Maria Janitschek
Kreuzfahrer

[7] Am Ziel

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[7] [9]1.

Ihm war, als ginge er mitten unter den Sternen. Alles strahlte und leuchtete um ihn. Seine Füße glichen zwei Tänzern; sie trugen ihn dahin, ohne daß sein Gedanke sie lenkte.

Als er seine Doktorprüfung bestanden hatte, natürlich glänzend, sagte die Mutter: »Nun Albin thue dir etwas recht Gutes an. Mach eine schöne Reise, oder kaufe dir den Soliman, den du dir schon längst gewünscht hast.«

Er lachte. »Aber Mamachen, warum eine Morgengabe? Ich habe weder etwas Wichtiges hinter mir, noch erwarten mich bedeutsame Ereignisse. Mein ganzes Leben bis jetzt war ein froher leichter Tag, und ich würde mich sehr irren, wenn dies bei der Veranlagung meiner Natur anders werden sollte. Das Pferd oder die Reise würden mich nicht glücklicher machen.«

[9] »Du wünschest dir also gar nichts auf der Welt? Seliges Kind!« sagte die Mutter. Er fuhr sich durch den braunen Haarschopf und sah zu Boden. Dann machte er sich aus ihren Armen los. »Das Leben ist herrlich und weshalb an einer Schönheit herummäkeln, daß sie so und nicht anders ist.«

»Ach Kind« – die schönen Augen der Mutter suchten sehnsüchtig die Ferne – »gar so herrlich ist das Leben in der That nun doch nicht. Es bleibt uns immer eine Menge schuldig. Es –«

»Wäre es dir etwas schuldig geblieben?« Seine dunkelgrauen Augen versenkten sich fragend in die ihren.

»O ja, trotzdem ich sehr glücklich war und auch bin. Einmal, später, werde ich dir viel erzählen.«

»Bis ich älter geworden bin, gelt?« sagte er scherzend.

Sie hörte es nicht. Sie blickte noch immer ins Weite. »Weißt du, eigentlich sind wir alle Kreuzfahrer. Unser letztes Ziel ist schließlich nichts anderes als ein heiliges Grab. Das ist alles.« Sie lächelte ihn voll unendlicher Liebe an, warf ihm eine Kußhand zu und ging aus dem Zimmer.

Er sah ihr nach. Ein heiliges Grab? Dann schüttelte er die Locken und eilte hinab, hinaus ins Freie.

[10] Die Sonne war im Untergehen und der Himmel brannte wie die Wangen eines Glücklichen, dem eben von seinem Liebchen ein Stelldichein bewilligt worden ist. Albin ging weit bis vor die Stadt, wo die Auen begannen. Er dachte über vieles nach, auch darüber, daß es unrichtig war, als er die Mutter hatte glauben machen, daß er keinen Wunsch mehr habe. O er hatte wohl einen Wunsch. Aber den konnte er ihr aus leichtbegreiflichen Gründen nicht anvertrauen. Er sehnte sich nach einem Zweiten. Wenn der Quell voll ist und übersprudelt, sucht er den Erdboden, um ihm seine silberne Flut zu schenken. Albin wünschte sich einen Freund. Keinen Studenten, denn er selbst war Student; keinen Künstler, denn die Natur hatte ihm selbst die Augen des Künstlers gegeben; keinen Pedanten und keinen Genüßling, ach, er wußte es selbst nicht, wie der beschaffen sein sollte, an dessen Schulter er sein stolzes Jünglingshaupt lehnen wollte. Er mußte anders sein als er selbst, und doch wieder ganz er, nur reifer, geschlossener in seiner Weltanschauung, herber, härter in den Linien seines Charakters. War es die Sehnsucht nach Ergänzung? Weil er so reich war, drängte es ihn nach den Erzschätzen eines Reicheren als er selbst war.

An das Weib hatte Albin in seiner Sehnsucht nie gedacht. Und das war auch der Grund, weshalb er der Mutter von seinem Wunsche schweigen mußte.

[11] Um das Wesen des Weibes verstehen zu lernen, schien es ihm nur zwei Wege zu geben. Entweder der Mann wird selbst zum Weibe, oder das Weib paßt sich ihm an und wird männlich. Das erste wollte er nicht, und vor Frauen der letzteren Gattung empfand er Schauder. Blieb aber die Frau in ihren Grenzen und der Mann in den seinigen, dann dünkte ihm ein Verständnis zwischen beiden unmöglich zu sein. So erschien ihm die Frau wie ein schöner, fremdartiger Zaubergarten hinter hohen Mauern, über die es besser war nicht hinüber zu schauen. Er kannte nur zwei Frauen. Seine Mutter und seine Schwester. Er liebte beide mit tiefer Zärtlichkeit, wie man den Sternenhimmel mit seinen fremden Wunderwelten, wie man die Stimmungen des Frühlings liebt, die immer überraschen, aber nie zu berechnen sind; vielleicht wie man Gott liebt, der uns Gutes thut, den wir den Herrlichen und Großen nennen, obgleich niemals die Wolken uns seine Schläfe enthüllt haben. Die Frau war eben etwas ganz anderes als der Mann.

Nachdem Albin mehrere Stunden umhergegangen war und sein Herz allerlei Möglichkeiten erwogen hatte, wie er zu dem inbrünstig ersehnten Freund gelangen könnte, schien es ihm am rätlichsten zu sein, zwar nicht wie die gute Mutter gemeint hatte, eine Lustreise zu machen, um irgend ein Luxusbad zu besuchen, sondern [12] fortzureisen mit wenig Gepäck und ohne jeglichen Prunk, um die Welt kennen zu lernen und den Zweiten zu finden. Er weihte die Mutter in den Plan seiner Reise ein, ohne ihr deren Zweck mitzutheilen. Er erbat sich für unbestimmte Zeit Urlaub, der ihm auch freudig gewährt wurde. Er versprach Mutter und Schwester Seidenstoffe aus Indien, kostbare Felle aus Sibirien und die buntfarbigsten Vögel aus Südamerika mitzubringen. Seiner Schwester versprach er überdies noch ein Negermädchen, das bei ihr Zofendienste verrichten sollte. Dann küßte er seiner Mutter die treuen, in Thränen schimmernden Augen, der Schwester jedes Fingerchen, wie er es schon als Knabe gethan hatte, und reiste ab.

Als er die Stadt hinter sich hatte, schalt er sich einen schlechten, undankbaren Menschen. Anstatt Herzweh über die Trennung von seinen Liebsten zu empfinden, fühlte er sich ordentlich wohl und befreit. Er hatte die Kinderschuhe bei Mutter und Schwester stehen lassen und warf sich jetzt gleichsam mit nackter Brust dem Leben entgegen.

Gieb mir den Zweiten, du reiches Leben, betete es in ihm, während fremde, im Frühlingsglanz liegende Orte und Landschaften an ihm vorbeiflogen.

[13]

2

2.

Er verbrauchte furchtbar viel Geld, der gute Albin. Er nützte die Anweisungen seiner Mutter auf alle bekannten Bankhäuser in den Städten, durch die er kam, gewissenhaft aus. Er lebte wie ein Fürst, um Fürsten kennen zu lernen. Er lernte sie auch kennen.

Eines Tages entließ er seinen Kammerdiener, gab seinen Marstall, seine Nacht auf. »Weißt du, jetzt werde ich viel weniger Geld verbrauchen« schrieb er an seine Mutter. »Verbrauche so viel du willst« antwortete sie. »Nur eins verbrauche nicht: dich selbst. Und daß du dies nicht thust, dessen bin ich ja sicher.« Er wurde bürgerlicher. Er sah sich in den Reihen der Leute um, die durch ihren Erfindungsgeist oder ihr Spekulationsgenie reich geworden waren. Er gehörte zu den ständigen Gästen Newports, wo die Vanderbilts ihre Sommervillen haben, und schloß mit den Söhnen einiger Geldkönige Amerikas Bekanntschaft. Eines Tages entdeckte er an sich eine andauernde Appetitlosigkeit und schiffte sich nach Indien ein, um bei Reis und magerer Kost wieder seinen Magen in Ordnung zu bringen. Er streifte in alten Tempelruinen umher und schloß mit schweigsamen Priestern Freundschaft. Er badete im Ganges und ließ sich in die Sprache des Windes und [14] der Blumen einweihen. Nach einiger Zeit überkam ihn eine unsägliche Traurigkeit. Er durchreiste weite Strecken und verbarg sich in einem sibirischen Hirtenzelt. Hier lebte er monatelang von Pferdemilch und studierte die Sprache des halbwilden Stammes, bei dem er lebte. Die Mutter zu Hause verging vor Angst um ihn, weil er die längste Zeit nichts mehr von sich hören ließ. Dann einmal kam ein fröhlicher Brief. Durch wunderliche Launen und Stimmungen – sie konnte es ja nicht anders auffassen, weil ihr die tiefere Ursache unbekannt war – hatte er sich plötzlich nach Helsingfors treiben lassen und schwärmte von der Sonne, die dort in den Sommertagen nicht unterging. Sie schrieb bekümmert zurück: »Willst du nun endlich nicht an die Rückkehr denken?« Er, tausende von Meilen von ihr entfernt, schüttelte das Haupt zu ihrer Frage. Noch konnte er nicht zurück. Noch nicht. Der Ersehnte, dem er nachging, verbarg sich hartnäckig vor ihm. Albin streckte voll Ungeduld die Arme nach ihm aus. Bruder, wo bist du? Geliebter du, lege endlich deine Hand in die meine, daß ich zufrieden werde. Gieb mir dein Eisen, deine Schärfe, deine Gewalt! Die Schönheit, den Rausch, das Mitleid, die Gnade habe ich selbst. O, wo bist du denn, Unerbittlicher, daß ich dich finde? Und Albin verließ mit Augen traurig wie die einer Waise die Sonnennächte von Helsingfors, zog über[15] Spanien nach der Provence und mietete ein Häuschen, das mitten in Weingärten stand. Schwalben und andere Vögel kamen an sein Fenster und zwitscherten ihm ihre Erlebnisse zu. Er aber sagte: Was sollt ihr mir? Ich suche ein ganz Anderes. Und das Meer mit seinem tiefen Gesang pochte an seine Seele. Er verschloß sich der Melodie. Er wollte nichts Lautes. Der, den er suchte, war still und würde ihn, ohne auch nur ein Wort zu wechseln, gleich erkennen und ihm die Hand reichen.

Eines Abends packte er seine Sachen zusammen und reiste nach Havre. Er wollte sich dort einschiffen. Er wußte noch nicht genau, wohin. Er war furchtbar müde. Aber er wollte nicht rasten, bevor er gefunden hatte, was er suchte. Als er im Hafen durch die vielen Menschen schritt, dachte er bei sich: Und unter euch Allen, unter den vielen, vielen Tausenden, die an mir vorüberzogen, wäre kein Einziger, der mein Zweiter ist? Seine Augen füllten sich mit Thränen. Wenn er sich nicht geschämt hätte, er würde sich am liebsten mitten auf der Straße niedergesetzt und geweint haben. Wohin sollte er nun, er, der so müde war, daß er kaum seine Füße fortbewegen konnte?

Bevor er sich seine weiteren Reisepläne klarlegte – in den nächsten Stunden ging überhaupt kein Schiff ab – trat er in den Saal eines Gasthofs.

[16] »Sie wünschen ein Zimmer, mein Herr?« fragte der Kellner.

»Nein, kein Zimmer, ich möchte blos bis zur Abfahrt des Dampfers nach – nach –« er stotterte verlegen den Namen einer Station – »ich möchte blos ein Abendessen.«

»Sehr wohl.«

Man brachte Wein- und Speisekarten herbei, und eine Schaar Kellner tänzelte geschäftig um den Gast herum. Es war ein sehr elegantes Hotel. Weiße Fluten elektrischen Lichtes erhellten den weiten Speisesaal mit seinen flimmernden Spiegelwänden.

Als man Albin serviert und verschiedene Schüsseln aufgetragen hatte, trank er sein Glas leer und sah auf. Im Spiegel gegenüber erblickte er das Bild eines Mannes, der in träumerischer Stellung dasaß. Das Leben, eine mächtige Leidenschaft, oder vielleicht irgend eine übergewaltige Sehnsucht mochten ihn so versengt haben. In dem hageren, eingefallenen Gesichte, aus dem nichts anderes mehr, als ein cäsarischer Wille sprach, war alle Anmut erstorben. Die tief in die Höhlen gesunkenen Augen leuchteten hervor wie ewige Lampen, die ein Heiligtum behüten. –

Albin ergriff eine wunderliche Bewegung. Wer war dieser Fremde, der ihm doch so wohlbekannt erschien? Das Herz zitterte ihm in der Brust ..... [17] Alsodas wäre das Ergebnis seines ganzen ruhe- und rastlosen Suchens gewesen? Das!? Diesen, der da saß und ihm müde zulächelte, hatte er gefunden, keinen sonst? ... sich selbst, keinen sonst? ....

Aber du bist hager und häßlich geworden, dachte er, und dein Gesicht ist voll Furchen.

Man kommt nicht glatt zum Ziele, schien die Blässe seines Gegenüber zu antworten. Staub haftet an meinen Füßen, die Sonne hat meinen Leib ausgedorrt, die Sehnsucht mich so lange mit ihren brennenden Lippen berührt, bis mein Haar ausfiel. Meine Augenlider sind welk von tausend unterdrückten Thränen; ich bin nicht herrlich, ich bin ein Mensch, der weither zu seinem Ziel gepilgert ist.

Und hast du es erreicht?

Ja, antwortete die erzene Stirne mit den tiefen Furchen. Albin bedeckte die Wunden dieser Stirne mit den zitternden Händen.

Ich also – ich selbst bin der Zweite, und keinen andern gabs für mich. – – – –

Er fühlte eine heftige Erschütterung durch seinen Leib gehen. Wie im Traum sank sein Haupt auf die Kante des Tisches. Er hörte Stimmen um sich schwirren und meinte, das Schiff wolle abgehen. Aber ich brauch es ja nicht mehr, durchzuckte es ihn. Das Herz kann [18] nun Hochzeit halten. Der Zweite ist einig mit ihm geworden. – – – – –

Mehrere Hände machten sich an ihm zu schaffen.

»Ist Ihnen unwohl, mein Herr?« »Soll man nach einem Arzt schicken?« »Er giebt keine Antwort« riefen die Kellner.

»Ich glaube, der wird nie wieder eine geben« sagte der herbeigeeilte Direktor. – – –

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TextGrid Repository (2012). Janitschek, Maria. Erzählungen. Kreuzfahrer. Am Ziel. Am Ziel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8CFD-6