[110] Von der unschuldigen Hilla Lilla, und ihres Bruders unbrüderlichem Betragen

Schwedisches Volkslied.


Hilla Lilla liegt auf dürrem Stroh.
Fragt nicht, warum ich weine!
Ihr Schlaf ist unruhig, ihr Traum nicht froh.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Stracks wird der Königinn angesagt,
Fragt nicht, warum ich weine!
Daß Hilla Lilla im Schlaf handthiert und wehklagt.
Mein Leid weiß Gott alleine.
[111]
Die Königinn stand auf noch vor dem Tag.
Fragt nicht, warum ich weine!
Sie begab sich dahin, wo Hilla Lilla lag.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Die Königinn trat herein zur Thür.
Fragt nicht, warum ich weine!
Hilla Lilla wendet weg die Augen von ihr.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Die Königinn schlug ihr auf den bleichen Mund.
Fragt nicht, warum ich weine!
Wie magst du so lärmen zu nachtschlafender Stund'!
Mein Leid weiß Gott alleine.
Frau Königinn schlagt mich nicht so hart.
Fragt nicht, warum ich weine!
Ein Königskind bin ich, wie ihr, so zart.
Mein Leid weiß Gott alleine.
[112]
Sie breitet die Decken wohl über das Stroh.
Fragt nicht, warum ich weine!
Nehmt Platz, Frau Königinn, setzt euch! – So –
Mein Leid weiß Gott alleine.
Es dürft' euch verdrießen, zu steh'n die Zeit,
Fragt nicht, warum ich weine!
Wo ich euch klagte mein Herzeleid.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Es dürft' euch verdrießen, so lange zu stehn,
Fragt nicht, warum ich weine!
Als ich euch klagte all' meine Weh'n.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Als ich noch lebt' in meines Vaters Pallast,
Fragt nicht, warum ich weine!
Zween Ritter mir ließen nicht Ruh' noch Rast.
Mein Leid weiß Gott alleine.
[113]
Der eine der hieß Herzog Ronnebruh,
Fragt nicht, warum ich weine!
Der muhtete mir viel Schnödes zu.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Der andre hieß Herzog Hillebrand,
Fragt nicht, warum ich weine!
Ein Königssohn aus Engelland.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Er ging spatzieren in den grünen Hain.
Fragt nicht, warum ich weine!
Um dort zu schlummern ein Stündelein.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Hillebrand, Hillebrand, schlaf nicht ein;
Fragt nicht, warum ich weine!
Ich höre meines Vaters Rosse schrei'n.
Mein Leid weiß Gott alleine.
[114]
Laß Ross' und Reuter allzuhand,
Fragt nicht, warum ich weine!
Laß sie kommen! Ich heiße Herzog Hillebrand.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Er schlug die erste Rotte,
Fragt nicht, warum ich weine!
Zwölf Ritter sammt meinem Vater.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Er schlug die zweite Rotte,
Fragt nicht, warum ich weine!
Meine fünf krauslockigten Brüder.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Hillebrand, Hillebrand, o blinde Wuth,
Fragt nicht, warum ich weine!
Dein Schwert trank meines Vaters Blut.
Mein Leid weiß Gott alleine.
[115]
Kaum hatt' ich das Wort gesprochen,
Fragt nicht, warum ich weine!
Lag Hillebrand vor mir erstochen.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Hillebrand griff nach seinem Schwert.
Fragt nicht, warum ich weine!
Fahr wohl, Hilla Lilla, du warst mir werth.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Mein Bruder erwischt mich bei'm gelben Haar,
Fragt nicht, warum ich weine!
Und band mich an Knopf des Sattels gar.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Ich mußte laufen, derweil er ritt.
Fragt nicht, warum ich weine!
Er spornte, er sprengte, ich mußte mit.
Mein Leid weiß Gott alleine.
[116]
Es ging durch Busch und Sumpf und Moor,
Fragt nicht, warum ich weine!
Mich ritzten die Dornen, mich schnitt das Rohr.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Sie warfen mich tief ins Burgverließ,
Fragt nicht, warum ich weine!
Wo man mich hungern und dursten ließ.
Mein Leid weiß Gott alleine.
So oft ich mich rührte,
Fragt nicht, warum ich weine!
Nur Nattern und Schlangen ich spürte.
Mein Leid weiß Gott alleine.
So oft ich mich wandte,
Fragt nicht, warum ich weine.
Gewürm um mich zischte und rannte!
Mein Leid weiß Gott alleine.
[117]
Sie verkauften mich für eine Glocke neu,
Fragt nicht, warum ich weine!
Sie hängt noch im Thurm zu Dalbry,
Mein Leid weiß Gott alleine.
So oft ich die Glocke höre klingen,
Fragt nicht, warum ich weine!
Das Herz im Leib' mir will springen.
Mein Leid weiß Gott alleine.
So oft ich die Glocke hör' schlagen,
Fragt nicht, warum ich weine!
Will Seel' und Gemüth mir verzagen.
Mein Leid weiß Gott alleine.
Hin klangen die Glocken. – Los war sie der Qual.
Fragt nicht, warum ich weine!
Hilla Lilla frohlockt im Himmelssaal.
Mein Leid weiß Gott alleine.
[118]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Von der unschuldigen Hilla Lilla. Von der unschuldigen Hilla Lilla. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B708-4