In der Via mala

Wie einst die Tochter Pharaos
Im grünen Schilf des Niles ging,
Des Auge hell, verwundrungsgroß,
Verliebt an ihren Augen hing,
Wie sie ihr Haupt, das goldumreifte,
Sehnsüchtig, leicht flutüber bog,
Um ihren Fuß das Wasser schweifte
Und silberne Ringe zog:
So seh ich dich, du träumrisch Kind,
Am abendlichen Rheine stehn,
Wo seine schönsten Borde sind
Und seine grünsten Wellen gehn.
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Schwarz sind dein Aug und deine Haare,
Und deine Magd, die Sonne, flicht
Darüber eine wunderbare
Krone von Abendlicht.
Ich aber wandle im Gestein
Und wolkenhoch auf schmalem Steg,
Im Abgrund schäumt der weiße Rhein,
Und Via mala heißt mein Weg!
Dir gilt das Tosen in den Klüften,
Nach dir schreit dieses Tannenwehn,
Bis hoch in kalten Eiseslüften
Die Wege auseinandergehn!

Notizen
Entstanden 1845. Erstdruck 1851.
Lizenz
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. In der Via mala. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9DA2-7