[103] Die deutsche Sprache

Ferner Gestade, die Woge schnell,
Dem Blicke gehellt bis zum Kiesel ist,
Das Gebüsch blinket er durch, oder wallt
In die Luft, hohes Gewölk duftend, der Strom;
Wirbelchen drehn mit ihm fort. So strömt
Die Sprache, die, Hermann, dein Ursohn spricht.
(O auch du glichest dem Strom, Mann des Volks,
Da dir Roms steigender Damm lockert', und brach!)
Tieferen Quellen entströmet sie.
Erst wenige Zeit, da der eine Quell
Noch in Sand floss, sich verlor. Säumend jetzt,
Und mit Eil hallte der jetzt aus dem Geklüft;
[104]
Aber er rann in den Kies. Nun kam
Der Glücklichen Einer, und leitet' ihn
In den Strom. Schatten umher pflanzt man schon
An der Kluft; weilen da schon Wanderer gern,
Stehen, und sinnen: »Versiegt vielleicht
Ein ähnlicher Quell in dem Sand' auch uns?
Und gebricht Leitung ihm nur?« Doch verweht
Wird ihr Wunsch; Doppelgekling bleibt ihr Gesang,
Sage verbreitet, es schweb' umher,
Wie Griechengestalten, bey Nacht am Quell;
Und behorcht werde sein Fall, werd' es, wenn
Der Erguss tönet Verein, Gegenklang rauscht.
Der ist geheimere Kunst, der trift's
Zur Weise, wie Orpheus der Zelt' es traf.
Dem Verein komt nur der Wald: aber tönt
Genoss auch in das Lied; wandelt der Hain.

Notes
Entstanden 1783. Erstdruck in: Vossischer Musenalmanach für 1785, dort unter dem Titel »Unsere Sprache«.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Die deutsche Sprache. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B344-9