[155] [157]Vierte Ekloge

Die Nachfeyer

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Wie, wenn im Sommer die Hitze nun wächst, und die steigende Sonne
Grad' auf das Flugloch scheint des bienenbevölkerten Korbes,
Länger nicht duldend die Hitz' und Beklommenheit, brausend das junge
Volk nun dem Rumpf entdrängt; durchtobend den sonnigen Garten
Schwärmt es umher, da wilde Geschlecht, bis etwa des Irrsals
Müde der Weisel herab sich läßt auf einen der Aeste.
Eiligst nun stürzen herbey die Zerstreueten; rings um den Führer
Fallen sie her, mit Gewalt andrängend. Nieder vom Aste
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Schwanket, ein haarigter Kegel, der unermeßliche Hauptschwarm;
Aber sobald nur, des Drangs, und der Schwül' unlustig, der Weisel
Wieder davon fliegt, plötzlich enteilen auch jen'; aus einander
Fahren sie, und durchschwärmen aufs neue den sonnigen Garten.
Also auch saßen geschaart im grünenden Thal am Gestade,
Rings um den Lehrer in Ruh' dem Wort aufmerkend, die Reihen,
Welche vorhin das Thal durchirreten hiehin und dorthin.
Aber als nun der Gesang erstummt und der Segen ertheilt war,
Al mit dem Klingelbeutel des Dorfes löblicher Schuldheiß
Eingesammelt, die Reihen herum, die ärmliche Gabe,
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Als aus dem Armstuhl dann sich erhob der gefeyerte Lehrer,
Und, nachdem er gegrüßt die Gemeinde, hinab in das Thal ging,
Weil geendigt nun war die seelerhebende Feyer;
Alsbald stoben auch jen' aus einander, hiehin und dorthin
Irrten sie weit versprengt in dem Dorf, in dem Thal, auf den Bergen.
Viele, vom niederen Volk, die etwa von ferne gekommen,
Kehrten des nächsten Weges zurück zur friedlichen Wohnung,
Mancherlei plaudernd im Gehn von des Wetters Gestalt, von der Erndte
Segen, der Heitre der Luft, auch von der erbaulichen Predigt.
Andere, denen vielleicht im Dörflein wohnt' ein Verwandter,
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Gingen, der freundlichen Ladung zu Lieb', im Kreise der Freunde
Nässend den durstigen Gaum, ein trauliches Pfeifchen zu schmauchen.
Viel Vornehm' auch waren zugegen von nah' und von ferne,
Welche, nachdem sie des Geistes gepflegt mit der himmlischen Speise,
Nunmehr, wie sichs gebührt, auch pflegten des leiblichen Menschen,
Traulich gelagert ins Gras um das ausgebreitete Tischtuch,
Rings von dampfenden Schaalen umstarrt und lockenden Bechern.
Als erquickt nun alle sich fühlten, und reichlich befriedigt,
Fuhren die Einen zurück zu den Wohnungen, vieles noch redend
Während des Wegs von der Predigt, das Eine rühmend, das Andre
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Mehrere tadelnd; denn stets dünkt sich der Tadler den Klügern.
Andre, das Dorf durchwandernd, beschauten die ärmlichen Hütten,
Eng und niedrig, nicht eben gebaut nach dem Loth und der Bleischnur;
Doch gefiel es die Gärtchen zu sehn, mit gewaltigen Steinen
Rings umschanzet, besäumt mit Sonnenblumen und Malven.
Andere wankten den Strand entlang, auf den schlüpfrigen Kieseln
Oft ausgleitend, sich freuend des Wogenbruchs und Gebrauses.
Andere saßen zu Roß und zu Wagen, um vor der Heimfahrt
Noch Arkona zu sehn, und die unermeßliche Umsicht.
Aber Jucunde, begleitet von Thecla von Thurn, und der Schwester,
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Folgte dem Vater zurück in die enge Wohnung des Hüttners.
Wohl war diese geschmückt zum Empfang so ehrlicher Gäste;
Sauber die Diele gefegt, gesandet das niedrige Stübchen,
Dessen Gebälk nicht selten dem sinnenden Pfarrer die Stirn traf;
Denn er war schmächtig, doch lang; die tüchtig vernagelten Fenster
Waren gewaschen, wiewohl umsonst! die höckrigen Wände
Neu geweißt mit der Kreid' Arkonens, die erdigt und grau ist.
Ueber das ehliche Bett lag sauber gebreitet die Decke;
Ueber dem glattgescheuerten Tisch das reinliche Tischtuch,
Reichlich besetzt mit der Netz' Ertrag und der Beute des Meeres,
Mit der Makrele, dem Aal, dem Dorsch, dem stachlichten Flunder,
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Und dem Ulyß des Meers, dem vielgewanderten Hering.
Hoch auf waren die Schüsseln gethürmt, und schmackhaft bereitet;
Milch auch war vorhanden, mit Semmel durchbrockt für die Kindlein;
Brod aus gesiebtem Mehl, und der Sahne güldene Blume.
Räumige Krüge, gefüllt mit des Malzes schäumendem Absud,
Standen umher, auch mangelte nicht das stärkende Schlückchen,
Dessen nicht gern entbehrt, wer der Netze pflegt und des Ruders.
Scharrend nun trat aus der Küche herein die ehrbare Hausfrau,
Grüßte die Reihe herum die Gäste mit schallendem Handschlag,
Nöthigte viel zu sitzen, fürlieb zu nehmen; nicht Bessers
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Habe die See beschert, seit grausam wüthend der Nordwind
Ihnen hinweg geführt wohl funfzig Faden der Netze.
Thecla nun und Jucunde, der freundlichen Mahnung gehorchend,
Setzten sich hinter den Tisch auf die Bank, die kundige Jungfrau
Mahnte die Freundinn, ihr Kleid von schwarzer schimmernder Seide
Nicht an der Kreide zu weißen der färbenden Wände ... Vergebens!
Denn schon war das Gewand umsäumt mit silbernem Borde,
Thecla zu höchlicher Lust; wohlfeil gewann sich der Bord ja.
Itzt nun dachten der Speis' und des Tranks zu kosten die Mägdlein,
Als zu der Milch Genuß die Löffel mangelten, so auch
Wurden die Messer vermißt zur Zerlegung der Fisch' und des Brodes;
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Ich geschweige der Gabeln, als die zur Noth sich entrathen.
Und es lachten die Mägdlein des Unfalls. Aber die Hausfrau
Eilte die Löffel zu bieten, die eigenen zierlich geschnitzten,
Auch die Messer mit hörnernem Griff; als Thecla, die Jüngre,
Schweigend entsprang, hinab zu des Vaters Wagen ins Thal lief,
Baldigst kehrte mit schwerem Gepäck, frohlockend des Bündels
Knoten entschürzt', und behende die schönen Geräthe hervorzog,
Die sie gepackt sorgsam in das Fuhrwerk, harrend des Schmauses.
Und es rühmte der Kleinen Besonnenheit höchlich die Hausfrau.
In die Wett' auch ward sie gerühmt von der Pathinn und Schwester.
Fröhliches Muthes genossen nunmehr des Mahles die Mägdlein.
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Auch der melodische Küster, als dem die Sonn' und die Psalmen
Ausgetrocknet den Schlund, ließ sich die Labung belieben.
Ernst nur saß und still der erschöpfte Pfarrer im Rohrstuhl,
Nicht vermögend zu essen, auch wenig redend. Umsonst ward
Vieles geschwatzt und gescherzt von den Mägdlein; manches vom Schultheiß,
Welcher die Gabe gebracht des Klingelbeutels; des Pfarrers
War sie, welcher sofort sie den Armen spendete. Viel auch
Nöthigten Wirthinn und Wirth. Doch blieb der erschütterte Lehrer
Wortkarg, in sich gekehrt, tiefsinnig; jenseit der Wolken
Schwebete noch sein erhöheter Geist. Mit erhabenem Gleichmuth
Sah er herab auf das Leben, und dessen Mühen und Freuden.
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Als er nun wenig Minuten geruht im krachenden Rohrstuhl,
Macht' er sich auf, allein, die Kranken des Dorfs zu besuchen,
Die er erquickte mit leiblichem Rath und geistigem Zuspruch.
Auch die Blinde besucht' er, die schon am Morgen des Lebens
Gänzlich dem Licht abstarb des irdischen Tages. Den Geist auch
Hüllt' erebische Nacht, und selten sich hellender Dumpfsinn.
Tappend ergriff die Arme die Hand, die ersehnte, des Lehrers,
Der ihr ein Engel des Lichtes gemahnt' im ewigen Dunkel.
Ihr auch redet' er tröstend zu, und hieß sie geduldig
Harren des Tags, an dem einst Aller Augen sich aufthun.
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Auch besuchte der Pfarrer die hundertjährige Wittib,
Welche noch Karl den Zwölften gekannt, und den prangenden Eichwald,
Welcher vor Zeiten Arkona gekränzt, und die Fluren der Insel
Vor den nordlichen Stürmen geschützt. Es haben die Dänen
Ausgerottet den Wald, als der kriegrische König dahin war.
Neunzig Jahre verflossen seitdem; es hatte die Alte
Oft als Hirtinn geruht in des Waldes Schatten; vollendet
Hatte sie, laut de Register, zum hundertsten Jahre das achte.
Zitternd zwar, und gekrümmt erdwärts, vermochte sie gleichwohl
Schmolkens Buch noch zu lesen, daß groß und scheinend gedruckt ist.
Aber sie hörete schwer. Auch diese besuchte der Pfarrherr,
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Stärkt' und tröstete sie, und reicht' ihr das heilige Nachtmahl,
Das sie empfing andächtig nach wohlgesprochener Beichte.
Also pflegte des Amtes der Pfarrherr, eifrig und rastlos.
Theela von Thurn indeß und Jucund' und die jüngere Thecla
Hatten verlassen die gastliche Hütte des alternden Fischers,
Lustzuwandeln, des Freyen froh, in den Gäßchen des Dorfes.
Und sie schauten mit Liebe die stillen zufriedenen Hütten,
Niedrig und eng mit Gärten umher und reinlichem Hofplatz,
Plauderten viel im Vorübergehn mit den ehrbaren Hausfraun,
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Die vor der Hausthür saßen auf Schemeln oder dem Baumstamm,
Den aus der Stubniz die Männer geholt zur Feurung des Winters.
Manch pausbackiges Kind auch haschten sie, das in den engen
Gäßchen umherlief sorglos, nicht sonderlich scheuend die fremden
Jungfern, welche mit Kirschen es lockten und würzigem Backwerk.
Also gelangten die Mägdlein hinab zum Strande des Meeres,
Dessen erbrandende Flut bis hoch hinauf in die Schlucht schlug.
Nicht zu nahe sich wagend, daß nicht das Gestiebe sie nässe,
Wählten die Mägdlein zu sitzen bequem auf dem bauchigten Rumpfe
Eines geborstenen Boots, das umgestürzt an dem Strand lag.
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Hier nun saßen die Mägdlein, und schauten dem brandenden Meer zu,
Bang aufschauernd, erreicht von manchem sprützenden Tropfen;
Schauten, wie aufgewühlt von des Ostwind kräftigem Athem
Meilenweit die See sich brach am Riff des Gestades.
Fürchterlich rollte die Woge daher, die thürmende Scheitel
Schaumbekränzt; dumpf grollend gewann sie die mächtige Steinwand,
Prallte zurück zerschellt, und schwoll abprallend entgegen
Bäumte der Schwellenden sich die zweyte Gewaltigre. Wuthvoll
Kämpften nun beyd' um den Sieg mit gemessenen Kräften, bis plötzlich
Nachtschwarz, bäumend den Kamm, mit Gebrüll, die dritte daherfuhr,
Beyd' erfaßt und gewaltig mit sich hinab an den Strand riß.
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Ringsum brodelt' und gohr nunmehr die kochende Salzfluth,
Rings erscholl das gethürmte Gestad'. Im wilden Geprassel
Schütterten Strand und Schlucht und die friedlichen Hütten der Vitte.
Bang' aufschauernd, nicht selten erreicht von dem stiebenden Dunstschwall,
Saßen die Mägdlein und schauten mit süßer Angst dem Tumult zu.
Thecla gedacht' an Amalrich; und einen der alternden Männer,
Welche saßen, des Garns wahrnehmend, fragte sie freundlich:
»Guter Vater, erschrecklich regiert das Wasser. Der Ostwind
Lärmt unbändig. Nun sagt mir, ob heute die Fähre wohl gehn kann?«
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Ihr antwortete drauf der ruderkundige Hüttner:
»Liebe Jungfer, es weht nicht sonderlich heute. Gar anders
Muß es noch kommen, bevor ein wackerer Fährmann beylegt.
Sieht sie die Mühle drüben? So lange der Müller die Segel
Nicht einrefft, so lang hats keine Gefahr mit den Fähren.«
Also sprach, der See und des Ruders kundig, der Fischer:
Gerne vernahm es das Fräulein. Sie dacht' an Amalrich, und hoffte,
Noch vor Abend zu sehn den schmerzlich erharreten Bruder.
Thecla indessen, die Jüngre, nach Art der Kinder nicht lange
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Duldend das Sitzen, entsprang dem Schooße der liebenden Pathinn,
Nahte dem Strand vorsichtig, und, wo gedeckt von dem Vorsprung
Ruhig das Wasser ihr schien im geschirmten Busen, begann sie
Bernsteinbrocken zu sammeln, und zierlich geränderte Muscheln.
Aber nicht lang, und die tückische Fluth, abprallend vom Vorsprung.
Strömt' in die Bucht, und ereilte die sammelnde Kleine, die plötzlich
Bis auf das Leben durchnäßt sich fühlte von kältender Salzfluth.
Laut auf schrie sie; es eilten herzu die Schwester und Pathinn,
Sahen schaudernd sie stehn und träufelnd über und über,
Ihr Geschick bejammernd, und ihren zierlichen Anzug;
Denn durchnäßt war das rothe Gewand, und die seidene Schärpe,
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Gar durchnäßt die grünen geschnäbelten Schuhe, das Röckchen,
Welches sie selbst gestrickt, und der Strümpfchen zierliche Zwickel.
Höchlich beklagten so Pathinn als Schwester des Töchterchens Unfall,
Pflogen Rath, was zu thun, daß nicht von der Kält' und der Nässe
Ihnen das liebe Kind erkrankt', und mit Schnupfen und Husten
Allzutheuer bezahlte die sparsam gekostete Freude.
Als sie es alles nun reiflich bedacht und gebührend erwogen,
Däuchte den Mädchen am besten, ins Haus des löblichen Schudlheiß
Einzukehren, und dreist des Mannes ehrbare Hausfrau,
Der es an Kindern nicht fehlte von allerley Alter und Größe,
Anzusprechen um trockenes Zeug für das triefende Mägdlein.
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Und es eilten die Mädchen ins Haus des löblichen Schultheiß,
Welcher sie gastlich empfing zusammt der sittigen Hausfrau.
Höchlich beklagte das triefende Kind die sittige Hausfrau,
Holte sofort den Sonntagsstaat des niedlichen Gretchens,
Das wie Thecla so alt, und von Theclens Größ' und Wuchs war.
Umgekleidet nun wurde von Haupt zu Fuße das Mägdlein.
Trefflich stand ihr der bräunliche Krep. Das niedliche Mieder
Paßte genau zu des Mägdleins Wuchs. Nur das friessene Röckchen
Däucht' ihr zu schwer und zu heiß, und die hölzernen Schuhe zu klotzend.
Als sie hierauf neugierig im kleinen geborstenen Spiegel
Ihre Gestalt beschaut', erhob sie die scherzenden Worte:
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»Seh' ich doch schier so aus, wie die arme verwünschte Prinzessin,
Melusine genannt, in dem alten Historienbuche,
Das beim Verwalter liegt, und reichlich mit Thran geträukt ist.
Schön von oben herab, bekommt sie vom Gürtel herunter
Garstige Schuppen, und endet in einen abscheulichen Fischschwanz.«
Also schwatzte die Kleine, bereits getröstet des Unfalls.
Indem trat auch der Vater herein zu mahnen zum Aufbruch,
Höchlich befremdet, sein Kind zu sehn in dem bäurischen Anzug,
Welches sofort entgegen ihm sprang mit kosenden Worten:
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»Schilt nicht, lieber Vater! Es hat die tückische See mich
Uebel betrogen. Ich geh' in nichts befahrender Einfalt,
Bernsteinbröckchen mir sammelnd und blinkende Schalen der Muscheln.
Plötzlich ergrimmt sie, und klatsch! ist tüchtig gebadet das Mäuschen.«
Ihr erwiederte drauf gutmüthig lächelnd der Vater:
»Liebes Kind, gedenk an den mächtigen König von England,
Dessen Historie wir in diesen Tagen gelesen.
Er auch trotzte der Fluth, verbietend die Fers' ihm zu netzen.
Aber es ging ihm genau, wie es dir ergangen. So mag denn
Mit dem gewaltigen Knut die kleine Thecla sich trösten.«
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Also der Vater, und dann zu den größeren Mädchen gewendet:
»Liebe Töchter, es neigt sich die Sonn' und mahnt an den Aufbruch,
Wollen wir anders Arkona noch sehn und die herrliche Umsicht.«
Ihm erwiederte drauf die vielersinnende Thecla:
»Frommer Vater, nicht fern, wie du weist, ist die schöne Arkona.
Fahre dann immer des Wegs durchs Land auf der stäubenden Straße.
Nur Jucunden und mir erlaube, längst des Gestades
Langsam wandelnd zu folgen. Es wandelt so schön sich am Ufer.«
Also sprach sie, und gern bewilligte solches der Vater.
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Auch der Kleinen erlaubt' er, zu folgen den größeren Mägdlein:
»Heilsam sey auf das Bad und den Schreck die rasche Bewegung.«
Als nun der Pfarrer zuvor von des Dorfes löblichem Schultheiß,
Auch von dem gastlichen Hüttner sich freundlich dankend beurlaubt;
Als auch Jucunde zuvor die beiden sittigen Hausfraun
Viel genöthigt, doch auch einst Sonntags, wenn sie zur Kirche
Kämen, sie zu besuchen, und mitzubringen die Kindlein,
Welches denn auch die Frauen verhießen mit Mund und mit Handschlag;
Fuhr der Pfarrer des Wegs durchs Land auf der stäubenden Straße.
Thecla von Thurn auch befahl dem wackeren Rudger, des Pfarrherrn
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Fuhrwerk folgend, zu warten der Herrinn außer des Burgrings.
Aber sie selbst und Jucund' und Jucundens jüngere Schwester
Gingen zurück' durchs Thal der Feyer, stiegen die Bergwand
Oft umschauend hinan, und gewannen den Saum des Gestades.
Längsthin wallten sie nun am Saum des gethürmten Gestades
Ueber der schwindelnden Tief' auf dem unterhöleten Boden,
Keine Gefahr besorgend, verlohren in süße Gespräche.
Manches verständige Wort und manchen launigten Einfall
Wechselten kosend die Mädchen. Auch Thecla, froh des Spaziergangs,
Hüpfte vorauf, jetzt rechts, jetzt links abschweifend, die Blumen
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Pflückend und Gräser, die zahllos blühten am sonnigen Abhang.
Also gewannen sie bald den Ring der umwallten Arkona,
Fanden außer des Rings die Wagen harren. Der Pfarrherr
War sofort gegangen ins Innre des heiligen Burgrings.
Und es eilten die Mädchen, entluden den Wagen des Vorraths,
Nahmen der köstlichen Ladung, und zwischen den thürmenden Wänden
Traten auch sie hindurch in das Innre des heiligen Burgrings.
Sitzen sahn sie den Vater am äußersten Rande des Ufers,
Einsam, emsig betrachtend die Pfeiler, welche vom Meer auf
Bis an den Saum des Gestades aus Feuerkieseln und Kreide
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Aufgethürmt die Natur kunstreich in jonischer Ordnung;
Zwischen den Pfeilern hindurch erblitzt man das Meer und den Kiesgrund.
Diese beschaut' er, bedacht, das Gesetz zu finden, nach welchem
In dem ursprünglichen Meer, in solcher Ordnung und Folge,
Sich die Lagen gesenkt durch manches verrollte Jahrtausend.
Aber ihn stöhrten die Mädchen im Tiefsinn solcher Betrachtung,
Wild herschwärmend, umhalsend den Gütigen, auch von des Wagens
Vorrath bietend, dem kräftigen Trank und dem würzigen Backwerk.
Jetzt auch ließ sich belieben der Vater der Speis' und des Trankes,
Welche die freundlichen Töchter ihm boten; redlich verdient war
Durch des ermüdenden Tags Arbeiten die stärkende Labung.
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Thecla von Thurn indeß und Jucund' und die jüngere Thecla
Schwärmten umher rastlos im Innern des heiligen Burgrings,
Jegliche Krümmung beschreibend und jegliche Zacke des Ufers,
Welches zu Zeiten geschärft ausläuft in die Spitze des Dreyecks.
Jetzt beliebte der fröhlichen Schaar, das Jaromars-Bollwerk
Kühn zu erklimmen, die höchst' und schroffste der Zinnen des Walles.
Leicht und behende, doch oft auf dem schlüpfrigen Gras' ausgleitend,
Flohn sie hinan und gewannen die Anhöh', standen und schauten.
Rings um die Schauenden lag, so fern nur reichet die Sehkraft,
Offen, enthüllt, endlos, das unermeßliche Weltall,
Purpurn die See, vielfarbig das Land, des wölbenden Himmels
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Lautrer Lasur durchflammt von der Sonn' unendlichem Gluthball,
Welche, dem Ziel zueilend der Tagfahrt, zitternden Randes
Ueber der Scheitel schon stand der Berge des Bernsteineylands.
Staunend standen und träumend die rosenwangigten Mägdlein,
Vom Goldglanz verklärt der ruhig sinkenden Sonne.
Auf den besonnten Gipfeln des öderen Bernsteineylands
Ruhte Jucundens Auge bethränt. Der holden Erscheinung,
Die aus den Düften des Abends ihr dort aufblühet', und eilends
Wieder verschwand in das rothe Gedüft, gedachte sie sehnend.
Abermal blüht' aus dem glänzenden Duft die Wundererscheinung
Vor der Träumenden auf. Es stand vor dem innersten Aug' ihr
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Lichtbekleidet die hohe Gestalt des erhabenen Fremden,
Sonder Tadel vom Wirbel des Haupts bis zur schwebenden Sohle.
Und ihr zerquoll das Herz in nie empfundene Sehnsucht.
Thecla auch stand träumend, gedenkend des edeln Amalrich,
Welcher zu kommen verzog, und des theuersten Wunsches Vereitlung.
»Setzen wir uns, mich schwindelt!« begann wehmüthig Jucunde.
Und es setzen die Mägdlein sich auf der Zinne des Burgwalls
Schweigend, die Augen gewandt auf die sanftbesonnten Gefilde.
Abermal begann schwermüthigen Tones Jucunde:
»Nicht zu sagen vermag ich, o Thecla, wie mir zu Muthe!
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Wie es die Brust zusammen mir schnürt! es drängt mich zu weinen,
Einer Thörinn gleich, die, wenig wissend, weswegen?
Heult in dem Einen Moment, und laut auflach in dem Andern.
Wenig gewohnt, du weißt es, ist solcher Stimmung Jucunde.
Sage denn, Thecla, wie kommts, daß so tolle Laune mich antritt!
Nicht krankhaft am Leibe, doch fühl' ich mich bang' und beklommen.
Sollt' ein großes Verhängniß, ein viel entscheidendes Schicksal
Etwa in diesem Moment der schlichten Jucunde bevorstehn?«
Ihr erwiederte drauf sanfttröstend die trefliche Thecla:
»Was auch verhängt uns sey, nicht laß, holdseliges Mägdlein,
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Uns das Verhängniß scheun, das nur die Feigen bezwinget.
Laß uns bewahren den Frieden der Brust! Der Stimm' im Herzen,
Laß uns vertraun, und Dem, der in der Verborgenheit waltet!«
Kaum noch hatte das Fräulein die tröstenden Worte geendigt,
Als ein Reuter hervor aus des nächsten Dorfes Umschattung
Sprengt', und verhängten Zügels die stäubende Straße daher flog.
Näher flog er, und näher, ein stattlicher Ritter, ein Kriegsmann,
Wie es die blendende Binde verrieth, und die blitzende Schärpe.
Theclen klopfte das Herz. In tiefen Träumen verloren
Saß Jucunde; nur Thecla, die Jüngere, welche den Fremden
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Eben erkannt, rief aus: »Jucunde, liebe Jucunde,
Kennst du den Reuter denn nicht, der dort so stattlich einhersprengt?
Siehst du ihn nicht? Es ist derselbe! Derselbige, sag' ich,
Ganz wie er leibt und lebt, der jüngst auf dem sandigten Eyland
Von dem erschrecklichen Wurm mich erlösete, dann auf den Arm mich
Nahm, und so wild mich küßte, daß Kinn und Backen mich schmerzten.
Dennoch vermocht' ich ihm nicht zu zürnen ... Doch ach, wohl schwerlich
Wird mich der Fremd' erkennen in diesem bäurischen Anzug.«
Jetzt aus dem tiefen Traum auftauchend, schaute Jucunde
Um sich, erkannte den Fremden, und bebt' auf freudig erschreckend,
[191]
Sank erblassend sodann zurück an den Busen der Freundinn.
Thecla, die eben auch den Bruder erkannt, und des Kindes
Rede vernommen, umschlang die Erblassende freudig und feurig.
»Ist ers?« sprach sie ... »Er ists!« sprach hoch erröthend Jucunde ...
»Gott sey Dank« rief Thecla: »verhängt, holdseliges Mägdlein,
Ist uns ein großes Geschick, ein großes und gutes, so hoff' ich!«
Aber schon nahte der Reuter dem Ringe des Walls. Am Eingang
Sprang er vom dampfenden Roß. Von des Burgwalls prangender Zinne
Eilete Thecla hinab. Ihr entgegen eilte der Bruder,
Und in Amalrichs Arm lag freudeschluchzend die Schwester.

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