[88] [92]Ewald Christian von Kleist
Neue Gedichte
vom Verfasser des Frühlings

An die verwittwete Hauptmannin Freyfrau von der Golz auf Patrow etc. etc.

Die Gütigkeit, die Ewr. Gnaden ehemals hatten, auf die Beförderung meines Glücks bedacht zu seyn, ist mir allemal in frischem Angedenken geblieben, und wird mir auch niemals daraus verlöschen, ohngeachtet Ewr. Gnaden, nach Dero mir bekannten Gesinnung, sie vielleicht selber vergeßen haben. Erlauben Sie mir demnach, daß ich Ihnen hierdurch, obgleich späte, ein Zeugniß meiner Dankbarkeit ablege, und Dieselben versichre, daß die Hochachtung, die ich für Dero ungemeine Eigenschaften habe, nie aufhören wird.


E.C.v.K.

[92] Vorbericht

Diese wenigen Gedichte sind unter vielen Zerstreuungen aufgesetzt worden, und der Verfaßer hat so wenig Arbeit daran gewandt, daß ihm vielmehr ihre Verfertigung zur Erhohlung von anderer Arbeit gedient hat. Er wird daher zufrieden seyn, wenn sie nur Kennern nicht ganz mißfallen.

Es sind einige Idyllen darunter. Dem Verfaßer hat immer gedünkt, daß die Franzosen die Idylle dadurch zu sehr eingeschränkt haben, daß sie den Stoff dazu, allein aus dem Schäferleben entlehnt. Das Landleben ist überhaupt dazu geschickt, und es kommt nur darauf an, daß man niedrige und ungesittete Ideen aus derselben entfernt, um sie gefällig zu machen. So hat Theokrit Hirten- und Fischer-Idyllen, und Bion eine Vogelsteller-Idylle mit vielen Beyfall verfertiget; und des Grotius Nauticum, und Sannazars Piscatoria, sind auch Beweise, daß das Schäferleben nicht allein zu dieser Art von Gedichten geschickt ist. Nach diesem Beyspiele hat der Verfaßer ein paar Gärtner-Idyllen und eine Fischer-Idylle gewagt. Es würde anstößig gewesen seyn, wenn derselbe Kunst-Gärtner darin aufgeführt hätte, er hoft aber nicht, daß die seinigen den Geschmack beleidigen werden, und wenn es der Nahme thut, so kan ihn die Gewohnheit erträglich machen.

[93] Ode an die preußische Armee

Im Merz 1757


Unüberwundnes Heer! mit dem Tod und Verderben
In Legionen Feinde dringt,
Um das der frohe Sieg die güldnen Flügel schwingt
O Heer! bereit zum Siegen oder Sterben.
Sieh! Feinde deren Last die Hügel fast versinken
Den Erdkreis beben macht,
Ziehn gegen dich und drohn mit Qvaal und ewger Nacht;
Das Wasser fehlt wo ihre Roße trinken.
Der dürre schiele Neid treibt niederträchtge Schaaren
Aus West und Süd heraus,
Und Nordens Höhlen speyn, so wie des Osts, Barbaren
Und Ungeheur, dich zu verschlingen, aus.
Verdopple deinen Muth! Der Feinde wilde Fluthen
Hemmt Friedrich und dein starker Arm;
Und die Gerechtigkeit verjagt den tollen Schwarm.
Sie blizt durch dich auf ihn, und seine Rücken bluten.
Die Nachwelt wird auf dich, als auf ein Muster sehen;
Die künfftgen Helden ehren dich,
Ziehn dich den Römern vor, dem Cäsar Friederich,
Und Böhmens Felsen sind dir ewige Tropheen.
Nur schone, wie bisher, im Lauf von grossen Thaten
Den Landmann, der dein Feind nicht ist!
Hilf seiner Noth, wenn du von Noth entfernet bist!
Das Rauben überlaß den Feigen und Croaten.
Ich seh, ich sehe schon – freut euch, o Preußens Freunde! –
Die Tage deines Ruhms sich nahn.
[94]
In Ungewittern ziehn die Wilden stolz heran.
Doch Friedrich winket dir, wo sind sie nun, die Feinde?
Du eilest ihnen nach, und drückst in schweren Eisen
Den Tod tief ihren Schedeln ein,
Und kehrst voll Ruhm zurück, die Deinen zu erfreun,
Die jauchzend dich empfahn, und ihre Retter preisen.
Auch ich, ich werde noch, – vergönn es mir o Himmel! –
Einher vor wenig Helden ziehn.
Ich seh dich, stolzer Feind! den kleinen Haufen fliehn,
Und find Ehr oder Tod im rasenden Getümmel.

Lied eines Lappländers

Komm Zama, komm! Laß deinen Unmuth fahren,
O du der Preis
Der Schönen! komm! In den zerstörten Haaren
Hängt mir schon Eis.
[95]
Du zürnst umsonst. Mir giebt die Liebe Flügel,
Nichts hält mich auf.
Kein tiefer Schnee, kein Sumpf, kein Thal, kein Hügel
Hemmt meinen Lauf.
Ich will im Wald auf hohe Bäume klimmen
Dich auszuspähn,
Und durch die Fluth der tiefsten Ströhme schwimmen,
Um dich zu sehn.
Das dürre Laub will ich vom Strauche pflücken,
Der dich verdeckt,
Und auf der Wies' ein iedes Rohr zerknicken,
Das dich versteckt.
Und solltest du, weit übers Meer, in Wüsten
Verborgen seyn;
So will ich bald an Grönlands weißen Küsten,
Nach Zama schreyn.
Die lange Nacht kommt schon. Still mein Verlangen
Und eil zurück!
Du kommst, mein Licht! du kommst, mich zu umfangen;
O, welch ein Glück!

Dithyrambe

Freund! versäume nicht zu leben,
Denn die Jahre fliehn,
Und es wird der Saft der Reben
Uns nicht lange glühn!
Lach der Ärtzt' und ihrer Räncke!
Tod und Kranckheit laurt,
[96]
Wenn man bey dem Froschgeträncke
Seine Zeit vertraurt.
Mosler-Wein, der Sorgenbrecher,
Schafft gesundes Blut.
Trinck aus dem bekränzten Becher
Glück und frohen Muth.
So! – noch eins! – Siehst du Lyäen
Und die Freude nun?
Bald wirst du auch Amorn sehen,
Und auf Rosen ruhn.

Liebslied an die Weinflasche

– – – – jocos

Quid vetat innocuos? – –

Vanierius.


O Flasche, voll vom Saft der rheinschen Traube,
Du Schmuck der Welt!
Beglückt ist der, der in der Rosenlaube
Im Arm dich hält!
Nun du mich liebst, ist gut und schlimm Geschicke
Mir gänzlich gleich;
Du bist mein Trost, mein Leben, Ruh und Glücke,
Und Himmelreich.
Wenn andre sich in Grausame vergaffen,
O wie lach ich
Der Thoren! Du bist für mein Herz erschaffen,
Und ich für dich.
[97]
Du stärkst den Muth und führest Himmels-Freuden
In meine Brust.
Des Waßers Freund muß Pein und Schwermuth leiden,
Und mißen Lust.
Fiel Adam wohl, der Trauben gnug verschlucket,
Dadurch in Noth?
Der Biß in Frucht, aus der man Cider 1 drucket,
Verdiente Tod.
Bleib mir forthin, was du mir stets gewesen,
Mein Ruhm und Heil!
Dich hab ich mir aus einer Welt erlesen,
Zum besten Theil.
Und sterb ich einst, so wein auf meine Asche,
Und schluchz betrübt:
Hier ruhet der, der mich gekränkte Flasche
Getreu geliebt.

Fußnoten

1 Ein altes deutsches Wort, das Äpfelmost bedeutet.

Grab-Lied

Weh dir! daß du gestorben bist.
Du wirst nicht mehr Auroren sehn
Wenn sie vom Morgen Himmel blickt
In rother Tracht, mit güldnem Haar;
Und die bethauten Wiesen nicht,
Auch nicht im melancholschen Hayn
Die Sonn im Spiegel grüner Fluth.
Der Veilchen Duft wird dich nicht mehr
Erfreun, und das Gemurmel nicht
Des Bachs, der Rosen-Büsche tränckt,
Auf dem vor Zephirs sanftem Hauch
Die kleinen krausen Wellen fliehn.
[98]
Auch wird dich Philomele nicht
Mehr rühren, durch der Töne Macht,
Auch meines Krausens 1 Laute nicht
Die Philomelen ähnlich seufzt.
Allein, du wirst auch nicht mehr sehn,
Daß sich der Tugendhaffte qvält,
Sich seiner Blöse schämt und darbt
Und seine Lebenszeit verweint;
Indeßen daß in Seid und Gold
Der Bösewicht stolzirt und lacht.
Du wirst nicht sehn, daß ein Tyrann
Die Ferse, freygebohrnem Volck
In den gebognen Nacken setzt,
Das ihm Tribut und Steur bezahlt,
Nicht für den Schutz, nein, für die Luft.
Kein Narr, kein Höfling wird dich mehr
Mit dummer Falschheit peinigen,
Und keine Rachsucht sieht auf dich
Mit scheelen Blicken eines Wolfs.
Nicht Ungewitter, Pestilenz
Und Erderschütterung und Krieg
Erschreckt dich mehr. Der Erde Punckt
(Samt Pestilenz und Krieg und Noth)
Flieht unter deinen Füßen fort,
In Dunst und Blitz gewickelt. Sturm
Und Donner ruft weit unter dir,
Und Ruh und Freude labt dein Herz
In Gegenden voll Heiterkeit.
Wohl dir, daß du gestorben bist!

Fußnoten

1 Verfaßer der Schrift von der musicalischen Poesie, ein so vollkommner praktischer als theoretischer Ton-Künstler.

[99] Die Freundschafft

eine Erzehlung.


An Herrn Gleim


Leander und Selin, zween Freunde, die
Verstand und Edelmuth und gleicher Trieb
Zur Tugend, fest verband, vertrauten sich,
Einst in Geschäften, dem treulosen Meer.
Die Winde wehten erst der Gegend zu,
Die schon die Reisenden im Geiste sahn;
Das Ufer floh, und bald erblickten sie
Rings um nur Luft und See. Das Firmament
War heiter und voll Glantz. Sie seegelten
In seinem Wiederschein geruhig fort,
Und nahten sich bereits der Reise Ziel,
Als schnell die Wellen sich empöreten.
Ein reißender Orcan erwacht und schlug
Das Schiff von seiner Bahn. Es scheiterte
Am Felsen. Jeder sucht den Tod zu fliehn;
Das kleinste Stück vom Schiff wird jetzt sein Schiff –
Den beyden Freunden ward ein Bret zu Theil;
Allein, es war zu leicht für seine Last.
Wir sincken, sprach Selin, das Bret erträgt
Uns beyde nicht, o Freund! Leb ewig wohl!
Du must erhalten seyn, an dir verliehrt
Das Wohl der Welt zu viel, und ohne dich
Wär mir das Leben doch nur eine Qvaal.
Nein, sprach Leander, nein, ich sterb o Freund! –
Allein Selin verließ zu schnell das Bret
Und übergab getrost dem naßen Grab
Der Waßerwogen sich. Die Vorsehung
Die über alles wacht, sah seine Treu
Und seine Großmuth an, und ließ das Meer
Ihm nicht zum Grabe seyn. Mitleidig trugs
Auf seinen Wellen ihn zum Ufer hin.
Er fand Leandern schon daselbst – O, wer
[100]
Beschreibt die Regungen der Freude, die
Sie beyde fühlten! – Sie umarmten sich
Mit Zähren in dem Aug. Leander sprach:
O allzutreuer Freund, in was für Qvaal
Hat deine Freundschafft mich gestürtzt! Ich hab
Um dich des Todes Angst zehnfach gefühlt.
Was du thatst wolt ich thun, denn ohne dich
Wünscht ich das Leben nicht – Geliebtester
Was wär ich ohne dich! versetzt Selin;
Der Himmel sey gelobt, der dich mir schenkt!
Komm laß uns ihn, der uns vom Tod befreyt,
Verehren, und ihm ganz das Leben weyhn.
Sie knieten weinend an das Ufer hin
Und dankten dem, der sie errettete.
Und ihre Regung drang die Wolcken durch –
Leander theilte mit Selin, der arm
An Güthern und nur reich an Tugend war,
All seine Schätze, die Selin nur nahm
Weil sich sein Freund dadurch glückseelig pries.
Und Seegen kam auf sie und auf ihr Haus,
Und lange waren sie das Wohl der Welt.

Emire und Agathokles

Emire fing ihr Leben an zu haßen
Als ihr Agathokles leichtsinnig sie verlassen.
Sie floh die große Welt, die vormals sie verehrt,
Sie floh die Freundschafft selbst, allein in sich gekehrt;
Die Welt schien ihr nicht mehr ein Sitz voll Lust und Wonne,
Die Flur nicht blumenreich und minder hell die Sonne.
Ein Lustschloß, in der Nacht von einem dicken Wald,
[101]
War ihre Zuflucht iezt und liebster Aufenthalt.
Sie ging oft in des Hayns Gewölben, lebensmüde,
Nicht mehr gereitzt, wie sonst, von Philomelens Liede,
Noch von der Quelle, die durch Blumen floß. Nicht seyn,
Dünkt ihr das größte Glück, und war ihr Wunsch allein.
Mußt ich, so dacht sie oft, Agathokles nur lieben
Ihn ewig iezt zu scheun, mich ewig zu betrüben?
Ich glaubt ihn so getreu als liebenswerth. Sein Schmerz
Und seine Thränen nur erwarben ihm mein Herz;
Nicht Leichtsinn! Laster nicht! Ich liebte seine Tugend
Und seine Seele mehr, als allen Reitz der Jugend.
Doch alles was er sprach, Versicherung und Schwur,
Kam aus dem Herzen nicht, kam von den Lippen nur.
Untreuer! Ich bin zwar der Raub von deinen Lügen,
Allein wirst du, wie mich, den Himmel auch betrügen?
Furcht ihn! er straffet noch! Vielleicht fühlst du einmal,
Wenn dein Gewissen wacht, gedoppelt meine Quaal –
Doch dieses wünsch ich nicht. Du sollst den Schmerz nicht nähren,
Nur such einmal mein Grab und schenk ihm einge Zähren,
Und denk: Hier ruhet die, die sich um mich betrübt;
Die Treue lebte noch, hätt' sie mich nicht geliebt. –
So bracht Emire hier ihr Leben lange zu;
Ihr stiller Gram schien falsch, Gelaßenheit und Ruh.
Gesucht von Ehr und Gunst der Großen, hatt' indeßen,
An fernen Höfen, sie Agathokles vergeßen.
Doch endlich überfiel ihn unverhofte Reu;
Sein wankelmüthig Herz fühlt alte Lieb und Treu;
Er kehrte schnell zurück – Er floh nach ihrer Wohnung,
Beflügelt von der Lieb und Hoffnung der Belohnung.
Er sahe sie, und nahm die schöne Hand – Doch wie
Erschrack er! – wie gerührt vom Wetterstrale – Sie
War starr – Verzeuch, rief er, nur einge Augenblicke!
Emire, höre mich, und ruf den Geist zurücke!
Verzeuch! Dich und mein Glück hab ich nicht halb gekannt,
[102]
Nicht Untreu, Irrthum nur, hat mich von dir verbannt.
Mein Herz hätt' alles Gold der Welt, Glück, Ehr und Leben,
Als klein, für dem Besitz von dir, dahin gegeben.
O schöne Unschuld! sieh mich nur noch einmal an,
Und sage mir, daß mich dein Herz nicht hassen kan! –
Sie hatte schon den Geist dem Himmel zugeschickt,
Empfing der Treue Lohn, und war bereits beglückt.
Er fiel erstarrt dahin, für Schrecken und für Leide. –
Das Leben kam zurück, doch ohne Ruh und Freude,
Und seine Klagen hat die Gegend lang gehört.
Durch alles was er sah, ward seine Pein gemehrt.
Die Stellen wo sie ging und schlief, wo sie geseßen,
Und wo sie starb, konnt er nicht sehn, und nicht vergeßen.
Ihr Schloß, sonst seine Lust, in Blüthen ganz versteckt,
Dünkt ihm anjezo schwarz, er ward dadurch erschreckt.
Der Tod schien ihm ein Glück, das Leben eine Strafe,
Und Schwermuth foltert ihn sogar im kurzen Schlafe.
Bis sein bekriegter Fürst zum Heer ihn gehen hieß,
Und Fried und Ruh durch ihn den Völkern schenken ließ.
Doch weint er jährlich um ihr Grab an diesem Tage,
Und sein ganz Leben war nur eine lange Klage.

Arist 1

Auf einer langen Reis' Arists, war stets
Die Sonn in Dunst versteckt. Oft heulte Sturm
In der durchwühlten Luft, oft, wenn er schwieg,
Ergoß der Wolken-Last gleich einer See
Sich über Berg und Thal. Die Seel Arists
War finster, wie die Luft. Er hoft umsonst
[103]
Die Sonne wiederum am Firmament
Zu sehen, die daraus verschwunden schien,
Und klagt voll Ungeduld den Himmel an,
Der bald die Welt verbrennt und bald ersäuft. –
Schnell fuhr ein Pfeil vor ihm ins Erdreich – Thor!
Um was beschwerst du dich? rief eine Stimm
Vom Himmel. Dieser Pfeil hätt dich erreicht,
Wär nicht die Sehne durch den Regen schlaff
Geworden. Tadle nicht, so kühn als schwach,
Die Einrichtung der Welt! Was willst du doch
Mit Maulwurfs Augen durch den Himmel sehn!
Den du in Stürmen hörst, und über dir
In Blitz gehüllet siehst, der sorgt für dich!

Fußnoten

1 Diese Erfindung des fürtrefflichen Hrn. P. Gellerts hat mir so ausnehmend gefallen, daß ich es gewagt habe, sie auch nach meiner Art einzukleiden.

Der gelähmte Kranich

Eine Fabel


Der Herbst entlaubte schon den bunten Hayn,
Und streut aus kalter Luft Reif auf die Flur,
Als am Gestad ein Heer von Kranichen
Zusammen kam, um in ein wirthbar Land,
Jenseit des Meers, zu ziehn. Ein Kranich, den
Des Jägers Pfeil am Fuß getroffen, saß
Allein, betrübt und stumm, und mehrte nicht
Das wilde Lustgeschrey der Schwärmenden,
Und war der laute Spott der frohen Schaar.
Ich bin durch meine Schuld nicht lahm, dacht er
In sich gekehrt, ich half so viel als ihr,
Zum Wohl von unserm Staat. Mich trift mit Recht
Spott und Verachtung nicht. Nur ach! wie wirds
Mir auf der Reis ergehn! Mir, dem der Schmertz
Muth und Vermögen raubt zum weiten Flug!
Ich Unglückseeliger, das Waßer wird
Bald mein gewißes Grab! – Warum erschoß
[104]
Der Grausame mich nicht! – Indeßen weht
Gewogner Wind vom Land ins Meer. Die Schaar
Beginnt, geordnet, jezt die Reis, und eilt
Mit schnellen Flügeln fort und schreyt für Lust.
Der Kranke nur blieb weit zurück und ruht
Auf Lotos Blättern oft, womit die See
Bestreuet war, und seufzt für Gram und Schmerz. –
Nach vielen Ruhn, sah er das beßre Land,
Den gütgern Himmel, der ihn plötzlich heilt.
Die Fürsicht leitet ihn beglückt dahin,
Und vielen Spöttern ward die Fluth zum Grab.
Ihr, die die schwere Hand des Unglücks drückt,
Ihr Redlichen, die ihr mit Harm erfüllt,
Das Leben oft verwünscht, verzaget nicht,
Und wagt die Reise durch das Leben nur!
Jenseit dem Ufer giebts ein beßer Land,
Gefilde voller Lust erwarten euch!

Cephis

Idylle.


An Herrn Geßner.

den Verfaßer der prosaischen Idyllen


»Sey mir gegrüßt Philint! sey mir gegrüßt!
Geseegnet sey der Tag, der dich mir schenkt.
O tugendhafter Greis, wie lange schon
Hab ich dich nicht gesehn! Das Alter hat
Seitdem dein Haupt noch mehr mit Schnee bestreut.
Komm labe dich mit mir in Schatten! Komm!
[105]
Der Weinstock winkt uns dort, dort winkt uns auch,
Der süße Feigenbaum. Erqvicke dich
An ihren Früchten, die die Jahrszeit reift!«
So sagte Cephis, als Philint einmal
In seinen Garten kam. Sie gingen hin. –
Der arme kranke Greis erquickte sich,
Und pries den Feigenbaum und seine Frucht.
Der Baum sey dein, Philint, sprach Cephis; ihn
Bedeck ich künftig nur für dich, wenn Frost
Die Erde drückt, für dich soll er hier blühn,
Und tragen süße Frucht. Allein Philint
Starb bald, ihm trug der Baum nicht süße Frucht.
Und Cephis weint um ihn, und wünscht sich arm
Zu sterben, und so fromm als er; begrub
Ihn unter seinen Baum, baut ihm ein Grab
Und pflanzte Rosen und Cypreß umher.
Er höret' oft seitdem beym Mondenschein,
Ein heilig Rauschen in des Baumes Laub.
Ein süß Gelispel drang vom Grab herauf,
Das ihm zu danken schien. Und Überfluß
Von Obst und Trauben wuchs ihm jährlich, denn
Der Himmel seegnet stets die Frömmigkeit.

Milon und Iris

Idylle.

An Herrn Leßing
Milon:

Komm Iris, komm mit mir ins Kühle, komm!
Die Geißblattlaube dort erwartet uns
In grüner Dunckelheit, und streut Geruch.
Die holde Stimme hab ich lange nicht
Gehört, mit welcher du, mir ehedem
Den Himmel öffnetest, und in mein Herz
[106]
Ruh und Vergnügen sangst. Die Musen sind
Mir auch anjezt nicht feind, sie lehren mich
Gesänge, die das Chor der Nymphen liebt,
Und die der Wiederhall im Hayne singt.
Komm, laß uns singen! Komm, o meine Lust!
Iris:

O Milon! wie wird mich dein Lied erfreun,
Das Liebe dich gelehrt und Gratien!
Dein Ton, indem du sprichst, ergötzt mich mehr
Als wenn im Veilchen-Thal der Westwind rauscht,
Als wenn der laute Bach durch Blumen rinnt;
O wie vielmehr wird mich dein Lied erfreun!
Komm in die Laube, komm! mir schlägt das Herz!
Sie gingen fröhlich hin, und Milon sang:
Milon:

O Wiederhall, der meine Pein erfuhr,
Als Iris spröde war,
Vernimm nun auch mein unaussprechlich Glück,
Und breit es aus: Sie liebet mich!
Sie liebet mich; wer ist so froh als ich!
Wer ist so schön als sie!
Aurora, die in rosenfarbner Tracht
Vom Himmel sieht, ist nicht so schön.
Iris:

Auch du bist schön, auch du erfreust mein Herz!
Die Ros ist nicht so schön,
Voll Silberthau, die zarte Lilje nicht,
Vom Morgenroth gefärbt, als du!
Milon:

Wenn in dem Teich das Bild des Gartens hängt,
Und jedes blühnden Baums,
[107]
Um den ein Heer von Schmetterlingen sich
Mit hundertfarbgen Flügeln jagt.
Denn freu ich mich. Doch wenn im Rosen-Kranz
Am Ufer Iris läuft;
Alsdenn seh ich des Gartens Bildnis nicht;
Dann seh ich nur ihr Bild und sie.
Iris:

Schön ist der Bach, wenn Zephyrs Fittig drauf
Der Bäume Blüthen weht.
Die Silberfluth, auf ihre Decke stolz,
Rauscht froh dahin, und hauchet Duft.
Doch schöner ists, wenn sanfter Wind die Fluth
Von Milons finsterm Haar,
Mit Blüthen und mit güldnen Veilchen schmückt;
Dann fließ, o Bach, ich seh sein Haar!
Milon:

O, welch ein Glück ist treue Liebe! Wenn
Dein sanftes Auge sagt,
Daß du mich liebst, denn seh ich aufwärts hin,
Zum Sitze der Unsterblichen.
Ich seufze denn, und Thränen fließen mir
Vom Aug; ich dank entzückt
Dem Himmel für mein Glück, und bitte nicht
Um Schätze, nur um Ruh und dich.
O, sey mir stets, was du mir jetzo bist,
Mein Reichthum, Glück und Ruhm!
Mit dir ist mir die finstre Wüste schön,
Und ohne dich die Welt ein Grab.
Iris:

Wenn mir dein Auge sagt, daß du mich liebst,
Dann fühl ich auch mein Glück,
[108]
Geschwinder läuft mein Blut, der Busen wallt,
All meine Sinnen sind Gefühl.
Ich suche denn einsame Gänge, wo
Nichts die Gedanken stöhrt.
Ich seh dein Bild, und seufze Sehnsuchtsvoll,
Und dank dem Himmel für mein Glück.
Sey mir auch stets, was du mir jetzo bist,
Mein Wunsch, mein Trost, mein Ruhm!
Mit dir ist mir die finstre Wüste schön,
Und ohne dich die Welt ein Grab. –
Indem sie sangen schwieg der Wind im Hayn,
Der Himmel hörte zu, das Volk der Luft
Lauscht auf ihr Lied, versteckt in dunkles Laub.
Die kleine Lalage lauscht auch darauf,
Im krausen Schatten vom Gebüsch, und sprang
Hervor, und sprach bewegt: Jetzt hab ich euch
Belauscht! recht sehr belauscht! Ihr singet schön!
Sie seufzet und die Brust empörte sich. –
Was seufzest du? warum bist du bewegt?
Frug Milon. Aber sie erröthete
Und seufzt und wollte nicht gestehn, warum.

Irin

Idylle


An einem schönen Abend fuhr
Irin mit seinem Sohn, im Kahn
Aufs Meer, um Reusen in den Schilf
Zu legen, der ringsum den Strand
Von nahen Eilanden umgab.
Die Sonne tauchte sich bereits
Ins Meer, und Fluth und Himmel schien
[109]
Im Feur zu glühen. O wie schön
Ist jetzt die Gegend! sagt entzückt
Der Knabe, den Irin gelehrt,
Auf jede Schönheit der Natur
Zu merken. Sieh! sagt er, den Schwan,
Umringt von seiner frohen Brut,
Sich in den rothen Wiederschein
Des Himmels tauchen! Sieh! er schift,
Zieht rothe Furchen in die Fluth
Und spannt des Fittigs Seegel auf. –
Wie lieblich flistert dort im Hayn
Der schlanken Espen furchtsam Laub
Am Ufer, und wie reizend fließt
Die Saat in grünen Wellen fort,
Und rauscht, vom Winde sanft bewegt. –
O, was für Anmuth haucht anjetzt
Gestad und Meer und Himmel aus!
Wie schön ist alles! und wie froh
Und glücklich macht uns die Natur! –
Ja, sagt Irin, sie macht uns froh
Und glücklich, und du wirst durch sie
Glückseelig seyn dein Lebelang,
Wenn du dabey rechtschaffen bist,
Wenn wilde Leidenschaften nicht
Von sanfter Schönheit das Gefühl
Verhindern. O Geliebtester!
Ich werde nun in kurzem dich
Verlassen, und die schöne Welt,
Und noch in schönern Gegenden
Den Lohn der Redlichkeit empfahn.
O, bleib der Tugend immer treu,
Und weine mit den Weinenden,
Und gieb von deinem Vorrath gern
Den Armen! Hilf so viel du kanst,
Zum Wohl der Welt! Sey arbeitsam,
Erheb zum Herren der Natur,
Dem Wind und Meer gehorsam ist,
[110]
Der alles lenkt zum Wohl der Welt,
Den Geist! Wähl lieber Schand und Tod,
Eh du in Bosheit willigest.
Ehr, Überfluß und Pracht ist Tand;
Ein ruhig Herz ist unser Theil. –
Durch diese Denkungsart, mein Sohn!
Ist unter lauter Freuden mir
Das Haar verbleichet. Und wiewohl
Ich achtzig mal bereits den Wald
Um unsre Hütte grünen sah;
So ist mein langes Leben doch
Gleich einem heitern Frühlingstag
Vergangen, unter Freud und Lust. –
Zwar hab ich auch manch Ungemach
Erlitten. Als dein Bruder starb,
Da flößen Thränen mir vom Aug,
Und Sonn und Himmel schien mir schwarz –
Oft auch ergriff mich auf dem Meer
Im leichten Kahn der Sturm, und warf
Mich mit den Wellen in die Luft.
Am Gipfel eines Wasserbergs
Hing oft mein Kahn hoch in der Luft,
Und donnernd fiel die Fluth herab,
Und ich mit ihr. Das Volk des Meers
Erschrack, wenn über seinem Haupt
Der Wellen Donner tobt, und fuhr
Tief in den Abgrund. Und mich dünkt,
Daß zwischen jeder Welle mir
Ein feuchtes Grab sich öfnete.
Der Sturmwind taucht dabey ins Meer
Die Flügel, schüttelte davon
Noch eine See auf mich herab –
Allein bald legte sich der Zorn
Des Windes, und die Luft ward hell,
Und ich erblickt in stiller Fluth
Des Himmels Bild. Der blaue Stör
Mit rothen Augen, sahe bald,
[111]
Aus einer Höhl im Kraut der See,
Durch seines Hauses gläsern Dach,
Und vieles Volk des weiten Meers
Tanzt auf der Fluth im Sonnenschein,
Und Ruh und Freude kam zurück
In meine Brust. – Jetzt wartet schon
Das Grab auf mich. Ich fürcht es nicht.
Der Abend meines Lebens wird
So schön als Tag und Morgen seyn. –
O Sohn, sey fromm und tugendhaft
So wirst du glücklich seyn wie ich.
So bleibt dir die Natur stets schön.
Der Knabe schmiegt sich an den Arm
Irins, und sprach: Nein, Vater! nein,
Du stirbst noch nicht! Der Himmel wird
Dich noch erhalten mir zum Trost!
Und viele Thränen floßen ihm
Vom Aug. – Indeßen hatten sie
Die Reusen ausgelegt. Die Nacht
Stieg aus der See, sie ruderten
Gemach der Heymath wieder zu. –
Irin starb bald. Sein frommer Sohn
Beweint ihn lang', und niemals kam
Ihm dieser Abend aus dem Sinn.
Ein heilger Schauer überfiel
Ihn, wenn ihm seines Vaters Bild
Vors Antlitz trat. Er folgete
Stets deßen Lehren. Seegen kam
Auf ihn. Sein langes Leben dünkt
Ihm auch ein Frühlings-Tag zu seyn.

[112] Nach dem Bion

Idyll. 2.


Tiren, ein Knabe, der im Hayn
Den Amor zwischen Vögeln, einst
Von Baum zu Baum, von Zweig zu Zweig
Mit leichten Flügeln flattern sah,
Sprach zu dem alten Tityrus,
Der mit ihm ging: o sieh einmal
Welch schöner Vogel! sieh einmal!
O fäng ich diesen Vogel doch!
Der Alte sprach: Ach fang ihn nicht
Den bösen Vogel! fang ihn nicht!
Beglückt ist der, der ihn nicht fängt!
Er tödtet jeden, der ihn fängt.

Grabschrifft

auf den Major v. Blumenthal, der den 1sten Jan. 1757. bey Ostritz in der Oberlausitz, in einem Scharmützel, von den Österreichern erschoßen ward


Witz, Einsicht, Wissenschafft, Geschmack, Bescheidenheit,
Und Menschenlieb und Tapferkeit,
Und alle Tugenden, vereint mit allen Gaben,
Besaß der, den man hier begraben.
Er starb fürs Vaterland, er starb mit Heldenmuth.
Ihr Winde wehet sanft! Die heilge Asche ruht.

[113] Ein Gemählde

Der Tugend unbekannt, war er ihr ärgster Haßer,
Wenn ihn sein Stolz befiel, floß Menschenblut wie Wasser,
Er war voll Eigennutz und liebte Schmeicheley,
Raubt ungestraft und blieb nie seinen Worten treu,
War vielfach und gelehrt, sich in die Zeit zu schicken,
Verband mit zwanzig sich, um einen zu erdrücken,
Religion und Eyd war ihm ein Puppenspiel,
Durch Labyrinthe ging er stets zum nahen Ziel,
Hurt' und verfolgte Wild – O Mahler halt ein wenig,
Halt! ich versteh dich schon, das heißt: er war ein König. 1

Fußnoten

1 Es giebt Regenten, denen dieses Gemählde gar nicht ähnlich sieht; und welchem von ihnen sieht es unähnlicher, als dem größten Monarchen, den jetzt die Welt bewundert, so wie ihn die Nachwelt bewundern wird? Ist es aber nicht allzuschwer, keine Satyren zu schreiben, wenn man an alles denkt, was jetzo in Europa vorgehet?

Auf den Tod eines großen Mannes

Als jüngst des Todes Pfeil, o – dich getroffen,
Klagt ich und weint und sah den Himmel plötzlich offen,
Auch den belebten Raum der weiten Welt sah ich;
Die Erde weinete, der Himmel freute sich.

[114] Über das Bildniß Raphaels

von ihm selbst gemahlt.

(Nach dem Italiänischen.)

Der Tod, der Raphaeln dem Erdkreis rauben wollte,
Von dem Verhängniß abgeschickt,
Stutzt, als er deßen Bild erblickt,
Unschlüßig, welchen er von beyden nehmen sollte.
Nimm jenen nicht, sprach Raphael; nimm mich!
Der ist unsterblicher als ich.

[115] Seneka

ein Traurspiel
Vorbericht

Ich habe diese ersten Züge eines Traurspiels in der Absicht entworfen, um nach denselben ein Traurspiel in Versen auszuarbeiten. Weil ich aber an meinem Vorsatz gehindert werde, und meine Freunde mir sagen, daß auch die Anlage nicht mißfalle; so habe ich sie dem Druck übergeben wollen. Wenn das Publicum so gütig davon urtheilen sollte, als meine Freunde; würde ich die Mühe die ich darauf gewandt, hinlänglich belohnt halten.

Vor einigen Jahren ist schon ein deutsches Traurspiel vom Tode des Seneka, herausgekommen. Man wird aber leicht sehen, daß ich es nicht gelesen habe.


Der Verfaßer.

Personen

Personen:

Seneka, ehemahliger Rath des Kaysers Nero.
Pompeja, des Seneka Gemahlin.
Polybius, ein Freund des Seneka und Vertrauter der Agrippina, Mutter des Nero.
Piso, ein Freund des Seneka.
Fenius, ein Freund des Seneka.
Ein Hauptmann des Heerführers Fabius.
Die Wache.
Ein Bothe.

Die Scene ist auf dem Land-Guthe des Seneka.

[116]

Erste Handlung

Erster Auftritt

Seneka und Pompeja.


SENEKA. Ja, Pompeja! Ich habe den betrüglichen Reichthümern und den gefährlichen Ehrenstellen, mit mehreren Freuden entsagt, als sie übernommen. Mein künftiges Glück war ungewiß, als ich sie übernahm, und es ist gewiß, da ich mich ihrer entschüttet habe. – Gehab dich wohl, ungetreuer Hof, wo man mit wenigerer Sicherheit einhergeht, als auf einem Boden voll unterirrdischer Höhlen, der Erschütterungen, Einsturz und Verwüstung drohet! Ihr Spiele! Ihr Feste! Erfindungen des Stolzes und der schwarzen Wollust! Ihr güldnen Palläste, darin Grausamkeit und ein prächtiges Elend wohnt, gehabt euch wol! Der niedrige Ehrgeitz mag am Fuße eines Thrones zittern, von welchem ein Henker gebietet. Und ihr, treue Gefilde! einsame und friedliche Wälder! ihr Wohnungen der Ruhe und der Glückseeligkeit, seyd mir gegrüßt! Hier, Pompeja, wollen wir uns selbst leben! Hier sollen die Tage unsers Lebens lauter Frühlings-Tage seyn. Die geschäftige und anmuthsvolle Weltweisheit wird mich hier entzücken, und durch ihre Lehren und durch ihren Reitz mein Leben verlängern. – – Allein wird mich auch die Erinnerung meines geliebten und gequälten Vaterlandes verlaßen, das noch immer ein Raub der Grausamkeit und wilder Leidenschaften bleibt? – O Rom! o Vaterland! o Beherrscherin der Welt! wenn wirst du dich der Knechtschaft entreißen! Wie lange seufzest du unter der schweren Hand der Tyranney, die dich zu Boden drückt! Wenn werden Tugend und Ruhe in deine Mauren zurückkehren, und [117] Wißenschaften und Künste darin blühen! Wie gerne wollte ich mein Leben deiner Wohlfart aufopfern, wenn ich wüste, daß sie dadurch befördert würde! Allein der Wütrich würde mir das Leben rauben, und Rom würde dennoch wehklagen!

POMPEJA. So ist es Seneka! Dein Tod der gewiß erfolget wäre, wenn du Rom nicht verlaßen hättest, – denn du hast dem Bösewicht nur zu kühn seine Laster und Grausamkeiten vorgeworffen – dein Tod würde nur das Unglück deines Vaterlandes, und nicht sein Glück befördern. Der Blutdurst des Tyrannen würde durch die Gewohnheit noch immer mehr zunehmen, und was könnte ihm noch heilig seyn, nachdem er deiner nicht geschonet? – Sey also vergnügt, Seneka! Das Ungewitter, das über unserm Haupt schwebte, hat sich verzogen. Die Fürsehung hat dich der Welt geschenkt, und hat dich mir geschenkt; denn ach! was wäre ich ohne dich! Vergiß, was nicht in deiner Gewalt ist, und überlaß die Strafe des Wüterichs und die Errettung deines Vaterlandes dem Wesen, das über alles wacht, das, wie du mich oft gelehret hast, alles zur Glückseeligkeit der Welt lenkt, und die Thränen des Tugendhaften und des Weisen, an seinen Feinden rächet. Siehe! die Natur winkt dir! Sie haucht mit unaussprechlicher Anmuth, Zufriedenheit aus. Laß dich von ihr zur Freude einladen! Dein Gemüth sey so ruhig und heiter wie sie, da es, wie sie, unschuldig ist. Sey groß in dir selber, und hülle dich in deine Tugend! Die Niederträchtigen mögen trauren, die der hochmüthige Zorn, der blaße Neid, der finstre Menschenhaß und die verborgene Schaam, wechselsweise foltert. – –

SENEKA. Es gehet mir, Pompeja, wie denen, die nach überstandenen schweren Ungewittern auf dem Meere, das Ufer betreten. Der feste Boden scheinet ihnen zu wanken, das Bild der rasenden Wellen ist ihnen noch immer gegenwärtig, und sie fürchten sich auf dem Lande, von ihnen verschlungen zu[118] werden. Bald wird mir der Boden nicht mehr wanken! Die Zeit wird die traurigen Bilder in mir verlöschen! Ich werde bald die Natur in ihrer Schönheit sehen, und ausgebreitete grüne Gefilde, und Gärte und Hügel voll fruchtbarer Bäume, wo ich jetzt noch Wellen erblicke. Die Weltweisheit wird mich zu jenen hellen Höhen führen, da ich sehen werde, wie sich im unermeßlichen Raum die Sterne unter meinen Füßen drehen, und da mir die Erde ein Staub, und ihre Hoheit und Pracht, und die Rathschläge und der Stolz ihrer Bewohner ein Nichts seyn wird. Dann wird meine Glückseeligkeit erst anfangen, und die bisherige Widerwärtigkeiten werden mir dienen, mein Glück zu fühlen. Ich wäre niemals glücklich geworden, wäre ich nicht unglücklich gewesen. – Aber du scheinest mir vorzuwerffen, Pompeja, daß ich dem Nero seine Grausamkeiten zu kühn verwiesen. Kann man gegen einen Bösewicht zu kühn seyn? Und hätte ich mich nicht durch Stillschweigen seiner Frevelthaten theilhaft gemacht? Wer Lastern wehren kann, und wehrt ihnen nicht, der verübt sie selber.

POMPEJA. Es ist deiner Denkungsart und deines Herzens würdig, daß du dich des Wütrichs Bosheiten wiedersetzt. Hättest du aber nicht vielleicht durch Sanftmuth und anhaltendes Bitten und Vorstellungen mehr ausgerichtet, als durch Heftigkeit? – Doch Polybius kommt, er –

Zweyter Auftritt

Polybius und die Vorigen.


POLYBIUS. Und du hast dein Vaterland verlaßen, Seneka, und hast nicht erwogen, daß du es verwayset hinterließest? Seit deiner Entfernung ist Rom ein großes Gefangenhaus, das von den Klagen der Elenden und Unterdrückten wiederhallet. Welch ein Jammer, die Tugend ewig mit erblaßtem Angesichte [119] und in Zähren zerfließen zu sehen! Kein Rechtschaffner öffnet die Augen mehr der Freude; ein jeder glaubt, daß ihm ein entblößtes Schwert über der Scheitel hange, und der immer erneuerte Gram verfinstert ihm die Aussicht in frohere Tage. Gestern – ach, daß der schwarze Tag ewig aus dem Angedenken der Menschen könnte verloschen werden! – gestern hat des Nero große und tugendhafte Gemahlin, auf das Geheiß des Barbaren, den Giftbecher –

POMPEJA. Wie? Octavia ist durch Gift hingerichtet? Octavia, meine Freundin? O Himmel, wer wird nun mehr leben wollen! Was hat sie verbrochen, die Fürtreffliche, was hat sie verbrochen? Wie hat sich das Bild der Schönheit und der Sanftmuth, den Haß des Bösewichts zuziehen können?

POLYBIUS. Ja, Pompeja! sie ist nicht mehr, die schöne Unschuld, die Ehre der Menschheit, sie ist nicht mehr! Nach langer Quaal hat sie, die vergangene Nacht, die große Seele dem Himmel zugeschickt; und sie genießt jetzo schon den Lohn ihrer Tugend. Ihr Verbrechen war ihre Unschuld und ihre großen Eigenschaften; und wehe den Edeln und Rechtschaffnen, sie werden noch viele Verbrechen begehen! –

POMPEJA. Ist es möglich, daß die Bosheit des menschlichen Herzens so weit kann getrieben werden, als Nero sie treibt, daß die Natur sich so verleugnen, und so tief von ihrer Höhe fallen kann! Octavia ist nicht mehr, Octavia, die würdig war, ewig zu leben! Finstrer Tag, der der Welt ihr bestes Kleinod raubt, o daß ich dir die Augen öffnen muß! Warum verzögre ich mit dir zu erblaßen, o meine Freundin, o meine geliebteste Freundin! –

SENEKA. Erschreckliche Nachricht! Nun hat die Mordsucht des Nero den höchsten Gipfel erstiegen. Die Geschichte der barbarischsten [120] Nationen zeigen uns keine Beyspiele von ähnlicher Grausamkeit. – Aber, Pompeja, laß dich diesen Zufall nicht zu sehr erschüttern! Octavia verdiente alle Glückseeligkeit, deren Sterbliche fähig sind, und ich hätte selbst mein Leben willig für sie gelaßen. Allein sie war hinfällig, wie alles irrdische, und hätte doch sterben müßen. Sie ist ihrer Glückseeligkeit entgegen gegangen, auf die wir alle noch warten. Beruhige dein Gemüth, und mißgönne ihr ihr Glück nicht. Sie ist jetzo eine Zierde des Himmels, und weiß nichts mehr von dem Elende der Sterblichen. In unaussprechlicher Wonne genießt sie den Lohn ihrer großen Tugenden.

POLYBIUS. Ja, den genießt sie. Sie hörte mit bewundernswürdiger Standhaftigkeit den Befehl des Tyrannen an, und wie sie den Giftbecher getrunken hatte, versammelte sie ihre gegenwärtigen Freunde und Freundinnen um sich herum und sagte: – Ach, nimmer werde ich den süßen Ton vergeßen, mit dem sie dieses aussprach; und nimmer ihre heitre und himmlisch-hohe Mine! Sie sagte: ›Ich gehe nun in seeligere Wohnungen, in Wohnungen der Freude und der Ruhe. Gehabt euch wohl, meine Geliebtesten! meine Freunde! auch ihr, die ihr jetzo nicht gegenwärtig seyd, aber meinem Fall bedauern werdet; gehabt euch alle ewig wohl! Ihr seyd das einzige, das ich ungern auf der Welt zurücklaße. Allein ein kleiner Zeitpunkt scheidet nur eure Glückseeligkeit von der meinigen. Bald werdet ihr mir folgen; denn will ich in den ewig-heitern Gefilden euch auch um mich herum versammeln, und unsre Freude wird alle Vorstellung übertreffen.‹

POMPEJA. Ich werde dir am ersten folgen, o Göttliche! ich werde dir am ersten folgen! Das Leben ist mir zur Last, und der Tod hat Wollust für mich. Ach, warum bin ich bey deinem Tode [121] nicht gegenwärtig gewesen, o du, in deren Seele die meinige ganz eingewebet war! Warum habe ich dir nicht die Augen zugedrückt! Ich wäre so mit dir zugleich erblaßet. – – Entsetzlicher Verlust! – Unerhörte Grausamkeit! – Wer kann auftreten und Octavien nur eines Fehlers beschuldigen? Die schönste Seele wohnte in dem schönsten Leibe. Die Glückseeligkeit ihrer Freunde und des ganzen menschlichen Geschlechts, war ihr einziger Wunsch, ihre einzige Sorge. Die Gutthätigen und Mitleidigen schienen ihr nur groß zu seyn, und sie setzte ihren einzigen Werth nur in Mitleiden und Gutthätigkeit. – Und dich soll ich nicht mehr sehen, o Blume des menschlichen Geschlechts! o meine geliebteste Freundin! Ich soll nicht mehr deine süße Gespräche hören, und deine große Gesinnungen bewundern, die mich zur Tugend anfeurten! Ach unmöglich kann ich nun das Leben länger vertragen. – Ich fühle schon die Schauer des Todes in meinen Adern –

POLYBIUS. Du must leben, Pompeja! Du must deinem Gemahl und der Wohlfarth der Welt leben. Erheitre dein Gemüth, und laß es unter dem Schmerz nicht erliegen! – Agrippina hat mich abgesandt und beschwöret dich, Seneka, bey der Heiligkeit der Tugend und der Religion, sie und Rom nicht zu verlaßen, sondern deine Ehrenstellen, die für dich aufgehoben sind, wieder anzunehmen. Du bist der einzige, der der Raserey des Kaysers Einhalt thun kann, weil er dein Ansehn bey dem Volke fürchtet. –

POMPEJA. Der Wütrich hat die allgemeine Liebe Roms zu Octavien nicht gefürchtet, und wer ist Bürge, daß er dieserwegen meines Gemals schonen werde? Er haßet ihn, der Vorwürffe wegen, die er ihm schon gemacht, zu viel, als daß er sich Folgen seiner Grausamkeit vorstellen sollte, und neue Vorwürffe würden ihn noch mehr erbittern. Nein, nein, man gönne Seneka, nach vieler überstandner Arbeit und erlittenem [122] Ungemach, die Ruhe, und mich überhäuffe man nicht mit Unglück, deßen schwere Lasten ich ohnedem nicht mehr ertragen kann. Die Vorsehung wird schon die Rechte der Tugend behaupten, und die Feßeln Roms zerbrechen.

POLYBIUS. Du hast zu wenig Vertrauen zu Agrippinens und zu meiner Freundschaft. Wie würde Agrippina, die deinen Gemahl verehrt, von ihm etwas verlangen, dabey sein Leben Gefahr liefe? Und ich, dem es nicht schwer seyn würde, für Seneka zu sterben, – dem es nicht schwer seyn würde, – wie könnte ich ihm zu etwas gefährlichen rathen? Granius Sylvanus, und die größten Heer führer haben sich wieder Nero verschworen, und das ganze Heer wartet ungeduldig, den Wütrich zu bestraffen. Seneka soll das letzte versuchen, und ihm die Folgen seines Blutdursts und Unsinns vorstellen. Entweder er gehet in sich, und wird wider der Vater seines Volks, wie er es ehedem war, oder eine ewige Gefangenschaft ist, mit Agrippinens Einwilligung, der Lohn seiner Bosheiten. Piso, der, wie ich höre, nebst Fenius eben bey dir seyn soll, Piso, der Rechtschaffene, der ehe sein Leben verlöre, als ein Laster beginge, der tugendhaft seyn würde, wenn es eine Schmach wäre, Tugend auszuüben, wird den entweyhten Thron besteigen, ihn durch seine Thaten heiligen, und Rom Ruhe, Sitten und Glückseelichkeit wieder schenken. –

POMPEJA. Allein, wer ist Bürge, daß mein Gemahl nicht ein Opfer von des Tyrannen erstem Ausbruche des Zorns wird? Und ach! geliebtester Seneka! du bleibest ewig der Welt, deinem Vaterlande und mir entrißen, wenn man gleich nachher deinen Tod an dem Wütrich mit den grausamsten Martern rächete!

SENEKA. Du besorgst zu viel, Pompeja! Du fürchtest nur den Verlust meiner; fürchte mehr den Untergang Roms! Polybius hat [123] Recht, man muß das letzte versuchen. Ich werde es schon mit Glimpf, und nicht mehr, wie vormals, mit Heftigkeit thun. – Wie glücklich wollte ich mich schätzen, wenn ich Rom nicht von Nero befreyen, sondern Nero seinem Volke wieder schenken könnte! Er, der ehemals meine Lust, und die Lust des menschlichen Geschlechts war, ach möchte er es doch wieder werden! Wie froh wollte ich einmal mein graues Haupt zur Ruhe legen, wenn ich den Verirrten auf die Bahn der Tugend zurück bringen könnte! Ich würde glauben, den Himmel offen zu sehen, und die Freude der Unsterblichen zu empfinden!

POLYBIUS. Vielleicht bist du so glücklich, Seneka! Wenigstens kann man hoffen, daß die Furcht für traurige Folgen, deren Herannäherung man ihm verdeckt zeigen muß, ihn von fernerer Grausamkeit abhalten werde. – Ach, geliebtester Freund! Du schenkst durch deinen Entschluß Agrippinen und mir das Leben, und Rom seine Wohlfarth wieder! Säume nicht, dein Versprechen zu erfüllen. Ich will eilen und Agrippinen die frohe Nachricht von deiner baldigen Ankunft in Rom, überbringen.


Er geht ab.


SENEKA. Und wir, Pompeja, wollen Fenius und Piso aufsuchen, und ihnen entdecken, was vorgegangen ist.


Ende der ersten Handlung.

Zwote Handlung

Erster Auftritt

Polybius, der zurück kommt.


Himmel, was bedeutet dieses! Das Landgut des Seneka ist ringsum mit Kriegern besetzt. – Ich finde keinen Ausgang, wohin ich mich wende. – Gewiß ist es um des Redlichen Leben geschehen. Wenn du gerecht bist, o Gottheit! wenn du gerecht bist, so verstatte dieses Unglück nicht. Schone der größten menschlichen Tugend! Schone den, der auf der Welt dir am ähnlichsten ist! Verhänge über mich Schmerz und Elend, Verlust der Güter, Gefangenschaft und Verweisung und alles Unglück; nur laß Seneka leben! – Der große Seneka, das Bild aller menschlichen Vollkommenheiten, soll von der Hand eines Verruchten erblaßen. – Welch ein Gedanke für mich! Wie werde ich des Tages Licht ertragen können, wenn er nicht mehr seyn wird. Gedanke, der mich mit Schrecken und Verzweiflung erfüllet, und –

Zweeter Auftritt

Ein Hauptmann des Fabius, nebst der Wache, und Polybius.


DER HAUPTMANN. Bist du Seneka?
POLYBIUS. Die ersten Worte bey Seite. Er kennt mich nicht! – Ich bins; ich bin der, den du suchst.

DER HAUPTMANN. Der Kayser hat den Heerführer Fabius Befehl ertheilet, den Tod dir anzukündigen, und Fabius hat es mir aufgetragen. Du weißt, daß ich dich suche, du wirst auch dein Verbrechen, die Ursachen deines Todes wißen.

[125]

POLYBIUS. Die Ursachen meines Todes weis ich: Nero ist ein Tyrann, und ich habe es ihm gesagt. Meine Verbrechen weis ich nicht. Ich sterbe gern. Mein Gewißen klagt mich nicht an, und der Tod ist mir erträglicher als die beständige Furcht des Todes, worinn der Grausame alle Redliche und Edelgesinnte von Rom unterhält; erträglicher als der Schmerz, den ich schon zu lange über die Unterdrückung und das Elend der Rechtschaffnen empfinde. – Sage Nero, daß er ein Wütrich ist! Sage ihm, daß ich mir einen Ruhm daraus mache, auf sein Geheiß zu sterben, da noch kein Bösewicht durch ihn das Leben verlohren. Glückseeliges Rom, wenn ich der letzte Unschuldige bin, den er hinrichtet! – Bey Seite. Ach wäre ich der letzte! Ach möchte sich Seneka verbergen, und nachdem der Hauptmann zu Nero zurückgekehrt, sich mit der Flucht retten! – – Aber warum hat der Heerführer Fabius mir nicht selbst den Tod angekündiget? Warum gebraucht er dich zu einem so unbarmherzigen Geschäfte?

DER HAUPTMANN. Ich weis nicht, warum er dir den Tod nicht selbst angekündiget. Mich aber gebraucht er dazu, weil ihm meine Treue gegen den Kayser bekannt ist. Man ist nicht unbarmherzig, wenn man sich gegen Verbrecher gebrauchen läßt. Du hast den Tod schon durch das, was ich höre, verdient.

POLYBIUS. Nichtswürdiger! Nero hat die Strafe des Himmels und den Abscheu der Welt verdienet, und diejenigen, die ihm in seinen Bosheiten treu sind, Marter, Verachtung und Schande. – Bösewicht! baue nur dein Glück auf den Gehorsam gegen einen Unsinnigen! Er belaste dich mit seiner Gnade und erfülle dich mit seinen schwarzen Freuden! Aber wiße: Hohn und Schande wird dir auf dem Fuße folgen, und der Zorn des Himmels wird über dich kommen, wie eine Überschwemmung. – – Und was für eine Todesart hat mir der Grausame auferlegt?

[126]

DER HAUPTMANN. Verräther! Der Kayser ist nur zu gnädig; er überläßt sie deiner Wahl. Ich –

POLYBIUS. Meiner Wahl? Er entblößt die Brust. Hier ist die Brust! Erstich mich, und eile dem Kayser, dem Mörder, die frohe Nachricht von meinem Tode zu überbringen. – Erstich mich, Feiger!

Dritter Auftritt

Seneka und die Vorigen.


SENEKA. Welch ein Auftritt! Was willst du, Polybius?
POLYBIUS. Sterben!

DER HAUPTMANN. Er will nicht sterben, der feige Seneka! Aber er muß sterben! Nero und Fabius haben ihre Befehle keinem Schwachen, keinem Weichlinge anvertraut. –

SENEKA. Wenn Seneka sterben soll, so muß ich sterben, und nicht Polybius. Ich bin Seneka!

EIN SOLDAT zu dem Hauptmanne. Dieser ist Seneka, und nicht der erstere, der sich für Seneka ausgab. Ich kenne ihn, und habe ihn oft bey dem Kayser auf dem Kapitol gesehen.

DER HAUPTMANN. Wunderbare Verwirrung! Schon war ich bereit, mein Schwert in den Busen des falschen Seneka zu stoßen – Doch [127] es wäre nur von dem Blute eines Unrechten gefärbt worden, aber nicht von dem Blute eines Unschuldigen. Sie sind beyde Feinde des Kaysers. Zum Polybius. Aber was für ein Unsinn bewegt dich, den Tod zu suchen? Durch deine treulose Gesinnungen gegen den Nero, wirst du ihn finden, ohne ihn zu suchen.

POLYBIUS. Laß ihn mich finden, Grausamer! Laß ihn mich finden! Er ist mir nicht furchtbar. Aber furchtbar ist mir der Tod des tugendhaften Seneka. Schone diesen Gerechten, diesen Freund des Kaysers! der sein ganzes Leben und seine Glückseeligkeit dem Wohle des Nero und des Vaterlandes aufgeopfert hat, und es noch thun wird. Schone ihn, wenn du das sanfte Gefühl des Mitleidens und die Pflichten kennest, womit du der Welt und Rom verbunden bist. – – Diese einzige edle That wird dich glücklicher machen, als alle Ehren und Reichthümer der Welt. Das Angedenken derselben wird dich, dein ganzes Leben durch, begleiten, und dir ein Schild seyn gegen Elend und widrige Zufälle.

DER HAUPTMANN. Mein Glück hängt von meinem Gehorsam ab. Seneka muß sterben. Ich bin nicht befehligt, seine Schuld oder Unschuld zu untersuchen; aber ihm den Tod – –

POLYBIUS. Glaube der Stimme Roms, wenn du mir nicht glaubst! Rom kennt seine Unschuld und fordert sein Leben – Vergeblich, o Niederträchtiger, machst du dir Hoffnung, durch Bosheit groß zu werden. Der baldige Fall deines tyrannischen Abgotts wird dich erdrücken, du –

SENEKA. Entrüste dich nicht, Polybius! Laß mich sterben. Zu was für Ausschweifungen verleitet dich deine Freundschaft gegen mich! Wie wäre es mir ergangen, wenn du, statt meiner, das [128] Leben verlohren hättest. Ich hätte den Tod nicht gemieden, sondern ihn zehnfach gefühlt. Ach Freund, ach Redlichster unter den Sterblichen! Deine Freundschaft ist mir zum erstenmale zur Last. Ich kann dir meine Schuld nicht bezahlen, so gern ich es wollte! Wie viel vergnügter würde ich sterben, wenn ich nur deinetwegen sterben könnte, und nicht weil es Nero befiehlt! – – Ach laß mich sterben, und erhalte du dein Leben zur Wohlfahrt der Welt. Es ist unedel, das Leben zu verachten, so lange man der Welt Nutzen schaffen, und glücklich seyn kann. Laß diejenigen es verachten, die Alter und Unglück zu Boden drückt, oder die es auf Befehl grausamer Regenten hingeben müßen. –

DER HAUPTMANN. Verachte es also! Du mußt es hingeben. Wähle dir eine Todesart nach eigenem Gefallen. Verachte es – –

SENEKA. Ich will deine und deines Kaysers Freude nicht verzögern. Erlaube nur, daß ich von meinen anwesenden Freunden Abschied nehmen darf.


Sie gehen, ab.


Ende der zwoten Handlung.

Dritte Handlung

Erster Auftritt

Seneka mit verbundnen Adern, Pompeja Paulina, Piso, Fenius, Polybius, der Hauptmann und die Wache.


SENEKA mit schwacher Stimme. Es wird nicht nöthig seyn, daß ich mir die Adern wieder öffnen laße. Schwachheit und Onmacht überfällt mich schon, und ich fühle das Ende meiner Tage sich nahen. O [129] ewiges, unbegreifliches Wesen! auf deßen Ruff das verwirrte Chaos, Leben und Gestalten, Schönheit und Ordnung annahm! das auch den denkenden, unsterblichen Geist des Menschen werden ließ! Ich fürchte mich nicht vor dir zu erscheinen, ohngeachtet du mit mächtigem Arme die furchtbare Wage hältst, die die Thaten der Sterblichen richtet. Ich bin der Vernunft, die du mir zur Führerin gegeben, gefolgt. Nie hat mich Bosheit entehrt, nur Schwachheit hat mich zu Fehlern verleitet. – O welche Pracht, welche Herrlichkeit muß dich umgeben, da deiner Hände Werk, der Bau der Welt, die Sonne und der gestirnte Himmel mit so viel Majestät geschmückt ist! –

POMPEJA. Du bist deiner Glückseeligkeit und dem Lohne deiner Tugend nahe, mein Seneka! Aber mich und deine Freunde läßest du zurück. Ach, weßen Schmerz ist dem meinigen gleich! Wer hilft mir meine Last tragen? Octaviens Tod hätte ich schon nicht überleben können, wenn ich dich nicht zugleich hätte verlieren müßen. Der Besitz deiner und deine Liebe überwog bey mir alle Pein, und schien mir der schrecklichsten Martern werth. Allein jetzo erdrückt mich die Hand des Unglücks! Nun ist mir des Tages Licht unerträglich! – Gerechter Himmel, warum tödtest du nicht gleich diejenigen, die du elend machst! Wie leicht ist der Tod, aber wie entsetzlich sind oft seine Ursachen! – Doch endlich befreyt er von aller Quaal. Er wird mich auch davon befreyen! Ich will ihn schon finden. Ein kurzer Schmerz ist einem langen Übel vorzuziehen. Ich will mit dir zugleich erblaßen, o du, die beste Helfte meines Lebens!

SENEKA. Der Tod wird mir nicht schwer, nur der Verlust deiner, o Pompeja; und der Verlust eurer, meine Freunde, wird es mir. Doch ihr werdet bald bey mir seyn, und ich bin glücklich genug gewesen, daß ich euch beseßen habe. O ihr vormals mein Wunsch und Trost, jetzt meine Quaal, lebt ewig[130] wohl! Euer Glück sey euren großen Verdiensten gleich. Errettet euer Vaterland von der Knechtschaft, richtet die unterdruckte Tugend auf und wischet die Thränen von den Augen der Gerechten! Der sey unter euch der größte, der der willigste ist, die Glückseeligkeit Roms mit Ketten und Wunden, und alle seinem Blute zu erkauffen. –

PISO. Ach, er stirbt, der größte unter uns! Er stirbt, und verlieret all sein Blut für die Glückseeligkeit Roms! Warum verhängst du seinem Tod, o Himmel! Warum verhängst du, daß ich dabey gegenwärtig seyn muß! Ich glaubte durch meinen Besuch, mein Gemüth zu erheitern, und Bilder, schwärzer als die Nacht des Todes, erfüllen es, und werden niemals wieder daraus verlöschen! Künftige, weit entfernte Jahrhunderte werden deinen Fall bedauren, o Edelster unter den wenigen Edeln der Welt! und sie werden dem Wütrich fluchen, der ihn veranlaßt – Aber besorge nicht, daß deine Freunde jemals die Gesinnungen verleugnen werden, die sie deinem Umgange und deinem Unterrichte zu danken haben. Du wirst immer mitten unter uns seyn, wir werden glauben, daß dein Geist auf unsre Thaten sieht, daß seine Gegenwart uns umgiebt, wie der Äther, und bey allen zweyfelhaften Fällen werden wir uns befragen: wie würde dieses Seneka aufnehmen? – wie würde er handeln? – – Kein dir unwürdiger Gedanke soll jemals deine Freunde entehren, und wem nur ein Schatten davon vor der Seele vorübergeht, den wird Abscheu und eine edle Angst erfüllen, wenn er an dich gedenkt. Er wird dein Bildniß sehen und ein heiliger Schauer wird sein innerstes durchdringen. –

SENEKA. Denkt nicht zu lange an mich und meinen Tod, meine Geliebtesten! Nur eine kurze Zeit beweinet euern Freund. – Mein Lebensende ist nahe! – Die Brust wird mir zu enge – Ich –

[131]

POLYBIUS. Ach, er stirbt! – Er ist erkaltet! – Himmel, warum muß ich ein Zeuge dieses Unglücks seyn! Was wird meinen Verlust ersetzen; Nimmer werde ich diesen abscheulichen Tag vergeßen, der mir meinen fürtrefflichen Freund, und dem menschlichen Geschlechte seine Zierde raubt. –

POMPEJA. Nun ist es um mich geschehen! Mein Seneka! mein Seneka! wie erschrecklich beugst du mich! Sage mir noch einmal, daß du mich liebst! – Er hat seinen Geist schon zu den Unsterblichen geschickt. – Ach, wer errettet mich von der Angst, die meine Seele überfällt! Unaussprechliche Martern zerreißen mich! Meine schwachen Füße zittern und erhalten mich nicht mehr, und die Brust wallt für unnatürlicher Spannung – Wo bist du, mein Seneka? Wo bist du? Kehre zu mir Verlaßenen zurück! – Nattern – Heere von Nattern eilen auf dich zu, und wollen dich tödten. – Seht, wie sie den schuppichten Leib krümmen! Hört, wie sie zischen! – Rettet ihn! o rettet meinen Geliebten! – Aber – wie ist mir! Unbeschreibliche Angst zerrüttet meine Natur. O Tod! nur du kannst mich von meinen Elend befreyen. O mein Seneka! – –


Sie ersticht sich.


POLYBIUS. Himmel, was für entsetzlicher Pein bin ich aufgehoben! Unglück folgt auf Unglück, und Jammer auf Jammer. O mein Freund, o meine Freundinn! In was für einem Zustande hinterlaßt ihr mich! Wie werde ich ohne euch die Last des Lebens ertragen! Die Ehre Roms und die Ehre des menschlichen Geschlechts ist dahin, und Nero und ihre Schande lebt! Wenn wirst du deine Rechte schützen, o Vorsehung! Wer wird das Werkzeug deiner gewißen Rache seyn! Piso, Fenius, ihr Edeln –

SENEKA der sich von der Ohnmacht erhohlt. Ach! – Ist das Ende meiner Quaal noch nicht vorhanden? – [132] Eine Zeitlang hatte mich das Gefühl verlaßen, allein, nun empört sich die Brust aufs neue – Himmel, was ist hier geschehen! – Pompeja in ihrem Blute! Entsetzlicher Anblick, der mich mehr beunruhiget, als alles, was ich jemals erlitten habe. – Pompeja! o Allzugetreue! Verzeuch, verzeuch, bis ich zugleich mit dir erblaße. Öffnet mir die Binden, daß alle mein Blut dahin fließe! daß meines Elendes ein Ende werde! – –


Pompeja wird weggebracht.

Zweyter Auftritt

Ein Bote und die Vorigen.


DER BOTE. Ein erschrecklicher Zufall verwüstet deine Vorwerke am Gestade des Meers, o Seneka! Ich bin abgeschickt, es dir zu sagen. Gewaltige Winde erhuben sich plötzlich, Finsterniß bedeckte den Himmel, so daß die Vögel der Nacht erwachten. Flammen fuhren aus der Erde. Sie krachte, als wenn alle Felsen des Grundes bis zum Mittelpunkte der Erde gespaltet würden. Die See schien zu klagen, erhub sich und riß aus ihren Ufern. Viele Gebäude stürzten ein, vor der Macht der Wellen; und Schrecken und Angst erfüllte die ganze Gegend – – Allein, ihr Götter! was sehe ich! Nun weis ich, was dieser fürchterliche Zufall verkündiget hat. –

FENIUS. Ja, leider, kannst du es hier sehen! Seneka, dein Herr, der größte und der tugendhafteste Mann unter allen Sterblichen, der Freund des Himmels und die Zierde der Natur, stirbt, auf Befehl des elendesten Bösewichts, den jemals die Erde getragen hat. Nicht nur die Seinigen werden den Tod des Edeln beweinen, sondern die weite Welt, die er belehret [133] hat, und deren Glückseeligkeit er suchte. Der Himmel kündigt ihr durch die entsetzliche und wunderbare Begebenheit die Größe ihres Verlustes an – – –

DER BOTE. Ach, welch ein Unglücksbothe muß ich seyn! Die Wuth der Elemente hat Furcht und Schrecken in der Gegend, von der ich komme, verbreitet; aber die Nachricht, die ich ihr bringen werde, wird alle Bewohner derselben mit Verzweiflung erfüllen. Sie werden nun die wehklagende Stimme des Sturmes verstehen, und das rufende Meer wird ihnen sagen, daß Seneka, ihre Freude und ihre Glückseeligkeit stirbt! Für Schmerz werden sie sich die Brust schlagen und das Haar sich von ihren Häuptern reißen. O gerechte Götter! o Seneka! o mein geliebtester Herr!


Er geht ab.

Letzter Auftritt

Seneka, Piso, Polybius, Fenius, der Hauptmann und die Wache.


SENEKA. Nun nahet sich das Ziel meiner Tage! Athemlosigkeit und kalter Schweiß überfällt mich, und die Gegenstände schwimmen mir schon vor den Augen – – O Wesen aller Wesen, beflügle meinen Ausgang aus der Welt! – – – Gehabt euch wohl, meine Freunde! Gehabt euch wohl! – – Ich – – sterbe!


Der Vorhang fällt zu.


Notes
Erstdruck der Sammlung: Berlin (Christian Friedrich Voß) 1758 (anonym).
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Kleist, Ewald Christian von. Neue Gedichte vom Verfasser des Frühlings. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B036-7