XXXII

Der Brief des Papstes tat seine Wirkung.

Es lief bald das Gerücht durch die Gassen von Florenz, der Papst habe über Fra Girolamo den Bann verhängt.

Es kamen auch Nachrichten, daß der Papst im Kampf gegen Karl VIII., der gekommen [151] war, ihn seines hohen Amtes zu entsetzen, obgesiegt.

Und Zweifel und Kleinmut begann sich der Bürger von Florenz zu bemächtigen.

Der Papst, mag er sein, wie und was er wolle – er ist immerhin der Papst. Er hat seine Gewalt von Gott dem Herrn. Und alle Priester haben sie erst wiederum von ihm, dem Papst.

Er mag ein großer Sünder sein – aber sind wir es nicht allzumal, wie Fra Girolamo selbst predigt? Und wenn er als Mensch fehlt, braucht er darum als Papst zu fehlen? Ist er als Papst nicht das Gefäß Gottes – der seine Weisheit und Erkenntnis darein geußt? Darf ein Priester wider die päpstliche Priesterschaft löcken? War nicht vielleicht das plötzliche Auftreten der Pest in Florenz eine Strafe Gottes für das lästerliche und ketzerische Treiben des Fra Girolamo?

Kaum war vom Papst der Kirchenbann gegen ihn geschleudert, öffentlich verkündet von den Kanzeln in Santo Spirito und Santa Maria Novella, als einige Tage später, im Borgo di Ricoboli zuerst, die Pest ausbrach. Es starben den ersten Tag 60 Personen, den [152] zweiten achtzig, den dritten schon zweihundert. Viele reiche Leute flohen.

Fra Girolamo blieb, besuchte die Kranken und predigte, der Exkommunikation nicht achtend:

Es sterben durch Gottes Ratschluß die Erwachsenen, die sich der Sünde dieser Welt teilhaftig gemacht.

Aber Gott läßt die Kinder leben, damit ein neues Geschlecht heranwachse, unbelastet von der Schuld der Väter. –

Und in der Tat starb an der Seuche kein Kind und kein junger Mensch unter zwanzig Jahren.

Aber die Florentiner glaubten seinen Prophezeiungen nicht mehr.

Der Bann des Papstes war stärker als der Bann der Persönlichkeit des Fra Girolamo.

Auf den Straßen fielen Spaziergänger tot um, und die Träger mit der Bahre kamen und trugen sie schweigend davon.

Im Juli verfinsterte sich plötzlich die Sonne und es wurde dunkle Nacht am hellen Tag. Und als es wieder licht wurde, waren die Straßen besät mit Leichen. An den Haustoren standen etliche, die waren im Stehen[153] gestorben. Auf dem Mercato Nuovo, an einer Wechselbank, saß ein alter jüdischer Wechsler, den Kopf in die Hand gestützt, über eine Rolle Dukaten gebeugt.

Er schien zu schlafen.

Es hieß, daß der Teufel nachts in den Straßen von Florenz sein Unwesen treibe. Alle Tage meldete sich jemand, der ihn gesehen haben wollte: mit rotglühenden Augen, in Gestalt eines aufrechtschreitenden Fuchses, den langen buschigen Schweif elegant wie eine Schleppe übern rechten Vorderfuß geschlagen.

Selbst der von Fra Girolamo so innig geliebten und gerühmten Jugend begann sich Verwirrung und Aufsässigkeit zu bemächtigen.

Eines Nachmittags zog ein Haufen zehn- bis zwölfjähriger Kinder auf die Piazza della Signoria.

Sie schleppten ein Kreuz mit sich, Hammer und Nägel, und hätten einen der ihren, einen kleinen Idioten von sieben Jahren, regelrecht gekreuzigt, wenn nicht zwei Stadtpolizisten des Weges gekommen und sie daran gehindert hätten.

[154] Aber diesen zwei Polizisten, zwei stämmigen toskanischen Burschen, ging es übel genug, indem der Idiot sie in die Hände biß und die Kinder wie wahnsinnig mit dem Kreuz auf sie einschlugen. Nur mit Mühe konnten die Kinder überwältigt werden.

Fra Girolamp war erschüttert.

Er stellte noch einmal seine Thesen auf und schlug sie an die Tür des Domes:

»Gottes einige und einzige Kirche bedarf der völligen inneren und innerlichen Erneuerung.

Gott wird sie züchtigen,

Gott wird sie erneuern.

Florenz wird gezüchtigt werden,

Florenz wird erneuert werden.

Die Heiden, Türken, Ungläubigen werden sich zu Christus bekehren.

All das wird in unsern Zeiten geschehen.

Die von Seiner Unheiligkeit, dem Herrn Antipapst, gegen den Bruder Fra Girolamo ausgesprochene Exkommunikation ist null und nichtig.

Wer sie nicht beachtet, sündigt nicht. –

[155] Eigenhändig geschrieben und unterzeichnet.

Florenz, Kloster des San Marco

Fra Girolamo.«


In seiner Verzweiflung schrieb er Briefe an Kaiser Maximilian, an die Könige von Spanien, Frankreich, England, Ungarn und flehte sie an, gegen den Antichrist aufzutreten und ein Konzil zu berufen. Vor dem Konzil wolle er gegen den falschen Papst eine wohlbegründete Anklagerede halten. Der Papst solle ihm und dem Konzil dann Rede und Antwort stehen.

Wider den ausdrücklichen Befehl der Signoria wagte Fra Girolamo nochmals, die Kanzel von San Marco zu besteigen.

Er hatte kaum den Mund aufgetan, als ein ohrenbetäubendes Geschrei gegen ihn anhub.

Er kam zu keinem Wort.

Seine Freunde wagten nicht mehr, für ihn einzutreten und schlichen beschämt einer nach dem andern aus der Kirche.

Die Kinder auf der Straße entzogen sich ihm unwillig, wenn er über ihre Stirne streichen und sie streicheln wollte.

[156] Der kleine Idiot, der sich hatte ans Kreuz schlagen lassen wollen, spuckte vor ihm aus. Und einige andere warfen nach ihm mit Pferdemist, der an seiner Kutte kleben blieb.

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TextGrid Repository (2012). Klabund. Romane. Borgia. 32.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-ABDD-5