[34] Die Gräber von Dustra

Eine Kunde der Vorzeit.


1787.


In Osten erwacht der Tag. Die Wolken glühen in seinem Strahl. Des Himmels düstres Blau erdämmert. Blaß ist die Wange des Mondes. Die Augen der Sterne funkeln matter. Sie bleichen, sie schwinden hinweg vor der Glorie der kommenden Sonne. – Erscheine, Sonne, in deiner Kraft! Goldlockige Himmelstochter, erscheine!

Schau, sie kömmt! sie kömmt! ihr Antlitz ist röthlich und schön. Gelb sind die Locken ihrer Jugend. Holdselig blickt sie hinter dem Nebelschleier. Die Nebel rollen schauernd zurück. Die Wolken fliehen schüchtern hinweg. Die Kraft des Ozeans brüllt Die Berge zeigen ihre Schneewipfel, [35] und die schweigende Ebene glänzt. Gesegnet sey dein Strahl, o Sonne! Er gleitet durch mein enges Fenster, und vergoldet die Wände meiner Halle.

Allein bin ich in der öden Halle. Fern ist mein grauer Vater. Fern sind die Gefährten meiner Jugend. Fern ist das Mädchen meiner Liebe, meine sanfterröthende Rina, mit ihrem schüchternen Blick, mit der Milde ihrer schmachtenden Augen. Viel und schwer sind ihres Busens Seufzer. Ihre Arme sind ausgestreckt durch die Nacht, und ihr Traum ist von dem Jüngling ihrer Liebe.

Allein bin ich in der öden Halle. Keines Freundes Stimm' erklingt mir. Kein Gesang der Söhne des Liedes – Komm herab von deiner Säule, meine Harfe! Ich fühle meine Seele entbrennen. Das Licht des Gesangs bestrahlt sie, wie die Sonne die Ebne bestrahlt. Ich sehe die Helden der Vorzeit, Führer, die in ihrer Jugend fielen, und Mädchen, die um ihre Gefallenen trauerten. Komm herab von deiner Säule, meine Harfe! Ich will singen die Kunde der Wehmuth, und die Tochter des Gesanges soll mich hören.

[36] Sulvina, Tochter des Gesanges, willst du hören die Kunde der unglücklichen Mora? – Oft hab' ich deine Stimme gehört. Sie schmolz mich in die Wonne der Wehmuth. Wenn du das Lied der Gräber anstimmtest, kam Dunkel in meine Seele. Wenn du den goldnen Morgen grüßtest, frohlockt' ich in der Fülle meines Lebens. – Höre Mora's Schicksal, der Jammervollen! Das Lied ist sanft, aber traurig.

Wer auf jenem Hügel ist das? Am Ufer der meerbespülten Dustra. Eine Eiche rauscht zu ihren Häupten. Wogen tummeln zu ihren Füßen. Wirbelwinde heulen über die See. Und der schäumende Ozean brüllt – Wer sollt' es seyn, als Mora? – Das Mädchen der Nebelinsel – Die Liebe Morglans, des Fürsten von Dustra. Er war gegangen auf die Jagd der Wölfe. Er hatte verheißen zu kehren von der Jagd, eh' Abend die Ebne schwärzte. –

Lang' zuvor, eh' Abend die Ebne schwärzte, saß Mora harrend am Ufer. Die Sonne war gesunken zu ihrer Ruhe. Noch spielten ihre Strahlen auf [37] dem Wasser. Noch glühten die Berggipfel in ihrem Golde. Röthlich stand der ferne Westen, und schimmerte durch den düsterblauen Wald. Mora saß allein am Ufer. Ihre blumige Wange brannt' im Abendroth. Ihre goldnen Locken floßen im Abendwinde. Schwere Seufzer hoben ihren hohen Busen. Ihr Seufzen war um den Jüngling ihrer Liebe. Ihr Rufen war um den wogengebornen Morglan.

»Die Sonn' ist zur Ruhe gegangen. Der Abend entwallt den Höhen. Des Meeres Antlitz verfinstert sich. Der düstre Wald steht schwarz. Morglan, du verzeuchst zu kommen. Deine Mora trauert allein. Zu meinen Häupten rauscht die Eiche. Zu meinen Füßen spielen die Wogen. Der hohle Wind seufzt in meinen Locken. Morglan, du verzeuchst zu kommen.«

»Jäger des waldigen Dustra, welch ein Lichtstrahl bist du Mora's Seele! Deine Schritte sind stattlich auf dem Hügel. Dein Wuchs ist lang und schlank. Dein Antlitz wie der steigende Mond. Dein Aug' eine Wetterflamme, furchtbar dem Feind' in der [38] Schlacht, aber süß und gewünscht dem Mädchen deiner Liebe. – Jäger des waldigen Dustra, ich harr' auf dich, ich schmachte nach dir, ich sieche vor Sehnsucht und vor Liebe. – Morglan, warum verzeuchst du zu kommen?« –

»Jüngling mit dem gelben Haar, vergaßest du deiner Vielgeliebten? Hat die Jagd des Wolfes dich verlockt? Ist Goor, der Schreckliche, dir begegnet? In Wahrheit, mein Liebling ist verirrt. Er ist gehemmt im Lauf seiner Liebe. – Er würde Mora nicht allein gelassen haben in der Dunkelheit am Ufer der See. – Jüngling des edelmüthigen Herzens, meine Seele ängstet sich ob deinem Fall. – Und wenn du fallen solltest, edler Morglan, was wird aus deiner Mora werden?«

»Dunkler und dunkler wird die Nacht. Alle Schimmer in Westen sind erloschen. Der Mond ist verloren vom Himmel. Die Sterne lauschen heimlich in ihren Kammern. – Zerreiß die Wolken, o Mond, daß mein Jäger den Pfad der Liebe finde! Zeigt eure grünlichen Häupter, ihr Sterne, und leitet meinen Wandrer zu meinem arbeitenden [39] Busen! – Morglan, du verzeuchst zu lang'! Meine Seele ängstet sich ob deinem Säumen.«

»Dunkler und dunkler wird die Nacht. Die Wolken fliegen. Der Sturm ist auf! – Weh mir! Es blitzt. – Dumpf grollt der Donner auf den Bergen. Wild rasseln Hagelwetter auf meine Eiche nieder. – Weh mir! Mein Morglan ist nicht mehr! Er ist gefallen in der Blume der Jugend! Er würde Mora nicht allein gelassen haben, allein am wilden Ufer, verloren in der Nacht der Stürme.« – –

»Der Sturm zerreißt die Wolken. Er jagt sie drängend hinter die Berge hinunter. Des Mondes Antlitz erscheint. Tonthena enthüllt ihr rothes Auge. – Wer rauscht durch den Wald? Ist es mein holder Jäger? Das ist nicht der Jäger von Dustra. Sein Antlitz ist wild und wolkig. Sein Auge düsterbrennend unter der dräuenden Braue. Wer bist du, Nachtsohn? du erschreckst die einsame Mora.« –

»Und kennst du Wustrons Fürsten nicht, den starken Goor mit dem Arm des Todes? Mein [40] Schwert ist ein Blitzstrahl. Meine Stimme wie der Donnersturm. Viel sind der Schlachten meines Arms, und mein Name lebt im Liede. – Tochter des wogengebornen Mora's, wie so allein am Ufer? Wie so verlassen in der stürmischen Nacht? Lang', meine Holde, sucht' ich dich. Meine Seele ist entzückt, dich zu finden – – Mora, du bist die Liebe des starken Goor.« –

»Bin ich die Liebe des starken Goor? – Düstrer Goor, du bist nicht die Liebe Mora's. Mein Geliebter ist ein Sohn des Hügels, ein Jüngling mit Schneebrust, und mit gelbem Haar. Morglan, du Erster der Menschen, du allein bist meines Busens Seufzer. Meine Arme suchen dich im Schlaf. Mein Traum ist von deiner süßen Umarmung. – Und immer noch verzeuchst du, mein Trauter? Wie lange soll Mora harren?«

»Lang' soll sie harren! sprach Goor. Hier am Speer ist sein Blut. Ich hab' erschlagen deinen holden Jäger. Er wagte, meinem Grimme zu trotzen. Aber ich traf ihn, wie der Donnerkeil. Seine Schneebrust ist beströmt mit Blut. Seine gelben Locken [41] fegen den Boden. – Lang' magst du harren auf Morglan – Morglan liegt tief im Staube.«

»Und hast du meinen Liebling erschlagen, du blutiger Mann? Und wird mein edler Morglan nicht mehr erwachen? – Morglan, ich ahndete deinen Fall! Ich will dir folgen in dein enges Haus. – Thürmet seinen Hügel noch nicht, seine Freunde! Verzieht noch heut' und morgen! So mögt ihr Einen Hügel thürmen für Mora und für Ihn.«

Sie weinte, die tiefgeschlagene Mora. Thränen badeten ihr blaues Aug', und Thränen die Rose ihrer Wange. – Goor, den Schrecklichen, jammerte das weinende Mädchen. Sein düstres Antlitz ward noch düstrer. Die Flamme seines Auges matter. Sein eisernes Herz schmolz. Kraftlos stand er vor ihr, und der Speer zitterte lose in seiner Hand.

Sie sah ihn, gebändigt in seinem Grimm. Sie entriß ihm den zitternden Speer, und stieß ihn tief in seine starke Seite. Er fiel, dumpf tösend, wie die Eiche, die der Blitz trifft. Die Hügel schütterten [42] unter ihrem Fall. Schlummernde Wandrer fahren jähling auf, und beben.

»Tochter Mora's, du tödtest mich. Du hemmst den Schwung meines Ruhmes. – Und ich that dir kein Leides, Mora. Ich erschlug deinen Liebling nicht. Das Blut auf meinem Speer ist nicht seins. Es ist das Blut der Keuler des Waldes. Ich that dir kein Leides, Mora, und ich muß fallen in meiner Jugend. – Kalt ist der Stahl in meinem Eingeweide. Zeuch mir den Stahl aus der Seite, Mora! Er ist so kalt!« –

Sie nahte sich ihm in all ihren flutenden Thränen. Sie zog ihm den Stahl aus der Seite. Er erhascht' ihn, und stieß ihn ihr tief ins Herz. – Sie sank, sie fiel am Ufer. Ihre rosige Wang' erblass'te. Ihr sonniges Aug' erlosch. Sie schloß die goldne Wimper, und öffnete sie nimmer wieder.

Morglan war nicht erschlagen von Goor. Er war verirrt auf der Jagd der Wölfe. Als die Sonn' in die Fluten sank, als der Abend die Ebenen verfinsterte, gedacht' er seines harrenden Mädchens, und hörte auf, das Wild zu verfolgen. – Aber [43] weit und pfadlos war die Wildniß. Die Stätte der Liebe fern. Und die schattende Nacht sank vom Himmel.

Er erklomm einen schroffen Felsen. Er schaut' umher. Er horcht' umher. Nichts sah er, als die Bäume des Waldes. Nichts hört' er, als das Brüllen der See. Laut scholl sein Rufen durch den Wind, laut die Antwort des Wiederhalls.

»Mora, wo bist du, meine Theure? Wo in den Strahlen deiner Schönheit? – Meiner Seel' ist bang' um Mora, daß sie muß sitzen allein am schäumenden Ufer, und auf ihren verirrten Liebling warten. – Mora, Mora, ich bin's, der dir ruft. Hörst du nicht meine Stimme? Antwortest mir nicht vom hallenden Ufer?«

»Lauter und lauter brüllt der Wind. Wilder und wilder stürmt die Woge des Ozeans. – Schweig eine Weile, o Wind! Seyd still' eine Weile, ihr Wogen! Daß meine Liebe mich am Ufer höre! Da sie sich freue der Stimme ihres Jägers, und mir antworte von ihrem einsamen Hügel.«

»Finstrer und finstrer wird die Nacht. Die [44] Wolken thürmen sich am Himmel. Kein Mondstrahl, zu leuchten meinem Pfade! Kein Sternlein, zu richten meinen Lauf. – Blitz' erglimmen. Donner grollen über die See. Hagel entrasselt der Wolke. – Weh! meine geängstete Mora! Wer wird sie trösten in der Nacht der Schrecken? Wer wird sie schirmen vor der Wuth der Wetter?«

»– – Ha! welch ein wandelnder Schatten ist dies? Sein Angesicht ist hold, aber traurig. Blaß seine Wange. Dunkel sein Auge. Sein weißer Busen träufelt Blut. – Meine Seele bebt in Ahndung. – Rede, du dunkle Gestalt! Bist du ein Kind der Luft? – Bist du der Geist meiner weißarmigen Mora?«

Es sprach. Es wisperte durch den Wind. Die Stimme war hohl und schwach, wie Lüftchen, die im Schilfe säuseln. – »Rufe Mora nicht, mein Jüngling! Harr' auf Mora nicht, mein Trauter! – Morglan, ich bin gefallen in meiner Schöne. Komm, mich zu umarmen auf meinem Staubbett.«

Es schwamm, es schwand hinweg, wie Nebel vor dem Hauch des Windes. Morglan stand ergriffen [45] von Grausen, und seine Hunde krochen bang' zu seinen Füßen. – »Und bist du gefallen, du Erste der Mädchen? Bist du gefallen in der Blume der Jugend? – Ja, ich will hingehn, wo du liegst. Ich will dich umfangen auf deinem Lager von Staub.«

Er stürmt hinan in seinem Schmerz. Seine Doggen vorauf witterten die Stätte des Jammers. Ein jählinger Windstoß enthüllte den Mond. Die Stätte des Jammers erschien. Mora im Staube. Ihre goldenen Locken flutend um sie her. Ihre Arme ausgebreitet über den Boden. – Morglan stand in schweigendem Gram. Er sank nieder an ihre holde Brust. Sie war weiß, und kalt, wie Schnee. Goor, in letzten Zügen zuckend, ermannte sich bei dem Geräusch. Noch einmal erwacht er aus dem Schlaf des Todes. Noch einmal öffnet er die schweren Wimper. Er erkannte den Feind seiner Seele. Er fühlte seinen kehrenden Grimm. Er sammelte seine fliehende Kraft, und durchbohrte Morglans Seite. – Morglan fühlte die Todeswunde. Er umklammerte die kalte Mora, und [46] »Willkommen!« sprach er, »auf deinem Bett' von Staub. Willkommen, meine geliebte bleiche Braut. – Wir sind vereint auf ewig!« –

Mit dem grauenden Morgen fand man die Edlen entseelt. Ihre Gräber wurden am Ufer gethürmt. Zu ihren Häupten drei rauschende Eichen. Zu ihren Füßen drei bemooste Steine. – Der Jäger verweilt hier gern, und gedenkt des Paars der Liebe. – Zuweilen wandeln Dustra's weißbusige Töchter hier, und singen den Gesang des Grabes:

»Gesegnet sey eure Ruh' im Grabe, ihr Bewohner des engen Hauses! Morglan, der Menschen Erster! Mora, du Erste der Mädchen! – Er war ein Blitz des Himmels. Sie war ein Sonnenstrahl auf der Heide. – Morglan und Mora, getrennt im Leben, wurden vereinigt im Tod' auf ewig. – Gesegnet sey eure Ruh' im Grabe, ihr Wohnenden im engen Hause!«

Sulvina, Erste der Mädchen, ich habe die Gräber der Todten gesehn. Ich hab' ihnen die Thräne der[47] Wehmuth geweint. – Wein' um die Wohnenden im Grabe, Tochter des Gesanges, weine! Unser Loos wird seyn, wie ihres. Wie ihrer harrt unser der Tod.

Noch frohlock' ich im Stolze meiner Jugend. Meine Seel' ist ein Feuerstrahl. Meine Hand ist mächtig auf der Harfe. Viel sind der Lieder meiner entflammten Seele. Mein Name verrollt nicht mit der großen Flut. – Aber, ach! wie lang'! Und das Mark meiner Jugend wird schwinden. Der Blitz meines Auges wird erlöschen. Meine Stimme wird schweigen im Felde. Meine Harfe modern im Staube! – Der Wandrer wird kommen, und fragen: Wo ist Telynhard, des Liedes Sohn? – Wandrer, sein Lied ist erstummt! Er ruhet schweigend in der Nacht des Grabes.

Sulvina, du Erste der Mädchen, du bist ein Sonnenstrahl auf duftiger Heide. Röthlich sind die Wangen deiner Jugend. Mild sind die Blicke deines Auges. Dein Gesang ist sanft und traurig, wie Lüftchen, die um Gräber lispeln. – Jahre verrollen in ihrem Lauf. Sie werden dich suchen, [48] und dich nicht mehr finden. – Stumm ist die Tochter des Gesangs. Ihre Schönheit ist verwelkt im Felde. Niedrig ist das Kissen ihrer Ruhe. Tief ihr Schlummer im Staube.

Wein' um die Wohnenden im Grabe! Tochter des Gesangs, weine! Unser Loos wird seyn, wie ihres. Wie ihrer, harrt unser der Tod! –

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Die Gräber von Dustra. Die Gräber von Dustra. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B723-6