[269] [271]Neue Gedichte

Lyrische Gedanken

Das Meer

Grüß' mir das Meer,
Silberne Wellen
Rauschen und schwellen,
Schön ist das Meer!
Grüß' mir das Meer,
Golden es schäumt',
Ob es auch träumet?
Tief ist das Meer.
Grüß' mir das Meer,
Glücklich es scheinet
Ströme es weinet,
Groß ist das Meer.

[Wie so manches Samenkörnchen]

[271]
Wie so manches Samenkörnchen
Weder sprießet, noch gedeiht –
Ach, vom Wind in Staub getreten,
Tut das arme Korn mir leid. –

[Vom Felsen sah' ich hinab in das Meer]

Vom Felsen sah' ich hinab in das Meer,
Es schäumet, tobet und rast einher
Seit vielen tausenden von Jahren
Eh' ich und alle waren.

Sonett

In Waffen steht die Welt
Um Länder und um Geld,
Aus Friedensliebe zwar,
So heißt es immerdar.
Nur eines ruhig bleibt
Und ew'ge Blüten treibt,
Im Reich der Poesie,
Da streitet man sich nie. –
[272]
In reinem Element
Man keine Feindschaft kennt,
Die Mensch vom Menschen trennt.
Ob nahe oder weit
Man leidet mit, mit Leid –
Für jetzt und alle Zeit.

[Was tönet so laut durch die Lüfte]

Was tönet so laut durch die Lüfte,
Was tönet so laut durch den Wald,
Durch Berge, Täler und Klüfte
Und weit über das Meer es schallt.
Es ist kein Rufen, kein Schrei'n,
Wie Donner nur rollet es fort,
Durchbrechend die menschlichen Reih'n
An jeglichem fernsten Ort.
O Menschheit, so hoch einst gestiegen,
O Menschheit, du sankest herab,
Die schwärzlichen Banner, sie fliegen,
Verkünden Verderben und Grab.
Schon träumtest vom ewigen Frieden,
Schon winkten die Engel dir zu;
Vom Himmel auf Erden hinieden,
Jetzt findet der Streit keine Ruh'.
[273]
Es glühet vor Haß und vor Streite,
Es glühet und zischt in der Luft,
Es zündet in Nähe und Weite, –
Und Echo dem Echo es ruft.
Die Schönheit entschwindet von hinnen,
Die Weisheit bedeckt ihr Gesicht;
O Menschen, ihr scheinet von Sinnen,
Die Liebe empfindet ihr nicht.
Die Fahnen des Krieges, sie fliegen,
Verkünden Verderben und Grab;
O Menschheit, so hoch einst gestiegen,
O Menschheit, du sankest herab.

Kaiser Friedrichs Traum

Es träumte einst ein Königskind
In Purpur und in Seide,
Daß alle Königskinder sind
Im Schloß wie auf der Heide.
Doch einsam blieb das Königskind
Und barfuß blieb die Heide,
Es pfiff und heulte rauh der Wind
Durch eine Trauerweide.
[274]
Ob Kaiser Friedrich, er es war,
Des Herzblut überschäumte;
Und als das Herz gebrochen war,
Noch liebend weiter träumte?

[Du nahmst mir sie]

Du nahmst mir sie
Und meine Seele mit,
Verhallet ist ihr Schritt,
Vergessen nie.
Du nahmst sie mir
Zerstörende Natur,
Doch ihren Körper nur,
Ihr Geist steht über dir.
Genommen ist der Grund,
Auf dem ich stand,
Nie Heilung fand
Die Stelle blutig, wund.

Der Savoyardenknabe

Kennt ihr den braunen Buben,
Im Berner Oberland,
Mit strahlend schwarzen Augen
Reicht er euch hin die Hand.
[275]
Der allerliebste Junge,
Ist jünger noch als jung,
Er stürzt in die Luzine 1
Und holt sich einen Trunk.
Er schläft bei Alpenrosen
Auf einem harten Stein
Und manchmal auch vor Hunger
Bei Eisesgrotte ein.
Der Hunger, ja das Essen
Bekömmt man nur für Geld,
Drum späh't er aller Orten
Ob nicht ein Wagen hält.
Ein Wagen, Reisewagen,
Da stürzt er hin wie toll
Und strecket beide Hände
Nach einem Hungerzoll.

Fußnoten

1 Im Grindelwald fließt die schwarze und weiße Luzine.

[276] Der Zar

Aus des Zaren reinen Händen
Nimmt die Welt den Frieden an,
Und die Völker alle wie ein Mann
Ihm den reichsten Segen spenden.
Wollen all' die Waffen strecken,
Niemals sich mit Blut beflecken;
Denn was niemals vor ihm war,
Will und schafft der junge Zar.
Und es lächelt die Geschichte,
Sonst so ernsthaft im Gerichte.
Edler Zar, bist Gott gesandt,
Schaffst das größte Vaterland. – –

[Blumenduft strömt mir entgegen]

Blumenduft strömt mir entgegen
Aus der Armen Hand,
Wie ein wahrer Blütenregen,
Mir von Gott gesandt.
Nehmt zum Dank für eure Spende
Heute meinen ersten Sang,
Ehrte eure fleiß'gen Hände,
Liebte euch mein Leben lang!

[Tage kommen und entschwinden]

[277]
Tage kommen und entschwinden,
Jahre kommen und vergeh'n,
Und kein Mensch kann es ergründen
Dieses Kommen, dieses Geh'n.
Gott nur kann das Rätsel wissen,
Logisch laßt uns ihm vertrau'n,
Fest auf seine Hilfe bau'n,
Froh den Tag, das Jahr begrüßen.
Und ein jeder Tag, er bringe
Uns die allerbesten Dinge,
Mut und Kraft und Sonnenschein,
Was wir taten mag gedeih'n,
Was wir wünschen bald gelinge
Uns und allen, welche rein.

[Von der Decke bis zur Diele]

Von der Decke bis zur Diele
Muß der Schweiß herunter rinnen,
Willst gelangen Du zum Ziele,
Wohlverdienten Preis gewinnen.

[278] Zum 70sten Geburtstage Herrn Ernst von Weber,
Vorsitzender des Weltbundes gegen die Vivisektion

Ich möchte auf einem Bilde dich seh'n,
Umringt von glücklichen Tieren,
Die heute hochjubelnd vor dir steh'n
Und dankbar dir gratulieren.
Die Einen, die Vögel nach ihrer Art
Mit sinnigen Liedern, so weich und zart,
Die Hunde, die treuesten Seelen,
Die Hände zum Kusse dir stehlen.

Gegen die Vivisektion der Hunde

Die Treue wollt ihr lebend schinden,
Was wollt ihr denn in ihrem Herzen finden?
Wenn ihr in ihren Eingeweiden wühlt?
Vielleicht die Liebe, die sie für euch fühlt.

[Ja, hier ist nichts]

Ja, hier ist nichts
Und alles dort,
Doch reizend ist das »Hier«
Und unbekannt das »Dort«.
[279]
Doch unbekannt im Mutterleib'
Ist auch die Sonne, die wir seh'n
Und schönres noch, so sagt die Schrift –
Schuf Gott in jenen Höh'n.

[Seht ihr die grauen Föhren]

Seht ihr die grauen Föhren
Am blauen runden Teich,
Dazwischen die kleine Insel,
Fast einem Berge gleich.
Sie ist nur halb, die Insel,
Von außen kann man heran,
Doch jenseits von dem Berge
Man nicht mehr weiter kann.
Man gleicht auf jener Höhe
Fast einem Heiligenbild,
Bis man gleich einem Gletscher
Herunter stürzet wild.

[Der Lenz ist gekommen]

[280]
Der Lenz ist gekommen
Und mit ihm das Glück,
Doch wer es nicht glaubet,
Dem weicht es zurück.
O, weiche nicht, bleibe
O, weich' nicht zurück,
Was Einer auch treibe,
Er brauchet das Glück.

[Gedenke mir meine Liebe zum Menschen]

Gedenke mir meine Liebe zum Menschen,
Gedenke mir meine Liebe zum Tier,
Und meine bescheid'ne Entsagung
Gedenk' es mir dorten und hier.

Ein anständiger Mensch nennt sich

Dumme Jungen, Pamphletisten,
Schlechte Juden, schlechte Christen
Legten Dynamit und Gift,
Keins von beidem je mich trifft.
Anonyme Flüche blitzen,
Zünden, treffen und erhitzen
Nur den Fluchenden allein.
Armer Flucher, urgemein!
[281]
Zischest giftig obendrein,
Hassest alles das, was rein,
Mußt entsetzlich elend sein,
Feige Memme, geh' zur Ruh,
Rufet Dir die Erde zu,
Anonymer Bube Du!

[Schön ist das Leben, ach schön, sehr schön]

Schön ist das Leben, ach schön, sehr schön,
Schön ist's und herrlich in Gottes Hut steh'n,
Schau'n in die Sonne und Blumen hinein,
Heiter und glücklich und friedfertig sein.

[Einander unbekannt - doch tief verwandt]

Einander unbekannt – doch tief verwandt –
Das sind wir Menschen alle; –
Ich danke dir in jedem Falle
Für Deinen schönen Brief, den du gesandt.

[Goldnen Vögel, süße Freunde]

Goldnen Vögel, süße Freunde,
Nachbarsleute – keine Feinde –
Ohne Haß und ohne Neid:
Grüß' euch Gott für alle Zeit.

[Das Vöglein erwacht]

[282]
Das Vöglein erwacht,
Im Traume es dacht
An Röseleins Pracht,
Die Katze hält Wacht.

Ode

Aus dem kleinsten der Weltenräume,
Niedriger Mensch, erhebst du dich
Zu dem Gedanken an Gott,
Du wagst es.
Weißt du, ahnst du auch
Nur den Begriff seiner Größe?
Groß ist Gott, gnädig ist nur er
Millionen Wesen, Millionen Seelen,
Die einst hier gelebt.
Und Millionen Wesen, die in höheren Welten leben,
Und Millionen von Engeln
Und höheren Geistern
Erfassen nicht Gottes Größe;
Sie rufen Alle: Gott ist groß.
Mehr wissen sie nichts von Gott,
Geschweige du Mensch,
Bescheide dich, freue dich, daß Gott groß und allgnädig ist.
[283]
Dies Bewußtsein beglücke dich,
Erfreue dich –
Es sei deine Hoffnung, dein Halt;
Und freue dich jedes Tages,
Und freue dich jedes Gräsleins,
Der Schwalbe und Lerche und des Vergißmeinnichts.
Und wisse, daß Gott dich liebt,
Solange du lebst, und du lebst ewig.
Eins aber wissen alle, daß er
Ihnen geholfen hat und hilft.

Gebet

O, Gott, der du die Welten lenkest,
Der du sie schufst und sie erhältst,
O, Gott, der du die Menschen und die Tiere schufst,
Der du sie schufst und erhältst,
Erhalte, errette und schütze alle,
Die mir im Herzen wohnen.
Beglücke ganz und jeden, errette, erleuchte Alle,
Daß sie von ihren Irrtümern geheilt.
Ja beglücke, erhebe und vergebe ihnen alles,
Was sie aus Irrtum getan.
Laß die Härte ihres Herzens weichen
Und läutere sie ohne Schmerz, und ohne Prüfung zu sein,
[284]
Was sie stets sein sollten, gut und wahrhaft,
Beglücke aber auch du
Ganz und jeden und Alle,
Und daß sie ohne Schmerz und Prüfung sein mögen,
Wie sie es stets sein sollten, gut und wahrhaft.

[Und gäb ich ihnen all' mein Blut]

Und gäb ich ihnen all' mein Blut,
Und gäb' ich ihnen all' mein Sein,
Sie hören und versteh'n mich nicht
Und sagen dämlich immer nein.
Doch naht die letzte Stunde einst,
Der gute Engel drüber weint,
Kommt Angst und Reue viel zu spät,
Dann wissen sie, wer's gut gemeint.

Herrn B. von M.,
der mir im Namen der B. Studentenschaft eine Adresse nebst einem goldenen Lorbeerzweig übersandte

In des Lorbeers goldnen Zweigen,
Sonnig strahlend und mein Eigen,
Rauscht es hörbar und es spricht:
»Solch Geschenk vergißt man nicht.«
[285]
Denn vom fernsten Pol zum Pole,
Einstens auf dem Kapitole
Solcher Zweig den Dichter krönt,
Daß ein König er sich wähnt.
Schreibest auch – o, schreibe, nütze
Menschenleben, rette, schütze,
Bist du dessen dir bewußt
Trägst den Lorbeer in der Brust.

Der Bunzlauer Topf

Mein Rat ist: man sollte ihn füllen
Den riesigen Goliat,
Den Hunger der Menschen zu stillen,
Dann wären wir alle satt.
Ich rate an jeglichem Orte,
Es stünde solch' Töpfchen stets voll
Mit Suppe und Brot – nicht mit Torte,
Das jeden ganz sättigen soll.
So höret an jeglichem Hause,
Als Wächter es stehen soll
Das Bunzlauer Töpfchen zum Schmause
Und jeder, er fände es voll.
Dann wär' manch' Kerker verlassen
Und alles bei fröhlichem Mut,
Die geizigen Sünder erblassen
Und alles wär' friedlich und gut.

[286] Gabriele Lehmann geb. Richter

Jenen Frauen, der Vorzeit gleichend,
Die vom Guten niemals weichend,
Eins nur kannten: ihre Pflicht –
Horch, ich weih' dir ein Gedicht.
Niemand stand Dir bei in Not,
Starbst den stillen Heldentod;
Hast es sicherlich verzieh'n
Wie oft Blumen weiter blüh'n,
Die des Menschen Fuß getreten,
Wirst vielleicht noch für sie beten,
Die wie Steine oder Raben
Niemals Dir geholfen haben.

Herrschsucht

Du allgemeinste, ganz gemeine Leidenschaft,
Die niemals etwas Gutes oder Schönes schafft.
Von Lieb' ist in dir keine Spur,
Du bist die reine Selbstsucht nur.

[Rasch erglühet die Sünde]

[287]
Rasch erglühet die Sünde,
Wie jegliche Leidenschaft,
Sicher auf Blumengewinde
Wandelt die ruhige Kraft.
Würde nur und Ruhe
Verleihen uns Macht und Kraft,
Was auch die Leidenschaft tue,
Das Rechte sie niemals schafft.

Diplomatie im Alltagsleben
Wird die Menschheit nicht erheben

Höret, was das Neueste ist:
Ob man trinket oder ißt,
Ob man gehet oder stehet,
Ob im Wagen, auf dem Ritt,
Die Spekulation geht mit,
Und ein Jeder denkt daran,
Ob er sich was nützen kann.
Also übt man den Verstand
Und wird Selbstsucht-Spekulant.
Das ist Wahrheit, urgemein.
Schämt euch doch, ein Mensch zu sein.
[288]

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TextGrid Repository (2012). Kempner, Friederike. Neue Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-A32D-4