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Ich ging am grünen Berge hin,
wo sich der Weih im Äther wiegt
Und reisemüd der Sonnenstrahl
ausruhend auf der Quelle liegt,
Wo wilde Rosen einsam blühn,
die Föhre hoch den Gipfel kränzt
Und drüberhin noch eine Burg
von weißen Sommerwolken glänzt.
Ich dacht an dich, mein süßes Kind!
an unsrer Herzen stillen Schlag,
An unser heimlich Liebesband
und was daraus noch werden mag.
Ich dachte noch gar mancherlei,
was sehnend mir die Brust bewegt
Und was auch jetzt im Traum vielleicht
dein spiegelklar Gemüt erregt!
Und wie in solcher Weihezeit
mein Gott schon manchmal zu mir trat,
Erschien er jetzo in des Bergs
frisch jugendgrüner Eichensaat.
Der jungen Stämme schlanke Schar
umschwankte säuselnd seine Knie:
So groß und herrlich ging er her
vor meiner regen Phantasie!
[77]
Sein Haupthaar war wie Morgengold
und wallte gar so reich und schwer,
Und in den klaren Augen ruht'
ein ätherblaues Liebemeer;
Ein Regenbogen zog um ihn
als Gurt die edle Farbenlust;
Er trug 'nen weißen Blütenstrauß
von jungen Linden an der Brust.
Es traf mich seines Auges Strahl
wie warmer Sonnenschein im Mai,
Und als er meinen Namen sprach,
erhob mein Haupt ich stolz und frei:
Ich wuchs und blühte rasch empor,
daß ich mir selbst ein Wunder schien,
Und wandelte mit leichtem Schritt
an Gottes hoher Seite hin.
Und plaudernd nun erzählte ich
Gott all mein irdisch Tun und Sein:
Doch alles dies besteht ja nur
aus dir, du feines Kind, allein!
Aus vollem Herzen sprach ich drum
von dir; von dir die ganze Zeit.
Er aber spiegelt' lächelnd sich
in meiner frohen Seligkeit.
Dann trug ich ihm auch klagend vor,
wie ich so gar ein armes Blut,
Und bat darauf um Haus und Hof,
um Bett und Schrein, um Geld und Gut,
Um Garten, Feld und Rebenland,
um eine ganze Heimat traut,
Darin ich dich empfangen könnt
als reichgeschmückte werte Braut.
[78]
Es mußte doch einmal geschehn,
drum schilt mich nicht und werd nicht rot!
Hör an, wie mir der Herr für dich
gar eine schöne Mitgift bot!
Er sprach: »Zuwenig und zuviel
hast du verlangt, mein lieber Sohn,
Drum tu ich dir noch viel dazu
und nehm ein wenig auch davon!
Ich gebe euch nicht Haus und Hof,
doch meine ganze reiche Welt,
Darinnen ihr euch lieben könnt,
wie's euren Herzen wohlgefällt!
Zwei jungen Seelen ist zu eng
das größte Haus, sei's noch so weit:
Doch finden sie noch eben Raum
in meiner Schöpfung Herrlichkeit!
Der ganze Lenz soll euer sein,
so weit nur eine Blume blüht,
Doch nicht das allerkleinste Beet,
um das sich eine Hecke zieht!
Ich gebe euch kein Prunkgemach,
kein Silberzeug, kein Kerzenlicht,
Weil sich ob silbernem Bronnenschall
euch Stern an Stern zum Kranze flicht.
Und alles soll besonders blühn
und schöner für euch, wo ihr geht,
Dieweil euch in mein Paradies
ein eigen Pförtlein offensteht.
So führe deine junge Braut
getrost in deine Heimat ein;
Brautführer soll mein lieblichster
und allerschönster Frühling sein!
[79]
Die Armut sei die Ehrendam'
bei deines Herzens Königin,
Ihr hübscher, zarter Page sei
ein immergrüner Jugendsinn!
Zum Haushofmeister geb ich euch
ein leicht und fröhlich Gottvertraun,
Es ist ein klug erfahrner Mann,
dürft auf ihn wie auf Felsen baun!«
Ist unser Haus nicht gut bestellt
und auserlesen das Gesind?
So zaudre nun nicht länger mehr
und folge mir, du blödes Kind!
Ich glaub, auf deinen Wangen spielt
vom Morgenrot ein Widerschein:
Sobald die Sonn am Himmel steht,
will ich als Freier bei dir sein!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Gedichte. Gedichte. Siebenundzwanzig Liebeslieder. 11. [Ich ging am grünen Berge hin]. 11. [Ich ging am grünen Berge hin]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-98EE-5