrantus!« fööl em dei Köster int Wuurt.

Am letzten Enn keem'n sei an ein lütt Huus. Voer dei Doer späälten dei Goern un steeken darby den Hund in'n Sack.

»Wat maaken dei dar?« reep dei Schult.

»Allwedder ein,« sächt dei Köster, »Kruupindeisacktus! Un nu häst naug Wüür!« und doon ging'n sei na Huus.

Den Schulten danzden syn Wüür den ganzen Dag in'n Kopp rüm, un hei künn gar nich uuthull'n, bät dei Sünndag keem. As hei nu endlich dar wier un dei Lüür na dei Kirch ging'n, stünn dei Köster all an dei Kirchendoer.

»Hüüd riet man Nääs un Muul up,« säär hei tau jeerein'n, »hüüd wat't juch woll gefall'n!«

Dei Schult deer ja nu uk, wat hei künn. Un as hei ball tau Enn'n wier mit dei Prädigt, doon smeet hei sich in dei Bost un schreej mit luure Stimm:

[61] »Hoogboomus, Kraigennestus, Schauhrietrantus, Kruupindeisacktus. Amen!«

As hei nu von dei Kanzel runner wier, kloppden em dei Buurn up dei Schullern un fäärd'n: »Süh, Vaddermann, son'n Prädigt laaten wy uns gefall'n!«

[62] Das Kästchen.

Es war einmal ein Bauer, der hatte auf seinem Acker einen Berg.

Als es nun im Frühjahr an das Bestellen ging, pflügte er mit seinen Ochsen erst alles andere Land; dann machte er sich an den Berg und zog eine Furche über der andern, rund um den Berg herum. Schon war er halb oben, da stieß er auf etwas Hartes. Er sah nach, und was holte er aus dem Erdreich hervor? Das war ein kleines, eisernes Kästchen.

»Wo ein Kästchen liegt, wird auch der Schlüssel nicht ferne sein!« dachte er bei sich; und richtig, als er die folgende Furche zog, brachte der Pflug einen kleinen, verrosteten Schlüssel hervor.

Wird er nun aber auch passen?

Der Bauer versuchte es, und der kleine, verrostete Schlüssel paßte in das kleine, verrostete Schlößchen hinein. Knack! sagte es, und der Deckel sprang auf.

Da lag ein kleines, kleines Heringsschwänzchen in dem eisernen Kästchen.

Wäre das Schwänzchen länger gewesen, so wäre auch meine Geschichte länger gewesen.

[63] Wuur Kuhlmann dat Spreeken liert.

Da was einmal in Lübeck ein Paster, dei lees inner Zeitung, datt dat ne Stadt geef, wuur dei Hunn dat Spreeken lieren. Nu häär dei Paster ein'n klaugen Hund, dei heit Kuhlmann. Hei läät fuurst synen Deiner Jehann kaamen un säär tau em:

»Du, Jehann, ik lees hyr eben inner Zeitung, datt dat ne Stadt gift, wuur dei Hunn dat Spreeken lieren. Wat meinst du woll, sull uns Kuhlmann dat ook woll lieren?«

»I ja, Herr Paster, worüm nich? Ik glööw't ümmer!«

»Na, Jehann, wußt du em denn woll henbringen?«

»Ja woll, Herr Paster!«

»Dei Stadt, Jehann, heit Wyhnachten un liggt dicht by Mehlgrütt.«

»Na ja, Herr Paster, denn weit ik Bescheid.«

Jehann kriggt ne Tasch vull Gild un reist mit Kuhlmann los un kümmt ook richtig in Wyhnachten an und läät sich by den Direkter, wuur dei Hunn dat Spreeken [64] lieren sulln, anmellen, grüßt von synen Herrn un stellt Kuhlmann'n voer un beschrift alle gauden Eegenschaften von em. Un hei watt ook annaamen.

Darup reist Jehann tau Huus un bringt syn'n Herrn Bescheid, lüggt aewer düchdig wat tau un sächt, dat hei Kuhlmann'n naa drei Wochen afhaalen kann.

Dei Paster freujt sich sehr daroewer un kann gar nich dei Tyd afwarten, beet Kuhlmann werrer kümmt. As dei Tyd nu afloopen is, mööt Jehann hen; hei kriggt Kuhlmann'n aewer nonnich mit un kümmt so werrer.

Syn Herr kümmt em all entgegen un rappt all von fyern:

»Wuur, Jehann, du häst ja den Hund nonnich?«

»Ja, Herr Paster, so flink geit dat nich. Ik sull veelmal grüßen von Herrn Direkter, un vyrteigen Daag müßt Kuhlmann noch dar blieben. Hei meint ja, dat Kuhlmann dat lieren würr.«

Den Paster würr dei Tyd lang, un naa vyrteigen Daag müßt Jehann werrer hen. Hei keem aewerst ook dit Mal so trööch.

Da sächt dei Paster: »Jehann, du häst'n ja nonnich!«

»Ja, hüürn s' bloß, Herr Paster! Ik kaam ja hen un fraach an naa Kuhlmann. Dunn sächt dei Direkter tau my:

›Kuhlmann is all bynah tau geliert; hei gift all Unnerricht by dei anner Hunn. Sei künn'n sich mal ansehn.‹«

»Ik ging also mit un keek dörch dei Glasdöhr un[65] seej nu dei Geschicht dar. Kuhlmann geef Fijolinstunn. Dei Direkter saer:

›Ik will em mal rin raupen!‹«

»Kuhlmann kääm jo rin un glyk up my los un säär:

Goon Dag uk, Jehann! Wuur geit't denn? Wat maakt uns Herr Paster? Iß hei noch ümmer so unanstännig?«

»Hüüren s' mal, Herr Paster, wyder läät ik em gar nich kaamen. Ik geew em eis hinner dei Uhren, dat hei hentummeln däär un em all dei Geliersamkeit uut'n Kopp flöög.« –

»Dat häst du good maakt, Jehann, hei häär uns süs noch all beir verraaden.«

[66] Wie der Bauer ein Doktor ward.

Es war einmal ein Bauer, der ritt auf seinem Braunen zur Mühle; und damit er es dem guten Tier nicht zu schwer mache, nahm er selbst den Roggensack auf den Buckel. Kam ein Handwerksbursch des Wegs daher und sagte: »He, Bauer, der Sack ist ohnehin schwer genug. Er könnte hübsch nebenher laufen, dann hätte der Gaul es leichter.«

»Du sprichst, wie du es verstehst«, antwortete der Bauer, »das Korn trägt nicht mein Brauner, das trage ich.«

Da merkte der Handwerksbursch, wie viel die Glocke geschlagen habe; und nachdem er sich erkundigt hatte, wo des Bauern Hof läge, machte er, daß er in das Dorf kam. Als er auf den Hof trat, stand die Bäuerin gerade vor der Thür und fütterte die Hühner.

»Mutter«, sagte der Handwerksbursch, »dein Mann läßt dich schön grüßen, und ihm wäre es über, noch länger den Bauer zu spielen und mit Knechten und Mägden sich herumzuärgern. Er will in die weite Welt hinaus und sein Glück versuchen. Damit du aber nicht [67] ledig bleibst und der Hof einen Herrn hat, soll ich dein Mann werden.«

Die Frau sah den Handwerksburschen, daß er jung von Jahren und schön von Gestalt war; dann dachte sie an den alten, griesgrämigen Bauer, und sie besann sich nicht lange, reichte dem Burschen die Hand und führte ihn in die Stube.

»Mutter«, sagte der schlaue Fuchs, als sie drinnen waren, »ich will dich nehmen, da ich's dem Bauer nun einmal versprochen habe; aber so, wie er jetzt ist, heirate ich nicht in den Hof hinein. Die beiden großen Lindenbäume zur Rechten und zur Linken des Thores müssen umgehauen werden, und das noch heute.«

»Das habe ich längst gerne gewollt«, antwortete die Bäuerin; denn sie fürchtete, dem jungen Handwerksburschen möchte am Ende die Sache wieder leid werden, wenn sie nein sagte. Da schickte der Handwerksbursch die Knechte hinaus, daß sie die Bäume umschlügen; und es dauerte gar nicht lange, so war die Arbeit gethan.

Inzwischen hatte der Müller das Korn gemahlen, und der Bauer nahm den Sack wieder auf den Nacken, setzte sich auf seinen Braunen und ritt nach Hause. Es war schon dunkel geworden, als er das Dorf erreichte; aber so viel sah er doch, daß der Gaul in einen falschen Hof einbog, denn vor seinem Thore standen zwei große Lindenbäume. Er warf also das Pferd herum und sprach zu ihm: »Heda, Brauner, aufgepaßt! Du kennst wohl deinen eigenen Stall nicht mehr?«

Der Braune sah noch einmal sehnsüchtig nach dem Stall hinüber, dann mußte er dem Zügel folgen und[68] seinen Herrn die Dorfstraße herunter tragen. Der schaute rechts und schaute links, Bauerhöfe genug, aber einer mit zwei Lindenbäumen vor dem Thore war nirgends zu erblicken. Er wandte um und ritt die Dorfstraße noch einmal entlang und endlich gar ein drittes Mal; als er aber auch da seinen Hof nicht entdecken konnte, sprach er bei sich: »Es ist ein Dorf, wie unsers, und doch ist's nicht unsers. Ich bin in die Irre gegangen, ich weiß nicht wie.« Und dann machte er, daß er das Dorf hinter sich bekam.

Er ritt und ritt die ganze Nacht durch; und als der Morgen anbrach, langte er in einem Dorfe an, das er noch gar nicht kannte. Dort kehrte er in dem Kruge ein, brachte den Braunen in den Stall und ließ sich von dem Wirt Speise und Trank vorsetzen. Und nachdem er satt gegessen und getrunken hatte, hing er seinen Gedanken nach, wie es gekommen sei, daß er seinen Hof nicht habe wieder finden können.

Indem er so vor sich hin sah und grübelte, trat ein Mann in den Krug und sprach zu dem Krüger: »Gevatter, weißt du mir nicht Rat und Hilfe? Mein junger Fuchswallach liegt im Stalle und hat alle viere von sich gestreckt.«

»Was versteh' ich von Pferden!« antwortete der Krüger. »Ich habe das Doktern nicht gelernt; aber der alte Mann da am Tische, der sieht so aus, als wenn er etwas könnte.«

»Vater«, sprach darauf der Mann und wandte sich zu ihm, »kommt mit mir in den Stall und helft meinem Pferde!«

[69] Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen und folgte ihm nach. Als sie in dem Stalle waren, ergriff er den Wallach beim Ohre und raunte hinein: »Wenn du nicht Lust hast, zu leben, so sind Hunde genug, dich zu fressen; hast du aber Lust, zu leben, so wächst auch wohl Gras für dich, daß du satt wirst.«

Das Fohlen war aber nur faulkrank; und als es vernahm, daß es geschlachtet und sein Fleisch den Hunden gegeben werden solle, sprang es geschwind auf und war gesund und munter, wie zuvor. Sein Herr jedoch sperrte Mund und Nase auf und rief: »Was ist das für ein Mann, daß er die Pferde allein durch Reden heilen kann!« Und weil ihm das Fohlen so lieb und wert war, gab er dem Bauer zwanzig harte, blanke Thaler zur Belohnung. Damit ging dieser in den Krug zurück und ließ dort etwas drauf gehen.

Es dauerte gar nicht lange, so wurde dem Edelmann von dem Doktor erzählt, der allein durch Reden einen halbtoten Fuchswallach wieder gesund gemacht habe. Nun waren ihm ein paar Tage vorher zwei schöne Kutschpferde gestohlen, und niemand wußte, wer der Dieb war. Als der Herr von dem Wundermanne vernahm, schickte er darum sogleich zu ihm herab und ließ ihn zu sich holen.

»Würdet Ihr mir wohl meine Pferde wieder schaffen können?« fragte er höflich, als der Bauer vor ihm stand.

»Warum nicht?« antwortete der Bauer.

Da war der Edelmann sehr froh und ließ ihn auf das beste bewirten mit Speise und Trank. Der Bauer war aber das gute Leben nicht gewöhnt. So kam's, daß [70] er in der Nacht oft heraus mußte. Und als er vor Tagesanbruch noch einmal den Gang machte, standen die beiden Pferde vor der Thüre; denn sie waren den Dieben entlaufen und hatten den Weg nach Hause allein gefunden. Als der Bauer sie sah, schlug er einen gewaltigen Lärm, daß der Edelmann aus dem Bette sprang, das Fenster aufriß und in der Schlafmütze heraus sah.

»Was ist Euch denn?« rief er verwundert.

»Hier sind die Pferde!« erwiderte der Bauer. »Ich bin oft vergeblich draußen gewesen, aber kommen mußten sie, das stand fest. Sie sind spät gekommen, denn der Weg war weit.«

Der Edelmann fiel vor Erstaunen fast auf den Rücken und hielt den Bauer hoch in Ehren, als einen Wunderdoktor, und gab ihm hundert Thaler aus der Kiste, weil er seine Sache so gut gemacht hatte.

Das Gerücht von dem Bauern erscholl nun im ganzen Lande, und auch der König hörte davon. Der konnte aber gerade einen Wunderdoktor gebrauchen, denn seine Frau lag schwer krank darnieder. Sie sollte ihm einen Leibeserben schenken, der nach seinem Tode im Lande die Krone trüge; aber ihre Stunde wollte und wollte nicht kommen, und die Ärzte verzweifelten an ihrem Leben. Er sandte darum einen Boten aus, der mußte den Bauer zu ihm bringen.

Als derselbe vor ihm stand, fragte er ihn: »Wer bist du?«

»Ich bin der Doktor, der Allwissende«, antwortete der Bauer, »ich kann alle Krankheiten heilen, und nichts ist mir verborgen.«

[71] Das freute den König, daß er so zuversichtlich sprach, und er sagte zu ihm: »Herr Doktor, wenn Ihr alle Krankheiten heilen könnt, so könnt Ihr auch meine Frau wieder gesund machen; und wenn Ihr es nicht thun wollt, so habt Ihr zum letzten Male gedoktert, und ich lasse Euch das Haupt abschlagen.«

Als der Bauer diese Worte vernahm, war ihm nicht wohl zu Mute; aber was half's, er hatte sich die Suppe eingebrockt und mußte sie jetzt ausessen. Der König führte ihn an das Bett der Königin und ließ ihn allein, daß er die Kur beginne. Da saß er nun in seiner Angst und brummte immer vor sich hin:

»Kommst du nicht, dann komm' ich! Kommst du nicht, dann komm' ich!«

Der kranken Königin kam die Sache lächerlich vor, und sie lachte und lachte und schenkte unter Lachen einem kleinen Prinzen das Leben. Da war einmal große Freude im ganzen Land, und der Wunderdoktor wurde geehrt, als wenn er ein reicher Fürst wäre, und wohnte im Schlosse und aß an des Königs Tafel.

Einmal ging er in dem Garten vor dem Schloß auf und ab; und da es ein heißer, schwüler Tag war und ein Gewitter am Himmel stand, so summten die kleinen Mücken und Stechfliegen in Masse herum und setzten sich ihm auf Nase und Stirn, und er hatte zu thun, daß er sie mit der Hand abwehrte. Das sah der König, der nicht weit davon in der Laube saß; und da er glaubte, der Doktor Allwissend wolle ihm einen guten Rat geben und winke ihn zu sich heran, so stand er auf und ging aus der Laube heraus.

[72] Indem fuhr ein Blitz vom Himmel herab gerade auf den Stuhl nieder, auf dem der König soeben gesessen hatte, und zerschmetterte ihn in tausend Stücke.

»Habt Ihr mir darum gewinkt, Ihr guter Herr!« rief der König, erfreut und erschrocken zugleich.

»Warum denn sonst?« antwortete der Bauer. »Ich konnte Euch doch unmöglich vom Wetter erschlagen lassen!«

Da wurde der Ruhm des Wunderdoktors erst recht groß, und der König hielt ihn wie seinen Vater und räumte ihm das halbe Schloß ein, daß er darin wohnen könne. Da hat er noch viele Jahre in Glück und in Frieden gelebt; und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

[73] Die fromme Edelfrau.

Es war einmal eine Edelfrau, bei der hatten es die Köchinnen herzlich schlecht. Die Fleischstücke zählte sie ihnen jeden Morgen in den Topf; und wenn beim Mittagessen dann nicht so viel auf der Schüssel war, als sie am Morgen in den Kessel gegeben hatte, so schalt sie die Mädchen Spitzbuben und Diebe und bedachte nicht, daß rohes Fleisch zusammen läuft, wenn es gekocht wird.

Keine Köchin mochte darum lange aushalten im Dienste, und endlich mietete die Edelfrau des Küsters Tochter. Als dieselbe nach acht Tagen ihren Vater besuchte und der sie fragte, wie ihr der Dienst gefiele, antwortete sie:

»Ich mochte dir nur nicht den Schimpf anthun, sonst wäre ich den dritten Tag aus dem Schlosse gelaufen. Jeden Tag heiß' ich ein Spitzbube und Betrüger, weil das Fleisch gekocht nicht so groß bleiben will, wie es roh gewesen war.«

»Laß nur, meine Tochter,« erwiderte der Küster, »dem wollen wir schon abhelfen!« Und als am nächsten Sonntag das Vorläuten verklungen war, kroch er hinter den Altar und versteckte sich daselbst.

Nun war aber die Edelfrau eine gar fromme Dame,[74] die jeden Sonntag vor dem Gottesdienste allein in der Kirche ihr Gebet verrichtete. Es dauerte darum auch gar nicht lange, so ging sie zur Kirchthüre herein und trat vor den Altar, kniete nieder und betete:

»Herr Gott, wann komme ich zu dir?«
Antwortete der Küster, als wäre er der liebe Gott:
»Nun und nimmermehr!«
Betete die Edelfrau weiter:
»Warum denn nicht, du Herre Gott?«
Sprach die Stimme hinter dem Altar:
»Du zählst der Magd das Fleisch in'n Pott.«
Seufzte die Edelfrau:
»Ach, Herr, es soll nicht mehr geschehn!«
Sagte der liebe Gott:
»Na, na, wir werden sehn.«

Damit war das Gebet der Edelfrau zu Ende, und sie hielt Wort. Am andern Morgen gab sie der Küsterstochter den Schlüssel zur Speisekammer und hieß sie so viel Fleisch herausnehmen, als sie nur wolle; und das Mädchen blieb auf dem Schlosse im Dienst, bis es alt und grau wurde.

Ob aber die Edelfrau dadurch zu Gnaden gekommen ist? – Ich will's doch hoffen!

[75] Kathrinchen, die kluge Besenbinderstochter.

Es war einmal ein Graf, der war über alle Maßen klug oder er dachte doch wenigstens, daß er es sei; und weil er sich für so klug hielt, wollte er nur ein Frauenzimmer heiraten, das ihm in der Klugheit den Gegenpart thäte. Ein solches Mädchen konnte er aber nirgends finden; darum ließ er es ausrufen in allen Landen, und auch das wollte nichts helfen.

Nun lebte in dem Dorfe des Grafen ein wunderschönes Mädchen, das hieß Kathrinchen und war des Besenbinders Tochter. Das dachte bei sich: »Sollst du dein ganzes Leben lang Reiser binden? Nein, dazu sind deine Finger zu schade! Weit besser ist's, du wirst die junge Frau Gräfin und herrschst über alles Land, so weit dein Auge blicken kann.«

Und als der Vater heim kam vom Markte, sprach es zu ihm: »Vater, geh auf das Schloß und sag dem Grafen, ich thät's ihm an Klugheit gleich und wolle seine Frau werden.«

[76] Der Besenbinder suchte seiner Tochter das auszureden; aber sie blieb dabei, und er machte sich betrübt auf den Weg, den Schloßberg herauf.

»Euer Gnaden,« sprach er, »meine Tochter sagt, sie halte Euch in Klugheit den Widerpart und wolle Eure Frau werden.«

»Warum nicht!« antwortete der Graf. »Wenn sie wirklich so klug ist, will ich sie zur Gräfin machen.«

Dann lief er in die Küche und kochte eine Mandel Eier, ließ sie kalt werden und packte sie in einen Korb mit Häcksel; darauf ging er in die Stube zurück, gab den Korb dem Alten und sprach: »Bring das deinem Kathrinchen! Es soll die Eier ausbrüten, aber ganz allein, und die Kücken soll es mir auf das Schloß tragen.«

»Ach, du mein lieber Gott,« seufzte der Besenbinder, »das kann Kathrinchen nicht, es ist zu schwer und drückt die Eier entzwei!«

Weil 's ihm aber der Graf so befohlen hatte, nahm er den Korb unter den Arm und kehrte damit in die Hütte zurück.

Als Kathrinchen die Eier ausgepackt hatte, legte es dieselben in Wasser, und da merkte es sogleich, daß sie gekocht waren. Eins fix drei lief es in den Garten und schnitt grüne Hirse ab, las die unreifen Körner heraus, eine Metze voll, und kochte sie im Kessel auf, bis sie platzen wollten. Dann nahm es geschwind den Topf vom Feuer und trocknete die gekochten Körner in der Ofenröhre, daß sie ausschauten wie Saathirse, that alles in einen Beutel, gab ihn dem Besenbinder und sprach:

[77] »Geh, Vater, und bring die Hirse dem Grafen und sag ihm, er möge sie aussäen und mir zuschicken, was er geerntet, damit die Kücken zu fressen haben, wenn sie ausgeschlüpft sind. – Und wenn er spricht: Die Körner sind ja gekocht! so antwort ihm dreist, deine Tochter ließe sagen, mit den Eiern wäre es nicht anders.«

»Ach Gott, Kathrin, was soll das werden!« sagte der Alte und trug den Beutel auf das Schloß und gab ihn dem Grafen, daß er die Hirse aussäe und die Ernte hinabschicke, damit die Kücken zu fressen hätten, wenn sie ausgebrütet wären.

Der Graf besah die Hirse genau, dann rief er zornig: »Die Körner sind ja gekocht!«

Antwortete der Besenbinder: »Meine Tochter läßt Euer Gnaden sagen, mit den Eiern sei es nicht anders.«

Da erkannte der Graf, daß Kathrinchen wirklich ein kluges Mädchen sei; aber er wollte es noch auf eine zweite Probe ankommen lassen.

»Mein lieber Alter,« sprach er zu dem Besenbinder, »hier hat er eine Lage Garn. Die bringe er seiner Tochter, daß sie mir davon ein Stück Leinewand webe.«

Der Besenbinder nahm die Lage Garn und trug sie zu seiner Tochter in die Hütte und sagte: »Ach, Kathrin, wie kannst du Gräfin werden? Nun sollst du dem Grafen aus einer Lage Garn ein Stück Leinewand weben!«

»Das wird sich schon machen lassen, aber es gehört Nachdenken dazu,« sagte Kathrinchen und schloß sich in sein Kämmerlein.

Den andern Tag gab es dem Vater drei Besenreiser und hieß ihn dieselben dem Grafen bringen, daß [78] er einen Webstuhl daraus baue, um darauf das Stück Leinewand herzustellen. »Und wenn er fragt: Wie soll ich das anstellen?« antwort ihm: »Meine Tochter meint: Ebenso, wie sie aus der Lage Garn ein Stück Leinewand webt.«

Der Alte schüttelte den Kopf und richtete die Botschaft aus und übergab dem Grafen die Reiser, daß er einen Webstuhl daraus baue.

»Ich merke schon,« sprach der Graf, als er Kathrinchens Bestellung gehört hatte, »deine Tochter hat einen feinen Verstand. Jetzt lauf zurück und sag ihr, sie solle zu mir kommen: nicht bei Tage und nicht bei Nacht, geritten und doch nicht zu Pferde, nicht im Wege und nicht außer dem Wege, nicht nackend und nicht angezogen. Und als Hochzeitsgabe muß sie mir bringen drei Geschenke, die nicht bleiben.«

»Das kann Kathrinchen nicht, das ist zu schwer!« dachte der Besenbinder bei sich; und als er zu Hause war und seine Tochter ihn fragte, wie es ihm bei dem Grafen ergangen sei mit den Reisern, antwortete er: »Kathrinchen, jetzt ist es um dich geschehen! Du sollst selbst auf das Schloß kommen: nicht bei Tage und nicht bei Nacht, geritten und doch nicht zu Pferde, nicht im Wege und nicht außer dem Wege, nicht nackend und nicht angezogen; und als Hochzeitsgabe sollst du ihm drei Geschenke bringen, die nicht bleiben. Wie willst du das anstellen? Das ist doch unmöglich!«

Aber Kathrinchen hörte nicht auf das Jammern des Vaters, sondern lief an den See zum Fischer und bat ihn um ein altes Netz. Der Fischer war ein freundlicher [79] Mann und hatte Kathrinchen gerne, weil es so schön und klug war; darum schenkte er ihm ein altes Netz.

Darauf lief Kathrinchen zum Jäger und sagte: »Jäger, fang mir einen lebendigen Hasen!«

»Morgen früh sollst du ihn haben, Kathrinchen,« sagte der Jäger, »ich stelle über Nacht die Fallen.«

Von dem Jäger lief Kathrinchen zum Schulzen, denn das war sein Gevatter, und sprach: »Gevatter Schulz, schenkt mir zwei Tauben!«

»Ei, ei Kathrinchen, willst du Wochensuppe vor der Taufe?« fragte der Schulze.

»Nein,« antwortete Kathrinchen, »ich brauche sie zu einem anderen Zwecke!«

Da schenkte der Schulze Kathrinchen zwei Tauben, und es that die Tiere in seinen Deckelkorb und lief zur Lumpenfahrerin und sprach: »Mütterchen, leiht mir morgen auf den Nachmittag Euren Esel!«

»Du kannst ihn gleich mitnehmen und morgen für den ganzen Tag behalten,« sagte die Lumpenfahrerin, »denn ich habe große Wäsche.«

Das freute Kathrinchen, und es band den Esel von der Krippe und nahm ihn mit sich in des Vaters Haus. Dort gab es ihm Disteln und Heu zu fressen, und den Täubchen schüttete es Erbsen in den Korb. Darauf legte es sich schlafen und wachte nicht eher auf, bis der Jäger am andern Morgen den lebenden Hasen in einem Korbe brachte. Dann stand es auf und besorgte das Hauswesen und that, als ob es des Grafen Reden nichts angingen.

Am Nachmittag aber zog es seine Kleider aus [80] und band das Fischnetz um; dann holte es den Esel aus dem Stalle und hing an die eine Seite des Tieres den Korb mit den Tauben, an die andere Seite den Korb mit dem Hasen. Darauf setzte es sich selbst auf den Rücken des Esels und ritt, als die Sonne soeben untergegangen war, im Zwielicht den Schloßberg hinauf; und zwar hielt es den Esel, daß er immer im Wagengeleise bleiben mußte.

Der Graf lag im Fenster, als er Kathrinchen ankommen sah, nicht bei Tage und nicht bei Nacht, sondern im Zwielicht; geritten und doch nicht zu Pferde, sondern auf einem Esel; nicht in dem Wege und nicht außer dem Wege, sondern im Wagengeleis; nicht nackend und nicht angezogen, denn es war in ein Fischnetz gewickelt. Es kränkte ihn nun doch, daß die Besenbinderstochter so leichten Kaufes Frau Gräfin werden sollte, und er befahl seinen Dienern, daß sie die Hofhunde von der Kette ließen. Das waren zwei allmächtig große Köter, die stürzten auf Kathrinchen los, um es samt dem Esel zu zerreißen.

Da rief Kathrinchen: »Herr Graf, hier meine erste Hochzeitsgabe! Seht, sie bleibt nicht!«

Damit that es den Deckelkorb auf, in dem der Hase saß, und – hast du nicht gesehen – sprang er auf und davon. Sobald die Hunde den Hasen erblickten, ließen sie ab von Kathrinchen und dem Esel und jagten dem Hasen nach und kamen vor dunkler Nacht nicht wieder und hatten ihn doch nicht erwischt.

Kathrinchen aber stieg von dem Esel und ging mit dem andern Korbe in des Grafen Stube, that den Deckel [81] auf und rief: »Hier, Herr Graf, mein zweites Geschenk und mein drittes!« und: Husch, husch, husch! flogen die beiden Tauben in die Höhe und zum Fenster hinaus.

Da lachte der Graf und sagte: »Kathrinchen, du hältst mir in der Klugheit den Widerpart. Jetzt komm, daß wir Hochzeit feiern!«

Darauf wurde ein großes Mahl gehalten und Hochzeit gefeiert; aber ehe sie zu Tische gingen, mußte Kathrinchen dem Grafen einen teuren Eid schwören, daß es ihm niemals darein reden wolle, wenn die Leute auf das Schloß kämen und einen Streit zu schlichten hätten; sonst dürfe er es augenblicklich dem Besenbinder zurückschicken. Und das schwur Kathrinchen dem Grafen auch zu.

Nachdem sie lange Zeit in Glück und in Frieden gelebt hatten, kamen eines Tages zwei Bauern vor den Grafen, die hatten einen wunderlichen Handel. Sie waren zusammen zu Markte gefahren; und wie die Bauern zu thun pflegen, an jedem Krug an der Straße machten sie halt und stärkten darin ihre müde Seele.

Als sie nun wieder einmal aus einem Kruge heraustraten, rief der eine Bauer voll Freuden: »Gevatter, sieh, meine Stute hat ein Fohlen geworfen! Da liegt's unter deinem Wagen!«

»Was du redest!« sagte der andere. »Mein Wagen hat es geboren!«

Und so stritten sie hin und her, und weil sie kein Ende fanden des Streites, sollte der Graf entscheiden.

»Warum ist das Füllen deins?« fragte der Graf den Bauer, welchem die Stute gehörte.

[82] »Euer Gnaden,« antwortete der Bauer, »weil meine Stute tragend war und ein Wagen nicht fohlen kann.«

»Es ist gut!« sprach der Graf. »Und nun sage du, warum das Fohlen dir gehört!«

Gab der andere Bauer zur Antwort: »Euer Gnaden, erstens liegt jedes Kind nach der Geburt hart bei der Mutter, und zweitens war mein Wagen, als ich in den Krug ging, fest gefügt und mit eisernen Bändern und Klammern versehen, und als ich wieder herauskam, war er ganz locker.«

»Nun, so spreche ich dir auch das Fohlen zu,« sagte der Graf in seiner Weisheit; und der erste Bauer mußte betrübten Sinnes von dannen ziehen.

Drei Viertel Jahre fraß er seinen Gram in sich. Da aber der Nachbar das Fohlen ihm zum Hohne alle Sonntage nach der Kirchzeit an seinem Hause vorüber führte, so konnte er es auf die Dauer nicht länger ertragen; und weil er bei dem Grafen kein Recht gefunden hatte, beschloß er, es bei der Gräfin zu versuchen, und ging zu ihr auf das Schloß.

»Lieber Mann, ich darf ihm nichts raten,« sagte Kathrinchen, »der Graf hat es mir verboten.«

Als aber der Bauer so inständig bat, versprach die Gräfin endlich, ihm einen guten Rat zu erteilen, wenn er ihr verspräche, ja niemand ein Wort davon zu sagen, daß der Rat von ihr käme. Nachdem ihr der Bauer das hoch und heilig versprochen hatte, sprach sie zu ihm: »Nimm ein Netz und, was sonst zum Fischen gehört, und geh dort drüben auf den Sandberg und fisch daselbst.« Wenn dann der Graf dich fragt, was du thust, so antwort [83] ihm: »So gut, als ein Wagen fohlen kann, kann ich auch auf einem Sandberg Fische fangen.«

Der Bauer that, wie ihm Kathrinchen geraten hatte, und es dauerte gar nicht lange, so erblickte ihn der Graf und rief ihm vom Fenster aus zu: »Was machst du da?«

»Ho, huch, up up!« rief der Bauer, als ob er eine schwere Last aus dem Sande hübe; dann kehrte er sich um und antwortete: »Euer Gnaden, ich fange Fische!«

»Bist du von Sinnen?« schalt der Graf. »Wer kann auf einem Sandberg Fische fangen!«

Sprach der Bauer, wie ihn die Gräfin gelehrt hatte: »So gut, als ein Wagen fohlen kann, kann ich auch auf einem Sandberg Fische fangen!«

»Das hat dir meine Frau geraten!« rief der Graf voll Zorn und bedrohte den Bauer mit dem Tode, wenn er nicht die Wahrheit gestehen würde. Da bangte dem armen Schelm um sein Leben, und er erzählte haarklein, wie alles gekommen sei.

Darauf mußte der Bauer in das Schloß kommen, und er stellte ihn vor die Gräfin und sprach: »Du hast dem Manne sein Gut gerettet, und ich gebe Befehl, daß ihm der Nachbar sofort das Fohlen wieder erstatte; aber du hast auch deinen Eid gebrochen, und nun will ich, daß du noch heute abend aus dem Schlosse gehst.«

»Lieber Mann,« sagte die Gräfin, »ich habe Unrecht gethan; aber zwei Bitten könntest du mir dennoch frei geben.«

»Laß sie hören!« sprach der Graf.

[84] »Zum ersten möchte ich mit dir einen Abschiedstrunk trinken,« sagte die Gräfin, »und dann laß mich das Liebste mitnehmen, was ich auf dem Schlosse habe.«

Die beiden Bitten mochte der Graf dem schönen Kathrinchen nicht versagen, und er trank den Abschiedstrunk mit ihm. Die Gräfin hatte aber einen Schlaftrunk in den Becher gethan. So kam's, daß der Graf in einen tiefen Schlaf verfiel und nicht merkte, was um ihn und mit ihm geschah. Das hatte Kathrinchen aber gerade gewollt, und es steckte ihn in einen großen Sack und ließ ihn dann auf einem Leiterwagen, mit vier Ochsen bespannt, in des Besenbinders Häuschen fahren. Dort luden die Diener den Sack im Stalle ab und kehrten wieder auf das Schloß zurück; Kathrinchen aber hielt Wacht bei seinem Manne.

Um Mitternacht erwachte der Graf aus dem Schlafe und schlug mit den Armen um sich; und als er merkte, daß er gefangen war, begann er zu wimmern und zu klagen und rief einmal über das andere: »Wo bin ich?«

»Wo sollst du sein?« antwortete Kathrinchen. »Bei mir bist du, Herzensmann! Du warst mir das Liebste im ganzen Schlosse, und darum habe ich dich im Sacke hierher genommen in meines Vaters Stall.«

»Ach, bind doch den Sack wieder auf!« bat der Graf.

»Willst du mich auch in dein Schloß nehmen und nie mehr von dir lassen?« fragte das schöne Kathrinchen; und als ihm der Graf das versprochen hatte, band es die [85] Schnur auf, und der Graf sprang heraus, und sie gingen sogleich wieder in das Schloß zurück. Dort lebten sie beide noch lange Jahre in Glück und in Frieden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.

[86] Der Wollensack.

Es war einmal ein König, der hielt einen wilden Mann in seinem Schlosse gefangen und ließ ihn sorgsam verwahren; denn die wilden Männer sind sehr selten und dabei von so großer Weisheit, daß sie alles wissen, was in der Welt geschieht. Wenn der König nun in Not war oder nicht wußte, was er in einer Sache thun sollte, so lief er zu seinem Gefangenen und holte sich von ihm den besten Rat, den er auf der ganzen Erde hätte bekommen können.

Eines Tages, als der König auf die Jagd geritten war, spielte sein sechsjähriges Söhnlein auf dem Schloßhofe mit dem Balle; ein Wurf ging fehl, und der Ball sprang durch das Gitterfenster in die Stube des wilden Mannes.

»Lieber wilder Mann,« sagte der kleine Prinz, »gieb mir meinen Ball wieder!«

»Nein,« antwortete der wilde Mann, »das thu' ich nicht; ich habe den Ball nicht hineingeworfen, ich werde ihn auch nicht herauswerfen.«

Der Junge bat und quälte jedoch immer fort, bis endlich der wilde Mann zu ihm sprach:

[87] »Du sollst den Ball wieder bekommen, wenn du die Kerkerthür aufschließest, daß ich entfliehen kann.«

»Das thäte ich wohl, aber es geht nicht,« erwiderte der kleine Prinz, »meine Mutter trägt den Schlüssel zu deinem Gefängnis in ihrer Tasche und läßt ihn nicht von sich.«

»Geh zu ihr,« sprach der wilde Mann, »und sag ihr, dich jucke es am Kopfe; dann wird sie deine Haare auseinander teilen und sehen, was dir fehlt. Du aber hast Zeit genug, ihr den Schlüssel aus der Tasche zu stehlen.«

Der Knabe that, wie ihm der wilde Mann geheißen hatte, und es geschah auch alles so. Die Königin fand nichts auf dem Kopfe und sprach:

»Du bist ein närrisches Kind, es juckt dich und dich kratzt doch nichts. Geh wieder auf den Hof und spiel weiter!«

Da sprang der Prinz von ihr und hatte den Schlüssel in der Hand; damit schloß er das Gefängnis auf, und der wilde Mann gab ihm seinen Ball zurück und wollte sich schon auf den Weg machen in den grünen Wald, als der Knabe ihn beim Arme ergriff und sagte:

»Noch nicht, lieber wilder Mann! Erst mußt du mir raten, wie ich den Schlüssel wieder in meiner Mutter Tasche bekomme.«

»Du schließest die Thür zu,« antwortete der wilde Mann, »und dann läufst du mit dem Schlüssel zur Königin zurück und sagst: Mutter, mich juckt's noch immer! Dann wird sie dir noch einmal den Kopf krauen, und du läßt dabei den Schlüssel wieder in die Tasche gleiten.«

[88] Das that der kleine Prinz auch, und seine Mutter gab ihm einen Klapps, daß er immer käme, obgleich ihm nichts fehle; aber von dem Schlüssel merkte sie nichts.

Am Abend kam der König zu Hause und eilte sogleich zu dem wilden Mann, um sich von ihm Rats zu erholen. Da war die Thüre verschlossen; aber das Gefängnis war leer.

»Wer hat den wilden Mann herausgelassen!« rief er zornig und lief zu der Königin und schalt sie, daß sie den Schlüssel aus der Tasche gegeben.

»Von mir hat niemand den Schlüssel bekommen,« sagte die Königin.

Mit einem Male fiel ihr das Gebahren des kleinen Prinzen ein, sie erzählte dem König die Geschichte und rief:

»Sollte er wohl den Schlüssel aus meiner Tasche genommen haben?«

Da mußte der Junge vor den König kommen und sollte gestehen. Anfangs wollte er von nichts etwas wissen, dann weinte er sehr, und endlich sagte er:

»Ja, ich habe Muttern den Schlüssel gestohlen.«

»Der Galgenstrick,« sprach der König zu der Königin, »der fängt mit dem Stehlen früh an; und wenn es auch unser einziges Kind ist, er soll morgen vom Henker gerichtet werden.«

Der kleine Prinz hatte aber an der Thüre gehorcht, was sein Vater zu der Mutter sagte; und da er sich nicht hängen lassen wollte, so lief er aus dem Schlosse heraus in den Wald und suchte Himbeeren und Erdbeeren [89] und aß davon, und des Nachts schlief er auf dem weichen Moos; und das trieb er vier Wochen lang.

Eines Morgens traf er zwischen den Bäumen den wilden Mann.

»Wo kommst du her, Junge?« fragte derselbe.

»Ja, wo kommst du her!« antwortete der kleine Prinz; »Das hab' ich davon, daß ich dich aus dem Gefängnisse ließ! Mein Vater wollte mich hinrichten lassen; und wenn ich nicht in den Wald gelaufen wäre, so läge ich heute schon auf dem Schindanger.«

»So werde ich dein Vater sein,« sagte der wilde Mann freundlich, ergriff ihn bei der Hand und führte ihn in eine Höhle, in der noch zwei andere wilde Männer mit ihm hausten. Dort hatte es der Knabe recht gut, er bekam reichlich zu essen und zu trinken und des Nachts ein warmes Lager von weichem Moos; den Tag über konnte er im Walde herumspringen und den Schmetterlingen und Vögeln nachstellen, so viel er nur wollte.

Als er zehn Jahre dort gewesen und ein starker, kräftiger Bursche geworden war, sagte der wilde Mann zu ihm:

»Junge, nicht weit von hier, am andern Ende des Waldes, wohnt ein mächtiger König, der hat demjenigen seine Tochter zur Frau versprochen, der ihm hundert Hasen vier Tage zu hüten vermag. Das wäre ein Dienst für dich! Und damit dir die Hasen nicht entspringen, so hast du hier eine Pfeife. Sobald du darauf spielst, so kommen die hundert Hasen zu dir, und wenn sie tausend Meilen weit gelaufen wären. Und hier hast du noch eine [90] andere Pfeife, wenn du aus der bläst, so bin ich bei dir und helfe dir aus der Not.«

Der Junge steckte die beiden Pfeifen zu sich, sagte dem wilden Mann lebewohl und wanderte durch den Wald zu des Königs Schloß.

»Ich will die hundert Hasen hüten,« sprach er zum Könige, als er vor ihm stand.

»Weißt du denn auch, daß ich dir den Kopf abschlagen lasse, wenn dir auch nur einer verloren geht?« fragte der König.

»Das habe ich nicht gewußt,« antwortete der Junge, »es thut aber nichts zur Sache! Laßt nur die hundert Hasen aus dem Stalle, daß ich sie austreiben kann.«

Da ging der König mit ihm auf den Schloßhof, zog den Pflock aus der Krampe und öffnete die Thüre, und – hast du nicht gesehen – liefen die Hasen heraus und waren schon im Walde, ehe der Junge das Schloßthor durchschritten hatte.

»Die können aber laufen!« rief er fröhlich. »Das macht, weil sie sich nach der Weide sehnen!« Dann zog er ihnen gemütlich nach, in den Wald hinein.

Als der Abend kam, war rings um ihn, so weit er blicken konnte, kein einziger Hase zu sehen; da setzte er die Pfeife des wilden Mannes an die Lippen und blies, und sofort liefen von allen Seiten die Hasen herbei, als wenn die Hunde hinter ihnen wären, und er trieb sie alle hundert nach Hause, als wär's eine Herde Lämmer.

»Was ist denn das!« rief der König, als er am Abend aus dem Fenster sah und den Jungen mit den Hasen erblickte. »Der kann mehr wie Brot essen! Aber er [91] soll die Arbeit doch nicht vollbringen; denn wie könnte der hergelaufene Mensch meiner einzigen Tochter Mann und mein Schwiegersohn werden!«

Als der Junge am andern Morgen mit seinen Hasen im Walde war, schickte der König die Prinzessin zu ihm, daß sie ihm einen Hasen abkaufe. Die Jungfrau kleidete sich aus als ein Bauermädchen, damit er sie nicht erkennen möge, kam zu ihm in den Wald und sagte zu ihm:

»Du hast ja wohl hundert Hasen zu hüten, kannst du mir nicht einen verkaufen?«

Der Junge war aber klüger, als er aussah, und er erkannte wohl, daß es die Prinzessin sei, die der König geschickt habe; darum sagte er:

»Von den Hasen kann ich keinen missen, die gehören nicht mir, sondern dem Könige. Und wenn ich sie nicht alle hundert nach Hause bringe, so läßt er mir das Haupt abschlagen!«

»Ach, ich hätte doch aber gar zu gerne einen Hasen,« bat die Prinzessin, »ich muß einen haben, und wenn ich ihn nicht bekomme, so geht es mir an das Leben. Verkauf mir doch einen von den hundert!«

Antwortete der Junge: »Verkaufen thu' ich überhaupt nicht; aber wenn du dir einen Hasen verdienen willst, so sollst du einen bekommen. Gieb mir einen Kuß!«

Dachte die Prinzessin: »Es ist zwar ein hergelaufener Mensch, aber er kennt dich nicht. Besser du giebst ihm jetzt einen Kuß, als wenn du ihn dein Leben lang als Mann haben mußt.«

Sie ging darum zu dem Jungen und gab ihm einen Kuß, und der Junge pfiff seine Hasen herbei, und sie konnte [92] sich einen davon aussuchen, welchen sie haben wollte. Den that sie in den Korb und ging mit ihm frohen Mutes nach Hause zurück. Der Junge aber stieg auf einen Berg; und als die Prinzessin am Waldesrand angelangt war, blies er auf seiner Pfeife, und im Nu war der Hase aus dem Korbe gesprungen und wieder zu dem Jungen zurückgelaufen.

Das war der Prinzessin gar nicht recht; und als sie zu Hause war und ihre Mutter, die Königin, sie fragte, wie alles gegangen sei, sagte sie:

»Zum zweiten Male geh' ich nicht in den Wald! Hab' ich erst mit dem Menschen eine gute Stunde handeln müssen, und als ich endlich den Hasen bekommen habe und mit ihm bis an den Waldessaum gelangt bin, springt er mir aus dem Korbe heraus und ist verschwunden.«

»Wer steckt aber auch einen Hasen in den Korb!« schalt die Mutter. »Morgen werde ich mich auf den Weg machen. Gieb acht, mir wird es nicht fehlen.«

Am andern Tage kleidete sich die Königin als Bäuerin aus, die mit Obst und Eiern zu Markte geht, und trat so in dem Wald vor den Jungen hin.

»Guten Tag, mein Sohn!« sprach die Königin.

»Guten Tag, Mütterchen!« antwortete der Junge und that, als ob er sie nicht erkenne.

»Mein Sohn,« hub die Königin zu sprechen an, »ich brauche ganz notwendig einen Hasen, willst du mir keinen verkaufen?«

»Das kann ich nicht, es kostet mich mein Leben!« erhielt sie zur Antwort. »Außerdem verkaufe ich[93] Hasen überhaupt nicht. Wenn du einen haben willst, mußt du ihn dir verdienen.«

»Das ist mir ganz recht,« versetzte die Königin, »das bare Geld ist heuer knapp bei den Bauern. Und wenn ich mir den Hasen verdienen kann, so will ich es gerne thun.«

»Es ist gar nicht schwer,« antwortete der Junge, »stell dich auf den Kopf und wackle mit den Beinen, und der Hase ist dein!«

Dachte die Königin: »Das ist aber unverschämt! Doch er kennt dich nicht, und da ficht's dich nicht an!« Sie sprach darum laut: »Ja, ich will es thun!« und sie stellte sich auf den Kopf und wackelte mit den Beinen; und dafür durfte sie sich den Hasen aussuchen, der ihr am besten gefiel.

Sie steckte ihn in den Busen und nestelte das Kleid über ihm zu und ging dann wieder in die Stadt zurück. Der Junge schaute ihr vom Berge aus nach; und als sie vor dem Stadtthore war, blies er auf seiner Pfeife, und sogleich riß der Hase die Bänder entzwei und sprang auf den Boden und lief, so schnell er konnte, zu den andern Hasen zurück. Die Königin hatte noch schnell zugreifen wollen, aber er war schon weg; und einen langen Schwanz haben die Hasen nicht, daß man sie daran zurückhalten könnte.

»Nun, Mutter, wo hast du den Hasen?« riefen der König und die Prinzessin aus einem Munde.

»Ach, bleibt mir mit eurem Hasen!« sagte die Königin. »Bis zum Thore hab' ich ihn gebracht. Da muß[94] das dumme Tier die Bänder zerreißen und wieder in den Wald laufen!«

»Ich sehe schon, mit euch Frauensleuten hat es doch keine Art,« sprach der König, »da muß ich mich selbst auf den Weg machen.«

»Na, na, wir werden sehen, wie es abläuft,« erwiderten die Königin und ihre Tochter; der König kehrte sich aber nicht an ihre Reden, zog sich am andern Tag lederne Hosen, hohe Stiefel und einen langen Rock an, setzte sich einen Bauernhut auf den Kopf und ritt auf einem Esel in den Wald.

»Jetzt kommt der König,« lachte der Junge, »der soll am ärgsten genasführt werden!«

Indem hielt der König vor ihm, stieg von dem Esel und sprach: »Guten Morgen, mein Sohn!«

»Guten Morgen, Vater!« antwortete der Junge.

»Mein Sohn,« sprach der König und seufzte so recht von Herzen auf, »ich muß einen Hasen haben; und wenn ich keinen kriege, so geht es mir ans Leben. Du weidest ja hundert Stück, willst du mir nicht einen davon ablassen?«

»Mir schlägt man auch das Haupt ab, wenn ich nicht alle hundert zurückbringe,« sprach der Junge, »und von Verkaufen ist erst recht nicht die Rede. Wenn ich dir einen Hasen geben würde, so müßtest du ihn verdienen.«

Sprach der König: »Was soll ich denn thun?«

Antwortete der Junge: »Küß deinen Esel neunmal kreuzweis unter den Schwanzriemen!«

Der König bekam darüber einen solchen Schreck,[95] daß er sich bald verraten hätte; er besann sich aber wieder und dachte bei sich: »Was hilft's! Sonst giebt er den Hasen nicht! Und am Ende ist die Sache auch nicht gefährlich. Er kennt dich nicht, und der Esel ist ein Tier, dem man immerhin einmal einen Kuß geben kann.«

Gedacht, gethan, der König küßte seinen Esel neunmal kreuzweis unter den Schwanzriemen und erhielt dafür einen Hasen, den er vorne unter den Rock knöpfte. Dann stieg er auf seinen Esel und ritt wieder in die Stadt zurück. Der Junge schaute ihm vom Berge aus nach und wartete so lange, bis er die Treppe zum Schloß hinaufsteigen wollte; da setzte er die Pfeife an den Mund und blies aus Leibeskräften, und der Hase sprengte alle Knöpfe von des Königs Rock und riß sich los und machte, daß er zu dem Jungen in den Wald zurückkam.

»Siehst du wohl, haben wir nicht recht gesagt?« riefen die Königin und die Prinzessin und freuten sich über das Unglück des alten Königs, weil er so schlecht von ihnen geredet hatte.

Als der Abend kam, trieb der Junge die hundert Hasen wieder in die Stadt, trat vor den König und sprach:

»Ich habe die Arbeit verrichtet, nun gebt mir Eure Tochter zur Frau!«

»Sachte, sachte, mein Söhnchen,« antwortete der König, »so schnell geht das nicht! Zuvor mußt du mir noch ein Rätsel raten:

Die Prinzessin kannst du erst dann bekommen, wenn du mir einen Wollen-Sack voll erzählst. Ueber drei Tage [96] kannst du mit dem Erzählen beginnen. Und wird der Sack nicht voll, wird auch aus der Heirat nichts.«

Darauf ließ er sogleich den Hofschneider kommen, der mußte einen langen Wollen-Sack nähen; und der Hoftischler mußte auf dem Markt ein Gerüst errichten, darin wurde der Wollen-Sack aufgehängt; und der Hofmaurer baute daneben eine Kanzel, darauf sollte der Junge stehen, wenn er den Wollen-Sack voll reden wolle.

Der war inzwischen in den Wald gelaufen und hatte mit der andern Pfeife den wilden Mann herbei gepfiffen.

»Lieber wilder Mann, jetzt hilf mir,« sagte er zu ihm, »der König ist toll geworden, über drei Tage soll ich ihm einen Wollensack voll erzählen!«

»Das ist leicht gethan,« sagte der wilde Mann und lachte, »erzähl nur, wie's dir beim Hasenhüten ergangen ist, so wirst du den Sack bald voll bekommen.«

Als die Stunde da war, daß der Junge mit dem Erzählen beginnen sollte, mußte er auf die Kanzel steigen, und der König, die Königin und die Prinzessin saßen vor ihm, und viel Volks drängte sich auf dem Markte; denn alle wollten gerne sehen, wie ein Mensch einen Wollensack voll erzählen würde.

Der Junge aber that seinen Mund auf und erzählte von diesem und von jenem, wie es in der Welt zuginge und wie alles gemacht würde. Endlich sagte er:

»Jetzt will ich euch erzählen, wie es mir mit dem Hasenhüten gegangen ist:

Nachdem ich den ersten Tag alles richtig besorgt hatte, wie es sich für einen Hütejungen gehört, kam am [97] zweiten Tage ein Bauermädchen zu mir, das war aber unsere Prinzessin, die hier unten sitzt, und bat mich, ich sollte ihr einen Hasen verkaufen. Verkaufen giebt's nicht, hier heißt's verdienen, sagte ich, und du sollst einen Hasen bekommen, wenn du mir einen Kuß giebst. Da spitzte sie ihr rotes Mäulchen und gab mir einen Kuß, und dann hatte sie ihren Hasen weg. Aber lange hat sie ihn nicht behalten; er mochte wohl nicht bei ihr bleiben, sprang aus dem Korbe und lief wieder zu mir.«

Die Prinzessin wurde rot, wie ein Zinshahn, und hielt sich beide Hände vor die Augen; aber die Königin knuffte sie in die Seiten und sagte zu ihr:

»Das kommt davon, daß du dich nicht ordentlich ausgekleidet hast! Mich hat er nicht erkannt.«

Während die Königin noch auf die Prinzessin zankte, fuhr der Junge fort:

»Am dritten Tage bekam ich wieder Besuch. Es war eine alte Bäuerin, die mit Eiern und Äpfeln zu Markte zog. Sie that wenigstens so; es war aber unsere Frau Königin, die hier vor mir sitzt und die sich nur ausgekleidet hatte.«

»Hat mich der nichtsnutzige Schlingel doch erkannt!« sprach die Königin beiseite.

»Sie wollte auch einen Hasen kaufen,« fuhr der Junge fort, »gäbe ich ihr keinen, so gelte es ihr Leben, sagte sie. Verkaufen ist nicht, nur verdienen, gab ich ihr zur Antwort. Stellst du dich auf den Kopf und wackelst mit den Beinen, so sollst du einen Hasen haben. Da stellte sich unsere Frau Königin auf den Kopf und wackelte mit den Beinen und bekam ihren Hasen. Aber lange [98] hat sie ihn auch nicht gehabt; vor dem Stadtthor bekam er Sehnsucht nach mir, sprang aus ihrem Busen heraus und lief wieder zu mir zurück.«

Alles Volk lachte, die Königin aber schrie:

»Pfui, ist das ein unanständiger Bengel!«

»Ruhe!« gebot der König; denn ihn freute es, daß der Junge die Königin und die Prinzessin so übel mitgenommen, weil er glaubte, sie hätten die Sache nicht listig genug angefangen. »Junge, erzähl weiter!«

Dann zischelte er seiner Frau zu: »Warte nur ab, mich hat er nicht erkannt!«

Der Junge aber erzählte:

»Den vierten Tag ging es gar toll, da besuchte mich unser allergnädigster Herr König, der kam auf einem Esel geritten, hatte lederne Hosen, hohe Stiefel und einen langen Rock an und trug einen großen Bauernhut auf dem Kopfe. Er wollte sich auch einen Hasen verdienen. Küß deinen Esel neunmal unter den Schw–a–!«

»Ha–a–alt! Der Sack ist voll!« rief der König; »Komm herab, lieber Junge, hier hast du meine Tochter!«

Da stieg der Junge von der Kanzel herab und bekam königliche Kleider anzuziehen, und dann wurde Hochzeit gefeiert. Und als die Prinzessin vernahm, daß er kein hergelaufener Bettler, sondern königlicher Abkunft sei, gewann sie ihn auch von Herzen lieb. Und sie lebten glücklich und zufrieden ihr Leben lang; und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

[99] Hinrik, mein Sohn.

Es war einmal eine Bäuerin, der starb der Mann; da hatte sie nur eine einzige Stütze, das war Hinrik, ihr Sohn. Er mußte pflügen und eggen, füttern und düngen und, was der Arbeiten auf dem Lande noch mehr sind; aber er war und blieb trotz alledem entsetzlich dumm.

Die große Wiese, welche zu dem Hofe gehörte, lag weit ab, und Hinrik mußte durch die Stadt fahren, wenn er das Heu in die Scheune schaffen wollte.

»Hinrik, mein Sohn,« sprach die Mutter, als er wieder ins Heu fuhr, »bring mir doch aus der Stadt von dem Kaufmann Nadeln mit, ich brauche sie nötig.«

»Gern, liebe Mutter,« antwortete Hinrik und fuhr auf die Wiese; und nachdem er das Fuder Heu aufgeladen hatte und wieder in der Stadt angelangt war, hielt er bei dem Kaufmann und ließ sich für einen Groschen Nadeln geben. Der Kaufmann wickelte die Nadeln fein säuberlich in Papier, damit Hinrik sie nicht verliere. Dem war aber die Sache nicht sicher genug; und als er draußen vor dem Laden war, wickelte er das Päckchen auf und steckte eine Nadel nach der andern in das Heu.

[100] »Da sitzen sie weich und verlieren sich nicht,« sprach er bei sich und fuhr auf den Hof zurück.

»Hinrik, mein Sohn, hast du die Nadeln auch nicht vergessen?« fragte die Mutter.

»Was mir gesagt wird, behalte ich auch,« antwortete Hinrik, »und damit sie schön weich sitzen und sich nicht verlieren, habe ich sie allesamt ins Heu gesteckt.«

»Ach, Hinrik, mein Sohn,« rief die Bäuerin, »wenn du etwas mitbringst aus der Stadt, mußt du es in den Busen stecken! Nun frißt das Vieh das Heu und die Stecknadeln mit und erstickt uns wohl gar.«

»Ich werd's mir merken,« sprach Hinrik; und er merkte sich's auch.

Ein paar Tage darauf sagte die Mutter:

»Hinrik, mein Sohn, das Pflugeisen ist stumpf geworden, du mußt in die Stadt und es schärfen lassen.«

Da machte sich Hinrik mit dem Pflugeisen auf den Weg zum Schmied und gab es ihm, daß er es scharf mache. Der that es auch; und als er mit der Arbeit fertig war, legte er es beiseite, damit es sich abkühle; denn es war im Feuer gewesen.

»Zum Warten hab' ich nicht Zeit,« sprach Hinrik, bezahlte dem Schmied, was er schuldig war, steckte das heiße Eisen in den Busen und kehrte nach Hause zurück. Das brannte ihm auf der Brust, wie das höllische Feuer.

»Schadet nichts,« sprach er bei sich, »Mutter hat's so gesagt,« und er hielt aus, bis er auf dem Hofe war.

»Hinrik, mein Sohn, was hast du gemacht?« rief die Bäuerin ängstlich; denn es roch ihr so seugerig, als er das Eisen aus dem Busen zog.

[101] »Ich habe gethan, wie du mir gesagt hast,« antwortete Hinrik, »es ist dir schon recht, daß meine Brust jetzt ganz mit Blasen bedeckt ist.«

»Hinrik, mein Sohn,« sprach die Alte, »das hättest du nicht thun müssen, du hättest dir aus Weiden eine Weede (Strick) drehen müssen. Daran mußtest du das Eisen hängen und auf einem Stock über dem Buckel nach Hause tragen.«

»Ich werd's mir merken,« sprach Hinrik und strich sich Brandsalbe auf die Brust, daß sie wieder heil würde.

Nachdem er gesund geworden war, sprach die Mutter:

»Hinrik, mein Sohn, des Großbauern bunte Kuh hat ein Kuhkalb geworfen, und er hat mir versprochen, es nicht dem Schlächter zu geben, sondern an mich zu verkaufen, damit ich von der Art Kühen auch eine hätte. Hier hast du zwanzig Groschen (dazumal waren die Kälber nicht teurer); geh hin und bring mir das Kalb!«

Als Hinrik den Hof hinter sich hatte, schnitt er am Teich ein paar Weidenruten ab, flocht daraus eine Weede und machte sodann, daß er zum Großbauer kam. Der händigte ihm für die zwanzig Groschen das Kalb aus und kümmerte sich nicht weiter darum; Hinrik aber legte ihm die Weede um den Hals, nahm es auf seinen breiten Buckel und schleppte es auf den Hof.

»Hinrik, mein Sohn,« rief die Mutter, »was hast du gemacht? Du hast ja das Kalb erwürgt, was soll nun damit werden!«

»Mutter«, sagte Hinrik und war fuchsteufelswild, »was willst du immer von mir? Ich habe gethan, wie du mir das letzte Mal geheißen hast!«

[102] Da dachte die Mutter: »Es ist besser, du giebst ihm keine Ratschläge mehr.«

Die zwanzig Groschen für das Kalb und der Groschen für die Nadeln waren fort, das hatte das bare Geld knapp gemacht in der Kiste; aber die Räucherkammer hing voller Würste und Speckseiten.

Sprach die Bäuerin: »Hinrik, mein Sohn, von Weihnachten her hängen noch zwei Speckseiten im Rauche. Wir brauchen sie doch nicht mehr; so geh damit in die Stadt und bring sie dort an den Mann. Wir haben ihrer auch dann noch überflüssig.«

Hinrik war ein gehorsamer Sohn; er nahm unter jeden Arm eine Speckseite und ging damit zur Thüre hinaus. Er liebte aber nicht die langen Wege; darum ging er über den Wuurt, daß er den Richtsteig durch die Felder einschlüge.

Als er nun bei den Backöfen vorbei kam, die gemeiniglich an des Dorfes Ende liegen, traf er des Schulzen großen Packan, wie er mit zwei andern Hunden aus dem Dorfe Kurzweil trieb. Die Hunde fingen an zu bellen und zu blaffen, als sie Hinrik mit den beiden Speckseiten erblickten.

»Wollt ihr mir den Speck abkaufen?« fragte Hinrik.

»Jau! Jau! Jau! Jau!« riefen die Hunde und sprangen an ihm in die Höhe.

»Das Pfund kommt euch aber auf zwei Groschen!« sagte Hinrik.

»Jau! Jau! Jau! Jau!« bellten die Hunde.

»Wer's kauft, ist mir recht,« sprach Hinrik, »aber[103] Sonntag muß ich das Geld haben, und an dich halte ich mich, Packan!«

»Jau! Jau! Jau! Jau!« antworteten die Hunde; und Hinrik dachte, sie wären mit allem einverstanden, was er gesagt hatte, warf ihnen die beiden Speckseiten zu und freute sich über den guten Handel. Dann kehrte er wieder nach Hause zurück.

»Hinrik, mein Sohn, das ist aber schnell gegangen!« rief die Bäuerin verwundert.

»Und dabei habe ich fürs Pfund zwei Groschen bekommen,« antwortete Hinrik.

»Hinrik, mein Sohn, wer hat's denn gekauft, und wo hast du das Geld?« fragte die Alte.

»Wer soll's gekauft haben!« sprach Hinrik. »Des Schulzen Packan hat's gekauft, und Sonntag hole ich mir das Geld!«

»Hinrik, mein Sohn,« rief die Mutter und fiel vor Schreck fast auf den Rücken, »das hast du schlecht gemacht; ein Hund hat kein Geld. Nun sind die Speckseiten fort, und Bargeld haben wir auch nicht bekommen! Was soll daraus werden?«

»Laß nur, Mutter,« erwiderte Hinrik, »Packan hat's mir versprochen, und die andern Hunde sind Zeugen.«

Aber die Bäuerin behielt doch recht. Als Hinrik am Sonntag zum Schulzen kam und das Geld für die beiden Speckseiten verlangte, glaubte er, Hinrik habe ihn zum Narren, und warf ihn zum Hause hinaus.

Eines Morgens sprach die Mutter:

»Hinrik, mein Sohn, in acht Tagen machst du[104] Hochzeit. Die Braut habe ich besorgt, und aufgeboten seid ihr auch schon. Heute wird gebacken und gebraut.«

Da freute sich Hinrik, daß er eine Frau bekommen sollte, und half seiner Mutter bei der Arbeit.

»Hinrik, mein Sohn,« sagte sie, »ich muß nach dem Teig schauen, ob er gut aufgeht und nicht anbrennt; gieb du derweile auf das Bier in dem Kessel acht und thu etwas Hoppen (Hopfen) hinein.«

»Das werde ich besorgen,« antwortete Hinrik. Weil sie nun einen Hund hatten, der Hoppe hieß, so dachte er, den habe seine Mutter gemeint; und er warf das arme Tier in den Kessel, daß es in dem heißen Bier elendiglich verbrühte.

»Hinrik, mein Sohn, hast du auch etwas Hoppen in den Kessel gethan?« fragte die Mutter, als sie von dem Backofen zurückkehrte.

»Etwas ging nicht,« antwortete Hinrik, »da habe ich ihn ganz und gar hineingeworfen. Er wollte zwar nicht, aber ich hielt ihn fest; da mußte er daran glauben.«

»Hinrik, mein Sohn, du hast doch nicht den ganzen Sack in den Kessel geschüttet?«

»Ach, Mutter, was redest du von Sack? Ein Hund ist doch kein Sack!« rief Hinrik ärgerlich.

Da sah die Mutter auch schon den Hund in dem Biere schwimmen, faltete die Hände und sprach:

»Hinrik, mein Sohn, das hast du schlecht gemacht. Ich meinte das Kraut Hoppen! Wer thut denn einen Hund an das Bier?«

»Das hättest du mir eher sagen müssen,« erwiderte Hinrik; und seine Mutter mußte aus der Stadt für teures [105] Geld Bier vom Brauer kommen lassen, daß die Gäste bei der Hochzeit nicht Durst litten.

Mittlerweile war der Hochzeitstag gekommen. Ehe die jungen Leute zur Trau fuhren, nahm die Mutter jedoch ihren Sohn in's Gebet und sprach zu ihm:

»Hinrik, mein Sohn, du kannst unbeschreiblich viel essen. Wenn das deine Braut merkt, so läuft sie dir auf und davon.« Damit du ein Maß weißt, werde ich dich, wenn es genug ist, auf den Fuß treten.

Da wurde Hinrik sehr bange zu Mut, und er sagte:

»Mutter, sprich weiter, ich will alles thun, was du mir sagst.«

»Hinrik, mein Sohn, zuerst kommen Erbsen auf den Tisch,« fuhr die Alte fort, »davon nimmst du auf einmal nicht mehr und nicht weniger, als fünf, auf den Löffel und steckst sie in den Mund. Darnach giebt es Eier; du nimmst dir eins aus der Schüssel, pellst es ab und teilst es in acht Teile und nimmst ein Achtel nach dem andern auf den Löffel und steckst es in den Mund. Das sieht fein bescheiden und geschickt aus, und deine Braut gewinnt dich lieb.«

Hinrik war zwar sehr behullig; aber das fürchtete er denn doch zu vergessen, das war ihm zu lang. Er sprach darum, während sie zur Trau fuhren und während die Schulkinder sangen und der Pastor die schöne Predigt hielt und während der Rückfahrt, immer vor sich hin:

»Erst fünf auf einmal, dann abpellen und acht Teile, und wenn Mutter auf den Fuß tritt, aufhören.«

Der jungen Frau wurde angst und bange dabei; aber sie dachte: »Das macht die Freude, daß er dich[106] gekriegt hat!« und setzte sich mit ihm zu Tisch, wo die andern Gäste schon ihrer warteten.

Nun wollte aber das Unglück, daß die Mutter der Reihenfolge vergaß und die Eier vor den Erbsen auf den Tisch trug. Da langte Hinrik mit seinem großen Löffel in die Schüssel, nahm fünf Eier auf einmal und steckte sie mitsamt den Schalen in den Mund, kaute darauf und schluckte sie herunter. Alle Gäste guckten einander an; aber Hinrik ließ sich nicht stören, sondern nahm zum zweiten und zum dritten Male fünf Eier auf den Löffel und fuhr damit fort, bis die Schüssel leer war und seine Mutter mit den Erbsen und dem Schweinefleisch aus der Küche kam.

»Meines Lebens,« dachte die junge Frau, »der ißt mehr, als der ganze Hof einbringt!« und es graute ihr vor dem Manne.

Indem fuhr Hinrik mit dem großen Löffel in die Schüssel und langte eine Erbse heraus, pellte die Schale ab und zerschnitt sie mit dem Messer in acht Teile. Davon nahm er ein Achtel nach dem andern auf den Löffel und steckte es in den Mund.

Als er damit fertig war, griff er in die Fleischschüssel und nahm einen guten Bissen. Nachdem er das Fleisch gegessen hatte, warf er den Knochen, wie das auf dem Lande Sitte ist, unter den Tisch. Da kam ein Hund gesprungen, um den Knochen zu erwischen, und trat dabei Hinrik auf den Fuß. Hinrik jedoch dachte, es sei seine Mutter, die ihn getreten habe, legte den großen Löffel beiseite [107] und schaute trübselig vor sich hin und aß und trank nicht mehr, obwohl er noch großen Hunger hatte.

Der jungen Frau aber wurde himmelangst zu Mute, und sie sprach bei sich:

»Eine Schüssel voll Eier, eine Erbse und ein Stück Schweinefleisch! Ich kann ihm doch nicht nur Eier kochen, da richte ich mich bald zu Grunde. Das beste ist, ich laufe aus dem Hause hinaus.«

Und so that sie auch. Als das Mahl zu Ende war und sie ordentlich, wie sich's für eine Bauernhochzeit ziemt, getanzt und gesprungen hatten, kam auch die Zeit, daß sich das junge Paar schlafen legen sollte. Wie sie nun in der Kammer waren, sprach die junge Frau:

»Hinrik, ich habe großen Durst, ich will zum Brunnen und Wasser trinken.«

»Nein,« antwortete Hinrik, »das erlaub' ich dir nicht, sonst läufst du mir auf und davon.«

»Hinrik,« sagte die junge Frau zum andern Male, »ich muß zum Brunnen und Wasser trinken, sonst verdurste ich und sterbe eines elenden Todes.«

Das wollte Hinrik nun auch nicht gerne, und er band seiner Frau die Pflugleine um den Fuß, auf daß sie ihm nicht fortliefe und damit er sie wieder zurückziehen könne, wenn sie zu lange bliebe.

Das machte der jungen Frau jedoch wenig Kummer; sie ging durch die Kammerthüre über den Flur in den Viehstall, wo Pferde und Rinder, Ziegen, Schafe und Schweine einträchtig neben einander stehen, löste den alten Ziegenbock von der Krippe und band ihm die Pflugleine um [108] die Hörner; dann machte sie sich auf und davon und lief aus dem Dorfe heraus in eine ganz andere Gegend.

Hinrik wartete eine Zeit lang, bis er glaubte, jetzt müsse seine Frau satt getrunken haben; als sie aber immer noch nicht wiederkommen wollte, zog er die Pflugleine zurück und ruhte nicht eher, als bis der Ziegenbock dicht neben seinem Bette stand.

Das Tier hatte den Tag über gut gefressen und knirschte mit den Zähnen, wie die Ziegen zu thun pflegen.

»Kaust du Nüsse? Kaust du Nüsse?« fragte Hinrik neugierig; aber der Ziegenbock antwortete ihm nicht. Da wollte Hinrik seiner Frau in den Mund fassen, um zu sehen, was es wäre. Indem erwischte er des Ziegenbocks langen Bart und rief:

»Mutter, meine Frau hat einen Bart!«

Die alte Frau, welche in derselben Stube schlief, antwortete:

»Hinrik, mein Sohn, dann ist sie von guter Art!«

Da freute sich Hinrik über seine junge Frau; aber auf die Dauer konnte er das Gnitschen mit den Zähnen nicht ertragen. Er war neidisch, daß er nicht auch Nüsse essen könne, sprang aus dem Bette und lief auf den Flur, stellte die Leiter an die Wand und stieg zum Boden hinauf. Er hatte sich aber in der Dunkelheit versehen und die Leiter nicht an die Bodenluke, sondern an das Hühnerreich gestellt. So trat er von der Leiter in die leere Luft hinein und fiel auf die Diele herab.

»Mutter«, schrie er ängstlich, »ich bin herunter gefallen, steck ein Licht an und hilf mir!«

[109] »Hinrik, mein Sohn, steig nur wieder hinein!« antwortete die Alte; denn sie glaubte, er wäre aus dem Bette gefallen, weil er das Ehemannsleben noch nicht gewöhnt war.

Aber Hinrik gab sich damit nicht zufrieden; sondern weinte und schrie nur um so mehr, bis die Mutter Licht anzündete. Da sah sie den Ziegenbock, mit der Pflugleine um die Hörner, am Bette stehen und Hinrik unter dem Hühnerreich liegen; aber die junge Frau war verschwunden.

Nun war die Not groß, und sie liefen mit Licht in den Garten und suchten bis zum hellen Morgen und den ganzen andern Tag, und die Bauern im Dorfe halfen ihnen; aber die junge Frau war längst über alle Berge, und sie fanden sie nicht.

So mußte Hinrik, wie vordem, ohne Frau auskommen und mußte mit seiner Mutter haushalten und ledig leben bis an sein seliges Ende; und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

[110] Der Pastor und sein Küster.

Es war einmal ein Pastor, der diente dem Gelde mehr, als dem lieben Gott. Darum dachte er bei sich, als sein alter Küster zu Johannis starb:

»Was sollst du einen neuen Küster anstellen? Nach der Ernte kommen die vielen Hochzeiten, da fällt ein gutes Stück Geld ab und manche Gans und manche Speckseite, das kannst du selbst verdienen.«

Gedacht, gethan; er war von nun an Pastor und Küster zugleich; und mit jedem Tage wurde die Speisekammer der Frau Pastorin voller, und das Geld in der Kiste schwoll immer höher an. Als aber Martini kam, da die Leute ans Sterben denken und manche Leiche bei Hagel und Schnee von den Schulkindern zur ewigen Ruhe gesungen wurde, da mochte dem Pastor das Küsteramt nicht mehr behagen, und er sann und sann:

»Wie schaffst du dir das Übel vom Halse?«

Indem hörte er lustige Klänge vom Wirtshaus herüber schallen. Das war ein alter, abgedankter Soldat, der spielte auf seiner Fiedel den Bauern zum Tanze auf und sang dazu mit heller, klarer Stimme.

»Der kommt dir, wie gerufen!« sprach der Pastor[111] bei sich, und er schickte den Knecht in den Krug, daß er den Spielmann zu ihm brächte.

Als der Soldat im Pfarrhause war, sprach der Pastor zu ihm:

»Was meint er dazu? Ich brauche einen Küster; und da er so schön singen und spielen kann, möchte ich ihm wohl zu dem Amte verhelfen.«

»Herr Pastor,« antwortete der Spielmann, »wovon soll ich den Winter durch leben? Michaelis ist längst vorüber, und das nächste Schulgeld bringen die Kinder erst zu Marien. Da ist 's wohl besser, ich bleibe, was ich bin, und verdiene mir meinen Unterhalt durch Spielen und Singen auf den Gütern und in den Schenken. Da giebt mir der eine Brot, der andere Fleisch, der dritte Mehl und Kartoffeln, und dieser und jener reicht mir auch wohl ein Stück Geld; das bringe ich dann meiner Frau, und wir fristen damit unser Leben.«

Mit dieser Antwort war aber dem Pastor schlecht gedient; denn der Winter rückte mit Macht heran, und er dachte mit Sorgen an die vielen Leichen, die noch kommen würden.

»Spielmann,« versetzte er darum, »ich will ihm gerne einen Wispel Kartoffeln vorschießen; den zahlt er mir dann zu Marien ab.«

»Gut, Herr Pastor,« erwiderte der Soldat, »ich werde die Sache mit meiner Frau bereden!«

Damit ging er zum Hause hinaus.

»Mutter,« sprach er zu seiner Frau, »der Herr Pastor will mich zum Küster machen.«

»Und du hast doch ja gesagt!« antwortete die Frau.

[112] »Man muß sich immer bitten lassen,« antwortete der Mann, »morgen soll er Bescheid haben.«

Da war die Freude groß in der kleinen Hütte; und als er am andern Morgen dem Pastor gesagt hatte, seine Frau wolle ihm zu Liebe Frau Küsterin werden, zogen sie mit Sack und Pack in das Schulhaus hinein, und des Pastors Knecht trug ihnen einen Wispel Kartoffeln in den Keller, wie vorher abgemacht war.

Es dauerte aber gar nicht lange, so sprach die Küsterin:

»Mann, die trockenen Kartoffeln wollen mir nimmer schmecken, und die Spargroschen sind auf das Salz gegangen. Wenn wir doch nur ein Stückchen Fleisch hätten!«

»Das wollen wir bald bekommen!« meinte der Küster; und als es Abend wurde, schlich er in des Pastors Schafstall und zog die beiden fetten Hammel heraus, welche die Frau Pastorin zum Winterbedarf gemästet hatte. Und es merkte auch niemand etwas davon, denn der Knecht und die Magd hatten sich müde gearbeitet und ruhten die Nacht auf ihrem Strohsacke aus; denn mehr als den einen wollte ihnen der Pastor bei den schlechten Zeiten nicht geben.

Der Küster brachte darum die Hammel glücklich in das Schulhaus. Dort schlachteten sie die Tiere und legten das Fleisch in das Faß; die Felle aber trug die Küsterin früh, ehe die Sonne aufging, in die Stadt und verkaufte sie an den Gerber. Das setzte ein paar Groschen ab für Hering und Salz; und auch ein Quart Branntwein kaufte sie ein, denn ausgediente Soldaten mögen gerne einen trinken.

[113] Am andern Morgen war im Pfarrhause großes Geschrei.

»Herr Pastor,« rief Krischan, der Knecht, »unsere Hammel sind gestohlen!«

Der Pastor schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Aber was war dabei zu machen! Die Hammel waren weg und blieben weg. Lange wußte er gar nicht, wo sie geblieben sein könnten; da nahm ihn eines Tages seine Frau beiseite und sprach:

»Höre, Vater, die Hammel hat kein anderer gestohlen, als unser neuer Küster. Bei trockenen Kartoffeln macht kein Mensch ein so fröhliches Gesicht, als die Küstersleute jetzt aufsetzen.«

Die Rede leuchtete dem Pastor ein. Aber den Dieb überführen, daß er die Sache gestand, das war die schlimme Geschichte. Haussuchung abhalten im Dorfe, dann hätte er's mit allen Bauern verdorben; und aus freien Stücken gestand der Küster nicht ein, davor hütete er sich wohl. Endlich rief die Frau Pastorin:

»Vater, ich hab' es gefunden! Wir stecken meine alte Mutter in die große Kiste und geben sie dem Küster zur Aufbewahrung; dann wird sie wohl hinter die Sache kommen.«

Der Rat gefiel dem Pastor, und die alte Großmutter mußte in den Kasten hinein; und damit sie nicht Hunger litte, gaben sie ihr allerhand gute Dinge mit auf den Weg. Dann ging der Pastor zum Küster und sprach zu ihm:

»Küsterchen, ich muß verreisen, und bei diesen schlechten Zeiten ist man seines Geldes nirgends sicher. [114] Ich hab es darum in die große Kiste gepackt. Sei er so gut, und heb' er 's mir auf, bis ich zurückkehre.«

»Recht gern,« erwiderte der Küster; und des Pastors Knecht und Magd griffen zu und trugen den großen Kasten in des Küsters Stube.

Um Mittag setzten sich die Küstersleute zu Tische und aßen. Da sprach der kleine Sohn:

»Mutter, des Pastors fette Hammel schmecken doch besser, als trockene Kartoffeln.«

»Halt's Maul, Junge,« rief der Vater, »du wirst uns noch einmal verraten! Dann schlag' ich dir aber die Knochen im Leibe entzwei.«

In dem Augenblicke stieß die alte Großmutter den Deckel der Kiste auf, steckte den Kopf heraus und sagte:

»Ich habe es mir immer gedacht, daß ihr die Hammel gestohlen hättet; nun könnt ihr es nicht mehr leugnen.«

»I, du verdammter Spion,« rief der Küster voll Zorn, »willst du das Land verraten?«

Dann ergriff er einen Hammer und schlug damit der alten Großmutter so lange auf den Kopf, bis sie tot war. Darauf nahm er ein großes Stück Wurst und eine Semmel von den Lebensmitteln, die in der Kiste lagen, und steckte es ihr in den Hals, daß es schien, als ob sie daran erstickt wäre. Darnach nagelte er die Kiste wieder zu.

Den driten Tag war der Pastor schon von der Reise zurück und ließ die Kiste in das Pfarrhaus schaffen. Als er aber den Deckel geöffnet hatte, schrie er laut auf und rief seine Frau herbei.

»Das ist der Geist der Gierigkeit,« sagte er fromm,[115] »was ist doch die Sündenschuld unserer alten Mutter groß! Konnte sie nicht langsam essen? Nein, sie mußte sogleich das große Stück Wurst und die ganze Semmel auf einmal in den Mund bringen. Das haben wir davon, daß wir auf die braven Küstersleute so schändlichen Verdacht hatten!«

»Du hast recht, Väterchen,« antwortete die Frau Pastorin, »aber wie schaffen wir nur die Leiche beiseite! Denn kommt es heraus, daß sie in der Kiste an Wurst und Semmel gestickt ist, so heißt es im ganzen Dorfe, sie sei eine Hexe gewesen, und bei uns ginge es nicht mit rechten Dingen zu.«

»Wir wollen den Küster bitten, daß er sie auf dem Kirchhof unter dem Gebüsch vergräbt, wo es noch wenig gefroren hat,« meinte der Pastor, »und den Bauern sagen wir, Großmütterchen sei zu deiner Schwester gereist. Und dort mag sie bleiben, bis Gras über die Geschichte gewachsen ist.«

»So gefällt 's mir auch!« sagte die Frau, und der Pastor ging zum Küster, drückte ihm zehn Thaler in die Hand und bat ihn, er möge doch in der Nacht die alte Großmutter beerdigen, die plötzlich gestorben sei. Der Küster war damit einverstanden, that die Leiche in einen großen Sack und legte sie in der Schulstube nieder.

Als es dunkel geworden war, nahm er den Sack auf den Buckel; aber er ging nicht auf den Kirchhof damit, sondern in des Pastors Schweinestall. Dort schnitt er den Schweinen die Hälse durch, und auf das letzte setzte er die alte Großmutter und gab ihr das[116] blutige Messer in die Hand, daß es aussah, als habe sie die Tiere umgebracht.

Am andern Morgen wollte das Mädchen futtern; da sah sie die Bescherung.

»Herr Prediger, Herr Prediger,« rief sie erschrocken, »Großmutter hat alle Schweine umgebracht! Auf dem einen sitzt sie und hat das blutige Messer noch in der Hand.«

»Du mein Gott!« schrie der Pastor und kam mit der Nachtmütze in den Schweinestall gelaufen. »Die alte Frau hat's doch mit dem Bösen gehalten. Wie ist's möglich! Wie ist's möglich!«

Darauf lief er zum Küster und erzählte ihm die Geschichte.

»Aber Herr Pastor,« antwortete dieser, »das kann ich gar nicht glauben; ich hab' die alte Großmutter ja gestern erst begraben!«

Sprach's und ging mit dem Prediger in den Schweinestall.

»Hu, hu, hu!« rief er und trat drei Schritte zurück, »es ist doch richtig!«

»Küsterchen«, sprach der Pastor und that gar freundlich, ei so freundlich, »bring' er sie noch einmal auf den Kirchhof!«

»Nein, damit geb' ich mich nicht wieder ab«, entgegnete der Küster.

»Hier sind fünfzig Thaler,« erwiderte der Pastor; und als der Küster das Geld blinken sah, lachte ihm das Herz im Leibe, und er sprach:

[117] »Meinetwegen, Euch zu Liebe will ich es noch einmal thun; aber öfter geschieht es nicht wieder.«

»Und die Schweine bringt er auch gleich über die Seite,« rief die Frau Pastorin, »denn was die Tote abgestochen hat, können wir nicht essen.«

»Ich mag es auch nicht,« sprach der Küster, »aber ich werde es verbuschen,« und dann schaffte er die alte Großmutter und die abgestochenen Schweine in das Schulhaus hinüber; und er und seine Frau hatten den Tag über zu thun, um Wurst zu stopfen und Pökelfleisch einzulegen und Schinken und Speckseiten in den Rauchfang zu hängen.

Fleisch hatten sie nun genug; aber wo blieb der Kuchen? Der Küster machte deshalb am Abend, daß er in das Backhaus kam, wo die Frau Pastorin den Teig zu den Weihnachtsstollen in dem Backtrog eingesäuert zu stehen hatte. Den rührte er um, daß er ganz fertig ward; dann nahm er die alte Großmutter und stellte sie an den Backtrog, daß sie mit aufgestreiften Armen in dem Teige stand.

Mit Tagesanbruch eilte die Frau Pastorin in den Garten, um den Teig im Backhause fertig zu rühren. Da fiel sie von einer Ohnmacht in die andere; und als sie endlich wieder zu sich kam, ließ sie ihren Mann durch die Magd rufen und schickte ihn, nachdem er den Schaden besehen hatte, zu den Küstersleuten.

»Ist die alte Hexe wiedergekommen?« riefen diese ihm schon von weitem zu.

»Ja, lieber Küster, und sie hat mir den ganzen Weihnachtskuchen verdorben. Drinnen im Backhaus steht [118] sie und rührt den Teig ein. Thu' er mir den Gefallen, und schaff' er die alte Hexe noch einmal auf den Kirchhof.«

»Das dritte Mal thu' ich 's nicht«, sagte der Küster eifrig, »sonst hat der Teufel teil an mir.«

»Ach Küster, lieber Küster,« jammerte der Pastor, »die Alte macht mich grauhaarig vor der Zeit. Hier sind noch einmal fünfzig Thaler.«

»Gut, Herr Pastor,« antwortete der Küster, »Euch zuliebe will ich Leib und Seele daran wagen.«

»Lohn's ihm Gott,« sagte der Pastor, »und den Teig schaffe er auch beiseite! Was die Toten angerührt haben, dürfen die Lebenden nicht essen!«

Der Küster schaffte darauf die alte Großmutter und den Mehlteig in das Schulhaus, und die Küsterin hatte wieder den ganzen Tag zu schaffen, daß sie den schönen Weihnachtskuchen in ihrem Backofen gar bekam. Der Küster sann indessen nach, wie er dem Pastor einen neuen Streich spielen könne.

Endlich hatte er's gefunden: Der Pastor hatte in seinem Pferdestall eine braune Stute, einen roten Wallach und ein zweijähriges Fohlen zu stehen, das im nächsten Jahre eingespannt werden sollte. Auf das Fohlen nun hatte es der Küster abgesehen.

Er schlich sich, als es dunkel wurde, auf den Pfarrhof und zog das Fohlen aus dem Stalle. Draußen setzte er ihm die alte Großmutter auf den Rücken und band sie mit einem Stricke fest, daß sie nicht herunterfallen konnte; dann gab er ihr eine geladene, gespannte Pistole in die Hand und führte das Füllen in den Wald hinaus und band es dort an einen Fichtenbaum. Darauf ging er wieder [119] nach Hause, legte sich ins Bett und schlief ein und erwachte nicht eher, als bis ihn der Pastor aus dem Schlafe weckte und schrie:

»Küster, lieber Küster, wach' er auf, man hat mir mein Fohlen gestohlen!«

»Wer wird denn gleich von Stehlen reden, Herr Pastor!« erwiderte der Küster. »Habt Ihr das Füllen nicht den Sommer über auf der Koppel gehabt?«

»Da ist es gewesen,« antwortete der Pastor.

»Je nun, dann wollen wir doch erst einmal draußen nachsehen, ob es sich nicht im Walde verlaufen hat!« versetzte der Küster.

Der Pastor war damit einverstanden, und sie ritten hinaus. Der Küster hatte sich schnell auf den Rücken des Fuchswallachs geschwungen, so mußte der Prediger mit der braunen Stute fürlieb nehmen. Als sie nun am Walde angelangt waren, sprach der Küster:

»Hier wird es stecken! Reitet Ihr links herum, ich reite zur Rechten!«

Sobald er aber den Pastor aus den Augen verloren hatte, machte er, daß er zu dem Baume kam, an dessen Stamm er das Fohlen gebunden, und löste es von dem Stricke. Das hatte kaum seine Freiheit wieder erlangt, so warf es den Kopf in die Höhe; und als es in der Ferne die Mutter roch, sprang es in großen Sätzen auf die braune Stute zu.

»Herr Gott, die alte Hexe!« schrie der Pastor, als er das Fohlen erblickte, warf die Stute herum und gab ihr die Sporen, auf daß er so schnell, wie möglich, den Pfarrhof erreichte. Je mehr er aber die Stute anspornte, [120] um so schneller lief auch das Fohlen; denn es bangte sich nach der Mutter.

»Krischan, schlag den Thorweg hinter mir zu!« rief der Pastor in Todesangst, als er den Knecht erblickte; und der that auch, wie ihm sein Herr geheißen hatte. Aber das Füllen wußte sich Rat; es sprang mit gewaltigem Satze über die Gartenhecke, und von der Erschütterung schnappte der Hahn zu. Krach! ging der Schuß los, und die Schrotkörner fuhren dicht an des Pastors Kopf vorbei in das Scheunenfach.

Da hatte er allen Mut verloren und kroch auf den obersten Boden und rief vom Eulenloch her dem rückkehrenden Küster zu:

»Schaff' er mir das alte Weib vom Halse, und er bekommt hundert Thaler und das Fohlen obendrein!«

»Da soll mich Gott vor bewahren,« gab ihm der Küster zurück, »auf den Kirchhof bringe ich die Hexe nimmermehr! Eingraben nutzt nichts; ich werde sie auf den Kreuzweg tragen. Wenn's gerade keine Erzzauberin ist, kommt sie dann nimmermehr.«

»Ja, ja, auf den Kreuzweg, das ist gut!« meinte der Pastor und warf dem Küster einen Beutel mit hundert Thalern zu; und der Küster steckte das Geld in die Tasche und führte das Fohlen samt der Großmutter in das Schulhaus hinein.

Gegen Abend machte er sich diesmal wirklich mit ihr auf den Weg nach dem Kirchhofe. Als er aber auf der Dorfstraße war, sah er einen Kramjuden auf einem Stein am Wege sitzen und schlafen; und vor ihm stand sein Sack, den er mit Wollen- und Leinenzeug angefüllt [121] hatte, um es zum Weihnachtsfest an die Leute zu bringen. Eins fix drei hatte der Küster das Zeug aus dem Sack herausgepackt und dafür die Großmutter hineingelegt, dann machte er, daß er mit dem Zeuge und dem leeren Sack in das Schulhaus zurückkam.

Der Jude war so müde, daß er die ganze Nacht auf dem Steine zubrachte; denn in den Krug ging er nicht, dazu war ihm der Groschen Schlafgeld zu schade. Als nun der Morgen anbrach, sprach er bei dem Prediger vor und fragte ihn, ob er nichts zum Feste einkaufen wolle.

»Kram deinen Pack nur auf,« erwiderte der Pastor. Kaum hatte der Jude jedoch den Knoten gelöst und den Sack zurückgeschlagen, so rief er:

»Weh mir, weh mir, was ist geschehen! Hab' ich gehabt Zeug, steckt nun im Sack eine Leiche.«

Und da er, wie alle Juden, vor Toten eine große Furcht hatte, lief er davon, ließ Sack und Pack im Stich und wurde in dem Dorfe nie wieder gesehen.

Der Pastor aber ging zum Küster und sprach:

»Nun hatte er die alte Hexe so hübsch über den Kreuzweg gebracht, da muß sie der dumme Jude finden und zu mir ins Haus schleppen. Küsterchen, trag' er sie noch einmal über den Kreuzweg!«

»Bei Leibe nicht, Herr Pastor,« antwortete der Küster, »da ist mir denn doch meine Seele zu lieb!«

»Ach, Küsterchen, es gilt eine gute Sache,« bat der Pastor, »er soll auch noch einmal hundert Thaler erhalten.«

»Über den Kreuzweg tragen nützt nichts mehr,« [122] erwiderte der Küster und strich die hundert Thaler ein, »ich werde die alte Hexe über neun Grenzscheiden tragen. Wenn das nicht hilft, dann hilft nichts mehr.«

»Thu' er das, Küsterchen,« sagte der Pastor, »ich werde auch recht für ihn beten.« Sprach's und ging davon.

»Jetzt ist er genug gerupft,« dachte der Küster, »die Federn müssen ihm wieder wachsen!« Er nahm den Sack mit der alten Großmutter und ging damit, als es dunkel wurde, auf den Kirchhof.

Wie er aber in das Gebüsch kam, saßen da zwei Diebe, die hatten dem Großbauern den ganzen Speck aus der Räucherkammer gestohlen. Als sie den Küster mit dem grauen Sacke auf dem Buckel erblickten, dachten sie, es wäre ein Gespenst, und flohen davon und versteckten sich hinter einem Grabhügel; die beiden Säcke mit Speck ließen sie unter dem Buschwerk zurück.

»Ende gut, alles gut!« sagte der Küster, nahm die beiden neuen, weißen Säcke mit Speck und kehrte damit in das Schulhaus zurück, die alte Großmutter aber ließ er liegen.

Nachdem er fort gegangen war, sprachen die Diebe unter einander:

»Was ist denn das? Grau kam es an, und weiß geht es fort!« und sie bekamen einen solchen Schrecken, daß sie am liebsten über die Kirchhofmauer auf und davon gegangen wären. Doch in den Säcken stand ihr Namenszeichen, das konnte sie verraten; sie machten sich also auf, um den Speck wieder aufzuladen. Als sie nun statt der zwei Säcke nur den einen Sack erblickten, freuten sie [123] sich über das Gespenst, daß es ihnen den Speck gelassen habe.

»Es war ihm nur um die Säcke zu thun,« sagten sie; und dann machten sie, daß sie mit dem langen Sack in ihre Wohnung kamen. Dort knüpften sie ihn auf und fanden die alte Großmutter darin.

»Du mein Gott,« riefen sie erschrocken, »es hat all unsern Speck gefressen und die Säcke obendrein, und dann hat es sich in seinen eigenen Sack gelegt, daß wir es darin begraben sollen!«

Damit das Gespenst ihnen ja keinen Schaden zufügen möchte, trugen sie es darum noch in selbiger Nacht auf den Kirchhof zurück und fanden dort ein offenes Grab, das der Totengräber den Tag zuvor gegraben hatte.

»Schau,« sprach der eine zum andern, »das hat die Leiche mit ihren eigenen Händen gekratzt und konnte es nicht wieder zuschütten; darum hat sie sich in den Sack gelegt, daß wir sie begrüben.«

Dann legten sie die alte Großmutter fein säuberlich in ihrem Sacke in die Grube hinein und warfen die Erde darauf.

Da hat sie gelegen und wird auch liegen bleiben bis auf den jüngsten Tag. Der Küster aber hatte Hammel-und Schweinefleisch, Weihnachtskuchen und Zeug und Geld und ein starkes, junges Pferd und zwei Säcke mit Speck obendrein. Jetzt konnte er aushalten, bis Marien kam und die Kinder das Schulgeld brachten.

[124] Der Kuhhirt und die Bauern.

Es war einmal ein Kuhhirt, der hatte viele Jahre lang die Kühe im Dorf zur Weide getrieben und war darüber alt und grau geworden. Aber wie das so geht! Gar mancher von den Bauern hatte ihn mit der Zeit satt bekommen.

»Er ist zu dicknäsig und dreist,« sagten sie, »eine Kuh steht ihm nur zu, und er treibt ihrer zwei auf den Dreischlag.«

»Aber er ist ehrlich, und das Vieh hat sein gutes Gedeihen,« sagten die andern.

So stritten sie hin und stritten her, endlich wurden sie dahin einig, er solle die Stelle behalten, wenn er die eine Kuh abschaffen würde. Das war eine harte Nuß für den Hirten; doch was half's! Er schlachtete das Rind und legte das Fleisch in Salz, die Haut wickelte er zusammen und machte sich damit auf den Weg, um sie in der Stadt an den Gerber zu verkaufen.

Es war Winterszeit, und der Schnee fiel in dichten Flocken, daß kein Weg und Steg zu sehen war. Das machte die Reise beschwerlich, und der Hirt ermüdete sehr. Indem er nun seine Straße dahin wankte, fiel eine erfrorene Krähe halb tot aus der Luft zu seinen Füßen [125] nieder. Das Tier jammerte ihn, und er wickelte es in die Kuhhaut, daß es wieder auflebe.

Mittlerweile war es dunkel geworden; und weil er vor Nacht die Stadt nicht mehr zu erreichen vermochte, sprach er in einer Wassermühle vor und bat um ein Nachtlager. Der Müller war nicht zu Hause, und die Müllerin sagte:

»Pack dich, für hergelaufenes Gesindel ist kein Raum in der Stube!«

Der Kuhhirt that auch, als ginge er seiner Wege; als aber die Frau in der Küche zu schaffen hatte, huschte er geschwind zur Thüre hinein; und eins fix drei war er hinter den Ofen gekrochen und streckte die Glieder und wärmte sich. Und als die Frau wieder herein kam, verhielt er sich ganz ruhig, daß sie seiner nicht gewahr wurde.

Als es Zeit zum Abendbrot war, kamen Knecht und Magd und der Mahlbursch und setzten sich an den Tisch. Da gab's viele Kartoffeln und einen großen Topf mit Wasser; aber nur ein einziger Hering lag auf der Schüssel.

»Ist's die Möglichkeit!« sprach der Hirt in seinem Innern. »Die große Mühle und die schlechte Mahlzeit! Aber die Gegend mag arm sein, und die Leute können nicht mehr daran wenden.«

Des Müllers Gesinde mußte es auch wirklich nicht besser gewohnt sein; denn sie aßen ohne Murren, was auf dem Tische stand, und gingen hin und legten sich schlafen.

Kaum waren sie fort, so pochte es leise an den Fensterladen, und die Frau ging hinaus; und siehe da, sie führte den Küster bei der Hand zur Stube herein [126] und rückte ihm den Großvaterstuhl an den Ofen und hieß ihn sich setzen. Dann that sie das Wandschaff auf und holte hervor: Braten und Wein und Brot und Käse, und sie aßen und tranken und waren lustig und guter Dinge bis in die tiefe Nacht hinein. Endlich hatten sie der Freude genug genossen, und der Küster sagte der Frau lebewohl und versprach ihr, recht bald wieder zu kommen.

Er war noch nicht lange weg, so polterte der Müller zur Thüre herein. Die Frau lag schon im Bette.

»Mutter,« sagte er, »wo hast du das Abendbrot?«

»Die Kartoffeln stehen unter dem Bett, das weißt du ja,« brummte die Müllerin, »und ein Heringsschwanz liegt im Tischkasten.«

Der Mann seufzte über das kärgliche Mahl; da er aber hungrig war, setzte er sich doch nieder und langte wacker zu. Wie er da saß und eine Kartoffel nach der andern hinunter schluckte, kniff der Kuhhirt hinter dem Ofen die Krähe, daß sie schrie: »Ae! Ae!«

»Wer ist denn da?« rief der Müller. »Frau, hast du fremde Leute ins Haus gelassen?«

»Das bin ich,« sagte der Kuhhirt und kroch hinter der Hölle hervor und hielt dabei sorgsam die Hand auf die Kuhhaut.

»Warum thust du das?« fragte der Müller.

»In dem Fell habe ich einen Zauberer,« antwortete der Kuhhirt, »der hat mir etwas mitgeteilt.« Und indem er das sagte, kniff er die Krähe zum zweiten Male, daß sie schrie: »Ae! Ae!«

Darüber wurde der Müller neugierig und fragte: »Was sagt dir denn der Zauberer?«

[127] »Was wird er sagen!« sprach der Kuhhirt. »Er hat mir erzählt, dein Haus sei mit dem Teufel besetzt, und im Wandschrank stünden Braten und Wein und Brot und Käse.«

Der Müller lief hin und sah nach, und richtig, es fand sich alles, wie der Zauberer gewahrsagt hatte.

»Nun hat die Not ein Ende,« rief er voll Freude, »komm und leist mir Gesellschaft!« Und sie aßen und tranken und ließen sich die fetten Bissen gut schmecken.

Als sie satt gegessen hatten, stieß der Müller den Kuhhirten in die Seite und sprach:

»Gevatter, du könntest mir den Zauberer verkaufen!«

»Das glaube ich wohl, den möchte jeder haben!« sagte der Kuhhirt. »Aber weil du's bist, will ich schon einmal ein Auge zudrücken. Dreihundert Thaler, nicht mehr und nicht minder, dann sollst du ihn haben.«

»Dreihundert Thaler, das ist er auch wert!« sprach der Müller; und weil er fürchtete, den Kuhhirten möchte der Handel gereuen, lief er geschwind zum Kasten und holte das Geld hervor und zählte es ihm bar hin bei Heller und Pfennig und schenkte ihm einen Sack obendrein, daß er es nach Hause bringen könne. Dann legten sie sich schlafen.

Am andern Morgen nahm der Kuhhirt Abschied von dem Müller; ehe er ging, mußte er ihm aber noch sagen, was denn der Zauberer fräße.

»Alles: Brot, Fleisch, Braten und Käse,« antwortete der Kuhhirt, »nur Wasser kann er nicht leiden; das bringt ihm den Tod.« Dann sagte er dem Müller lebewohl und machte, daß er in die Stadt kam.

[128] Der Müller aber setzte die Krähe in eine große Tonne, warf Brot und Fleisch hinein und deckte das Faß mit dem Deckel zu; darauf spannte er die Pferde vor den Wagen, um eine Fuhre Mehl von der Mühle zu fahren. Vorher hatte er aber seiner Frau noch eingeschärft, ja gut acht zu geben auf den Zauberer und ihm kein Wasser zu reichen, daß er nicht sterbe.

Gegen Abend kam der Küster, wie er zu thun pflegte, um bei der Müllerin zu Nacht zu essen.

»Pst! heute geht's nicht,« sprach die Frau, »mein Mann hat für dreihundert Thaler einen Wahrsager gekauft, der sitzt in der Tonne! Gestern hat er gesagt, das Haus sei mit dem Teufel besetzt; auch hat er angegeben, wo ich den Braten und den Wein, das Brot und den Käse versteckt habe.«

»Können wir ihn denn nicht über die Seite bringen?« fragte der Küster, dem es leid that, daß er um das schöne Abendbrot kommen sollte.

»Ei, das ginge wohl,« antwortete die Müllerin, »wir brauchen dem Zauberer nur ein paar Tropfen Wasser in den Rachen zu gießen, so muß er des Todes sterben.«

»Das ist bald gemacht,« meinte der Küster; und während die Müllerin den Deckel empor hob und das Licht hielt, nahm er die Wasserkanne und ließ der Krähe ein paar Tropfen in den aufgesperrten Rachen fallen.

Die Krähe war vor Durst schier verschmachtet; und weil sie an den paar Tropfen nicht genug hatte, fuhr sie auf und dem Küster gerade in das Gesicht und [129] biß sich vor Zorn in seiner Nase fest. Darüber begann dieser, gar erbärmlich zu jammern und zu schreien, und die Frau stand ihm getreulich bei; denn sie fürchtete sich, den Zauberer anzugreifen, um nicht bei lebendigem Leibe in die Hölle zu fahren.

Indem trat der Müller zur Thüre herein. Als er den Küster bei seiner Frau erblickte, ward ihm klar, wie die Mahlzeit am vergangenen Abend in den Wandschrank gekommen und von welchem Teufel das Haus behext sei; und – hast du nicht gesehen – hieb er mit dem Peitschenstiel auf den Küster ein, daß die Krähe vor Schreck die Nase los ließ und durch die offene Thür zum Hause hinaus flog.

Der Küster aber jammerte jetzt noch vielmehr, denn vorher, da ihm die Krähe in das Gesicht gefahren war, und schwur dem Müller einen teuren Eid, daß er sich in seinem geborenen Leben nicht wieder auf der Mühle sehen lassen wolle. Darauf ließ der Müller von ihm ab. Doch als er fort war, ging es über die Müllerin her; und der setzte er noch besser zu, bis seine Arme müde geworden waren und er nicht mehr zu schlagen vermochte.

Freilich der Zauberer war fort geflogen, aber dem Müller thaten die dreihundert Thaler nicht leid, denn er war klug geworden; und fortan gab es in der Mühle für den Herrn und das Gesinde das beste Essen, was eine reiche Müllersfrau nur geben kann.

Der Kuhhirt war inzwischen mit dem Sacke voll Geld, das er für den Wahrsager bekommen hatte, in das Dorf zurückgekehrt. Nun hatte er einen Jungen, so im zwölften [130] oder dreizehnten Jahre. Den schickte er zum Schulzen und ließ ihn um eine Metze bitten.

Der Schulze gab sie ihm auch; aber es kam ihm verwunderlich vor, daß der Kuhhirt etwas zu messen hätte, und er schlich dem Jungen nach und guckte durch das Klinkenloch, wo das Klinkenband durchgeht, in die Stube hinein. Da sah er wie der Kuhhirt Geld maß, und er riß die Thüre auf und fragte:

»Woher hast du das viele Geld? Das ist nicht mit rechten Dingen zugegangen!«

»Ei, warum nicht?« sagte der Kuhhirt. »Du weißt doch, daß ich die eine Kuh geschlachtet habe. Die Haut brachte ich gestern auf den Markt und habe dafür dreihundert Thaler bekommen.«

»Ist's die Möglichkeit!« rief der Schulze verwundert und machte, daß er nach Hause kam; dann schickte er den Stock herum, daß er den Bauern die Zeitung überbrächte.

»Gevatter, was giebt's?« fragten sie neugierig.

Da erzählte ihnen der Schulze alles, wie er es bei dem Kuhhirten getroffen hatte, und daß demselben für eine einzige Haut in der Stadt dreihundert Thaler gezahlt worden seien.

»Ist's die Möglichkeit!« riefen da auch die Bauern. »Das heißt ein Geschäft!«

Dann liefen sie geschwind ein jeder in sein Haus und schlugen alle Kühe tot, zogen sie ab und luden die Häute auf den Wagen und fuhren im langen Zuge in die Stadt hinein.

»Häute, Häute, kauft Häute!« riefen sie.

[131] Da liefen die Gerber und Juden herbei und fragten:

»Was sollen denn die Felle kosten?«

»Dreihundert Thaler das Stück!« sagten die Bauern.

Die Gerber und Juden dachten, die Leute machten Spaß und lachten und boten zwei Thaler und am Ende einen halben dazu. Das ärgerte die Bauern, und sie begannen zu schimpfen und zu schelten; und das nahmen die Gerber und Juden wieder krumm, denn sie dachten, die Bauern wollten sie zum Narren halten, und sie trieben die Leute zum Thore hinaus.

Da sahen sie denn ein, daß sie von dem Kuhhirten belogen waren, und wurden so zornig auf ihn, daß sie sogleich zusammentraten, als sie im Dorfe angelangt waren, und den Beschluß faßten, zu Marien (25. März) müsse er ziehen. Dann könne er einen andern Dienst suchen oder sonst sehen, wo er bleibe.

Als der Kuhhirt hörte, was die Bauern beschlossen hatten, sprach er zum Schulzen:

»Aus dem Hause zieh' ich, aber der Backofen ist mein; den habe ich für mein eigenes Geld aufsetzen lassen.«

»So nimm ihn mit,« sagte der Schulze; und der Kuhhirt griff nach Hammer und Beil und schlug den Backofen in Stücke und füllte mit dem Ziegelschutt fünf große Säcke voll. Den nächsten Markttag legte er sie auf den Schlitten, spannte sein Pferd davor, das vorne hinkte und hinten lahm war, und fuhr damit in die Stadt.

»Backof, Backof!« schrie er.

»Was kostet die Metze?« fragten die Frauen.

[132] »Ach was Metze,« sagte der Kuhhirt, »ich verkaufe nur im Ganzen!«

Im Ganzen wollte aber niemand nehmen; und so fuhr er vor des reichen Kaufmannes Laden und fragte ihn, ob er vielleicht fünf Säcke Backof für ihn in Aufbewahrung nehmen wolle. Dem Kaufmann war das recht, und der Kuhhirt lud die Säcke ab und fuhr mit dem Schlitten nach Hause.

Es dauerte gar nicht lange, so kam zu dem Kaufmann ein guter Kunde und forderte Backäpfel und Feigen.

»Ei,« dachte der Kaufmann, »da kannst du von dem Backobst nehmen, das der Kuhhirt bei dir gelassen hat, der wird's wohl nicht merken.«

Damit nahm er die Schlüssel und stieg auf den Boden und band den einen Sack auf. Siehe, da war lauter Ziegelschutt darin, und ebenso in dem zweiten und in den andern allen.

»Du mein Gott, welche Schande!« sprach der Kaufmann bei sich. »Mein guter Ruf ist dahin, wenn die Leute erfahren, daß bei mir ein Betrug vorgekommen ist, und niemand wird mehr von mir kaufen.« Denn er dachte, es sei einer heimlich auf den Boden gegangen und habe die Säcke mit Backobst gestohlen und statt ihrer die Säcke mit Ziegelschutt hingestellt.

Als wieder Markttag war und der Kuhhirt nach den Säcken fragte, nahm er ihn darum besonders und erzählte ihm die Sache und bat ihn, daß er seinen Mund halte, er wolle ihm auch fünfhundert Thaler geben.

»Das nenne ich mir eine saubere Wirtschaft,« sagte [133] der Kuhhirt; »da müßte man ja eigentlich gleich auf das Gericht schicken!«

Weil aber der Kaufmann gar so sehr bat, gab er sich endlich zufrieden, ließ sich die fünfhundert Thaler in einen Sack schütten und fuhr wieder in das Dorf zurück.

»Junge,« sagte er zu seinem Sohne, als er zu Hause war, »lauf zum Schulzen und bitt ihn um das halbe Viert; ich muß wieder messen.«

Der Junge that, wie ihm sein Vater geboten hatte, und der Schulze gab ihm auch das Maß. Weil er aber neugierig war, ging er wieder mit und schaute durch das Klinkenloch. – Mein Gott, saß da der Kuhhirt und maß Geld mit dem halben Viert!

»Mensch, wo hast du das Geld her?« rief der Schulze und trat in die Stube.

»Das habe ich in der Stadt für die fünf Sack Ziegelschutt von meinem Backofen bekommen,« sagte der Kuhhirt.

Sogleich machte der Schulze kehrt, schickte den Stock herum und erzählte den Bauern, als sie beisammen waren, wie der Kuhhirt für fünf Sack Ziegelschutt ein halbes Viert Geld bekommen habe.

»Das wollen wir auch haben!« sagten die Bauern, und ein jeder lief nach Hause und schlug seinen Backofen entzwei, steckte den Ziegelschutt in große Säcke, und fort ging's damit in die Stadt.

»Ziegelschutt! Ziegelschutt!« riefen sie; aber alle Leute lachten sie aus, und keiner wollte kaufen, weil Ziegelschutt zu nichts nutze ist.

»Ziegelschutt! Ziegelschutt!« riefen die Bauern immer [134] weiter. »Wer kauft Ziegelschutt! Immer fünf Sack für ein halbes Viert Kurant!«

Eine Zeit lang ertrugen es die Bürger; dann ward ihnen der Thorheit zu viel, und sie jagten die ganze Gesellschaft zum Thore hinaus.

Nun wollten sich die Bauern rächen und beschlossen, den Kuhhirten in der Nacht tot zu schlagen. Doch dieser ahnte ihre böse Absicht und sprach deshalb zu seiner Frau, als er mit ihr zu Bette ging:

»Leg du dich heute vorne hin, ich möchte auch einmal an der Wand schlafen!«

Wie nun in der Nacht die Bauern kamen, schlugen sie die Frau tot; denn sie glaubten, der Mann läge vorne.

Am andern Morgen stand der Kuhhirte auf und nahm seine tote Frau, setzte sie auf den Schlitten und stellte ihr einen Korb Eier auf den Schoß, daß es aussah, als lebe sie noch und wolle die Eier verkaufen. Dann fuhr er mit ihr in die Stadt. Dort trat ein reicher Mann an den Schlitten, der wollte gerne Eier kaufen.

»Was kostet die Mandel?« fragte er.

Die Frau gab keine Antwort. Er fragte zum zweiten und zum dritten Male; als sie aber immer nicht antworten wollte, ward er ärgerlich und gab ihr einen Backenstreich, daß die Leiche das Gleichgewicht verlor und hintenüber stürzte.

»Aber, lieber Mann,« kam da der Kuhhirt gelaufen, »was hat er mit meiner Frau angefangen!« Und als er sie tot hintenüber liegen sah, schrie er ach und weh[135] und rief: »Mörder! Mörder! Der da hat meine Frau vor meinen sichtlichen Augen totgeschlagen!« daß der Mann ihm nur schnell den Mund zuhalten mußte.

»Verrat mich doch nicht,« sagte er, »du siehst, ich hab's nicht mit Willen gethan! Ich werde dir tausend Thaler geben und für ein anständiges Begräbnis sorgen obendrein, wenn du stille bist.«

»Das ist etwas anderes,« sagte der Kuhhirt, »wenn du das thun willst, so werde ich stille schweigen.«

Da nahm ihn der Mann mit sich in sein Haus und zählte ihm die tausend Thaler auf, und das war ein großer Sack voll Geld. Dann begrub er die tote Frau, als wäre es seine eigene, derweile der Kuhhirt ins Dorf zurückfuhr.

Diesmal mußte der Junge um einen halben Scheffel bitten.

»Geh' nur, ich bring's selbst,« sagte der Schulze, der sich vor Verwunderung gar nicht zu lassen wußte; und als er in des Kuhhirten Haus kam, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen vor dem Gelde, das dort auf dem Fußboden lag.

»Nachbar, wie ist's möglich! Wie ist's möglich!« rief er.

»Das ist gar nicht verwunderlich,« sagte der Kuhhirt; dann erzählte er dem Schulzen, daß sie gestern Nacht nicht ihn, sondern seine Frau tot geschlagen hätten. Mit der sei er in die Stadt gefahren und habe dort tausend Thaler für die Leiche bekommen. Fünfhundert für den Backofen und dreihundert für das Kuhfell dazu, [136] das müsse schon mit dem halben Scheffel gemessen werden.

»Wie ist's möglich! Wie ist's möglich!« rief der Schulze wiederum und lief hinaus und schickte den Stock herum und konnte gar nicht erwarten, bis die Bauern alle beisammen waren, daß er ihnen die Neuigkeit erzählte.

Die sperrten Nase und Maul auf ob der wundersamen Geschichte; und ehe noch der Schulze ganz fertig geworden war mit seiner Erzählung, waren sie auch schon wieder zur Thüre heraus und liefen nach Hause und schlugen ihre Schwieger- und Großmütter tot und, was sonst von den Frauen zum Spinnen zu alt und schwach war, und luden die Leichen auf die Erntewagen und fuhren in die Stadt und boten sie aus, das Stück für tausend Thaler.

Den Bürgern kam es nicht geheuer vor, daß so viel alte Weiber auf einmal im Dorfe gestorben sein sollten, und sie fragten nach; und als sie von den Bauern erfahren hatten, wie sie es angefangen, nahmen sie dieselben beim Kragen und führten sie vor den Richter. Der sperrte sie ein bei Wasser und Brot eine lange Zeit. Endlich ließ man sie laufen.

Jetzt kannte ihr Zorn gegen den Kuhhirten keine Grenzen mehr; und auf den Rat des Schulzen wurde er in seinem Hause ergriffen und in eine leere Tonne gesteckt. Die trugen sie sodann auf einen Berg, um sie den Abhang hinunter in den See zu kullern.

Indem fiel ihnen ein, daß die Stadtherren sie am Ende wieder einsperren würden, wenn sie den Kuhhirten ohne ihre [137] Erlaubnis zum Tode brächten; sie ließen darum die Tonne stehen und liefen zum Bürgermeister.

»Kinder,« sagte der, als ihm die Bauern den Handel vorgetragen hatten, »wenn's so steht, hat er's nicht besser verdient. Kullert ihn nur in den See!«

Die Bauern freuten sich über die Rede und gingen zum Berge zurück.

Inzwischen saß der Kuhhirt in der Tonne und dachte über sein Schicksal nach. Da kam des Weges der Schäfer mit seiner Herde. Als der Kuhhirt die Schafe blöken hörte, schrie er aus seiner Tonne heraus mit lauter Stimme:

»Ich kann nicht schreiben,
Ich kann nicht lesen
Und soll in der Stadt Bürgermeister werden!«

»Ach,« gab ihm der Schäfer zur Antwort, »ich kann gut schreiben, und gut lesen kann ich auch und möchte gerne Bürgermeister werden.«

Rief der Kuhhirt aus der Tonne: »Dir kann geholfen werden! Laß mich heraus und kriech statt meiner in die Tonne hinein.«

Das war der Schäfer wohl zufrieden, und es dauerte gar nicht lange, so war der Tausch gemacht; und der Kuhhirt trieb die Schafherde fort, während der Schäfer in der Tonne saß und immerfort schrie:

»Ich kann gut lesen,
Ich kann gut schreiben
Und will in der Stadt Bürgermeister werden!«

»Sieh,« sagten die Bauern, als sie von der Stadt auf den Berg zurückkamen, »jetzt will er gar Bürgermeister [138] werden!« Dann gaben sie der Tonne einen Stoß und kullerten sie in den See.

Wie sie in das Dorf zurückgehen wollten, trafen sie den Kuhhirten, der mit seiner Herde Schafe nicht so schnell hatte weiter kommen können.

»Der Tausend!« sagte der Schulze, »wir haben dich doch vor einer halben Stunde in den See gekullert, wie kommst du nun zu den Schafen?«

Antwortete der Kuhhirt: »Das schöne Vieh habe ich alles aus dem See. Seht nur zu, es läuft noch viel auf dem Grunde herum. Der große Leithammel da wäre so recht etwas für den Schulzen!« Dabei wies er auf das Spiegelbild seiner Herde im Wasser.

Den Bauern wässerte der Mund nach dem schönen Vieh, und der Schulze sprang zuerst in den See hinein, um den Leithammel zu greifen. Als er nun im Wasser blubberte und nach Luft schnappte, schrien die anderen:

»Jetzt hat er den Glockenhammel!«

Und damit sie nicht leer ausgingen, stürzten sie sich allesamt ihm nach in den See und ertranken.

So war das ganze Dorf ausgestorben, und der Kuhhirt bekam zu dem vielen Geld und der großen Herde das ganze Dorfland obendrein und ward dadurch ein steinreicher Mann. Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

[139] Die lange Geschichte.

Ich weiß eine Geschichte, die dauert ein ganzes Jahr und wohl noch ein paar Monde darüber:

War da einmal ein Schäfer, der kaufte im Mecklenburgischen, unweit der großen Stadt Teterow, tausend Schafe, die wollte er im Pommerland auf den Edelgütern an den Mann bringen. Als er nun an die Grenze kam, war da ein breiter Graben, über den führte eine schmale, schmale Brücke, so schmal, daß sie nicht breiter war, wie meine Hand ist.

Meiner Treu, da hat ein Schaf ein paar Stunden zu thun, ehe es hinüber kommt, und man muß ihm dabei noch helfen! Ja, da wird wohl ein Jahr vergehen, ehe der Schäfer sie alle übergesetzt hat; und da habe ich noch ganz die kleinen Lämmerchen vergessen, welche die Schafmütter inzwischen werfen. Also noch flugs ein paar Monde hinzu gelegt zu dem Jahre!

Ehe aber die Schafe nicht über den Graben gebracht sind, kann ich auch meine Geschichte nicht weiter erzählen.


Notes
Erstdruck: Berlin (Mayer und Müller) 1890.
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TextGrid Repository (2012). Jahn, Ulrich. Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8C7D-4