[4] Melancholikon

Greifswald. 1775.


Fern von meinem Vaterlande,
Fern vom Ort, der mich gebar;
Weilt mein Fuß in fremdem Lande,
Wo der Meinen keiner war;
Fern von allen meinen Lieben,
Spuken Larven um mich her,
Seelelos, und von den Trieben
Warmer Menschenfreundschaft leer.
O! wo seyd ihr nun, ihr süßen
Heimischen und stillen Höh'n,
Wo ich meinen Morgen sprießen,
Und in seinem Blüh'n geseh'n,
[5]
Wo mir in der Lieben Mitte
Jeder Tag, ein Fest, verschwand,
Und auf jedem meiner Schritte
Ein vertraulich Mädchen stand?
Rein, wie euer reiner Himmel,
Sanft, wie eure sanfte Luft,
Hört' ich da kein Stadtgewimmel,
Hauchte keinen Gräberduft.
Kannte nicht die wilden Freuden,
Drin die Thorheit sich vergnügt;
Nicht der Unschuld heimlich Leiden,
Wenn die Frechheit sie bekriegt.
Nein, in euren stillen Gründen
Hauchte Schönheit und Natur.
Zwischen dunkelgrünen Linden
Wohnt' ich auf vertrauter Flur.
Heiter fand mich jeder Morgen,
Ruhig jedes Mittags Pracht,
Jede Dämm'rung, frei von Sorgen,
Leis' entschlummert jede Nacht.
[6]
Früh ergriff ich meine Flöte,
Wandert' durch bethaute Au'n,
Sah des Morgens erste Röthe
Hinter Hamberg's Hügeln grau'n,
Sah den jüngsten Strahl der Sonne,
Wie er mild die Flur bestrich,
Und des Morgens ganze Wonne
Goß sich segnend über mich.
Tages auf den bunten Matten,
Zwischen Wiesen, Hain und Bach,
Spürte ich auf leisen Schritten,
Freundliche Natur, dir nach,
Trank an deinem Mutterbusen
Reine Weisheit, echten Ruhm;
Und die lieblichste der Musen
Zog mich in ihr Heiligthum.
Blickten dann die Abendsterne
Lieblich aus den blauen Höh'n,
O, wie lauscht' ich da so gerne
Auf des Unbekannten Weh'n,
[7]
Horchte, wie, gleich Waldesstimme,
Seine Stimm' die Flur beschlich,
Und mir ahndete, als schwümme
Leise Gottheit rings um mich,
Und ein heimlich hohes Grauen
Zuckte mir durch Mark und Bein.
Ich entfloh den offnen Auen
Und dem hellen Mondenschein,
Warf mich hin am dunklen Seë,
Wo der Wind den Schilf belief,
Und ihr süßes Klagewehe,
Nachtigall und Unke rief.
Da entquollen leise Töne
Meiner Flöte, wie dem Bach
Wellen, und dem Klag'getöne
Floh'n die Abendgeister nach.
Längs dem Schilfe hört' ich's säuseln
Klärer, als ein Zephyr saus't,
Sah die Fluth des Sees sich kräuseln
Schöner, als ein West sie kraus't.
[8]
Heller glitschte von dem Seë
Mondschein jenseits auf die Au',
Milder träufelt' aus der Höhe
Auf mein Haar der Abendthau;
Und dem armen süßen Schwärmer
Ward es von erträumter Lust
Immer wärmer, immer wärmer
Und erhabner um die Brust.
Todt für Haß und Zorn und Liebe,
Todt für jede Leidenschaft,
Rissen namenlose Triebe
Mich hinweg mit Geisterkraft.
Hoch auf Abendsternenstrahlen
Stieg ich himmelan, und sah
Mond und Erd' im Tiefen wallen:
Und mich selbsten Eden nah.
Oft auch sah ich, wie die Wolke
Flamm' und Hagel um mich spie,
Doch umringt von Geistervolke,
Bebte meine Seele nie.
[9]
Windsbraut war mir Gottes Wagen,
Donner sein Trompetenhall,
Blitz die Rosse, die ihn tragen,
Und sein Troß des Hagels Fall. – – –
Ach, den Frieden, der so milde
Dort auf meine Seele floß,
Ferne scheucht ihn dieß Gefilde,
Wie den Thau des Windes Stoß.
Leer, wie diese öden Felder,
Find' ich diesen Busen hie.
Keine Feier heil'ger Wälder,
Keine Bergkluft schmücket sie.
Und die Lieben, all' die Lieben,
Die mir Blut und Neigung band,
Deren Umgang jeden Trieben
Meiner Seele Nahrung fand,
Die in meines Busens Wunden
Oehl und Balsam träufelten,
Und in freudevollen Stunden
Doppelt Lust mir lächelten,
[10]
Die – und ach! die Busenfreundinn,
Mild, wie Milch, wie Rosen schön,
Meiner Jugend frühe Freundinn,
Richtung meiner Lust und Weh'n,
Die mich mehr als Abendsterne,
Mehr als Wald und Nacht erfreut –
Die auch, die auch, ach! ist ferne,
Und vergrößrunglos mein Leid. –
Schicksal, Schicksal, welche Schlüsse
Schleudern mich aus freundem Land,
Ueber Berg und Thal und Flüsse,
Her an diesen öden Strand,
Wo gesetzlos handeln Ehre,
Wo die Freundschaft Heuchlerlist,
Wo Empfindsamkeit Chimäre,
Und die Liebe Wollust ist.
Kalter Schauder gießt mich über,
Todes Schrecken bleckt mich an.
Oft schon ging er vor mir über,
Kalt und blaß, der Sensenmann.
[11]
Ha! den Stahl aus seinen Händen
Rüng' ich längst, und wär' entfloh'n,
Hielt' mich nicht mit Demantbänden
Weisheit und Religion!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Melancholikon. Melancholikon. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B690-5