[61] Siebenundzwanzig Liebeslieder

An meine Dame

Die in den Sternen strahlt, auf Meeren ruht,
Im Schmetterling von Blum' zu Blume schwebt
Und heiß aufatmet in des Ätna Glut!
Die wagend mit dem Aar zur Sonne strebt,
Die feurig in des Jünglings Adern wallt
Und sehnend in der Jungfrau Busen bebt!
Von meiner Heimat Bergen freudig schallt,
Wie auch im Tal der böse Feind mag toben;
In Deutschlands Eichen leise widerhallt!
Die unablässig alle Völker loben
Und schmählich doch verraten jeden Tag,
Jedoch von Gott getreulich aufgehoben,
Bis dich einst jeglich Herz erfassen mag,
O schönste Dame, die ich nicht will nennen,
Doch der da zittert meines Blutes Schlag:
Ich will vor dir ein Myrtenreis verbrennen,
Ein abgedorrtes aus der Jugendzeit,
Dir meinen zarten Morgentraum bekennen!
Wem hätt ich besser auch dies Lied geweiht
Als dir, du Gotteskind, das man mit Recht
Dem Lieblichsten, den Frauen, angereiht?
Nicht weiß ich wahrlich, ob der Fraun Geschlecht
Dich zieret oder du ihm Zierde bist:
Doch immer bin ich euer beider Knecht,
Und euch vereint mein Lied gesungen ist!

[62] 1

Ich will spiegeln mich in jenen Tagen,
Die wie Lindenwipfelwehn entflohn,
Wo die Silbersaite, angeschlagen,
Klar, doch bebend, gab den ersten Ton,
Der mein Leben lang,
Erst heut noch, widerklang,
Ob die Saite längst zerrissen schon!
Wo ich ohne Tugend, ohne Sünde,
Blank wie Schnee, rein vor der Sonne lag;
Wo dem Kinderauge noch die Binde
Lind verbarg den blendend hellen Tag!
Du entschwundne Welt,
Klingst über Wald und Feld
Hinter mir, wie ferner Wachtelschlag!
Wie so fabelhaft ist hingegangen
Jene Zeit voll zarter Frühlingspracht,
Wo, von Mutterliebe noch umfangen,
Schon die Jugendliebe leis erwacht',
Wie, vom Sonnenschein
Durchspielt, ein Edelstein,
Den ein Glücklicher ans Licht gebracht.
Und die weiße Rose in der Mitte,
Tat sich auf der ganze Blumenflor,
Blühte und erstarkte jede Sitte,
Und die Hoffnung stand am Lebenstor.
Alles wundert' sich,
Ich aber freute mich,
Bis den Talisman ich selbst verlor!
[63]
Wenn ich scheidend einst muß überspringen
Jene Kluft, die keine Brücke trägt,
Wird mir nicht ein Lied entgegenklingen,
Das bekannt und ahnend mich erregt?
O die Welt ist weit!
Ob nicht die Jugendzeit
Irgendwo noch an das Herz mir schlägt?
Träumerei! Was sollten jene hoffen,
Die nicht sahn der Jugend Herrlichkeit?
Die ein unnatürlich Los getroffen,
Frucht zu bringen ohne Blütenzeit!
Ach, was man nicht kennt,
Darnach das Herz nicht brennt
Und bleibt kalt dafür in Ewigkeit!
In den Waldeskronen meines Lebens
Säusle fort, du kühles Morgenwehn!
Leuchte hell, o Sonne meines Strebens,
Ich will treu in deinem Scheine gehn!
Rankend Immergrün
Soll meinen Stab umblühn,
Doch noch einmal will ich rückwärts sehn!

2

Durchs Frührot zog das Wolkenschiff
vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein träumend Schülerkind,
im morgenstillen Felde lag;
Ein Falter streifte meine Stirn,
und vor mir eine Lilie stand;
[64]
Ich aber schaute drüber hin
ins tiefe blaue Morgenland.
Das ganze Erdreich schwoll empor
in tausendfacher Blütenlust;
Doch mächtiger schwoll Traum an Traum
und Bild an Bild aus meiner Brust:
Das war die duftige Kinderwelt,
an deren Scheide ich mich fand,
Die wie die erste Blüte sich,
am Lebensbaume, mir entwand!
Sie baute sich noch einmal auf,
mit letztem Glanz, im letzten Flor;
Ein lieblich wunderlicher Bau,
ein Feentempel stieg empor
Von hundert Säulchen, zart wie Glas,
Altärlein, Nischen – Bildchen drin,
Bepriestert war das Wunderhaus
nach mystisch heil'gem Kindersinn.
Und mitten in dem Tempel stand,
durchsichtig, ein kristallner Sarg,
Der eine rosenrote Frau,
auf Feuerlilien schlafend, barg.
Vier Riesen lagen um den Schrein
mit schlummernden Falken auf der Faust;
Sie nickten oft im Morgenwind,
der ihnen um die Schläfe braust'.
Da ging die Sonne flammend auf
und schmolz den Tempel auf den Grund,
Nur in der wehenden Asche noch
der Schrein mit seinen Hütern stund;
[65]
Worauf der wärmste Sonnenstrahl
den Deckel von Kristall erschloß,
So daß der rosigen Schläferin
der Tag sich in die Augen goß.
Und auch die Riesen wachten auf
die sandten ihre Falkenzucht
Aus in den goldenen Morgenschein
nach aller Winde fröhlicher Flucht.
Sie stiegen auf ins Ätherblau
und brachten in einem Augenblick
Der Dame im kristallnen Sarg
eine scheue weiße Taube zurück.
Halb Kind, halb Jüngling, träumend noch,
fand ich die Liebe im Morgentau;
Ich trug sie singend in der Brust,
heimkehrend von der funkelnden Au.
Ein neuer Mensch, trat ich ins Haus
und fand das lockige Mädchen da,
Das schüchtern mir und ungewohnt,
wegfliehend in die Augen sah.
O süße Stunde, die das Herz
vom Herzen voller Sehnsucht reißt!
O Trennung, die schon im Entstehn
auf schrankenlos Vereinen weist!
Zieht ein mit eurem ganzen Hof,
o Liebesweh, o Seligkeit!
Zieht klingend ein, hier ist für euch
ein offnes Feld und gute Zeit!

[66] 3

Sitzt man mit geschloßnen Augen
Einsam in dem dunklen Zimmer,
Blitzt oft durch die zarten Lider
Plötzlich roter Kerzenschimmer;
Weiß ich doch, daß Sonnenstrahlen
Durch die Augendeckel dringen
Und in flimmernden Gebilden
Sich um unsre Seele schlingen.
Also saß ich in der Dämmrung,
Müd von Erdenlärm und Staube,
Eingelullt vom Abendrote,
Schlummernd in der grünen Laube:
Da begann von Licht und Blumen
Gar ein seltsam schimmernd Weben
Und ein Ranken um die Augen
Wie von goldnen Zauberreben.
Rote Rosen, weiße Rosen,
Primeln, Tulpen und Narzissen,
Dahlien von hundert Farben
Sah ich durcheinander sprießen!
Purpur, Gold, Azur und Silber
Flimmerten in Wechseltönen,
Lila, Rosa, heitres Meergrün
Mußten Glanz mit Glanz versöhnen!
O das war ein prächt'ger Reigen,
Wie die Farben all ihn tanzten,
Wie die Btütenstern' und -glocken
Ringelnd sich in Beete pflanzten! –
Aber in den Wundergarten
[67]
Senkte eine Jakobsleiter
Von zwei Strahlen sanft sich nieder
Aus zwei Sternen, bläulich heiter!
Kleine blonde Liebesengel
Schwebten daran auf und nieder,
Stiegen in den Sternenhimmel,
Kehrten in mein Herze wieder;
Weckten andre hübsche Knaben,
Die darinnen träumend schliefen
Und darauf mit ihnen spielend,
Kosend durch die Blumen liefen.
Und die aus dem Himmel kamen,
Wollten meines Herzens Kinder
Ringend mit sich aufwärts ziehen;
Aber diese auch nicht minder
Hielten stand und kämpften wacker,
Als sie jene dicht umschlangen,
Hielten sie in meines Herzens
Tiefstem Grunde bald gefangen!
Oben an der Himmelsleiter
Eine klare Seele schwebte,
Die halb zornig, halb mit Lächeln
Sie zurückzulocken strebte;
Doch es schien mir im Gefängnis
Ihnen leidlich zu gefallen;
Denn ich sah, der Herrin trotzend,
Bunt sie durcheinanderwallen!
Und sie mußte sich bequemen,
Endlich selbst herabzusteigen,
Sah sich plötzlich dann gefangen
[68]
Mitten in dem frohen Reigen.
Doch für all den Liebesjubel
Ward mein Herz zu eng und nieder:
Klingend sprangen auf die Pforten,
Sprangen auf die Augenlider!
Sieh! da standest du, auf meine
Schläferaugen schweigsam schauend,
Vorgebogen, unbefangen,
Auf den festen Schlaf vertrauend;
Wurdest rot und flohst vorüber,
Ungeschickt ein Liedlein summend
Und vergeblich dein Geheimnis
In der Dämmerung vermummend!
Fliehe nur, verratne Seele,
Trostlos durch des Gartens Blüten!
Such dir beßre Zauberdrachen,
Deines Busens Schatz zu hüten!
Töricht Kind! nun magst du immer
Dreifach mir dein Herz verschließen:
Unerbittlich seh ich innen
Für mich rote Rosen sprießen!

4

Nun in dieser Frühlingszeit
Ist mein Herz ein klarer See,
Drin versank das schwere Leid,
Draus verdampft das leichtre Weh.
Spiegelnd mein Gemüte ruht,
Von der Sonne überhaucht,
Und mit Lieb umgießt die Flut,
Was sich in dieselbe taucht.
[69]
Aber aus dem Grunde sprüht
Überdies ein Quell hervor,
Welcher heiß lebendig glüht
Durch die stille Flut empor.
Und im Quelle badest du,
Eine Nix mit goldnem Haar!
Oben deckt den Zauber zu
Das Gewässer, glatt und klar.

5

Viele Wochen sind entflohn,
Seit ich dich gesehen;
Hab auch lange Tage schon
Keine Blum' gesehen!
Keine Blumen und kein Lieb –
Ach was soll das werden?
Was soll aus dem Frühlingstrieb
In mir innen werden?
Zwar noch stets der Lenz erschien,
Seiner bin ich sicher;
Wüßt ich nur, was ich dir bin,
Wär ich doppelt sicher!
Eine Rose und ein Blick
Deiner lieben Augen
Wäre wohl ein zartes Glück
Mir für Herz und Augen!

[70] 6

Wohl ist die Lilie wunderbar,
Wenn stolz sie sich im Garten wiegt,
In ihrem Kelche sonnenklar
Langsam der Morgentau versiegt;
Doch mag ich gehn und wandern,
So weit nur Lilien stehn:
Ist keine vor der andern
Mit höherm Schmuck versehn!
Von Glanz und Lust und Klarheit voll
Ist alle diese reiche Welt;
Weiß nicht, wo ich mich wenden soll,
Daß Schönheit nicht sich vor mich stellt.
Nur du, nur du alleine
In all der Zier und Pracht
Gleichst noch dem Mondenscheine
In heitrer Sternennacht!
O lieblichste Vollkommenheit,
Die niemand, als mein Herz, erkennt!
Wer hat dies stille Licht geweiht,
Das nur für mich im Weltall brennt?
Ich fühl es stärker immer,
Daß dieser reine Strahl,
Daß dieser eigne Schimmer
Nicht ist zum zweiten Mal!
Das ist nicht Zufall, nicht Natur,
Was aus den blauen Augen strahlt!
Das ist der Gottheit Sonnenspur,
Die sich in dieser Seele malt!
Ich ahn es licht und lichter,
[71]
Mein Herz, nun gib es zu:
Hier ist ein andrer Dichter
Und mächtiger als du!

7

Von heißer Lebenslust entglüht,
Hab ich das Sommerland durchstreift;
Drob ist der Tag schön abgeblüht
Und zu der schönsten Nacht gereift.
Ich trete auf des Berges Rücken
Einsam ins offne Waldestor
Und beuge mich mit trunknen Blicken
Hoch in die stille Landschaft vor.
Am andern Hügel drüben steht
Im Sternenschein das liebe Haus;
Aus seinem offnen Fenster weht
Ein Vorhang in die Nacht hinaus.
Das ist fürwahr ein luftig Gitter,
Das mir mein Fräulein dort verschließt!
Nur schade, daß mir armem Ritter
Der Talstrom noch dazwischen fließt!
Zieh du für mich, mein leichter Sang,
Hinüber an der Liebsten Brust!
Vielleicht trägt ihr dein ferner Klang
Zu Herzen meine Dichterlust!
Ja, ich will ihr ein Ständchen bringen,
Das weithin durch die Lüfte schallt:
So spiele du zu meinem Singen,
O Sommernacht, auf Tal und Wald!
[72]
Dein Saitenspiel im Tale liegt,
Die feinen Silberbrünnlein all;
Den Tann, der auf den Höhn sich wiegt,
Laß rauschen drein, wie Orgelschall!
Das Elfensummen und das Kosen,
Das schwellend alle Kelche regt,
Vereine mit des Stromes Tosen,
Der seine Wogen talwärts trägt!
Im Süden zieht ein Wetter auf,
Schnell werb ich's für mein Ständchen an;
Doch nehm es fernhin seinen Lauf,
Daß ich es übertönen kann!
Die Mühlen sind die Hackbrettschläger
Zuhinterst in des Tales Grund,
Die Sterne meine Fackelträger,
Sie leuchten mir im weiten Rund!
Nun will ich singen überlaut
Vor allem Land, das grünt und blüht!
Es ist kein Baum so hoch gebaut,
Darüberhin mein Sang nicht zieht;
Will eine Liederbrücke schlagen
Aus meiner Brust in ihre Brust:
Herz! wandle drauf, bis es will tagen,
Und wecke sie zu gleicher Lust!

8

O Leib meiner Dame, du köstlicher Schrein,
Wo Gott seine köstlichste Perl' legt' hinein!
Nun ruhst du und schläfst du, doch in dir erstrahlt
Die träumende Perle im sonnigsten Schein!
Den zartesten Liliengeist bergender Kelch,
[73]
Des reinsten Gedankens still blühendes Sein:
O wär ich, du Kleinod, dein Schatzmeister nur,
Dürft ich mich, du Blume, zum Gärtner dir weihn!
Mit Liebe umschließen dich innig und fest,
Wie treu schützend Gold einen funkelnden Stein!
Dann trüg ich die Erde, den Himmel, die Welt
Beisammen als Herzschmuck, geläutert und rein;
Dann tränk ich die klareste Seele aus dir,
Du zierlicher Becher, wie perlenden Wein!
Schlaf sanft und schlaf selig, du köstlicher Leib,
Indessen ist träumend die Seele ja mein!

9

Es bricht aus mir ein bunter Faschingszug
Und zieht dahin mit tönendem Gepränge;
Talüber wallt im luftigen Gedränge
Ein Bilderreigen, mein Gedankenflug!
Wie spielend sie die Luft hinübertrug,
So ranken sich, ein üppig Laubgehänge,
Bis auf zum Giebel, meine Nachtgesänge
Rings um ihr Haus, ein zauberischer Trug!
Es rauscht und schwillt und bricht ins Schlafgemach
Und singt und klingt die reine Seele wach,
Betäubt tritt sie in meine Blumenschlingen!
Nun ist es Zeit, mein Herz! mach dich hinzu!
Nachtwandelnd weiß sie's nicht und lauscht in Ruh:
Kannst alles, alles ihr zu Ohren bringen!

[74] 10

Hör an, mein Kind, was ich dir kosend sage,
Wie mich ein Traum betrog so wunderbar:
Es war an einem stillen Feiertage,
Als ich mit dir bei Gott im Himmel war.
Er schaute eben noch vom Taubenschlage
Aus in die Sonntagswelt, so weit und klar,
Und ob dem fernen Glockenklang allmählich
Entschlief er auf ein Stündchen sanft und selig.
Man hörte kaum die Menschen unten singen,
Im Himmel aber war es still und leer;
Nur an der Sternenuhr das Pendelschwingen
Klang langsam und gemessen hin und her,
Und mäuschenstill, in seligem Umschlingen,
Sah ich in deines Augs urtiefes Meer;
Da hatte plötzlich ich den Mut gefunden:
Bat um den ersten Kuß dich unumwunden!
»Um dreie von den Sternen, die dort schweben,
Geb ich dir, Lieber, meinen ersten Kuß!«
So sagtest lächelnd du, mein süßes Leben;
Ich aber eilte, schon im Vorgenuß,
Die Goldnen aus den Angeln zu erheben,
Und brachte sechse dir zum Überfluß;
Du aber drauf: »Wie mich die Dinger laben!
Um noch zwölf andre sollst den Kuß du haben!«
So ging es fort; verdoppelt immer wieder
Erhöhtest du den teuren Liebespreis;
Und zwiefach dürstend holte ich hernieder
Dir Stern um Stern aus ihrer Brüder Kreis.
Du schmücktest emsig deine schönen Glieder,
[75]
Verlachend heimlich meinen heißen Fleiß;
Und zu erkaufen meine höchste Wonne,
Blieb mir am Ende nur noch Mond und Sonne!
Ich brachte sie; und um die Stirne hingest
Die helle Sonne du mit stolzer Lust,
Mit Sternen du den Schwanenhals umfingest,
Der Mond erstrahlte mild an deiner Brust;
Dann himmelauf und -ab du dich ergingest,
All deiner Schönheit siegreich dir bewußt!
Von dir allein nun strömte alle Helle,
Ich lag vor dir als vor des Lichtes Quelle!
Der Himmel ruhte noch im tiefsten Schweigen,
Wie vor dem Jüngsten Tag ein stilles Grab;
Und eben wolltest du dich selig neigen,
Gerührt, bezwungen, sanft auf mich herab,
Die süße Gunst mir endlich zu erzeigen,
Wofür ich Sterne, Sonn und Mond dir gab:
Da brach ein Angstschrei durch des Himmels Hallen,
Als wollt die Welt aus ihren Fugen fallen.
Indem ich dir den Sternenschmuck errungen,
Hatt ich die Welt um Licht und Zeit gebracht;
Des hatte sich die Klage aufgeschwungen,
Und schreiend lag die Erde in der Nacht.
Der erst so friedlich in den Schlaf gesungen,
Gott Vater ist da zornig aufgewacht,
Verweisend mich an meiner Schulter rüttelnd;
Du flohst davon, den Schimmer von dir schüttelnd!
Du flohst davon und lachtest mit Behagen,
Indessen ich mit saurem Schweiß begann,
Die Sterne wieder alle fortzutragen,
[76]
Und sie zu ordnen mühsam mich besann.
So hatte sich der Handel schon zerschlagen,
Von welchem ich so bösen Lohn gewann!
Heut ist an dir das Träumen und das Dichten:
Willst du mir nun die süße Schuld entrichten?

11

Ich ging am grünen Berge hin,
wo sich der Weih im Äther wiegt
Und reisemüd der Sonnenstrahl
ausruhend auf der Quelle liegt,
Wo wilde Rosen einsam blühn,
die Föhre hoch den Gipfel kränzt
Und drüberhin noch eine Burg
von weißen Sommerwolken glänzt.
Ich dacht an dich, mein süßes Kind!
an unsrer Herzen stillen Schlag,
An unser heimlich Liebesband
und was daraus noch werden mag.
Ich dachte noch gar mancherlei,
was sehnend mir die Brust bewegt
Und was auch jetzt im Traum vielleicht
dein spiegelklar Gemüt erregt!
Und wie in solcher Weihezeit
mein Gott schon manchmal zu mir trat,
Erschien er jetzo in des Bergs
frisch jugendgrüner Eichensaat.
Der jungen Stämme schlanke Schar
umschwankte säuselnd seine Knie:
So groß und herrlich ging er her
vor meiner regen Phantasie!
[77]
Sein Haupthaar war wie Morgengold
und wallte gar so reich und schwer,
Und in den klaren Augen ruht'
ein ätherblaues Liebemeer;
Ein Regenbogen zog um ihn
als Gurt die edle Farbenlust;
Er trug 'nen weißen Blütenstrauß
von jungen Linden an der Brust.
Es traf mich seines Auges Strahl
wie warmer Sonnenschein im Mai,
Und als er meinen Namen sprach,
erhob mein Haupt ich stolz und frei:
Ich wuchs und blühte rasch empor,
daß ich mir selbst ein Wunder schien,
Und wandelte mit leichtem Schritt
an Gottes hoher Seite hin.
Und plaudernd nun erzählte ich
Gott all mein irdisch Tun und Sein:
Doch alles dies besteht ja nur
aus dir, du feines Kind, allein!
Aus vollem Herzen sprach ich drum
von dir; von dir die ganze Zeit.
Er aber spiegelt' lächelnd sich
in meiner frohen Seligkeit.
Dann trug ich ihm auch klagend vor,
wie ich so gar ein armes Blut,
Und bat darauf um Haus und Hof,
um Bett und Schrein, um Geld und Gut,
Um Garten, Feld und Rebenland,
um eine ganze Heimat traut,
Darin ich dich empfangen könnt
als reichgeschmückte werte Braut.
[78]
Es mußte doch einmal geschehn,
drum schilt mich nicht und werd nicht rot!
Hör an, wie mir der Herr für dich
gar eine schöne Mitgift bot!
Er sprach: »Zuwenig und zuviel
hast du verlangt, mein lieber Sohn,
Drum tu ich dir noch viel dazu
und nehm ein wenig auch davon!
Ich gebe euch nicht Haus und Hof,
doch meine ganze reiche Welt,
Darinnen ihr euch lieben könnt,
wie's euren Herzen wohlgefällt!
Zwei jungen Seelen ist zu eng
das größte Haus, sei's noch so weit:
Doch finden sie noch eben Raum
in meiner Schöpfung Herrlichkeit!
Der ganze Lenz soll euer sein,
so weit nur eine Blume blüht,
Doch nicht das allerkleinste Beet,
um das sich eine Hecke zieht!
Ich gebe euch kein Prunkgemach,
kein Silberzeug, kein Kerzenlicht,
Weil sich ob silbernem Bronnenschall
euch Stern an Stern zum Kranze flicht.
Und alles soll besonders blühn
und schöner für euch, wo ihr geht,
Dieweil euch in mein Paradies
ein eigen Pförtlein offensteht.
So führe deine junge Braut
getrost in deine Heimat ein;
Brautführer soll mein lieblichster
und allerschönster Frühling sein!
[79]
Die Armut sei die Ehrendam'
bei deines Herzens Königin,
Ihr hübscher, zarter Page sei
ein immergrüner Jugendsinn!
Zum Haushofmeister geb ich euch
ein leicht und fröhlich Gottvertraun,
Es ist ein klug erfahrner Mann,
dürft auf ihn wie auf Felsen baun!«
Ist unser Haus nicht gut bestellt
und auserlesen das Gesind?
So zaudre nun nicht länger mehr
und folge mir, du blödes Kind!
Ich glaub, auf deinen Wangen spielt
vom Morgenrot ein Widerschein:
Sobald die Sonn am Himmel steht,
will ich als Freier bei dir sein!

12

Die Sonne fährt durchs Morgentor
Goldfunkelnd über den Bergen,
Und, wie zwei Veilchen im frühen Mai,
Zwei blaue Augen, klar und frei,
Die lachen auf ihren Wegen
Geöffnet ihr entgegen!
Glück auf! mein Liebchen ist erwacht
Mit purpurroten Wangen!
Ihr Fenster glitzert im Morgenstrahl,
Und alle Blumen in Garten und Tal
Erwarten sie mit Sehnen,
Die Äuglein voller Tränen.
[80]
Es ist nichts Schöneres in der Welt
Als diese grüne Erde:
Wenn man darauf ein Schätzlein hat,
Das still und innig, früh und spat
Für einen lebt und blühet,
Ein heimlich Feuerlein, glühet!
Hallo, du schläfriger Jägersmann,
Wie reibst du deine Augen!
Ich hab die ganze Nacht durchschwärmt
Und mich am Mondenschein gewärmt
Und steige frisch und munter
Von meinem Berg herunter!
Mein Mädchen durch den Garten geht
Und singt halblaute Weisen;
Mich dünkt, ich kenne der Lieder Ton:
Was gilt's, ich habe sie alle schon
Heut nacht dort oben gesungen?
Sie sind herübergeklungen!

13

Du willst dich freventlich emanzipieren
Und aufstehn wider mich mit keckem Sinn,
Aufs eigne Fäustchen deine Wirtschaft führen,
Du schöne kleine Jakobinerin?
Zur Politik nun auch dein Wörtlein sagen,
Aus trauter Kammer in den Ratsaal fliehn?
Wohl gar mit weicher Hand die Trommel schlagen,
Wann einst wir gegen die Tyrannen ziehn?
[81]
Berufest dich auf meine eignen Lehren
Von Freiheit, Gleichheit und von Menschenrecht?
O laß, mein Kind, mit Küssen dich bekehren,
Dies eine Mal errietest du mich schlecht!
Mir, mir, mein Schatz! mußt du dich nun verpflichten,
Dein Liebster und dein Herr ist für dich frei!
Auf ihn sollst du die blauen Augen richten,
Daß er allein dein siegreich Banner sei!
Die Ketten all, von denen ich entbinden
Die Völker möchte, o Geliebte mein!
Als Blumenketten eng dir umzuwinden
Soll einzig dann mein Tun und Trachten sein!
Ein fest Gefängnis will ich dir erbauen
Von Rosen, Lilien, Myrten, duftend, weich;
Draus sollst du nur des Himmels Sterne schauen
Und mich, den Kerkermeister, froh und reich.
Ich will zur Kurzweil süße Lieder singen,
Darinnen du dich lachend spiegeln magst;
In Liedern dir die Welt zu Füßen bringen,
Wenn über Einsamkeit du dich beklagst.
Doch wann die lieben Nachtigallen schlagen
Und wann das Abendrot verglommen ist:
Sollst du als Königin die Krone tragen,
Solange Luna ihre Bahn durchmißt!

[82] 14

Gestern eine Aventür'
Hatt ich, die mir weh getan;
Allerliebste, denke dir!
Einen Burschen traf ich an,
Jung und fein und glattgestrichen,
Der dir auf ein Haar geglichen,
Wie der Tulp' die Tulipan!
Ja, dein Antlitz trug er dreist,
Deine Züge frech zur Schau;
Doch, was mich noch allermeist
Ärgerte, o zarte Frau!
War das dunkle Gold der Haare
Und dein Rot, das wunderbare,
War der Augen süßes Blau.
Aber was mir stets an dir
War von unschätzbarem Wert,
Ward mir unerträglich hier
In das Gegenteil verkehrt.
Jede Zierde deiner Züge
Schien hier eine schnöde Lüge,
Ja verspottet und entehrt!
Weibisch war der Haare Licht;
Deine Linien, zart und fein,
Sind zum Schneiderangesicht
Worden, unbedeutend, klein.
Deiner Augen Sternenschimmer
Ward zum wässerigen Flimmer,
Blöden Geistes Widerschein.
[83]
Seines Mundes Freundlichkeit
War beleidigend für mich:
Was mich freute jederzeit,
Gestern war's mir widerlich;
Schier hätt ich dein Bild geschlagen,
Ja! ihn aus der Welt zu jagen,
Wünscht ich angelegentlich.

15

Wie ein Fischlein in dem Netz
Hat der Dom mich eingefangen,
Und da bin ich festgebannt –
Warum bin ich hingegangen?
Ach! wie unter Kürbisblüten
Morgenfeucht ein Röslein blitzt:
Zwischen breiten Bürgersfrauen
Dort mein feines Liebchen sitzt!
Die Gemeinde schläft und schnarcht,
Wie das Laub im Walde rauschet,
Und der Bettler an der Tür
Wie ein Räuber auf sie lauschet.
Doch ein freundlich Wiesenbächlein
Murmelnd durchs Gebüsche flieht:
So die lange, dünne Predigt
Schlängelnd um die Pfeiler zieht!
Eichenbäume, alt und schlank,
All die gotischen Pfeiler ragen,
Hoch ein zierlich Blätterdach
Ihre breiten Äste tragen;
Drunter durch spielt hin und wieder
In den Dämmer der Sonnenschein –
[84]
Wachend sind in dieser Stille
Nur mein Lieb und ich allein.
Zwischen uns spinnt sich ein Netz
Buntgefärbter Sonnenstrahlen,
Die den Taufstein mittendrin
Feenhaft ganz übermalen.
Rosenketten, Liebesgötter
Flattern um den alten Knauf,
Darob wacht in unsren Herzen
Eine heiße Sehnsucht auf!
Weit hinaus, ins Morgenland,
Komm, mein Schatz, und laß uns fliehen!
Wo die Palmen schwanken am Meer,
Rosen hoch wie Feuer glühen,
Flutend um die große Sonne
Grundlos tief die Himmel blaun:
Angesichts der freien Wogen
Frei und ewig uns zu traun!

16

Schon war die letzte Schwalbe fort
Und längst seit vielen Wochen auch
Die letzte Lilie abgedorrt,
Nach altem Erdenbrauch.
Es flimmerte der Buchenhain
Wie Rauschgold rot im Abendlicht –
Herbstsonne gibt gar sondren Schein,
Der stets ins Herz mir sticht.
[85]
Ich traf sie da im Walde an,
Nach der allein mein Herz begehrt,
Mit weißen Kleidern angetan,
Vom goldnen Schein verklärt.
Sie war allein; doch grüßt ich sie
Nur ehrfurchtsvoll im Weitergehn,
Weil ich sie, seit ich liebte, nie
So still und schön gesehn!
Doch schaut' aus ihrem Angesicht
Ein fremdes Etwas kalt hervor;
Es lag vor ihrer Augen Licht
Wie leichter, dunkler Flor.
Es war, als ob dicht hinter ihr
Ein Schatten schwebt' im Abendstrahl,
Der gaukelnd, lachend gegen mir,
Ihr folgte durch das Tal.
»Mir ist ein Rival aufgewacht!«
Sprach ich und sah ins Abendrot,
Bis es erlosch und bis die Nacht
Die kalte Hand mir bot!

17

Ein lustiger Mediziner
War dazumal mein Freund;
Wir saßen bei vollem Glase
Um Mitternacht vereint.
Ich sprach ihm von meiner Liebe,
Indessen er zecht' und sang,
[86]
Und meine Worte verhallten
Im wilden Gläserklang.
Doch sprach ich immer und stärker
Mit höherer Liebesglut;
Ich wollte damit dämmen
Mein bange wallendes Blut.
Da wurde er ungeduldig
Und sagte mit barschem Ton:
»Ich kenne deine Geliebte
Und rate dir ab davon!
Ich rate dir ab, sonst bist du
Ein Witwer im nächsten Mai,
Denn dann liegt sie im Sarge,
'ne Leiche frank und frei.
Die Rosen sind eitel Hektik
Auf ihrem schmalen Gesicht;
Ich hörte sie heute husten,
Und das gefällt mir nicht!
Wohl ist sie ein feines Wesen,
Doch eben nur allzufein!
Laß fahren den sterblichen Engel,
Sonst trifft dich Kummer und Pein!«
Die rohen Worte schnitten
Mir tief in die Seele ein,
Und darum weil leicht was Wahres
An ihnen konnte sein.
[87]
Jedoch mein armes Liebchen
Gewann einen Zauber mehr; –
Nein, nein, sie kann nicht sterben,
Wir lieben uns allzusehr!
Am Morgen ward ich ruhig,
Als die Sonne ins Zimmer fiel;
Ich sah durchs Fenster fröhlich
Der jagenden Wolken Spiel.
Ich rief: »Er sprach's im Rausche,
Und ich war gestern ein Tor!
Es lebe das rosige Leben
Und meine Liebe zuvor!«

18

Es schneit und eist den ganzen Tag,
Der Frost umfängt mich scharf und blank;
Und wie ich mich gebärden mag –
Nun liegt sie wirklich ernsthaft krank!
Verödet ist das Paradies,
Das sonst auf ihrem Angesicht;
Nur zitternd blieb und ungewiß
Der Augen mildes Sternenlicht.
Nur wenn ich alle Tag einmal
An ihrem Krankenlager bin,
So fällt ein heitrer, klarer Strahl
Auf meine feuchten Augen hin.
Und wenn wir so beisammen sind,
Dann lieb ich still sie anzuschaun
[88]
Und träumend ob dem lieben Kind
Den Frühling wieder aufzubaun!
Noch ziert den Mund ein leichtes Rot
Und immer eines Kusses wert –
Sie läßt's geschehen, weil die Not
Die Menschenkinder beten lehrt.
»Ich lieb nicht deinen feinen Mund,
Nur deine Seele ganz allein –
Im Frühling wollen wir gesund
Und beide wieder fröhlich sein!«
Und wenn der Arzt kommt, lügen wir
Ihn tröstlich voller Hoffnung an;
Doch hab ich heimlich neben ihr
Zu Gott manch heiß Gebet getan.
Das ist der erste Kummer, so
Mir schwer und ernst ins Leben bricht;
Wie werd ich wieder leicht und froh,
Wenn ihm der Lenz das Urteil spricht!

19

Unverhofft nach trüben Tagen
Ist der heitre Lenz erschienen,
Und die aufgewachte Erde
Überhaucht ein zartes Grünen;
Und mit bunten Sonnenschirmen
Mädchen in den Gärten gehen,
Wanderer vorüberziehend
Nach den schönen Blumen spähen.
[89]
Unter all den hellen Fenstern,
Die der Sonne offen stehen,
Ist ein einziges verschlossen
Vor dem lauen Frühlingswehen.
Eine Hyazinthe duftet
Vor den blendenden Gardinen;
Aber eine kranke Jungfrau
Atmet bange hinter ihnen.
Ihr zu Häupten sitzt die Mutter
Und die Schwester ihr zu Füßen,
So, verhaltend bittre Tränen,
Einen Dritten leis sie grüßen.
Und in ihren Blicken liest er,
Daß der Herbst hat wahr gesprochen,
Daß die Hoffnung ist vernichtet
Und die Lilie gebrochen! –
So den stillen Tod zu sehen
In den lichten, himmelblauen
Augen eines kranken Liebchens:
Wahrlich, 's ist ein seltsam Schauen,
Wenn die weißen Todesrosen
Gar so stolz und sieghaft prangen
Auf der Liebsten ausgeglühten,
Bleichen, bleichen Marmorwangen!
Blühe, milde Grabesblume!
Blühe und verblühe selig!
Noch ein kurzer, heißer Sommer,
Und auch ich bin überzählig!
Wie die linden Maienlüfte
Deine Blüte sanft entblättern,
So wird meine Krone fallen
In des Herbstes rauhen Wettern!

[90] 20

Durch den Garten, in die Felder
Irre ich mit dunkeln Augen,
Achte nicht, wie tausend Kelche
Licht und Äther um mich saugen.
Muß der Mai mit holdem Lachen
Mir denn eine Leiche geben,
Während meine Freunde haschen
Neue Liebe, warmes Leben?
Aber sagt, wie kommt es mir denn,
Daß durch meines Grames Schatten
Doch die Sonnenstrahlen dringen
Und sich mit den Schmerzen gatten?
Daß der Lenz mit seinen Reizen
Mir noch zehnmal üpp'ger scheinet
Und mit seinem alten Schmucke
Eine neue Schönheit einet?
Ja, die todeskranke Liebe
Einen Geisterabglanz gießet
Über all die Lenzesfülle,
Die da drängt und blüht und sprießet!
Hunderttausend Blumen wollen
Ihr die letzte Ehre geben,
Und noch viel mehr Knospen eilen,
Solche Feier zu erleben.
Sehet da, die weißen Lilien
Sind vor ihrer Zeit gekommen,
Als sie von der Blumentrauer
Rings im weiten Land vernommen;
Ihre Schwester zu begleiten,
Blühen sie in langen Reihen,
[91]
Während sie aus ihren Kelchen
Weihrauch in die Lüfte streuen.
Und die Abendröte schlingt sich
Schön in rosigen Girlanden
Um die hohen Silberberge,
Die noch eben sonnig standen;
Und der Hesperus dort funkelt
Als der Zeremonienmeister,
Rufend in die weiten Sphären
Alle guten Sternengeister!
Alle Silberbronnen klingen,
Alle Nachtigallen schlagen –
Jetzt seh ich die Blumenleiche
Schwankend über die Auen tragen;
Morgenröten, Abendröten,
Wetterleuchten, Regenbogen,
Alles Schöne kommt der Bahre
Trauerfunkelnd nachgezogen!
Sagt, wann wird der Täuschung Schleier
Endlich mir vom Aug gehoben?
Unverwüstlich sind die Dichter,
Alles wird zum Traum verwoben;
Selbst der nahe Tod wird spielend
Noch mit Schein und Tand umschlungen –
Oh, ich glaube, er ist eben
Eisig in ein Herz gedrungen!

21

Ich habe sie gesehen
Auf Blumen in einem Sarg;
[92]
Das bleiche, traute Antlitz
Ein weißes Tüchlein barg.
Ich hob es in die Höhe
Und legte meine Hand
Auf ihre dunklen Augen,
Auf ihre kalte Hand!
Auf ihre verschloßnen Lippen –
Fahr wohl, du blühendes Rot! –
O weh mir, ich mußte sagen:
Nun wahrlich ist sie tot!
Da liegt die edle Rose,
Die einst so purpurn gelacht!
Es hat ein fremder Künstler
Eine weiße aus ihr gemacht.
Da liegt sie so starr und traurig,
Als hätte sie nie gelebt;
Ach Gott, es nimmt mich wunder,
Wo ihre Seele schwebt!
Kein Laut, kein Hauch, kein Ahnen,
Kein Flüstern um mich her!
Der Leib und ich in der Kammer –
Sonst alles still und leer!
Ich habe gespielt mit dem Leben
Und habe den Tod verlacht,
Nun ist er über mich kommen
Ganz höhnisch über Nacht!

[93] 22

Ich fahre mit den Winden,
Die fächelnd vor dem Sommer wehn;
Wo Klang und Duft sich finden,
Kann man mich immer sehn!
Des Lebens süßes Schmeicheln
Gewann mich neu in seinen Bund,
Und nimmer mag ich heucheln:
Ich fühle mich gesund.
Durch fremde Städt und Auen
Trag ich mein Herz voll Sang und Klang;
Die Blumen und die Frauen
Blühn mir den Weg entlang.
Die Blumen brech ich gerne,
Sooft mir's eine angetan;
Doch sicher aus der Ferne
Schau ich die Frauen an.
Ich lieb sie insgemeine
Wie einen vollen Rosenkranz,
's wär schade, wenn ich eine
Entzöge solchem Glanz!
Doch fallen hin und wieder
Im Wind den Rosen Blätter ab,
Die sinken in mich nieder
Auf ein verborgen Grab.
Da liegt von welkem Schimmer
Und Blütenschutt ein dichter Flor,
Draus ragt das Grabmal immer
Und lieblicher hervor!

[94] 23

Ja, das ist der alte Kirchhof,
Der in blauer Flut sich spiegelt,
Und in seiner dunkeln Erde
Liegt mein Heiligstes versiegelt;
Hier das Beet voll roter Rosen,
Dicht und üppig aufgesprossen:
Drunter liegt die weiße Lilie,
Eng im Blumenschrein verschlossen!
Durch die Rosen, durch die Erde,
Durch die Bretter dringt mein Sehnen;
Dort, wie eben erst gestorben,
Will mein Herz sie schlummernd wähnen!
Schläfst du, schläfst du noch, mein Liebchen?
Zuckt kein Strahl durch deine Leiche,
Weil auf deinem stillen Grabe
Nun dein Buhle irrt, der bleiche?
Fährt kein Stern in deine Augen?
Hebt dein Herz nicht an zu schlagen?
Quellen nicht von deinen Lippen
Frische, süße Liebesklagen?
Zieht kein roter Morgenschimmer
Über deine weißen Wangen,
Weil daran die Lebensgluten
Meiner heißen Blicke hangen?
Eitler Traum! um eine Leiche,
Um den Tod hab ich geworben!
Nun, so sei auch meine Liebe
Fürhin tot und abgestorben!
[95]
Zitternd reiß ich aus dem Busen
Noch die letzten zarten Blüten,
Gebe sie dem toten Liebchen
Bis zum Jüngsten Tag zu hüten.
Schwarzer Gärtner, Totengräber!
Laß, o laß das Grab verwildern!
Seine wermutbittern Schauer
Soll kein Lenz mehr freundlich mildern!
Binde nicht mehr diese Zweige,
Pflege nicht mehr diese Rosen,
Und mit dem verdorrten Kranze
Mag der kalte Nordwind kosen!

24

Fahret wohl, ihr schönen Gräber,
Klirre zu, du morsches Gitter!
Lachend kehr ich euch den Rücken,
Lilienstolz und Rosenflitter!
Abgetan ist nun die Liebe –
Hei! wie bin ich nun so munter!
Und in dem befreiten Herzen
Geht es lustig drauf und drunter!
Gegen Morgen, gegen Morgen
Schau ich trotzig in die Sonne;
Wie scheint sie so wild und feurig,
Lächelnd in Gewitterwonne!
Sich gewappnet um die Heldin
Kühne Wetterwolken scharen,
Wie auf stolzem Ozeane
Drohende Armaden fahren.
[96]
Vor mir liegt das reiche Leben,
Schlägt die Zeit die hohen Wogen,
Kreist die Welt mit ihren Sternen:
Fröhlich bin ich ausgezogen,
Biete Stirn und Herz den Stürmen,
Lasse meine Wimpel wehen,
Und beim wilden Kreuzen denk ich
Kaum noch an ein Wiedersehen!

25

Wie ich fahr in stiller Nacht
Auf den Silberwellen,
Fängt mein Weh mit aller Macht
Wieder an zu schwellen.
Sieben Jahre sind dahin,
Sind dahingeschwunden –
Und noch immer glühn und blühn
Meine alten Wunden!
Fast klingt es wie bittrer Hohn,
Ich sei jung an Jahren:
Da so lang die Liebste schon
Mir dahingefahren!
Wohl ergeh es, Engel, dir!
Werde licht und lichter!
Ach! dein Knabe wurde hier
Unterdes ein Dichter –
Muß nun reimen früh und spat
Um sein täglich Leben! –
Willst du einen guten Rat
Dann und wann ihm geben?

[97] 26

Wie sie sich da drehn im Tanze,
Puppen aus geschnitztem Holz!
Eitles Volk im Kerzenglanze,
Leben heuchelnd, steif und stolz!
Schlüsselbeine, Schulterblätter
Stoßen schamlos hart mich an;
Alte Tanten, grau vom Wetter,
Klatschen längs der tollen Bahn.
Die dem Tode längst verfallen,
Treibt der Wahnsinn hier im Kreis!
Und ich schleiche durch die Hallen,
Einsam schlägt mein Herz und leis.
Dein gedenkt es, zarte Blüte!
O mein rosiger Morgentraum!
Daß dich Gott mir treu behüte
Fern am grünen Wogensaum!
Fern am Wogensaum, im Grabe
Schläft, was Lust und Leben war! –
Dieses Bechers Feuergabe
Bring der Schläferin ich dar!
Wie ein Schild von frischen Rosen,
Wie ein Schwert von Sonnenstrahl
Schützt dein Bild mich Freundeslosen
Hier vor dieser öden Qual!
Jung geblieben ist mein Lieben,
Und noch heute rosenrot;
Auch mein Liebchen jung geblieben:
Dank dafür, du milder Tod!

[98] 27

Sieh! kaum glimmt des Stromes Spiegel
Silbermatt im Dämmerlicht,
Und schon schlägt die Sammetflügel
Mir ein Falter ins Gesicht!
Sieh den Abendstern dort blinken
Ungewöhnlich schön und hell!
Lieblich ist und klar zu trinken
Dieser Nachtluft kühler Quell.
Komm heraus, du junges Leben!
Komm, so leis dein Fuß dich trägt!
Recht in Lieb und Traum zu schweben
Wär ich jetzo aufgelegt.
Und ich habe dir zu Ehren
Einen guten Freund gebracht:
Er will uns die Minne lehren
Durch die kurze Sommernacht.
Liebeslieder sollen schallen,
Die vor siebzig Jahren schon
Unsern Mütterlein gefallen;
Rein klingt ihrer Weise Ton.
Laß uns einmal rückwärts fliegen
In die Zeit, die still und fern!
Dieser Laune dich zu schmiegen,
Weiß ich, tust du zwiefach gern! –
– »Sie kommt nicht?« fragt mein Begleiter,
»Und schon wird es morgenrot!« –
[99]
Ach, 's ist wahr! so sag ich weiter,
Denn sie ist, wie du, schon tot!
Armer Hölty! Du kannst gehen!
Traurig such dein kühles Haus!
Sieh, das frische Morgenwehen
Lacht uns alte Kinder aus!

Notes
• Siebenundzwanzig Liebeslieder
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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Siebenundzwanzig Liebeslieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9B6D-F