[129] Unsterblichkeit

Boldewitz 1777.


Ich bin unsterblich!
Fühl' es, meine selige Seele!
Die du durstest den heißen Durst nach Ewigkeit, fühl' es ganz:
Du bist unsterblich!
Was du gesehnet, gedurstet du hast
Mit dem Durste des Jünglings nach dem ersten Kuß der Erwählten –
Siehe, das ist nun kommen,
Und Anschau'n worden die Ahndung.
[130]
Was du erflehet, erbetet du hast,
Kommt über dich heut', wie über den Jüngling die Wonne,
Die errungne, erstürmte Wonn', ein Strahl vom Himmel, kommt,
Daß die ihn liebe, die seine Seele sich erkor.
Wie den Wiedergebornen der Gnade Gefühl
Ueberdrängt mit Seligkeitschauern,
So überdrängt mich mit Schauern Gottes,
Unsterblichkeit, dein großes Gefühl.
Ich ahndet' 's, ich hofft' es – nun weiß ich, daß ich bin!
Ich weiß und fühl' es, daß ich ewig bin! –
Neige deine Wipfel, Eiche!
Ein Unsterblicher wandelt unter dir!
Ründe die silberne Scheibe, Mond.
Entblinket dem Nachtgedüft, schimmeräugige Sterne!
Sirius, wälze dein Flammenend'. Glanzgegürteter Orion,
Wandle staatlich den Riesengang.
[131]
Wonne! Stolz! Entzücken!
Ich bin unsterblich!
Mehr als Eich' und Mond, mehr als Orion und Sirius
Bin ich – bin unsterblich!
Himmel und Erde vergeh'n.
Ich vergehe nicht – –
Ach! wenn ich verginge –
Quell der ewigen Leben! wer wär' ich dann?
Staub, Traum, Nichts,
Gestern gerufen aus dem Nichts,
Morgen wieder hingeschleudert in das todte Nichts –
Der wär' ich!
Ach! und weniger noch, als Gras und Staub!
Elender noch, als der Kiesel der Gasse.
Denn wer nicht gefühlt hat des Daseyns Entzückungen,
Kann das Grauen des Nichtmehrseyns nicht fühlen.
[132]
Ach! wenn ich unsterblich nicht wäre,
So heult' ich dem kommenden Tag'
Entgegen, so heult' ich, käme die Nacht,
Und verhüllte mich, und schwiege verzweifelnd,
So würd' ich unter die Blumen des Frühlings
Mich legen und mich winden; und die Blume beneiden,
So würd' mir Verwesung duften der Blüthenbaum,
Todeston mir heulen die Nachtigall.
So würd' ich diese herrliche Kraft,
Die du gegeben, Ewiger, mir hast,
Ersticken in Rausch, Wollust, Taumel,
Daß mich nicht träfe der Donnergedanke: Vernichtung.
Aber er träfe mich doch!
Packete mit Tiegerkralle
In der Freude Schallgelächter an der Kehle mich, brüllte mir zu:
Elender, bald wirst du nicht mehr seyn.
[133]
Und der Kelch sänke mir schnell aus der zitternden Hand.
Mich däuchte Schierlingssaft sein goldner Wein!
Grabesmoder die Speisen!
Grabgeheul die Musik!
Hassen würd' ich, wenn ich unsterblich nicht wäre,
Euch alle, die itzt ich liebe!
Daß, käme der Tag, der vernichtende, gräßliche Tag,
Ich nicht heulen dürfte Verzweiflung, daß, die ich liebte, ewig ich verließ'.
Und käme nun der vernichtende Tag,
Stünden um den Verzweiflung knirschenden die bleichen Freunde – –
Halte, halte, mein Geist! Denke den Höllengedanken nicht aus! –
Du bist unsterblich!
[134]
Du bist's! du bist's! und ich fühle, daß du es bist,
Als rief' es mir der Himmel, als zeugt' es mir die Erde!
Und rufen sie es nicht? und zeugen sie es nicht?
Und schwor der Ewiglebende es nicht bei seinem Leben?
Leises Gefühl
Lispelt es der Seele des Edlern.
Dem Denker strahlt es die Fackel: Vernunft,
Dem Gläubigen die Sonn': Offenbarung.
Ist hienieden auch Tod?
Auch Untergang hienieden, und Nichtmehrseyn?
Ist, was Tod wir nennen und Untergang,
Nicht Enthüllung nur? Entwicklung? Veredlung?
[135]
Mag auch das edlere Selbst,
Das denkende, wollende, schmachtende Selbst
Versiegen mit dem Oehl, das die Nerve schmeidigt,
Verfliegen mit der Asche, die dem Moder entfliegt?
Mag auch Gott der Liebe,
Gott der ewigen Liebe,
Des Bösen Bösestes, was nur die Allmacht mag,
Des Bösen Bösestes üben: Vernichtung?
Schreitet nicht mächtigen Schritts, und fliegt nicht rastlosen Fluges
Das große All der Vollkommenheit strahlendem Ziel
Näher mit jedem Odemzuge, mit jedem Pulsschlag –
Und ich – taumelte, schwindelte einsam zurück?
[136]
Nein, ich fühl' es: Ich bin!
Ich ahnd', ich weiß, ich glaub' es: Ich bin!
Und werde ewig seyn –
Ewig! Ewig
Wie ertragen die Wonne?
Wie aussingen den Jubel?
Wie genügen der lastenden, schreckenden Seligkeit:
Ich werde ewig seyn!!
Jauchze, mein ewiger Geist, daß die Kräfte der Himmel es hören,
Und niederschweben, den Jauchzenden zu seh'n!
Daß das Gejauchz' dringe in des Allerheiligsten Nacht,
Und der Ewigselige niederlächle auf den ewigen Staub.
[137]
Jauchz' auf die Gräber voll Todtengraus!
Du bist unsterblich!
Jauchz' in der Schaufel Getös', in der Seile banges Schnurren,
In des Sarges dumpfen Rückhall!
Thaut, Frühling', auf meinen Rasen! Regen, wein' auf ihn herab!
Ich bin unsterblich!
Sause, Winterwind, um mein kaltes, überschneietes Haus!
Ich bin unsterblich!
Die ihr trauert an meinem Sterbelager, jauchzet laut:
Ich bin unsterblich!
Eilt und sterbet und jauchzet und schwingt euch mir nach –
Wir sind unsterblich!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Unsterblichkeit. Unsterblichkeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B6DD-C