[192] Fünfte Ekloge

Der heilige Abend

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Niedergesunken indeß war hinter des Bernsteineylands
Dämmernden Bergen die Sonne. Gefärbt vom Schimmer des Spatroths,
Wallete purpurn das Meer, und glänzeten golden die Berge.
Aber als Thecla jetzt auftaucht' aus des Bruders Umarmung,
Als aus der Schwester Umarmung der edle Amalrich emporkam,
Sah er Jucunden stehn, die indeß mit der jüngeren Thecla
Niedergestiegen war von der Bergwand prangender Zinne.
Blöde stand sie, verschämt, und durch die Verschämtheit verschönert,
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Schüchtern nur prüfend den trefflichen Mann, den kaum sie erschaute,
Als ihn freudiger Schrecken ergriff und süße Verwirrung.
Kaum vermocht' er zu traun dem geblendeten Aug', als so plötzlich
Vor ihm stand die Gestalt, die, ein morgenröthliches Traumbild,
Ewiglich ihm vor der Seele geschwebt, seitdem auf Momente
Sie ihm zuerst erschien, ein glänzender Strahl in der Wildniß.
Thecla, des Bruders Bewegung gewahrend, hielt sich nicht länger.
»Ist sie's?« raunte sie fragend ins Ohr dem befremdeten Bruder.
»Freilich ist sie's!« gab flispernd zurück der befremdete Jüngling,
»Aber gewiß ich begreife dich nicht!« – Sie schwieg, und mit Noth nur
Unterließ sie, sofort das Räthsel lösend, dem Liebling
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In die Arme zu führen schon jetzt das liebende Mägdlein.
Seitwärts lauschet' indeß die jüngere Thecla, sich schämend,
Unter die Augen zu treten in ihrem bäurischen Anzug
Solchem stattlichen Herrn, dem auch das Beste zu schlecht schien.
Doch es bemerkt' Amalrich sie bald, und sofort sie erkennend:
»Liebliches Kind, bist du's?« so rief er, hob auf den Arm sie,
Sonder Erbarmen sie küssend, daß Kinn und Backen ihr brannten.
»Lassen Sie mich,« sprach sträubend die Klein; und als sie Amalrich
Fragete: »Kennst du mich nicht?« ... »Wohl kenn' ich Sie, aber nicht ziemt es
Solchem stattlichen Herrn, ein Fischermädchen zu herzen.
Sehn Sie denn nicht, wer ich bin?« – Verwundernd erblickte der Ritter
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Jetzt das frießene Röckchen, nicht sonderlich passend zum Kopfputz.
Und es erhuben die Mädchen ein unaufhaltsam Gelächter,
Eilten sodann der Kleinen zum Trost, zu erzählen den Vorgang.
Aber es sprach Amalrich, noch kräftiger herzend das Mägdlein:
»Sey, wer du seyst, mein Kind, Dienstmädchen oder Prinzessinn,
Immer hab' ich dich lieb. Und auch dir, bedünkt mich, geziemte,
Lieb zu haben ein wenig den trefflichen Ritter, der mannhaft
Von dem erschrecklichen Wurm dich erlöst. Das verdient wohl ein Küßchen.«
Also scherzt' Amalrich. Es lachten des fröhlichen Scherzes
Beyde Theclen; es lächelt' erheitert die blöde Jucunde.
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Jetzt erschienest auch du, ehrwürdiger Pfarrer von Medow,
Höchlich verwundert, auch froh zugleich, den wackern Amalrich,
Den du schon lange geliebt aus der Schwester begeistertem Lobe,
Vor dir zu finden genau zusagend dem inneren Bilde,
Das sich der Geist erzeugt von ihm aus den Reden der Schwester.
Aber Amalrich auch war froh, den trefflichen Pfarrherrn,
Welchen er längst schon geschätzt aus der Schwester preisenden Briefen,
Von Antlitz zu Antlitz zu sehn. Gleich alten Bekannten,
Grüßten einander die Beyden mit herzlichem Wort und Handschlag.
Als nun all' an des Ufers Rand ins Gras sich gelagert,
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Rund um das gastliche Tuch, des traulichen Mahles genießend,
Ward um vieles gefragt der weitgereisete Kriegsmann,
Viel um der Länder Gestalt, und der Völker Sitten vom Vater;
Viel von der zärtlichen Schwester um seine Freuden und Leiden;
Einiges auch von dem Kind um Paris und London und Stockholm,
Die sie in Bildern gesehn im optischen Kasten des Vaters.
Weniges sprach und Bescheidnes Jucund'. Ihr gnügte, des Jünglings
Antlitz zu schaun und zu lauschen auf seine verständigen Reden.
Aber dem Jüngling, so willig er jeder Frage Bescheid that,
Waren doch Sinn und Seel' allein in der Einen versunken,
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Die er vergebens gesucht in allen Reichen und Landen;
Bis sie in wilder Oed' ihm erschien, ein freundlicher Lichtstrahl.
Sie nur sah und vernahm im traulichen Kreise der Jüngling.
Ihn entzückte zu schaun der Formen hohe Vollendung.
Innig erweicht' ihn der Klang der melodischen Stimme, des Auges
Himmlische Klarheit, das Liebe verhieß und unnennbare Güte.
Tief gerührt von dem Werth der Seltenen, trachtend, von Stund' an
Zu gewinnen um jeglichen Preis so Schönes und Gutes,
Wünscht' er mit Ungeduld die Schwester zu sprechen, zu forschen
Nach der Frage Sinn, der befremdenden: »Ist sie es, Bruder?«
Drauf er, verwundert zwar: »Wohl ist sie's!« zurück ihr gegeben.
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Höchlich gelüstet' ihn, zu erspähn solch zartes Geheimniß.
Als nun Jucunde, besorgt um den alternden Vater, beyseitging,
Wider die Kühle zum Schutz ihm zu holen den wärmenden Flausrock,
Wählt' er den Augenblick, da auch der Pfarrer davon ging,
Seiner Tochter entgegen, und zog bey Seite die Schwester.
Thecla aber, vertrauend des Bruders Gesinnung, Jucundens
Reinem Gemüth und dem Wink der leise lenkenden Fürsicht,
Offenbarte dem Bruder: wie ihr Jucunde des Herzens
Heimlichstes gestern vertraut; wie sie, durch solches Geständniß
Irre geführt, betrauert des theuersten Wunsches Vereitlung,
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Jenes, vereint zu sehn, die ihr die Liebsten auf Erden;
Aber wie jetzt ihr klar geworden die Fügung des Schicksals,
Welches im selbigen Nu auf jenen öden Gestaden
Ueber Jucunden und ihn das Loos geworfen, das jeden
Sehnenden Wunsch erfüllt', und lösete jede Verwirrung.
Solches alles erklärte die Schwester dem staunenden Bruder,
Welcher der Vorsicht Wege bewundert, von Rührung und Freude
Wechselnd ergriffen, der Schwester entzückt und erweicht um den Hals fiel,
Ihr gelobend, das Loos, das köstliche, nimmergehoffte,
Das ihm gespart der Gott, zu verdienen, zeigend dem Erdkreis,
Daß nicht der Männer Letzten erkiest die Erste der Jungfraun.
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Als sich also mit dem Bruder verständigt die liebende Schwester,
Kehreten beyd' erheitert zurück zur lieben Gesellschaft.
Aber Jucunde, bemerkend des Jünglings funkelndes Auge,
Sein freymüthigres Nahn, und minder befangenes Wesen,
Ahnete Thecla's Verrath, und das Herz entsank ihr, die Wange
Färbte die Schaam; doch wagte sie nicht, auf die Freundinn zu zürnen.
Aber noch Schlimmeres führet' im Schilde die tückische Thecla.
Alles aufs Reine zu bringen noch diesen nehmlichen Abend,
Lag ihr am Herzen. Nicht eher zu ruhn vermochte die Rasche,
Bis es ihr gar gelungen, in süßen ewigen Banden
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Zu verschürzen die holde Jucund' und den edlen Amalrich.
Als nun, nach Westen schauend, der würdige Pfarrer zum Aufbruch
Mahnte, denn weit sey der Weg und untergegangen die Sonne,
Sprach, ein anderes meinend, die listenersinnende Thecla:
»So ists nicht gemeint, ehrwürdiger Vater. Vergebens
Hab' ich dir nicht entsiegelt den balsamhauchenden Heiltrank,
Nicht vergebens dir selbst den Krystall gefüllet. Du mußt mir
Noch erzählen zuvor von den alten Geschichten Arkonens,
Vom vierköpfigen Gott, dem die blinden Heyden geopfert,
Von dem Horn voll Weins, und dem mächtigen Honigkuchen,
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Von der listigen Pfaffen Betrug, und der Laien Bethörung;
Item, wie Waldemar, der Däne, die Feste berennet,
Wie er bedrängt die wackeren Rugen, wie diese sich lange
Brav gehalten, doch endlich erlegen dem Durst und dem Feuer;
Item, wie jener zerstört den Tempel des Schwantewit, wie er
Selbst den vergötterten Klotz mit der Axt zerstückt, und der Teufel
Gräßlich in Rabengestalt aus des Abgotts Rachen geflogen ...
Solches mußt du mir alles erzählen; an Ort und an Stelle
Hört sichs am lieblichsten an, und präget sich tief in die Seele.
Grausend zugleich und süß ists, wandelnd im schaurigen Burgring,
Schauergeschichten zu hören, umfangen von zweifelnder Dämmrung!
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Komm nur gleich, mein Vater. Es wird doch einmal nicht anders.«
Also sprach sie, und zog mit sich fort den gefälligen Pfarrherrn,
Einsam lassend den Bruder mit beyden Töchtern des Mannes.
Als nun der Vater den Spruch aufhub von der alten Arkona;
Vom vierhauptigen Gott und den schneeweißschimmernden Rossen,
Fiel sie ihm schnell in die Red', und: »Gescherzt nur, sprach sie, für diesmal
Hab' ich, mein Vater, und will dir die alten Historien schenken.
Fort nur wollt' ich dich ziehn von dem luftigen losen Gesindel;
Denn ich habe Geheimes mit dir zu sprechen und Ernstes.«
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Ihr antwortete drauf mit drohendem Finger der Pfarrherr:
»Arges schon wieder, ich merk' es ohnschwer, hat Thecla im Sinne.
Herzliche Lust ist ihrs, zu necken den ehrlichen Pfarrherrn.«
Ihm erwiederte drauf die schlauersinnende Thecla:
»Frommer Vater, du thätest für diesmal leichtlich mir Unrecht.
Was ich zu fragen dich hab', ist wirklich Großes und Ernstes ...
Sage mir doch, was hast du im Sinn mit unsrer Jucunde?
Groß ist das Mädchen und schmuck, der Wirthschaft kundig; nicht übel
Würde das Wiegen sie kleiden; so dächt' ich denn immer, du gäbst ihr
Einen wackeren Mann, und das je eher je lieber!«
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Ihr antwortete drauf gutmüthig lächelnd der Pfarrherr:
»Liebe Tochter, es wachsen, so scheint es, in unseren Tagen
Wackere Freier nicht eben auf allen Hecken und Bäumen.
Manche schüttelte sonst, die bis jetzt noch harrt der Erlösung.«
Also sprach er, und stand wie betroffen; ernste Gedanken
Schienen ihm plötzlich den Geist zu verschatten; manche Minute
Schwieg er bedächtig und sprach sodann mit verhaltener Rührung:
»Liebe Tochter, das Wort, das Sie im Scherze gesprochen,
Führt mir ein Traumgesicht zurück vor die staunende Seele,
Das ich geschaut heut Nacht in der süßen Stunde der Frühe;
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Aber es lag verhüllt bis jetzt in meiner Erinnrung,
Spat erst hatt' ich mich schlafen gelegt, voll ernster Gedanken,
Welche geweckt in mir der heiligen Schriften Betrachtung,
Ueber des Menschen beschränktes Loos und die höhere Führung,
Ueber des eigne Geschick und über der Meinen Verhängniß,
Jener Entwichnen sowohl, als der wenigen Uebriggebliebnen.
Lange lag ich, es hielt mich wach die ernste Betrachtung.
Als ich betend zuletzt mein und der Meinen Verhängniß
In die Huth bepfohlen des allumfangenden Vaters,
Schlummert' ich ein, da schon der Hahn gekrähet; und plötzlich
Stand dies Traumgesicht vor meiner ahnenden Seele.
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Siehe ich fand mich versetzt in eine verwilderte Landschaft,
Stachlicht Gebüsch nur wuchert' umher, und trauriges Riedgras.
Mühsam wand sich durch Moor und Geschlüft der schlüpfrige Fußpfad.
Rechts und links des Pfades erhuben die Gräber der Meinen
Enrst die grünenden Häupter. Jucunde nur und die Kleine,
Der Sie den Namen gegeben, geleiteten tröstend den Vater.
Mühsam zwar, doch zogen wir fröhlich des schaurigen Weges,
Eilend, ein Land zu erreichen, ein Schöneres, das aus dem Osten
Uns entgegenglänzt' in morgenröthlichem Schimmer.
Aber nicht lang' und der Pfad sing an sich zu spalten; ein Fremder,
Willens, des anderen Wegs zu ziehn, lud kosend Jucunden
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Ein, den Vater verlassend, ihn seines Wegs zu geleiten.
Flehend schaut' ich sie an, sie umschlang mich schluchzend, denn leider!
War es des Kindes letztes Umfahn; den Vater verließ sie
Um den geliebteren Fremden! Da sprach ich traurend zu Thecla:
›Deine Schwester ist fortgezogen; so sage nun, Thecla,
Will du nicht auch fortziehn, so jemand deiner begehret?‹
Aber es sprach entschiedenen Tons das kindliche Mägdlein:
›Vater, wer mein begehrt, der ziehe zu uns, und zusammen
Wollen wir wohnen bey dir und dein wahrnehmen im Alter!‹
Also sprach sie, und ich erwacht' aus dem Traum und dem Schlummer,
Aber es schlief der Traum in den Tiefen meines Gemüthes,
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Bis ihn das Wort, das Sie gesprochen, von neuen geweckt hat.
Träume, sagt man, des Morgens geträumt, enthüllen die Zukunft.
War es denn Ernst vielleicht mit der Rede? Wüßten Sie selber
Einen Freyer vielleicht für Ihr' und meine Jucunde?«
Also sprach mit verhaltener Rührung der würdige Pfarrherr.
Thecla aber, den Traum bewundernd, erwiederte fröhlich:
»Träume, mein Vater, des Morgens geträumt, enthüllen die Zukunft.
Einen Bräutigam weiß ich für deine und meine Jucunde.«
Also sprach sie, und schwieg. Auch der Pfarrherr schwieg. Denn so eben
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Nahten Jucund' und Thecla, geführt vom edeln Amalrich,
Die aus dem Osten, wie jen' aus dem Westen, des inneren Burgrings
Thürmenden Rand umgingen. Sich kreuzend jetzt mit den Andern,
Grüßten sie freundlich winkend; und Thecla, welche vernommen,
Daß mit Jucunden Amalrich gar traut vom heiteren Abend
Handelt' und von der Klarheit der Luft und der prangenden Umsicht,
Sprach im Vorübergehn, der Verlegenen spottend: »Ihr Kinder,
Grau, daß ihrs wißt! ist die wilde Gans, und scheckigt die Zahme.«
Fürbaß zogen sodann die Einen und Andern des Weges.
Eilig nun nahm das Wort der würdige Pfarrer und sagte:
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»Einen Freyer also und einen recht wackeren wüßte
Thecla für meine Jucunde. Wer wär' es denn? Lassen Sie hören.
Ist es ein Pfarrer vielleicht? der Jüngeren Einer, die jüngst erst
Hiehin gepflanzt und dorthin, des Altars jugendlich pflegen?
Höchlich gefiele mir dies. Gern gattet sich Gleiches zu Gleichem.«
Ihm antwortete lächelnd Amalrichs treffliche Schwester:
»Frommer Vater, es kümmern wohl wenig die jüngeren Pfarrer
Den, der die Aelteren kennt; am wenigsten mich und Jucunden.
Keiner auch hat von diesen um deine Jucunde geworben.«
Weiter forschend erwiederte drauf der sinnende Pfarrherr:
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»Wär' es vielleicht aus der Näh', aus der Fern', ein wackerer Landmann,
Welcher den Acker baut, den eigenen oder gedungnen?
Gar nichts hätt' ich dagegen. Der Stand ist löblich, und Gott hat
Selbst befohlen das Feld zu baun, von dem Kraut auf dem Felde
Uns zu nähren, bis wir einst werden, was wir gewesen.«
Lächelnd erwiederte drauf Amalrichs treffliche Schwester:
»Lieber Vater, der Mann, der deiner Tochter begehret,
Weiß, so viel mir bekannt, nicht zu sä'n, noch zu mäh'n, noch zu pflügen.
Zwar ward ihm auch beschieden ein Stückchen Erde, wovon er
Sich zu nähren gedenkt, und einst darunter zu schlafen.
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Dennoch, geliebt' es ihm nicht bis jetzt, zu pflegen des Ackers.«
Weiter forschend, erwiederte drauf der sinnende Pfarrherr.
»Wär' es ein Krämer vielleicht? ein wohl ansehnlicher Kaufmann,
Welcher die Stadt und das Land versorgt mit Waaren des Auslands,
Wenig hätt' ich dagegen. Der Stand ist nützlich und nährsam.
Nur Jucunde bedünkt mich zu schlecht und recht für den Laden.
Wenig Erkleckliches möchte das Mädchen handelnd erschwingen.«
Ihm erwiederte schnell Jucundens treffliche Freundinn:
»Schweig von Krämern, mein Vater! Verdorben für Krämer und Kaufmann
Hast du auf immer dein Kind; nie lernt den Schacher die Einfalt.«
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Weiter forschend erwiederte drauf der sinnende Pfarrherr:
»Wär' er vielleiche ein Soldat! Den Soldaten halt' ich in Ehren!
Bibel und Schwert vertragen sich wohl! Auch schwing' ich ja selber
Schwach zwar das Schwert des Geistes, und führe die geistliche Rüstung.
Nur im Felde zu wissen den lieben Gemahl, für sein Leben
Täglich und stündlich besorgt, nicht gönnt' ich solches Jucunden.«
Eben wollte das Fräulein zurück ihm geben die Antwort,
Als von Amalrich geführt, Jucunde nahten und Thecla,
Jetzt zum anderenmahl beschreibend die Runde des Ufers.
Freundlicher schon, wie es schien, und vertraulicher, hatte Jucunde
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Sich dem Amalrich genähert. Die Hand des Mägdleins umschlossen
Hielt der Jüngling; es spielten die warmen Finger des Mägdleins
Leis' in der zuckenden Hand des wonnebebenden Jünglings.
Thecla, die Schlaue, bemerkt' es, und während das trauliche Paar sie
Nickend vorüberzog, entflohn ihr die tückischen Worte:
»Liebe Jucunde, mich dünkt, die Flügel schossen gewaltig.«
Hoch erröthend, doch hüllte die glühende Wang' ihr die Dämmrung,
Drohte Jucunde der Argen mit aufgehobenem Finger.
Fürbaß schritten sodann des Wegs die Einen und Andern.
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Eilend nun; nahm das Fräulein das Wort und redete also
»Lieber Vater, du hast auf den Kopf den Nagel getroffen,
Auf den Soldaten rathend. Der Freyer deiner Jucunde
Ist, wenn du willst, ein Soldat. Ein tüchtiger, wohlversuchter
Kriegsmann ist er, und Ritter dazu und von adlicher Abkunft.«
Staunend erwiederte drauf der höchlich befremdete Vater:
»Ritter und adlich, mein Kind? In der That, das däucht mir bedenklich!
Schwerlich gesellt sich zum Löwen das Lamm, zum Adler die Taube.
Fern zwar sey es von mir, mit den tollen Schreiern des Tages
Wider den Adel zu wüthen, und jegliches erbliche Vorrecht.
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Ehrenwerth ist ein altes Geschlecht, das mit Gut und mit Blut einst
Treulich dem Staat gedient, vielleicht durch manches Jahrhundert
Auch läßt Art nicht von Art. Ein Adlicher wird sich nicht leichtlich
Schlechtes verzeihn und Gemeines, besorgt, zu beschämen die Ahnen.
Und was den Ahnenstolz anlangt, den verschrieenen, acht' ich
Tausendmal leidlicher ihn, als des Bürgers und Bauren Hochmuth,
Der auf den Mammon sich bläht, den ihm das Glück in den Schooß warf.«
Ihm antwortete drauf Amalrichs treffliche Schwester:
»Lieber Vater, im Namen des ganzen löblichen Standes
Sag' ich dir Dank für das billige Urtheil. Selten vernimmt man
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Aehnlichs diesen Tagen der leidenschaftlichen Gährung.
Möchten die Unsern nur nicht das Geschrei rechtfertigen! Wäre
Adliche Sitte nur immer gepaart mit adlicher Abkunst,
Wie bey dem Mann gepaart, der deiner Tochter begehret;
Nicht im Diplom trägt dieser, er trägt im Innern den Adel,
Edel von Gottes Gnaden, und hätt' auch kein Fürst ihn geadelt.
Wohl auch wäre derselbe, der Väter Sitte verehrend,
Sich zu dem Gleichen gesellend, im eigenen Kreise geblieben,
Hätt' er ein Fräulein gefunden in allen Reichen und Landen,
Deiner Jucunde gleich. Er fand sie nimmer. So weicht dann
Billig das spätre Verhältniß dem früheren, Höherm das Niedre.«
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»Erst ein Mensch und sodann ein Adlicher!« spricht mein Bruder.
»Wenig liegt mir daran, ob die Kinder fähig der Stifte
Oder des Hofes mir seyn kraft wohlbehaupteten Stammbaums.
Vieles liegt mir daran, ja alles, daß mir die Kinder,
Gerne die Stift' und die Pfründen dem Unbehülflichen gönnend,
Freudig die Schranken beschreiten, geübt im Turnier der Gesellschaft
Um das Recht und das Licht den Ritterdank zu erringen
Solches befördert zunächst die Wahl der Mutter. Der Mütter
Sinn und Gemüth entscheidet der Nachwelt Sinn und Gemüthe.«
Also redet' Amalrich ... »Amalrich ists und kein andrer
Daß du es wissest, mein Vater, der deiner Tochter begehret.«
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Also sprach mit erhöhetem Ton nie Schwester Amalrichs.
Aber der Vater erschrak ob der wenig geahneten Zeitung.
Manche Minute schwieg er, bedenkend den ehrlichen Antrag,
Theclens erprobte Treu, Amalrichs biedre Gesinnung,
Auch der Tochter Versorgung und sein zunehmendes Alter,
Auch die erfreuende Nähe der grünenden Juliusrühe.
Wo die geliebte Tochter, getrennt auch, nahe ihm bliebe ...
Solche alles bedacht' er, und als er es reiflich erwogen,
Gab er der werbenden Thecla die vielgewünschte Entscheidung:
»Ist es Ernst, mein Kind ... und mich dünkt, den Ernst wie den Scherz weiß
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Thecla von Thurn zu sparen auf die gelegene Stunde ...
Ist es Ernst also, und ist Amalrich der Freyer,
Welcher der Tochter begehrt; nichts hab' ich zu sagen, als dieses:
Sein ist mein Kind, und es segne der Himmel sie zeitlich und ewig!«
Also sprach mit Rührung der tieferschütterte Vater.
Thecla die Rührung theilend des Pfarrherrn, eilt' ihm zu danken,
Als, von Amalrich geführt, Jucunde nahten und Thecla,
Jetzt zum drittenmal beschreibend die Runde des Burgrings.
Weicher geworden und kühner zugleich mit der wachsenden Dämmrung,
Hielt vertraulich der Jüngling den Leib umschlungen der Jungfrau,
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Welche, gelehnt das sinnige Haupt an die Schulter des Jünglings,
Schweigend, innig bewegt, mit feuchten, glänzenden Augen
Niederschaut' in die grünliche Flut, bepurpert vom Spatroth,
Während am Arm des Erretters die Kleine fröhlich daher sprang.
Aber als jetzt zum drittenmal die Liebenden nahten,
Säumete Thecla nicht länger. Vertrauend der Führung des Gottes,
Ihrer Geliebten geläutertem Sinn und dem Glauben des Pfarrherrn,
Trat sie mit rascherem Schritt hinzu und sprach, zu Amalrich.
»Nimm sie hin, sie ist dein!« ... »Sie ist mein?« rief freudig der Jüngling,
»Vater, Jucunde mein?« ... Und mühsam ächzte der Vater:
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»Nimm sie, Sohn, sie ist dein!« ... Da umschlang der Jüngling die Jungfrau,
Und in Amalrichs Arm lag wonneweinend Jucunde.
Laut aufschluchzete Thecla; es schluchzete Thecla die Jüngre,
Dunkel nur fassend den Sinn der schicksalbindenden Worte.
Aber der Vater entblößte das Haupt, und mit feyrlicher Stimme
Betet' er, über sich schauend zum sternebesäeten Himmel:
»Du, der Seelen mit Seelen verknüpft, wie Sonnen mit Sonnen,
Schaue mit Huld und mit Gnade herab, allliebender Vater,
Auf dis bräutliche Paar. Genehmigend ihre Gelübde,
Sprich dazu dein heiligend Ja und versiegelndes Amen!«
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Also der betende Vater. Es traten Jucund' und Amalrich
Eilig herbey mit gesenktem Haupt und gebogenen Knieen,
Um zu empfahn den Segen des tieferschütterten Vaters;
Fielen ihm dann in den Arm, ihn umschlingend kindlich und innig.
Thecla aber, erliegend der Lust, der reinsten und schönsten,
Glücklich zu wissen für immer, die ihr die Liebsten auf Erden,
Trat an den Rand des Gestades, und weinete selige Thränen,
Edle Spende dem Geist der Natur, der durch heimliche Fäden
Sonnen mit Sonnen vermählt, und Seelen einigt mit Seelen.
Dann in des Scherzes Hülle die tiefere Rührung verkleidend,
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Wandte sie sich zu den Andern und sprach die fröhlichen Worte:
»Lieber Bruder, du hast mir ein löblich Exempel gegeben.
Wohl geziemet der Jüngern, zu folgen so rühmlichem Beispiel.
Kund und zu wissen demnach sey jedermänniglich hiemit,
Daß ich, Thecla von Thurn, Herrn Fürchtegott Leberecht Flemming,
Medow's würdigen Pfarrer, zum Ehegemahl mir erkiese.
Habt ihr dagegen was einzuwenden, so sprecht, da es Zeit ist!«
Also sprach sie, und angeschmiegt an den würdigen Pfarrherrn,
Bittend die Wang' ihm schmeichelnd, entflohn ihr die scherzenden Worte:
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»Nimm mich doch, frommer Vater. Ich bitte dich flehentlich. Sitzen
Bleib' ich Aermste ja sonst, die doch für schön und für klug gilt.«
Aber es sprach der Pfarrer, den drohenden Finger erhebend:
»Nur nicht zu arg gespottet, mein Fräulein! Dinge, wie diese
Sind schon eher begegnet. Das Alter, besage des Sprichworts,
Schadet der Thorheit nicht. Auch ist der Pfarrer von Medow
Nicht so alt, wie ihr denkt. Wohl haben die Sorg' und die Bücher
Frühe das Haar ihm gebleicht; doch sah er Abraham nimmer.«
Also der scherzende Vater; und als auf die staunende Kleine
Jetzt das Aug' ihm sank, befragt' er sie, heiterlächelnd:
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»Deine Schwester ist Braut; und zieht mit dem Manne von dannen.
Sage dann, liebes Kind, wenn auch dein einst jemand begehret,
Willst du auch mit ihm ziehn, den alternden Vater verlassend?«
Rasch antwortete drauf, wie aus höherer Regung, das Mägdlein:
»Vater, wer mein begehrt, der ziehe zu uns! und zusammen
Wollen wir leben und sterben, und dein wahrnehmen im Alter.«
Also das Kind, und es lächelten alle der treffenden Antwort.
Aber der Vater des Traums gedenk, und der Kinder Zukunft
Sammt der eignen erschauend im blassen Schimmer der Ahnung,
Schaute gerührt empor und sprach die dankenden Worte:
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»Herr, Herr, viel zu gering bin ich der Lieb' und der Treue,
Die du gethan an mir, an deiner Knechte geringstem,
Dein sey der Dank und der Preis und die Ehr' in Ewigkeit, Amen.«
Und es begriff nicht das Kind des Vaters freudige Rührung.
Thecla begriff sie und staunt'. Es umschlang der Jüngling die Jungfrau,
Und in Amalrichs Arm lag wonneweinend Jucunde.

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Jucunde. Fünfte Ekloge: Der heilige Abend. Fünfte Ekloge: Der heilige Abend. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B6E1-F