[247] Klage eines Gedichts

Endlich darf sie mir einmal doch wohl die zürnende Thräne
Rinnen, endlich mein Schmerz sagen, wie bitter er ist.
Bürdet mir Stolz nicht auf, wenn ich von Entweihungen rede;
Wer so lange wie ich duldet', und schwieg, ist nicht stolz.
Vor Dolmetschungen ach bewahret mich, Göttinnen, hab' ich
Allen Musen gelleht; aber sie hörten mich nicht.
Auch dem dritten Ohr des lazedämonischen Phöbus
Fleht' ich umsonst, und ach selber dem vierten umsonst!
Hattest, Apollo der Kriegerstadt, du allein denn nicht Pfeile,
Dass du, mich rettend, damit träfst die translätinge Faust?
[248]
Gallier haben noch jüngst mich übersetzt: doch sie wähnens
Nur; sie haben mich dort über den Lethe gebetet.
O wie grub mir der Wunden so viel ihr triefender Dolch ein,
Und wie röthete sich mir die getroffene Brust!
Und so klage denn ich, das niemals klagte? Wohlan denn,
Ich ermanne mich jetzt, trage mein Schicksal, wie sonst.
Aber weil ihr mich verliesst; so versieg' euch, eine schönsten
Morgenröthen lang, Musen, der heilige Quell!
Und nicht kürzere Zeit zu du, Lazedämons Apollo,
Wenn Melpomene singt, feinster der Hörenden taub!

Notes
Entstanden 1796. Erstdruck in: Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmackes, 1796 II.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Klage eines Gedichts. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B46B-D