Aufforderung an die Muse, daß sie dem Philosoph zu Sans-Souci nachfliehen soll

Den 21. April 1763.


Du Sängerin, tonvolle Muse flieh;
Erato,schwinge dich jezt leichter jezt geschwinder!
Sey wie des Helden Blick, und sieh:
Von Seinem Thron nach Sans-Souci,
Ging Friederich der Ueberwinder;
Nahm mit sich die Philosophie,
Und Ihn begleiteten Apollo's schönste Kinder
Calliope, Melpomene,
Thalia warfen ihre Kränze
Ihm an die Brust; und bey der Spree
Stritt die Najade mit dem Lenze,
Das Er mit seiner grünen Pracht
Dem größten Könige das Ufer schön gemacht.
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Der Frühling wandte sich, und ließ die Nymphe klagen,
Und lächelte dem Helden nach,
Der von dem Streitroß ward getragen,
Das mit Ihm durch die Feldschlacht brach
Bey Liegnitz und bey Torgau, schnaubend
Aus seiner Nase Dampf und Glut,
Und donnernd mit dem Huf, wenn heiße Feindeswut
Nach Friedrichs Lorbeer grif, Ihm in Gedanken raubend.
Dies edle Roß, von Menschenblut
Oft roth gefärbt, bis an die Mähne,
Trug den Monarchen jezt durch Fluren, wo die Thräne
Des Wolkenhimmels, in der Nacht
Den Staub gelöschet und mooßweiche Bahn gemacht,
Und Veilchen schnell hervorgebracht,
Auf beyden Seiten Ihm zu blühen.
Er kam, und Phöbus fuhr in aller seiner Pracht
Dicht über Friedrichs Ruh. Jezt schüttelten Statuen
Ihr steinern Haupt, verwundrungsvoll,
Da, wo in goldner Zeit sein Saitenspiel erscholl.
Pompejus neigte den Cäsaren
Die Stirne zu, vergaß in diesem Augenblick,
Daß beyde seines Ruhms und Hauses Feinde waren;
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Und frug: »Wie? Kommt der Held zurück?
Verberget euch mit mir, o Römer! alle Celten,
Ambronen, Gallier, und was aus beyden Welten
Sich jemals wider Rom erkühnt!
Bezwungne Parther, Thracier und Seythen,
Die grimmig noch zu seyn gefesselt sich bemühten;
Denn jeglicher Triumph verdient
Nicht mehr den Namen; seht die größern Lorbeerreiser
Um unsers Ueberwinders Haupt –«
Er sprachs: da bückten sich Roms hochberühmte Kayser;
Pompejens Lobspruch ward geglaubt.
Die Cäsars schwiegen, und die Griechen
Vom Agamemnon an bis zum Leonidas,
Belegten seiner nun versöhnten Feindin Haß,
Laconisch mit schuldlosen Flüchen,
Weil Sie, durch ihren dritten Krieg,
Den Ruhm des Siegers, der schon alles überstieg,
Bis zur Unsterblichkeit erhoben –
O Muse! sangst du Seinen Sieg,
So kenn auch deine Pflicht, Theresien zu loben!
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1792). Gedichte. Aufforderung an die Muse. Aufforderung an die Muse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8F2F-B