2. Die gefüllte wilde Rose

Im Felde, wo noch frey vom künstelnden Bemühen
Die reizende Natur entzückt,
Sah man sich einen Busch in hundert Aesten ziehen,
Von tausend Rosen ausgeschmückt:
Fünf Blätter, welche sich an Farb' und Schönheit gleichen,
Bekrönen jener Blume Haupt;
Doch einer Blume nur ist größrer Schmuck erlaubt,
Daß ihr die andern alle weichen.
Zum Vorzug, der ihr eigen ist,
Kann sie allein, in wiederholten Kreisen,
Da einer stets den andern in sich schließt,
Fünf Blätter jedesmal, doch oft vervielfacht weisen.
Sie fand ein Blumenfreund, er nahm sie mit Vergnügen;
Die andern würdigt er nicht einmal anzusehn:
Wie ist dadurch der Rose Stolz gestiegen!
Wie fing sie an, die Schwestern zu verschmähn!
Doch ihren hohen Sinn zu schwächen,
Hat ihr der, der sie nahm, des Vorzugs Grund erklärt:
»Im Garten würde man unzählig bessre brechen,
Am wilden Rosenstrauch bist du bewundernswerth.«
So wird man oft den Ruhm gelehrter Schönen hören,
Mehr das Geschlecht zu schmähn, als die Person zu ehren.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kästner, Abraham Gotthelf. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Fabeln. 2. Die gefüllte wilde Rose. 2. Die gefüllte wilde Rose. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9443-7