[25] 18. Als ein Frauenzimmer eine Ode aus dem Horaz sang. 1

Hannover 1756.


Fühlend, gelehrt für die Lust, die Flaccus und Naso gewähren,
Sang ich doch selten ein römisches Lied;
Lachte, wenn Christ 2 uns befahl: »ist Ewigkeit euer Begehren,
Franken! seyd um sie lateinisch bemüht.«
Daß mich ein Burmann edirt, und daß mich einBentley verbessert,
War mir der Reiz der Unsterblichkeit nicht.
Fände die Nachwelt mein Lied in gelehrte Quartanten vergrößert,
Läse sie Noten, und nicht mein Gedicht.
Freunde des Alterthums, hört, hört mich nun den Irrthum erklären,
Der mich vier Olympiaden verführt!
Ja, die Unsterblichkeit muß ein gothischer Dichter entbehren,
Weil sie nur römischen Liedern gebührt.
Flaccus, wie neid' ich dich jetzt! Zwar gönnt' ich dir gerne Maecenen,
Deinen Münchhausen, für Dichter allein;
Aber dein ewiges Lied, das singen noch jetzo die Schönen,
Hagedorn selbst muß voll Eifersucht seyn.
Hagedorn, wenn jetzt sein Lied aus reizenden Lippen erklinget,
Scheinen die Lippen noch doppelt so schön.
Aber die Enkelinn der, die jetzt den Hagedorn singet,
Läßt ihn beym Winsbeck und Frauenlob stehn.
[26]
Glücklicher Römer, nur dir, nur dir sind Lieder gelungen,
Welche das zweyte Jahrtausend noch hört!
Doris singt jetzo dein Lied, das Chloe und Lyde gesungen,
Das du noch Phyllis, die Letzte, gelehrt. 3
Aber dein mächtiges Lied der Römerinn Herze zu rühren,
Singt sie, die Deutsche, nur für das Gehör.
Flaccus, dich neid' ich nun nicht, den Bave noch fühllos scandiren,
Fühlende Schönen verstehn dich nicht mehr!
Freunde des Alterthums, hört! Die Ewigkeit werd' ich nicht suchen,
Da mich die Welt, der ich lebe, vergißt;
Nie soll ein Knabe dereinst mich exponirend verfluchen,
Wenn nur ein Mädchen empfindend mich liest.

Fußnoten

1 Integer vitae etc.

2 Prof. der Dichtk. zu Leipzig, ein Franke.

3 Non enim posthac alia calebo Femina.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kästner, Abraham Gotthelf. Gedichte. Oden und Lieder. 18. Als ein Frauenzimmer eine Ode aus dem Horaz sang. 18. Als ein Frauenzimmer eine Ode aus dem Horaz sang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9403-A