[130] [7]Dritter Theil

Elfter Gesang

Wenn ich nicht zu sinkend den Flug der Religion flog,
Wenn ich Empfindung ins Herz der Erlösten strömte, so hat mich
Gottes Leitung getragen auf Adlersflügeln, es hat mich,
Offenbarung, von Deinen Höh'n die Empfindung beseligt!
Wer an dem reinen, krystallenen Strom, der unter des Lebens
Bäumen vom Throne fleußt, nicht weilte mit heiliger Ehrfurcht,
Deß Beifall erreiche, verweht von dem Winde, mein Ohr nicht,
Unverwehet, befleck' er mein Herz nicht! Unten am Staube
Müßte bleiben mein Lied, wenn jener lebende Strom nicht
Durch die neue Jerusalem, Gottes Stadt, sich ergösse,
Und zu ihm mich hinauf der Vorsicht Rechte nicht führte.
Leite mich ferner, Du Unsichtbare, Du Führerin, leite
Meinen bebenden Gang! Des Sohnes Erniedrigung sang ich;
Bring mich höher hinauf, auch seine Wonne zu singen!
Aber darf ich mich auch des Vollenders Freuden zu singen
Unterwinden? die Höh'n, von Auferstehungen rauschend,
Und die Thale? des Siegers Triumph, da vom Tod er aufstand?
Und die Erhebung des Sohns von dem Staub hinauf zu dem Himmel
Aller Himmel, empor zu dem Throne des ewigen Vaters?
Die mich hören, und mir, hilf, Himmelerhobner, die Schrecken
Deiner Herrlichkeit uns armen Glücklichen tragen!
[7]
Ewig nun Erbarmer der Menschen, schaut' auf des Todten
Leichnam der Ausgesöhnte. Der Sohn, der Herrliche Gottes,
Er, von Ewigkeit Gott, der Hochgelobte der Himmel,
Christus sah zu dem Vater empor. Wer ist der Erschaffne,
Der zu empfinden vermag, mit welcher Wonne der Gottheit,
Welcher Liebe sie schauten? Da, wo herab von dem Throne,
Wo von der heiligen Erde sich ihres göttlichen Anschauns
Seligkeit senkt' und erhub, auf diesem strahlenden Wege
Fing jetzt wieder die stehende Schöpfung den kreisenden Lauf an,
Hier zuerst; dann floß von des Ewigen Throne die Nacht weg,
Dann von der Sonne der deckende Stern. Nun bebten die Pole
Aller Welten, den Flug, den Gott sie lehrte, zu fliegen.
Schon begannen sie ihn und donnerten weit durch die Himmel
Jenes Flehen, mit dem sie zu seiner Schöpfung Erhalter
Rufen: es wolle von ihnen der Allmacht Arme nicht abziehn
Gott und sie lassen auf ewig von seiner Herrlichkeit zeugen!
Eilend, eilender drehten die Sonnen sich, folgten die Erden,
Bis sie von Neuem den Weg der ersten Kreise betraten.
Jesus Christus, der Miterhalter der Schöpfungen, schwebte
Ueber dem Kreuz und sah auf seinen Leichnam herunter,
Wie der blutig und bleich und stumm zu der Erd' hinabhing.
Jetzo wandte der Ueberwinder des Todes sich. Schauernd
Bebte die Erde vor ihm, als er sich wandte. Nun schwebt' er
Nach dem Tempel, und unter des Eilenden Schwunge zerspalten,
Senken, stürzen mit himmelsteigendem Staub und Getöse
Rings die Felsen sich. Schnell erfüllet die heiligen Hallen
Christus' Herrlichkeit, schnell das Allerheiligste Gottes.
Sieh, es zerriß, indem sie ins Allerheiligste schwebte,
Von des Gewölbes fernen Höh', aus der er hinabhing,
Bis zu dem liegenden Saum der geheimnißverhüllende Vorhang,
Und es verschwand Dein Schatten vor Dir, vollbrachte Versöhnung!
Hier sprach Jesus Christus mit seinem Vater, mit Gott Gott,
Von der ganzen Erlösung Vollendung, bis er zu des Vaters
Rechte sich hübe. Denn nicht allein der getödtete Gottmensch,
Auch der auferstandne und himmelerhobene Gottmensch
Ist der Sünder Heil und ihres Glaubens Entzückung.
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Nur, wovon der Vater und Sohn, nicht, wie sie es sprachen,
Kannst Du, Sionitin, erzählen. Denn dieses zu denken,
Hat die Seele kein Bild, es zu sagen, nicht Worte die Sprache.
Siehe, wie Nacht sich in ewiges Licht aufklärt, wie des Sohns Heil
Keinem nicht Labyrinth mehr ist! war ihres Gespräches
Inhalt. Dann das Volk, deß Söhnungsaltär' aufhörten,
Bilder des ewigen Opfers zu sein, deß Tempel nun Trümmer,
Bald nun Staub ist, ihr thränenvoll Schicksal, wie sie gesät sind
Unter die Völker umher, und dieses Schicksals Entwicklung
Ging vor dem schauenden Auge des Sohns und des Vaters vorüber.
Auch die Religion, verbreitet unter den Schaaren
Zahlloser Völker, wie sie mit viel Jahrhunderten fortströmt,
Oft verdunkelt, entstellt, von der Menschen Lastern und Unsinn
Wie mit Nächten bedeckt, nie ganz vertilgt von der Erde,
Jedes Geretteten Auferstehung vom Tode der Seele,
Jeder Kampf des Streitenden, jeder Sieg des Gestärkten,
Seine Leiden, sein fernes Gefühl des Himmels, sein Ende,
Ging vor dem Ausgesöhnten und vor dem Versöhner vorüber.
Da so gegen einander der Vater und Sohn sich verklärten,
Wälzte – so brausen Meere – sich durch die hörenden Himmel
Eine Stimme; sie sprach: »Bei Dem, der von Ewigkeit Gott ist,
Mensch und erwürgt ward, auferstehn und zur Rechte des Vaters
Sich wird setzen, auch Euch, Ihr Ungefallnen wird's Wonne,
Wird es in jauchzenden Ewigkeiten Entzückung und Heil sein,
Daß die Sünde versöhnt hat der ewige Hohepriester,
Und mit Euch die wiedergeheiligten Sterblichen Gott schaun,
Eure Brüder, geschaffen wie Ihr zu der Ewigkeit, Gott schaun!
Fallet nieder und dankt! Auf seines Todes Altare
Ruht noch sein heiliger Leichnam; allein vollendet, vollendet
Hat er das Opfer der Ewigkeit. Bald ist die Erlösung
Ganz vollbracht. Ihr werdet den Ueberwinder, die Klarheit
Seiner Gottheit um ihn nun bald auf des Ewigen Thron sehn!
Gott, von Ewigkeit Gott, und bedeckt mit strahlenden Wunden!«
Also erscholl die Stimm' in den Himmeln, Eloa's Stimme.
Auch erhub sich über der Erde mit freudigem Beben
Eine Stimme; sie sprach: »Der Gottverheißne, der Treue,
Jesus Christus, der Dulder, der Gnadenvolle, die Liebe,
Nun, nun ist er den Tod für die Abgefallnen gestorben,
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Seinen versöhnenden Tod! Du Zweig an Adam's Stamme,
Klag' und verdorre nicht mehr! blüh' auf zu dem ewigen Leben!
Die geboren werden, nun jauchzen sie, daß sie es werden;
Denn es ist in der Sterblichkeit schon ihr Licht der Versöhner,
Ihre Leuchte das Lamm, das auf dem Hügel erwürgt ward.
Die sie vor Gott anklagte, die todverlangende Sünde
Ist vertilget. Gericht, Du gehst vor den Reinen vorüber,
Die mit des Gottgeopferten Blut sich glaubend bezeichnen.
Hebet Eure Häupter gen Himmel und glaubt! Der Erbarmer
Hat Euch den Eingebornen gesandt. Ein besseres Leben
Nimmt Euch auf, habt Ihr des Todes Schlummer geschlummert.
Priester seid Ihr und Könige, seid in Blute gewaschen,
Hell in dem Blute des Lamms, das auf dem Hügel erwürgt ward.«
Also erscholl auf der Erde des ersten Gefallenen Stimme.
Jesus war noch in dem Allerheiligsten. Keinem der Engel
Offenbaret' er sich jetzt sichtbar, keinem der Väter.
Seine Gegenwart kündeten zwar, da hinüber zum Tempel
Er von dem trüben Golgatha schwebete, wehendes Rauschen
Ihnen an und, Erde, Du, die dem Göttlichen bebte;
Aber sie sahn die Herrlichkeit nicht, vor welcher die Wolken
Rauschten, die Erd' erschrak. Sie beteten nur in der Fern' an;
Jetzo gegen die Höh' des Moria. Denn immer erbebte
Noch das Allerheiligste. Bilder vom Tode des Mittlers
Füllten zwar noch die Seelen der Väter; allein, wie kein Engel
Ihnen sie nachzuempfinden vermag, ergreifet, durchströmt sie
Wonne, mit jenem itzt süßern Gedanken von Deinem Tode,
Gottversöhner, vereint, die sanfteste Ruhe des Himmels,
Ruh' und Friede Gottes und Liebe Christus', die jeden
Ihrer Gedanken erleuchtete, jedes Gefühl entflammte.
Denn sie empfanden, es sei der Erschaffung zur Ewigkeit letzter
Seligster Zweck die Liebe zu Jesus Christus, dem Mittler
Zwischen Gott und den Menschen. In dieser sanften Entzückung
Sahen die Seelen der Heiligen jede die andre verloren.
Nach und nach war ihnen ihr Glanz, ihr strahlendes Leben
Wiedergekommen. So sahen sie sich. Die himmlische Liebe,
Welche sie gegen einander empfanden, hub sie noch höher
Zu der Seligkeit, Dich, o ihr Versöhner, zu lieben,
Eine Seele sie alle, sie all' ein Tempel des Mittlers!
[10]
Gabriel eilte zu ihnen vom Todeshügel herüber,
Trat dann unter sie hin. Noch konnt' er vor Wonne nicht reden.
Also hatte der Lichtanblick der Ewigerlösten
Ihm das Innre bewegt. Wie Harfen tönt' ihm die Stimme:
»Meine Brüder, Unsterbliche, – kaum darf ich Brüder Euch nennen –
Christus' Väter! ich führt Euch herab von der Sonne zur Erde;
Väter, noch ein Befehl ist mir an dem Throne geworden;
Also gebietet er: Geht zu Euren Gräbern, Erlöste!«
Schnell verbreiteten sich der Heiligen Schaaren und eilten
Jeder zu seinem Grabe. Es war von jenem Altare,
Bei dem Abel entschlief, noch übrig ein moosiger Felsen.
Adam ward und der Seinen viel' an diesem Altare,
Den fast ganz der Wasser Gericht wegwälzte, begraben.
Adam eilte mit wenigen Frommen, sie dort zu versammeln.
Und sie sahen, da sie sich den Gräbern nahten, die Engel,
Ihre Beschützer im Leben der Sterblichen, nah an der Gräber
Trümmern schweben. Es schien, als ob die Engel der Schöpfung
Kleinere Wunder, die Welten des Staubs und ihre Bewohner,
Unter den Trümmern betrachteten. Als die heiligen Seelen
Mehr sich nahten, verließen die Grabgefilde die Engel.
Triumphirend erhuben sie sich. Die Seelen der Todten
Wußten es nicht, warum in Triumph sich die Engel erhüben.
Henoch blieb und Elias am Todeshügel. Sie blickten
Wundernd den Heiligen nach, die zu ihrer Gebeine Ruhstatt
In der Zeit der Vollendung, der Zeit der Herrlichkeit, jetzo
Auf des Ausgesöhnten Befehl herunterstiegen.
Noa ließ sich mit Japhet und Sem hinab zu dem Grabe,
Das ihn an jenem Berge begrub, auf welchem die Arche,
Gottes Retterin, über der waldumstürzenden Meere
Dumpfem Geräusch stillstand, und wo den dankenden Altar
[11]
Noa baut' und opfert' und Dich, Du Bogen des Bundes,
Den Gott selber mit Gnade betrachtete, betend erblickte.
Abraham eilete mit den Geliebten zur Todeshöhle
Gegenüber dem Hain, in dem er den göttlichen Dulder
Schon wie einen Menschen gestaltet sah und nicht wußte,
Wer der Wanderer sei, so mit ihm in dem Schatten sich labte.
Moses ereilte sein einsames Grab an dem Nebo, wo Gott ihn
Unter Felsen begrub. Er starb vor des Ewigen Anschaun,
Welcher ihm, eh er entschlief, von dem Nebo Kanaan zeigte.
Vor dem Graun der Gegenwart Gottes zerrissen die Felsen
Unter dem Todten. Er sank hinunter; noch bebende Felsen
Stürzten ihm nach. So lag er, von Gottes Rechte begraben.
Nicht in dieser Fern' vom Golgatha kamen zu ihren
Gräbern die Jünger Moses', die, mit der Beredsamkeit Donner
Und prophetischen Psalmen vom künftigen Heile gerüstet,
Abraham's Enkel dem eisernen Arm der Götzen entrissen.
Graun umgab die Gefilde der heiligen Gräber und schreckte
Jedes noch Sterblichen Fuß zurück, der ihnen sich nahte.
Aber als ob bei den Heiligen sie nur weilen wollten,
Kamen die Seraphim wieder zu ihnen herab von der Wolke.
Adam hatte sein Grab mit seinen Geliebten betreten.
Also entriß er sich dem Erstaunen: »Ihr fühltet, ich sah es,
Wie ich heiligen Schrecken empfand, als Gottes Befehl kam.
Aber freut Euch mit mir! Wir sind gewürdiget worden,
Diese Zeit, da im Tode des Göttlichen Leichnam schlummert,
Mit dem Schlummernden bis zu dem Grab erniedert zu werden.
Selig, daß wir es wurden! Wie freudig ist der Gedanke,
Mit des Vaters ewigem Sohn erniedert zu werden!
Und noch einer entzückt mich: Ich werde jenen Gerichtstag,
Wenn er, zum Eden die Erde nun umzuschaffen, herabkommt,
Und Ihr, meine Kinder, mit mir, wir werden vom Tode
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Hier erwachen, erwachen bis hin an das Ende der Erde
Alle, die liegen und schlafen, zu Ewigkeiten erwachen,
Alle meine zahllosen Kinder der ersten Erschaffung
Leiber, verherrlichet sie und seelenähnlich, empfangen.
Ach, zu welcher Seligkeit schuf uns Jehovah! Wie hast Du,
Tod des Versöhnenden, uns und zu welchen Freuden erhoben!
Henoch und Du, Elias, Ihr zeigt's, wie werth des Verlangens
Eines Unsterblichen sei die Auferstehung vom Tode.
Säume nicht, letzter der Tage, daß wir nicht länger verlangen!
Säume, säume vielmehr, daß noch zahlloser die Schaar sei
Derer, die einst zu dem ewigen Leben aus Gräbern hervorgehn!«
So sprach Adam mit seliger Ruh', und seine Gefährten
Dachten mit ihm dem frohen Gedanken von der Erniedrung
Mit dem Versöhner und von dem letzten Tage der Erde
Wonnevoll nach. So standen sie Jeder an seinem Grabe.
Von dem Fuße des Bergs bis hinauf zu der Zinne des Tempels
Bebete fürchterlicher Moria. Schreckende Wolken
Wälzeten sich aus dem Allerheiligsten, strömten herüber
Durch die Hallen des Heiligen, dann in des Tempels Vorhof,
Dann gen Himmel. Wohin die schreckenden Wolken sich wandten,
Bebte die Erd', und spalteten Felsen, und huben sich Ströme.
Endlich standen die Wolken, gebreitet über die Gräber,
Leuchtender still, und ein Sturmwind braust' herab auf die Gräber;
Aber des ewigen Sohns Allmacht war nicht in dem Sturme.
Und die Erde bebt' um die Gräber; allein des Versöhners
Allmacht war in der bebenden Erde nicht! Es entströmten
Flammen den Wolken; aber der Herr war nicht in den Flammen.
Jetzo kam von dem Himmel ein sanftes Säuseln hernieder;
Und des ewigen Sohnes Allmacht war in dem Säuseln.
Ach, die Väter befiel, gleich einem Schlummer in Schatten,
Süße Betäubung. Sie wußten es nicht, wie ihnen geschahe;
Aber ihr dunkles Gefühl war: Nähe Gottes, und daß es
Um sie säuselte. Freudig, mit brüderlicher Entzückung,
Schauten die Engel umher im Gefilde der Auferstehung.
[13]
Jetzt daucht's Adam, als rief' er: »Ich werd', ich werde geschaffen!«
Und er strebte, sich aufzurichten. Noch kniet' er im Staube.
Harfen tönten ihm zu, ihm sang der Seraph und Cherub:
»Werde von Neuem und nun auf ewig geschaffen, auf ewig!
Siehe, Du starbst an dem dunkelsten Deiner Tage des Todes,
Adam! O, Heil Dir Ersten! erwach' und lebe nun Leben,
Seliges, Adam, wie Du nach Deiner Schöpfung nicht lebtest!
Ach, nun stirbst Du des Todes nicht mehr!« Noch kniet' er im Staube,
Sah noch dunkel. Es ward mit dem auferstehenden Leibe
Sein ätherischer Leib, der seit dem Tod ihn umhüllte,
Jetzo vereint. Der wurde des Umgeschaffnen Verklärung.
Schnell erhub er sich, stand und streckte gen Himmel die Arm' aus:
»Wonne mir, Du hast mich von Neuem aus Staube gerufen!
Ja, nun weiß ich's wahrhaftig, Du hast mich wieder, Versöhner,
Herrlicher mich, wie in Eden, erschaffen! O, daß ich Dich fände,
Gottversöhner, daß ich den Allmächtigen fände: wie wollt' ich
Niederfallen vor ihm, wie ihn anbeten! Du bist uns
Nahe, zwar nicht gesehn, doch bist Du uns nahe, Versöhner!
Ja, dies himmlische Säuseln ist Deiner Gegenwart Stimme.
Und auch sie erwachen um mich – schaut nieder, Ihr Engel –
Um den Vater der Menschen erwachen die heiligen Kinder!«
Eva begann, sich empor zu heben. »Wer bin ich geworden?
Bin ich in Eden? Wo bin ich? Ich lebe wieder im Leibe
Meiner ersten Erschaffung? O, dort ist Adam! Wie glänzt er!
Und wie glänz' ich! O Du, deß Wunden einst strahlen, wo bist Du,
Daß ich eil' und Dir danke, Du Wiederbringer der Unschuld!«
Adam eilte zu ihr, sie eilte zu Adam; doch konnten
Sie nicht reden, da sie sich in ihrer Entzückung umarmten,
Nur den Namen des Todtenerweckers konnten sie stammeln.
»Abel, Abel, mein Sohn!« rief Adam Abel entgegen;
Denn der schwebte daher wie ein Frühlingsmorgen, in Purpur
Und in Schimmer gekleidet. »Mein Sohn, wie hat uns der Mittler
Mit Barmherzigkeiten, mit Huld, mit Gnade beseligt!
Erde wurden wir, als wir entschliefen; was sind wir geworden!
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Ueber Alles, was wir verstanden, und was wir baten,
Hat er überschwänglich gethan, der, o Vater, versöhnt hat
Unsere Sünd' und die Sünde der Welt! O Ruhe der Himmel!
Alle sie werden wie wir an der Tage letztem erwachen.«
Enos fand sich bei Seth, bei dem Mahlaleel, Jared,
Kenan und Noa's Vater, bei dem Methusala wieder.
Unter Strahlen fanden sie sich, auf zitternden Gräbern,
Mit des neuen Lebens Gefühl, im himmlischen Leibe,
Der, ein bessrer Gefährt' der erlösten unsterblichen Seele,
Fast mit ihr denkt und empfindet, in dem die Ewige Gott schaut.
Wie nach ihrer Geburt sich die Morgensterne des Daseins
Freuten und Dich, o Schaffender, feirend sangen, so schwebten
Adam's Söhne daher und riefen Jubel und Wonne,
Neue Wonne sich zu. Der Auferstehung Gefilde
Halleten von der Entzückung der wiederkommenden Todten.
Noa, der zweite Vater der Menschen, fühlt's, daß er wurde
Und in sanfterem Wehn der Abenddämmrung erwachte.
Röthlicher Duft entfloß des Unsterblichen Schulter, indem er
Schnell sich erhub. Er rief: »Ihr Engel, sagt mir, Ihr Engel,
Ist mir ein Leib, wie Adam im Paradiese, geschaffen?
Ach, wo sind wir? am Throne des Ewigen? oder am Grabe?
Und wo betet Ihr an? wo ist er, o der mich umschuf,
Daß ich niederfalle mit Euch, mit Euch anbete,
Japhet! Sem! (Er sahe vor sich die Beiden erwachen.)
Ach, wo ist, Ihr Söhne, der uns von dem Tode geweckt hat,
Daß wir eilen und niederfallen und ihn anbeten!
Nein, nicht Noa's, der auch es ist, der Auferstehung
Söhne, wo ist, der mit Feuer sie von dem Himmel entflammt hat,
Daß wir knien und niederfallen und Jubel ihm stammeln!«
Wie der Fromme, der Gott, Gott, seinen Schöpfer, in Allem
Sucht und findet, in frühem erfrischenden Walde die Sonne,
Hinter duftenden Bäumen in ihrer Schöne die Sonne
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Aufgehn sieht – Entzückung und sanfter Schauer befällt ihn;
Denn sie ist schön, ein mächtiger Zeuge der Herrlichkeit Gottes –
So sah Abraham's Engel den Vater der glaubenden Nachwelt
Selig, verklärt, unsterblich aus seinem Grab hervorgehn.
Abraham legte die Hand auf den Mund und blickte gen Himmel;
Endlich redt' er, noch in sich gekehrt, noch vertieft in Erstaunen:
»Umgeschaffen bin ich? Wie wunderbar, Du Versöhner,
Sind die Folgen Deiner Versöhnung, wie gnadevoll sind sie!
Ach, dies neue Leben, das Du aus Staube mir schufest,
Gott, Versöhner, es ist auch Deinen Wunden entquollen!
Diesen unverweslichen Leib, den edlern Genossen
Meiner Seele, den hast Du mir vor dem Tage der Tage,
Vor der Erde Wandlung, gegeben! Wer bin ich, wer bin ich,
Daß Du mit diesem Heile mich, Liebender, überschüttest!«
Also rief er und weint', entflammt von Dank und von Wonne.
Isak kam, und Abraham daucht's, als wäre der Jüngling
Einer der Seraphim; also war mit dem festlichen Schimmer
Und mit der lächelnden Morgenröthe der Himmelsbewohner
Isak geschmückt. Und Abraham rief: »O, sahst Du mich werden,
Leuchtender Engel? Er ist für Adam's Söhne gestorben!
Er hat meinem verwesten Gebein dies Leben geboten!
Abraham, Vater, Du glaubtest zu Gott, ich würd' aus der Asche,
Hätte mich nun des prüfenden Altars Flamme geopfert,
Wieder erwachen. Ich bin erwacht! O bester der Väter,
Wunderbar ist des Versöhnenden Gnade! Sein heiliger Leichnam
Ruht noch am Kreuz, und wir erstehn zu dieser Entzückung.
Wie in Schlummer sank ich dahin, und himmlische Lüfte
Wehten um mich, und ich fand in glänzenden Wolken mich wieder.«
Voller Entzückungen kamen Sarai und Bethuel's Tochter
Zu den Geliebten. Auf sie und gen Himmel die Augen gerichtet,
Standen der Vater, der Sohn, und fühlten die Auferstehung.
Lange standen sie sprachlos; allein in der innersten Seele
Glüheten ewiger Dank und werdende Jubelgesänge.
Israel trat in Triumphe daher, und Thränen voll Seele,
Dankende Thränen entstürzten dem Auge des Auferstandnen:
»Halleluja dem Ueberwinder des Todes, dem Mittler
Zwischen dem Richter und mir! Du hast geblutet, Du hast es
Alles vollendet, Du hast aus des Todes Thal mich gerufen!«
[16]
Und die Seraphim hielten sich nicht und strömten ihr Loblied
Hin in den Wonnausruf des auferstandnen Gerechten:
»Preis und Dank dem Todtenerwecker, dem göttlichen Geber
Diesem jauchzenden ewigen Lebens, das jetzt aus den Gräbern
Aufblüht! Freue Deiner Bewohner, die kommen sollen,
Himmel, Dich! Es wehen mit leisem Lispel entgegen
Diese früheren Halme dem Rauschen der großen Ernte;
Sieh, es singet ihr Lied der Ernter Rufe: Ihr Todten,
Kommt! dem Posaunenhall: Gieb, Meer, sie wieder, und Erde!
Ach, dem Jubelgeschrei des letzten Tages entgegen!«
Israel wandte von ihnen sein Auge nach Golgatha's Grabe:
»Laut in den Himmeln allen, mit allen ewigen Chören
Will ich danken, wenn Du aus Deinem Grabe Dich aufschwingst,
Wenn der Geliebte den Liebenden auf der Herrlichkeit Thron schaut,
In dem Glanze, der Dein von dem Anbeginne der Welt war!
Seid Ihr, Engel, was ich bin? Ihr seid es nicht, starbt nicht, wie ich starb,
Glaubend an ihn! Ah, der Auferstehung mächtige Freuden
Fühltet Ihr nicht! Er ist, wie Menschen sterben, gestorben,
Und wie Menschen wird er in das neue Leben heraufgehn!
Selig betet Ihr an. Wir beten, selig mit Euch, an;
Aber wir lieben des Ewigen und der Sterblichen Sohn mehr.
Ach, wo sind, die mit mir in dem ersten Leben ihn liebten,
Zwar in der Fern' nur und dunkel ihn sahn, den Erretter der Menschen,
Aber in seiner Göttlichkeit doch?« Er wendet vom Himmel
Nach der Erde sein Aug' und erblickt und umarmt die Geliebten;
Joseph und Rahel noch nicht. Bei dem Grabe der Mutter Benoni's
War ihr Engel. Sie stand an dem Hange des offenen Felsen;
Auf der Höhe der Engel. Mit Blicken der innigsten Freundschaft
Sah sie zu ihm hinauf; mit Blicken der innigsten Freundschaft
Sah er auf sie herunter. R. »Mein Grab ist einsam, o Seraph!«
E. »Rahel, das Grab, in welchem nun bald der Göttliche ruhn wird,
Ist auch einsam.« R. »Unsterblicher, ach, wie hat er gelitten,
Dessen Leichnam nun bald das Grab an Golgatha einschließt!
[17]
Ach, was hat des Versöhnenden Tod uns erworben! Ich werde
Einst erwachen, wo mir das Gebein in dem Staube verweste,
Hier. Auch Auferstehung hat mir der Versöhner erworben!«
Als sie noch redete, hub sich um ihren Fuß von dem Grabe
Sanftaufwallender Duft, ein Wölkchen, wie etwa die Rose
Oder ein Frühlingslaub einhüllt, das Silber herabträuft.
Rahel's Schimmer umzog den schwimmenden Duft mit Golde,
Wie die Sonne den Saum der Abendwolke vergoldet.
Und ihr Auge begleitet des Duftes Wallen. Sie sieht ihn,
Anders um sich und wieder anders gebildet, herumziehn,
Steigen, sinken, zuletzt stets mehr sich nahen und schimmern.
Und sie bewundert den Tiefsinn der immerändernden Schöpfung,
Unergründlich in Großem und unergründlich in Kleinem,
Ohne zu wissen, wie nah der schwebende Duft ihr verwandt sei,
Und wozu ihn nun bald des Allmächtigen Stimme, Versöhner,
Deine Stimme nun bald erschaffen werde. Sie neigt sich
Ueber ihn und betrachtet ihn stets mit froherem Blicke.
Mit verbreiteten Armen, voll süßer namloser Freuden,
Stand ihr Engel und sah's. Nun scholl des Allmächtigen Stimme.
Rahel sank. Ihr daucht' es, als ob sie in Thränen zerflösse,
Sanft in Freudenthränen, hinab in schattende Thale
Quölle, sich über ein wehendes, blumenvolles Gestade
Leicht erhübe, dann neugeschaffen unter den Blumen
Dieses Gestades und seines Dufts Gerüchen sich fände.
Jetzt erwachte sie ganz. Sie fühlte sich, sahe sich, wußt' es,
Daß ein neuer unsterblicher Leib sie umgab. Mit Entzückung
Sieht sie gen Himmel und danket Dem, der vom Tode sie aufrief.
Nun verstummt sie nicht länger: »Du mein Versöhner, mein Bruder,
Jesus Christus, mein Herr und mein Gott, es erschalle Dein Namen
Immer von meiner Lippe zuerst! dann Eurer, Geliebte,
Israel, Joseph und Benjamin! Benjamin, Israel, Joseph!
Jesus Christus, mein Herr und mein Gott! Wo find' ich sie? Führe,
Führe mich, Seraph, daß ich den Angebeteten sehe,
Israel, meine Kinder! In ihrem Innersten durstet
Meine Seele nach ihnen. Vor ihrem Antlitz, mit ihnen
Will ich mich meines Heils, der Auferstehung mich freuen.«
Israel fand sie und Lea und dieser Söhne. Die waren
Aus den Gefilden Aegyptus' herauf von dem Strome gekommen;
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Benjamin auch, nur Joseph noch nicht. Der himmlische Joseph
Weilete noch um sein Grab zu Sichem. Einer der Knaben,
Die der Mittler einst küßt' und segnet' und unter das Volk sie
Stellte: Werdet wie sie; sonst könnt Ihr das Leben nicht erben!
Einer von diesen war jetzt gestorben. Sein leitender Engel
Führt' ihn in Hämon's Aue daher; und da sie die Seele
An dem Todtengewölb' erblickten, blieben sie schweben.
Samed fragte den Engel, indem er des Unbekannten
Herrlichkeit sah: »Wer ist, o Du mein himmlischer Führer,
Diese Strahlengestalt so voll von Hoheit und Einfalt?«
Und mit Lächeln und milderem Glanz antwortete Joseph:
»Blume, die nun in dem Schatten der Lebensbäume wird wachsen
Und am Schall des krystallenen Stroms, der herunter vom Thron fleußt,
Wer ich bin? Ich war in dem Leben, dem Du entflohn bist,
Erst ein glücklicher Knabe, dann durch Verfolgungen elend,
Sehr glückselig darauf. Denn ein Vater leidender Völker
Ward ich und meines Vaters. Erkennst Du nun, Frühentfloh'ner,
Rahel's und Israel's Sohn?« Und Samed sprach zu dem Engel:
»O Du Unsterblicher! Israel's Sohn und Rahel's, von dem mir,
Ach, von Joseph, mein Vater die wunderbare Geschichte
Oft vor Freude weinend erzählte. Milder, o Joseph,
Glänze noch milder, so wag' ich mit Dir, o Joseph, zu reden.
Dich zu sehn, das allein verdiente die Leiden des Todes;
Ihn erduldet' ich gern um Deinetwillen noch einmal,
Ja, noch einmal den Kampf des vollen Lebens im Aufblühn
Und der innigen Liebe zu diesem blühenden Leben
Mit dem Tode, mit dieser Empfindung, als ob wir vergingen,
Diesem Traume von ewiger Nacht, dem Schrecken der Schrecken.
Kaum erst bin ich entronnen. Mein Engel sagte mir's, mußte
Oft es mir sagen: ich lebte! So hatte der Schein der Vernichtung
Meine Seele geschreckt.« I. »Frühglückliche Seele, Du mußtest
Auch von des Lebens Leid ein Wenig dulden. Wie lohnt Dich's
Jetzo, daß Du so bald ein Genoß der Erben des Heils wardst,
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Derer auch, die höher als ich auf der Seligkeit Stufe
Stehn!« S. »O Israel's Sohn, kaum halt' ich, Joseph, Dein Glänzen,
Das Du mildertest, aus!« I. »Du wirst schnell lernen, o Samed,
Wirst bald Abraham sehn. Von dem Leibe der Erd' entlastet,
Lernen die Seligen schnell.« S. »Gern will ich lernen. O, lehre
Du mich, Israel's Sohn! Auch in dem irdischen Leben
Sind bisweilen Stunden des Himmels. Wie war Dir in jener
Stunde des Himmels, da Du Dich nun nicht halten mehr konntest,
Riefst, laut weinetest, daß die entfernten Aegypter es hörten:
Ich bin Joseph! Lebet mein Vater noch? da der Brüder
Aug' und des jüngsten der Brüder, ach, Deines Benjamin's Auge
Jetzo reden Dich sah: Verkündiget meinem Vater
Meine Herrlichkeit in Aegyptus! Du dann um den Hals fielst
Benjamin, Deinem Bruder, und weinetest; in der Umarmung
Benjamin auch die Thränen der frühen Seligkeit wurden;
Dann in jener Stunde, da Du erfuhrest: vernommen
Hab' es Dein Vater, da habe das Herz des staunenden Greises
Gar viel anders gedacht, es nicht geglaubt, bis er endlich
Deine Rede gehört und gesehen Pharaon's Wagen;
Da, da wäre sein Geist lebendig geworden: Ich habe
Nun genug, daß Joseph, mein Sohn, noch lebt! Hin will ich
Und ihn sehn, eh ich sterbe! da er Dich wirklich nun sahe,
Du um den Hals ihm fielest und lang' in seiner Umarmung
Weinetest; da zu Dir selbst Dein Vater sagte: Nun will ich
Gerne sterben, ich habe gesehn Dein Angesicht, Joseph,
Daß Du noch lebest! wie war Dir in diesen Stunden des Himmels?«
[20]
I. »Komm, auch Israel's Sohn und auch mein Bruder und jünger,
Als mein Benjamin war, komm und umarme mich!« Samed
Zittert' herzu und umarmt' ihn. Sie weineten lange des Himmels
Thränen. I. »Wie, Samed, mir war, das hast Du selber empfunden,
Als Du von jenen Thränen auf Erden die frohe Geschichte
Mir zurückriefst, als Du dadurch die Freuden des Himmels
Mir vermehrtest, so sehr vermehrtest, daß ich dem Geber
Jener Seligkeit wieder mit neuem Danke, mit stärkerm,
Als auf der Erd' ich zu bringen vermocht', anbetete.« S. »Danken
Will ich, Joseph, von Dir auch lernen; aber, o sage,
Warum ist es ein Grab, wo Du weilest?« I. »Unsterblicher, weiß er
Schon des Göttlichen Tod?« Der Seraph wollte jetzt reden;
Aber mit Eil' rief Samed: »Ich weiß, ich weiß des Versöhners
Tod!« I. »So weißt Du denn auch, daß uns ein Befehl von ihm wurde,
Uns, die das Kreuz umgaben, hinab zu den Gräbern zu wallen.
Zeugen waren wir seiner Erduldungen, bis ihm sein Haupt sank,
Und er starb.« S. »Dies wußt' ich noch nicht. Von dem Todten zu sprechen,
Bin ich noch nicht selig genug. Sobald ich so hoch mich
Heb' und nicht mehr verstummen muß, ist es Joseph, mit dem ich
Von dem Göttlichen rede. Jetzt, Benjamin's Bruder und meiner,
Sage mir, wessen Gebein deckt dieses Grab?« I. »Das meine,
Samed.« S. »Sollte denn Jeder zu seinem Grabe sich wenden?
Oder hast Du Dir Deins nur gewählt?« I. »Des Unsterblichen Botschaft
War: Wir sollten uns Jeder zu seinem Grabe sich wenden.«
S. »Was ist dieses, mein Hüter und Joseph, Ihr Engel Gottes?«
Lächelnd schweigt der niemals Sterbliche, Joseph erwidert:
»Dieses vielleicht: Wir sollen uns mit dem todten Messias
Bis zu dem Grab erniedrigen und, wovon er uns frei macht,
Unter Gebeinen mit stillen Betrachtungen überdenken.
Denn, daß er starb und aufersteht, das freit uns vom Tode,
Das erweckt uns dereinst an dem letzten Tage der Erde.«
S. »Hier wird also Joseph erwachen. O, trügen die Meinen
Meine Trümmer hierher, so erwacht' ich neben Dir, Joseph.
Laß hinein in das Grab uns wallen und sehen, was übrig
Ist von der Hülle, die sonst Dich umgab, in dem Staube geblieben,
[21]
Sehen, was aufersteht! Dies kleideten Israel's Söhne
In balsamisches Todtengewand bei Pharao's Strome.
Drum ist vielleicht Dein Staub von der Erde Staube gesondert,
Und wir können noch sehn, was künftig der Ewigkeit aufblüht.«
I. »Komm denn, Samed!« Er sprach's und führt' ihn hinab in das Grabmal.
Und sie fanden, wo in dem Gewölbe die dunkelste Nacht war,
Joseph's Engel, dem der Erwartung Freuden und Unruh'
Aus dem Angesicht strahlten. I. »Ich seh', o Seraph, Du freust Dich
Dessen, der bald nun erwacht.« E. »Ich freue mich seiner Erhöhung,
Joseph, die immer herrlicher wird und uns die Erwartung
Stets mit neuer Entzückung belohnt. Wenn Du ein Gefilde
Voll von Frühlinge liebtest, und, wo Du wandeltest, immer
Neue Blumen vor Dir entsprössen, doch die Du am Meisten
Unter den Blumen liebtest, die eine noch schlief' in dem Schooße
Dieses frohen Gefildes, Du würdest, Joseph, die eine
Mit unruhiger Freud' erwarten.« I. »Welche der Gnaden
Meinest Du, Seraph?« E. »O Du Unsterblicher, aber noch Todter,
Welche der Gnaden ich meine? Sieh hin!« Da wallte von selber
Erde wie Wolken empor und sank an des Felsengewölbes
Seite nieder; allein wo der Engel des Heiligen schwebte,
Blieb ein wenig wallender Staub. Mit Schnelligkeit wölkt' er
Auf sich und nieder, und schimmernd war's im gebärenden Staube.
»Schwebe näher und sieh,« rief Joseph's Engel, »wie herrlich
Hier in der Erde beginnen die ersten Funken des Lebens.«
Und ein sanftes Säuseln entstand in dem Todtengewölbe.
Samed wehten die goldenen Locken, und Israel's Sohne
Säuselt' es nach, da er seiner Gebeine Trümmer sich nahte.
Aber nun kam mit Eile die neue Schöpfung der Engel
Blicke zuvor und Samed's zuvor. Sie sahn das Geschehne,
Doch das Geschehende nicht, verwandelt den Staub und erstanden
Rahel's Sohn. Er rief: »Des Bundes Engel, o, der sie
Flammend die Nacht und am Tag in der hohen Wolke sie führte
Weg aus Aegyptus' Grabe durchs Meer der Schilfe nach Kanan,
Daß der Peiniger sank, jetzt sinkt der größre, der Tod sinkt!
[22]
Aber Israel ist in den Auen Ephron's und Rahel;
Abraham, Abraham auch!« Er rief's und strahlt' aus dem Grabmal.
Und es begleiten, vor Freude verstummt, die Engel und Samed
Seinen wehenden Flug. Er entschwebte dem heiligen Haine
Mamre's in seiner Väter und seiner Bruder Versammlung.
O, wer hörte genug von dem Nachhall himmlischer Harfen,
Tönen zu lassen, wie zu dem zweiten Male der Vater
Und der Sohn sich empfingen, die Brüder den Bruder erkannten,
Was die Mutter empfand, da sie ihren Erstling erblickte!
Herrlich hatt' ihn erschaffen die zweite Schöpfung. Sein Traum ging
Bis in das ewige Leben. Vor seiner helleren Klarheit
Neigten sich seine Brüder, itzt nicht nur neidlos, mit Freuden
Neigten sie sich und dankten dem Geber der höheren Gnaden.
Salem's Priester und König begrub bei der Quelle Phiala,
Wo er den Heiligen fand, ein Wanderer. Nicht aus Mitleid,
Nicht aus Menschlichkeit nur begrub ihn der staunende Fremdling,
Auch aus Ehrfurcht. Auf dem Angesicht fand er ihn liegen
Mit gefalteten Händen. So lag, ein himmlischer Anblick
Für der Seraphim Auge, der Priester Gottes im Tode.
Lange sah ihn der Wanderer an, und werth, zu begraben
Diesen Todten, erhub er mit freudigschauerndem Danke
Seine Hände gen Himmel; dann schlung er sie um den Entschlafnen,
Faßt' ihn und hob aus dem Staub ihn empor und begrub ihn betend.
Dieses Grab umschwebte Melchisedek. Rauschend ergoß sich
Von Phiala der werdende Jordan hinab an des Grabes
Kühlem Moose. Des Quells melodisches sanftes Getöne
[23]
Ueberströmt des Heiligen Seele mit freudigem Tiefsinn.
Und ihr däucht es, sie hör', Allmächtiger, Deine Stimme
Durch der Himmel Jerusalem sanft mit des Thrones Krystallstrom
Rauschen und durch die Wipfel der Lebensbäume sie wehen.
Und Melchisedek sank stets tiefer in dieser Entzückung
Süße Ruh'. Es vergingen um ihn die Erd' und der Himmel,
Gott nur und er vergingen nicht. Umgeschaffen erhub er
Aus dem Staube sich, stand, sank wieder hin auf das Antlitz
Und verstummte; doch nannten sein Auge voll bebender Thränen
Jesus und die gefalteten Hände Jesus, den Mittler.
Auf der Ebne, wo sie, durch Deinen Boten, o Allmacht,
Aus der glühenden Tiefe geführt, herauf in das Leben
Kamen, Allen ein Anblick des Schreckens und Grauns und Entsetzens,
Die, wenn nun die Asoor, der Gesang, die Flöt' und der Psalter,
Wenn die Cymbale, Dein Jauchzen, Drommet' und Posaune, Dein Donner
Rasten, die dann um das glänzende Bild zu der Erde sich stürzten,
Auf der Ebne hatten ihr Grab die Gerechten Asarja,
Misael und Hananja in einen Felsen gehauen.
Ferne nicht lag von dem Grabe der göttlichglaubenden Helden
Eine große Trümmer, das Bild. Einst hatt' es der König,
Welchen hinab zu den Thieren der Herr von Babylon's Höhn stieß,
Unter die Wolken gestellt, wie er in dem Traum es erblickte.
Königreiche, des Bildes Bedeutung, untergegangne
Königreiche, noch liegen sie, eine große Trümmer.
Misael und Hananja begruben Asarja und freuten
Sich der Auferstehung, als sie den Geliebten begruben.
Dich, Hananja, begrub der einsame Misael, trostvoll
Und erquicket von dem Gedanken des näheren Todes.
Jetzo suchte sein Aug' in ihrem Grabe der Todten
Asche; selbst des Unsterblichen Auge suchte vergebens.
Gleichwol schwung er sich, voll vom Gefühl der freudigsten Hoffnung,
Ueber die hohen Gräber empor und sang in der Wonne
Seiner Seele nach den Geliebten hinab, und gen Himmel
[24]
(Oft wird Rede nicht, wird Gesang der Unsterblichen Stimme,
Wenn in ihnen sich heißere Gluth der Empfindung ergießet)
Sang mit dem wehenden Rauschen Euphrates. Nicht, wie der Menschen
Unbeseelteres Ohr es vernimmt, wie es Himmlische hören,
Wenn ein fliegender Strom an seinen Ufern hinabhallt,
Hörten die Beiden die Stimme des Stroms und Misael's Stimme:
»Dennoch werden wir einst aus diesen Gräbern hervorgehn!
Ja, wie weit, o Verwesung, Du auch in die Tiefen der Schöpfung
Unseren Staub zerstreutest – in Deinen donnernden Strudeln,
Ocean, dort fließ' er! in Deinen Strahlen, o Sonne,
Schweb' er! ihn schuf einst Gott; unsterbliche Seelen bewohnten
Diesen Staub – ihn wird, ihn wird der Allmächtige sammeln,
Ueber ihm stehen und ihm das neue Leben gebieten.
Erde nahm der Allmächtige, sprach zu der bebenden Erde:
Werd' ein Leib des Menschen! er ward's. Den Staub der Verwesung
Wird der Allmächtige nehmen, ihm Leib zu werden gebieten.
Halleluja, dann wird erwachen der Staub der Verwesung!
Rauschen werden die Ströme, die Stürme brausen, das Weltmeer
Brüllen, beben die Erde, der Himmel donnern, und Nacht sein!
Mächtiger als das fliegende, grauenvolle Getöse
Wird die Posaune rufen, die Todtenerweckerin rufen!
Auferstehen werden alsdann, die liegen und schlafen!«
Leiser töneten ihm die letzten Laute. Vom Tode
Stand er auf, vom Tode bei ihm die himmlischen Freunde.
Der, wie schnelle Parden, wie Adler im Flug zu dem Aase,
Deine Rosse, Chaldäa, erblickte – die eilenden Reiter
Rafften Gefangne zusammen als Sand; sie lachten der Fürsten,
Und der Könige spotteten sie; ihr Führer war trunken
Erst von seinem Grimm, gleich unersättlich dem Grabe,
Dann von dem Taumelkelche des Rächers – der auch den Rächer
In der schreckenden Herrlichkeit sah, mit der er vom Paran
Kam – die Pest ging vor dem Gefürchteten her, wo er hintrat,
Elend; er maß das Land, wie weit die Zerstörerin wüthen,
Wo sie stillstehn sollte; die Hügel mußten sich neigen,
[25]
Da der Herrliche ging; bang ward den Bergen; der Strom fuhr
Eilend dahin; da bückte die Tiefe sich, und die Höhe
Hub die Händ' auf; Sonn' und Mond, Ihr standet; da fuhren
Seine Pfeile mit Glänzen dahin, mit den Blicken des Blitzes
Seine Speere – der so den mächtigen Helfer in Juda,
Siehe, den Wiedervergelter in seiner Herrlichkeit schaute,
Dessen Kraft war auch jetzo der Herr. Der Rettende führt' ihn
Aus dem Grab in die Höh'. Und Habakuk pries den Erwecker.
Sanft ertönte sein Saitenspiel an dem offenen Grabe:
»Nicht der Feigenbaum nur grünt, der freudige Weinstock
Nicht allein und die Arbeit am Oelbaum weit in den Thalen,
Auch die unsterbliche Saat steht hoch, der Ewigkeit Ernte.
Schimmernd reifte sie auf in dem frohen Garbengefilde.
Voll ist von Deinen Preisen der Himmel, Sela! die Erde
Deinen Ehren! Du dachtest an uns, Barmherziger, als wir
Hatten bis zu den Hefen den Kelch des Todes getrunken,
Ganz die Verwesung gesehn! Drum freu' ich mich Deiner, Erretter,
Und hin fröhlich in Gott, der mir in Ewigkeit Heil ist!«
Wie, wenn in Wolken ringsumher sich der Himmel gehüllt hat,
Und stets ernster der forschende Blick des Erwartenden aufschaut,
Wie auf einmal sich dann die Flamme des Herrn aus den Wolken
Stürzt und im Donnersturme den Preis des Allmächtigen ausruft:
Also entriß Jesaias der Nacht des Todes sich, strahlte
Ueber dem Grabe, so rief er Dank dem Erschaffer aus Staube.
Unter den Trümmern und Graun der großen Babylon, die sich
Nebukadnezar erbaute zu seiner Herrlichkeit Ehren,
Aber in der die Stimme des heiligen Wächters auch tönte:
Weggenommen ist Dir Dein Reich, und hinab zu den Thieren
[26]
Bist Du verstoßen! unter den verödeten Trümmern
Lag Deß Asche, dem Gott mit sehr viel Zukunft strahlte,
Daniel's. Und er suchte sein Grab. »Wo find' ich, o Seraph,
In der großen Zerstörung mein Grab?« Sie schwebten vorüber
Neben nächtlicher Vögel Geschrei und dem Zischen der Drachen
Und gesunknen Palästen. Sogar der Araber hatte
Keine Hütten hier, sein Sklav hier keine Gehege.
Jetzo fand der Engel das Grab. Mit Wasser und Schilfe
War es bedeckt. Ein moosiger Grabstein ragte darüber
Unter wehenden Schilfen hervor. Und Daniel's Seele
Dacht' an das Schicksal Vieler zurück, die lange schon schliefen,
Jenes zurück, der hoch mit stolzem Wipfel gen Himmel
Stand, ein großer Schatten der Müden, und dumpf hinstürzte,
Als es: Hauet ihn um! von dem Himmel erscholl. Der lernte;
Aber der Andere nicht, sein Sohn. Der Stolzere wollt' es
Niemals lernen, daß Gott der Königreiche Gewalt hat
Und, wie er will, die Könige stürzt. Drum ging ihm die Hand auch
Gegen den goldenen Leuchter hervor, drum schrieb sie den Tod auch:
König, die Jahre Deiner Gewalt sind gezählt und vollendet!
Siehe, gewogen hat Dich auf seiner Wage der Richter
Und zu leicht Dich gefunden! Dein Reich ist getheilt, ist dem Meder
Und dem Perser gegeben! Den Stolzen und die Genossen,
Hügel, die mit dem Berge zur Zeit der Zerstörung versanken,
Ließ wie erscheinende Schatten vor sich des Heiligen Seele
Schnell vorbeigehn. Aber itzt war das Ende der Tage
Auch für Daniel da. Der Liebling Gottes erwachte,
[27]
Schwebt' und strahlet' herab auf Babylon's liegende Trümmern,
Wie von dem einsamen Himmel der Stern der Dämmrung herabstrahlt.
Thränen säet' er einst und erntete Freuden, Hilkia's
Zärtlicher Sohn, als er mit des neuen Lebens Empfindung
Ueber dem Grabe stand und ganz unsterblich sich fühlte.
Jener Hirt zu Thekoa, der unter den Hütten der Einfalt
Den doch kannte, der hoch an dem Himmel gemacht den Arctur hat
Und den Orion, er sah die Auen jammervoll liegen
Und den Karmel oben verdorrt und Kirioth's Festen
Von dem dampfenden Fluge der Flamme verzehrt, im Getümmel
Moab (Kirioth sank) im Geschrei vergehn und Posaunhall,
Sah der Trümmern und Tode noch mehr in Juda's Gefilden,
Bethel's Altar und der Herrscher Paläste sinken, der Theurung
Wüthende Qual und eisern und ohne Regen den Himmel,
Ach, nur Wolken des Staubs, drei Städte zu einer um Wasser
Ziehn und sich dürftig letzen, das Schwert die Jünglinge fressen
Und die Tode der Pest. Von diesen Gesichten des Elends
Hingestürzt, ging Amos hinauf zu den Freuden der Todten,
Gern von Lebenden weg, die schon die Erfüllung ereilte.
Jetzo erwacht' er, zu sehen das Heil des Sündeversöhners
In der Unsterblichkeit Leibe, den Himmel eisern dem Durste
Derer nicht mehr, die nach der Erkenntniß des Heiligen lechzten.
Hiob hatte sein Grab mit kühlen Schatten umpflanzet,
Und er schwebt' in dem wehenden Hain. Jetzt schienen die Felsen
Seines thürmenden Grabes vor ihm sich nieder zu senken,
Jetzo sanken sie. Schnell entstiegen den ruhenden Felsen
Wolken wallendes Staubes; doch blitzte Glanz aus dem Staube,
Anderem Staub' und anderer Glanz, wie er jemals gesehen.
Da er sich freute der neuen Erscheinung mit frohem Tiefsinn,
[28]
Sank er entzückt in den strahlenden Staub. Ihn sahe sein Engel,
Wie er unter der Hand des Allmächtigen wurde. Der Seraph
Hielt sich nicht, rief gen Himmel, in seiner Wonne gen Himmel,
Daß vor des Rufenden Stimme der Hain und die Felsen erbebten.
Hiob empfand es, er war, er war von Neuem erschaffen,
Hielt sich nicht, rief gen Himmel, mit stürzender Thräne gen Himmel,
Daß vor des Rufenden Stimme der Hain und die Felsen erbebten:
»Heilig ist, heilig, heilig Der, der sein wird und sein wird!«
Trübe war noch der Himmel um Golgatha. Nächtliche Wolken
Ueberwölkten die Thäler und Höhn, des söhnenden Opfers
Ganzen Schauplatz, so weit der Menschen Auge den Hügel,
Wo das Kreuz des Getödteten stand, zu sehen vermochte.
Starr, mit tiefgesunkenem Haupt, die heilige Schläfe
Mit der Krone der Schmach bedeckt, im Blute, das auch starr
Stillstand, jetzo nicht mehr um Gnade zum Richtenden rufte,
In die Himmel der Himmel hinauf, um die Gnade des Vaters,
Hing Dein Leichnam – o, hätt' ich Namen, Dich würdig zu nennen –
Hing Dein Leichnam – nicht Thränen und nicht des Bebenden Stimme
Nennet Dich – hing an dem hohen Kreuz Dein Leichnam herunter!
Auch der leiseste Laut der Lüfte verstummt' um den Todten,
Erd' und Himmel verstummten. Von Menschen verlassen, einsam
Lag der Hügel. So liegt ein Schlachtfeld von der Erschlagnen
Nun begnadigten oder gerichteten Seelen verlassen.
Unverwendet blickte der mitgekreuzigte Jüngling
Auf den Todten, obgleich in schwerem Schlummer sein Auge
Dunkel zu werden begann. »Du bist gestorben, gestorben,
Du, den meine Seele, so sehr sie zu lieben vermag, liebt!
Und nun bin ich allein in diesem Tode der Marter!
Ach, gern will ich es leiden, will Alles, Alles erdulden,
Denn Du hast viel mehr gelitten, viel mehr, wie ich leide;
Aber verlaß Du mich nicht, wie Dein Gott Dich verließ! Ich vertiefe
Mich vergebens in den Gedanken, durchforsche vergebens:
Gott, Dein Gott verließ Dich! Erstaunungsvoller als Alles,
Was mich jemals erschreckt, ist dieser zu ernste Gedanke.
Könnt' ich nur noch stammeln, Ihr treuen Wenigen würdet
Mir's antworten, ob Ihr ihn sahet, als er es zu Gott rief?
Ob Ihr sahet sein Haupt empor ihn richten? sein Auge
Nach dem Himmel starren? des Rufenden Angesicht sahet?
Seine donnernde Stimme, mit der er rufte, vernahmt Ihr.
[29]
Könnt' ich's Euch stammeln! Um mich vergingen Himmel und Erde,
Und es entströmte mir heißeres Blut; ich glaubt', ich stürbe.
Ach, sie sehn mitleidig mich an! Ihr Sanften, Ihr Frommen,
Weinen kann mein Auge nicht mehr; es würd' Euch beweinen!
Dich vor Allen, o Mutter! Verlaß sie nicht, wie Dein Vater
Dich verließ! ach, mich, verlaß mich so nicht, Erbarmer!«
Also dacht' er und rang mit dem Tode. Gottes Erleuchtung
Ueberstrahlt' ihn jetzt heller. Den Zweck des göttlichen Opfers,
Daß des Geopferten Blut in das ewige Leben gequollen,
Gott versöhnet sei, lehrt' ihn der Geist des Sohns und des Vaters.
Und er erstaunte, wie nur zu erstaunen vermag, wen Gott lehrt.
Von Pilatus – ihn hatten die Hohenpriester gebeten,
Nicht, bis die Uebelthäter den Tod der Kreuzigung stürben,
Nicht zu warten, sie jetzt zu tödten, sie jetzt zu begraben,
Daß der Verfluchten Gebein des Passa Fest nicht entweihte –
Darum kommt von Pilatus ein Sklav, und er eilt, und er redet
Mit dem Hauptmann. Dieser gebeut. Schnell fasset der Nächste
Eine Keule voll Bluts von vieler Gekreuzigter Tode,
Nahet sich eilend, und schon begleiten ihn seine Genossen,
Hält sie mit dem nervichten Arm hoch über dem Haupte:
»Stirb!« und schmettert nieder; da brach das Gebein des Verbrechers,
Da erscholl von der Wurzel das Kreuz bis hinauf zu dem Wipfel.
Und der begnadigte Jüngling vernahm des erschütterten Kreuzes
Dumpfen Schall, den Verkündiger seines nahenden Todes.
Sanft klang ihm die prophetische Stimme des nahenden Todes.
Und schon wandte der Römer sich, ging mit starrendem Grauen
Vor dem Kreuz in der Mitte vorbei. Denn Götter der Rache
Schwebten, so daucht' es ihm, schwebten um dieses Kreuz in der Mitte.
Und er kam zu dem Jüngling; der blickte mit Ruh' auf ihn nieder.
Und der Kreuziger, schnell des Jünglings Qualen zu enden,
Stürzte mit allen Kräften, die ihm der härtende Krieg gab,
Auf sein müdes Gebein die blutige, triefende Keule
Aechzend nieder; da brach's und schütterte, blutete; krachend
Hallte das Kreuz. Herauf von der Wurzel stäubte die Erde,
Ringsumher erbebten der Hingerichteten Schädel.
Endlich ging er noch einmal, allein mit säumendem Fuße,
Nach dem Kreuz in der Mitte und stand und sah auf den Leichnam,
Rufte dem Hauptmann zu, der unten am Hügel voll Tiefsinns
Langsam ging, er rief: »Bei den Göttern, er ist gestorben!«
Ihm antwortet der Hauptmann: »Ich weiß, daß er todt ist; doch nimm Du
[30]
Einen Speer und durchstoß ihm das Herz!« So sagt' er und wandte
Wieder sich weg und blickte mit trüberem Ernst auf die Erde.
Schon erhub sich der blinkende Speer, schon zucket' er rückwärts,
Eilender vor und drang in die Seite des göttlichen Leichnams.
Wasser entquoll und Blut der Seite des göttlichen Leichnams.
Jetzo sahn die verlöschenden Augen des sterbenden Jünglings,
Aber nur fern, so daucht' es ihm, nur in trübender Dämmrung
Noch dies Blut aus dem Leichnam des heiligen Dulders rinnen.
Und es brach ihm sein Herz. Indem der Leib und die Seele,
Nicht zu scheiden, Dir nicht, o Tod, zu weichen, noch ringen;
Eh des starken Bands der Natur unerforschte Gewebe
Alle zerreißen, empfindet des Sterbenden Seele so, denkt so
Oder ist sich bewußt – doch Worte menschlicher Sprachen
Streben umsonst, zu sagen, wie Seelen der Sterbenden handeln:
»Nun, nun ... Ach, auch meiner erbarme Dich! Deines Blutes,
Um des Todes willen, den Du für Alle! ... Verließ Dich,
Gott, Gott, Gott verließ Dich! Erbarme Dich Aller! meiner!
Ja, um Deiner Geburt, um Deiner Duldungen willen
In dem Gericht, um Deines versöhnenden Todes am Kreuze,
Deiner Auferstehung und der Erhebung zum Vater,
Ach, des Todes, des Lebens willen! ... Du bist es, Du bist es!
Amen, Amen! Du bist der Vollender und eingegangen,
Hoherpriester, ins Allerheiligste! Deine Versöhnung,
Gottversöhner, ist ewig! Wie dürstete Jesus Christus!
Sünde gemacht und Fluch, wie dürstete Jesus, mein Retter!
Hör' ich: Es ist vollendet! allmächtige Stimme, Dich wieder?
Todeshügel, mein Grab, Du warst sein Altar! O, freu' Dich
Deiner Verwesung, zermalmtes Gebein! Hier wirst Du verwesen!«
Als er so in der Tiefe des Herzens flehte, da nahte
Abdiel sich und schwebt' um ihn mit leiserem Fluge,
Blicket' ihn an. Schnell ward des Unsterblichen Angesicht heller;
Also segnet' er ihn zu dem Tod ein: »Quelle des Lebens,
Unaussprechlicherer Barmherzigkeit, höherer Gnaden
Geber, als je der Mensch und der Engel verstanden und baten,
[31]
O, des Richters der Welt Versöhner mit Denen, die fielen,
Sei die Stunde mit ihm, vor der selbst Engel erbebten,
Wenn sie durch diese gefürchtete Nacht zu dem Ewigen gingen,
Wandl' in dem finstern Thale mit ihm und laß ihn die Wonne
Deines Lebens von fern und seiner Vollendung erblicken!«
Abdiel segnet' ihn so. Noch flehte des Sterbenden Seele:
»Gott, Du Liebe, die ewig liebt! Gerettete Seele,
Stamml' es nicht! Du ringest vergebens, hier noch zu danken.
Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und treu und geduldig,
Gott, Verzeiher der Sünde, der Missethat, des Verbrechens,
Herr, in Deine Hände ... Ach, Schaaren des Paradieses!
Und in hellem Gewande! ... Wie wehn die Palmen der Sieger!
Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und treu und geduldig,
Herr! in Deine Hände befehl' ich ... Jetzo nicht länger,
Länger nicht weilen, versöhnte, gerechte, begnadigte Seele!
Mittler, in Deine Hände befehl' ich« ...Er starb. Da verließen
Mit der Seele die feinsten noch übrigen Leben die Leiche,
Nun die Hülle der Seele zu werden, dereinst die Verklärung
Ihres verflogenen Staubes, wenn ihm das nahe Gericht ruft.
Also dachte die Seele: »War dies der Tod? O sanfte
Schnelle Trennung, wie soll ich Dich nennen? Tod nicht! es heiße
Tod Dein Name nicht mehr! Und Du, Du selbst, der Verwesung
Fürchterlicher Gedanke, wie schnell bist Du Freude geworden!
Schlummere denn, mein Gefährt' in dem ersten Leben! verwese,
Saat, von Gott gesät, dem Tage der Garben zu reifen!
Ja, verwese! Wie viel' und welche Leben empfind' ich!
Diese können nicht sterben, die neuen Leben nicht sterben!«
Abdiel hielt sich nicht mehr. Er hatte des Jünglinges Seele,
Wie mit himmlischem Glanz sie bekleidet wurde, gesehen.
Und er kam ihr, strahlend vor Wonne der innigsten Liebe,
Strahlend vor höherer Wonn' entgegen, daß sie erlöst sei.
Thränen rannen vom Auge des Himmlischen, als ihm der Sünder,
Welcher Buße gethan und Gott sich geheiliget hatte,
Auch entgegeneilte. So sprach zu dem Engel die Seele:
»Knecht des Höchsten – denn Du bist einer der Seligen Gottes,
Deine Hoheit und Ruh, die aus Deinem Angesicht leuchten,
Sagen es mir – als Dich mein werdendes Auge von fern sah,
[32]
Deines schwebenden, tönenden Ganges melodisches Rauschen
Dort mir scholl, da erschrak ich freudig. Du siehest, ich bebe
Noch vor Dir; allein Entzückung ist, Seraph, mein Beben!«
Und, in die Zukunft tief verloren, sagte der Engel:
»Komm, Du erster Todter, den Christus' Opfer versöhnet,
Du, der spät zu Gott, erst in dem Gefängniß, sich wandte,
Gnad' am Altare selber empfing, Du, künftiger Sünder
Weisheitverlassene Hoffnung und nach dem Tod ihr Entsetzen,
Komm, was Dir der Versöhner verhieß, wird jetzo erfüllet!
Denn ich führe Dich hin zu den Freuden de Paradieses.«
Also sprach er und eilte. Die Seele folgte dem Seraph.
Er, deß Angesicht strahlte, da er von des Ewigen Anschaun
Nieder am Sinai kam, so strahlete, daß er dem Volke
Sich verhüllen mußte, der, weil er nur einmal nicht glaubte,
Und ihm nicht schnell in dem nächtlichen Augenblicke der Fels quoll,
Kanaan auch von fern, von dem Nebo nur Kanaan sahe,
Moses schwebt' itzt allein an seinem einsamen Grabe,
Und kein Engel um ihn. Er hatt' in dem Leben der Prüfung
Keinen gehabt. So groß war Der, der, ohne zu sterben,
Gottes Herrlichkeit sah. Er schwebt vertieft. Vor ihm flohst Du
Wie in erscheinender Schatten, sein Erdeleben, vorüber.
»Pharao, Pharao, lange sind von Deinem Gebein schon
Und von Deiner Heere die Schilfgestade nicht weiß mehr!
O, wie stürzten die Mauren des Meers, wie rauschte der Sturmwind,
Hergesandt aus der wolkenerreichenden Flammensäule,
Und wie sank Aegyptus zum Tod hinab, wie begrub sie
Gott! Auch dort und da, diesseit und über den Hügeln
Führten uns seine Wolken und seine Feuer. Da schlug Gott,
Amalek, Dich, so lange sie mir die Arme gen Himmel
[33]
Hielten, und Israel, sanken sie mir. Dort brannte der Busch mir.
Heilig, Stätte, bist Du! Ach, langsam wurdest Du Quelle,
Fels! Wie war, Abiram, Dir, Dathan und Korah, wie war Euch,
Als die Erd' Euch verschlang? Da brüllte die Hölle Triumph auf.
Ja, er ist es, Du bist des Donnerhalls, der Posaunen
Berg, bist Sinai! Groß bist Du, o Wüste, bist Aller,
Welche vom blutigen Strom durch das Meer der Mächtige führte,
Großes Grab! Und Nebo ist meins! Ach, strahlt nicht Garizim's
Höh' ans Kanaan her? und Golgatha's ewiger Altar?«
Golgatha's blutiger, heilerfüllter, ewiger Altar!
Sangen am Nebo die Engel herauf, durch die des Gesetzes
Bund der Ewige sandte, sie glänzten wie Orione,
Kamen, umschwebten das Grab und hielten die goldenen Harfen
Hoch gen Himmel und tönten und sangen: »Segen Garizim's
Haben wir nicht, nicht Leben der Zeit; des Golgatha Segen
Haben wir. Moses, Aaron's Gott, was säumet Dein Leichnam?
Staub, Du ruhest, steh auf in das Leben, Dir ruft der Versöhner!«
Und in leisem und sanftem, in himmlischem Harfengelispel
Schlummert' er hin und erwacht' in Posaunenhall. Es erbebte
Nebo von jeder Todtenweckerin, wenn sie ins Grab scholl.
Feierlich beugte sein Knie und sank der Herrliche nieder,
Anzubeten, und lang' erhub sein Wonnegebet sich,
Lange sein Preis; kein Engel hielt ihm die Arme gen Himmel.
Auch der Könige Grab bewegte sich. David erwachte,
Ach, glückseligkeitssatt und nach dem herrlichen Bilde,
Siehe, des Unverwesenden, dessen der Auferstehung
Hoher Triumph auch harrte, des Erstlings unter den Todten!
Als in dem dunkeln Gewölbe der Sohn Isai's daherging
Und bei ihrem Gebein die Seele Salomo's sahe,
Blieb er bei ihr, wie er schimmerte, stehn. Der Sohn erstaunte,
Ueber den Auferstandnen der Unerwachte. Da eilten
[34]
Engel zu ihnen ins Grab und Auferstandne. Sie riefen:
»O, sie erwachten vom Tode!« »Ja, wir erwarten vom Tode!
Unser dürres Gebein,« rief Abraham in der Entzückung,
»Hörte die Stimme des Herrn, wir erwachten, ihn zu empfangen,
Ganz unsterblich wir er, wenn er nun selber heraufstrahlt.
Vater des göttlichen Todten, auch Du bist, David, erkoren,
Um die Ceder Gottes, ein Frühlingsbäumchen, zu grünen
Und zu lispeln im Hauche des sanften Säuselns vom Himmel,
Wenn sie nun ihren Wipfel bis in die Wolken emporhebt!«
»Aber«, Gabriel sprach's, »o Seele Salomo's, weine,
Du begnadigte, nicht, Dich wird Dein Staub nicht bekleiden,
Wenn die Ceder Gottes des Frühlings Erstlingen schattet.«
S. »Weinen? den er mit so viel Gnade der Himmel bekrönt, ich,
Der aus solchen Irren herauf zu der Rettung geführt ward?
Ruhe bis zu dem Tage der größeren Ernte des Lebens,
Mein verwesend Gebein; und wenn dies Todtengewölbe
Dich nicht mehr zu halten vermag, so wehe, zerstreuet,
In den Lüften ein Duft, in der sanften Kühlung am Abend,
Unter dem schimmernden Monde, so lang' er Sterblichen leuchtet!«
G. »Auch den künftigen Christen wirst Du,« antwortet der Engel,
»Nicht erscheinen. Denn nur die Auferweckten erscheinen.«
S. »Aber ich seh' die Erscheinungen doch, und ich freue mit Denen,
Die erscheinen, und welchen die hohen Erscheinungen strahlen,
Mich der Freuden des Himmels.« G. »Die warten, Seliger, Deiner!«
Endigte Gabriel, und sie verließen der Könige Gräber,
Mamre zu sehn und die Auferweckten im Schatten des Haines.
Aber noch stand Hiskia nicht auf. Der Bezwinger des Sera
Durch die Schrecken des Herrn, ob sein Heer gleich zahllos heraufzog,
Assa erwacht'; auch der, dem Volke zu predigen, zweimal
Durch Judäa von Berseba zog bis Ephraim, alle
Seine Fürsten mit ihm und die Priester Gottes, und dem dann
Heil, wie Keiner empfing, Gott gab. Denn Josaphat führte
Gegen die Feinde sein Heer mit Loben in heiligem Schmucke
Und mit Psalmen und Preisen und großem Geschrei gen Himmel,
Nicht zu schlagen, schon jetzt zu danken dem Retter, der bald nun
Kommen würde, zu siegen und bis zu der Wüste mit Haufen
Todter Feinde (da war kein Entrinnen) die Erde zu decken.
[35]
Auch Usia erwacht' in seinem einsamen Grabe,
Und in der Könige Gräbern sein Sohn, mit diesem der ernste,
Fromme Jüngling Josia, der eifernde Götzenzerstörer.
Auch barmherzig war er. Die Sängerinnen und Sänger
Weineten ihn, der Benjaminit, deß Thrän' auch auf Salem's
Trümmer fiel, am Herzlichsten; ach, sie weinten, den Necho's
Bogen trafen, in sanftem, in daurendem Liede voll Klage!
Denn noch sang es die Enkelin. Die Fünf' erstanden
All' auf einmal und schnell, fünf himmelfallende Blitze.
Aber noch stand Hiskia nicht auf. Ein Engel des Abgrunds,
Nisroch, ein Götze vordem, und Sanherib's Geist entschwebten
Langsam jetzo Libanon's Höhn. Den Eroberer mußte
Nisroch herauf von der Hölle zum Grabe der Könige Juda's
Führen. S. »Wer zwingt uns hinauf?« sprach schnell zu dem Götzen der Würger.
N. »Sanherib, hätt' ich gehorcht, wär' es nicht ein Engel des Todes,
Der den Befehl uns brachte, gewesen? Du hörtest ihn reden.
War sie, die Donnerstimme, nicht eisern, mit der er uns zurief?
Schnell wie Blitze? Mehr Tod ist der Tod, daß diese so furchtbar
Sind, so unwiderstehlicher Macht.« S. »Du Schwacher, dem Opfer
Bluteten! haben denn je dem furchtbaren Engel des Todes
Opfer geblutet?« N. »Du Schwächerer, der dem Gehorcher gehorchen,
Fliehn muß, wenn er gebeut, fleuch, hochgeschwollner Erobrer!
Fleuch und bete den Staub der todten Könige Juda's,
Sanherib, an! Hohnsprecher des Mächtigen, der um die Nase
Ringe Dir, in Dein Maul Gebisse Dir legt' und des Weges,
Den Du verwüstet hattest, zurück Dich führte, Du kennest
Also seinen Engel nicht mehr, dem ich heute gehorche?
Kennest den Furchtbaren nicht, der Deine Heer' in den Schlummer
[36]
Stürzt' und weit umher das Gefild mit Leichnamen deckte,
Daß mit dem Wehn der kommenden Sonne geflügelt Geschrei schrie,
Und der trunkene Blick der Adler Libanon's flammte?
Den nicht, Götterbezwinger zu Hamath und Arpad? Wo sind sie
Nun, die Götter zu Haran und Rezeph und zu Thalassar?
Wo die Götter zu Sepharvaim? Sie sind in der Hölle,
Dein zu spotten. Ich neide Dein Glück Dir, daß Du dem Hohne
Dieser Bezwungnen entronnen und, nur des todten Hiskia
Staub zu küssen, heraufgesendet bist!« Sanherib eilte.
Und die beiden Geister des Abgrunds traten ins Grabmal,
Wo Hiskias allein mit seinem Engel noch schwebte,
Langsam herein. H. »Warum entheiligen diese Verworfnen,
Engel Gottes, mein Grab? Wer sind sie?« E. »Sanherib's Seele
Und sein Götze. Du wirst, warum sie kamen, erfahren.
Sanherib, kennest Du diese verklärte Seele?« S. »Wie kenn' ich,
Ich Unglücklicher, alle die Söhne des glücklichen Schicksals?«
E. »Unglückseliger, weil Du ein Böser warest, er ist es,
Der in den Staub vor ihm sich bückte, welchem Du Hohn sprachst,
Der auf Gott sich verließ, da Deine Schaaren wie Ströme
Kamen! Du kennst die Gerichte, die schon auf der Erde Dich trafen;
Dann die folgten, und nun folgt dieses: Der Dir so klein schien,
Daß Du ihn kaum verachtetest, mehr dem Mächtigen Hohn sprachst,
Auf deß Rettung allein der erhabnere König sich stützte,
Sanherib, den sollst Du in neuer Herrlichkeit sehen!«
S. »Hab' er seine Herrlichkeit doch, die alt' und die neue!
Laß mich in meine Tiefe nur fliehn! Was geht mich Hiskias
Oder das ewige Licht, was mich, den Genossen der Nacht, an?
Laß mich, Tyrann des Himmels, entfliehn!« E. »Nah gehn die Gerichte
Gottes Dich an, Du Stolzer! Hier ruhet sein Staub, und der Deine
Liegt von Ninive's Trümmer belastet. Auch er wird erwachen,
Aber dunkel und jammervoll, anders, als den Du nun sehn wirst.«
Schrecken und Wuth ergriffen den blutigen Völkerbezwinger,
Als sich auf einmal das Grab des erhabnen Hiskia bewegte,
Und er ebenso schnell in der neuen Herrlichkeit dastand.
H. »Fleuch nun, Lästerer! fleuch, Hohnsprecher des Todtenerweckers!«
[37]
Rufte, bewaffnet mit blitzendem Strahl, Hiskia. »Was säumst Du?
Fleuch in Deine Tiefen hinab! Du hast mich gesehen!«
Aber Sanherib war in des Grabmals Felsen gewurzelt,
Konnte vor Wuth nicht entfliehn. Da rief Hiskias herüber:
»Siehe, noch anderer Spott, als der vor der Flucht in den Tempel
Nisroch's, wo Deiner Söhne gehobene Schwerter Dein harrten,
Anderer Spott lohnt jetzo Dich! Sion's Tochter im Himmel,
Sie mit der goldenen Krone des Heils verachtet Dich, Todter,
Und die hohe Jerusalem droben schüttelt ihr Haupt Dir,
Niedergestürzter Verderber, nach! Denn wen, o Du Stolzer,
Hast Du geschmäht? Dein Aug' erhoben und Deine Stimme
Wider wen?« Und Sanherib floh und der Götze zur Hölle.
David eilte zu Kis' Grabmal in Zela Benoni's;
Denn so nennet' ihn Rahel, als ihr den Tod der Geliebte,
Sie das Leben ihm gab; zu seinem Jonathan eilt' er.
J. »Ach, Du bist es doch selber? Du bist, mein David, es selber?
Siehe, so sind nur Henoch und nur Elia. Wer bist Du,
Vater des großen Todten, geworden!« D. »Der Staub in dem Grabmal
Meiner Kinder und meinem bewegte sich, siehe, da bin ich
Auferstanden!« J. »Du Vater des Gottgeopferten, Heil Dir
Auch zu dieser Herrlichkeit!« D. »Du mein Jonathan, wirst auch
Aufstehn.« J. »Ich? bin ich der Väter des Göttlichen einer?«
D. »Adam erstand und Noa und Abraham.« J. »Sind sie nicht alle
Väter des Mittlers?« D. »Auch Moses erstand.« J. »Wer kann sich mit Moses,
Ihm vergleichen, der Aaron's Gott war?« D. »Auch ich bin erstanden.
Hast Du gesündigt wie ich?« J. »Das nicht; doch war ich so edel
Und so fromm als, David, Du warst? und über das Alles,
Stammet denn nicht der Messias von Dir? Wie wenig verdient' ich,
Und wie dank' ich dafür, daß ich gewürdiget wurde,
Mit von dem Himmel herab zu kommen und Jesus zu sehen!
David, ich habe genug, ich hab' ihn sterben gesehen,
Und mein Auge wird auch zum Triumphe des Herrlichen aufschaun!
Auch dadurch bin ich selig, daß Du, mein David, zu mir kommst.
Wehmuth hätte beinah mich an diesem Grab ergriffen;
[38]
Denn hier bin ich allein, und keiner von meinen Vätern
Ist mit mir und keiner von meinen Brüdern. Die Meisten
Sind zwar selig; allein, ach, ruhet nicht hier sein Gebein auch,
Saul's?« D. »Du klagest doch nicht, o Du mein Jonathan?« J. »David,
Lieber wollt' ich vergehn! Ich klagen? machte mich Gott nicht
Auch zum Erben des Lichts? Auf meines Vaters Gebein ließ
Ohne Klag' ich nur die eine Thräne noch rinnen.
Nein vor Gott sind selbst die hohen Engel nicht, selber
Unsre Seligkeit kann ein Wölkchen Wehmuth umschatten.«
D. »Jetzo, mein Jonathan, darf nicht Wehmuth trüben, denn Christus
Ist gestorben. Als er noch litt, traf mehr wie nur Wehmuth
Unsere Herzen, und sieh, es erwachen die ersten der Zeugen
Seines Todes und Lebens!« Indem rief Jonathan's Engel:
»Trockne die eine Thräne, die Dir so spät noch geronnen,
Trockn' auch sie!« Er hatt's mit der Stimme der Halleluja
Kaum gerufen, als Jonathan schnell in Schlummer dahinsank,
Ebenso schnell vor David, nun ganz ein Unsterblicher, dastand.
Wer am Throne dereinst die hohen Jubelgesänge
David's und Jonathan's hört, der wird auch hören, was damals
Sie sich sagten, und was sie sich nicht zu sagen vermochten.
Gideon, der die Krone nicht nahm, die Juda ihm brachte,
Schwebt' in dem Glanz der Unsterblichkeit auf. So werden nicht glänzen,
Wenn das Rufen des ernsten Gerichts an dem Throne des Sohns ruft,
Die aus dem Blut der Bezwungnen empor die schreckliche Krone
Huben und auf ihr Haupt mit dem Recht der Tyrannen sie setzten
Oder, bessre Besitzer, in jener Schlacht sie entweihten,
Die nicht Schuldlose rettet und gern sich dem Richter verbürge;
Aber ihres Blutes Geschrei hat er vernommen
Und wird ihm, wenn er kommt, laut anzuklagen gebieten.
Jetzt erwachte sein stäubend Gebein, des Todtenerweckers,
Eh er selber verwest war, Elisa verließ – so verlassen
Frommer Seelen den Leib – sein deckendes Grab, und er eilte
Purpurstrahlend hervor, er allein ein Morgen des Frühlings.
Einst, da weiß zu werden begann das Gebein des Propheten,
Trugen sie einen Todten hinaus und legten ihn nieder
In sein Grab, ein jugendlich Weib, die Wonne des Mannes,
Welchem sie einen Sohn der Schmerzen sterbend geboren.
[39]
Lange hatten sie sich geliebt und besaßen sich endlich;
Doch sie starb. Er weint' ihr nicht nach. In stummer Betäubung
Ging er voran in dem Todtengefolge. Der Klagenden eine
Trug, der Gebärerin Tod, den Knaben, der schön wie der Rosen
Frühe Knospe zu blühen begann. Jetzt legten die Träger
Auf Elisa Gebein die Mutter des lächelnden Knaben.
Schleunig entstand ein Rufen des Freudeschreckens, und bleicher
Ward auf einmal das Antlitz der Weinenden, schneller ihr Athem;
Denn die Mutter erhub sich, sprang hin und riß aus den Armen
Jener Fremden ihr Kind und bracht' es bebend dem Vater.
Und sie, deren Wange, da sie in das Leben zurückkam,
Glühete, ward jetzt auch vor Entzückung bleich. Ihr Geliebter,
Der Erscheinungen sah und in dem Arme des Geistes
Seines Kindes Gestalt, betrachtete lächelnd die Beiden,
Mehr glückselig als je. »Ich folg', Ihr winket, ich folge!«
Aber da sie nun wirklich es war, da die Zeugen es riefen,
Und sie selber es rief, ward's um sein Angesicht dunkel.
Und sie reichte den Weibern das Kind und führt' ihn zur Hütte,
Wie, so freuet' er sich, ihn Todesdämmrung umschwebte.
An Debora's Grabe bewegten auf einmal die Palmen
Ihre Wipfel, und schnell stand unter den rauschenden Palmen
Auferweckt die Prophetin und pries den Erschaffer des Lebens.
Mirjam trat in Triumphe daher aus dem Staube der Erde.
Freudeglänzend erhub sie ihr hohes Auge gen Himmel,
Suchte mit feurigem Blick umher in den weiten Gefilden;
Aber sie fand den Unsterblichen nicht, der vom Tod in das Leben
Schnell sie gebracht, dazu an der Allmacht Throne gerüstet.
»Engel der Auferstehung, wo weilest Du, Ernter? Wo decken
Heilige Schatten Dein strahlendes Haupt? In welchen Gebirgen
Ist der Ruf der Posaune verhallt, mit dem Du mich wecktest?
Ach, wo ruhest Du aus von Deinem Werk, in Erstaunen
Selbst verloren, daß Gott zu diesem Wunder Dich sandte?«
Volk, das Hesekiel sah aus seiner Gefängnisse Gräbern
Kommen, wenn wirst Du, Volk des Gerichts, das zweite Mal aufstehn?
[40]
Deine Rettung nicht nur, der Sterbenden fröhliche Hoffnung
Auch zu lernen, erblickt' er die Auferstehung der Todten,
Sieh, ein ernstes Gesicht! Er stand weissagend, da rauscht' es,
Und da regt' es sich, und die Gebeine kamen zusammen,
Jedes zu seinem Gebein. Er sah, es wuchsen darüber
Adern und Fleisch, und mit Haut bekleidete Gott sie; allein noch
War kein Odem in ihnen. Doch er weissagte von Neuem,
Da kam Odem in sie, sie wurden lebend und standen
Aufgerichtet, ein zahllos Heer. Dies himmlische Bild war
Ihm von dem Ehebar übrig geblieben, und, lichter durch Strahlen
Seiner Seligkeit, hatt' es ihn nicht in dem Himmel verlassen.
Jetzt, da die Auferstehung des göttlichen Todten sich nahte,
Und der großen Entwicklung bei seinem Staub er sich freute,
Ging es von Neuem ihm auf, ein Strahlenmorgen des Frühlings.
Und sein Engel begann: »Ich hör' in den Fernen ein Säuseln
Als der Gegenwart Gottes. Von allen Seiten der Erde
Wehet es her. Wenn nun Einer von seinen Hauchen den Staub hier
Unter uns rührte? Jetzt schlummern sie wieder, die athmenden Lüfte;
Ach, nun erwachen sie wieder!« Er sprach's, und es weht' in des Engels
Goldenen Locke. »Hesekiel!« rief der hellere Seraph;
Aber schon hört' er nicht mehr, schon rauscht' und regte sein Staub sich,
Schon kam Odem in ihn, ein Hauch zu dem ewigen Leben.
Und der Unsterbliche trat auf seine Füße, zu freudig,
Auszusprechen, was er empfand; doch erhub er gefaltet
Seine Hände gen Himmel, und nun umarmt' er den Engel.
Und sie schwebten, geführt von dem Säuseln der Gegenwart Gottes,
Nach den anderen Todten, sie auch erwachen zu sehen.
Asnath schien in Schlummer zu sinken. So schwebt in der Aue
Leicht ein werdender Duft, den der Mond in Silber wandelt,
Wie sie des Grabes Staub mit zweifelndem Schweben berührte.
»Ach, mein Hüter, was ist es, das so mich umdämmert? Was gleiten
Mir vor Bilder vorbei, die ich sonst nicht kannte? Was fühl' ich
Neues in mir? Ich habe für diese neuen Gefühle
Keine Namen; allein sie gleichen, doch ferne nur, denen,
Die ich im ersten Leben empfand, da der Tod mich wegrief.
Sterb' ich, Engel Gottes, noch einmal? Mich däucht, die Stimme
Bebt mir, und, ach, zum leisen, gesunknen, unhörbaren Laute
Wird ihr Silberton. Ich sterbe wieder, Du Engel
[41]
Gottes! In sanftem Geräusch, als ob Eden's Quellen mir rauschten,
Seraph, in lieblichem Wehen des schattenden Paradieses
Schlummr' ich hin.« So entsanken Asnath die letzten Laute.
Aber von lichten Gedanken umringt, als wären's des Aufgangs
Röthen, durchdrungen von inniger Freuden schnellem Gefühle,
Schwebte sie auf, war ganz der Unsterblichkeit Erbin geworden.
In der Entzückung, als weit um ihn her das Todesgefilde
Rauschte von Auferstehung, da blies die hohe Posaune
Einer der Engel. Mit ihrem erschütternden Donnerhalle
Trat der Held, den Gott zur Bezwingung Kanaan's sandte,
Aus den Schatten des Todes herauf. So leuchten aus Nächten
Blitze, so sah auf Dothan's bestrahlten Bergen Elisa
Flammende Wagen der Engel, die ihn mit Rettung umgaben.
Wie ein Erstling der Frühlingsblumen in duftigen Thälern
Aufblüht, also erwacht zu dem Leben der Leben, nicht wieder
Wegzuwelken, die Tochter Jephtha's. Zu Silbergetöne
Ward es, wovon die Lippe der Preisenden bebte. Ihr Engel
Tönt's mit der goldenen Harf' ihr nach und erhub es auf Flügeln
Frohbegeisterter Harmonien noch höher gen Himmel.
Nah an Jerusalem hatte die Mutter der sieben Söhne
Mit den Söhnen ein Frommer in einer Höhle begraben.
Muthig grub er die Heiligen ein, entschlossen, dem Wüthrich,
Der sie erwürgte, die That zu bekennen und selber zu sterben.
Oft war diese Höhle die Ruhstatt müder Wandrer;
Oft beschatteten ihre Gewölbe des einsamen Beters
Heiße Thränen. Sie füllte mit ernstem Tiefsinn die Seele
Aller, welche vor ihr vorübergingen; denn Alle
Hatten gehört, welch heilig Gebein die Höhle begrübe.
Jetzo knieten in ihr um ihre Mutter die Söhne,
Märtyrer neben der Märtyrerin, voll dankender Wonne,
Daß sie, als seine Zeugen, der Mittler sterben zu lassen
Sie gewürdiget, da ihn sein erstes Gesetz noch verhüllte,
Da er in bildendem Schatten sich nur dem Forschenden zeigte,
Und ihn Tabor noch nicht, noch Golgatha ihn nicht verklärten.
Als von ihrem Grabe zu Gott ihr dankend Gebet stieg,
[42]
Kamen über den Bach, der an der Höhle vorbeifloß,
Semida und ein Bethlehemit, der Dich in der Hütte,
Wo Du das erste Mal weintest, Erlöser, von Engeln geführt, sah.
Und sie setzen, lang' von ihren Schmerzen ermüdet,
Am Eingange des Grabs sich gegen einander und weinen.
»Semida!.. Doch ich schweige von ihm. Wenn spräch' ich es ganz aus,
Was ich über den Tod des Menschenfreundes empfinde!
Aber, o, sage mir, sage, was dieses vor ein Gefühl ist,
Welches, seitdem mich des heiligen Grabmals Schatten umgeben,
Mich mit sanften noch nie empfundenen Schrecken erschüttert?
Aber ich denke zurück. So war es mir, als sich die Engel,
Die uns seine Geburt verkündeten, ferne nur nahten,
Gleich der Dämmrung, und noch in der Himmel Glanze nicht strahlten.«
S. »Heilig ist, Jethro, ihr Grab. Ich empfinde, was Du empfindest.
Laß uns eilen! Denn Engel, Geliebter, oder Entschlafne
Weihen jetzo dies Grab zum Heiligthume. Drum laß uns,
Laß uns eilen! Der Schauer, der aus den Tiefen der Höhle
Uns erschreckt', ist ein Wink, uns schnell zu entfernen. Sie wollen
Einsam und mit Dem, den sie anbeten, allein sein.«
Semida sprach es. Aber eh er sich wendete, ging er
Einige Schritte tiefer und ruft' in die nächtliche Halle:
»Ihr, o Unsterbliche, betet mit uns den Todten des Herrn an!
Göttlich hat er gelebt, und göttlich ist er gestorben,
Jesus Christus. Vor seiner Geburt schon nannten die Engel
Seinen Namen. Ihr kennt den heiligsten aller Namen,
Jesus Christus, des Todten. Vom Tode wird er erwachen.
Ihr, ob Eure Gegenwart gleich mit Schauer uns schreckte,
Seid Erschaffne wie wir. Ihr seid unsterblich. Unsterblich
Sind auch wir. O, lasset mit süßen menschlichen Namen,
Lasset Brüder Euch nennen! ach, Ihr seid unsere Brüder!
Dieses Grab der Märtyrer sei, wenn wir einst zu Euch kommen,
Unser Zeuge, daß wir, schon auf der entheiligten Erde,
Noch in der Hülle der Sterblichkeit, unsre Brüder Euch nannten!
Euch erinnre dies Grab der Märtyrer, daß, wenn wir kommen,
Ihr, die Ersten im Himmel, als Eure Brüder uns aufnehmt!«
Thirza und ihre Söhne vernahmen den Jüngling; sie sahen
Ihn und seinen Gefährten, indem mit melodischer Stimme
Semida redete, Beide mit freudigstaunenden Blicken
Unverwendet auf sie, so daucht' es ihnen, hinabschaun.
Als er endete, wandte zu ihren Söhnen sich Thirza:
[43]
»Möchten sie weilen! ich liebe sie. Voll von Einfalt und Unschuld
Ist ihr Herz; doch vielleicht, daß der Schauer, welcher sie schreckte,
Von dem Ewigen kam. Geht hin in Frieden! Der Herr sei
Euer Gott und leit' Euch zu unserem ewigen Leben!
Ja, bei unserm Staube, der einst der Unsterblichkeit aufwacht,
Ja, wir kommen, entschlummert Ihr, Euch von dem Himmel entgegen.«
Jethro und Semida wendeten sich und verließen die Höhle.
Als der beiden Sterblichen Bild noch um Thirza's Seele
Schwebte, verdrang's auf einmal ein Anblick voller Erstaunen.
Ihre Söhne, wie sie von dem Leben der Himmlischen strahlten,
Sanken um sie in Schlummer; doch dauchte sie, zween von ihnen
Wären vielmehr in Entzückungen als in Schlummer gesunken.
Denn es leuchtete heller als sonst ihr Antlitz. Sie red'ten;
Wonne war ihr Gefühl, und Harfen waren die Stimmen.
Voll von Seligkeit rief der dritte der Brüder, Beninu:
»Stiegest Du schon, o Du schönster der Morgen, Du seliger Morgen
Seiner Auferstehung, herauf? Ja, Morgen der Wonne,
Siehe, Du bist gekommen – das Grab erbebt, es erbeben
Golgatha und das Kreuz – Du bist, o Morgen, gekommen!«
Also rief er und sank, wie seine Brüder, in Schlummer.
Voll von Seligkeit rief der Brüder jüngster, Jedidoth:
»O Ihr Engel, wo bin ich? Hat er zu dem Throne des Vaters
Schon sich erhoben? Ach, himmlisch, Jerusalem, schimmerst Du! himmlisch
Glänzest Du, Thron des Siegers! Allein wie strahlen, wie strahlen
Seine Wunden!« Er rief es und sank dahin, wie die Brüder.
Thirza erstaunte noch stets. Vor ihrem Angesicht lagen
Sieben Unsterbliche, welche, wie Menschen, Schlummer umwölkte.
Süß zwar ist der Liegenden Anblick – das Antlitz der Mutter
Hängt mit stillen Betrachtungen über dem Antlitz der Söhne –
Aber die Schlummernden sind Unsterbliche. »Sollen,« so dachte
Ihre Mutter, »so lange das Grab des Versöhnenden Leichnam
Heiligt, auch sie die festlichen menschentröstenden Stunden,
Zwar im Tode nicht, aber doch schlummern?« Sie dacht' es. Indem schloß
Sich ihr Auge. Sie sahe sich nicht, sie fühlte sich sinken.
Umgeschaffen erhub sie sich dann. Ihr Engel, wie ward ihr,
Als sie in ihrer neuen verklärten Gestalt sich erblickte!
»Danken, danken will ich,« sie rief's mit zitternder Stimme,
»Ewig danken! Ach, mehr wie die froheste Hoffnung entzücket,
Gabest Du mir der Freuden! Auch sie erwachen, Du Geber
Unaussprechlicher Wonne, Du Geber des ewigen Lebens!«
[44]
Und sie kniete nieder und sah, mit verbreiteten Armen
Und mit lautem Weinen, um sich die Kinder erwachen,
Sah sie werden. So schnell, wie der Gluth sich die Flammen entschwingen,
Sahe sie, daß aus wehendem Staube sich Engel erhoben,
Und der Leib der Heitre den neugeschaffnen verklärte,
Sah sie ihr erstes Lächeln (es lächelte nicht der Mutter),
Sah ihr werdendes Auge gen Himmel sich öffnen und schimmern,
Höret' ihr erstes Stammeln zu Gott, die seligste Mutter.
Neben einander begrub ein Grab vier Freunde. Dem Hügel
War das Felsengewölbe, worunter die Leichname ruhten,
Im Erdbeben entstürzt. Sie sahen ihre Gebeine
Ueber ihrer Verwesungen eingesunkenen Asche
Liegen und segneten diese zerstreuten Trümmern des Lebens,
Mit dem Wunsche der Auferstehung; aber sie hofften
Jetzo des freudigen Wunsches Erfüllung noch nicht. Der Entschlafnen
Letzter, der Ethan und Chalkol zur Ruh und Heman begleitet,
Dann noch ein Wenig auf Erden, ihr Uebriger, hatte gewandelt,
Darda sprach zu seinen Geliebten: »Wie waren wir immer
So glückselig, Ihr Freunde! Das Leben am Grabe vereint' uns,
Dann das Grab, die Ewigkeit auch. Zwar sahen wir Ethan
Sterben und weinten ihm nach; Dein Gebein ist weißer, o Ethan!
Heman sah ich und Chalkol des Todes Weg zwar ziehen,
Aber zu Ethan hinauf, und wir weinten sanfter. Darauf schlief
Chalkol in meinen Armen auch ein, und ich blieb übrig,
Noch zu dem Leben so reif nicht als Ihr. Wie war mir Verlassnen,
Als ich, o Chalkol, das Grab Dir schloß! Doch mächtiger stärkte
Gott den Weinenden, gab mir Ermannung, gen Himmel zu schauen.
Bald hernach starb Salomo auch und wurde versammelt
Neben David's Gebein. Kurz war mein übriges Leben;
Wenige Nächte, da kam mit dem Todesschlafe die letzte.
Siehe, da liegt nun unser Gebein und harret des Rufes,
Welcher ihm zu erstehn gebeut. Wie entzückt das Verlangen,
Auferstehung, nach Dir! wie wirst Du selber entzücken,
Auferstehung!« »Wie wirst Du,« mit himmlischen Harmonien
Sang es Heman, »o Du Erwachen zum Leben, entzücken,
Du Erwachen, nicht mehr zu entfliehenden Tagen! Vergönne,
Geber der Seligkeit, mir, der Wünsche frömmsten zu wagen,
[45]
Der zu Hoffnung beinah in meiner Seele gereift ist,
Diesen, mit Dir zu erwachen! Denn Du verwesest nicht, Mittler!
Jesus Christus, wie könnte Dein Gott Dich verwesen lassen!
Hier von meinem Leibe, deß Erde lange schon hinsank,
Fleh' ich zu Dir hinauf, weit über den Hügel des Kreuzes,
In die Himmel der Himmel hinauf: Laß, großer Beginner
Deiner Ernte, den Keim in dem Staube, den schlummernden Leichnam,
Unter Deinen Schatten, Du Aehre der Aehren, erwachsen!«
»Ach, sie schattet noch nicht,« rief Chalkol heftig, »und Heman
Blühet schon auf! Ihr Glücklichen, seht Ihr den Todten erwachen?
Seht Ihr ihn glänzender werden?« Er rief's und verstummt' und erwachte
Mit dem Erwachenden. Darda, auch Dir, und Ethan, Euch wurde
Keine Zeit zum Erstaunen gelassen. Der Todten Gebeine
Rauschten und regten sich mit und wurden mit Lichte bekleidet.
So, wie sie strahleten, huben sie sich, verernigte Schimmer,
Hand in Hand in die Wolken empor und sangen dem Mittler.
Nah an Jerusalem schlief die Prophetin Hanna, vor Vielen
Ihrer Tage glücklich. Sie sah in dem Tempel den Knaben
Bethlem's und wußte, wer der Sprößling aus Juda's Stamm sei.
Er entrann in Aegyptus, und sie in das Grab. Sie erwachte
Jetzt zu der Herrlichkeit. Als sie herauf aus dem kühlen Gewölbe
Ihres Grabmals trat und nun die Augen, so niemals
Wieder sich schließen sollten, eröffnete, sah sie des Todten
Leichnam gegen sich über am Kreuz. »Ja, dennoch, Du Todter,
Bist Du mein Auferwecker! Du bist es, Du hast mir den neuen,
Ach, den unsterblichen Leib vor dem Tage der Tage gegeben!
Ach, wie trieft er von heiligem Blute! Laut in des Himmels
Fernen Hallen vernahm und erhörte der ewige Richter
Dieses Blutes Rufen um Gnade.« Sie sprach's und verstummte
Voller Wonne, vertieft in die Folgen dieser Erhörung.
Joel, Samma's Erster, nun Einziger, hatte den Vater
Und den Todeshügel verlassen und war zu des Oelbergs
Thale niedergeirrt, Gethsemane durch, zu dem Grabe
Seines Bruders. Er sucht' es mit schwerem Schritte. Der Stein war
Schon mit stillem Moose bedeckt. Er sank bei dem Steine
Kraftlos nieder mit starrem und blutenden Auge von Thränen
Ueber Jesus und über Benoni. »Du hast in der Kinder
Und der Säuglinge Munde Dir Lob bereitet; in meinem
[46]
Jammer. Ich hatt' um Benoni den Schmerz zu stillen begonnen,
Aber darauf.. Ich mag den göttlichen Namen nicht nennen
Mit dem Namen des Todes. Und, ach, nun still' ich mein Jammern
Um Benoni nicht mehr. Er ist mir noch einmal gestorben.
Jener große Todte, kaum wag' ich es, ihn zu beweinen,
Ist ein Bruder der Engel; ihn dürfen Engel nur weinen.
Aber, Benoni, Benoni, Dich darf, Dich will ich ewig
Weinen!« Er senkte sein glühendes Haupt auf den Stein mit trübem
Bangen Auge, mit bleichen und sanftgeöffneten Lippen,
Seines Bruders und seines Engels Wehmuth und Wonne.
Denn sein Engel und Du, vollendete Seele Benoni's,
War't heruntergekommen zur heiligen Stille der Gräber.
Joel wußte das nicht. So kennt ein duldender Frommer
Hier im Leiden die helfende Hand nicht, die ihm so nah ist,
Nicht entfernter als jene Lüftchen, welches schon säuselt,
Ihn mit stiller Kühlung ins Grab hinunterzuwehen.
Denn schon hat ihn des Lebens Herr und des Todes zum Sterben
Eingesegnet. B. »Ich lebe mehr, o Seraph, als er lebt;
Aber wie weint er den Todten und denkt nicht hinauf an mein Leben!«
J. »Hingegangen bist Du und hast allein mich gelassen,
Mein Benoni, Du Blume, von schnellem Sturme gebrochen,
Duftende Morgenblume, des Thales Saron die schönste!«
B. »Hingegangen, mein Joel, mein Bruder Joel, zu wachsen
Hoch im Himmel ein Schatten empor an dem Strome des Lebens.«
J. »Unser Vater ist alt. Dein Tod, Dein Tod, o Benoni,
Wird auch ihn mir nehmen und, ach, hinab in die Grube
Bringen mit Herzeleid sein graues Haar! Ich, der Waise
Und der Bruderlose, wie werd' ich schmachten und dürsten
Nach des Todes Kelch, der Anderen bitter, mir süß ist!«
B. »Seraph, des Knaben Schmerz geht durch die Seele mir. Trockn' ihm
Seine Thränen, ach, trockne die unaushaltbaren Thränen!«
E. »Gott, Gott nimmt sie von ihm, ist seine Stunde gekommen.
Weißt Du nicht, daß wir Engel zu früh die Thränen nicht trocknen?«
J. »Schlummere sanft, Du Inniggeliebter! Doch Lazarus kam ja
Aus der Verwesung. Allein da lebte der Göttliche selbst noch.
Aber nun hat er an dem Kreuze Vollendung gerufen.«
[47]
B. »Wird er lange noch leben, o Du sein Engel?« E. »Das weiß nur,
Der, wenn er sterben soll, mir gebeut, ihn gen Himmel zu führen.«
J. »Lehre mich, den Betrübten, den Bruderlosen, o Vater
Aller Väter, die Weisheit, die durch die Wüste des Lebens
Uns in das Land der Verheißungen leitet! Du siehst ja, Du Vater
Aller Väter und Kinder, die innige, bittre Betrübniß
Meines schmachtenden Herzens. Ich fühle die wachsenden Kräfte
Meiner Jugend und sehe vor mir ein Leben ohn' Ende,
Ohne Benoni, bald ohne Vater und ach, ohn' Ende!«
B. »Seraph, der innige Schmerz, wird der sein Leben nicht kürzen?
Tage nur wird er noch leben; doch Jahre sind ihm die Tage.«
J. »Seele meines vollendeten Bruders, ach, wenn Du hier wärst
Um Dein Grab und Deinen verlassenen Joel noch kenntest,
O, so würdest Du auch ein kurzes Leben mir wünschen.«
B. »Weniger nicht gehöret dazu, o Seraph, des Knaben
Kümmernisse zu sehn und ruhig sie auszuhalten,
Als der Besitz des ewigen Lebens. Du warst, o sein Engel,
Stets ein Unsterblicher, ließest in jenen Hütten des Elends
Keinen Bruder zurück!« E. »Doch empfind' ich Dir nach, o Benoni,
Was Du empfindest! So oft wir von unsern Geliebten uns trennen
Und um neue Befehle zum Thron des Ewigen steigen,
Lassen wir Brüder zurück.« B. »Was ist es, mein himmlischer Bruder,
Daß mein Grab sich bewegt, ach, daß vom erschütterten Steine
Joel aufspringt, daß es um mich wie Dämmrungen herschwimmt?
Daß ich.. O Gott, wo bin ich? o Geber des ewigen Lebens,
Du erhältst doch, o, Du vernichtest mich nicht, Du Geber?«
Also stammelt' er sanft, wie sich Widerhalle verlieren,
Und durch den neuen Leib der Auferstehung verherrlicht,
Rief er: »Du erhältst mich nicht nur, Du unendlicher Geber,
Du bekleidest mich auch mit diesem unsterblichen Leibe.
Preis Dir, Herrscher, Herrscher, der der Gaben so viel' hat!
Nun, mein Bruder, wenn einst auch Dir der Leichnam verwest ist,
Weckt Dein Schöpfer ihn auch, er, der der Gaben so viel' hat!«
J. »Wacht' ich? oder hatte der Schmerz sein fürchterlich Schlummern
Ueber mich ausgebreitet? Empfind' ich in meiner Kindheit
Schon, was Samma empfand, wenn er in der starren Betäubung
Niedersenkte sein Haupt, dann auf einmal aufsprang und rufte:
Kind, Benoni, mein Kind, am blutigen Felsen zerschmettert!
War ich also betäubt, ach, oder bewegte der Stein sich
Wirklich? Ihr ruhet doch sanft, Ihr meines Bruders Gebeine?
Bebte die Erde noch nach? Da kommt mein Vater und sucht mich.«
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B. »Siehe, mein Vater, o Seraph! Ach, weine, Du redlicher Alter,
Nicht bei meinem Grabe! Ich bin ja so selig, und leer ist
Meines Staubes der Staub, den dieser ruhende Stein deckt.«
S. »Lange sucht' ich Dich, Joel, nun find' ich Dich endlich. O, laß uns
Diesem Graun der Gräber entfliehn! Ist das nicht Benoni's?
Komm, mein Joel! Ist das nicht Benoni's? Laß uns entfliehen!
Komm, mein Uebriger. Gott, Gott segne Dich, Joel!« Sie gingen.
B. »Gott, Gott segne Dich bald,« sprach, da sie sich wandten, Benoni,
»Mit dem ewigen Leben, Du duldender redlicher Vater!«
Simeon, als er hatte gesehen den Heiland Gottes,
Ihn, das Licht zu erleuchten die Völker, den Herrlichen Juda's,
Und den innigsten Dank nun über ihn ausgeweinet,
Säumte nicht lang', sein grauendes Haupt zu der Ruhe zu legen.
Simeon machte sich auf, ward sterbend Licht; denn sein Licht war
Drüben am Grabe noch heller, und Du, o Herrlichkeit Gottes,
Gingst dort leuchtender über ihm auf. Das Verwesliche war ihm
Schon zu Staube zusammengesunken. Der Geist des Propheten
Schwebt' an der deckenden Gruft, wo seinen Leichnames Saat lag,
Schnell (er wußte das nicht) zum hohen Halme zu wachsen,
Vor dem Tage der großen Ernte, mit wenigen Halmen
Ueber die Saat der Todten empor, die seit Adam entschliefen,
Ueber das Menschengeschlecht, das hinab bis an das Gericht stirbt.
Und im röthlichen Wege, der durch das Rauschen des Kidron's
Von Jerusalem sich an des Oelbergs Fuße herumzog
Und mit seinen Krümmungen dicht an Simeon's Grab kam,
Wandelten langsam ein Greis, mit ihm ein führender Knabe,
Simeon's Bruder und Enkel. Des Alten Aug' umhüllte
Blindheit, die frühere Nacht des Todes, eh noch der Tod selbst
In das dunkele Thal uns führt. Ihn tröstete kindlich
Boa, der Knabe, des Gleitenden Stab. B. »O, trockne Dein Auge
Endlich wieder, Du redlicher Vater, und weine nicht immer.«
G. »Lang' schon sah mein Auge nicht mehr; so laß es denn das thun,
Was es allein noch vermag. Ich werde den säumenden Tod doch
Endlich erweinen und mich aus dieser Nacht des Lebens
In die bessere Nacht hinneigen. Doch sage mir, Boa:
Sind wir noch ferne von dem Gebein des heiligen Alten?«
B. »Nein, nicht ferne, mein Vater.« G. »Ist schon mit Moose der Grabstein
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Wie mit ihrem Epheu die öde Trümmer, bewachsen?
Zeuget schon der gesunkene Stein von des frommen Entschlafnen
Langen Ruh? Ha, blühender Knabe, mein starrendes Herz fliegt
Freudig empor, wenn ich die alternden Gräber, wie rührend
Und ehrwürdig sie sind, mir denke. Mein Simeon legte
Sich in sein Grab so lange nun schon. Zwar lang' ist mein Grab auch
In den Felsen gehaun; doch stets noch fehlt ihm der Todte.«
Also sagt' er und stand und lehnt' in der bitteren Wehmuth
Sich auf Boa. »Mein Sohn, für den die Sonne nicht auslosch,
Dessen Auge der Sommernacht sanftschimmerndes Licht sieht,
Ist der Himmel heiter? Mir wehete liebliche Kühlung
Und erfrischte den Müden.« B. »Die Luft ist heiter, mein Vater,
Und verschönt in dem weiten Gefilde den sprossenden Frühling.«
G. »Wär' er auch in Wolken gehüllt und dunkel von Wettern,
Boa, mein Sohn, soll doch der Tag, an welchem ich sterbe,
Mir ein Tag des Frühlinges sein!« S. »Er dürstet, zu sterben,«
Sagte Simeon's Seele zu dem Geleiter, dem Engel,
»Weil er den trüben Gedanken von Jesus' Tode nicht aushält.«
E. »Simeon, ach, den weiß er noch nicht. Sie haben dem Greise,
Daß er lebe, verborgen die schreckenvolle Geschichte.«
S. »Siehe, so stirbt er, o Seraph, sobald er sie hört. Doch ich sagte
Ja auch ihm, es würde dies Schwert durch die Seele der Mutter
Gehen.« Indem sie so redeten, setzte sich Simeon's Bruder
Mit dem Knaben ans Grab. Die aschebedeckten Gebeine
Simeon's sonderte jetzt von der Erde Staube der Cherub
Zu der Unsterblichkeit ab. Sie rauschten und regten sich, sichtbar
Nur für Engel, für die nur hörbar, die fern in den Himmeln
Preise der Sterne vernehmen. Indem sein Schimmer, des neuen
Werdenden Leibes Verklärung, auf diesen wallend herabsank,
Daucht' es der hohen Seele, daß ihr die Gedanken sich ferne,
Wie auf Flügeln entzückender Harmonien getragen,
Immer ferner verlören. Doch kehreten eilend sie wieder,
Da der unsterbliche Leib der neuen Schöpfung vollendet,
Und des Todten Seele mit jeder innigen Freude
Seiner Auferstehung erfüllt war. Ein Pilger des Festes
Lief in dem Wege daher und eilte nach Bethlehem's Hütten.
B. »Warum eilest Du so, Du Pilger?« P. »Sollt' ich nicht eilen
Und den Meinen erzählen des Todes bange Geschichte?«
G. »Welches Todes?« so rief des Auferstandenen Bruder.
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P. »Bist Du der Einige, der nicht wisse, daß unsere Herrscher
Jesus, den göttlichen Mann, an dem Kreuze tödteten?« Sprachlos
Sank der Alte zurück. Nach langem Mühen brachten
Endlich der Pilger und Boa den Leidenden über den Kidron
Weg von den Gräbern. Er flehte, zurückgeleitet zu werden,
Aber umsonst, sie leiteten ihn zu Jerusalem's Thoren.
S. »Wollen wir neben ihm wallen und seinem Geiste begegnen,
Wenn er, o Seraph, die Hütte verläßt, die jetzt ihn belastet?
Denn der Morgen wird sie gesunken finden.« E. »Er stirbt nicht,
Simeon, denn sein Engel ist um ihn nicht zugegen,
Und er wird noch sogar in jenem Leben der Freuden
Viel' empfahn. Denn Du, mein Simeon, wirst ihm erscheinen
Und von der Auferstehung des Herrn mit dem Leidenden reden!«
»Lieg und ruh,« so dachte bei seinem Leichnam Johannes,
»Bis an jenen gefürchteten Tag, den großen Entscheider:
Wessen Sünde Du trugst, Lamm Gottes! Wir sollen hier weilen;
Länger wol nicht, als Nacht den Leib des Getödteten einhüllt,
Als Du schlummerst, o Lamm, deß Altar von dem Blute noch rauchet.
Du versammelst uns dann, wenn Du ein Sieger hervorgehst,
Wieder um Dich, daß wir auch Deine Herrlichkeit sehen!
Dann verlass' ich Dich, Staub, dem einst Posaunen ertönen!
Jetzo säum' ich gerne bei Dir. Was werdet Ihr selbst sein,
Freuden der Auferstehung, da Eure Hoffnung so froh macht!
Was vor ein Traum umschwebt, vor ein hocherhebender Wunsch mich,
Bald zu erwachen? auf Deinen Tag nicht, Richter, zu warten?
Sieh, ein Wunsch, den Hoffnung die Himmel höher hinaufträgt!
Wunderbar sind die Gnaden des Herrn, unzählbar, und neue
Dürfen wir stets erwarten.« So dacht' er und sah Benoni,
Einen Schimmer, daher in der Abenddämmerung kommen.
J. »Welcher Engel entschwebt dem hangenden Felsen, o Seraph?«
Sagte zu seinem Hüter Johannes. »Jeder Entzückung
Frühlingsschönheit umgiebt den himmlischen Jüngling. Ich kenn' ihn,
Höre sein Schweben. Er gleicht Benoni. Er ist Benoni's
Schützender Engel. Wer ist, o Seraph, wer ist er? Ich kenn' ihn
Nun nicht mehr. Er ist kein Engel nicht, keine der Seelen
In dem Gewande des Lichts; doch gleicht er Benoni. Erstanden,
Ach, von dem Tode wärest Du, himmlischer Jüngling, erstanden?
Komm, beflügle den Schwung, den Harfenklang, den Du schwebest,
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Wer Du auch bist. Vielleicht ein Benoni, vor Kurzem gestorben
Drüben am Ocean, erstanden, herübergesendet,
Irgend ein neues Wunder des großen Erbarmers zu lehren
Oder selber zu sein.« Jetzt hatte dem Harfenklange
Flügel Benoni gegeben und war leichtschwebend gekommen.
B. »Größter von Denen, die Weiber gebaren, von Ewigkeit segne
Dich der Vater der Wesen zu Ewigkeit! Himmlische Botschaft
Bring' ich: Siehe, der heilige Staub, die Todten erwachen!
Täufer des Herrn, das ganze Gefild bewegt sich und rauschet,
Rauschet von Auferstehung, die Todten Gottes erwachen!«
J. »Jüngling, wen sahest Du? sahst Du?« B. »Ich sah den Vater der Menschen!
Henoch und Elias erstaunten, und Abraham glänzte,
Wie die Heere des Himmels. Auch kam in Purpurgewölke
Isak. Ick sah – es danket' ihr Aug', erhoben zum Himmel –
Moses und Hiob. Ich sah die Sieben, die Märtyrer kommen
Und verlor mich in der Entzückung. Von Ewigkeit segne
Dich zu Ewigkeit Gott! Auch Dich, Johannes, erblickt' ich,
Aber noch nicht erstanden. Bereite Dich, Größter von Adam,
Deiner Auferstehung!« Johannes sahe verwundernd,
Daß sich regte sein Leichnam, sich aufrichtete, lebte,
Aber noch nicht verklärt, noch nur aus Erde geschaffen.
Schleunig verlor die erhabene Seele die letzten Gedanken
Ueber das Wunder, das letzte Gefühl der frohen Erwartung;
Denn sie vereinigte sich. Nun war das Wunder vollendet,
Und der Heilige pries in verklärtem Leibe den Mittler.
Dieser Erstandenen Namen erschollen mir laut, bei der Palmen
Wipfel verwehten die andern; allein in den Stunden der Weihe
Kommt die Sionitin und nennt mir die himmlischen Namen.

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Der Messias. Dritter Theil. Elfter Gesang. Elfter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B36E-F