Am Brunnen

Wie strahlet ihr im Morgenschein,
Du rosig Kind, der Blütenbaum
Und dieser Brunnen frisch und rein –
Ein schönres Kleeblatt gibt es kaum.
Wie dreifach lieblich hat Natur
In euch sich lächelnd offenbart!
Aus deinem Aug grüßt ihre Spur
Des Wandrers stille Morgenfahrt.
Es ist, als käm aus deinem Mund
Das Lied, das dort die Quelle singt,
Es ist, als tät der Brunnen kund,
Was tief in deiner Seele klingt!
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Und wie der weiße Apfelbaum
Mit seinen Zweigen euch umweht,
Dies Bild, zart wie ein Morgentraum,
Ist ein geschautes Frühgebet!
Reich einen Trunk, du klare Maid,
Vom Quell, der deine Kindheit sah!
Sein Rauschen sei dir allezeit,
Die Klarheit deinem Herzen nah!
Ich wünsche Segen deiner Hand
Zur Arbeit wie zum Liebesbund,
Dem brävsten Burschen hie zu Land
Das keusche Ja von deinem Mund!

Notes
Aus der Sammlung »Neuere Gedichte« (1851/54), dort unter dem Titel »Wasser«.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Am Brunnen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9F97-6