[96] [99]Zehnter Gesang

Immer weiter komm' ich auf meinem furchtbaren Wege,
Immer näher zum Tode des Sohns. Ach, wär's nicht der Liebe
Tod, den sie starb von dem Anbeginne der Welt, so erläg' ich
Unter der Last der Betrachtung! Auf beiden Seiten ist Abgrund!
Da zu der Linken: Ich soll nicht zu kühn den Göttlichen singen!
Hier zu der Rechten: Ich soll ihn mit feirlicher Würdigkeit singen!
Und ich bin Staub! O Du, deß Blut auf Golgatha strömte,
Dessen Allgegenwart mich von allen Seiten umringt hat,
Du erforschest meine Gedanken! Du siehest es Alles,
Was ich denke, vorher, Du Naher! ja, selber kein Wort ist
Mir auf der Zunge, das Du nicht wissest. Mein Gott, mein Versöhner!
Leite mich, mein Versöhner, und wenn ich strauchle, vergieb mir's!
Deines Lichts ein Schimmer, ach, Deiner Gnad' ein Tropfen
Ist dem Erkenntnißbegierigen, ist dem Durstenden Fülle!
Von dem Throne, der sonst, die hellste sichtbare Schönheit,
Leuchtete, nun in schreckenerschaffende Nächte gehüllt stand,
Einsam stand, um den jetzt kein Unsterblicher feirte,
Außer daß von der weithinbebenden untersten Stufe
Knieend, mit betendem Auge, mit banggerungenen Händen,
Starr vor Erwartung, der erste der Todesengel emporsah:
Von dem Throne schaute mit ungewendetem Antlitz
Auf den göttlichen Sündeversöhner Jehovah herunter.
Durch die helleren Stäubchen, die Sonnen, die dunklern, die Erden,
Durch die verstummte Natur, mit Blicken, von Dem nur verstanden,
Dem nur gefühlt, auf den sie vom Auge des Ewigen strömten,
Schaut' er hinab. Es empfindet den Blick des richtenden Vaters
Jesus Christus, weiß, daß Jehovah noch nicht versöhnt ist,
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Weiß es und fühlt's unaussprechlich, durchströmt von des näheren Todes
Schauer. Es zittern in ihrem verborgensten Leben die Welten.
Banger, trüber, verstummender stehn die Unsterblichen alle
Bei der Empfindung des Sohnes, die mit mehr Todesblässe
In des Göttlichen Antlitz stieg. Dem müden Auge,
Das zu brechen begann, entsanken verlöschende Blicke,
Fielen auf sein Grab, das gegen Golgatha über
Einsam, unter alternden Bäumen, in Felsen gehaun lag.
»Todesschlummer, bald wird Dich mein Leib dort schlummern!« so dachte
Jesus Christus, indem sein Blick an dem Grabe verweilte,
»Darum nahm ich ihn an, den Leib von Staube! Verwesen
Soll er nicht; doch soll er entschlafen liegen. Mein Vater,
Trockne die Thränen von Deren Gesicht, die dann um mich weinen!
Ausgesöhnter, erbarme Dich ihrer, sie weinen um Jesus,
Deinen Eingebornen! Erbarme Dich ihrer, wenn nun auch
Ihre letzte Stunde von Dir zu ihnen gesandt wird!
Heiliger Vater, erbarme Dich Aller, die an den Geliebten,
Deinen ewigen Sohn, den Gottgeopferten, glauben,
Wenn in diesem Glauben nun auch mit dem Tode sie ringen!
Ach, ich fühl' ihn, fühle den Tod! Des Ewigen Schrecken
Trägt er! er ist ein Schwert in der Hand des Allmächtigen! furchtbar
Ist er! Zwar sie werden, was ich empfand, nicht empfinden:
Sie sind endlich; allein aus dem Meer, in welches ich sinke,
Kann ein Tropfen in ihnen des Todes Schrecken verbreiten.
Einige – göttlicher Vater, Du hast es also beschlossen –
Einige werden entschlummern, es werden Einige sterben,
Einige Deiner Geliebten, o Vater, des Todes sterben!
Vater, Vater, erbarme Dich Aller, die dürstend nach Hilfe,
Die in des Todes Kampf um Labsal, um Gnade Dich anflehn!
Derer, die aus viel Trübsal ihr müdes Leben dem Grabe
Brachten, in Dürftigkeit lebten und dennoch Dich nicht verkannten;
Die, wie schuldlos sie waren, mit Schmach der Sünder befleckte;
Die, den Freunden getreu, die Feinde segneten, Demuth,
Liebe der Brüder und Liebe der Menschen durch Handlungen zeigten;
Derer, die, unverblendet von Ehr' und Reichthum und Hoheit,
Gutes zu thun sie brauchten und sie zu entbehren vermochten;
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Aller, die, nach den verschiednen von Dir gegebenen Gaben,
Weniger oder mehr Anlasse, durch welchen die Vorsicht
Sie anlockte, mit reiner, mit herzlicher Liebe Dir dienten:
Derer erbarme Dich, Vater, in ihrer letzten Stunde!
Wenn ihr Auge nun auch zu brechen beginnt, die Verwesung
Ihren Leib verlanget, der Schöpfer die Seele: dann sende
Deine Tröstung, den Geist, der unaussprechlich in ihnen
Bete, bis über das, so sie kannten und baten, Du sie
Ueberschwänglich erhörst und zu Deiner Ruhe sie einführst.
Gott der Liebe, mein Vater, um dieser quellenden Wunden,
Dieser blutigen Krone, die meiner Schläfe sich eingrub,
Dieser Todesangst, die mir die Gebeine durchschüttert,
Dessen, was ich litt, jetzt leide, noch leiden werde,
Dieser Liebe willen, mit der ich, erniedrigt zum Tode,
Bis zu dem Tod am Kreuze, das Heil der Menschen vollende:
Hör mich und laß, die ich liebe, getreu bis ans Ende mir bleiben,
Trostvoll sterben, den Lohn der Ueberwinder empfangen!«
Also dacht' und betet' in sich er, der von der Welten
Anfang starb, der Herr, barmherzig und gnädig und duldend,
Voller Güte, voll Treu'! der ewige Hohepriester
Betete so, da er jetzt zu dem Allerheiligsten einging.
Aber er wandte vom Grabe sein menschenliebendes Auge
Gegen das todte Meer, wo Adramelech und Satan
Lagen. So wie sich der Blick des sterbenden Gottversöhners
Wandte, so ward von fliegendem erderschütternden Schrecken
Bis in die nächtliche Tiefe des todten Meers er begleitet.
Und da sanken die beiden Verworfnen zur niedrigsten Stufe
Ihres Elends hinab. Der Rathschluß Gottes in Eden:
Jesus soll der Schlange den Kopf zertreten! er wurde
Nun vollendet. Seitdem der Gottversöhner am Kreuze
Blutete, fühlte die Hölle des Ueberwinders Gerichte.
Aber vor Allen empfanden sie Adramelech und Satan.
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Satan, indem er vor Qual der unterirdischen Felsen
Einen zermalmt' und kaum mit schwerem dumpfen Gebrülle
Stammeln konnte, begann: »Fühlst Du sie wie ich, die entflammte
Unversöhnliche Qual, die in jeden Abgrund des Herzens
Tod auf Tod mir, ewigen Tod, stets heißer hinabstürzt?
Sieh, ich will, Du verruchter, gerichteter, ewiger Sünder,
Ich, wie Du, ein verruchter, gerichteter, ewiger Sünder,
Ihre schwarze Gestalt, so viel ich vermag, Dir beschreiben.
Zwar sie hat nicht Bilder genug, die unterste Hölle,
Meine Qualen Dir ganz, so ganz, wie ich's dürfte, zu zeigen;
Dennoch höre, Verruchter, mich! Wenn Du etwa nicht Alles,
Was ich empfind', empfindest, so soll das, was ich Dir sage,
Elend genug Dich machen! mit mir sollst Du es empfinden
Oder es doch, als künftig, mit starrenden Ahndungen fürchten!
Höre: So sehr hat mich mein Jammer niedergeworfen,
Daß mich sogar nicht Deiner Qual Anschaun mehr froh macht!
Wie ich erniedriget bin, so ward ich niemals erniedrigt!
Siehe, so tief, daß ich's mit grimmigem Zagen bekenne!
Ja, er ist allmächtig! allmächtig ist er! allein ich,
Was bin ich? Das schwärzste der Ungeheuer des Abgrunds!
Ganz, ganz unten lieg' ich, auf mir die Hölle! von jeder
Seiner Qualen beladen! von allen seinen Gerichten
Ueberlastet! Und hat er etwa den Ewigtodten
In dies tiefste der Gräber mit seinem Donner zu werfen
Würdig geachtet? Ein Engel gebot uns, zu fliehn, und wir flohen!
Und in wessen Namen gebot's der Gesendete Gottes?
O, was ist es in mir? was vor ein neues Gericht ist's,
Das mir drohet? Ich darf den erhabnen Namen nicht nennen!
Und er stirbt itzt vielleicht, in dessen Namen wir flohen!
Den wir verfolgten! Ein neuer, ein flammender Pfeil des Verderbens
Fliegt mit diesem Gedanken mir durch das unsterbliche Leben!
Nacht umringt mich an Nacht! Ich sehe von dem Geheimniß
Nicht den flüchtigsten Schimmer! Auch dies ist Elend! ha, Alles,
Alles um mich ist Elend, und ich sein ewiges Opfer!
Selbst die Hoffnung, vernichtet zu werden, die grimmige, schwache,
Quälende Hoffnung, auch sie ist ganz dem Verworfnen verschwunden!
Werdet zu Chaos, zu Nacht, zu der Höll', Ihr Welten, und Himmel
Du, fallt über mich her! deckt mich vor dem Zorne der Allmacht!«
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Adramelech, der niedergeschmetterte Stolze, vermochte
Kaum mit röchelnder Angst, mit verzweifelndem Blicke zu sagen:
»Hilf mir, ich flehe Dich an, ich bete, wenn Du es forderst,
Ungeheuer, Dich an!« (Er faßt', indem er es brüllte,
Satan mit eisernem Arm.) »Verworfner schwarzer Verbrecher,
Hilf mir! ich leide die Pein des rächenden ewigen Todes!
Vormals konnt' ich mit heißem, mit grimmigem Hasse Dich hassen;
Jetzt vermag ich's nicht mehr! Auch das ist herrschender Jammer!
O, wie bin ich zermalmt! Ich will Dir fluchen und kann nicht!
Fluchen, daß ich um Hilfe Dir flehte! Vielleicht war ein Tropfen
Lindrung darin, wenn ich mit flammender Rache Dir fluchte!
Aber ich will es, ich will's!« Ruft's, stürzte zurück, lag stumm da.
Also empfanden die Beiden des Ueberwindenden Allmacht.
Weit war ausgestreckt ihr zerschmetternder Arm. Die andern
Stolzen Empörer empfanden sie auch. Die unterste Hölle
Hallte vom dumpfen Geheul gestürzter Verzweiflungen wider.
Aber enthüll, Sionitin, der qualbelasteten Hölle
Tiefen nicht weiter! Ein anderer Schauplatz heiliger Wehmuth,
Voll Anbetung und jenes Todes, der unsern versüßt hat,
Voll von göttlicher Huld, der Schauplatz öffnet vor Dir sich!
Jesus wandte sein Auge vom todten Meer, und er schaute
Auf die Schaaren, die ihn von allen Seiten umringten,
Standen, knieeten, dachten, verstummten, beteten, weinten.
Und ein mächtig Gefühl der ewigen Liebe durchschauert
Jesus Christus. Der Blick des Gottversöhners verweilte
Bei den Seelen am Längsten, die keine sterbliche Hütte
Noch betreten, noch den Staub nicht geheiliget hatten.
Denn es nahte sich einer der festlichen Augenblicke,
Die auf einmal die Erde mit vielen edleren Seelen
Segnen, und die mit daurender Macht Jahrhunderte bilden.
Zwar nicht immer strömte der Ruf von dem, was sie thaten,
Mit den Jahrhunderten fort; allein die mächtige Wirkung
Ihres Beispiels, welches an ihnen der lernende Freund sah,
Wieder dem Enkel es zeigte, verflicht in die Thaten der Nachwelt,
Zwar insgeheim, doch gewiß sich. So bleibt vom gesunkenen Wurfe
Auf der Fläche der Wasser ein ausgebreiteter Kreislauf.
Aber eh noch die Seelen, der Segen der festlichen Stunde,
Von den Engeln zu ihrer Geburt in das sterbliche Leben
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Wurden geführt, begann der edelsten eine die Zweifel
Ihrer Gedanken bei sich zu entwickeln. Ein Schimmer vom Lichte,
Welches sie in der Verweilung auf Erden heiligen sollte,
Senkte sich sanft in sie nieder. So dachte der Ewigkeit Erbin:
»Immer empfind' ich es mehr, daß er des Unendlichen Sohn ist;
Denn wie die Sonnen des Sternengefilds, von welchem wir kommen,
So unzählbar, so mächtig, doch mit viel milderem Einfluß,
Strahlen aus seinem Gesicht die unerforschten Gedanken.
Aber er ist noch anders als unsere Freunde, die Engel,
Ach, er ist wie die Menschen, die ihn umgeben, gestaltet!
Doch die gleichen ihm auch an Gestalt nur. In ihrem Gesicht ist
So was Trübes und Niedriges, etwas wider den Schöpfer!
Ach, wer müssen sie sein, die Menschen? Wir sollen zu Menschen
Kommen, wie sie in Leiber, die sterben müssen, gekleidet,
Wenige Zeit so leben, dann näher zum Ewigen kommen!
Sind noch andere Menschen, zu denen der Schöpfer uns sendet?
Oder sind diese die Kinder Adam's? Wenn diese von Adam
Stammen, so sind sie auch unsere künftigen Brüder. Doch scheint mir
Dies die Erde nicht, welch' ich, als Adam geschaffen war, sahe.
Denn die war viel herrlicher. Was Du, o Vater, beschlossest,
Vater der Engel und Menschen, Dein göttlicher Wille geschehe,
Und Dein Wille, Du Sohn des Vaters! Von Allem, was schwer ist
Zu ergründen, ist mir am Schwersten zu fassen: Du leidest,
Gottes Sohn! Da, wo Du erhoben über den Hügel
Hingeheftet hängst, da scheint ein endliches Leben
Dir aus Deinem Leibe zu quellen, Du selbst zu empfinden,
Daß es dahinquillt. Und Ihr Engel, die ehmals die Fragen,
Welch' ich Euch that, auflösten, verstummt der fragenden jetzo!
Doch das fühl' ich in mir, daß dies wegströmende Leben,
Dies Hinsinken des Leibes, der Dich, Du Göttlicher, einhüllt,
Nahe mich angeht, näher vielleicht als die Seraphim angeht.
Unaussprechlich lieb' ich ihn, mehr wie ich jemals noch liebte.
Ach, wenn er mich mit eben der Liebe, die mich zu ihm hinreißt,
Lieben könnte, so würd' er vielleicht den Flecken verbergen,
Welcher, als ich an dem Stolze der Erstgeschaffenen Theil nahm,
Mich entheiligte, würde für mich den Ewigen anflehn,
Mir verzeihen und mich zu dem Anschaun Gottes erheben!
Gott, vollende Dein Thun in mir, die Du schufest! Erfülle
Ihr entflammtes, immer empfundenes, frommes Verlangen
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Nach Glückseligkeit! Du, nur Du, Unendlicher, Du bist
Ihr Glückseligkeit! Dir sich nahen, ist ewige Wonne!«
Also denkt sie und denkt's nicht umsonst. Gott, welcher von fern her
Oft, was er thut, bereitet, er bildete also die Seele
Zu dem Leben der Prüfung und zu dem ewigen Leben.
Siehe, nun flog mit freudigem Schwunge die Zeit. Die erkorne,
Von den Engeln gehoffte, nur von den Engeln gefeirte
Stunde kam. Es stehn, auf das Kreuz gerichtet, erwartend,
Voll von frommer heißer Begier, die künftigen Hüter
Dieser Seelen, die jetzt dem sterblichen Leben sich nahten.
Banger vor Freuden und bebender stehn die Hüter. Indem geht
Von dem Auge des Gottversöhners der große Befehl aus,
Mit dem Befehl ein Segen des Sterbenden: »Gehet und lebet,
Glaubet und überwindet! Ich liebt' Euch, ehe die Welt ward!«
Und die Engel führten sie fort. Sionitin, erzähle,
Wie sie lebten, und wie sie dem großen Sündeversöhner,
Jede nach ihren Gaben, im Pilgerleben sich weihten.
Wirkungen von der neuen Empfindung, die sie erfüllte,
Da sie sahn an dem Kreuze den Göttlichen, blieben in allen,
Wuchsen, entwickelten sich, mit des sterblichen Lebens Begriffen
Und den höhern der Gnade, die Jesus über sie ausgoß.
Eine der schönsten unter den Seelen war Deine, Du edler,
Frommer Jüngling, Timotheus. Denn Du warest noch Jüngling,
Da Du mit feuriger Treu' der Gemeinen eine bewachtest.
Willig nahm er die Botschaft von Jesus Christus, dem Todten
Und dem Auferstandenen, an. Der Gewählte des Mittlers,
Er, der Gerüstete gegen die Höhen, die sich erhuben
Wider die Lehre von Jesus, dem Ueberwinder des Todes,
Paulus brachte sie ihm aus jenem furchtbaren Lichte,
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Das von dem Herrn ihn erschreckte. Die schöne Seele des Jünglings
Lernete freudigzitternd das ewige Leben und lehrt' es
Tausende. Tausende lehrte sein Tod, da er unter der Würger
Schwerte sank, bis ans Ende der Laufbahn standhaft, ein Leuchter
In den Gemeinen, ein mächtiger Zeuge, wie Paulus und Kephas.
Jesus nennet dereinst vor den Todten allen die Namen
Seiner Zeugen und krönt sie dadurch mit der höchsten der Ehren.
Früh empfing die erhabne Belohnung der Treuen Antipas.
Denn der Richter der Welt, als er die Gemeinen aus Patmos
Richtete, nannt' er Deinen unsterblichen Namen, Antipas!
Denn mit fester Treu', mit reiner, brennender Liebe
Hattest Du den Dulder geliebt, geliebt bis zum Tode!
Hermas sang in Psalmen voll Wonn' und Thränen den Mittler,
Sang den Entschlafnen, den Auferstandenen, Himmelerhobnen,
Gottes Sohn, den Erbarmer der schwachen sterblichen Menschen,
Gottes Sohn, den Todtenerwecker, den Richter der Welten.
Seine Psalme sangen, verscheucht in einsame Höhlen,
Christen, die aus den heiligen Chören feirender Brüder,
Wenn sie dahin der Wille des Angebeteten winkte,
Schnellgetödtet, ins höhere Chor der Vollendeten gingen.
Phöbe verließ die Schranken, in die ihr Geschlecht sie einschloß.
Feurig, Gutes zu thun und Seelen Gott zu gewinnen,
Weiht sie sich einer ganzen Gemeine, zu lindern des Armen
Elend, zu helfen dem Kranken, den Sterbenden aufzurichten,
Ach, zu trösten mit Gottes Trost, mit der Salbung des Himmels,
Mit weissagendem Laute von jenem Liede des Sohnes
Droben am Thron den Müden vom Todeskampfe, zu zeigen
Durch Hinwinken hinauf zu dem Erbe des Lichts – denn sie war schon
Selig hier – dem Verstummten die Palmen der Ueberwinder.
Also drang sie die Liebe zu Christus. Nur wenige Fromme
Kannten sie; aber sie kannten die Engel des Herrn und die Todten.
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Jedem täuschenden Zweifel der falschen Weisheit entriß sich
Endlich Herodion, kam zu dem göttlichsten unter den Lehrern
Und erkannte, daß der, nicht mehr durch Wunder erhaben
Als durch Wahrheit, den Willen des ewigen Vaters der Wesen
Ganz und rein den sterblichen Söhnen der Todten eröffne,
Und daß diesen wissen und thun zu dem Ewigen führe.
Welchen krummen Wegen des dornichten Grübelns entklomm er,
Eh er zum Lichte, das ihn von Gott umleuchtet', emporflog!
Wie vergebens, wie ängstlich, wie tief in der Seele verwundet,
Sann er, ehe zu leicht er des menschlichen Wissens Wagschal'
Fand und die furchtbare Schwere sah der anderen Wagschal'!
Epaphras ward ein mächtiger Beter. Mit Paulus gewürdigt,
Wegen des ewigen Sohns an des Wüthrichs Kette zu liegen,
Rang er für die Gemeinen in heißem Gebete. Der Segen
Seines Gebets ergoß sich vor Allen auf die zu Kolossen,
Seine Geliebten. Und war er bei ihnen, so wachet' er, kämpfte
Und ermüdete nicht. Gott lohnt's dem Treuen. Sie trugen
Früchte der Heiligung. Auch zu Laodicea erhielten
Epaphras' brennender Eifer und seine Gebete noch lange
Einige bessere Seelen in unverlöschender Liebe
Zu dem Gekreuzigten. Aber zuletzt sank Laodicea
Ganz in Laulichkeit hin. So lag es, als ihm von Patmos
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Jesus' Prophet das Todesurtheil des Richtenden sandte.
Aber auch dieses war noch voll lockender Gnade. Noch wurde
Diesen Sterbenden Leben gezeigt, noch weiße Gewande,
Sie zu kleiden, noch ihnen die Krone der Ueberwinder.
Persis war der Zärteren eine, die durch geheime
Ungesagte Leiden ihr Gott zu der ewigen Ruh führt.
Aber es flossen in ihrer Bekümmerniß Thränen des Himmels,
Heilende Thränen, wenn sie in stillem Gebete zu Gott rief.
Nichts für den Ruf, den halben und lauen Tugendbelohner,
Oefter noch ihren Verfolger und schlangezüngichten Lästrer,
That Apelles, sogar auch für die Ehre, des Weisen
Beifall, nichts. Daß der Weise selbst, wie scharf er auch denke
Und wie edel, doch nicht bis zur Absicht kenne die Handlung,
Und die Handlung nur sichtbarer Leib, die Absicht ihr Geist sei,
Dacht' er sich oft. Der Allsehende nur und jene Belohnung,
Die er dem Reinen verheißt, der höhre Gedanke bestimmt' ihn,
Der nur, wenn er zu handeln und nicht zu handeln es wagte.
Flavius Clemens' Verdienst war nicht, daß er muthig dem Glanze,
Den des Cäsar's Verwandtschaft ihm gab, sich entzog. Des Tyrannen
Nicht zu achten, war leicht; allein da Weisere selber
Ihn anklagten, er wälze sich in unrömischer Trägheit,
Sei den Geschäften, der Ehre, dem Vaterlande gestorben,
Und er dennoch, so sehr die zärtere Seele des Edlen
Auch der Vorwurf rührte, sich ganz den Pflichten der Christen
Weihete, Pflichten, die er für die ersten erkannt' und die höchsten:
Macht' er sich, wie es ein Sterblicher kann, der Märtyrer Krone
Würdig. Er hätte die Thaten, durch die er die Heiligen lehrte,
Gerne näher am Throne gethan. Allein da er wußte,
Unverstanden vom schmeichelnden Knecht und seinem Beherrscher,
Würd' er dort umsonst für das Wohl der Menschen sich mühen,
So entschloß er sich männlich, im engeren Kreise zu bleiben,
Gutes, wo er es vermochte, zu thun und mehr der Betrachtung
Seines Todes und mehr der unsterblichen Seele zu leben.
Mit zu vielen Geschäften für Einen umringt und dennoch
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Niemals in ihrem Netze verstrickt, that Lucius eifrig,
Was er sollte, nicht stolz darauf, nicht niedergeschlagen,
Wenn er oft die Aehre der Saat, die er streute, nicht sahe.
Sorgsam, ein weiser Käufer der Zeit, ersparet' er immer
Stunden zu dem Gebet und der weltentfernten Betrachtung,
Heilige Stunden. Und so entrann er ins ewige Leben.
Enkelinnen, Euch reize Tryphäna's Wandel! Auch Ihr lebt
Unter Heiden. Mit jener gereinigten edleren Liebe,
Welche Tugend ist, liebte Tryphäna. Was schön ist und schätzbar,
Hatte der Jüngling; aber ein Heide war er, entschlossen,
So zu sterben. Tryphäna befürchtete viel von des Jünglings
Leichtgewandten Beredsamkeit, mehr noch von seiner Liebe,
Alles von ihrer. Die überwindet sie. Heitere Freude
Wird schon hier die Belohnerin des frommen Entschlusses,
Sich, die unsterblich ist, in diese Gefahr nicht zu wagen.
Linus, von keinem Schimmer des Erdelebens zu täuschen,
Unbezwingbar den Kleinigkeiten, in welche sich Fromme
Selbst verstricken, und denen sie oft zu mühsam entrinnen,
Linus, allein mit sich selbst und seines Herzens Erforscher
Oder von Freunden entflammt, die reiner waren und edler,
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Liebte vor Allen, den Menschen mit jenem Maaße zu messen,
Mit dem Deine Weisheit ihn mißt, Wort Gottes, Du Urquell
Jedes höhren Gedankens und jeder bessern Empfindung,
Liebte, Blumen zu streun auf das Grab und sich zu verlieren
In der Auferstehung entzückenden seligen Aussicht.
Von Trajanus, der hier sein edleres Herz befleckte,
Weg in Banden geführet und von dem Todesurtheil
Seines Verfolgers beladen, ertrug Ignatius freudig
Jesus', des Gottgeopferten, Schmach. Kein niedriger Vorwurf
Wag' es, die hohe Seele des gottgeweihten Gerechten
Anzuklagen, er habe zu sehr nach der Ehre gerungen,
Welche das Haupt der Märtyrer krönt. Nur Söhne des Unsinns
Und des Lasters können's zu sehr, wofern sie es können.
Wie er war aufgegangen, so ging Ignatius unter,
Leuchtend mit Lebensergusse. Wie theuer dem Christen des Lebens
Letzte Zeit sein müsse; was, schon an dem Ziele der Sieger,
Was er, obwol bedeckt mit dem müdesten Schweiße der Laufbahn,
Für die Genossen des Streits und der großen Belohnung noch thue,
Lehret er uns. Er stärkte zum ewigen Leben die Brüder,
Welch' ihn geleiteten, einmal ihn noch zu sehn und zu segnen.
Die sein freudeweinendes Auge nicht sieht, die ermahnt er,
Tröstet, entflammt er durch Boten zur Liebe des Gottversöhners,
Bis in der Schauenden Kreis er tritt, und Thier' ihn zerreißen.
Heiden blieben die Eltern der jungen Claudia, Heiden
Ihre Brüder, die Schwestern. Ein redlicher Mann war ihr Vater,
Sanft die Mutter, und liebenswürdig die Schwestern und Brüder.
Claudia liebt sie und wird von ihnen geliebet; allein sie
Thut es, wird eine Christin und bleibt in dem Glauben und stirbt so.
Fern von der Welt – nicht immer ist menschenfeindlicher Trübsinn,
Von der Welt sich entfernen – vereinigte Amplias weise,
Mit tiefsehender Kenntniß der menschlichen Schwächen, entflammten
Daurenden Eifer, dem großen erstaunungsvollen Gesetze:
Seid vollkommen wie Gott! mit bebender Demuth zu folgen.
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Von der Zinne der Ueberwinder umflammet dies hohe,
Göttlichstrahlende Licht den Staubbewohner. Er blickte,
Nie gewendet, hinauf zu der engen Pforte, durch die es
Flammte, und ging und strauchelt' und klomm den schmalen Weg auf.
Phlegon hatte den schimmernden Kreis der griechischen Weisheit
Ganz gemessen, besaß viel Güter der Erde; doch drückten
Die ihn zur Wollust nicht, nicht jene zur Eitelkeit nieder.
Wo er hintrat, floß in des Edlen Gange der Balsam
Stiller geheimerer Milde. Die Kranken labt' er, die Nackten
Kleidet' er. Aber er gab noch wesentlichere Gaben,
Treuen Rath dem kränkeren Geist, wie der Leib es sein kann;
Volle Tröstung den Seelen, die in lichtdürftige Zweifel
Sich verwebten. Er brachte der halbgewendeten Christen
Viele zurück zu dem blutenden Menschenfreunde, zum Himmel.
Nicht aus Bescheidenheit nur, er schien auch selber aus Demuth
Nichts von der Weisheit der Erde zu wissen. Jesus nur kannt' er,
Jesus, den Sündeversöhner, den Helfer in Leben und Tode.
Aber wenn unentwickelter Tiefsinn schwankende Brüder,
Daß sie grübelten, trieb, dann floß unerschöpflich die Quelle,
Bis durch starke Züge der lechzende Wandrer gelabt war.
Sanft von Natur, noch sanfter aus Pflicht, die beste der Mütter
War Tryphosa. Von Kindern umringt, erzog sie die Kinder
In der Religion des gottversöhnenden Todes.
Nicht zu ermüden und unerschöpflich an Künsten der Klugheit,
That sie ihr Werk und ward der Gemeine Jesus' zur Stütze,
Ohne Vermuthung, sie sei's. Sie hatte den letzten der Söhne
Kaum geboren, da starb sie, flehend: Ach könnte sie Diesen
Auch erziehn! Sie weint' es und starb. Des Ewigen Segen
War auf ihre Kinder gekommen. Die ältesten lehrten
Diesen jüngsten. Er ward ein Märtyrer. Seraphim führten
Ihn aus den Armen des Todes ihr zu. Da weinte die Mutter,
Aber andere Thränen als die am offenen Grabe.
Sich nicht rächen, auch dann nicht, wenn Rache Gerechtigkeit wäre,
Das ist edel. Erhaben ist's, den Beleidiger lieben;
Ihn in der Noth mit verborgener Wohlthat laben, ist himmlisch.
Du, Du thatst es! ich nenne den großen Namen mit Ehrfurcht,
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Deinen Namen, Erastus! Von ihren goldenen Thronen
Standen Engel ihr auf, da die hohe Seele zu Gott kam.
Diese waren die Seelen, die ihre beschützenden Engel
In das Leben der Prüfung vom Kreuz des Sterbenden führten.
Und sie schwebten mit ihnen den Oelberg nieder und kamen
Nach Gethsemane. Da sie die zwanzig Palmen erreichten,
Unter denen ins erste Gericht der ewige Sohn ging,
Schauerte sie. Es segneten ihnen, die unter den Palmen
Standen, mit inniger Liebe, mit himmelvollem Gefühl nach:
Simeon, und der gewürdiget ward, den Versöhner zu taufen
Und zu sehen den Geist herunterschweben auf Jesus
Und zu hören, als Gott aus strahlenden Wolken von Gott sprach;
Amos' Sohn, der große Prophet des söhnenden Opfers,
Und der Seher der Auferstehung, Hesekiel: Hör Du,
Dürres Gebein! Da rauschte das Feld, da erwachten die Todten!
Noah, den rein der Ewige fand, Loth, Samuel, Aron
Und Melchisedek, Gottes Prophet und Priester und König;
Joseph und Benjamin, die ersten liebender Brüder;
Mit der Mutter die sieben Söhne, Märtyrer alle;
David und Jonathan; aber sie wenden sich weg von einander,
Daß die Wehmuth des Einen des Anderen Schmerz nicht entzünde;
Mirjam und Du, Debora, die Gott, den Rettenden, sangen!
Simeon wendete sich vom erhabnen Johannes und sagte:
»Selige Seelen, erwählte begnadigte Kinder des Glaubens,
Gehet, der Herr ist mit Euch und seiner Erbarmungen Fülle!
Macht der Glaubenden viel', viel' mitgerettete Brüder!
Menschlichkeit breite durch Euch sich über Adam's Geschlecht aus!
Menschlichkeit, reiner und besser, als sie nur Weisheit der Welt lehrt!
[112]
Ach, Johannes, wie schön ist ihr Schicksal! ihr Lohn, wie erhaben!
Brannte nicht Deine Seele beim Anblick dieser Gerechten?
Lindert' er nicht den Schmerz, so vom blutigen Todeshügel
Ueber uns strömt?« So sagt' er und sah dem Geliebten ins Antlitz.
»Wenn ich es auszusprechen vermöchte,« sagte Johannes,
»Hätt' ich Worte für das, so ich denke, für das, so ich fühle;
Könnten der Wehmuth Thränen, es Thränen der Wonne Dir sagen:
O, so wollt' ich, Simeon, Dir, Du Geliebter, es sagen,
Was ich empfinde, seitdem er am Kreuz der Gerichteten Tod stirbt
Und in diesem Tode sich Aller, Aller erbarmet.
Aber verstummen will ich, ich will noch länger verstummen!
Meine Hand auf den Mund anbetend legen!« so sagt' er.
S. »Ach, Du wälzest von Neuem auf mich, Du Theurer, des Schmerzes
Ganze Last! O, hättest Du von dem Tode geschwiegen!
Jedes Wort, das Du sprachest, ward zum Donner mir, traf mich.
Denn ich sah ihn, ich seh' ihn sterben! Du theurer Johannes,
Schon erhub sich mein Geist zu der gottbelohnten Vollendung
Seiner Leiden, es glänzten mir schon des Entschlafenen Wunden;
Aber ich sinke zurück. Ach, den ich weinend umfaßte,
Den ich sprachlos zum Allerheiligsten Gottes emporhielt,
Bis ich endlich zu reden und anzubeten vermochte,
Der, der blutet – zwar zeigte mir Gott sein End' in der Ferne;
Aber, wie ich es seh', so schrecklich zeigt' es mir Gott nicht! –
Blutet jetzo, verkannt, von Gott verlassen, am Kreuze,
Bei Verfluchten!« Er schwieg und unterlag dem Gedanken.
I. »Habe mit mir auch Mitleid! Erinnre mich nicht an das Leben,
Welches mit Augen des Fleisches wir ihn sahn leben! Es dringt mir
Dieser Gedanke zu tief in meine Seele, verwundet
Mich zu sehr, Du Geliebter! So oft ich ihn, Simeon, sahe –
Und oft sah ich ihn, der, ein Lamm, die Sünde der Welt trägt –
Ach, so oft umleuchteten mich der Himmlischen Freuden!
[113]
Denn kaum sah ich den blutenden Kampf; ich sah nur den Sieger.
Aber verstummen, verstummen will ich, bis er es vollbracht hat!«
Also strebeten sie, sich der Wehmuth Gefühl zu entreißen.
Jetzo kam's von dem Himmel wie sanftere Lüfte, und Tröstung
Gottes labte den Dulder im schnellverwehenden Säuseln.
Mirjam's und Deine Wehmuth, Debora, wurden nach langem
Traurenden Schweigen zum sanften, zum weinenden Liede voll Klage.
Denn der Unsterblichen Stimme zerfließt von sich selbst in Gesänge,
Wenn sie Empfindungen sagt, wie Debora und Mirjam sie fühlten.
Die auf Ephraim's Berge nach ihrem Namen die Palme
Nannt', und Amram's Tochter, so sangen sie gegen einander:
D. »Schönster unter den Menschen! er war der schönste der Menschen;
Aber entstellt, entstellt hat Dich der blutige Tod, Dich!«
M. »Zwar es weinet mein Herz, und trübes Trauren umringt mich;
Aber er ist der Schönste, vor allen Erschaffnen der Schönste,
Schöner als alle Söhne des Lichts, wenn sie, strahlend vor Andacht,
Beten zu dem Unendlichen, schöner in seinem Blute!«
D. »Trauert, Cedern! auf Libanon stand sie, ein Schatten des Müden;
Aber sie ist zum Kreuze gehaun, die seufzende Ceder!«
M. »Trauert, Blumen im Thal! er stand am silbernen Bache;
Aber er ist um des Göttlichen Haupt zur Krone gewunden!«
D. »Unermüdet faltet' er seine Hände zum Vater,
Für die Sünder, zum Heiligen! Unermüdet betraten
Seine Füße der Leidenden Hütte! Nun sind sie durchgraben,
Seine Händ' und Füße, mit eisernen Wunden durchgraben!«
M. »Seine göttliche Stirn, die er hier am Berg in den Staub hin
Niederbückte, von der schon Schweiß mit Blute gemischt rann,
Ach, wie hat sie die Krone, die blutige Krone durchgraben!«
D. »Seiner Mutter Seele durchdringt ein Schwert! Ach, erbarme
Deiner Mutter Dich, Sohn, und labe sie, daß sie nicht sterbe!«
M. »Wär' ich seine Mutter und schon in dem Leben der Wonne,
Ach, es ginge mir dennoch ein Schwert durch meine Seele!«
D. »Mirjam, sein Auge verlischt, und schwerer athmet sein Leben!
Bald, nun blicket er bald zum letzten Male gen Himmel!«
M. »Todesblässe bedeckt die gesunkne Wange, Debora!
[114]
Bald, nun sinket ihm bald sein Haupt, das letzte Mal, nieder!«
D. »Die Du droben den Himmlischen strahlst, Jerusalem, weine
Thränen der Wonne! Bald ist de Opfers Stunde vorüber!«
M. »Die Du sündigst auf Erden, Jerusalem, weine Dein Elend!
Denn bald fordert sein Blut von Deinen Händen der Richter!«
D. »Still in ihrem Lauf sind alle Sterne gestanden,
Und die Schöpfung umher verstummt dem leidenden Gotte;
Denn es ist Jesus Christus, der ewige Hohepriester,
Zu versöhnen, im Allerheiligsten! Halleluja!«
M. »Auch die Erd' ist stillgestanden, und die auf der Erde,
Staub auf Staube, wohnen, Euch ist die Sonne verloschen;
Denn es ist Jesu Christus, der ewige Hohepriester,
Zu versöhnen, im Allerheiligsten! Halleluja!«
Also sangen Debora und Mirjam gegen einander.
Eva konnte sich nicht dem Gefühl entreißen, das schnell sie
Ueberströmte. Sie eilt' hinab zu dem Kreuze; nun stand sie
Neben Maria, begleitete mit dem Auge der Mutter
Innige Blicke, hielt nicht aus das erschütternde Hinschaun,
Senkte die Stirn in den blutigen Staub bei der Wurzel des Kreuzes,
Floh von Golgatha, floh an das Grab des Geopferten, weilte
Lange, starr von Entsetzen, an dem verstummenden Grabe.
Endlich verläßt sie's; ihr war verloschen der Himmlischen Klarheit.
Sichtbar kam der Versöhner dem Tode näher. Der Frommen
Meiste zerstreun sich, vermögen nicht mehr des Sterbenden Anblick
Auszuhalten. Mit gleitendem Fuß, mit starrendem Auge
Ging Lebbäus fort. Nicht so von dem Trauren erschüttert,
Aber durchdrungen von Wehmuth, folgt' in der Ferne dem Jünger
Lazarus. Als Lebbäus zu einem verfallneren Grabmal
An dem Oelberg kam, da ging er hinunter. Es säumt' ihn
Eine Trümmer. Er sank auf den Felsen, umfaßt' ihn und legte
Seine Stirne darauf. Allein er verstummte. So kniet' er
In noch trüberer Nacht, als jetzt die Erde bedeckte.
Lazarus stand an der Oeffnung des Grabs und begann mit sanfter,
Leiser Stimme, mit der, die selbst der müdeste Schmerz hört:
[115]
»Sinke nicht, Du Geliebter, nicht ganz in Traurigkeit unter!
Höre mich, habe Dein Antlitz aus diesem Grab auf! Kennst Du
Meine Stimme nicht mehr? Ich bin's, den Du immer geliebt hast,
Der so herzlich Dich liebt, um den Du vor Kurzem auch weintest,
Lazarus, den der Gekreuzigte Gottes ins Leben zurückrief.
Ach, mit namlosen Freuden, entzücktem bebenden Staunen
Danktest Du unserem göttlichen Retter! O, denk es Dir wieder!
Augenblicke vorher, eh wir ihm dankten, da lag ich
Noch im Grab und begann zu verwesen. Wir haben es oftmals
Mit einander besprochen; allein stets riß Dich der Jünger
Meinung mit fort: Es muß sein Reich ein weltliches Reich sein,
Eh es kann zum himmlischen werden! Doch löstest Du niemals
Ganz den Zweifel mir auf, der meine Seele zurückhielt,
In den Worten des Irdischen mühsam zu suchen, durch die uns
Unser göttlicher Freund viel klärer Himmlisches kund that.
Winde von Deinem Jammer Dich los, Du Geliebter! Erkläre
Mich nicht anders, als dies mitweinende Herz es gemeint hat!
Ja, Du sollst ihn beweinen, den Göttlichen sollst Du beweinen;
Denn er ist unaussprechlich, der Schmerz, mit dem er am Kreuze
Nun so lange schon stirbt. Doch mußt Du unter dem Jammer
Nicht erliegen! Er kann, wenn er will, von dem Kreuze noch steigen,
Oder, wenn er entschläft, ist es möglich, daß er verwese?
Jesus, des Angebeteten Sohn, der Himmelgesandte,
Der vor Abraham war, ist es möglich, daß er verwese?«
Also sagt er. Es hält mit unbeweglichen Händen
Noch den Felsen Lebbäus; allein er wendet sein Antlitz
Gleichwol nach Lazarus um. Zwar blickt' er mit starrendem Auge;
Aber er sah zu dem Freunde doch auf. Da lief, da umarmte
Lazarus ihn und entriß den Jammervollen dem Grabmal,
Fasset' ihn bei der Rechten und blieb mit ihm stehn. Sie sahen
Unter hangenden Nächten die stolze Jerusalem liegen,
Sahn den entschimmerten Tempel, den überschatteten Sion
Und auch Golgatha. »Hebe,« so sprach zu dem zitternden Freunde
Lazarus, »hebe Dein Aug' auf, Jünger, und sieh! Ich sehe
Gottes Gegenwart auf dem benachteten furchtbaren Schauplatz,
Sehe sie wandeln über der Erde, dem Grabe der Menschen.
[116]
Einen Tag, wie dieser ist, hast Du den jemals gesehen?
Haben, Lebbäus, mit Dir Dein Vater, und der ihn gezeugt hat,
Jemals von einem Tage, wie dieser Tag ist, gesprochen?
Welche Feierlichkeit hat Gott ihm gegeben! Wie furchtbar
Hat er die Erd' und den Himmel in seine Schrecken gehüllet!
Wie mit todter Stille die Schauenden alle gefesselt!
Wenn nun Gott durch den Tod des Heiligen Dinge vollbrächte,
Welche wir nicht verstünden? Dir kann ich's sagen, Geliebter,
Leidender, weil es vielleicht Dir Deine Traurigkeit lindert;
Sonst verschwieg' ich es noch. Seitdem der Göttliche blutet,
Fühl' ich in mir, wie soll ich es ganz und würdig Dir sagen?
Fühl' ich so was Stilles und Friedevolles, das selber
Meine Wehmuth, mit der ich ihn leiden sehe, besänftigt.
Rings ist Alles heilig um mich. Wohin ich mich wende,
Find' ich des Ewigen Spur, des Allgegenwärtigen Nähe:
Ja, was Göttliches ist es, das mir die heilige Ruh giebt!
Als der erhabne Dulder den Todeshügel hinaufstieg,
Fühlt' ich dieses noch nicht. Allein seitdem er am Kreuze
Blutet, vernimmt mein Ohr ein wehendes Rauschen, als hört' ich
Schaaren Unsterblicher wandeln. Ich hörte sie so, da ich todt war.
Auch umschimmert nicht selten das Auge mir Himmlisches, das sich
Schleunig verliert, so schnell, wie es kam. Dies läßt in der Seele
Ruh mir zurück und Seligkeit, den Frieden Gottes!«
In dem Augenblicke, da Lazarus endete, rief ihm
Schnell Lebbäus: »Du staunest, Du bleibst in Entzückungen stehen!
Ach, wer ist es? wem sieht mit dieser Wonne Dein Blick nach?«
Lazarus, als er zu reden vermag, antwortet: »Itzt eben
Schwung ein Unsterblicher sich vor mir vorüber! Noch niemals
Hab' ich auf einmal so viel von eines Unsterblichen Klarheit,
So viel Wonne der anderen Welt noch niemals gesehen!
Und er brachte vielleicht von dem Himmel göttliche Botschaft;
Denn er eilte, dem schnellsten Gefühl gleich flammt' er und eilte.
Nein,« so fuhr er mit stammelnder Freude, mit thränendem Blick fort
Und umarmte in der Entzückung Lebbäus, »er wird nicht,
Er, bei dessen Geburt schon diese Himmlischen feirten,
Nein, des Ewigen Sohn, er wird die Verwesung nicht sehen!«
[117]
Uriel war's, von dem die weggewendeten Strahlen
Lazarus sah. Der Unsterbliche kam von der Sonne geflogen,
Trat, so wie ihm das Antlitz vom eilenden Fluge noch flammte,
Unter die Väter und sprach: »Ich muß, ich muß es Euch sagen,
Was ich sah! Er stieg von dem Himmel herunter. Sein Gang geht
Nach der Erde, gerad' auf sie zu. Jetzt steht er, dann wieder
Eines Winks Zeit, sich, wie es scheint, zu erfrischen; weil aber
Alle Schöpfungen ruhn, so weht den Müden kein Stern an.
Soll ich Euch seine Gestalt, o, soll ich des Schreckenden Ansehn,
Wie er heut ist, den ersten der Todesengel beschreiben?
Ach, noch nie hat mit diesem Entsetzen Gott ihn gerüstet;
Seit der Erschaffung ist er noch nie so furchtbar gewesen.
Gott, Weltrichter, Du ewiger Richter, wer bist Du, wer bist Du,
Wenn Du Gericht hältst! Flammen des Herrn gehn weit vor dem Boten
Seines Gerichts her. Schwingt er die schlagenden Flügel, so rauschen
Sie wie Wetter. Vor ihm entflieht die Stille der Himmel.
Träfe sein flammendes Schwert auf der Welten eine, so würde
Schnell der entzündeten Staub in dem Unermeßlichen schwimmen.
Fürchterlich ist sein Blick, viel fürchterlicher als damals,
Da er über die Erde die Fluth des ersten Gerichts goß
Und in den Oceanen der himmlischen Wasser einherging,
Tödtend, ein schneller Verderber. Ihr werdet ihn sehn, und wenn Ihr
Ihn nun seht, wird ein Graun vom Unendlichen über Euch kommen,
Wie es über mich kam. Was mich am Mächtigsten schreckte,
War das trübe, das ernste, sein unaussprechliches Trauren,
Das ihm zugleich sein Angesicht deckt. Ach, wenn er gesandt ist,
Gottes Mittler den Tod jetzt anzukündigen!« Zitternd
Wandte sich Uriel weg und verlor sich unter die Engel.
Erst sprachloses, starrendes, unbewegtes Erstaunen,
Wehmuth dann, die Worte noch weniger nennen, beklommne,
Aufgeschreckte, versinkend, weinende, thränenlose,
Nie empfundene Wehmuth ergriff die Seelen der Väter.
Jesus Christus, den keiner der Engel, wie sehr sie auch streben,
Und wie hoch sie auch über die Stufen der Menschen erhöht stehn,
Keiner ganz zu erkennen vermag, den Gott allein kennt,
Gottes Sohn, nun sollt' er sterben! Die Seelen, für die er
Sterben sollte, sie sanken zu ihres Lebens am Staube,
Zu der Empfindung der Sünde, so tief sie konnten, herunter.
Die Erinnrung umgab sie mit allem ihren Entsetzen.
Zwar sie waren versöhnt, sie empfanden's, daß sie es waren;
Doch nun sollte für sie der Gottversöhnende sterben!
[118]
Ganz von diesem Gefühl durchdrungen, stützet sich Henoch
Auf ein Grab mit der Linken und streckt die Rechte gen Himmel.
Henoch, wie göttlich sein Wandel auch war gewesen, und ob ihn
Gleich der Tod nicht getödtet, nicht hatte verstäubt die Verwesung,
War er doch vor dem Richter nicht rein gewesen. Der Glaube,
Handelnder Glaub' an den Heiland, der jetzt dem Tode sich nahte,
Hatte den Sohn von Adam ins ewige Leben gerettet.
Wären die Erden um ihn, um ihn die Sonnen versunken,
Er hätt' es unerschüttert gesehn; allein des Versöhners
Nahender Tod durchströmte sein innerstes Wesen mit Trauren,
Und die Engel, die Väter, die Seelen, die Sterblichen, Alle
Schwanden ihm; kaum daß sein Auge noch Den, der blutet', erkannte.
Neben ihm neigte sich Abel an einen Felsen und hielt sich.
Zwar von Adam gezeugt, doch so unschuldig als Einer,
Welcher noch nicht vollendet ist, sein kann, hatt' er sein Leben
Gott geheiligt und war durch Mörderhände gestorben.
Ach, zu dem sein letztes Röcheln im Tode gerufen,
Dem er hatte gefleht, da er in rauchendem Blute
Lag, vor allen Gerechten der Unschuldsvollste, der sollte
Sterben wie er, nicht sterben wie er, so sanft nicht entschlummern!
Ach, mit jedem Verbrechen der Kinder Adam's belastet,
Sollte der, und zerschmettert vom Zorn des Allmächtigen, sterben!
Seth, der würdige Bruder des Ersten unter den Todten,
Und der früh ein Prediger ward des künftigen Opfers
Für die Sünde des Menschengeschlechts, wie sehr er dem Tode
Deß, dem zu büßen gesetzt war, auch nachgesonnen, wie oft er
Jene Jahrtausende, die er gelebt, des Versöhnenden Ausgang
Hatte betrachtet, so war es doch Alles ein dämmerndes Bild nur
Dessen gewesen, was er davon nun fühlte. »O Richter,
Richter Aller, die leben, gestorben sind, leben werden!«
Bebte sein innerstes Herz und seine stammelnde Zunge.
[119]
Und indem er es stammelte, wandt' er gen Himmel, zum Kreuz hin,
Auf die andern Erlösten, hinab zu den Gräbern sein Antlitz.
Lange schon war es dunkel um David's Auge geworden;
Lange zittert' er hin und her. Seit Uriel's Ankunft
Zitterte David nicht mehr. Er stand, an die Erde geheftet,
Stand und schauet' auf Den, so dem Tode nahte. Sein Herz hing
Ganz an jenem Bilde von Jesus' Tode, deß Gott ihn,
Tief es ihm in die Seele zu senken, gewürdiget hatte.
Dies nur dacht' er, nur dies vermocht' er jetzo zu denken.
Als die Sprache zurück ihm kam, entsanken des Sehers
Munde gebrochene Worte. Die Thränen rannen ihm wieder.
Also jammert' er: »Gott, sein Gott, Du hast ihn verlassen!
Dir, Dir seufzet er; aber ihm kommt nicht Hilfe, nicht Hilfe!
Sohn, Du bist ein Wurm und kein Mensch! Die niedrigsten Sünder
Haben Dich wüthend umringt und spotten Dein, Du Erdulder!
Deines Vertrauens auf Gott, deß spotten gerichtete Sünder!
Ausgeschüttet ist er wie Wasser. Jedes Gebein ist
Ihm zertrennet, sein Herz in seinem Leibe geschmolzen,
Seine Kraft wie ein Scherbe vertrocknet. Am Gaumen klebt ihm
Seine Zunge. Bald wirst Du, o Tod, ihn niederlegen
In den Staub! Ja, Thiere, nicht Menschen sind's, die ihn würgen.
Ach, wie haben sie Dir, Du Wundenvoller, die Hände,
Wie die Füße durchgraben! Wie breiteten sie Dich am Kreuz aus!
Alle Deine Gebeine, Du könntest sie zählen. Sie aber
Stehn und schauen an Dir der Hölle Lust, Du Erwürgter!
Wenn er todt ist – o Richter der Welt, Gott, Sündevergeber,
Welch ein erstaunlicher, hoher, geheimnißvoller Gedank' ist's,
Daß er nun bald wird todt sein – wenn er todt ist, verkündet's
Bis an das Ende der Erde, daß sie zu Gott sich bekehre,
Und daß alle Geschlechte der Menschen vor ihm anbeten!«
Wie ein Waldstrom, welcher sich hier von Gebirgen herabstürzt,
[120]
Und wie einer, der dort in der Ebne durch Felsen zögert,
Hallt aus der Fern' dem Verirrten in einsamer Nacht; er vernehme,
Meinet er, lautausrufende Klag' und weinende Wehmuth:
So scholl's jetzt um das Kreuz in den Schaaren der leidenden Zeugen.
Hiob, der, durch Leiden bewährt, ein Mann nach dem Herzen
Deß, der die Leiden ihm sandte, geblieben war, ein Gerechter,
Wie es ein Sterblicher bleibt, den der prüfende Richter in Staub wirft,
Hiob, der weiß, was es sei, von jedem Schrecken der Allmacht
Eingeschlossen, dem Tode sich nahn, vermag den Gedanken
Von des Gekreuzigten Tode nicht mehr zu denken, entschwingt sich
Diesen Tiefen und stärkt sein Herz, das dürstet nach Ruhe.
»Leben, leben wird er, wird aus der Erde sich wecken,
Auferstehn, ach, ein Ueberwinder des Tods und der Hölle,
Stehen über dem Staube! Dann soll mein Auge Dich schauen,
Dich in Deiner Herrlichkeit schaun, Gott Mittler, Vollender!«
Also durchdrang die Frommen des Todesengels Erwartung.
Aber Keiner empfand den näheren Tod des Versöhners,
Als der Vater und als ihn die Mutter der Menschen empfanden.
Da sich Uriel wendet' und nun sein entschimmertes Antlitz
Unter den Engeln verbarg, da standen sie Beide – sie waren
Nah bei einander – mit starrendem hingehefteten Blicke
Unbeweglich und fühlten in ihrem innersten Leben
Jeden Schrecken von Neuem der Donnerworte des Engels.
Endlich sahen sie sich. So wird an dem letzten der Tage
Seinen Gewählten der Freund, der Bruder kennen den Bruder,
Welchen er kurz vorher, in Erstaunen verloren, nur ansah.
Denn der Posaune gebietender Ruf, der Hall der Gefilde,
Die vor der mächtigen Arbeit der Auferstehung erbebten,
Und ihr eignes Gefühl des umgeschaffenen Lebens
Hatten jeder andern Empfindung ihr Herz noch verschlossen.
Eva reichet ihm weinend die Hand. »Was sollen wir,« sagte
Sie mit Worten, die kaum zu Laute wurden, »o Adam,
Sage Du es, was sollen wir thun? was sollen wir nicht thun?
Wollen wir gehn und suchen, wo am Tiefsten die Tief' ist?
Dort uns niederwerfen in Staub? dem Allmächtigen flehen,
[121]
Ach, dem tödtenden Richter, daß er den Tod ihm lindre?«
Adam hielt ihr weinend die Hand. »Nein, Mutter der Menschen,
Wir sind viel zu endlich, für ihn zu dem Richter zu flehen.
Wenn mit unaussprechlicher Wehmuth, mit ringender Inbrunst,
Daniel, Hiob und Noah mit uns, wenn selber der erste
Aller Erschaffnen, Eloa, es thut: wir flehen vergebens!
Was dem Geopferten Gottes noch zu dulden gesetzt ist,
Das, das Alles wird er noch dulden. Es lindert kein Labsal,
Ach, kein Labsal die Angst; mein ganzes Dasein entsetzt sich!
Aber es lindert kein Labsal die letzte Todesangst ihm,
Hat es der Unerforschte, dem er sich opfert, beschlossen.
Komm, ein Gedanke, nicht ohne den Einfluß Gottes entstanden,
Reißet mich fort; komm, folge mir nach, thu, was Du mich thun siehst!«
Und sie schwebten mit traurigem Flug an dem Oelberg nieder
Nach der Schädelstätte. Die Engel und Väter begleiten
Ihren einsamen Flug mit wunderndem Blicke. So viel es
Ihnen die stärkern Empfindungen und ihr banges Erstaunen
Ueber den furchtbaren Tod des Gottgeopferten zuläßt,
Folget ihr Blick mit Erwartung und Zweifel den Erstgeschaffnen.
Diese näherten sich dem Todeshügel und wurden
Immer dunkler vor Wehmuth, je mehr sie dem Hügel sich nahten.
Jetzo standen sie still. Da, wo der Getödtete schlummern,
Bald nun, nach der Vollendung der größten unter den Thaten,
Auch in dem Staube begraben, wie seine Brüder, die Menschen,
Schlummern sollte, da standen sie still. Gewälzt vor des Grabes
Oeffnung, lag ein Fels. An der einen Seite des Felsen
Stand der Vater und an der andern die Mutter der Menschen.
Sie sank gleich an den Felsen hin. Der Gedanke vom Grabe,
Vom so nahen Grabe des Wundenvollen durchdrang ihr
Zu gewaltig, ein Pfeil des Allmächtigen, ihre Seele.
Er ermannte sich noch; er streckte gen Himmel die Arm' aus.
Dreimal nannt' er in sich des Gottversöhnenden Namen,
Und so lange sah er mit bleibendem Blick ihm ins Antlitz,
Ihm, der dahing, bleich war, als nie ein Sterbender bleich war.
Aber auch Adam hielt nunmehr den erschütternden Anblick
Länger nicht aus. Er sank in den Staub der Erde danieder,
Hub vor seine Stirn die festgefalteten Hände,
Blickte zur Erde nieder, aus welcher ihn einst Gott aufschuf,
Aber in der sein Gebein, des Gerichteten, in der verfluchten,
[122]
Auch verwest war, in der von einem Jahrhundert zum andern
Schon so oft das ganze Geschlecht der Menschen verwest war.
Itzt erhub er in lautem Gebet die flehende Stimme,
Daß sie die Väter umher und die Engel alle vernahmen.
»Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und treu und geduldig!
Gott, Verzeiher der Sünde, der Missethat, des Verbrechens,
Du, der für uns von dem Anbeginne der Welten erwürgt ist,
Hoherpriester, Prophet und König, Du Menschensohn, hör,
Höre auf Deinem Söhnaltar, auf dem Du erwürgt wirst,
Unser tiefes Gebet, das von Deinem Grabe zu Dir fleht!
Unsere Missethat hat Gott uns vergeben. Wir schauen
Nun Jahrtausende schon von Antlitz zu Antlitz die Gottheit.
Einer Seligkeit voll, die wir drüben am Grabe vergebens,
Auch mit den reinsten Gedanken vom Schöpfer, rangen zu denken,
Schauen wir Gott; denn es ward, uns ward die Sünde vergeben,
Um des Todes willen, der Dich, geschlachtetes Opfer
Für die Verbrecher, Erbarmender, Dich jetzt tödtet, vergeben.
Aber an diesem Tage der zweiten Schöpfung, an dem Du,
Mittler, das ganze Menschengeschlecht zu des Ewigen Anschaun,
Wenn sie nicht widerstreben, zurückführst, Alle versöhnest,
Aller Sünde vernichtest und sie der Strafe der Sünde,
Jenem gefürchteten ewigen Tod, allmächtig entreißest:
An dem Tage, da Du auch für mich, Gott Mittler, Dich opferst,
Darf ich mich meiner Sünde mit stiller Wehmuth erinnern.
Nicht, daß ich wähne, Du werdest noch einmal mit mir ins Gericht gehn;
Du Erbarmer, wie könnt' ich, der Gottes Antlitz geschaut hat,
Und für welchen Du jetzt zu dem Allerheiligsten eingehst!
Dennoch laß es noch einmal vor Dir, mein Gott, mich bekennen,
Wer ich war! Ach, bis zu dem Tode bist Du erniedrigt,
Bis zu dem Tod am Kreuz Du, der Welten Richter, erniedrigt!
Heut darf Adam sich des verziehenen Falles erinnern.«
Voll von heiliger Wehmuth und Seligkeit hielt er hier inne.
Eva hatte mit ihm gebetet, nicht ihre Stimme,
Aber ihr Herz und Antlitz. Sie hörte jetzt auf zu verstummen.
»Ja, Du Hingegebner, an diesem Tage des Blutes,
Ach, am Tage, da sie Dich begraben werden, Erdulder,
Darf auch Eva sich des verzieh'nen Verbrechens erinnern
[123]
Und mit frommen Trauen und weinendem Dank es bekennen!«
Also betete sie, und Adam begann von Neuem:
»Ja, wir fingen es an, wir setzten es fort und vollbrachten's!
Ach, wir thaten's! Und, ach, wer war's, wer hatte das leichtste
Aller Gebote gegeben? Es war Jehovah, das erste,
Höchste, liebenswürdigste, beste, das Wesen der Wesen,
Unser Schöpfer, der uns aus Staube zu Menschen emporschuf,
Den wir kannten, den wir in unsrer staunenden Seele
Unaussprechlich empfanden, der jedes Gebet mit Entzückung,
Jeden neuen Entschluß, nicht von dem Baume zu essen,
Jeden Gehorsam vor unserem Fall mit Wonne belohnte,
Der uns immer an sich durch tausendmal tausend Geschöpfe
Voll tiefsinniger Schönheit erinnerte, wo die Betrachtung
Sicher mit neuen Entdeckungen, neuen Freuden gekrönt ward,
Der die Mutter der Menschen mir gab, mich der Mutter der Menschen,
Dessen erscheinende Herrlichkeit uns noch höher zu ihm hub
Als das Alles, das uns von allen Seiten umringte,
Unser Schöpfer! Und doch erkühnten wir uns, der Geschaffnen
Schranken uns entschwingen zu wollen und Dir, o der Wesen
Wesen, zu gleichen! Du hast es uns, unser Vater, vergeben!
Preis, Anbetung und Dank und liebevoller Gehorsam
Sei dem Mittler, auf den der Richter unsere Last wirft
Und die Last des ganzen Geschlecht der sterblichen Sünder!«
Also betete Adam, mit ihm die Mutter der Menschen:
Er mit lauter Stimme, sie in der Tiefe der Seele.
Und von dem Angesichte des sterbenden Gottversöhners
Kam Barmherzigkeit, göttliche Stärke, Ruhe des Himmels,
Kamest Du, Frieden Gottes, der höher als Aller Vernunft ist,
Nieder auf sie. Sie empfanden es ganz, wie ihr Mittler sie liebte.
Neuer Inbrunst voll, streckt' Adam die Arme zum Kreuz aus.
»Du, mein Herr und mein Gott, wie kann ich, Du Liebe, Dir danken?
Ewigkeiten, sie sind zu kurz, genug Dir zu danken.
Hier will ich liegen und beten, bis Du Dein göttliches Haupt nun
Neigest im Tode. Nur vor dem fürchterlichsten der Engel,
Nur vor seiner Stimme soll meine Stimme verstummen,
Wenn er kommt und es nun von Deinem Vater verkündigt,
Der Dich verlassen hat. Höre, um dieses Todes willen,
Den für die Sünder Du stirbst, hör, Gottverlassner, mein Flehen!
Herr, für Deine Versöhnten, für meine Kinder, für Alle,
[124]
Die das weite, das furchtbare Grab, die Erde – doch hat's auch
Deine Gnade mit Blumen bestreut – noch künftig bewohnen
Und mit jedem vor der Versöhnung entschlafnen Jahrhundert
An dem Tage der großen Entscheidung einst auferstehen,
Meine zahllosen Kinder, für diese fleh' ich Dich, Herr, an!
Weinend, mit dürftigem Leibe, mit viel mehr dürftiger Seele,
Kommen sie auf die Erde. Du, ihr Mittler, erbarmst Dich
Dann schon ihrer und nimmst sie in Deinen göttlichen Bund auf.
Wenn sie nun kaum Gedanken zu stammeln vermögen, so laß sie
Oft den wiederholen: Du habest sie früh durch ein Wunder
Aufgenommen zu Dir, und Dein, Herr, sei'n sie auf ewig!
Die den Geist des Vaters und Sohns in dem heiligen Wasser
Zu dem ewigen Leben empfangen, und die Du anders
Führest zum ewigen Leben, die Alle, welche mit Blut Du
Theuer erkauft und sie dem Anschaun Gottes geweiht hast,
Leite sie, wenn ihr Alter nun aufblüht, pflege der zarten,
Biegsamen Sprosse, daß sie zu jeder Fruchtbarkeit reifen,
Welche Du in sie legtest. In ihnen trübe die Sünde
Nie zu sehr den Schimmer der früh erleuchtenden Gnade,
Lösche das Feuer nicht aus, das, Dich zu lieben, sie anflammt!
Mittler, vor Allen in Denen nicht, deren reiferes Alter
Du, der Erde zu leuchten und sie an Gott zu erinnern,
Oder in Jenen, die Du erkorest, vom höheren Schauplatz,
Wo durch Dich sie stehen, auf ihre Brüder, die Menschen,
Wohlthun, Frieden und Schutz und Gerechtigkeit auszuschütten!
Alle, die es nun wissen, was Gott von ihnen, der Wesen
Höchstes, heiligstes, bestes, der anzubetende Schöpfer,
Mit so vieler Geduld, so viel Barmherzigkeit fodert,
Laß, laß alle Menschen ihr kurzes Leben am Staube,
Diese Stunde der Prüfung, zu ihrer Seligkeit leben,
Daß der Wanderer nicht an dem Quell und unter den Schatten
Jene Krone, die Gott von fern ihm zeigte, verschlummre
Oder sie gar an der Kette zu kleiner Freuden verachte!
Deren Herzen nicht ganz am Unendlichen hangen, und die sich
Auf den Arm des sterblichen Helfers zu sehr verlassen;
[125]
Denen die Ehre zu süß ist, und die, ach, Menschenbeifall,
Den sich zu ihrer Thaten Belohner wählen und Gottes,
Welchem Tadel und Lob der Menschen wie Blasen der Luft wiegt,
Gottes Auge, das schaut und zählt und richtet, vergessen;
Die sich in Sinnlichkeiten verweben – sie hatten der Lüste
Bande muthig zerrissen; allein die feinere Wollust
Lockt sie täuschend vom Gipfel der besseren Freuden herunter –
Die den Bruder nicht ganz, mit herzlicher Liebe nicht, lieben;
Wer zwar wohlthut, aber gesehn will werden und Ehre,
Für die leichteste Pflicht der Menschlichkeit Ehre verlanget;
Wer nur halb dem Feinde verzeiht, unbiegsam, der Rache
Dessen, der rächen will, Alles zu überlassen, noch minder
Fähig, Den, der ihm flucht, aus voller Seele zu segnen;
Alle, die über das Grab zu selten blicken, zu flüchtig
An die Unsterblichkeit denken, zu der Du, ihr Gott, sie gemacht hast;
Wenn sie nicht hören die Stimme der Huld, die sanfte des Vaters:
Herr, so ruf sie durch Leiden zurück aus der furchtbaren Irre!
Aber die ganz von Gott abweichen, das Laster zum Abgott
Machen und sklavisch dem falschen, dem spottenden Peiniger dienen,
Die Unseligen wecke von ihrem Tode durch Elend!
Meine Kinder, ach, meine Kinder, er liebt unaussprechlich,
Der am Kreuze für Euch sein Leben dem Ewigen opfert!
Ist es möglich, Unsterbliche, könnt Ihr Euren Versöhner,
Euren Beruf, zu wandeln im Licht, in dem Himmel, verkennen?
Rühre die steinernen Herzen mit Deiner allmächtigen Liebe,
Schaffe sie um und bringe sie rein zu dem Ewigen wieder!
Euer erschüttertes Herz vernehme die Stimme des Blutes,
Da von Golgatha strömt und Gnade, Gnade für Euch fleht,
Gnade! Mit heiligem Schauer vernehme sie Eure Seele,
Mit Anbetung und jener Entzückung, des ewigen Lebens
Vorschmack, welcher die Erben des Grabs bei des Todes Anblick
Ueberschwänglicher stärkt als alle Weisheit der Erde!
Nicht des Sterbenden brechender Blick, noch der liegende Todte,
Nicht die Gruft voll Verwesungen, nicht die verzehrende Flamme,
Nicht die Asche des Todten, zerstreut in die Tiefen der Schöpfung
[126]
Nichts, was Deinen Rächer, den Tod, mit Furchtbarkeit rüstet,
Wird sie schrecken; denn Du erhörest mein Flehn, Du Erwürgter,
Weckest ihre Seelen, bevor die Leiber entschlafen,
Zu dem ewigen Leben! Ach, daß sie, hast Du sie, Gottmensch,
Auferweckt, mit Zittern und Furcht die Seligkeit suchen,
Die kein Auge nicht sah, kein Ohr nicht hörte, die niemals
Eines noch Sterblichen Herz empfand! Nichts scheide sie, Gottmensch,
Nichts von Deiner Liebe! Von Staub ist der Leib, in dem sie,
Die Du versöhnst, die heilige Seele, der Ewigkeit Erbin,
Tragen. Es krümme die Last des drückenden irdischen Leibes
Nicht zu der Erde sie nieder, nicht sie, die Du, Göttlicher, liebest,
Sie, mit denen der Vater der Wesen nicht ins Gericht geht,
Die der Geist des Vaters und Sohns zum Tempel sich heiligt!
Heiß, voll Thränen, voll Arbeit, und werth der großen Belohnung,
Werth, wie es sein kann, was Sterbliche thun, die Schwachen, die Sünder,
Sei der daurende Kampf der himmelerringenden Seele!
Seligkeit überströmt mich und Wonne mein innerstes Wesen,
Denk' ich an jene Gnaden, die auf die Siegenden warten:
Gottes Anschaun, dies vor dem Tode noch ihnen verborgne
Namenlose Gefühl und Erkenntniß des Unerschaffnen!
Gott, Vollender, wenn Du zu Deinem letzten Gericht kömmst,
Wenn Du entlastet die Erde vom Fluch und zum Eden sie umschaffst:
Ach, dann laß unzählbar, wie Sand an dem Meere, die Schaar sein
Derer, die losgesprochen zu Deiner Herrlichkeit eingehn!
Wolken werden sich oft – Du hast es mir, Herr, nicht verborgen –
Ueber Deine Gewählten, die unsichtbare Gemeine
Deiner Kinder, verbreiten, des schwärmenden Aberglaubens
Und der geleugneten Religion verfinsternde Wolken.
Selber Herrscher der Welt, die zu dieser Höh' Du emporhubst,
Daß sie Dein großes Gesetz, wie sich selbst die Brüder zu lieben,
Ungefesselt, durch eigene Noth, fast grenzenlos thäten;
Die, in dem Staube gebückt, den Gott verherrlichen sollten,
Der vor ihnen dies weite Gefild der Menschlichkeit aufthat:
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Die erniedrigen sich, des blutigen Aberglaubens
Oder des Wahnes, der Dich verleugnet, Sklaven zu werden,
Ihre Brüder zu peinigen oder, durchs mächtige Beispiel,
Sie in Wüsten zu führen, wo Deine Quellen nicht rinnen,
Wo die Beweinenswerthen kein Trost der besseren Welt labt.
Diese Zeiten der Nacht, so oft sie über den Erdkreis
Kommen, verkürze Du sie, daß nicht auch Deine Geliebten,
Mit dem Sünder verleitet, sich jener Krone berauben,
Die Du ihnen mit Blut erwirbst, mit diesem Tode!
Zahllos, Herr, sei die Schaar der Ueberwinder, wie Tropfen
Auf dem frühen Gefilde, wie Sterne der leuchtenden Schöpfung,
Wenn Du sie nach vollbrachtem Gericht zu der Herrlichkeit einführst,
O Du, der uns geliebt, mit einer Liebe geliebt hat,
Die ein Geheimniß der Himmel und ihres Staunens Gesang ist,
Ewiges Licht vom ewigen Licht, Sohn Gottes, Versöhner,
Heil, Fürbitter und Freund und Bruder der sterblichen Menschen!
Deiner Erstgeschaffnen Gebet, ach, Derer, die fielen,
Deiner Erlösten tiefes Gebet, erhör, erhör es!«
Als er noch betet', erhub Eloa sein Angesicht, wandt' es
Nach der Versammlung der Väter und rief von der Zinne des Tempels,
Daß mit dem Fuße Moria's des Heiligthums Hallen erbebten,
Rufte mit einer Stimme der Traurigkeit und des Entsetzens,
Wie sie von ihm noch nie die Unsterblichen hörten, herunter
Zu den Vätern: »Er kommt!« Der Bote der richtenden Gottheit
Schwebte zur Erd' hinab, trat auf den Sinai nieder,
Stand, entsetzte sich. Einsam, von Gottes Befehl belastet,
Stand er auf Sinai. Himmel und Erde, so däucht' es ihm, wollten
Fliehn, hinsinken, vergehn. Der Endlichkeiten Erhalter
Stärket' ihn, daß er nicht selbst hinsank und verging. Das Entsetzen
Ließ mit dem eisernen Arme jetzt von ihm ab; doch war er
Ganz Erstaunen noch, ganz noch Wehmuth. Die sinkende Rechte
Hielt arbeitend das flammende Schwert, und in Schimmer erblaßten
Seine blutiggerötheten Strahlen, die, jeder ein Blitz, glühn,
Zücken und tödten, wenn er von dem Richter zu tödten gesandt ist.
So von des sterbenden Gottversöhners Anblick erschüttert,
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Sank er gegen den Hügel des Todes aufs Angesicht nieder,
Anzubeten, eh er die Befehle Jehovah's vollbrächte.
Seine Stimme, verwandelt in leise Laute des Traurens,
Donnerte nicht wie vordem; doch hörte der Heiligen Kreis ihn.
Also betet' er: »Sohn, Weltrichter, mich Endlichen sendet
Er, den nur Dein Opfer versöhnt! O, stärk, Unerschaffner,
Stärke den Müden, daß ich den Befehl zu vollbringen vermöge!
Ach, die Lasten des großen Befehls, wie gesunkene Welten
Liegen sie, seit Du am Kreuz das unerforschte Gericht trägst,
Herr, auf mir, dem Endlichen! Gott, Weltrichter, wer bin ich,
Ach, wer bin ich, daß Gott, den fürchterlichsten der Tode
Anzukünden, mich sendet? Ein Geist, seit gestern erschaffen
Und in einen Leib, der Endlichkeit ersten Erinnrer,
Eingeschlossen, den Du aus einer nachtenden Wolke
Und aus strömenden Flammen erschufst. Allmächtiger Mittler,
Graun umgiebt mich und Trauren und Angst, die ich niemals noch fühlte!
Aber ich muß den Befehl vollbringen; Jehovah gebot ihn!«
Also sprach er und stand mit Schauer auf Sinai's Höh' auf.
Jede Furchtbarkeit gab, da er stand, Jehovah ihm wieder.
Schreckend stehet er da und hält nach der Schädelstätte
Sein weitflammendes Schwert, und hinter ihm macht sich ein Sturm auf.
Mit dem fliegenden Sturm erscholl des Unsterblichen Stimme.
Siehe, die Palmenwälder, der Jordan, Genezaret rauschten
Vor dem mächtigen Sturm, und es strömte das Abendopfer
Erdwärts mit vorschießender Gluth. Der Unsterbliche sagte:
»Dem Du Dich opferst, es hat Jehovah Dein göttliches Opfer
Angenommen. Unendlich ist des Gerechtesten Zürnen.
Mittler, Du hast dem unendlichen Zorne Dich unterworfen,
Du allein, und mit Dir ist keiner aller Erschaffner!
Deines Blutes Geschrei um Gnad', um die Gnade des Richters,
Ist vor ihn gekommen; allein er hat Dich verlassen,
Wird Dich verlassen, bis Du den gottversöhnenden Tod stirbst!
Fliegende Winke nur noch, so wirst Du ihn, Göttlicher, sterben!«
Also sagte der Todesengel und wandte sein Antlitz.
Jesus Christus erhub die gebrochnen Augen gen Himmel,
Rufte mit lauter Stimme, nicht eines Sterbenden Stimme,
Mit des Allmächtigen, der sich, das Staunen der Endlichkeiten,
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Freigehorsam dem Mittlertod hingab; er rufte:
»Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?«
Und die Himmel bedeckten ihr Angesicht vor dem Geheimniß.
Schnell ergriff ihn, allein zum letzten Male, der Menschheit
Ganzes Gefühl. Er rufte mit lechzender Zunge: »Mich dürstet!«
Ruft's, trank, dürstete, bebte, ward bleicher, blutete, rufte:
»Vater, in Deine Hände befehl' ich meine Seele!«
Dann: (Gott Mittler, erbarme Dich unser!) »Es ist vollendet!«
Und er neigte sein Haupt und starb.

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Der Messias. Zweiter Theil. Zehnter Gesang. Zehnter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B42A-E