Nacht im Zeughaus

1

Bleich beglänzte Wolkenscharen
Draußen durch die Mondnacht fahren,
Ungewisse Lichter fallen
Hier in diese grauen Hallen.
Schwert an Schwert und Lanz an Lanze
Reihen sich mit düsterm Glanze,
Banner, braun vom Schlachtenwetter,
Rascheln da wie Herbstesblätter.
Licht aus heller Jugendferne,
Seid gegrüßt, ihr Morgensterne,
Und auch ihr mit tausend Scharten:
Äxte, Schilde und Halmbarten!
[261]
Eisenhüllen, dunkel schimmernd,
Gleich verglühten Sonnen flimmernd,
Steht ihr da, des Kerns Beraubte,
Brust an Brust und Haupt an Haupte!
Die euch ehrne Chrysaliden
Sich zum Kleide mochten schmieden,
Sind die Falter ausgeflogen?
Sagt, wo sind sie hingezogen?
Und in welcher Schöpfungsweite
Stehn die Helden jetzt im Streite?
Sieht man sie im Feld marschieren
Unter fliegenden Panieren?
In gedrängten Männerhaufen
Stürmend an die Feinde laufen
Und Dämonenheere schlagen,
Ew'ge Freiheit zu erjagen?
Schweigen herrscht – sie ruhn im Frieden;
Tatenfroh sind sie geschieden,
Ließen stolz und reich im Sterben
Land und Freiheit ihren Erben.

2

Doch was will sich hier begeben?
Fängt das Erz nicht an zu leben?
Leise klirrt es auf und nieder,
Und was hohl war, füllt sich wieder!
Aber statt der tapfern Alten
Seh ich Schlimmes sich gestalten:
[262]
Grause Larven, kaum zu glauben,
Grinsen aus den Eisenhauben!
Und es raunt aus allen Ecken
Ein Gelächter mir zum Schrecken;
Wechselnd flirrt es auf den Schilden
Wie von tausend Fratzgebilden.
Sind vom Hause fort die Katzen,
Tanzen auf dem Tisch die Ratzen.
Traurig in dem wärmelosen
Zwielicht flammen Schwerterrosen.

3

Auf der hölzern Trommel sitzet,
Wert, daß man die Zung ihm schlitzet,
Dort ein altes Weib mit Gleißen:
Schwätzerei wird es geheißen!
In der Schürze einen Knäuel
Birgt es von verworrnem Greuel,
Brandraketen, Schwefelschnüre:
Mißtraun, Furcht und Meineidschwüre.
Das Verdächtigungsgeräte,
Des Gerüchtes Blechtrompete,
Abgenutzt und neu doch täglich,
Schund und Trödelei unsäglich!
Eine Brille auf der Nase,
Eulenhaft, von blindem Glase,
Lauert es und spioniert es,
Keift und schreit und peroriert es.

[263] 4

Aus der schwarzen Riesenrüstung,
Lehnend an der Fensterbrüstung,
Scheint mir mit verwesungsgrauen
Zügen ein Gespenst zu schauen.
Frecher Hohn glüht aus den Augen,
Die nur Gott zu kränken taugen,
Auf dem Mund ein lächelnd Schweigen,
Wie es der Verleumdung eigen,
Wenn ihr Pfeil ist abgeschossen
Und die Unsaat draus entsprossen –
An der Hüfte mittlerweile
Hängt der Köcher noch voll Pfeile.
Droht es so ins Horn zu blasen,
Zitternd laufen Füchs und Hasen,
Selbst die starken Löwen kneifen
Aus mit eingezognen Schweifen.

5

Angetan mit rost'gen Waffen
Seh ich einen fahlen Affen,
Schielen eine Affenschande:
Bruderneid im Vaterlande!
Bruderneid auf freier Erde,
Der mit knechtischer Gebärde
Mürrisch auf der Hofstatt lungert,
Nach des Nachbars Äpfeln hungert.
[264]
Einen Raub an seinem Leben
Schilt er jedes Wohlergehen,
Grimmig schlägt dem eignen Enkel
Er vom Kruge weg den Henkel.

6

Holzgeschnitzte Bilder prangen
Blinden Augs, gemalt die Wangen:
Dieses sind die toten Ehren,
Die vom Eigenruhme zehren!
Hoch vom Helme nicket jeder
Die vergilbte Straußenfeder,
So am Flamberg aufgetakelt
Selbstvergnügt die Puppe wackelt:
»Ja, ich bin der große Veitel!
Auf der Welt ist alles eitel
Und am eitelsten ich selber,
Andre sind bescheidne Kälber!
Lob zu fangen, sind die Ohren
Reichlich groß mir angeboren;
Wische mir damit die Augen,
Wenn gerührt sie Wasser saugen!«

7

Seht die dürre Spielersippe:
Vier geharnischte Gerippe,
Mit der Klapperfaust, der harten,
Haun sie auf den Tisch die Karten!
[265]
Ihre Sanduhr ist zerbrochen,
Fort doch spielen diese Knochen,
Hohl die Schädel, drinnen nisten
Bettelhafte Spielerlisten.
Sau und Bube, Lumpentrümpfe,
Helfen ihnen auf die Strümpfe
So im Rat wie bei den Karten –
Nur nicht bei den Feldstandarten.
Und sie zählen falsch die Stiche,
Und sie schleichen ihre Schliche:
Übung, Übung macht den Meister!
Sprechen auch verlorne Geister.

8

So beginnt es rings zu leben,
Und die alten Spinnen weben,
Und die schwarzen Mäuse nagen,
Und ich wollt, es würde tagen!
Hielt den Teufel für gestorben,
Und nun spukt er unverdorben
Noch in diesen Mauerschlüften –
Bis der Zeugwart kommt, zu lüften!
Zeugwart ist der Herr der Stürme,
Der die Felsen bricht und Türme
Und der Torheit rohen Willen
Wird mit Bitternissen stillen!
Wehen wird's in Ungewittern,
Daß das Haus im Grund muß zittern
[266]
Und die Ziegel auf dem Dach
Klappern uns vor Ungemach!
Wohl uns, kann man alsdann sagen:
Die das Glück nicht mochten tragen,
Haben ihres Unsterns Nacht
Sich zum Morgenstern gemacht!

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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Nacht im Zeughaus. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9855-E