8. Ueber die gegenseitige Verachtung der Philosophen und Kritiker

An Hrn. Benedict Carpzov 1, als selbiger den 25sten Hornung 1740 in Leipzig die Magisterwürde erhielt.

Horatius:
Dum vitant stulti vitia, in contraria currunt.
Ein seltnes Schicksal hat bey dir, o muntrer Freund,
Doch noch Gelehrsamkeit mit der Vernunft vereint,
Und leerer Köpfe Zier, die Artigkeit der Sitten,
Hat unverdroßnen Fleiß in dir bey sich gelitten.
Der Geist, der Wahrheit sucht, kaum eigner Einsicht traut,
Auf feste Gründe nur mit sichren Schlüssen baut,
Der Mann, der, was uns nur der Jahre Neid vergönnet,
Geschichte, Mundart, Brauch vom vor'gen Rom erkennet,
Was wirkt von beyden doch den nie versöhnten Zwist,
Daß dieser wenig denkt, und jener wenig liest?
Der nur auf Worte sieht, und jener nur auf Sachen,
Und jeder rühmlich hält, den andern zu verlachen?
Du, der du beyder Werth durch Fleiß und Witz erkennst,
Und beyden gleich zu seyn, von edlem Eifer brennst,
O Carpzov, sag' es mir, ob wohl mein rauhes Dichten
Den wahren Grund erklärt? Du kannst noch billig richten.
Ihr, die ihr einst gestärkt von Rom und Griechenland,
Die wilde Barbarey durch kühnen Fleiß verbannt,
O wollt uns doch von euch das edle Beyspiel lehren,
Die Werke jener Zeit gebührend zu verehren!
Der Mönche dummen Witz habt ihr von uns entfernt,
Zur Hohheit erst die Bahn den Alten abgelernt,
Und ihren Werth erkannt, aus unbewegten Gründen,
Gelehrt, sie zu verstehn, und zärtlich, zum Empfinden.
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Ihr lerntet Sprach und Brauch, die Schriften zu verstehn:
Die Schriften liest man jetzt, um Sprach und Brauch zu sehn.
Wenn hier des Römers Mund verfolgte Tugend schützet,
Der voll gerechten Zorns auf Catilina blitzet,
Bald uns die Kunst erklärt, durch die er Rom regiert,
Bald zu der Weisheit uns durch gründlich Zweifeln führt;
Wer ist es, der ihm folgt, und in dem theuren Werke
Vom Weisen denken lernt, und fühlt des Redners Stärke?
Wozu gebraucht man es? Um ängstlich nachzusehn,
Ob diese Worte wohl in dieser Ordnung stehn?
Ob man die Spuren noch von jenem Brauche finde?
Ob er sich auf ein Stück vergeßner Rechte gründe?
Doch nein, ich irre mich. Hat nicht ein jedes Wort
Schon im Nizolius den angewies'nen Ort?
Pitisci Lexicon ist ja in allen Händen,
Es sind Register g'nug bey Grävens ew'gen Bänden.
Nur diese schlägt man auf. Was hilft uns Tullius,
Als daß man noch sein Buch zum Staate zeigen muß?
Man braucht ihn wahrlich nicht, um sich gelehrt zu nennen.
Was braucht man sonsten? das A B C zu kennen.
Unwissend eitler Fleiß, da man mit Schaalen spielt,
Und nie den innern Reiz von alten Schriften fühlt.
Dies ist auch Dessen Fleiß, der sucht den Fleiß zu fliehen,
Gelehrt zwar heißen will, doch sich nicht will bemühen,
Wenn eines Alten Werk aufs prächtigste geschmückt,
Mit Noten überschwemmt, aus Holland wird geschickt,
Wie eilt er, diesen Schatz am ersten zu besitzen!
Zur Zier des Bücherschranks wird er ihn meistens nützen.
Vergnügt, wenn er das Buch an seinen Ort gesetzt,
Hat er durch Lesen nie den schönen Band verletzt.
Zu mühsam wär es ihm, sollt er sich unterwinden,
Vor den Erklärungen den Text und Sinn zu finden.
Und wozu braucht er es? Noch allzu großer Fleiß,
Wenn vom Heineccius er manche Stücke weiß,
Gravinens Werke kennt, was vom Sigon' gehöret,
Und aus der Endung us die großen Namen ehret.
Doch wenn er überdies noch auf französisch flucht,
Was wär er, würde nicht von ihm Paris besucht?
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Da lernt er erst genau die Alterthümer kennen,
Und kann mit Rechte sich gelehrt und artig nennen,
Daß, wenn der Doctorhut das weise Haupt geschmückt,
Sein reizend Etwas bald das reichste Kind entzückt.
Auf einmal wird nunmehr der saure Fleiß beschlossen,
Der wohlverdiente Lohn in edler Ruh' genossen,
Gesellschaft, Spiel und Lust beschäft'gen ihn allein,
Und daß an seiner Art kein Mangel möge seyn.
So lernt, so lebet man, so muß man jetzo leben,
Will man zu unsrer Zeit nach Ruhm und Glücke streben.
Ist's Wunder, daß ein Geist, dem die Vernunft gefällt,
Gelehrte dieser Art nicht für Gelehrte hält?
Und lacht, wenn man, bemüht mit lauter Kleinigkeiten,
Sich bey der Nachwelt glaubt ein Denkmal zu bereiten,
Nur diese trifft sein Spott, nicht Männer, deren Fleiß
Den Geist der Alten kennt, und ihn zu brauchen weiß.
Und eben der verlacht das Heer von kleinen Seelen,
Das Eitelkeit nur reizt, zu Weisen sich zu zählen,
Das stets von Wahrheit spricht, und von Philosophie,
Und prahlt mit der Vernunft, und kennt und braucht sie nie.
Den halbverstandnen Satz dem Lehrer nachzusprechen,
Ist ihre ganze Kunst. Nie sehn sie seine Schwächen.
Beweis ist, daß Er's sagt. Sein Ausspruch macht sie kühn,
Und voll von Wissenschaft mit wenigem Bemühn.
Nie werden sie den Blick auf alte Schriften wenden,
Denn alle Weisheit steht in Wolfens dreyßig Bänden.
Was hilft es ihnen wohl, von Rom und von Athen,
Mit Arbeit ohne Nutz die Schriften durchzugehn?
Zumal wenn sie mit Noth noch Griechisch können lesen,
Und nie ein römisch Buch ihr großer Freund gewesen;
Dann lachen sie mit Recht, wenn einer Sylben sticht,
Und mehr wie Tullius, als wie Fonseca spricht.
Dies ist des Streites Quell und trennt die beyden Heere.
Eins hat in Jena Ruhm, und eins in Leipzig Ehre 2,
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Der will kein Barbar seyn, und der kein Wörterheld,
Der schmäht die Kritiker, und Der die beste Welt.
O daß ein Jeder recht, was er bekämpft, verstände!
Dies machte sie geschickt, und ihrem Zank ein Ende.
Wenn einst Colifichet die Hoffnung übersteigt,
Durch ein unsterblich Werk sich den Gelehrten zeigt,
Was schenkt uns nicht sein Fleiß für nie gesehne Schätze
Durch nützliches Bemühn! Hier ist ein alt Gesetze,
Tribonian giebt selbst davon nicht viel Bericht:
Vielleicht verachtet er's, vielleicht wußt er es nicht;
Ein großer Gegenstand! dies kann vortrefflich heißen,
Es der Vergessenheit erst jetzo zu entreißen.
Zeit, Ursprung, der Tribun, der es dem Volke rieth,
Die Worte, Dauer, Fall, hat Alles ihn bemüht,
O wichtiges Verdienst! Wer kann ihn wohl belohnen?
Er fand auch wahrlich nicht, was Kinder an den Bohnen,
Wenn dorten V W X durch zweyer Jahre Fleiß
So viel Philosophie, als selbst sein Lehrer weiß,
Auch von der Meßkunst noch den vierten Theil gehöret,
(Daß er Magister ward, hat ihn darin gestöret)
Und weiset, was bisher ihm sein Bemühn genützt:
Denn fiele Grotius, hätt' er ihn nicht gestützt.
Begriffe, die nur er an diese Wörter bindet,
Die sind's, worauf er sich mit falschen Schlüssen gründet.
Er dehnt und quälet sich, bis er den Wunsch gestillt,
Aus dem erlauchten Drey zween Bogen angefüllt 3.
Ein Jeder wird von den des Andern Thorheit lachen,
Und selbst sich lächerlich durch eigne Fehler machen.
Ach daß mein Dichten doch, zum Loben allzu matt,
Nur für die Spötterey noch wildes Feuer hat!
Und es nicht wagen darf, nach Jener ihren Bildern,
Ein edler Bild in dir, mein Carpzov, abzuschildern.
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Von dir wird Livius und Wolf zugleich geschätzt,
In dir ist beyder Werth aus Kenntniß fest gesetzt.
Bewiesen, nicht erzählt, liebst du der Weisheit Lehren,
Vernunft, nicht Vorurtheil, heißt dich die Alten ehren.
Catull giebt dir den Klang der röm'schen Lieder an,
Den Klang, den nie der Schwarm von Sängern treffen kann,
Der nur noch Lob verdient, weil er lateinisch singet,
Durch deutsches Dichten nicht den Deutschen Schande bringet.
Noch Eins verschweig' ich nicht, was mich an dir ergötzt,
Daß Leipzig dich gezeugt, der auch die Meßkunst schätzt,
Nicht, wenn sein fauler Fleiß ihn nur gelehrt zu prahlen,
Zeigt seinen Unverstand, und spottet Strich und Zahlen.
Die Männer, deren Geist durch eifriges Bemühn
Macht unsers Leipzigs Ruhm bey fernern Völkern blühn,
Die dich auch bis hieher gelehret und geführet,
Die geben dir den Lohn, der niemals Faule zieret.
Erfülle, was man jetzt voll Hoffnung noch begehrt:
Sey deines Vaterlands und deiner Väter werth.

Fußnoten

1 Jetziger Abt zu Königslutter, Professor der Gottesgelahrtheit zu Helmstädt

. 2 Man erinnere sich bey Geschichterzählungen der Chronologie.

3 Er hatte drey von ihm sogenannte Viros illustres bey Abschreibung seiner Disputation gebraucht: der erste war Wolf, die andern beyden aber bey Wolfen kleine Lichterchen.

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TextGrid Repository (2012). Kästner, Abraham Gotthelf. Gedichte. Lehrgedichte. 8. Ueber die gegenseitige Verachtung der Philosophen und Kritiker. 8. Ueber die gegenseitige Verachtung der Philosophen und Kritiker. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9538-A