Trübes Wetter

Es ist ein stiller Regentag,
So weich, so ernst, und doch so klar,
Wo durch den Dämmer brechen mag
Die Sonne weiß und sonderbar.
Ein wunderliches Zwielicht spielt
Beschaulich über Berg und Tal;
Natur, halb warm und halb verkühlt,
Sie lächelt noch und weint zumal.
Die Hoffnung, das Verlorensein
Sind gleicher Stärke in mir wach;
Die Lebenslust, die Todespein,
Sie ziehn auf meinem Herzen Schach.
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Ich aber, mein bewußtes Ich,
Beschau das Spiel in stiller Ruh,
Und meine Seele rüstet sich
Zum Kampfe mit dem Schicksal zu.

Notes
Aus der Sammlung »Gedichte« (1846), dort unter dem Titel »Herbst V«.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Trübes Wetter. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9FC2-4