Ludwig Gotthard Kosegarten's
Geschichte seines funfzigsten Lebensjahres

[Motto]

Demosthenes von der Krone. Cap. 77.

Ἀλλ' ὑπο της τουτων των Χαλεπων βλαςφημιας και συκοφαντιας εὶς τοιουτους λογους ἐμπιπτειν ἀναγκαζομαι, οἱς ἐκ των ἐνοντων, νἰς ἀν δυνωμαι, μετριωτατα χρησομαι.

1. Buch

[1] Erstes Buch.
Die Vorgeschichte.

[1] [3]Es war im Januar des siebenzehnhundert zwey und neunzigsten Jahrs, als mir von Stockholm aus gemeldet wurde, daß der König mir das Pastorat zu Altenkirchen auf der Insel Rügen verliehen habe. Zum letztenmal hatte König Gustav gesprochen in den Angelegenheiten seiner deutschen Staaten. Im Laufe desselbigen Monats noch erhob er sich aus seinem Hoflager, um abzugehn nach dem stürmischen Reichstage zu Gefle. Wenig Tage nach seiner Heimkunft in die Hauptstadt traf ihn das Rohr des Meuchelmörders.

Bis in das siebente Jahr hatte ich das Rectorat der Stadtschule zu Wolgast verwaltet. Allzu schwach unterstützt durch meine Gehülfen, deren die Einen durch das Alter gelähmt wurden, die andern durch die Sorge, war ich dem Uebermaß der Arbeit endlich erlegen, und fing an, eine Veränderung der Lage zu wünschen. Auch zu jenem Pastorat hatte ich mich gemeldet. Ich hatte, in Gemäßheit des Gesetzes, das die Beförderung verdienter Schullehrer vor allen andern empfiehlt, sogar ein näheres Recht an diese Stelle, als die meisten übrigen, die sich zugleich mit mir darum bewarben. Nichts desto weniger ward ich durch [3] die Nachricht, daß ich nun wirklich zu ihr ernannt sey, im höchsten Grade überrascht. Es waren nicht so sehr die sogenannten Meriten (die dann freilich in dem absonderlichen Sinn, worin das Wort in der Schwedischen Canzeleysprache genommen wird, wohl schwerlich einen sichern Maßstab der wirklichen Tüchtigkeit und Würdigkeit darbieten mögen) welche damalen bey Hofe über die Vergebung der Aemter entschieden. Es waren, wie es allwege und überall gewesen und seyn wird, die Verbindungen, die Empfehlungen, die Familienrücksichten; es waren vor allen Dingen, zumal, wann es die Verleihung einträglicher Stellen galt, die klingenden baaren Motive. Ich, der sich es wohl bewußt war, daß, wenn die Pfunde dieser Art den Ausschlag geben sollten, meine Wenigkeit gar leichtlich von dem Nächsten Besten würde niedergewogen werden, hatte daher auch nie im Ernst auf jene vielgesuchte Pfründe gerechnet; ich hatte während der zwanzig Monate, die bis zu ihrer endlichen Wiederbesetzung verstrichen, dem Gedanken an sie sogar entsagt, daß, als zu Ende des siebzehnhundert ein und neunzigsten Jahrs fast zu gleicher Zeit mehrere Anträge aus der Nähe und Ferne an mich ergingen, ich denjenigen von ihnen, der meinen Kräften und Neigungen mir am meisten zuzusagen schien, bereits wirklich angenommen, auch die Entlassung bereits nachgesucht hatte von dem Amt, das ich bis dahin verwaltet.

[4]

Erst späterhin habe ich erfahren, auf welchem Wege der König sey bewogen worden, gerade mich zu ernennen zu jenem Pastorat, vorzugsweise vor dreißig andern, unter denen es an tüchtigen und verdienten Männern nicht fehlte. Ich hatte eben damalenOliver Goldsmith's eben so anmuthig erzählte als sorglos hingeworfene Römer-Geschichte für das deutsche Publicum neu bearbeitet, und war aufgemuntert worden, dem Kronprinzen ein Buch zuzueignen, das geeignet schien, ihn zugleich zu ergötzen und zu belehren. Die Bände kommen an. Der königliche Knabe freut sich der anmuthigen Gabe. Leichtlich beredet von denen, die mir wohlwollen, geht er zum Vater, zeigt die zierlichen Bücher, die er eben jetzt empfangen, nennt den Verfasser, und wagt zu bitten, daß, da jener eine Rügische Pfarrey suche, solche ihm verliehen werden möge und keinem andern. Der König gibt dem Sohne sein Wort, und erinnert sich dessen im entscheidenden Augenblick. Der Gewährsmann, den ich für diese Umstände anzuführen habe, ist geltend genug. Es ist kein geringerer als der Kronprinz selber. Diesem, da er schon König geworden, fällt ein, daß er sich noch nicht bei mir bedankt habe. Er beschließt, mir zu schreiben, und zwar in deutscher Sprache, damit ich sehen möge zugleich, daß er mein Buch wirklich lese und verstehe. So erhielt ich denn, nachdem ich längst zu Altenkirchen eingewohnt [5] war, und an die Art und Weise, wie ich dahin gekommen, kaum mehr dachte, ein überaus gütiges, obgleich gerade nicht zum Besten buchstabirtes Handschreiben, worin der König mir seine Zufriedenheit mit den empfangenen Büchern bezeugt, und zugleich das Vergnügen ausdrückt, das er über die mir ausgewirkte Beförderung empfinde.

Nun war zwar die Stelle, wozu der König mich ernannt, im geringsten nicht bedeutender, weder was die Würde, noch was das Einkommen anlangt, als jene, zu deren Verwaltung ich nach Riga war berufen worden. Es mochte manchen bedünken sogar, daß eine erste Professur auf einem blühenden kaiserlichen Lyzeum einer schlichten Landpredigerstelle mit nichten nachzusetzen wäre. Es mochte scheinen, daß die Einbürgerung in einer volk- und geldreichen See- und Handelsstadt, deren Bewohner den Ruhm der würdigsten Gesinnung bis auf diesen Tag behaupten, unendlich vorzuziehen sey der Verweisung in einen abgelegenen, meistens nur vom niedern Volk bewohnten, den feinern Genüssen der Gesellschaft fast unzugänglichen Winkel der Erde. Allein eben die Abgeschiedenheit der Lage schmeichelte meinem tiefgewurzelten Hang zur Einsamkeit und zur Betrachtung. Die Verminderung der Berufsgeschäfte ließ hoffen, daß ich um so schneller genesen würde von der Erschöpfung, die meine bisherigen Anstrengungen mir zugezogen. Für das [6] Entbehren der sogenannten feinern Welt, und ihrer Freuden rechnete ich Ersatz zu finden in der Ideellen, die ich im Innern trug, mehr eingewickelt zur Zeit noch, als entfaltet. Die größere Muse, die tiefere Ruhe, das idyllische Stillleben, dessen ich zu genießen hoffen durfte innerhalb des romantischen Eilands, für welches ich eine frühzeitige Vorliebe gefaßt, alles dies diente, meine Wahl zu entscheiden. Ich bat die edelmüthigen Männer, die mich in jene Ferne hatten ziehen wollen, mein Wort mir zurückzugeben, und erwartete nur noch das Eintreffen der königlichen Vollmacht, um in Besitz zu nehmen kraft ihrer das mir verliehene Amt und alle aus ihm fließende, Gerechtsamen.

Allein es verzog sich mit dem Eingehen der Vollmacht. Und die Lage des Hofes war eine solche, daß zu fürchten stand, sie werde noch länger verziehen. Es ist gebräuchlich im Schwedischen Cabinet, daß, sobald die Sitzung des Staatsrathes aufgehoben worden, das während seiner Sitzung von dem expedirenden Secretair geführte Protokoll sofort ins Reine gebracht, und desselbigen Tags noch dem Könige zur Unterschrift vorgelegt wird, da dann die in der Acte niedergeschriebenen Beschlüsse den Behörden zur Ausführung mitgetheilt, und, falls Ernennungen darunter befindlich, die vom König ebenfalls zu unterzeichnenden Vollmachten ungesäumt ausgefertigt werden. In Gemäßheit [7] dessen bringt denn auch dießmal der Geheimschreiber das mundirte Protokoll des Tags dem König. Gustav, anderer Sorgen voll, und nicht allzufreundlich gestimmt, verweigert die Unterschrift für heute. Der Geheimschreiber geht. Die Acte wird hingelegt. Nie hat der König sie unterzeichnet.

Ich sitze an einem der mildern Aprilabende des Früjahrs mit meiner Gattin vor unsrer Hütten Thür. Wir hatten uns ausgeredet über die Annehmlichkeiten sowol, als über die Unbequemlichkeiten unsrer künftigen Lage. Geheftet den Blick unwillkührlich auf die Mondenstrahlen, die in den Bogenfenstern der uns gegenübergelegnen Kirche sich flitternd brechen, sitzen wir schweigend. Ein Fuhrwerk rasselt schwerfällig die nächste Straße herunter. Es scheint zu halten vor dem Posthause an der Ecke. Nicht lange und in der Stadt erhebt sich eine Art von dumpfen Brausen, das wachsend mit jedem Augenblick, einen förmlichen Volksaufstand anzudeuten scheint. Meiner Gattin wird bange. Indem sie ins Haus tritt, ich aber im Begriff bin hinzugehn und die Ursach des Tumults zu erkunden, kommt ein Bekannter den Kirchhof herunter gesprengt, und ruft im Vorübereilen uns zu: »Stellen Sie sich vor, der König ist ermordet!«

Augenblicklich knüpfte sich an den Gedanken des ungeheuern Schicksals, das ein ganzes Königreich umzuwälzen drohte, die Sorge um die eigne Zukunft.[8] »Und was, konnte ich nicht umhin, zu meiner Gattin gewendet, zu sprechen, was wird nun aus uns!«

Unmännliche Kleinmuth gehört gleichwohl im geringsten nicht zu meinen Schwächen; und von den Forderungen des Evangelii ist von jeher keine leichter von mir erfüllt worden, als die, welche verbietet, auch nur um den nächsten Morgen zu sorgen. Während andere meine Lage überaus bedenklich fanden, (und wirklich befand ich für den Augenblick mich außer Amt und Brot, dafern es, wie manchem ganz wahrscheinlich dünkte, mit der Rügischen Beförderung jetzt rückwärts ging,) fuhr ich ruhig fort, bis der mich ersetzende Lehrer eingeführt seyn würde, meines bisherigen Berufes wahrzunehmen, in den Nebenstunden aber an der Vollendung der Clarisse, deren Uebersetzung mich seit einigen Jahren beschäftigt hatte, zu arbeiten. Ich wurde dann auch bald von Stockholm aus verständigt, daß der Tod des Königs in meiner Angelegenheit nichts ändern könne, daß vielmehr, sobald die drängenden Geschäfte es nur irgend erlaubten, dem Herzog Regenten die Sache vorgelegt und sobald nur dieser das Fehlende ergänzt hätte, die Vollmacht ausgefertigt werden würde. Sie ist dann auch eingetroffen nach Verlauf einiger Wochen. Und zwar ist sie datirt vom Tage der Ernennung, und ausgefertigt unter König Gustav Namen. Alsdann folgt ein Postscript: »Wie durch Seiner Majestät mittlerweile nach [9] Gottes Willen eingetretnem tödtlichem Hintritt die Vollstreckung Seines Willens bis hieher verzögert worden; solchem Mangel aber in Kraft seiner testamentarischen Verfügung und Namens Seiner Majestät des gegenwärtigen Königs hiedurch abhelfliche Maße geleistet werde durch den Regenten des Reichs, den Herzog von SüdermannlandCarl.« Also ist diese meine Vollmacht unterzeichnet worden von derselbigen Hand und mit denselbigen Zügen, womit eben jetzt nach drey und zwanzig verfloßnen Jahren die Vollmacht meines auf meine Bitte mir zugeordneten Gehülfen Schwiegersohns und dermaleinstigen Nachfolgers unterzeichnet wurde. So lenkte es die göttliche Fügung.

Nichts hinderte uns nunmehr, zu unsrer Abreise aus Wolgast uns anzuschicken. Der Mühe des Einpackens überhoben uns unsre gefälligen Freunde. Alles ward an Bord einer Jagd geschaft, welche eigends von Wittow ausgelaufen war, um unsre Sachen abzuholen. Wir selbst für unsre Personen zogen freilich vor, zu Lande unsers Weges zu ziehn. Nicht ohne Schmerzen trennten wir uns von der gastfreundlichen Stadt, die seit sieben Jahren uns beherbergt und gepflegt hatte. Doch war es für mich die höchste Zeit, zu gehn. Ich hatte mehr gearbeitet innerhalb dieser sieben Jahre, als das Maß meiner Kräfte vertrug, und vielleicht jede Menschenkraft vertragen möchte. [10] Um den vielartigen Bedürfnissen der zahlreichen, auf den verschiedensten Stufen des Alters und der Ausbildung stehenden Jugend nur einigermaßen abzuhelfen, hatte ich Lectionen gegeben von fünf Uhr frühe bis zur zehnten Abendstunde, und mochte dennoch am Ende gar wenig damit gefruchtet haben. Die Begeisterung, die in mir lebte, der Medeenzauber, womit die Muse ihre Vertrauten ewig jung erhält, hatte zwar bey so austrocknenden Arbeiten vor der geistigen Abstumpfung mich bewahrt. Allein die leibliche Federkraft war erschlafft, meine Gesundheit wankend geworden, bedenkliche Brustbeschwerden machten selbst die Aerzte für mich fürchten. Gleichwohl, wenn ich späterhin, des früheren Berufes gedenkend, meiner siebenjährigen Aegyptischen Dienstbarkeit zu Zeiten erwähnt haben sollte, so will ich dieses Bild einzig nur auf das Uebermaß der Arbeit, dem ich mich dort meistens freywillig unterwarf, bezogen haben, mit nichten auf die liebreiche Gesinnung jener biedern und gefühlvollen Menschen, welche mit innigem Bedauern uns reisen sahn, und nicht aufgehört haben, mit den rührendsten Erweisungen echter Freundschaft und thätiger Erkenntlichkeit uns zu überhäufen bis zu dem Augenblick unsrer Abfahrt.

Auch die Besorgniß, vergeblich mich zerarbeitet zu haben, die ich aus jenen Mauern mit hinweggenommen, und die den Volks- und Jugendlehrer, der [11] freilich seine Saaten nicht auf der Stelle keimen und reifen sieht, nur allzuhäufig niederdrückt, habe ich zu meiner Freude durch den Erfolg beschämt gesehen. Zahlreiche Zöglinge sind ausgegangen aus meiner Schule, die ihren Platz in der Gesellschaft mit Würde behaupten und mit Nachdruck ausfüllen. Auch werde ich zum öftern, und nach so viel verstrichnen Jahren noch, durch Ausströmungen kindlicher Pietät und dankbarer Erinnerung überrascht aus Gegenden, wo ich dergleichen nicht erwartet, und von Seiten solcher, deren ursprünglich spröderer und herberer Natur ich Aehnliches nimmer zugetrauet hatte.

In der Mitte des Junius verließen wir Wolgast. Zu Greifswald, wo ich die priesterliche Weihe zu nehmen hatte, verweilten wir mehrere Tage, und gesegneten sodann diese schöne Stadt, nicht ahnend, daß wir nach einer Reihe schicksalvoller Jahre froh seyn würden, innerhalb ihrer Mauern ein rettendes Asyl zu finden. Für itzt standen uns Sinn und Seele einzig hin nach der ersehnten Insel. Die Nacht jedoch sahen wir uns genöthigt diesseit des Wassers zu verweilen in dem Hause des Fährmanns. Am folgenden Morgen zogen wir hinüber, und fanden das Fuhrwerk, das zu unsrer Abholung am vorigen Tage schon eingetroffen war, unser warten. Das Vergnügen, das wir uns davon versprochen hatten, das ganze Land in seiner gedehntesten Diagonale zu durchreisen, ward [12] ein wenig gestört durch den Regen, der den ganzen Tag nicht aufhörte, in Strömen auf uns herabzustürzen. Gegen Abend erst, als wir nun die letzten Gewässer im Rücken hatten, und jetzt den Wittowischen Boden betraten, trat die Sonne strahlend hervor aus dem grauen Duft. Wittow's gesegnete Fluren, vom überschwenglichen Regen erfrischt, prangten in erhöhter Schönheit. Zur Rechten und Linken der Straße grünte vielfarbig des Getreides üppige Fülle. Im abendröthlichen Lichte lag bald unsre nunmehrige Heimath vor uns, von nun an der Schauplatz, welcher Freuden und Leiden! Weit auseinander gestreut reiheten sich die stillen Hütten um die sogenannte Alte Kirche, die älteste des Landes, in deren Nähe wir dann auch bald unsre Wohnung entdeckten, demüthig, einfach, friedewinkend. Wir säumten nicht sie zu erreichen. Schon hielten wir unter den Kastanienbäumen, die der Vorfahr gepflanzt. Die Wittwe, die wir zu verdrängen kamen, empfing uns gleichwohl mit Herzlichkeit. Bald auch erschienen der Diaconus, der Küster, die Vorsteher, andre ehrbare Männer der Gemeine, um zu unsrer Ankunft uns Glück zu wünschen. Am nächsten Sonntag, es war der Tag Johannes des Täufers, erfolgte die feierliche kirchliche Einführung durch den obersten Geistlichen des Landes, den verewigtenSchlegel; zunächst die Investitur in die zeitlichen, Gerechtsamen und das Lehn der Pfarre [13] durch den königlichen Beamten. Tags darauf wurden die Rechnungen des Kirchenwesens revidirt, sodann die Zimmer inventirt, die Bücher und Archive abgeliefert. Es folgte die Auseinandersetzung mit der Wittwe, welcher ich nach einer billigen, von zweyen einsichtigen und redlichen Gemeindgenossen gemeinschaftlich entworfenen Schätzung ihr ganzes Inventarium abkaufte, auch zugleich ihr gesammtes Gesinde in meine Dienste nahm. Mehrere Tage verstrichen über diesen, mir freilich nicht sonderlich zusagenden, jedoch unausweichlichen Geschäften. Nach und nach kam alles in seine Ordnung. Die Beamten reisten an ihren Ort. Die erbetenen Beystände thaten desgleichen. Auch die Wittwe, welche vorzog in Greifswald zu wohnen, wozu ihr die Mittel nicht fehlten, verließ uns. Wir blieben nun uns selbst überlassen, und auf das Getümmel und Geräusch der letzten Tage folgte eine um so süßere Stille.

Nichts lag mir näher itzt, als zu erkunden den Charakter der Landschaft, und die Eigenthümlichkeit der Gegend, darin mir verhängt war hinfort zu leben. Denn wiewohl ich mehrere Jahre meiner frühern Jugend auf dem Eyland verlebt, auch die verschiednen Inseln und Halbinseln des kleinen Archipelagus in jeder Richtung zu durchkreuzen, mich nicht verdrießen lassen, dennoch hatte mir nie bequem werden wollen, das entlegnere Wittow zu bereisen. Auch [14] war mir dieses allezeit beschrieben worden, als der am wenigsten anziehende Theil des Landes; es sey, hieß es, pures Blachland, dessen überaus ergiebiger Boden die Scheuern und die Speicher zu füllen zwar vortreflich tauge, dem Auge aber und der Fantasie nichts darbiete, als eine weite eintönige ermüdende Fläche. Man hatte sich geirrt gleichwohl. Man war zu nahe getreten diesem ganz still und heimlich, aber mit wunderbarer Kraft die Gemüther fesselnden Erdreich. Man hatte ihm zu hoch angerechnet den Mangel der Forste und der Anhöhen; und viel zu wenig in Anschlag gebracht die Nähe des Meers und seine mystisch verschlungnen Uferschlüchte. Zwar meines Wohnorts allernächste Umgebungen schienen auch mir flach und öde, und wenig anmuthig, also daß mir fast bange werden wollte um das Ganze. Aber ich war kaum um einige Ackerbreiten weiter hinausgetreten bis dahin, wo das Land kaum merklich sich hebt, nicht so bald hatte mir sich dargestellt jener majestätische Tromper Golf mit den ihn beherrschenden Hochgestaden, als ich gänzlich ausgesöhnt mich fühlte mit meinem Loose. Diese Buchten, diese Ufer, diese verschwiegnen Uferschründe, dieses herrlicheArkonavorgebirge, diese silberweißen Dünen, deren Schnee mit des Meeres tiefem Purpur wundersamlich absticht, diese ganze erschütternde Majestät der Natur verbürgte mir, daß solchen Erscheinungen gegenüber [15] die geistigen Flügel mir nimmer gänzlich sinken, der Funke der Begeisterung nicht in mir erlöschen würde, als mit dem Funken des Lebens selber.

Hierüber zufrieden gestellt, eilte ich, die irdischen Dinge, von deren Verwaltung des Leibes Nahrung und Nothdurft, so wie des Lebens Bequemlichkeit und Behaglichkeit abhängt, also zu ordnen, daß die Sorge um sie in dem höhern geistigen Leben mich möglichst wenig stören möchte. Das Pfarrgehöfte, was freilich seit zwey Jahren des pflegenden Hausvaters entbehrt, bedurfte überall fast und in jedem Sinne der Nachhülfe und Ausbesserung, deren Kosten in Gemäßheit des Gesetzes dem Rügischen Pfarrer allein zur Last fallen. Es mußte gedeckt, geklebt, gepflastert, das gesammte Gehöft mit Inbegriff der Gärten durchaus neu eingefriedigt werden; welches letzte insonderheit für den Anfänger eine schwere Aufgabe war. Alles griff ich gleichwohl an zur selbigen Zeit, und scheute keinen Aufwand, der mir nur um so schneller zum gewünschten Ziel verhülfe. Im Herbste ließ ich die Gärten in allen Richtungen erweitern, Teiche austiefen, Graben ziehen, Steinmauern setzen. Bäume pflanzte ich sonder Maß und Ziel. Den sonnigen Rasenplaz, der den Hofteich von dem Wohngebäude sondert, umzog ich mit einem Kranz von Espen und von Silberpappeln, welche, längst schon über des Hauses Giebel hinausgewachsen, oben im luftigen Blau [16] ihre Wipfel verschränken zu einem lebendigen der Sonne wie dem Winde wehrenden Baldachin, in dessen Schatten jezt bereits die Kinder meiner Kinder spielen.


Die sehr beträchtlichen Ländereien der Pfarrey ließ ich in den Händen, worin ich sie gefunden. Zwar ward ich berichtet und sahe selbst wohl ein, daß sie weit unter dem wahren Werthe verpachtet seyn; dennoch, und wiewohl der Werth der Aecker binnen wenig Jahren sich verdoppelte, endlich sich verdreifachte, konnte ich es nicht über mich erhalten, den Inhabern den Preis zu steigern, woraus dann freilich entstand, daß die Pachtenden bald wohlhabender wurden als der Verpachter, dieser aber binnen zwanzig Jahren um wenigstens eben so viele Tausende ärmer geblieben, als er gewesen wäre, wenn er sich hätte entschließen können, diesen überaus dankbaren Boden für seine eigne Rechnung anzubauen, oder, dafern dies einmal seine Stimmung nicht gestattete, diejenigen wenigstens, die statt seiner ihn benutzten, leisten und zahlen zu lassen, was sie schuldig waren.


Zur Führung des eignen Haus- und Feldwesens, was auch so noch bedeutend genug blieb, ward mir ein tüchtiger Wirthschafter empfohlen, dessen Leitung ich diese Dinge gänzlich heimstellte, und eben nicht Ursach [17] gefunden, meine Glaubwilligkeit und Sorglosigkeit zu bereuen. Es will zwar das Sprichwort, daß nur des Herrn Auge das Pferd gedeihen mache. Allein ich kann versichern, daß ich in meinem Leben nicht in meinen Pferdestall gekommen; und dennoch waren meine Gespanne die tüchtigsten weit und breit. Wiewohl ich weder um den Dünger sonderlich sorgte, noch mich von Herzen ereifern konnte über das heillose Verspillen der köstlichen Gottesgabe, der unschätzbaren Mistjauche; dennoch prangten meine Aecker mit den üppigsten Saaten; an Milch und Butter war kein Mangel; wenn die Bienen überall misrathen waren, so fehlte mir der Raum, die Schwärme zu beherbergen. Unfälle an Vieh und Pferden sind mir nie begegnet. Brand, Mehlthau, Hagelschlag und Windstürme sind meinen Fluren schonend vorübergegangen. Was ich pflanzte, wuchs frölich fort; was ich aufzog, gedieh; und was ich immer beginnen mochte, es ging von statten.


Möchte ich ein gleiches rühmen können von meinen geistigen Bestrebungen, von der sittlichen und religiösen Pflege des mir anvertrauten Völkchens. Das in diesem Sinn mir angewiesene Feld war groß und weit. Fünf und zwanzig, mehr und minder bevölkerte Dorfschaften und Höfe zählen zu meinem Sprengel. Bey weiten die meisten der Gemeindgenossen gehören [18] zum niedern Volke; es sind Ackerbauer, Schiffer, Fischer, Handwerker und Tagelöhner; aus jenen Ständen, die sich die gebildetern nennen, gibt es einige wenige Gutsbesitzer nur und Pächter. Ich war gänzlich fremd den Einen wie den Andern, als ich unter sie trat. Allein sie kamen mit zutraulicher Herzlichkeit mir entgegen. Diese schlichten Menschen, geschützt noch bis dahin durch ihre abgeschiedene Lage vor den Einflüssen des immer weiter um sich greifenden neuen Heidenthums, waren gewohnt noch von den Vätern her, in ihren Seelsorgern zu verehren eine Art von Gottbegeisterten Weisen, von denen sie berechtigt seyn, Rath und Trost, Mahnung und Warnung, Zurechtweisung und Ermuthigung zu empfangen in jeder geistigen und leiblichen Bedrängniß. So flüchten sie denn zu ihnen in jeder Verlegenheit. Sie ziehen sie zu Rath in ihren häuslichen und bürgerlichen Angelegenheiten. Sie stellen ihrer Entscheidung heim ihre kleinen Zwiste. Sie suchen Schutz bey ihnen gegen Druck und Drang. Sie suchen und finden in ihnen, gegenüber den höhern Behörden, ihre natürlichen Vormünder, Fürsprecher und Vertreter. Auf solche Weise bildet zwischen dem Seelsorger und seinen Gemeindegenossen sich ein schönes menschliches, fast patriarchalisches Verhältniß, in Folge dessen jedes was den andern angeht, empfindet und zu Herzen nimmt, als betreffe es das Eigne. Es freuen sich die Pfarrkinder [19] des Wohlstandes ihres geistigen Vaters. Sie rühmen sich seines Ruhmes. Sie sind stolz auf seine Gaben. Was in seinem häuslichen Kreise ihm begegnen mag, Erfreuliches oder Betrübendes; es wirkt fast eben so stark auf sie, als begegne es ihnen selber. Die Kinder zumahl, die ihm geboren werden, und die sie aufwachsen sehn in ihrer Mitte, gewöhnen sie sich zu betrachten, als gehörten sie auch ihnen an; sie sehen mit Wohlgefallen zu ihrer Entwicklung und Entfaltung. Sie interessiren sich zumahl für die studirenden Söhne, und können die Stunde kaum erwarten, wo der Sohn nun auch einmal vor ihnen auftreten werde auf der geweiheten Stätte, und zu ihnen reden im Geist und in der Kraft des Vaters .... Solchen Menschen, also gewöhnt, und also gestimmt, Zutrauen und Verehrung einzuflössen, war nicht schwer ... Es hatten seit den Tagen der Reformation fast lauter ausgezeichnete Männer dieser Gemeine vorgestanden:Leonhard Maifisch, der Herzog Philip zuerst das Evangelium in seinem Cabinet gepredigt; Gedeon von Klemzen, der anfangs die Rechte gelehrt auf der hohen Schule zu Greifswald; Johannes Runge, der alle Stürme des dreißigjährigen Krieges glaubig und großherzig bestanden; späterhin der milde menschenfreundliche Schwarze; zunächst der feurige Eiferer Almer; welcher abgelöset worden von dem gütigen und leutseligen Teenke; da dann, als dieser [20] bald abgerufen worden durch seinen Herrn und Meister, mein unmittelbarer Vorfahr an das Amt gelangt, der Schrift- und Natur-Gelehrte Wilke. Hinter solchen Männern nicht allzufern zurückzubleiben, hinderte der Gott in meinem Innern. »Der Geist des Herrn Herrn war auch über mir; er, der auch mich gesalbet, und auch mich gesendet hatte, den Elenden zu predigen, die zerbrochnen Herzen zu verbinden; zu predigen den Gefangnen eine Erledigung, den Gebundnen eine Oefnung; zu predigen ein gnädiges Jahr des Herrn, und einen Tag der Rache unsers Gottes; zu schaffen den Traurigen in Zion, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit, und schöne Kleider für einen betrübten Geist gegeben werden; daß sie genennet werden Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise.« ... Es mochte wohl anfangs diesen schlichten Menschen, die ich unter mir sitzen sah, in schweigendes Erstaunen versunken, meine Rede eine fremde Zunge bedünken; es mochte mein Wort sie gemahnen, als seyn es dunkle Prophetensprüche, eine schwer zu enträthselnde Apokalypse. Allein es genügte ihnen zu sehen und zu hören. Das Feuer des Redenden, die Inbrunst, die Empfindung, der Schall der Stimme selber, die Wahrheit der Gebehrdung, die ihn zu Zeiten unwillkührlich übermannende Wehmuth, die Thränen, die ihm ungerufen in die Augen stürzten, alles mußte sie überführen, daß es [21] ihm ein Ernst sey um den Inhalt seiner Rede, es mußte die Ahnung höherer Dinge in ihnen wecken, und sie hinausheben über den beschränkten Kreis ihrer täglichen Sorgen. Nach und nach dann, da ich vertrauter mit ihnen geworden durch Gespräch und Umgang, dann zumahl, als ich dem vergeblichen Bestreben recht populär zu seyn endlich entsagt, als ich es darauf angelegt, nicht sowohl hinabzusteigen zu den Hörern, als sie zu mir heraufzuheben, als ich zurückgekommen von dem Vortrag irreligiöser Dinge (denn leider habe auch ich eine Weile gepflügt mit dem Kalbe des Tags, ich habe mich zerarbeitet zu predigen die Oekonomie, die Diätetik, und was sonst nicht alles, ich habe den Krieg gemacht dem allerdings in den Häuptern dieses Völkchens noch immer mächtig spukenden Aberglauben, habe geeifert wider die Hexen und die Gespenster und den Teufel, habe getrieben den Gesundheitkatechismus des treflichen Mannes, des BückeburgischenFaust; wenig fehlte, und ich hätte auch Brot backen und Bier brauen gelehrt, laut des belobtenNoth- und Hülfsbüchleins) als ich mich beschränkt zuletzt, auf das Einzige Nothwendige zu dringen, zu predigen Christus und sein Kreutz, und den Glauben und die Hofnung und die Liebe; dann allmählig habe ich verspührt, daß die Schuppen ihnen vom Auge fielen, und das Fell vom Ohr; ich bin inne geworden nun und dann, daß es anfange aufzugehn[22] unter ihrem Herzen, und die Wehen der neuen Geburt sich in ihnen regten. 1

Jener Wilke, mein Antecessor, ein geborner Schwede, war ein sehr gelehrter Mann gewesen, ein tüchtiger Theolog aus Siegmund Baumgartens Schule, dazu ein Schüler des Linnäus, mithin ein eifriger Naturbeobachter, ein Liebhaber der Pflanzen und Blumen, wie er dann den botanischen Garten zu Greifswald, der keinem andern weicht, angepflanzt, [23] eine Flora Gryphica geschrieben, auch in seinem Garten viel ausländisches Gesträuch und Gewächs gepflegt, wovon ich denn noch manches vorgefunden, und zu des Alten Andenken zu erhalten gesucht. Eben dieser hatte, zum Gebrauch des ihm in die Hände wachsenden Geschlechts zweyerley Katechismen entworfen, den Einen, kurz, klar, naif, wahrhaft kindlich, für die Unmündigen, den andern, ausführlichern und gedachteren, für die Reifern. Auch Predigt-Concepte habe ich von ihm vorgefunden, verfaßt im schönsten Latein, disponirt nach allen Regeln der Topik, ausgestattet mit einem Reichthum der Materialien, der bewundern läßt, wie solches alles in Einer oder in anderthalb Stunden habe abgehandelt werden können. Dieser würdige Mann war dem Schwindel der Neuerung, der in seinen Tagen auch festere und gesundere Köpfe zu verrücken drohte, männlich widerstanden, so lang er gelebt. Auch nicht eines Fingers Breite hatte er dem Dämon eingeräumt innerhalb seines kirchlichen Gebietes, wohl wissend, daß er nur deren bedürfe, um sofort der ganzen Hand sich zu bemeistern. Er war treu geblieben dem alt hergebrachten Lehrbegriff; abzuweichen von dem vorschriftmäßigen Ritus hatte er sich nicht ermächtigt gehalten; auch den öffentlichen Gottesdienst hatte er mir hinterlassen in seiner ganzen alterthümlichen Umständlichkeit, Pracht und Größe; und ich meines Theils habe mich wohl [24] gehütet, solchem auch nur ein Jota abzuzwacken. Während, einem verwöhnten Zeitgeschmack sich bequemend, in der Nähe und der Ferne alles sich beeiferte, den Cultus zu vereinfachen, zu entsinnlichen, zu verwässern; ihn abzukürzen vor allen Dingen, damit der Schlaffheit und Lauigkeit des Zeitgeistes nur ja recht weiche Polster untergelegt würden; während dessen erhielt ich meinem Volke standhaft die von den Vätern herabgeerbten und ihm werth gewordnen Formen, erwehrte mich der von oben herab uns fast gewaltthätig aufgedrungenen modernisirten Gesangbücher und Liturgien, bewahrte der Gemeinde die alten Kraft- und Kernlieder, hielt streng über den durch die Agende sanctionirten Ritus, und wich nicht leichtlich ab von dem schönen sinnvollen Cyclus unsrer Evangelien und Episteln. Den Katechismus desKrakeviz zu vertauschen mit dem des Schle gel, ließ ich zwar durch die Gebrechen des Einen mich verleiten, und durch manche Vorzüge des Andern. Ich habe aber Ursache gefunden, auch dieses zu bereuen, und hätte hinterher den alten gern wiedergehabt mit allem seinen scholastischen Wust, und seiner polemischen Härte. Um so viel möglich abzuhelfen dem Schaden, der aus diesem übereilten Tausch zu erwachsen drohte, hielt ich von nun an desto strenger über dem Auswendiglernen des kleinen Katechismus Lutheri nach Wort und Buchstab. Denn es ist nothwendig, daß dem Volk ein Bleibendes und [25] Gewisses mitgegeben werde, worauf es sich stützen möge im Leben und im Sterben. Es ist rathsam in alle Wege, daß das Ewige und Unwandelbare abgespiegelt werde, auch durch die Unveränderlichkeit seiner Formen ..... Welche der beyden Verfahrungsweisen in den Dingen dieser Art dem Volk am meisten zusage, hat sich denn auch bald gezeiget. Während dieß- und jenseit der Gewässer die Gotteshäuser, worin dem Zeitgeist war gehuldigt worden, verödeten zusammt den Altären, wollte in unsrer entlegnern Kirche den Anbetern überall der Raum ermangeln, und der Tisch des Herrn ward nicht leer von solchen, die sein tröstliches Gedächtniß begingen. Aus dem Morgen und aus dem Abend kamen sie dahergezogen, mit Weib und Kind, zu Roß, zu Wagen und zu Fuß; es vermochten weder die Regenstürze des Herbstes sie zu schrecken, noch die Schneegewitter des Winters, weder der weichende Triebsand der Dünen, noch der ausgetretenen Gewässer unbekannte Gefahren. Rührend war mir in den erstern Jahren der Anblick eines fast hundertjährigen Invaliden, dem seit langer Zeit sein Standort angewiesen worden, auf dem um mehrere Meilen entlegenen Posthof an des Landes äußerster Ecke, von wannen im Fall eines dringenden Ereigniß die Packetböte pflegten abgefertigt zu werden nach den schwedischen Küsten. Die Wallfahrt zu uns mußte diesen Alten nothwendig jederzeit den besten Theil der[26] Woche kosten. Gleichwohl habe ich anfangs ihn fast sonntäglich gesehn; gelehnt an den Pfeiler der Kanzel gegen über, stand er, hoch aufgerichtet, kerzengerade, dünnes weißes Haar spielte ihm um die Stirn und die Schläfe. Späterhin, wie zu erwarten war, wurden seine Besuche seltner und seltner. Als er endlich gänzlich ausgeblieben, bin ich eines Tages unerwartet auf sein Grab gestoßen, mitten unter den Gräbern der Bernsteininsel, wohin jener Posthof eingepfarrt ist, obgleich getrennt von ihr durch ein breites Gewässer. Auf des Kirchhofs sonnigster Höhe hatten sie ihn eingescharrt; der Stein zu des Grabes Häupten nannte seinen Namen; »lang Gras, pfeifend im Winde deckte rings den mächtigen Hügel.«

Eigenthümlich diesem Lande und dieser Gemeinde ist die Sitte der jährlichen feyerlichen Gottesverehrungen unter offenem Himmel am Gestade des Meeres. Es ist diese Sitte aufgekommen in den alten längstverflossnen Zeiten, wo der Heringsfang an unsern Küsten noch zu den bedeutendsten Nahrungsquellen des Landes gehörte, und zum Einkauf des gefangenen Fisches die Handelsleute sich zusammen fanden aus dem ganzen Norden. Damit nun weder die Fischer der sogenannten Vitte über der Wandrung in die entlegneAlte Kirche des günstigen Momentes verfehlen, noch die Fremden während sie in dieser Ferne verweilten, der geistigen Pflege gänzlich entbehren[27] möchten, so war beliebet worden, daß sowohl jenen als diesen, so lange die Zeit des Fanges dauerte, ein eigner Gottesdienst gehalten werden solle auf dem Platze selber. Die Ursach hat nun zwar längst aufgehört; der Hering hat sich hinweggewöhnt von diesen Ufern, und es wird dessen nur kaum noch so viel gefangen, als die zunächst wohnenden Gemeinden zu ihrem Verbrauch bedürfen. Nichts desto weniger hat die Sitte sich erhalten. Alljährlich, sobald nur die Fischer der Vitte dem Pastor melden, daß der Hering (der liebe Hering, wie sie ihn nennen, in demselben frommen Sinn, worin wir andern das liebe Brot zu sagen pflegen) sich spüren lasse, was denn gemeiniglich zu Ende des August, oder zu Anfang des September der Fall ist, so wird der Anfang der Ufergottesdienste der Gemeinde angekündigt für den nächsten Sonntag, worauf sie denn an acht auf einander folgenden Sonntagen gehalten werden, und zwar so, daß der Pastor der Gemeinde die erste und die letzte Predigt hält, die sechs mittlern aber dessen Diaconus. Es versammelt sich das Volk zu zwey Uhr Nachmittags in einem hochgelegenen Thale oberhalb der Vitte, ganz nahe dem Meer, und unfern der Uferspitze Arkona. In der Mitte des Thales neben dem alterthümlichen Stein sitzt oder steht der Lehrer, ihm zur Rechten sind die Frauen, die Männer links. Angesichts der Versammlung wogt das Meer, und jenseit[28] seiner blauen des romantischen Jasmund waldbedeckte Gestade; da dann die Herrlichkeit der Landschaft, die stille Größe der umgebenden Natur, die rings umher ausgebreitete Unermeßlichkeit des weiten Himmels und des offenen Meers nicht ermangeln, auch ohne des Lehrers Wort und den feierlich schallenden Psalm der Gemeinde zu tiefer Rührung und ehrfurchtsvoller Andacht zu stimmen .... Daß ich eine so schöne Sitte nicht werde haben außer Gebrauch kommen lassen, daß ich vielmehr dieselbe mit Liebe gepflegt, und mit Sorgfalt ausgebildet haben werde, wird man mir ohnschwer zutrauen. Es ward dann auch, sobald nur bekannt geworden, daß die Ufergottesdienste jetzt ihren Anfang nehmen würden, gewallfahrtet zu uns, zur Vitte und demnächst gen Arkona, aus allen Gegenden der Insel, und von dem Continente selber; also daß mir zum öftern begegnet ist, die Majestät des Ewigen hier, in dessen, von ihm selbst erbautem Tempel vor ganzen Scharen andachttrunkener Anbeter zu predigen und zu preisen. 2

[29] Daß inzwischen solche Andachten im Freyen auch mancherley Unbequemlichkeiten ausgesetzt seyn, wird jedem beyfallen. Die bedeutendste freilich war die, daß in Folge der spätern Jahreszeit, bis zu welcher [30] die Alten unsre Uferdienste verschoben hatten, und wo, in diesen Climaten zumal, die Witterung bereits wandelbar und abhold zu werden anfängt, durch dicke Nebel, reissende Stürme und herabstürzende Regengüsse nicht selten unsre Andacht gestört, auch wohl zu Zeiten die Feyer gänzlich vereitelt wurde. Wir pflegten in solchen Fällen in eine der geräumigern Hütten des Dorfes zu flüchten, innerhalb deren morschen Wände zusammengedrängt, wir unsere Erbauung sodann auf eine zwar minder feyerliche, jedoch um so herzlichere und vertraulichere Weise wahrnahmen. Als aber diese am Ende gar baufällig ward, und über uns zusammenzustürzen drohte, blieb nichts übrig, als für ein andres Obdach zu sorgen, oder es war zu fürchten, daß der Mangel eines solchen, trägern Gemüthern zum Vorwand dienen möchte, die löbliche Sitte überall aufhören zu lassen. Um dem zuvorzukommen, nahm ich Gelegenheit, dem König, meinem leutseligen Beförderer, als er nach seiner Heimkunft aus dem südlichen Deutschland sich mehrere Monden bey uns aufhielt, die Lage der Sache vorzustellen, und zugleich anzugeben, wie jenen Unbequemlichkeiten abgeholfen werden möge. Der König genehmigte alles. Er erlaubte mir nicht nur, auf seinem Grund und Boden, in der Nähe des geweihten Thales, ein anständiges Bethaus, das bey einfallender schlimmer Witterung die Versammlung aufnehmen könne, errichten zu lassen; [31] sondern befahl auch seiner Pommerschen Regierung, alles zu solchem Bau erforderliche Holz an Eichen und Fichten aus seinen Waldungen mir unentgeldlich zu liefern; wogegen mir dann freilich heimgestellt blieb, zur Bestreitung der übrigen, noch immer sehr bedeutenden Ausgaben aus andern Quellen Rath zu schaffen. Welche andre blieb mir übrig, als die Freygebigkeit gottliebender Gemüther! Ich beschloß dann eine Subscription zu eröffnen, schrieb die Einladung, sandte meine Blätter in alle Welt, und nicht leicht ist eins derselben leer zu mir zurückgekommen. Mehrere deutsche Fürsten (namentlich der König von Sachsen, die Königin von Baiern, der verstorbne ehrwürdige Großherzog von Baden, der Herzog von Weimar) mehrere unsrer Städtischen Gemeinden, die von Stralsund, Greifswald und Wolgast, die Landes-Universität, das hochwürdige Ministerium der Stadt Hamburg, einige Maurerlogen, eine Menge Privatpersonen endlich aus der Nähe und Ferne unterzeichneten sich, die Einen mit größern, die andern mit mindern Summen. Ungesäumt schritt ich zum Werk. Die Bäume wurden gefällt, das Holz angefahren, der Platz bereitet, Quarz- und Granitblöcke gesprengt ohne Zahl. Als es am Hafsand fehlte, dessen man hiesigen Ortes zu einem tüchtigen Mörtel nicht glaubt entbehren zu können, begegnete, was nicht begegnet war bey Menschengedenken. Drey Tage und drey Nächte [32] stürmte es aufs allerheftigste aus dem Nordost. Die furchtbar angeschwollnen Gewässer drangen tief hinein in die Buchten des Landes. Als es endlich wieder stille geworden, und die Gewässer abgeflossen waren, lag siehe! unermeßlicher Sand vom schönsten und reinsten Korn in ganzen Bänken abgesetzt am Fuß grade derjenigen Anhöhe, auf welcher das Bethaus erbaut werden sollte. Voll Freude kamen die Fischer des Dorfs, mir dies erstaunenswürdige Ereigniß anzukündigen. Eiligst versammelte ich eine Menge von Menschen, die mir den Sand auf die Höhe schaffen sollte, damit die See den Schatz, den sie mir geschenkt, mir nicht etwa wieder rauben möchte. Es war jedoch des Sandes so viel, daß zur Noth eine Egyptische Pyramide damit hätte aufgemauert werden mögen; auch meinten die Leute, daß es des Schaufelns nicht bedürfe, indem, was seit hundert Jahren nicht geschehn sey, vor Verlauf der nächsten hundert Jahre schwerlich wieder geschehen dürfte. In der That diente dieses denk- und dankenswürdige Ereigniß nicht nur des Unternehmers Muth zu stärken, sondern auch zu entzünden den Eifer der Einwohner. Das ganze Land verpflichtete sich nun, Fuhren und Handdienste zu leisten. Ein lichtes geräumiges Achteck wurde errichtet. Die Mauern wurden aufgeführt aus den gesprengten Blöcken, auf die Kuppel ward ein eisernes Kreuz gepflanzt, über dem, in den Ost und auf das Meer sich [33] öffnendem Eingang ein Marmor eingefügt, auf welchem in Goldschrift zu lesen sind des letzten Psalms letzte Worte: »Alles was Odem hat, lobe den Herrn! Hallelujah!« So weit war das Werk gediehn. Der Körper desselben vollendet; die innere Ausrüstung nur fehlte noch. Sie fehlt noch immer. Der Krieg entbrannte. Die Feinde nahmen das Land. Die noch rückständigen Beyträge blieben aus. Unser Geld ward alle. Einstweilen ist denn doch die Gemeine gedeckt für den Nothfall. Die Vollendung harret besserer Zeiten.

Es machten aber die kirchlichen Arbeiten nur den geringern Theil meiner Berufsgeschäfte. Der Pfarrherr zu Altenkirchen ist zugleich ein Vasall der Krone. Er ist belehnt vom König mit dem Marktflecken Altenkirchen und dessen gesammtem Weichbilde, also und dergestalt, daß, einige wenige Familien ausgenommen, die als sogenannte Kronleute in der Mitte der Uebrigen in einer wahren Ecclesia pressa leben, die sämmtlichen Einwohner des Orts nach dem Ausdruck des Gesetzes »ihm zu eigen angehören sammt allen Diensten und Gerichten.« Sie wohnen auf seinem Grund und Boden; sie steuern ihm für ihre Woorthen und Gärten; sie müssen sich vergleichen mit ihm für die Verschonung mit der Leibeigenheit; sie sind ihm verpflichtet zu Hof-, Hand- und Nebendiensten. Sie sollen dem Grundherrn mit ihrem Handwerk arbeiten[34] vor andern. Auswärts zu dienen ist ihren Söhnen und Töchtern nur dann erlaubt, wenn man ihrer Dienste auf der Wedem nicht begehrt. Wozu noch kommen die Gerechtsamen des Vorkaufs, der Verläteltonne, der Abzugsgelder, des zehnten Pfennigs, und manche andre, welche sich herschreibend aus dem Zeitalter des Feudalism, theils außer Gebrauch gekommen sind, theils noch heute gelten. In Betracht so vielfältiger Beschränkungen sollte man glauben, daß die Angehörigen des Pastorats weder ihrer Personen noch ihres Eigenthums mächtig gewesen wären. Allein das Eine soll seyn, das andere ist. Auch hier bewährte sich die alte Erfahrung, daß unterm Krummstabe gut wohnen sey. Diese meine getreuen Untersassen, die ohne des Lehenträgers Wink und Willen in Folge des Gesetzes sich kaum hätten rühren sollen, gehuben und gebehrdeten sich, als die Freyesten und Ungebundensten im Lande. Sie zahlten mir, so viel ihnen gerade bequem fiel, gehorchten mir, in so weit es ihnen gut däuchte, und thaten im Grunde alles, was ihnen wohlgefiel. Es war dies Völkchen von Alters her im Ruf der Störrigkeit, Rechthaberey, Proceß- und Zanksucht; und ich muß bekennen, daß ich nur wenige frey gefunden von diesen Unarten. Die Ehezwiste, die Injurienklagen, die Streitigkeiten zumal über Scheiden und Gränzen (die verwirrtesten und unausgleichbarsten von allen) nahmen kein Ende. [35] Diese Menschen waren im Stande, um einen Pflasterstein, einen Eckpfosten, einen Düngpfuhl, der vielleicht um wenige Zolle hinausgerückt seyn mochte, zu hadern mit einer Wuth, Hartnäckigkeit und Erbitterung, als gölte es Hab' und Gut, Leib und Leben, Seel' und Seligkeit. Daß es an einzelnen rohern Naturen nicht gefehlt haben werde, an verdorbnen Hauswirthen, habituellen Trunkenbolden, an losem Gesindel endlich, das nicht abließ, sich bey uns einzunisteln, so strenge ich es auch verboten, läßt sich denken. Wenn nun an Sonn-und Feyertagen zu Abend die Schenken sich füllten; wenn bey Hochzeiten und Leichenbegängnissen die Ausrichtungen im Orte selbst gegeben wurden; in den Jahrmärkten vor allen, wenn die Bevölkerung des ganzen Landes zusammengedrängt war in einem Bezirk von wenigen Quadratruthen; so bedurfte es wirklich keiner geringen Kraft des Gleichgewichtes und der Selbstbeherrschung, um die weltliche Autorität geltend zu machen auf eine solche Weise, daß nicht etwa die geistliche Würde dadurch möchte gefährdet werden. Es war unbequem in dieser Hinsicht, obgleich in anderm Betracht wieder über die maßen erfreulich, daß es im ganzen Lande weder ein Gefängniß gab, noch einen Stockmeister, weder Schaarwächter noch auch einen einzelnen Häscher. Da nun auch die Nachbarn sich viel zu gut hielten, die Stelle der Letzten zu vertreten, so blieb, wenn es [36] etwa galt, einen Tumult zu stillen, oder einer Schlägerey zu steuern, oder einen Unruhstifter über Seite zu bringen dem geistlichen Herrn nichts übrig, als selbst Hand anzulegen, worauf denn auch die Nachbarn nicht länger Bedenken trugen, mit zuzugreifen. Es steht zu lesen in den Chroniken des Landes, daß ein Pfarrherr des siebenzehnten Jahrhunderts, der eben auch Grund-und Gerichtsherr gewesen, allzeit seinen Knotenstab mit auf die Kanzel genommen; wenn nun die Bauern unten im Schiff der Kirche allzulaut geworden, und seine mündlichen Vermahnungen nicht hätten anschlagen wollen, sey er einstweilen hinabgestiegen, habe den Frieden mit dem Stabe wieder hergestellt und sodann seinen Vortrag ruhig zu Ende gebracht. Wenig fehlte und ich wäre bisweilen in den Fall gekommen dasselbe thun zu müssen; wenn nicht in der Kirche, so doch in den Gast- und Trinkstuben. Die große Ehrerbietung, welche diesem Volke eingepflanzt ist für seine Lehrer und Seelsorger, als die ihnen eine Art geheiligter und unverletzlicher Personen zu seyn bedünken, kam mir zu statten in Fällen dieser Art. Es ist mir wohl eher begegnet, daß, wenn ich etwa plötzlich gerufen ward, um Mord und Todschlag, wie es hieß, zu steuern, und nun in die Stube trat voll taumelnder stürmischtobender Menschen, augenblicklich eine allgemeine Stille ward, die Reihen sich öffneten, demnächst hinter mir sich wieder zusammenschlossen; [37] man würde aus großer Begierde, mich zu sehn und zu hören, mit allem ersinnlichen Respect mich am Ende gar erdrückt oder erquetscht haben, wenn ich nicht die Partey ergriffen hätte, auf den Tisch zu steigen, und von solcher Tribune herab meine Mahnungen und Verweise auszuspenden. Allezeit ist mein bloßes Erscheinen hinlänglich gewesen, den Tumult zu stillen, und nie ist man auch nur mit einem Wort oder einer Gebehrde der Ehrerbietung, die man dem Seelsorger schuldig zu seyn glaubte, zu nahe getreten.

Diese Menge der weltlichen Händel diente freilich nicht, die Annehmlichkeiten meines Platzes zu erhöhen. Sie stimmten wenig zu meinem Hange zum ruhigen contemplativen Leben, und wurden überdieß für mich, was sie für meine Vorfahren gewesen, ein nieversiegender Quell des Verdrusses, der Verantwortlichkeit, und selbst des Aufwandes. Eben die Nähe und Unentgeltlichkeit der Rechtspflege reizte die Rechthaberey der Leute. Es durfte nur eine Dienstmagd eine Mezze gescholten seyn von ihrer Gesellin, so kam sie und verlangte einen Gerichtstag. Freilich schlichtete ich die meisten Händel ohne große Weitläuftigkeit unter vier oder sechs Augen. Allein ich hatte mich doch auch dabey wohl vorzusehn; zumal, wenn es Erbschichtungen galt, Auseinandersetzungen, Verträge, die das Mein und Dein betreffen, Verlassungen, Curatelen, Vormundschaften [38] und ähnliche Dinge. Wozu noch kam, daß innerhalb meines beschränkten Weichbildes, in Folge dessen, daß dreyerley Classen von Leuten darin wohnten, auch dreyerley Recht galt, Kaiserrecht Lübsches Recht, Bauerrecht; nicht zu gedenken des Herkommens, das noch ein Ueberbleibsel war des uralten Rügischen Landgebrauchs, der meines Erachtens wohl verdient hätte beybehalten zu werden, weil er, der hervorgegangen war aus der Natur des Bodens und des ihn bewohnenden Volks, zu den Oertlichkeiten am besten paßte. Bey solcher Gestalt der Dinge war mit dem schlichten Menschenverstande, und dem natürlichen Billigkeitsgefühl hier nicht immer auszureichen. Kein Rechtsgelehrter befand sich in der Nähe, den ich hätte zu Rathe ziehn können. Mein Justitiarius wohnte in Bergen, drey starke Meilen jenseit des Wassers. Keine ordentliche Post reiste zwischen dort und hier. Wohl sandten wir wöchentlich einen Fußboten hin, um Briefe und die Zeitungen abzuholen, was aber für die Bedürfnisse des Augenblicks nicht genügte. Waren die Geschäfte nun gerade nicht sehr verwickelt, so beschied ich die Parteien vor, berief ein paar verständige Nachbarn als Zeugen, dictirte das Protokoll in die Feder, dem Lehrer meiner Kinder etwa, oder dem Wundarzt des Orts, oder dem Cantor; am Ende ward das Protokoll aufgelesen, und, nachdem die Parteien dessen Richtigkeit erkannt, von mir und den Zeugen unterschrieben [39] und untersiegelt, dann aber ins Archiv gelegt, um, wenns Noth that, auf dem nächsten förmlichen Gerichtstag solennisirt zu werden. Ein solcher Gerichtstag war ein Tag großer Unruhe und nicht geringen Aufwandes. Tags vorher schon fand der Justitiarius sich ein für meine Rechnung. Die Herren des Landes, die zu Beysitzern erbeten worden, erschienen mit großem Gepräng und Gefolge. Nachdem nun die Parteyen sich eingefunden und gefrühstückt worden, ward das Gericht eröffnet. Der Grund- und Gerichtsherr präsidirte. Die Parteyen rechteten entweder in Person oder durch ihre Sachwalde. Die Beysitzer sagten ihre Meinung. Das Urtheil sprach Namens des Grundherrn der Justitiarius. Von dem Pastoratgericht galt die Berufung an das Landgericht, vom Landgericht an das Hofgericht, von diesem an das Oberappellationsgericht, von diesem an den jüngsten Tag. Mitunter haben wir die Acten auch verschickt, und die Urtheile sprechen lassen von auswärtigen Facultäten, der Rostockschen zumahl, deren Urtheile an Gründlichkeit der Motive, Schnelligkeit der Entscheidung, auch Billigkeit der Kostenrechnung nichts zu wünschen übrig ließen. Wir faßten übrigens die Gelegenheit am Schopf. Eine Menge Geschäfte wurden abgemacht an Einem und demselben Termin; und weil wir gern fertig seyn wollten, der Rechtsfreund auch selten Ueberfluß an Zeit hatte, so haben wir bisweilen [40] zu Gericht gesessen von früh zehn Uhr bis zwey Uhr nach Mitternacht; was uns schwerlich irgend ein Gerichtshof nachthun möchte im ganzen Römischen Reich. Ich kenne deren, die aus Einem solchen Termin ihrer dreissig gesponnen, und zu dreissigmalen die Sporteln sich hatten zahlen lassen. Ich meines Theils nahm keine Sporteln, und auch die Bewirthung that mir niemand gut. Zwar waren zur Entschädigung die etwa zu erlegenden Bußen- und Strafgelder mir gesetzlich zuerkannt. Allein ich hätte mich geschämt, solch Sündengeld zu nehmen. Ich steckte es in die Armenkasse, und habe das Recht gepflegt in meinem Volk sechszehn Jahre lang unparteiisch, unbeugsam und unentgeldlich.

Es war aber der Pfarrherr zu Altenkirchen nicht bloß seiner eignen Angehörigen Schiedsrichter und Berather; es hätten aus Gelegenheit der vielfältigen Verpflichtungen, worin solche mit den sämmtlichen übrigen Landeseinwohnern standen, auch diese nach und nach sich dazu gewöhnt, ihre Händel ebenfalls demselben geistlichen Richter vorzutragen, und sich zu beruhigen bey seiner Entscheidung. Seit undenklicher Zeit war die Altenkircher Wedem, wie die Leute sie nennen, das Hammonium oder Dodona des Landes gewesen. Wer nur irgend ein Anliegen hatte, wer etwa eines Rathes bedurfte, wer Fürsprache und Verwendung gebrauchte, wandte sich dorthin als[41] an die Quelle des Rechts, der Einsicht und der Hülfe. So kamen dann die Leute aus allen Gegenden des Landes. Klagende und Vertheidigende, Berichtende und Erkundigende, Hülfsbedürftige aller Art, die Geplagten und Gedrückten im Volk vor allen. Sie kamen zu allen Stunden des Tages, frühe, wenn ich mich so eben an den Schreibtisch gesetzt, Mittags, wenn ich mit den Meinigen über Tische saß, Abends, wenn ich etwa eben hatte anspannen lassen, um durch eine Spatzierfahrt an das Ufer mich zu erheitern; am häufigsten freilich dann, wann ich der Besuche mich am liebsten hätte überhoben gesehn, Sonnabends nämlich vor und und nach der Beichte, und Sonntags zwischen den Gottesdiensten. Wohl war mir eingefallen Anfangs, die Besuchenden zu beschränken auf gewisse Stunden des Tags, wo ich allen und jedem zugänglich seyn wolle, außer solchen aber nur dem, der meiner dringend bedurfte. In Erwägung jedoch, daß einem jeden sein Fall der dringendste bedünkt, und daß, welche Stunden mir die bequemsten wären, jenen leichtlich am wenigsten bequem seyn möchten, unterließ ich dieses. Zu rechter Zeit noch ward ich inne, daß meine Leute sich angewöhnt hatten, wenn nach ihrer Meinung des Ueberlaufens allzu viel wurde, die Kommenden fortzuschicken eignen Geheißes und nicht allzufreundlich, vorwendend, ich speise, oder ruhe, oder studire. Ich untersagte dies aufs ernstlichste; und indem ich mir einfür [42] allemal zum Grundsatz machte, keinen abzuweisen, jeden vorzulassen augenblicklich, abzumachen, was es irgend vertrug, auf der Stelle, nichts, was sofort entschieden werden konnte, zu vertagen, errang ich es, daß ich nicht nur zu allem, was vorfiel, Zeit gewann, sondern daß mir auch noch Muße übrig blieb zu Geschäften, die meiner Stimmung freilich inniger zusagten.

Von welcher Art diese letztern gewesen, daß ich Raum zu gewinnen gewußt, aller Abrufungen und Zerstreuungen ohngeachtet, nicht nur zu Fortsetzung und Erweiterung meiner Studien, sondern auch zur eignen Hervorbringung, beweisen die zahlreichen Schriftstellerarbeiten, die ich während meiner Rügischen Abgeschlossenheit zu Tage gefördert habe; Uebersetzungen die einen, eigne Erzeugnisse die andern; Werke mannigfaltigen Stoffs und Inhalts, theologische, philosophische, historische, philologische, am meisten freilich solche, die das dichtende Vermögen beschäftigen, und die Welt der Fantasie berühren. Es gab nämlich außer den einzelnen freyern Stunden, die ich jeden Tag mir zu sparen wußte, auch noch gewisse ruhigere Zeiten im Jahre, wo mir frey stand, mir selbst und meinem Genius ungestörter zu leben. Eine solche war die schöne Zeit der Ernte, wo alles in den Feldern lebte, und die Geschäfte anderer Art indessen ruhten; eine solche auch die Tiefe des Winters, wo die Strenge des Frostes die Leute in den Häusern hielt,[43] wo Schnee und Eis die Verbindungen erschwerten, wo, auch hiervon abgesehen, die Kürze des Tags die Besuchenden auf wenige Stunden beschränkte, also daß die langen Morgen und die noch längeren Abende mir gänzlich zu Gebote standen. Wer aber hat sich wohl nicht aufgeregt gefühlt, durch die begeisternde Stille der winterlichen Frühstunden, gegenüber der erquickenden Flamme im sanfterwärmten und beleuchtetem Gemach, während draußen der Schneesturm heult, und durch die noch schwarze Nacht die Raben kreischend fliegen! Wer wird nicht zurückgedrängt in sein Inneres durch das Enge, Bange, Beklemmende, was der winterlichen Jahrszeit eigen ist, durch die Abgestorbenheit der Natur selber, und das Ermatten des sinnlichen Lebens. Ich meines Theils fühlte erwachen in dieser Stille, in diesem Schweigen, während dieser feyervollen Ruhe alle schlafende Kräfte meines Geistes. Unwillkührlich tauchten die Schöpfungen herauf aus dem Abgrund des Innern. Wollte ich mich retten vor den mich verfolgenden Bildern, wollte ich Ruhe gewinnen vor der Gewalt der Erscheinungen, so mußte ich sie bannen durch Wort und Maß; oder ich wäre erlegen dem würgerischen Drang und der ungeletzten Sehnsucht.

Hat nämlich jemals jemand aus innerer Nothwendigkeit gedichtet, so ist es der Verfasser dieses Buchs. Ich bin geboren und aufgewachsen in einer Gegend unsers [44] deutschen Vaterlandes, die mehr das materielle Leben zu begünstigen taugt, als das ideale. Man hat mich großgefüttert mit schlichter hausbackener Prosa. Von den Menschen, die mich umgaben, war keiner jemals vom heiligen Geist der Dichtkunst angeblasen worden. Auch späterhin sind meine Lebensverhältnisse meistens solche gewesen, die mehr gedient, die geistigen Fittige zu lähmen und zu fesseln, als sie zu lösen und zu stärken. Es fehlten mir die Muster. Es mangelten die Mitbeeiferer. Es gebrach an jedem Anstoß von Außen. Selbst die Alten habe ich viel später gelesen, als es zu geschehen pflegt; Homer im zwey und zwanzigsten Jahr, Shakespear, Milton, Tasso und die andern noch später. Desto früher freilich die Bibel und den Kaiser Octavian! Diese haben die Fantasie des Knaben aufgeregt. Den Sinn für Wohllaut, Maß und Rhythmus weckten mir die alten Kirchengesänge, die Romanzen, welche die Mägde sangen, wenn sie spannen oder melkten, demnächst die pathetischen Helden- und Trauergesänge der unvergleichlichenAsiatischen Banise, oder des blutigen und muthigen Pegu. Wenn ich noch jetzt mir wiederhole des sterbenden Prinzen heroischen Todesgesang: Ich sterbe, Weil das Verhängniß spricht! Die Gruft ist Thron und Erbe. Ich sterbe! und den noch schönern Schwangesang der untergehenden Banise; jenen rührenden Anfang zumal: Sollen [45] nur die grünen Jahre Und der Unschuld Perlenkleid Auf die schwarze Todtenbaare In die dunkle Ewigkeit; so stürzen noch itzt nach fast funfzig Jahren dieselbigen bittersüßen Thränen mir in das Auge, von welchen ich überschwemmt, gebadet, fast ertränkt mich fühlte, als diese melodischen Töne, in welchen zugleich die wahrsten Empfindungen und die würdigsten Gesinnungen ausgesprochen wurden, das erstemal mein inneres Ohr berührten. So hat denn der überaus absprechenden Umgebungen ohngeachtet, der göttliche Funke gleichwohl frühe in mir gezündet, und alle Wasserfluthen, welche die Prosa späterer gleich ungünstiger Lebenslagen auf ihn herabzustürzen, nimmer aufgehört, haben ihn weder auszulöschen, noch zu dämpfen vermocht. Wie schildert doch der nun auch hinübergegangne, aber uns unvergeßlicheWandsbecker Bote uns seinen Dichter: »Ich stelle mir den Dichter vor, schreibt er, als einen schönen weichherzigen Jüngling, der zu gewissen Zeiten plethorisch wird, so desperat, als wenn unser einen der Nachtmoor reitet; und dann tritt ein Fieber ein, das den schönen weichherzigen Jüngling heiß und krank macht, bis sich die Materia peccans in eine Ode, Elegie oder deß etwas secernirt, und wer ihm zu nah kömmt, wird angesteckt ....« Dieser Jüngling war ich. Man darf nur lesen die Melancholieen, die Thränen und Wonnen, die Naturgesänge zumal [46] und die Darstellungen innerer Zustände; und man wird wehmüthig lächeln der gewaltsamen Anstrengungen, womit der tiefbewegte Jüngling sich auszusprechen strebt, wie er sich zerarbeitet, los zu werden des Drangs, der ihn quält, und die in seinem Innern gährende Welt zu gestalten und zu bilden.


Vereidet keiner Schule, keiner Rotte

Verkauft um schnöden Hohn und feiles Lob,

Gehorchend einzig dem gewalt'gen Gotte,

Wagt' ich zu singen, was die Brust mir hob.

Die Katarakte schoß den Felshang nieder;

Rauh klangen, herzlich doch des Jünglings Lieder.


Gezündet durch das Heilige und Hohe

Entstoben Funken der verborgnen Glut;

Das Schlechte nur, das Niedrige und Rohe

Verschmähte zürnend die geweihte Wut.

Ich sang die Liebe meiner Rosenjugend,

Gott, die Natur, die Schönheit und die Tugend. 3


Aber auch späterhin, auch in den Jahren der Reflexion und der Besonnenheit habe ich gedichtet nur dann, wenn ich es nicht lassen konnte. Des Ehrensoldes der Buchhändler bedurfte ich nicht. Eine lästige Celebrität mir zu ersingen, lockte mich nicht. Die Langeweile mir zu kürzen, schreibend oder hervorbringend, that auch nicht noth, da die Beschäftigungen andrer [47] Art mir nicht fehlten. Ich dichtete, weil ich nicht umhin konnte, also zu thun; weil die mich treibende Unruh nicht anders beschwichtigt, die in mir lechzende Sehnsucht nicht anders geletzt werden konnte, als durch die Hervorbringung eines Dichterwerks. Der Gedanke zu einem solchen kam mir, wie durch Eingebung. Das Ganze stand vor mir Eines Schlages. Die Personen, wie sie leibten und lebten, die Handlung, wie sie stund und ging, die Orte, die Zeiten, die Umgebung, es machte sich alles von selbst. Einzelne Massen traten hervor aus dem Ganzen; Partien, die ihrer Natur nach erst später erscheinen durften, drängten sich bisweilen in den Vordergrund, und mußten beseitigt seyn, ehe mir vergönnt ward das Frühere nachzuholen. Da nun auch die Maße und Rhythmen sich gar willig fugten, da ganze Reihenfolgen von Versen zugleich mir vor die Seele traten, so hatte ich die äußerste Noth nur, alles niederzuschreiben; fest zuhalten, was mir durch die Seele blitzte, und was zu verschwinden drohte, ehe ich Zeit gewonnen, es zu fixiren. Auch vermochte ich weder zu essen noch zu schlafen in solchen Zuständen. Ich war abwesend in der Mitte der Meinigen, und der uns etwa besuchenden Fremden. Ich fuhr fort zu dichten wachend und träumend, während der Mahlzeiten, während der gesellschaftlichen Unterhaltungen, und während der kirchlichen Verrichtungen selber. So istJucunde geworden. So die [48] Inselfahrt. So auch die romantischen Dichtungen, sammt neun Zehentheilen der lyrischen Gesänge.


Eine Folge dieser Art zu arbeiten war, daß ich allzuschnell nur fertig ward. Die fünf Eklogen der Jucunde sind in eben so vielen Tagen entstanden; die sechs der Inselfahrt in nicht mehrern. Ida von Plessen ist innerhalb funfzehn Tagen geschrieben. Halb so lange hat Bianca del Giglio mich beschäftigt; etwas länger Adele Cameron. Ida von Plessen ist, wie im Rausche gedichtet. Bianca, heilige Begeisterung athmend, bedarf nur einiger Nachhülfe, um unter den romantischen Kunstwerken der Nation eine ehrenvolle Stelle einzunehmen. Adele, überlegen ihren Schwestern, was die Ruhe und Selbstbesonnenheit anlangt, weicht ihnen gleichwohl nicht an inniger Empfindung und Lebendigkeit der Fantasie. Ich hatte einen vollständigen Cyclus solcher Dichtungen entworfen, worin ich nach und nach die mannichfaltigen Erweisungen unsers tiefsten und edelsten Gefühls darzustellen dachte. Nur drey davon sind erschienen; Ida, deren Thema die Liebe der Natur ist; Bianca, welche die Liebe der Gottheit darstellt; Adele, welche die Liebe der Heimath schildert. Guy und Yseule, die bräutliche Liebe zu malen bestimmt, und in der Zeit der Kreuzzüge spielend, sind unvollendet geblieben; [49] ungeboren die beyden rückständigen, in welchen ich die kindliche Liebe und zuletzt die Freundschaft zu verherrlichen mir vorgenommen. Das Verhängniß, das meinen ganzen Lebensgang aus seinen Gleisen warf, hat auch diesen Kranz zerrissen.


Aber auch das folgte aus der Art und Weise, wie ich zum Dichten aufgeregt wurde, und aus der Willkührlosigkeit, womit ich dem mich leitenden Genius mich überließ, daß, wenn nun das Werk vollendet war, ich mich nicht weiter darum bekümmerte. Vorzunehmen hinterher das Ganze, es zu berichtigen und daran zu bessern, zu streichen, zu ergänzen, zu brauchen die Feile und den Bimsstein, war mir nicht gemüthlich. Zufrieden, das Gleichgewicht in meinem Innern wieder hergestellt zu sehn, legte ich hin, was ich hervorgebracht und ließ es ruhen. Es sofort gedruckt zu sehen, drängte mich im geringsten nichts. Nicht eher, als wenn etwa irgend einer von Deutschlands dreyhundert Buchhändlern bey mir anfragte, ob ich ihm nicht einige Handschrift zu überlassen habe, fiel mir ein, meine Vorräthe zu mustern. Ich gab dann hin, was ich gerade vorfand, und um den Preis, der mir gerade geboten wurde. Um die Aufnahme des Werks sorgte ich nicht sonderlich. Die Literatur-Zeitungen las ich nicht, habe auch von den Urtheilen der Kunstrichter, die meistens ungünstig ausgefallen, [50] auch in Betracht der gänzlichen Vernachlässigung aller Correctheit, die ich mir zu Schulden kommen lassen, nicht füglich anders ausfallen konnten (Schiller und Herder haben nicht aufgehört, deshalb mit mir zu keifen, so wie früherhin Boje und Bürger; allein es half blutwenig), gemeiniglich erst lange nachher, und zu einer Zeit gehört, wo es längst zu spät gewesen, ihre Weisungen zu benutzen. Aus den wiederholten Auflagen, die mir abgefodert wurden, so wie aus den stufenweise gesteigerten Honorarien, welche mir die Buchhändler boten, konnte ich gleichwohl abnehmen, daß meine Schriften gelesen wurden. Es ward mir bestätigt durch die Briefe, womit ich erfreuet wurde von lieben Unbekannten aus der Nähe und Ferne. Die mit jedem Jahr sich mehrenden Besuche wackerer und zum Theil vortreflicher Menschen, so Frauen als Männer, aus allen Strichen Deutschlands, liessen mich nicht daran zweifeln.


Diese Besuche entschädigten uns in der schönen Jahrszeit für die lange und strenge Abgeschlossenheit unsrer Winter. Von Pfingsten bis zum Spätherbst war unsre Insel übersäet mit Reisenden und Pilgern, welche zu uns hergezogen worden durch mancherley Motive, und zu mancherley Zwecken. Die Einen kamen, das Land zu sehn, die andern die Menschen, die im Lande wohnten. Die Einen fühlten sich angelockt[51] durch die romantische Natur unsrer Siten, die andern durch die geologische und antiquarische Merkwürdigkeit des Eilands. Die neugestiftete Brunnen- und Badeanstalt zu Sagard auf Jasmund vermehrte den Zuspruch. Auch die Nähe des Dobberaner Seebades half dazu, indem viele der dort Badenden nach geendigter Curzeit einen sogenannten Abstecher machten, um doch auch einmal die Insel Rügen zu sehn. Durch die Umgebung des Meers, das von allen Seiten in das Land hineintritt, dasselbe in eine Menge Inseln und Halbinseln zerschneidet, und überall Erdzungen, Meerengen, größere und kleinere Busen und Buchten bildet, gewinnt unser sonst schlichtes und meistens flaches Eyland, das, wenn es auf das Pittoreske und Romantische ankommt, sich im Geringsten nicht messen darf mit den Rhein- und Elbgegenden, weniger noch mit Deutschlands südlichen Paradiesen, in der That einen ganz eigenthümlichen Charakter, also daß Reisende, die ganz Europa gesehn, mich versichert haben, es sey ihnen bey uns zu Muthe gewesen, wie nirgend, und sie würden von unsern Buchten, Ufern und Ansichten einen unauslöschlichen Eindruck mit von hinnen nehmen. Putbus, der Rugard, die Prora, der Herthawald, die Stubbenkammer, Arkona waren die Punkte, die gewöhnlich bereiset wurden, wogegen die Halbinsel Mönchgut, und die Insel Hiddensee, welche gleichwohl ebenfalls einer ganz abweichenden und ihnen [52] eigenthümlichen Natur sich erfreuen, meistens vernachlässigt blieben. Von Arkona aus ward dann gewöhnlich eingesprochen in unsrer stillen Wohnung; man ruhte unter unsern Bäumen; man lustwandelte in unsern Gärten; man erquickte sich an unserm harmlosen Seyn, und freute sich unsrer idyllischen Lebensweise. So sind Fremde bey uns gewesen aus allen Gegenden Deutschlands, am meisten aus Meklenburg, Holstein, Preussen, Sachsen, Schlesien und Lausitz; aus Berlin, Hamburg, Dresden, Breslau; weniger aus dem Süden und vom Rhein her; Menschen jeden Standes und Berufes, Dichter und Künstler, Kaufmann und Krämer, Priester und Levit, Schriftsteller, Kriegsmänner, Feldherren, Prinzen. Die Besuche mehrten sich mit jedem Jahr und wurden zumal häufig in denen Sommern, welche zunächst vorausgingen dem Umsturz unsers und des allgemeinen Wohlstandes. Ich erinnere mich einzelner Tage, wo die reisenden Caravanen einander drängten, wo die erste kaum Abschied genommen, als die zweyte, dritte und vierte sich schon wieder melden liessen, wo nicht bloß unsre Wohnung, wo auch die Gärten und das ganze Gehöft wimmelten von Fremden, die sich zusammentrafen in meinem entlegenen und demüthigen Landsitz aus Deutschlands veschiedenartigsten Provinzen; also daß ich manchem mich überall nicht habe mittheilen können, manche davon gereiset sind, ohne daß ihr Name mir bekannt geworden, [53] oder ein dauerndes Bild von ihnen mir geblieben wäre. Mit vielen edlen Menschen bin ich in Folge dieser anmuthigen Zusprechungen verbunden worden durch die Bande der Gastfreundschaft und wechselseitiger Achtung, welche zu zerreissen weder der Wuth des Parteygeistes bis itzt gelungen ist, noch wird solches in Zukunft gelingen den Lästerungen, welche fanatisirte Afterredner gegen mich auszuschäumen sich immerfort erfrechen. Denn eben zu diesem Zwecke wird dieses Buch geschrieben.

Fußnoten

1 Dieser meiner Erfahrungen mich erinnernd, schrieb ich an den berühmtesten Kanzelredner unsers Landes das Gedicht, was man finden wird unter den Beylagen dieses Buchs. (No. 5.) Ohne allen Zweifel sind diejenigen die rechten Prediger, welche vergessen werden über der Predigt selber. Nicht die sind es, welche den Hörenden hinreissen, zur Bewunderung ihres Talentes und ihrer Kunst, ihrer Diction, Action und Declamation; sondern, welche ihn an die Brust schlagen machen und sprechen: Gott sey mir Sünder gnädig! oder: O Abgrund der Erbarmungen Gottes! oder: Ich glaube Herr; hilf du meinem Unglauben; oder: Amen, ja! komm Herr Jesu! ... Jenes Gedicht übrigens hat um mich her nur Kopfschütteln hervorgebracht, oder Achselzucken, oder stummes Befremden. Ein Einziger nur ist gekommen, sobald er es gelesen, und hat mir mit Innigkeit dafür die Hand gedrückt. Von denen aber, die draussen sind, (wie wir zu reden pflegen; wiewohl ihrer Manche dem Allerheiligsten leichtlich näher stehen dürften, als die sich drinnen wähnen) hat eine ganze höchst verehrungswürdige Kirche mir ihre Zufriedenheit mit demselben bezeugen lassen durch einen ihrer Boten.

2 Freilich aber sind es auch nur die eigenen Empfindungen, welche, »dem ehrwürdigen Pfarrer vonMedow« da er nun auf demselben Platze den Mund aufthun soll, von mir in die Seele gelegt werden, im dritten Gesange der Jucunde:

Aber als jetzt der Gesang erstummt' und Schweigen im Thal war,

Als von dem Sitz sich erhob der andachttrunkene Lehrer,

Als er gedrängt umher wahrnahm die lauschenden Scharen,

Als er senkte den Blick zum Thal hinaus in den Osten,

Als er gewahrte die Hütten des Dorfs zerstreut in der Strandschlucht,

Ueber die Schlucht hinaus des Golf wildtobende Fluten

Jenseit des tobenden Golf blaudämmernd Jasmund Gestade;

Als er schaut' umher die prangenden Häupter der Berge,

Ueber den Häuptern der prangenden Höhn des wölbenden Himmels

Lautern Lasur, durchflammt von der Sonn' unendlichem Glutball;

Als er vernahm zugleich das Rauschen der See und der Brandung

Dumpfes Geläut, durchbrüllt vom Gewieher der Roß' und der Rinder ...

Schlug ihm das Herz in beklommener Brust. Es versagte die Kraft ihm

Den zu loben, ein sündiger Mensch, mit stammelnder Zunge

Welchen gewaltiger schon der erschütternde Psalm der Natur preis.

Doch er ermannte sich, und sprach die geflügelten Worte u.s.w.

Dichtungen B. 1. S. 136 etc.

3 Dichtungen, Band VI. Seite 9.

2. Buch

[54] Zweytes Buch.
Die Geschichte des funfzigsten Lebensjahrs.

[55] [57]Sechszehn Jahre waren auf diese Weise dahin geflossen, ähnlich, um eines zwar verbrauchten aber durch kein treffenderes zu ersetzenden Bildes mich zu bedienen, einem Bache, der auf reinem Kieselgrunde zwischen duftenden Blumen und säuselndem Schilfrohr geräuschlos hinabrieselt. Einen einigen großen Schmerz nur hatte der Unerforschliche über mich und mein Haus verhängt, während eines so beträchtlichen Zeitraums. Von vier Kindern, die uns waren geboren worden in unsrer zweyten Heimat (Allwinen, unsre Erstgeborne, hatten wir mit herübergebracht aus der frühern) gefiel es dem, der sie gegeben, uns zweene wieder zu nehmen, das zweyte und das dritte in der Ordnung. O Julie, holdseliges ahnungsvolles Wesen, wie könnt' ich dein vergessen .... Und dein, mein Karl, mein Ebenbild, Sohn meines Herzens, in dessen dunkeln Augen eine Flamme der Begeisterung brannte, mit welcher verglichen, wenn ihr vergönnt worden wäre aufzulodern, diejenige deines Vaters nur gleich einer matten Lohe geglommen hätte .... Zwey und dreissig Monden hatte unsre Julie gelebt zur Freude der Menschen und der Engel. Da erkrankte sie ... [57] weissagte, daß nun die schwarzen Männer sie von hinnen tragen würden ... redete, einer Entzückten oder Traumwandelnden gleich, von einem schönen großen Hause, das ihr angehöre und wohin sie ziehen wolle, jenseit der großen Gewässer. Bis zum vierten Morgen lag sie schmachtend; einmal noch schlug sie auf die schweren Wimper, um die Blumen zu sehn, die Erstlinge des Frühlings, die ich über ihres Lagers weiße Decken gebreitet. Itzt, sprach sie, werde es besser werden, lächelte süß, schloß die schönen Augen, und verschied ... Am ein und zwanzigsten Tag starb auch der Bruder. Acht Monden nur hatte dieser gelebt, die acht trüben frostigen Monden eines einzigen Winters ... O Dunkelheit des menschlichen Looses! ... Nein es gibt, es gibt dennoch ein zweytes Daseyn! ein ersetzendes, entfaltendes, vollendendes!


Ihr Guten und Weisen und Reinen,

Ihr Seelen ohne Schuld und ohne Freude,

Ihr Gebrochnen in der Knospe, ihr Erstickten in der Blüte

Ihr bürget, wer wir seyn, und wer wir werden. 1


Eben aber die Gräber meiner Kinder dienten, mich nur noch inniger an den Ort zu fesseln, welchen die Vorsehung mir angewiesen hatte zur Wahlstatt [58] meines Wirkens und Leidens. In der That hatte ich seit geraumer Zeit allen Gedanken an eine Veränderung meiner Lage entsagt. Mehrere bedeutende Anträge, die zumal in den ersten Jahren meiner dermaligen Amtsführung aus dem Auslande an mich ergingen, waren von mir abgelehnt worden. Was hätte mich denn bewegen sollen, jetzt, da der Mittag meines Lebens vorüber war, meine jetzige Lage zu vertauschen mit einer andern, die auf jeden Fall weder ruhiger noch würdiger ausfallen konnte, als jene, worin ich bis jetzt mir so sehr gefallen. Eines sorgenlosen Auskommens genoß ich. Von zeitlicher bürgerlicher Ehre war mir mehr zu Theil geworden, als ich bedurfte, seit der König mir aus eigner Bewegung die bis itzt in unsern Landen nicht gewöhnliche Würde seines Consistorial-Raths und zugleich mit ihr die des ersten Geistlichen in Rügen verliehen hatte. Des Zutrauens und der Zufriedenheit meiner Gemeindegenossen war ich versichert. Die Kinder, die mir Gott gelassen, liessen hoffen, in Betracht ihrer schönen Anlagen und seltnen Talente, daß ich nur Ehre und Freude an ihnen erleben würde. Meine Tage flossen dahin, getheilt zwischen belohnenden Mühen und unschuldigen Erheiterungen. Ich glaubte mich gedeckt gegen die Stürme des Lebens; und o wie oft wenn ich in der Dämmerung unter den Pappeln und Espen meines Kirchhofs wandelte, unfern des geweiheten Erdreichs, [59] in welchem meine Kinder ruhten, und wo auch ich von des Lebens Mühen dereinstens auszuruhen hofte, habe ich mit dem Psalmdichter gesprochen: »Hie sey meine Ruhe ewiglich! Hie will ich wohnen und bleiben, denn es gefällt mir wohl!«

Zwar Europa war umgewälzt worden in seinem ganzen Umfange, gerade seit den sechszehn Jahren, wo ich sammt den Meinen in diesen Winkel der Welt mich geflüchtet hatte Der majestätische, aber längst untergrabne Prachtbau des heiligen Römischen Reichs war erschüttert worden in seinen Grundfesten. Aus allen Richtungen schollen die Zeitungen zu uns herüber von länderverwüstenden Kriegen, von Schlachten, darin ganze Generationen waren abgemähet worden, von gestürzten Thronen, untergegangenen Reichen, im Elend umherwandelnden Königen und Königskindern. Mitten in der allgemeinen Erschütterung glaubten wir allein einen Frey- und Schutzbrief gewonnen zu haben, der uns sicherte gegen die Drangsale der Zeit. Wir hielten uns gedeckt vor allen Stürmen in unsrer Ferne und Enge. Nicht möglich schien es uns, daß unsre stille Insel jemals ähnlicher Zerrüttungen Tummelplatz werden könne. Wie sehr irrten wir! Wir sollten es erleben, und binnen kurzem, daß Rügen, gerade Rügen heimgesucht und überschwemmet würde, fast von allen kriegenden Völkern Europens: Russen, Preussen, Schweden, Dänen, Engländer, Holländer, [60] Franzosen, Spanier, Italier, Polen, alle Völker endlich des Rheinbundes sollten uns drängen; die Oesterreicher nur und die Türken sollten fehlen.

Schon die wachsende Erbitterung unsers Königs gegen den welterschütternden Eroberer des Tages hätte uns können ahnen lassen, was folgen müsse. Nachdem Letzterer die feindliche Stellung des Erstern lange genug nicht zu kennen, sich angestellt, konnte der wirkliche Ausbruch der Feindseligkeiten auf die Länge nicht weiter verhütet werden. Zum dritten Mal erschien Gustav Adolf in seinen deutschen Staaten, diesmal als Heerführer und als Krieger. Die einstweilige schwüle Stille, die dem Losbrechen des Gewitters vorausging, benutzte der zwar wohlmeinende und Gutes beabsichtigende König, der aber groß gesäugt worden in den Grundsätzen einer schrankenlosen Willkühr, die Verfassung unsrer Provinz umzustürzen, unsre Regierung zu entlassen, unsre Stände zu vernichten, dagegen einen Satrapen uns zu setzen, in dessen Person sich concentriren sollte die ganze ausübende Gewalt des Landes. Manches Löbliche ward beschlossen allerdings. Die Leibeigenheit, das Brandmal des Staates, ward getilgt; die Patrimonialgerichte wurden gestrichen; dem Landbau und der Schifffahrt sollte aufgeholfen, auch der Religiosität, oder wenn nicht dieser, so doch ihrer Hülse, dem Kirchenthum ein neues Leben gegeben werden. Allein auch das Löbliche ward scheltenswürdig [61] durch die Willkühr, gehässig durch die Rücksichtlosigkeit, womit es sollte durchgesetzt werden. Daß unter solchen Umständen auch der Clerus nicht wenig werde gefährdet worden seyn in seinen wohlhergebrachten Freyheiten und Gerechtsamen, läßt sich erachten. Mancherley Arbeiten wurden uns aufgebürdet, welche fremd waren unserm Beruf, und unverträglich mit dessen Würde. Jene heillose, alles erspähende, alles rubricirende, alles unter den Calcul ziehende Tabellenpedanterey, die bisher in den Schwedischen Landen obgewaltet, sollte nun auch in unsrer Provinz eingeführt werden, und wem hätte man die nutzloseste und gehässigste aller Plackereien aufschultern sollen, als den Predigern, die in Folge deren nicht nur in manche verdrießliche Reibung mit ihren Gemeindgenossen geriethen, als welche dieses unverschämte Erkundschaften aller ihrer Umstände zum äußersten verabscheun, sondern von nun an auch manche edle unschätzbare Stunde verschwenden mußten, um Buch zu halten, nicht etwa über die menschlichen Seelen, die innerhalb ihrer Sprengel ans Licht gefördert worden; sondern über Rind und Roß, Bock und Schaaf, über jede trächtige Sau, jede Brutgans und jeden Bienenschwarm; demnächst über jeden Scheffel Getreides, der in den Acker fiel, und wiederum über jeden, der davon eingeerntet wurde. Mißlicher noch ward des Clerus Lage, als eine Landwehr ausgehoben, und zu deren Behuf eine Art von Conscription eingeführt[62] ward, da dann das feindseligste und abschreckendste aller Geschäfte gerade denen aufgebürdet wurde, welche berufen worden, als Tröster nur, und als Friedensboten in den Hütten der Armen zu erscheinen. Zum Ersatz für so manche Herabwürdigung ward uns die Landstandschaft aufgedrungen, welche nur dazu dienen konnte, uns desto tiefer in die weltlichen Händel zu verwickeln. Es wurden dem zu Folge Männer erwählt, welche uns vertreten sollten auf dem Landtag, der zu Begründung einer neuen Constitution (so glaubten wir) nach Greifswald zusammen berufen worden. Ich meines Theils befand mich nicht unter den Erwählten. Um jedoch, so viel an mir war, mitzuwirken, daß über dem Zeitlichen das Ewige nicht gar vergessen würde, schrieb ich einige mahnende Worte: An die Erwählten des zweyten Standes, die dann auch des Königs Beyfall erhielten, und auf seinen Befehl auf dem Landtag vertheilt wurden. 2 Auch den Katechismus des Erzbischofs Olaf Suebilius, welcher bestimmt war, von nun an ausschließend als Leitfaden gebraucht zu werden beym Religionsunterricht der Jugend unsers Volks, habe ich übersetzt in diesen Tagen, getreu dem Sinn, weniger ängstlich besorgt um den Buchstab und die Worte.

[63] Ich überreichte diese Arbeit dem König, der sie mit Güte aufnahm, versichernd, daß solche sofort dem Erzbischof von Upsala sollte zugesendet werden, welchem als dem obersten Priester des Reiches zukomme das Werk zu prüfen, und sein Urtheil darüber abzugeben. 3

Inzwischen war an jenem verhängnißvollen vierzehnten October der erschütternde Schlag erfolgt, in dessen Folge die von dem zweyten großen Friedrich mit sechs und vierzigjähriger Arbeit aufgeführte Monarchie innerhalb kaum so vieler Tage zusammenstürzte, freilich nur, um nach einer kurzen Frist der Prüfung und der Läuterung aus ihrer Asche wieder hervorzugrünen, ein neuverjüngter sonnanstrebender Adler. Mit reissendem Ungestüm ward binnen wenig Wochen die Hälfte des Reiches erobert. Schon stand der Feind an unsern Gränzen. Streifende Rotten brachen in das Land, plünderten auf den Dörfern und brandschazten selbst bedeutendere Städte. Immer ängstender und beklemmender ward unsre Lage. Der König war mit dem Eintritt des Herbstes in sein Reich zurückgekehrt, und die Kriegesvölker, die er uns zurückgelassen, wurden nicht einmal stark genug geachtet, [64] auf den Fall eines ernsthaften Angrifs, die Festung gebührend zu vertheidigen, geschweige die Gränze zu decken. Unter bangen Besorgnissen verstrich der melancholische November. Im December starb mein hochbejahrter Gehülfe, nachdem er Sonntags vorher noch zugleich mit mir das erneute Kirchenjahr begrüßt, auch aus Gelegenheit des Adventtextes über Pauli Worte gepredigt hatte: »Sintemahl unser Heil jetzt näher ist, denn da wirs glaubten.« Er war mir freilich wenig hülfreich mehr gewesen seit den letzten Jahren; doch hatte er die pur mechanischen Geschäfte noch verrichtet, das Begleiten der Leichen z.B. und die Diaconalien am Altar, deren ich dann von nun an selbst wahrnehmen mußte. Die Besetzung des Diaconats ist lediglich dem Pastor heimgestellt, welcher, wann er eines Gehülfen zu bedürfen glaubt, nach einem tüchtigen Mann sich umsieht, selbigen dem Generalsuperintendenten vorstellt, und nachdem er von diesem geprüft, gebilligt und ordinirt worden, ihm die Vocation ertheilt, auch selbst bey der Gemeinde ihn einführt, und matrikelmäßig salarirt. Ich beschloß, die so mißliche Wiederbesetzung nicht zu übereilen, mithin das Amt einstweilen allein zu verwalten, was mir dann auch nicht schwer ward, vielmehr jene überweltliche Stimmung, in welcher das Gemüth des Predigers sich allewege befinden soll, auf immer gleicher Höhe zu erhalten diente.

Mittlerweile fuhren die Feinde fort, sowohl die [65] östliche als die westliche Gränze unsres Landes zu bedrohen. Da uns jedoch nicht unbekannt geblieben, daß zwischen dem feindlichen Feldherrn und dem der Unsern fortwährend unterhandelt werde, da versichert wurde, daß Ersterer bey Todesstrafe verboten habe, über die Peene zu gehn, da nicht wahrscheinlich war, daß Napoleon, im Begriff, gegen den mächtigsten und furchtbarsten seiner Gegner in das Feld zu ziehn, den Widersacher im Rücken ohne Noth reizen werde; so fingen wir unsers Ortes an, Besseres zu hoffen, und in Pommern zumal war man eines Angriffs so wenig vermuthend, daß der oberste Befehlshaber fern von seinem Posten sich auf der wilden Schweinsjagd befand, während der Uebergang erfolgte, und nur kaum noch Zeit gewann, sich in die Festung zu werfen. Schon mit dem Abend des folgenden Tages wurden wir geschreckt auf unserm entlegenen Lande, durch die betäubende Zeitung: daß der Feind über die Gränze gebrochen, das offne Land überschwemmt, Greifswald mit dem Degen in der Faust genommen, und bereits unter den Wällen von Stralsund gelagert wäre; daß dreytausend Mann befehligt seyn, Rügen zu nehmen, und nur den Augenblick erwarten, wo das Eis, das angefangen unsre Gewässer zu decken, stark genug seyn würde, den Uebergang zu verstatten. Schauderhafte Geschichten wurden erzählt zugleich, wie das Land mit Feuer und Schwert verwüstet, die Dörfer [66] geplündert, die Wohnungen ausgeraubt, die Menschen gemißhandelt, Frauen und Mägdlein mit fortgeschleppt würden in das Lager. In der That sahen wir, so wie es dunkel ward, den Himmel geröthet in der Gegend von Stralsund, was freilich nur vom Wiederschein der Lagerfeuer herrührte, was aber niemand ermangelte auf die brennenden Häuser und Hütten zu beziehn. Da bemächtigten sich Angst und Entsetzen aller Gemüther. Keiner war vorhanden unter uns allen, der den Krieg anderswoher kannte, als aus den Historienbüchern, ingleichen aus den Erzählungen unserer Alten, die dann wieder nur davon reden gehört ihre Aeltern und Großältern. Denn seit Karl des Zwölften Zeiten hatten keine feindlichen Völker auch nur den Boden unsrer Insel berührt; kein Bajonet ward bey uns gesehn; kein Trommelschlag gehört; fiel einmal ein Schuß, so galt es einem Hasen oder einem Habicht. Um so ängstender traf uns der Gedanke, daß das Furchtbarste alles Furchtbaren, daß die Landplage und Gottesstrafe des Krieges nun auch von uns erprobet werden solle. Wir standen in der Mitte des Januar. Der Winter, der bis dahin ungewöhnlich milde gewesen, hatte angefangen, einen strengen Charakter anzunehmen. Unsre Gewässer befanden sich auf dem Punkt, aus dem flüssigen Zustande überzugehn in den festen. Nur noch vier und zwanzig Stunden brauchte der Frost anzuhalten, um die Brücke [67] war geschlagen, und auch unsre Insel ward ein Raub des Feindes. Bey solcher Gestalt der Sachen glaubte ein jeder bedacht seyn zu müssen auf die Rettung dessen, was ihm das Liebste war, der Seele, der Habe, der Frauen und der Kinder. Die Einen warfen sich in das Gebet; die andern gaben Almosen; mancher armer Sünder schlug in sich, und hätte sich gern Eines Schlages bekehrt, wenn er nur gewußt die Sache anzugreifen. Man bestellte sein Haus; man bezahlte die Schulden; man gönnte dem Gläubiger doch lieber das Geld, als dem feindlichen Räuber. Was übrig blieb, war man bedacht zu verbergen; was wiederum neue Sorge brachte, indem nicht leichtlich jemand dem andern traute, vielmehr jeder verrathen zu werden fürchtete von denen, die ihm die nächsten waren. So geschah denn, daß, was etwa gestern vergraben worden, heute wieder herausgeholt wurde, um morgen anderswo untergebracht zu werden, wo man es übermorgen eben so wenig sicher glaubte. Mir meines Theils ward von einem ganz glaubenwerthen Mann ein heimlicher, auch von der geübtesten Spürnase schwerlich auszuwitternder Ort in der Kirche angezeigt; dahin flüchtete ich den Kirchenschatz, sammt den eignen wenigen Kostbarkeiten; wobey mich ein Lächeln anwandelte und ein Weinen zugleich, als auch mein jüngeres Mägdlein herangeschlichen kam, und ihr einziges Kleinod, ein kleines güldnes Kreuz, [68] mir brachte, welches sie verwahrt zu sehen wünschte neben den andern Schätzen. In diesen Tagen des bleichen Entsetzens, wo »die Menschen zu verschmachten meinten vor Furcht und Erwarten der Dinge, die da kommen sollten,« brach, damit das Maß voll werde, Feuer aus an unserm Wohnorte in der nächsten Sonnabendsnacht. Ich hatte so eben meine Studien beendigt für die morgende Predigt, und war im Begriff, mich zur Ruhe zu verfügen, nicht wissend, ob mir vergönnt seyn werde, ihrer ungestört zu geniessen, denn es fror noch immer, obgleich nicht stark, als die fürchterliche Sturmglocke erklang. Schon dachte ich, der Feind sey im Lande und im Orte selber. Indem ich mich zusammennahm und zu fassen suchte, sah ich die vor meinem Fenster hoch emporschlagende Flamme, grausig abstechend mit dem blendenden frischgefallenen Schnee. Es war unsrer ärmlichsten Hütten eine, deren fast bis auf den Boden herabreichendes Strohdach war ergriffen worden von der Flamme des Herdes. Glücklicher Weise stand der Wind abwärts vom Dorf. Es kam bald Hülfe. Zweckmäßige Löschanstalten fehlten nicht; auch eine tüchtige Feuersprütze hatte ich angeschaft. Sobald nun diese in Arbeit gesetzt worden, wurden wir der Flamme bald mächtig. Es ward gerettet, was noch zu retten stand. Die gelitten hatten, waren leicht entschädigt. Und dieser Schreck blieb ohne fernere Folgen.

Aber auch aus der frühern ungleich dringendern[69] Gefahr wurden wir für diesmal gnädiglich errettet. Der Frost ließ nach. Es fiel Regenwetter ein, und nie, auch in Zeiten der lechzendsten Dürre nicht, wo das Erdreich borst, und alle Kreatur zu verschmachten drohte, ist der Regen uns erwünschter gekommen, als eben itzt, wo er die uns schützenden Gewässer zu lösen diente. Auch unsre Vertheidiger hatten sich inzwischen zusammen genommen. Von der schwachen Macht, die innerhalb Stralsunds Wällen lag, war ein Theil herübergeschickt worden auf die Insel, um die am meisten ausgesetzte Küste zu decken. Unsre Landwehr säumte nicht, ihr zur Seite zu treten. Da nun auch die Kanonenböte sich in die allmählig wieder schiffbar werdenden Engen legten, so ließ man uns hoffen, daß, falls auch ein neuer Frost einträte, dem Feinde nicht mehr möglich seyn werde uns zu nehmen; was wir in Betracht seiner unverhältnißmäßigen Ueberlegenheit zu bezweifeln Ursach hatten. Glücklicherweise kam es nicht zur Probe. Die Gewässer blieben offen. Die Witterung ward schon im März ganz milde und frühlingsmäßig. Die starken Verluste, welche Napoleon erlitten in jener Reihe von blutigen Gefechten, welche der mörderische Tag bey Eylau beschloß, nöthigte ihn, alle Schaaren, über die er nur immer verfügen konnte, um sich her zu versammeln, und auch Mortier ward abgerufen mit dem Anfang des April. Die Einschliessung Stralsunds ward nun aufgehoben; und die Unsrigen [70] ermangelten nicht, den abziehenden Feind zu verfolgen. Mehrere hundert Gefangene wurden ihm abgenommen; auch Einiges vom Gepäck ward siegprangend eingebracht. Groß war der Jubel, überschwenglich das Frohlocken. Ein Dank-und Siegesfest ward angeordnet für das ganze Land; da dann ich meiner Seits Anlaß nahm, von den Worten, die ich mir zum Text gewählt, den Worten Davids: »Nicht uns Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gebührt die Ehre!« zu warnen vor frechem Uebermuth, eitler Ruhmredigkeit, sündlicher Selbstvermessenheit; wie auch vor schnöder Verhöhnung des mit nichten durch unsre Kraft zurückgeworfenen Feindes; zu mahnen zur Demuth, Mäßigung, ruhiger Fassung, gläubiger Ergebung in die Fügung dessen, deß Gedanken nicht unsre Gedanken sind, noch seine Wege die unsern ... Es zeigte sich bald, daß solche Worte an der Zeit seyn. Noch läuteten unsre Freudenglocken, als Nachricht einging, daß die Unsrigen, die allzu kühn und weit vorgebrochen waren, von dem schnell sich wendenden Mortier mit Verlust zurückgepreßt seyn. Jedoch der Feind hatte Ernsteres zu thun. Zufrieden, die Verfolgenden in ihre Marken zurückgewiesen zu haben, schloß er den Stillstand, anfangs für zehen Tage, demnächst auf vier Wochen; jedoch gefiel dem König, nur für die früher anberahmte kürzere Frist ihn anzuerkennen.

[71] Jetzt, da die Verbindung mit dem festen Lande wie der hergestellt worden, von welchem wir waren abgeschlossen gewesen durch mehr denn hundert Tage, hatte niemand Eiligeres, als Nachricht einzuziehn, wie es den drüben wohnenden Freunden, Angehörigen und Verwandten möge ergangen seyn in den verstrichnen trübsalvollen Tagen. Leider zeigte es sich, daß gerade die, welche uns und unser Haus am nächsten angingen, das allerherbeste betroffen habe. Ein Vaterbruder meiner Gattin, ein sechs und siebenzigjähriger Greis, der auf seinem, an der Heerstraße zwischen Anclam und Greifswald belegenen Landsitz ruhig wohnte, war am Tage des Einbruchs selber, nachdem den Tag über die geregelten Schaaren in höchster Ordnung und unter strengster Mannszucht durch sein Dorf und seinem Gehöft vorüber gezogen, zu Abend überfallen worden von einer streifenden Rotte, die sofort die Thüren aufgesprengt, die Fenster eingeschlagen, Schränke und Kasten erbrochen, den Hausrath zerstört, Baarschaft und Kostbarkeiten geraubt, Betten, Kleidung, Vorräthe aller Art auf Wagen geladen und mit fortgeschleppt haben. Ihn selbst, den müden und fast kranken Greis hatte man aus dem Bette geworfen, gestoßen, geschlagen, zerhauen endlich, und in seinem Blute schwimmend liegen lassen auf dem Boden. Die Schwester meiner Gattin, welche seit vielen Jahren dem Hauswesen des Alten vorgestanden, in [72] der äußersten Gefahr jeder Mishandlung war mit Noth entsprungen, aus einer Hinterthür in den Garten geschlüpft, und von dort die halbgefrornen Teiche hinüber in den nahen Park geflüchtet, von wannen sie während der Nacht über Feld und Wald durch Schnee und Eis sich in das nächste Städtchen gerettet hatte. Als sie Tags darauf mit großer Angst und Zagen zurückgekehrt zur verwüsteten Wohnung, findet sie den Oheim noch athmend, aber bewußtlos. Er starb nach wenig Stunden. Das schöne große Gut war nun ihre; aber ausgeeleert die Scheuren, Vieh und Fahrniß geraubt, auseinander gesprengt die Leute; die Durchzüge dauerten fort; endlose Requisitionen nahmen ihren Anfang .... Daß sie es ertragen, daß sie es bestanden, und überwunden, ist mehr als der Kraft eines schwachen weiblichen Wesens möchte zugetrauet werden.

Die größere gedankenlose Menge hielt sich von nun an, wie wir hier zu Lande reden, allen Falken entflogen; sie glaubte die Krallen des Adlers für immer abgestumpft. Andre, tiefer schauende, solche zumal, die unsers Königs Eigenthümlichkeit kannten, ahnten Schlimmeres. Zum vierten Mal erschien Gustav Adolf auf unsern Küsten; und leider standen auch diesmal die Hülfsquellen, die er sich eröffnet, nicht im geringsten Verhältniß zu dem gewaltigen Werk, das er bezweckte. Zwar wurde das kleine Schwedische [73] Heer, verstärkt durch einige wohl meistens aus versprengtem Volk neugesammelte preußische Schaaren. Auch ward im Julius die brave Englisch-deutsche Legion gelandet auf dem südlichsten Punkt der Insel. Unser kleines Land gab her von Leuten, so viel es vermochte. Immer noch war das Heer viel zu unbedeutend, an dessen Spitze des ersten treflichen Gustav Adolfs Namengenosse, Nachfolger und Nacheiferer einen Kampf, wie dieser, zu bestehen wagte. Und dennoch, hätte nur der Geist des Alten auf ihm geruht, wäre nur die Energie des Handelns bey ihm so stark gewesen, als die Festigkeit des Wollens; leichtlich hätte er auch mit seinem kleinen vom besten Willen beseelten Heer im Rücken des eben damals auf Tod und Leben kämpfenden Eroberers eine Diversion bewirken mögen, die wider jenen entschieden hätte. So aber fuhr er fort, die Waffenruhe zu bewahren, so lange der Bruch derselben der gemeinen Sache noch hätte nutzen können, und hob sie auf nicht eher, als da dieses Aufheben jedes vernünftigen Zweckes ermangelte. Die Schlacht bey Friedland ging verloren. Die Zusammenkunft zu Tilsit erfolgte. Die kriegenden Mächte vertrugen sich. Die Preussen wurden abgerufen, die Hannoveraner wieder eingeschifft. Und eben jetzt, da nur Er auf dem verödeten Kampfplatz zurückgeblieben, kündigte Gustav Adolf seinen Waffenstillstand auf; sich einbildend, wie es scheint, daß [74] die Ehrerbietung, die er dem Feind, der ihm wirklich bis dahin unglaublich nachgesehn und nachgegeben, durch seine feste Haltung einzuflößen gewußt, denselben hindern würde, seine geheiligte Person, für welche dieser König selbst eine Art von religiöser Scheu zu tragen scheint, im Ernst anzugreifen. Er irrte. Die letzte Viertelstunde des aufgekündigten Waffenstillstandes war kaum abgelaufen, als Brune aufbrach, diesmal mit funfzigtausend Streitern. Im Sturmschritt ward das Land genommen. Die zwar feste Stellung der Schweden ward theils umgangen, und theils durchbrochen. Männer von Einsicht sind der Meinung, daß der König mit sammt seinem Heer habe abgeschnitten und genommen werden können, wenn es dem Marschall ein Ernst gewesen wäre. Sey dem wie ihm wolle, dem König gelang, sich zu retten hinter Stralsunds Wälle, und sofort nahm die Belagerung ihren Anfang.

Da es diesmal keine bloße Einschließung galt, kein Beobachten des Feindes, wie es im Winter der Fall gewesen; da vielmehr alles ankündigte, daß der Feind entschlossen sey, den Platz zu nehmen, es koste, was es wolle; so schien es den Einwohnern Stralsunds an der Zeit, für die Sicherheit ihrer Familien zu sorgen: Die Frauen und die Kinder wurden zu uns herübergesandt auf unsre zur Zeit noch nicht gefährdete Insel. Ihnen folgte, was sich wehrlos fühlte, [75] und sich nicht berufen fand die Schrecknisse einer mit Sturm eroberten, oder durch Brandkugeln zu Grunde gerichteten Stadt abzuwarten. Das ganze Land, das entlegene Wittow, auch unser Wohnort, unsre Wohnung endlich selber ward überfüllt mit Geflüchteten, die froh waren, für den Augenblick ein Unterkommen zu finden. Es war eine schöne schwüle gesellige Zeit. Man schloß sich inniger an einander an im Gefühl der allen gemeinsamen Gefahr. Die Lebensgeister waren geschwellt zur größtmöglichsten Höhe durch die gewaltige Spannung. Unsre Wohnung ward nicht leer von solchen, die da kamen und gingen. Allstündlich wurden neue Zeitungen einberichtet, von dem was vorgefallen innerhalb und außerhalb der Festung. Nicht selten wurden wir über der Mahlzeit geschreckt, nicht selten aus tiefem Schlummer aufgestört durch das Krachen des Geschützes, dessen Donnerschläge sich über die See zu uns herüberwälzten, wundersamlich vervielfacht und verstärkt durch die Umgebung, also daß man uns versicherte, es habe weit heftiger bey uns geknallt, als an Ort und Stelle selber. Vier Wochen verstrichen. Jetzt hieß es, alles sey bereit, die Laufgräben beendigt, das Geschütz aufgepflanzt, die Vorposten seyn geworfen, die Feste zum letztenmal aufgefodert, mit nächster Nacht werde das Bombardement seinen Anfang nehmen. Große Wehklage erhob sich nun unter den Geflüchteten. Jeden Augenblick [76] fürchteten sie die feuersprühenden Bälle steigen zu sehn, deren jeder ein geliebtes Haupt zu treffen, eine heimische vertraute Stätte zu verwüsten drohte. Da mit einmal erscholl die Nachricht: die Festung sey geräumt, die Stadt preisgegeben, der König habe mit dem letzten Mann sich zurückgezogen auf die Insel.

Dem war in der That also. Gustav Adolf, der sich nicht länger gegen die Ueberzeugung sträuben gekonnt, daß in einem Platz, der weder mit Casematten versehn, noch mit hinlänglichen Vertheidigungsmitteln ausgerüstet sey, seine Person nicht ferner gesichert wäre, war der Uebermacht endlich gewichen. Verschmähend mit dem Feinde einige Unterhandlung anzuspinnen, hatte er vorgezogen, in der Stille und in den Schatten der Nacht mitsamt seinem Volk nach der Insel überzusetzen, den belagerten Einwohnern aber heimgestellt, mit den Belagerern sich zu vertragen, so gut sie könnten. So waren denn diese eingezogen in die offnen Thore, ohne daß die geringste vorläufige Berathung wäre gepflogen worden. Keine Unordnung war gleichwohl erfolgt. Keine Gewaltthat ward verübt. Der Marschall selbst hatte nichts eiligers, als sich in den Wagen der Deputirten, welche die Stadt an ihn abgeordnet, zu setzen, und durch seine Gegenwart aller Ungebühr zu steuern. Ungesäumt wurden die Quartiere vertheilt, die Truppen eingewiesen, und Ordnung und Ruhe blieben gesichert.

[77] Während in unsern Cirkeln noch debattirt wurde, in wie fern der eingegangnen Zeitung, die vielen unglaublich däuchte, zu trauen sey oder nicht, trafen schon die Eilboten und Briefe ein von den in der Stadt Zurückgebliebnen an die geflüchteten Ihrigen: »Man solle eilig zurückkehren, man sey sicherer in der Stadt jetzt, als auf der Insel; der König gestatte die Rückkehr, und auch der Marschall habe versprochen, derselben kein Hinderniß in den Weg zu legen; man dürfe sich nicht fürchten; die Fremden seyn artig genug; strenge Mannszucht werde gehalten; die allerdings beschwerliche und kostbare Einquartierung abgerechnet, sey der Zustand ganz erträglich.« ... Ungesäumt wurden nun alle Fuhrwerke und Fahrzeuge des Landes in Beschlag genommen, und mit theurem Gelde bezahlt. Mit Wehmuth sahen wir unsre Gäste reisen. Sie hatten überstanden. Jetzt war, zu überstehen, an uns. Der König, obgleich sein schwaches Heer durch die Ausfälle, die Krankheiten, und selbst durch den Mangel bis unter die Hälfte berabgeschmolzen war, obgleich, wie ein sachkundiger Offizier mich versicherte, keine fünftausend fechtende Leute ihm übrig blieben; obgleich der Dänholm, die letzte Vorburg unsrer Insel, wenige Nächte nach der Räumung durch Ueberrumpelung war genommen worden; obgleich bekannt war, daß aus allen Seestädten Pommerns, Preussens und Mecklenburgs, daß selbst von Hamburg und Lübeck [78] her, Fahrzeuge aller Art auf Wagen herbeygeschaft würden, um mittelst ihrer die Landung zu bewerkstelligen; dennoch bestand Er, der König, darauf, die Insel vertheidigen zu wollen. Doch jetzt erkrankte er. Rath- und hülflos, in dumpfen Trübsinn versunken, gab er den Oberbefehl des Heeres auf, und zog einstweilen sich zurück nach Bergen, wo er noch einige Tage verlebte, einsam, melancholisch, unzugänglich einem jeden. Mittlerweile hatte Brune seine Anstalten vollendet. Mittelst zweyer falscher Angriffe sollte die Aufmerksamkeit der Unsrigen abgelenkt werden von dem Punkt, auf welchen der eigentlich ernstliche und schwerlich abzuschlagende Angriff berechnet war. Man mochte Kenntniß davon bekommen haben. Der König mochte gewarnt seyn. Er wich dem Verhängniß. Er willigte darein, zu reisen. So schwach fühlte er sich abgehend, daß die Räder des Wagens zum öftern gesperrt werden mußten, weil er jede raschere Bewegung nicht zu ertragen vermochte. So bald er sich eingeschifft hatte, capitulirte der zurückgebliebene Feldherr.

Die Bedingungen, die der Marschall den schwedischen Kriegern zugestand, waren in Betracht der Umstände schonend und günstig genug. Allein auch diesmal war für das Land und dessen Bewohner nicht das Geringste stipulirt worden. Der Marschall selbst, wie ich von Solchen weiß, die dabey gewesen, äußerte gegen die Abgeordneten des Landes sein Befremden über [79] diese Vernachlässigung; hinzusetzend jedoch, daß das Land nicht leiden solle unter der Gleichgültigkeit, womit es von seinen bisherigen Beherrschern behandelt werde; daß in deren Ermanglung er dasselbe in Schutz nehmen und darüber halten wolle, daß weder das Eigenthum, noch die Sicherheit der Personen im Geringsten gefährdet werde. Er hat Wort gehalten, insofern es von ihm abhing.

Mit Wehmuth gedenke ich der letzten ruhigen und stillen Tage, der letzten Sonntage zumal, die ich verlebte vor des Landes Ueberlieferung im Kreise meiner Gemeinde. Jene Geflüchteten, welche an den frühern Tagen meine Kirche fast überfüllt, waren nun heimgezogen. Ich war wieder allein mit meinen Pflegbefohlnen, die dann freilich durch den Ernst der Zeitumstände nachdenkender und gelehriger gestimmt seyn mochten, als in bessern Tagen eben allemal der Fall gewesen. So versäumte ich dann nicht, veranlaßt durch die schönen Evangelien, die auf diese Sonntage fallen, vom Tauben und Stummen, vom heilsbegierigen Jüngling, vom dankbaren Samariter, von den Lilien auf dem Felde, sie vorzubereiten zu den Dingen, die da kommen möchten, und die Fassung, Ruhe, stille und kindliche Ergebung sie zu lehren, mit deren Hülfe auch das Schwerste überstanden, und dem Feinde selbst Schonung und Achtung abgewonnen werden möge. Der letzte dieser ruhigern Sonntage war der[80] sechszehnte nach Trinitatis. Es war ein schöner blauer sonniger warmer Tag, einer jener halcyonischen Tage, dergleichen in unsern Climaten zur Herbstzeit uns bisweilen beschieden werden, zum Ersatz für das Entbehren so mancher andern Naturfreuden. Zum Text und Thema wählend jenes rührende Weine nicht, das der Erlöser zu der leidtragenden Nainitin spricht, habe ich an diesem Tage mich noch einmal mit meiner mir vertrauten Gemeinde gelabt, erquickt und mächtig gestärkt. Es war das Letztemal. Am nächsten Sonntag schon war das Land überschwemmt; Tumult überall; die Kirche öd' und leer.

Es geschah am zwölften September des achtzehnhundert siebenten Jahrs, daß auch das Wittowische Land in Folge der abgeschlossenen Convention das Loos traf von den feindlichen Völkern besetzt zu werden. Es war Sonnabend Morgen. Ich hatte gerade den letzten Federzug gemacht an dem Entwurf einer morgen zu haltenden Predigt, als ich durch einen Eilboten eingeladen wurde, den Offizieren, die von dem Oberbefehlshaber der Insel mit der Einrichtung des Cantonnements beauftragt, und zu solchem Zweck so eben in einem benachbarten Dorf eingetroffen waren, in ihrem Geschäfte zu unterstützen. Ich fuhr augenblicklich hin. Ich fand, daß der Obergeneral Befehl gegeben, die Prediger, als solche, die der Oertlichkeiten am meisten kundig seyn, über die möglichst gleiche und am [81] mindesten beschwerende Verlegung zu Rathe zu ziehn. Ich ließ dann die Zahl der über unser Land zu vertheilenden Truppen mir angeben und traf in Gemäßheit dessen die Eintheilung. Was ich vorschlug, ward unbedingt gutgeheissen von den Befehligern, deren einer ein Deutscher war, der andre ein Franzose, beyde in Diensten des Großherzogs von Berg; denn Murats Söldner waren bestimmt, uns die ersten zu besetzen. Die Zettel waren bald geschrieben, die Wegweiser wurden bestellt, die Wagen requirirt. Da ich hier nichts weiter zu thun hatte, so hielt ich mich nicht länger auf. Ich eilte zurück vielmehr zu den Meinigen, um in meinem Hause und Orte das Nöthige zu besorgen. Nach Tische erschienen dann die wenig willkommnen Gäste. Ich vertheilte die schon in Bereitschaft gehaltnen Quartierzettel. Die Hauswirthe kamen selbst, ihre Gäste abzuholen. Jeder ging seines Weges. Mir blieb keiner, als ein junger überaus wackerer Grenadier, ein geborner Düsseldorfer, der sich mir ankündigte, als Sauvegarde, befehligt vom Obersten des Regiments, in Folge eines vom Obergeneral in Betreff meiner ergangenen speciellen Ordre, meine Person und Angehörigen vor jeder Unannehmlichkeit zu schützen.


Ich hatte aber diese Aufmerksamkeit des Oberfeldherrn, so wie alle spätere Beweise der Schonung und der Achtung, welche diese fremden Befehlshaber [82] mir zu erzeigen nie aufgehört haben, hauptsächlich folgendem Umstande zu danken.

Als die Feste, auf deren Schuz wir gerechnet, so früh gefallen war; als keinem Zweifel unterworfen blieb, daß auch Rügen nächstens fallen würde; als des Königs unbezwinglicher Eigensinn fürchten ließ sogar, daß wir mit dem Degen in der Faust würden genommen werden, glaubte ich, gemahnt durch das schauderhafte Beyspiel, das wir in der Person unsers Oheim erlebt hatten, für die Sicherung meiner Familie sorgen zu müssen, so weit die menschliche Vorsicht es nur immer gestatte. Nun hatte die Königin von Baiern, die Schwester unsrer dermaligen Königin, mir mehrere Beweise ihres Wohlwollens gegeben. Da mir nun bekannt war, daß die Baierschen Heerschaaren zusammt den Völkern der übrigen Rheinbund-Genossen ebenfalls unter Brune's Oberbefehl dienten, so schrieb ich, wie ich öfter bereits gethan, an die Königin, schilderte Ihr unsre Lage, und bat sie, uns unter ihren Schutz zu nehmen. Wenige Wochen verstrichen, und die Antwort kam. Die edelmüthige Königin bezeugte die lebhafteste Theilnahme an meinen Sorgen; mit menschenfreundlicher Herablassung suchte sie wegen meiner Befürchtungen mich zu beruhigen; mit einem Zartgefühl und einer Anspruchlosigkeit, welche auf solcher Höhe des Ranges und der Macht gewiß die höchste Bewunderung verdienen, ließ sie hoffen[83] eher, als daß sie es ausdrücklich übernommen hätte, wie sie wissen werde, die Stürme zu beschwören, die unserm Frieden drohten. Daß, und auf welchem Wege sie es geleistet, bewies die Folge. Die Convention war kaum abgeschlossen, unser Land war noch nicht besetzt, als ein Adjutant des Marschalls bey mir eintraf, nach meinen Umständen sich erkundigte, und zugleich Namens des Marschalls mir anzeigte, daß er, der Marschall, dem ich auf das angelegentlichste sey empfohlen worden, in Betref meiner und der Meinigen die speciellsten und angemessensten Ordres ertheilt habe, und daß es nur auf mich ankommen werde, so oft es dessen bedürfe, mich unmittelbar an ihn selber zu wenden. Dasselbe ward mir wiederholt nach wenig Tagen von dem Divisions-General Grandjean, dem der Oberbefehl auf der Insel übergeben worden; dasselbe späterhin von dem Oberfeldherrn der Italischen Heerschaaren; dasselbe von jedem der folgenden Befehlshaber, als deren jedem von dem Abgehenden die auf mich zunehmende Rücksicht aufs neue war eingeschärfet worden. So hat die Theilnahme jener leutseligen Königin während dieser ganzen drangsalvollen Zeit gleich einem schützenden Genius über meinem Scheitel geschwebt; und ich würde glauben, der Wahrheit und Gerechtigkeit zu vergeben, wenn ich es heel hätte, daß in Folge jenes Schutzes von allen diesen ausländischen Machthabern mir mehr Schonung [84] und Achtung erzeigt worden, als ich mich rühmen kann erprobt zu haben von Seiten der eigenen für die Erfordernisse der Zeit niedergesetzten, regierenden und verwaltenden Behörden, obgleich diese aus unsern eignen Mitbürgern, und zum Theil aus der Zahl meiner Bekannten und Freunde herausgehoben wurden. 4

[85] So beruhigend nun diese Art von freundlichem Verhältniß, was zwischen mir und unsern Drängern fortwährend bestand, für mich und die Meinigen wurde, so ward solches in anderer Hinsicht mir doch auch zum höchsten lästig und beschwerlich. Es mochte diesen Fremdlingen bekannt geworden seyn, daß Personen vom höchsten Range sich für mich interessirten. Es mochte ihnen verrathen worden seyn, daß ich eine Art von Celebrität mir erschrieben habe unter meinem Volk. Genug, sie fingen an mich für einen Stern erster Größe an dem literarischen Himmel unsers Vaterlandes anzusehn. Sie würden geglaubt haben der Achtung, die man dem Schriftsteller-Ruhme schuldig ist, zu ermangeln, wenn sie die Insel verlassen hätten, ohne meine persönliche Bekanntschaft zu machen. So sahe ich mich dann fast täglich genöthigt, meine berühmte Person preis zu geben und zur Schau zu stellen solchen Leuten, die keine Ahnung davon hatten, noch haben konnten, von dem, was eigentlich an mir seyn möge. Diese Visiten waren mir äußerst lästig. Nicht nur raubten sie mir eine Zeit, die mir ohnehin [86] eben jetzt kostbar geworden, denn jemalen; nicht nur fühlte ich mich gedrückt durch die Gegenwart dieser Ausländer, die, ihrer auffallenden geistigen und sittlichen Inferiorität ohngeachtet, über unser braves Volk einer solchen äußern Ueberlegenheit sich zu bemeistern gewußt; es ward auch die Unterhaltung mit ihnen mir über die Maßen mühselig und angreifend weil ich ihrer Idiome nicht mächtig genug war, um darin mich mit Freyheit bewegen zu können. Noch zwängender wurden mir diese von meiner Seite meist stummen Gegenüber durch den Umstand, daß ich äußerst selten verstand, was die Leute sagten, theils weil sie ganz anders aussprachen und betonen, als ich es mich angewöhnt, theils auch in Folge der unglaublichen Behendigkeit, womit die Spule ihrer Redseligkeit ablief. In solchem Nothstande nun hätte zwar wohl mein Sohn mir zu Hülfe kommen können, der unlängst aus der Französischen Schweiz zurückgekehrt, und des Französischen vollkommen, des Italischen leidlich mächtig war. Allein auch ihm waren diese Eindränglinge in Tod zuwider. Selten nur konnte er es über sich erhalten, ihnen Rede zu stehn, und wenn sie sich gleichwohl seiner einmal bemächtigten, so fertigte er sie so kurz und einsylbig ab, daß sie lieber wieder von ihm abliessen. Auch hat er ihnen zu Trutz von den Zinnen der Thürme, die er aufgeführt zum Schutz seiner, auf Ozean unsers Hofteiches majestätisch umherkreuzenden [87] Flotten, nach wie vor die Schwedischen Wimpel wehen lassen, und die gutmüthigen Fremden, durch des patriotischen Knaben unbeugsamen Sinn ergötzt, liessen ihn gewähren .... Aber auch mir, wenn gleich ich es weder klug noch gerecht finden können, diese uns nun einmal, und wahrlich wider ihren Dank zugewiesenen Gäste durch unzeitige Sprödigkeit oder erbitternde Kälte geflissentlich abzustoßen, auch mir wird wahrlich niemand nachweisen können, daß ich zuvorkommender gegen sie gewesen, als Humanität und Wohlstand es gerade verlangten. Ich bin ihnen ausgewichen, so viel meine Lage mir es nur immer gestattete. Ich habe nicht sie gesucht, sondern ich bin gesucht worden von ihnen. Nie habe ich ihre Besuche erwiedert, selbst nicht die der Oberbefehlshaber. Nie habe ich mich eingefunden bey ihren Festen, so dringend ich auch jederzeit dazu eingeladen worden, indem sie nach der Meinung, die sie einmal von mir unterhielten, sich nicht leichtlich durch irgend eines andern Gegenwart so sehr geehrt geglaubt hätten, als durch die meine. Nie habe ich der Unabhängigkeit meiner Grundsätze, nie meiner freymüthigen Red- und Schreibweise, nie der Ehre unsers Volks oder des Schwedischen Volks ihnen gegenüber das allergeringste vergeben. In eben dem Sinn, worin der Gottfried seine Wimpel wehen ließ unter ihren Nasen, habe auch ich fortgefahren vor ihrer aller Ohren für den König und [88] sein Haus zu beten, als sein Name längst nicht mehr war gehöret worden auf allen übrigen Kanzeln des Landes.

Wenn schon in ruhigern Zeiten die bürgerliche Seite meines Berufes mir zum öftern beschwerlich gefallen, so ward dieselbe, wie leicht zu erachten, unter den jetzigen Umständen für mich ein Quell unsäglicher Unruhe, nie abreissender Mühseligkeiten, und herznagenden Verdrusses. Was in den Städten den Magisträten, Municipalitäten, und Bürgercollegien obliegt, was von diesen vertheilt wird auf mehrere Committeen und Ausschüsse, deren jeder über ein mehr, oder minder zahlreiches Personal zu verfügen hat, das alles lastete in diesem entlegenen Lande auf meinen Schultern. Ich schrieb die Fuhren aus; ich besorgte die Boten zu Pferd und zu Fuß; ich verwaltete das Proviantwesen; ich hatte endlich die Quartiere zu vertheilen, das gehässigste und dankloseste aller Geschäfte. Späterhin ward zwar eine administrirende Behörde zu Bergen niedergesetzt, welche diese Dinge für das ganze Land besorgen sollte. Allein diese saß in der Ferne. Für die Bedürfnisse des Augenblicks mußte Rath geschaft werden auf der Stelle. Ueberdies waren die Befehlshaber einmal an mich gewöhnt, und vor die rechte Thür sie zu verweisen, hätte nur gedient, diese ungeduldigen und äußerst reitzbaren Menschen in Harnisch zu jagen. So ward denn nach wie [89] vor was nur immer das Wittowsche Land anging, an mich addressirt; von mir ward alles requirirt: Holz, Stroh, Licht, Leinwand, Siegellack, Papier; das erstreckte sich bis auf das Leder, was der Regimentssattler, die Kohlen, die der Regimentsschmidt, die Corde und den Zwirn, die der Regimentsschneider bedurfte. Diese Inviten, wie sie es nannten, nahmen kein Ende. Monsieur le Ministre, alles Protestirens unerachtet, blieb le Maire malgré lui, und seine Scheuern, seine Vorräthe, und seine Casse sind dessen wohl gewahr geworden.

Die ersten feindlichen Heerschaaren, die über die ganze Insel vertheilt wurden, waren die des Rheinbundes: Baiern, Hessen, Badner, Aschaffenburger, Aremberger, Bergsche, Nassauer. Von diesen wurden zuerst die Bergschen allein nach Wittow verlegt, später die Nassauer ihnen beygesellt, da dann das Land überfüllt war, und die Menge des fremden Volks die gesammte Bevölkerung desselben bey weiten überstieg.

Nicht zu sagen ist, wie durch diese Ueberschwemmung der fremden Kriegsvölker das ganze leibliche und geistige Daseyn dieser schlichten Naturkinder versehrt, verletzt, und in seinen innersten Wurzeln angefressen wurde. Diese unsre ungebetenen Gäste waren ein vielbedürftiges, schwer zu befriedigendes Geschlecht. Sie waren verwöhnt, täglich Bouillon, Wein, Kaffee zu haben, Artikel, die unsern Eingebornen kaum dem [90] Namen nach bekannt waren, wogegen die Klöße und die Grüße der Letztern jenen Ekel und Abscheu erregten. Kein Reglement, der Leute Speisung betreffend, war bis dahin noch erschienen, keine regelmäßige Lieferung von Brod und Fleisch eingerichtet. So konnte dann nicht fehlen, daß es nicht überall und allstündlich Händel gesetzt hätte zwischen den Wirthen und ihren Gästen. Die Eingebornen, gewohnt in allen Verlegenheiten sich an den Seelsorger zu wenden, flüchteten zu mir. Mir auch wurden die murrenden Kriegesknechte zu Halse geschickt von den Befehlshabern. So hatte ich dann den ganzen Tag zu hören, zu rathen, zu vermahnen, zu verständigen, zu beschwichtigen. Und wenn ich verdrossen und erschöpft spät Abends nun endlich der Ruhe zu pflegen suchte, so war ich nie sicher, daß ich in tiefer Mitternacht nicht wieder herausgepochet würde, um etwa eine Ordre zu lesen, mit der es oft im geringsten nicht eilte, ein Reçu auszustellen, das vielleicht kaum den Werth von ein paar Groschen betrug, von den unzähligen Herumläufern, die das Land in allen Richtungen durchkreutzen, dem Einen ein Pferd zu schaffen, dem andern einen Wegweiser zu besorgen, den dritten einzuweisen für die Nacht bey einem oder andern Einwohner, die sich dann im geringsten nicht übereilten aufzustehn, und den ungebetnen Gast entgegen zu nehmen.

Vierzehn Tage mochten verstrichen seyn seit dem[91] Einrücken der Fremden. Wie gewöhnlich hatte ich bis in die späte Nacht mich zerarbeitet, und war endlich schlafen gegangen. Plötzlich fühle ich mich aufgerüttelt aus dem ersten Schlaf. Ein Offizier steht vor mir mit dem brennenden Lichte. Kennen Sie mich nicht? fragte er. Ich erkannte ihn dann endlich. Es war ein Schwedisch deutscher Offizier, der zurückgeblieben einstweilen, um einige den Schweden noch zugehörige Effecten in Aufsicht zu nehmen, und die Einschiffung zu besorgen. Er kündigte mir an, daß ich eilig aufstehn müsse, daß der Marschall Brune auf dem Wege sey mit dem ganzen Etat Major, daß beschlossen sey, bey mir einzusprechen, bey mir zu frühstücken, und darnach auf Arkona und Stubbenkammer zu gehn ... Eine feine Bescherung in Wahrheit! Und das um zwey Uhr frühe!.. Lieber Major, sprach ich, Sie kennen meine Hausbelegenheiten. Sie wissen, daß mir nicht möglich ist, so vornehme Herren aufzunehmen. Es sind hier herum so viele Edelsitze. Thun Sie mir den einzigen Gefallen, und führen Sie die Herren zu einem von diesen .... Aber mein Gott! erwiederte er, wie geht das an. Bedenken Sie doch, daß der Marschall den ganzen Weg uns hergeschleppt hat einzig und ausdrücklich Ihrethalben .... Viel Ehre für mich, antwort' ich; wiewohl es mir fast schicklicher bedünken will, ich gehe zu dem Marschall, als der Marschall komme zu mir. Warten Sie. Es [92] fällt mir etwas bey. Bringen Sie Ihre Gesellschaft nach Juliusruhe, wo dermalen nur die Gespenster hausen und die Ratten. Dort ist Raum für alle; obgleich freilich nichts zu leben. Inzwischen dazu soll Rath werden. Ich will das Nöthige hinschicken, und will selbst dort seyn mit Tages Anbruch .... Der Major übernimmt es, sitzt auf und sprengt davon. Mir blieb übrig, aufzustehn, die Leute aufstehn zu machen, aufpacken zu lassen Brod, Wein, Käse, Fleisch, Butter, Rum, Geräthe und Geschirr, auch Holz zur Feurung, hundert andre Dinge, einen ganzen Wagen voll. Sobald der Wagen nur zurückgekommen, sitz ich selber auf, und fahre hin. Die Herren waren schon da; der Marschall hatte sich niedergelegt in einem der Nebenzimmer. Die andern wankten umher, überwacht, mislaunigt, kleinlaut, die einen hatten Tücher gewunden um die fast kahlen Glatzen. General Grandjean nur, der in Göttingen studirt hat, des Deutschen völlig mächtig ist, und schöne Kenntnisse zu besitzen schien, kam mir mit großer Heiterkeit entgegen, und stellte den übrigen Herren mich vor, die nichts angelegneres hatten, als mich zu fragen, ob ich auch Paris gesehen? das denn freilich mein Fall nicht war. Grandjean bat mich, ihn in dem Park herumzuführen; die Sonne ging auf; es war kalt; mich fror jämmerlich; ich bat den General, den nichts anzufechten schien, wieder mit mir hinein zugehn, da denn der Marschall, [93] der eben aufgestanden, bald unter uns trat, und als der General mich ihm vorgestellt, mich fragte, ob die Ordres, die er in Betreff meiner ausgestellt, gebührend befolgt seyn .... Mittlerweile war auch der Eigner des Landsitzes angekommen, zu meiner großen Erleichterung, denn ich fühlte mich beklemmt und einsam unter allen diesen besternten und bekreutzten Fremden, so wie er seiner Seits von Herzen froh war, mich hier zu finden. Das Frühstück war bald fertig; mein Weniges war geschlagen worden zu dem Vielen, was der Hausvater mitgebracht. Wir speisten auf dem Saal des Landhauses, der die Aussicht auf die See hat. Englische Kreutzer kreutzten unsers Angesichtes; sie hätten einen feinen Fang gemacht, wenn sie gelandet wären. Der Marschall war sehr heiter. Während er sich von mir auseinandersetzen ließ den Inhalt der Schriften, womit ich das Publicum begünstiget, tritt ein Courier herein, der vor zehn Tagen aus Paris abgegangen, naht dem Marschall, und überreicht ihm ein Schreiben des Kaisers. Der Marschall erbricht und liest es. Es enthielt, wie sich späterhin gezeigt, seine Zurückberufung. Der Marschall, der vorhin äußerst gesprächig gewesen, wird nun mit einmal einsylbig, und in sich gekehrt. Die Tafel ward aufgehoben; die Reise nach Arkona und nach Stubenkammer eingestellt. Die Wagen fahren vor; Brune, ohne mir auch nur ein Fahrwohl zuzunicken, sitzt [94] ein, und nach wenig Tagen hörten wir, er sey abgegangen nach Paris. Brune, wie es scheint, hatte durch die Mäßigung, womit er während des ganzen Feldzugs verfahren, hauptsächlich wohl durch die allzugünstigen Bedingungen, die er dem abziehenden Schwedischen Heere eingeräumt, des Kaisers Unwillen erregt, der seit dieser Zeit sich seiner nie wieder bedient hat, bis zu diesem seinem letzten unheilbrütenden Wiederauftreten, das eben jetzt, da ich dieses schreibe, für Brune so unglücklich geendet.

Nach sechs Wochen etwa verliessen uns diese unsre ersten Gäste. Es folgte eine Frist der Erholung, deren wir, um von den erlittnen Bedrängnissen aufzuathmen, denn auch hochnöthig bedurften. Leider war sie von kurzer Dauer. Am Sonnabend waren die Bündner abgezogen. Montag Abends sitze ich mit den Meinen über Tische. Wir reden von den überstandnen Plagen, freun uns ihres Ueberstehens, und wagen zu hoffen, daß sie nicht wiederkehren werden. Ein Bote wird gemeldet. Hereintretend überreicht er mir einen Brief vom General Fontanes, dem Anführer des ersten Italischen Linienregiments, der mit den Seinen vor wenig Stunden eingerückt sey auf dem im Lande Jasmund belegenen Schlosse Spyker. Der Brief war überschrieben an den Herrn Maire des Orts: »Der Herr Maire werde berichtet, daß nächsten Tags zu Mittag zwölfhundert Mann bey ihm [95] eintreffen würden, die er eingeladen werde, zu beherbergen innerhalb seiner Stadt und deren Umgebungen. Doch möge er Sorge tragen, daß dem Pfarrer des Orts weiter nichts als eine Sauvegarde gesendet werde; solches sey der Wille Seiner Excellenz des Herrn Obergenerals Pino.« ... Da saßen wir. Geschehn war es um unsre Heiterkeit. Des Essens wurde nicht weiter gedacht. Mit schweren Herzen setzte ich mich hin, dem General zu antworten, bescheinigte den Empfang des Briefes, bemerkte übrigens, »daß ich eigentlich nur zu befehlen habe an dem Ort, wo ich wohne; daß mir demnach die Autorität abginge, seine Aufträge innerhalb des übrigen Landes auszurichten; wolle der Herr General mir aber fein frühe und vor Ankunft der Mannschaft einen Adjutanten, oder deß etwas schicken, so getraue ich mich, mit dessen Beystand alles zu seiner Zufriedenheit anzuordnen.« Der Bote ging. Stumm und trübe verstrich uns der Abend. Die Meinigen gingen zeitig zur Ruhe. Auch ich, nachdem ich die aufgeregten Lebensgeister zu beruhigen gesucht, indem ich ein oder zwey Briefe las in des frommenTersteegen unschätzbarer Sammlung, legte mich nieder, schlief ruhig, und fühlte erwachend mich neu gestärkt zu des Tages Mühen. Sobald es nur licht geworden, machte ich eine Anzahl gehender und reitender Boten auf, um überall im Lande die Truppen anzumelden, und die Wegweiser zu mir zu bescheiden[96] auf den Schlag zwölf. Vor neun Uhr noch erschienen des Generals Adjutanten. Statt des Einen, den ich verlangt, schickte er mir deren drey, einen Corsen, einen Römer und einen Lombarden. Ich ließ mir angeben von diesen die Liste ihrer Compagnien, deren Stärke, Rang und Ordnung; denn ich wußte schon, daß sie diese Umstände wollen berücksichtigt haben bey der Art und Weise ihrer Verlegung. Ich entwarf dem gemäß die Eintheilung, verständigte sie darüber mit Hülfe der Charte, und nachdem sie alles gut geheissen, schrieb mein Sohn die Zettel. Während wir bey Tische saßen, ward berichtet, die Truppen seyn in der Nähe. Eiligst standen die Offiziere auf von der Mahlzeit, um ihnen entgegen zu gehn, und alle Unordnung zu verhüten. Es war Zeit. Die Leute waren schon im Ort. Der Markt, die Gassen, die Häuser wimmelten von Menschen. An der Spitze ihrer Compagnien hielten die Offiziere zu Pferde. Wenig Wegweiser erst waren eingetroffen von den Dörfern; von den Höfen und Edelsitzen nicht einer. Ich machte deren so viel auf für mein Geld, als nur irgend aufzutreiben waren. Allein es wollte immer nicht zureichen. Inzwischen drängten mich die Befehlshaber. Ihrer drey oder viere, die am Ende die Geduld verloren, liessen verlauten, ich könne schon selbst mitgehn und sie führen. Ohne Anstand hätte ich es gethan, wenn ich nur hätte fehlen dürfen im Dorf und in [97] meinem Hause. Ein freundschaftlicher Pächter der Nachbarschaft, der meine Verlegenheit sahe, schlug sich ins Mittel, und übernahm die Herren zurecht zu weisen, für welchen Liebesdienst die Erde ihm leicht seyn möge; er ruht schon lange! Es war Zeit, daß ich zu den Meinen kam, die kaum wußten, sich zu rathen. Dicht angefüllt mit Menschen waren die Stuben, die Flur, die Küchen. Immer neue Schwärme kamen den Damm zwischen den Teichen heraufgezogen, Grenadiere, Fuseliere, Jäger, Voltigeurs; auch Sappeurs mit den Aexten und struppigen furchterweckenden Bärten. Erschöpft vom Marsch, und wirklich hatten sie mehrere Meilen zurückgelegt im tiefen Schnee, und bey fortwährendem Schneegestöber, warfen die Gemeinen sich die Länge lang nieder auf die Hausflur. Solche, die einen gewissen Rang behaupten zu müssen glaubten, bemächtigten sich des Besuchzimmers. Da war ein stämmiger Tambour-Major, ein Franzose und ganzer Narr, der mir mit großer Gründlichkeit auseinandersetzte, daß der Tambour-Majeur occupire le rang le plus élevé parmi tous les Sous-Officiers du regiment; item eine Espece von Sergeant, ein Magister Artium zugleich, der in Rom promovirt haben wollte, und allerdings einige Bruchstücke aus Virgil und Livius aufzusagen wußte; item ein kleiner Fifre, ein geborner Bergameser, der sich kindlich freute, einen aufgeschlagnen Tasso liegen zu sehn, [98] indem der Tasso sein Landsmann gewesen. Ich hatte das Musikchor, das einige funfzig Menschen stark seyn mochte, für mein Dorf gespart. Sie gingen, die Zettel in den Händen, um Besitz zu nehmen von den ihnen zugewiesenen Quartieren. Protestirend kamen sie zurück. »Das seyn keine Quartiere für Musiker. Die Musiciens seyn hübsche Leute, die auch hübsch behandelt seyn müßten; parceque la musique formoit les moeurs.« Während ich noch mit diesen capitulire, kommt hastig und eifrig ein kleines Weibchen hereingewipft, une petite éveillé, fragt nach dem Herrn Maire, faßt mich am Knopf, klagend, es sey eine grimmige Kälte, ihre Würmer wollten erfrieren, und, sollten Sie's glauben, Monsieur le Maire, der bourgeois habe point de feu .... Kurz es war ein Zustand, ein Wirrwarr, ein Getümmel, eine Verwirrung der Sprachen, die aller Beschreibung Hohn spricht. Ich wandte mich an jenen bedeutenden Man, den Tambour-Major, und ersuchte ihn, doch wenigstens die Bursche wegzuschicken, die auf der Hausflur niedergestreckt, meinen Leuten den Weg verlegten, die nicht aufhörten zu kommen und zu gehn, Wein, Caffee, Brandtwein u. dergl. umherzutragen. Er nahm sich dann auch zusammen, trat hinaus, und hieß sie sich ihrer Wege scheren. Mit großen Augen sahn die Bursche ihn an, maßen ihn von Haupt zu Fuß, und würdigten ihn keiner Antwort .... Ich weiß nicht [99] mehr, wie ich am Ende mich herausgefunden. Diese Leute waren so schlimm nicht, als sie sich anstellten. Als sie sahen, daß ich thue, was ich könne, und daß die Belegenheiten des Orts keine größere Bequemlichkeiten gestatteten, so gaben sie sich zufrieden, kehrten zu ihren Quartieren zurück, und hatten sich binnen wenig Tagen so eingewohnt, daß sie gar gern den ganzen Winter bey uns geblieben wären, und mir so viel Musik umsonst gemacht hätten, als ich nur immer hätte hören mögen .... Das Reiten und Fahren, Kommen und Gehn, Invitiren und Requiriren dauerte gleichwohl trotz der dicken Finsterniß und des fortwährenden Schneegestöbers den ganzen Abend durch bis tief in die Nacht hinein. Meine Leute waren erschöpft, die Gattin kleinmüthig, die Kinder stumm und in sich gekehrt. Ich selbst fing an, den Muth zu verlieren, und auch Tersteegen konnte mich diesmal nicht trösten.

Die folgenden Tage dürften denn auch wirklich leichtlich die drückendsten für mich gewesen seyn in dieser ganzen schweren Zeit. So sorgsam und gewissenhaft ich auch die Last der Einquartierung den Kräften jeder Ortschaft und jedes Einzelnen anzupassen gestrebt, so fand sich doch, daß ich es keinem Mensch zu Dank gemacht hätte. Da war keiner, der nicht mir dieselben Motive zugetraut, deren er sich selbst fähig fühlte; keiner, der sich nicht eingebildet, daß ihm [100] zu nahe geschehn, und daß der Nachbar von mir begünstigt geworden auf Kosten seiner. Die Noth war freilich groß, und drohte größer zu werden mit jedem Tage. Die Vorräthe gingen auf die Neige. Was für den Winter aufgespeichert gewesen, war daraufgegangen binnen wenig Wochen. Das Holz, das ohnehin selten ist im Lande, fehlte allenthalben. Es waren zwar, wie jeder einräumte, unsre neuen Gäste ungleich leichter zu befriedigen, als die andern, auch über Gewaltthätigkeit oder Mißhandlung klagte keiner. Allein schon die Fremdheit der Sprache bildete eine nicht zu beseitigende Scheidewand. Keine Annäherung, keine wechselseitige Verständigung war möglich zwischen den Wirthen und ihren Gästen. Auch fehlte es nicht unter diesen Italiern an einzelnen leidenschaftlichen Naturen, deren Zorn über alle Maßen fürchterlich war, ihre Rachgier heimtückisch und unaussöhnlich. Gewiß, es ist etwas ängstendes, preisgegeben zu seyn den Launen eines fremden Volks, mit welchem kein Austausch statt hat der wechselseitigen Gedanken und Gefühle. So ward ich denn angegangen, ärger denn je geschehn, von Klagenden, Verweisenden, Aufrückenden; von solchen, die mich zur Rechenschaft zogen wegen meines eigenmächtigen Thuns und Beginnens; von andern, die Erleichterung nachsuchten, oder eines Vorschusses bedurften, oder einer Fürsprache. Während diese in den vordern Zimmern saßen, mit verweinten [101] Augen die Frauen, die Männer mit verbißnem Aerger; schwärmten in den hintern Zimmern die fremden Offiziere, welche unterhalten seyn wollten, Auskunft begehrten über dieses und jenes; Bücher wollten diese haben, Zeichnungen und Charten jene. Zur Fülle der Uebel geschahe, was schwerlich ausbleiben konnte bey solcher Angst und Unruhe, bey der Verrückung der gewohnten Lebensweise, bey der unvermeidlichen Mittheilung fremder Miasmen. Ansteckende Krankheiten, Ruhr und Typhus und Nervenfieber brachen aus in der Gemeinde, wurden täglich drohender, und rafften viele Menschen weg. Wenn es nun Abend geworden, und die Fremden sich allmählig verloren hatten, saß ich auf, und fuhr umher in der dicken Finsterniß auf den von Schnee und Eis versperrten Straßen, um die Kranken zu besuchen, die Sterbenden zu berichten, das heilige Nachtmahl auszuspenden, zu wehren dem bangen Kleinmuth und der dumpfen Verzweiflung. Die Nacht war schwarz, grundlos der Schlamm und Schnee, die Wege fast unfahrbar; meinem sehr tüchtigen und zuverlässigen Kutscher wollte der Muth gleichwohl zur Zeit entfallen. Aber Gott hat mich bewahrt, daß ich nie umgeworfen worden auf diesen Irrfahrten, auch nie angesteckt worden von der Pestluft der mit Krankheitsstoff übersättigten engen Stuben. Auch ließ Er mich Gnade finden vor dem fremden Volk, den Hohen wie den Niedern, so daß weder mir noch den [102] Meinigen einiges Leid wiederfuhr, überdieß auch mir vergönnt ward, Unzähligen, die zu mir ihre Zuflucht nahmen, vermittelst meiner Verwendung, Hülfe und Erleichterung zu verschaffen.

Von allen Befehlshabern, die bey uns geschaltet, hat keiner mir aufrichtiger beseelt geschienen von dem Wunsch, die Uebel des Kriegs nach Möglichkeit zu mildern, als der Oberfeldherr des Italischen Heers, der Divisionsgeneral Pino. Er besuchte mich wenig Tage nach dem Einrücken seiner Schaaren. Ich fand einen unterrichteten Mann in ihm, der vertraut war mit den Classikern seines Vaterlandes, den ältern wie den neuern; aus Monti wußte er manches auswendig, versprach auch, dessen Werke mir zu schicken, die mir dann freilich nicht gekommen sind. Es versteht sich, daß auch gesprochen wurde von den Belegenheiten unsers Landes, von dessen Hülfsquellen, von der Noth der Einwohner, von der Aufführung der Soldaten. Der General zog ein Papier aus der Tasche; es enthielte, sprach er, einen ihm mitgetheilten Entwurf, wie die auf der Insel cantonnirenden Truppen auf eine Weise verlegt werden könnten, welche gleich zuträglich wäre für die Befriedigung der Truppen und für die Erleichterung des Landes. Nun hatte ich schon gehört von diesem saubern Plan. Es war die Absicht, daß die Truppen in den Dorfschaften zusammengepfercht, die Offiziere bey den Predigern einquartiert, die Edelsitze [103] und Pachthöfe aber frey bleiben sollten; angesehen durch diese, so ward es vorgespiegelt, daß der Bau des Landes betrieben würde, welcher nothwendig stocken müsse, so lange die Höfe belegt blieben. Die Befehlshaber waren leicht beredet. Ihnen konnte in Ermangelung der Casernen nichts willkommner seyn, als wenigstens auf diese Weise ihre Leute fein beysammen zu haben, und unter Zucht und Aufsicht zu behalten. Einen solchen Plan nun enthielt jenes Papier. Monseigneur, sagt' ich, nachdem ich ihn flüchtig durchgesehn, wenn Menschlichkeit und Billigkeit Ihnen lieb sind, so werden Sie diesem Plane Ihre Zustimmung versagen. Er stutzte. »Wie ich das verstehe? Er könne mir sagen, daß dieser Plan von der Landes-Administration selber entworfen und ihm mitgetheilt sey.« ... Das, erwiederte ich, würde mir der Geist, in dem dieser Plan gearbeitet worden, verrathen haben, wenn auch Ew. Excellenz nicht die Güte hatten, es mir zu eröffnen. Denn dieser Entwurf ist einzig und allein darauf berechnet, die Reichern und Wohlhabendern zu erleichtern, die arbeitenden und unentbehrlichen Classen aber zu Grund zu richten .... Aber, mein Gott! versetzte der General, fast ungeduldig, es soll den Quartier-Wirthen ja alles geliefert werden wie Sie sehn; Brod, Fleisch, Gemüse, Brantwein, Salz sogar; nichts sollen sie herzugeben haben als Licht, Feurung und das Quartier .... Aber, erwiederte ich, es[104] wird nichts geschehen von allem, was in diesem Plan versprochen wird. Es werden die löblichen Absichten Ew. Excellenz im Geringsten nicht erreicht werden. Die Proviantlieferungen werden zugeschlagen werden den Unternehmern. Die Unternehmer werden das Land betrügen, das ihnen zahlt, und zugleich den Soldaten, den sie zu füttern übernehmen. Die Lebensmittel, die man liefern wird, werden nichts taugen. Statt Brodes wird man Kleyen schicken, Knochen statt Fleisches, Spreu für Graupen; die Kartoffeln werden anbrüchig seyn, die Erbsen wird man kochen müssen bis an den jüngsten Tag; statt Brantweins wird der Soldat meinen, geschwefeltes Wasser hinunter zu gießen. Der Soldat wird sich halten an den Wirth; der Wirth wird geben müssen, so lang er hat. Das wird so lange nicht vorhalten. Und nachdem die Dörfler, der Nerv des Landes, zu Grunde gerichtet sind, wird der Plan dennoch aufgegeben werden müssen .... Jedoch gesetzt auch, fuhr ich fort, und mit gesteigerter Wärme, denn »der Eifer um mein Volk fraß mich« gesetzt, es würde uns alles geliefert, was hier versprochen wird; angenommen, es würden uns ersetzt überdieß bey Heller und Pfennig unsre anderweitigen Vorschüsse und Auslagen; wer ersetzt uns das Unersetzliche? Wer die Angst und Unruhe, den gestöhrten häuslichen Frieden, die schlaflosen Nächte, die gefährdete Sicherheit, die bedrohte Unschuld unsrer Kinder? [105] Die Seufzer, die man uns entpreßt, die Thränen, die man uns vergiessen macht, sollen auch diese etwa geschätzt, berechnet, ausgeglichen werden nach Heller und Pfennig? ... Ich schwieg. Der General ward nachdenkend, seine Züge verfinsterten sich sichtbarlich. Ich sah wohl ein, daß ich eine Saite berührt hatte, die nicht allzu lieblich klänge, und fand rathsam, abzubrechen das Gespräch für den Augenblick. Beym Abschied aber, als der General in den herkömmlichen Formeln mich aufforderte, so oft ich sein bedürfe, mich geraden Wegs an ihn zu wenden: Wohlan, sprach ich, ich wage, Ew. Excellenz um eine Gunst zu bitten hier auf der Stelle. Verbieten Sie, daß innerhalb meines Kirchspiels wenigstens keine Truppen vertheilt werden, ohne daß man mich deshalb zu Rathe ziehe, und ich getraue mich, Ihre Leute zufrieden zu stellen zusammt den Meinen .... Der General versprach das freilich; daß er die Ordre wirklich ausgestellt, habe ich Ursach zu bezweifeln.

Einige Tage verstrichen, ohne daß ich von dem Plan weiter hörte. Am nächsten Sonntag aber, als ich aus der Kirche kam, fand ich alles in Unruhe und in Bewegung. Die Musiker, die sich itzt verständigt hatten mit den Leuten, und denen es nunmehr bey uns überaus wohlgefiel, waren abgerufen worden zu ihrem großen Leidwesen; dagegen war andere, und zwar übermäßig starke Einquartierung angesagt worden [106] auf den folgenden Tag. Befremdet durch eine so wenig erwartete Zeitung eilte ich zu Hause. Hier erzählte mein Sohn mir, daß der ansagende Sergeant drinnen sey, daß er mit Gewalt mich habe wollen aus der Kirche holen lassen, und daß er, mein Sohn, es nur mit Mühe gehindert habe. Ich ward sehr ungehalten. Ich trat hinein noch in vollem Ornat, da dann der Herr Sergeant in die Höhe fuhr von dem Sopha, auf dem er sich hingepflanzt neben Madame son epouse, oder derjenigen, die er dafür ausgab, gegenüber der dampfenden Kaffeekanne. Es gefiel mir, diesmal aus einem höhern Ton zu reden, als ich bis dahin mir erlaubt. Ich äußerte mein Befremden, daß jemand sich herausnehme Einrichtungen zu treffen, wo niemand zu befehlen habe als ich. Ich ließ einige Worte fallen von dem Divisionsgeneral, von dem Marschall, von dem Kaiser selber. Monsieur le Sergeant ward wirklich eingeschüchtert. Das saubre Pärchen begriff, es sey diesmal unrecht angekommen, entschuldigte sich höflichst, und ging. Abends, sobald ich nur die nöthige Ruhe gewonnen, setzte ich mich hin, und schrieb einen langen Brief an den Obergeneral, welchem ich einen von mir selbst ausgearbeiteten Plan beylegte, wie die Cantonnements könnten eingerichtet werden am befriedigendsten für alle Theile. Alles schloß ich ein in einem zweyten Brief an des Generals Adjutanten, einen gebornen Römer, dessen Name [107] mir entfallen; aber nie sah ich eine gewinnendere Physiognomie, nie einnehmendere Sitten, nie eine edlere Haltung; unvergeßlich ist mir das Bild dieses Römers. Ihm empfahl ich die Sache aufs beste. Ob es gefrommt haben möge, weiß ich nicht. Tags darauf, und ehe meine Briefe noch angekommen seyn konnten, erfolgte die Umquartierung, zwar nicht nach dem Buchstab des Entwurfs, jedoch in der Hauptsache in dessen Sinn und Geist. An meinem Wohnorte nur ließ man mich gewähren, nahm auch sonst Rücksicht auf meine Vorstellungen zu Gunsten des Einen und Andern. Der Druck war gleichwohl unerträglich; die Erbitterung der benachtheiligten Volksclassen ließ die gefährlichsten Ausbrüche fürchten. Es war ein Glück, daß der Zustand nicht dauerte. Es hatten die Truppen von den neuen Quartieren kaum Besitz genommen, als schon der Befehl eintraf, daß wieder aufgebrochen werden solle am folgenden Tage. Drey Stunden verstrichen, und ein zweyter Befehl ging ein; es solle aufgebrochen werden zur Stunde selber .... So sind diese Leute dann verschwunden, wie sie gekommen. War unsre Freude groß gewesen, als die Landesleute zogen, so war sie um so größer beym Abzug der Fremden.


Und jetzt sollten wir die ächten, wahren Franzosen kennen lernen, die Helden von Friedland, Jena, [108] Austerliz, Marengo und Hohenlinden. Es war beliebt worden im Hauptquartier, daß die abgängigen Italier ersetzt werden sollten durch ein paar Linienregimenter des achten Corps; und zwar sollte der Süden der Insel besetzt werden von dem sechs und dreißigsten Regiment, der Norden von dem sechszehnten, da dann bey gleichmäßiger Vertheilung höchstens zwey oder drey Compagnien auf unser Land gekommen wären. Der Tag des Einrückens erschien, und war wie immer ein Tag der Plage und der Mühe. Es war einer jener trüben dicken Decembertage, wo es eigentlich überall nicht Tag wird, auch dann nicht, wenn die Sonne im Meridian steht. Es schnie und schloßte, und regnete dazwischen. Die Straßen waren verschneit, das Erdreich aufgelöst in bodenlosen Schlamm und Brey. Bald nach Tische traf der Fourier bey mir ein, mit dem Bericht, daß desselbigen Abends noch eine Compagnie Fuseliere bey mir einrücken werde; immer noch in Gemäßheit jenes übel berechneten Planes. Nun war dem Volke weißgemacht worden boshafter und tückischer Weise, wahrscheinlich von des Planes Urhebern selber, daß derjenige, welcher diesen verhaßten, das Volk zu Grunde richtenden Entwurf ausgebrütet habe, kein andrer sey als ihr Seelsorger, als eben der, welcher Leib und Seel dran setzte, den heillosen Plan umzustürzen, und aus der Welt zu schaffen. Während ich nun sitze, und rede mit dem Fourier, [109] kömmt ein Trupp Bauern den Hof heraufgetrabt, dringt mit Ungestüm in das Haus, und verlangt den Herrn zu sprechen. Sobald ich erschienen, umringen sie mich; der das Wort zu führen übernommen, hebt seinen Spruch an, verliert die Fassung, hustet, stottert, räuspert sich; die andern helfen ihm ein, endlich kommen sie in Athem; ein Strom von Vorwürfen folgt; wie schlecht ich an ihnen gehandelt, wie sie eines Bessern sich zu mir versehn, wie ich sie verkauft und verrathen, wie ich unter einer Decke spiele mit denen, die nur darüber aus seyn sie zu erdrücken und zu ruiniren ... Ich erstaune. Ich traue meinen Ohren kaum. Die Leute sind weder trunken gleichwohl noch rasend. Als ich mit Mühe und Noth endlich ihre Meinung begriffen, übernimmt mich der Unmuth, und ich gehe auf meine Stube sprachlos von Aerger und von der herzzerschneidenden Kränkung. Meine Gattin, Zeugin der Auftritte, nimmt statt meiner das Wort, verweist dem ungeschlachten Volk seine Unart und Dummheit, führt ihnen zu Gemüthe, wie ich mich für sie zerarbeite Tag und Nacht, und mit welchem Undank sie mir dafür lohnen .... In demselbigen Augenblick kommen die Fuseliere in langen Reihen den Hof herauf marschirt. Den Bauern dünkt nicht rathsam, länger zu säumen. Beschämt schlichen sie von dannen, und ich meines Theils, wie sich von selbst versteht, habe das arme irrgeführte Volk seine alberne Leichtgläubigkeit und [110] ungeschlachte Rohheit im Geringsten nicht entgelten lassen.

Die Compagnie war indessen eingerückt; die Offiziere, die den bösen Weg zugleich mit den Gemeinen zu Fuß zurückgelegt, erschienen, starrend von Koth, todtmüde, mißlaunigt. Die Sergeanten berichteten, daß viele Leute fehlten; sie waren stecken geblieben ohne Zweifel in dem bodenlosen Schlamm und Schnee, und in der stockfinstern Nacht mit der Laterne sie aufsuchen zu lassen, wäre vergebne Arbeit gewesen. Spät Abends trug man uns Einen davon ins Haus, der von einem aus der Mühle heimkehrenden Fuhrmann in einem Graben war gefunden worden. Er schien starrtodt; doch gelang es uns, ihn wieder herzustellen. Die übrigen fanden sich dann auch allmählig wieder zusammen in den folgenden Tagen, früher die einen, die andern später. Obgleich die Offiziere darauf bestanden, daß, ihrer Ordre gemäß die ganze sehr vollzählige Compagnie im Orte selbst untergebracht werden solle; dennoch machte ich die Vollgewalt geltend, die mir angeblich beygelegt sey, legte ihnen auch einige Briefe vor mit dem großen Kaiserlichen Adler, die freilich ganz andre Dinge enthielten, als ich sie glauben ließ. Sie ihrer seits waren müd' und verdrossen; die Briefe zu lesen war ihnen nicht gemüthlich; lieber glaubten sie mir aufs Wort, und liessen mich gewähren. So verlegte ich dann zu des Ortes Erleichterung [111] nicht nur, sondern auch zu der Leute eigner besserer Verpflegung, zwey Drittheile der Compagnie in die nächsten Dörfer und Edelsitze, die freilich nur um zwey oder drey Büchsenschüsse von dem Ort entlegen sind, mithin zur Noth für eine Fortsetzung desselben gelten können. Es ist denn auch nachher dabey geblieben. Ob etwa Pino vor der Abreise dem ihn ablösenden Oberbefehlshaber meine Briefe und Papiere mitgetheilt haben mag, weiß ich nicht zu sagen. Genug der eben so heillos ersonnene als kopflos ausgeführte Plan ward bey Seite gelegt, und es ist nicht weiter von ihm die Rede gewesen.

Unsre neuesten Gäste waren nur erst wenige Tage mit uns zusammen gewesen, als sichs zeigte, daß mit ihnen weit besser auszukommen sey, als mit den zweyten, geschweige mit den ersten. Da war keiner der Unsrigen, der nicht eingeräumt hätte, daß ihrer drey und vier ungleich leichter abgefunden und zufrieden gestellt werden könnten, als es der Fall gewesen mit zweyen von den Wälschen, und mit einem Einzigen von den Rheinbündnern. Dazu half allerdings die verhältnißmäßig geringe Zahl der Truppen, die dem Lande eben nicht zu sehr zur Last fallen konnte; ferner die Denkungsart der Befehlshaber, die über der militärischen Ehre hielten, und keine Art der Unordnung duldeten. Ich meines Theils wiewohl das mich begünstigende Verbot noch immer bestand, nahm den [112] ältesten, mithin commandirenden Offizier des Landes freywillig ins Haus, einen Mann von gesetzten Jahren, der von der Pike auf gedient, und sein Soldatenmetier recht gut verstand; übrigens der unwissendste und unbehülflichste Mensch unter der Sonne, der bey jedem nur nicht ganz alltäglichen Vorfall sich weder zu rathen noch zu helfen wußte, die Ordres gemeiniglich in die Quere verstand, unzählige Versehen machte, und dafür täglich und stündlich seine Ausputzer bekam von den Höhern, die übrigens wegen seiner Rechtlichkeit und Bravheit ihn schätzten. Er pflegte dann wohl mir und meinem Sohne seine Noth zu klagen, die wir ihn dann tüchtig auslachten für den Augenblick, fürs Künftige aber uns seiner annahmen, und ihm zurecht halfen, wenns Noth that. Das erkannte er mit größter Dankbarkeit, zog uns in allen Dingen zu Rath, und diente gelegentlich uns gern wieder. Er war ein Freund der bourgeois, und gab ihnen meistens Recht gegen die Soldaten, daher ihm denn auch jeder gewogen wurde. Er hegte alle nur ersinnliche Ehrerbietung vor meiner Person, vor meinen Büchern, und selbst vor meinem Berufe. Als ich bey der Annäherung des Weihnachtfestes ihn bat, während des Festes, wo ich viel zu predigen und zu studiren habe, mir die erforderliche Muße zu verschaffen, traf er so kräftige Anstalten, daß ich im tiefsten Frieden selber keiner so tiefen Ruhe genossen habe, [113] als diesmal. Dieser Capitain Martin hat volle sechs Monden bey uns gelegen; nie ist das gute Vernehmen gestöhrt worden zwischen ihm und uns; wir betrachteten und behandelten ihn denn auch zuletzt nicht mehr als einen Fremden, sondern als einen Freund vom Hause.

Allein in eben dem Maaße, worin ich anfing Ruhe zu gewinnen von Seiten unsrer ausländischen Dränger, ward mir mehr und mehr zu schaffen gemacht von Seiten unsrer eignen einheimischen, für die Bedürfnisse des Augenblicks niedergesetzten Landesverwaltung, und der damit verzweigten Bureaux, Commiteen und Commissariate. Diese ephemeren Beamten, deren Bevollmächtigung und eigentlicher Geschäftskreis nicht einmal zur öffentlichen Kunde gebracht worden, fingen an, die Prediger als ihre Geschäftsträger und Commis zu behandeln, denen sie nur auftragen dürften, was ihnen gerade bequem däuchte. In Betracht dessen, daß in außerordentlichen Lagen jeder Bürger dem Vaterlande auch zu außerordentlicher Dienstleistung verpflichtet ist, übernahmen wir willig, was nur irgend mit der Würde unsers Berufs sich vertragen mochte, theilten auch alle Lasten unsrer Mitbürger, liessen ruhen einstweilen unsre wohlhergebrachten und gesetzlich begründeten Exemtionen und Immunitäten, schatzten, steuerten, lieferten, fuhren, schanzten sogar in die Wette mit den Andern. Allein nicht selten waren [114] die Aufträge und Zumuthungen jener, von den geographischen und statistischen Eigenthümlichkeiten des eignen Landes nicht allezeit zum Besten unterrichteten Männer von der Art, daß sie physischer und moralischer Hindernisse halber unmöglich ausgeführt werden konnten. Wie oft ist ihnen begegnet, Fuhren, Lieferungen, Schanzgräber, Hand- und Fußdiener auszuschreiben auf Dörfer und Höfe, von deren längst nicht mehr Vorhandenseyn der nächste beste Cadaster, oder in dessen Ermanglung die von uns unzähligemal eingesandten Tabellen sie sofort hätten überführen können. Wie oft sind sie in den Fall gekommen, die früher gegebnen Befehle zurücknehmen zu müssen durch die spätern; wie oft, dem eignen Worte zu ermangeln, und die übernommenen Verpflichtungen ungelöst zu lassen. Was freilich mit unter mag in Rechnung gebracht werden dem Druck und Drang, welchem sie selbst bloß gestellt waren von Seiten der usurpirenden Gewalt, ingleichen den allzuhäufigen Veränderungen des Personals, da dann den Neueintretenden die Lust oder die Muße mangelte, die früher abgemachten Geschäfte einzulernen.

Es wird nöthig seyn, auf eine und andre dieser wechselseltigen Reibungen mich einzulassen, im geringsten nicht, als wäre es die Absicht, diesen längst erloschenen Behörden, deren einzelne Mitglieder von dem besten Willen erfüllt seyn mochten, nach so viel verstrichnen [115] Jahren noch einen üblen Leumund machen zu wollen; sondern einzig und allein, um auch von dieser Seite den Entschluß begreiflich zu machen, den ich am Ende gefaßt und zu dessen Rechtfertigung dieser Schrift unternommen worden.

Es war beliebt worden, das Brod, was dem Militair geliefert wurde, nicht ferner durch die Fouriere und Sergeants an die Soldaten vertheilen zu lassen, was den Unterschleif allzusehr begünstigte, sondern es von nun an abzureichen an die bequartierten Hauswirthe durch rechtliche und zuverlässige Männer der einzelnen Gemeinden. Auch ich ward dem zufolge ersucht von der Administration, irgend ein taugliches Subject zu diesem Geschäft vorzuschlagen aus meinem Sprengel. Da niemand Lust hatte, sich damit zu befassen, die Maaßregel selbst aber mir beyfallswürdig schien, so entschloß ich mich das Geschäft selbst zu übernehmen, und es ging recht gut. Jeden dritten Tag requirirte ich die Zahl der Brode, die ich bedurfte, und nachdem ich sie von Bergen aus empfangen, vertheilte ich sie unter die bequartierten Dörfer und Höfe, welche ihre Quoten zur bestimmten Stunde regelmäßig bey mir abholen ließen. Aber nun verlangte die Administration, daß auch Empfangscheine eingesandt werden sollten von den Empfängern. Ich erwiederte, daß dies Begehren, an und für sich selbst betrachtet, ganz in der Regel sey; da aber die Empfänger [116] meistens des Schreibens nicht kundig wären, so würde doch nur ich ihnen die Quittungen schreiben können, im Grunde also doch nur mich selbst quittiren, was der löblichen Behörde wenig helfen könne. Ich müsse bitten, daß man mir aufs Wort glaube; widrigenfalls wolle ich mit der Sache nichts zu schaffen haben .... Sie standen nun ab von den Empfangscheinen. Ich fuhr fort zu requiriren; sie zu schicken. Die Zahl der Essenden war nicht allezeit haarscharf zu bestimmen, indem unaufhörlich die Einen kamen, die Andern gingen. Ich sorgte dann, daß ich nur nicht zu kurz kam. Mir blieben allezeit Brode übrig, dessen dann die Armen des Ortes reichlich zu geniessen hatten.

Ich hatte eins der mir zuständigen Häuser im Dorfe hergegeben, damit eine Art von Hauptwache nebst den erforderlichen Prisons und Cachots darin errichtet werde, dergleichen zur Erhaltung der Zucht und Ruhe höchst nöthig war. Allein nun mußte auch Holz geschaft werden, womit die Wache geheitzt, ingleichen Licht, womit sie erleuchtet werden könne. Unstreitig lag der Gemeinde ob, zu deren Besten die Anstalt eingerichtet wurde, diese Bedürfnisse zu liefern. Allein das Holz fehlte überall, und das Licht war eben kein Gegenstand von sonderlicher Bedeutung. Also gab ich willig her von meinen Vorräthen, ließ auch, damit nur die Wache geheitzt und erleuchtet werden [117] möge, meine Studirstube, die mir ohnehin fast überflüssig war unter den dermaligen Umständen, die Sonnabende und Sonntage ausgenommen, lieber ungeheitzt und unerleuchtet. Nun trug sich zu, daß während dieser Zeit des Obergenerals Adjutant mich einmal besuchte, und meine Bücher, von denen er gehört haben mochte, zu sehen wünschte. Ich führte ihn dann auf meine Studirstube. »Schön, rief er aus, recht schön! ... Aber kalt! die Hände reibend, verzweifelt kalt!« ... Er griff an den Ofen. Wie? sagte er, Sie heizen nicht ein bey solcher Kälte? ... Sonst wohl, erwiedert' ich, aber nicht für jetzt .... Ob es mir etwa an Holz fehle, fragte er. Mein Holz, antwortete ich, brennt im Ofen der Wachtstube .... Was? schrie er, die Wachtstube heizen Sie? Der Mensch hub Hände und Augen gen Himmel. Und mit dem diesem Volk eigenthümlichen lebendigen Gebehrdenspiel. Unerhört! Unverantwortlich! Ueber diese Administration! Nun ich gebe Ihnen mein Wort, es soll anders werden .... Ich bekam denn auch wirklich mit nächster Post ein überaus höfliches Sendschreiben von besagter Administration, worin sie beklagte, daß ich, gemeinem Besten zu Liebe, mich so mancher Unbequemlichkeit unterzöge. Ich begriffe indessen wohl, daß bey jetzigen Wegen und Wetter kein Holz angefahren werden könne; ich möchte mich nur noch einige Zeit gedulden; sobald die Umstände es verstatteten, [118] solle alles ersetzt werden .... Ich habe mich denn auch geduldet. Den ganzen Winter hab' ich fortgefahren, die Wache zu heizen. Es ward Frühling. Es ward Sommer. Weg und Wetter liessen nichts zu wünschen übrig. Kein Holz ist mir gekommen ... Ich habe die Forderung am Ende auf meinen Nachfolger übertragen; ob er sie geltend zu machen verstanden, weiß ich für den Augenblick nicht zu sagen.

Es war versprochen worden, jedem Prediger, welcher Offiziere beherberge, eine Vergütung zukommen zu lassen von täglich anderthalb Thalern auf den Mann. Ich schickte dann auch einstens meine Bons ein, und bekam den Belang. Als ich aber nach geraumer Frist eine ungleich stärkere Forderung zu liquidiren vermeinte, hatte die löbliche Behörde indeß ihre Ansicht der Sache verändert, wunderte sich gewaltig, wie ich Entschädigung begehren möge für Einen Offizier, da mir deren eigentlich drey zu erhalten zukämen, und erklärte die ganze Forderung für unstatthaft. Ich, ihrer Statthaftigkeit gewiß, beschwerte mich bey der Gouvernements-Commission, der damaligen obersten Behörde des Landes, und die Administration erhielt Befehl zu zahlen. Allein jetzt fehlte es am Baaren. Mein Recht ward nun nicht ferner bestritten; mit der Zahlung aber wurde ich vertröstet bis zur dereinstigen allgemeinen Landes-Liquidation, das ist, bis zu den Griechischen Kalenden.

[119] Abermal ward mir geschrieben von der Administration, daß unaufhörlich Klagen eingingen wegen schlechter Qualität des dem Militär zu reichenden Brantweins; daß rathsam befunden worden, wie seither mit dem Brode geschehn, so auch künftig die Rationen zumessen zu lassen den Quartierwirthen; ich werde demnach ersucht, einen tauglichen Menschen auszumitteln in meiner Gemeinde, der den Brantwein, welcher so und so viel Grad halten müsse, den Wirthen zu liefern übernehme, da dann die Administration für jedes Oxhoft des also qualifizirten Getränkes sechs und funfzig Thaler zu zahlen verspreche. Ich beschied des Dorfes ersten Gastwirth zu mir, und forderte ihn auf, diese Lieferung zu übernehmen. Er war bereit dazu, dafern er nur mit Sicherheit auf die Zahlung rechnen könne. Daran, meinte ich, sey nicht zu zweifeln, und zeigte ihm das Schreiben der Administration. Der Mann zuckte die Achseln. Mit der löblichen Administration habe er nichts zu schaffen, erklärte er, wenn aber ich für die Zahlung ihm einstehn wolle, so werde er alles aufs beste besorgen. Im Vertrauen auf das mit äußerster Bestimmtheit ausgesprochne Wort einer öffentlich anerkannten Behörde, nahm ich keinen Anstand, die Bürgschaft zu leisten. Das erste Oxhoft kam, die Waare war gut, und ward bald alle. Ich zeigte es an, fragend zugleich, ob ich fortfahren solle. »In alle Wege! man achte sich mir höchlich [120] verpflichtet für meinen Eifer!« Als nun auch das zweyte Oxhoft erschöpft war, und der Lieferant ohnehin in Bergen zu thun hatte, rieth ich ihm die Bons mitzunehmen, und den Belang einzucassiren. Ganz betreten kam der Mann zurück, erzählend, daß man vor der Administration ihn tüchtig ausgelacht und wieder vorbeschieden habe auf den Tag der allgemeinen Landesliquidation. Ich war sehr ungehalten, wie natürlich. Ohne mit der treulosen Behörde mich weiter einzulassen, klagte ich sofort bey der Gouvernements-Commission. Auch diesmal ward die Administration verurtheilt, ungesäumt zu zahlen. Die Administration citirte nun die Häupter der Gemeinde. Die Gemeinde wußte nichts von solchen Häuptern. Es hat so wenig die Gemeinde der Administration gehorcht, als die Administration gehorcht hat der Gouvernements-Commission. Es ward der alte Singsang von dem Hausvater, der den Jödel ausschickte den Hafer zu schneiden, und hinterher den Pudel und hinterher den Knittel; allein der Knittel schlug den Pudel nicht, der Pudel biß den Jödel nicht, der Jödel schnitt den Hafer nicht und kam auch nicht zu Hause .... Müde des Querulirens zahlt' ich dem Gastwirth, und lebe nun der tröstlichen Hoffnung diese Forderung nebst hundert ähnlichen getilgt zu sehn, wenn nicht im Termin der allgemeinen Landes-Liquidation, so doch am Tage der großen letzten Ausgleichung.

[121] Daß unter solchen Umständen meine Casse mir endlich habe versagen müssen, läßt sich denken. Der Ausgaben waren unzählige, wogegen die meisten Einflüsse stockten. Die Zehnten blieben aus; die Pächter säumten zu zahlen; was zufällig einging, wollte nicht langen. Uebrigens ward nach wie vor von mir requirirt unter hundert Titeln. Die Handwerker des Ortes, wenn sie für das Militär gearbeitet hatten, wurden mit Bons abgefunden, ausgestellt auf die Landesadministration. Die Administration nahm die Bons, und schrieb den Belang den Leuten in das Credit. Da aber weder dem Schmiede die Kohlen, noch dem Sattler die Juchten, noch dem Schreiner die Bretter creditirt wurden, so weigerten sich die Leute von nun an zu arbeiten, dafern nicht ich für die Zahlung ihnen einstände. Was sollt' ich thun? Wollt' ich nicht täglichen Händeln entgegensehn, wollt' ich mich nicht aussetzen den Ausbrüchen roher Gemeinheit, so mußte ich schon zugeben, daß die Pöste mir in Rechnung gestellt wurden. So sind denn das ganze Jahr hindurch die Pferde behufeist, die Rüstwagen beschlagen, die Monturen ausgebessert, es sind hundertley Geräthe, kleinere und größere neuverfertigt oder altgeflickt worden für meine Rechnung. Ich gab hin, so lang ich hatte. Als ich selbst nicht mehr hatte, half ich mir mit Borgen. Wohl war zu fürchten, daß, wenn solches dauerte, alle Hülfsquellen mir endlich versiegen, und unser [122] Wohlstand unwiederbringlich erschüttert werden würde. Allein ich habe um die Dinge dieser Art mich nie von Herzen bekümmern können. Es hat weder der Mangel meinen Muth zu dämpfen getaugt, noch der Ueberfluß vermocht, ihn zu heben. »Nackend bin ich aus meiner Mutter Leib gekommen; nackend werde ich wieder von dannen fahren!« Dies war Hiobs Wahlspruch. Es ist der Meine. 5

Also nicht dieses war es, das mich kränkte, das mich verstimmte, das alle Heiterkeit und Geistes-Gleichmüthigkeit mir raubte. Es war etwas Anderes, Tieferes, [123] Ernsteres. Es war die Zerstöhrung meines bisherigen Lebensglücks, die Zerrüttung jener patriarchalischen Lebensweise, das Verschwinden aller Ruhe und alles Friedens, die Unmöglichkeit obzuliegen meinen liebsten Beschäftigungen, dem Studiren, der Betrachtung, der Unterweisung meiner Kinder. Hiezu kam, daß ich mich nicht mehr von Herzen erfreuen konnte meiner Gemeinde. Die alte Einfalt war nun dahin, verloren jene rührende Treuherzigkeit und Wahrheit. Selbst die Sprache ward anbrüchig, und artete aus in ein unausstehliches Roth- und Kauderwelsch, das mir Uebelkeit und Ekel erregte. Das Volk verwilderte. Die Sitten verfielen. Die Dirnen hängten sich an die fremden glatten Buben. Die Kinder gingen verwahrlost umher und sahen und hörten wenig Gutes. Die Gottesdienste wurden zwar wohl noch besucht; allein das Feuer der Andacht war erloschen. Mein schönes Zion drohte umzuschlagen in ein verwildertes Edom. Meine Paradiese lagen wüste. In meinem Saronsgarten wühlten die Säue .... Was Wunder dann, wenn Trübsinn und Mismuth mich übermannten, und eine finstre Melankolie an den Wurzeln meines Lebens nagte.

Meine Laune verstimmte sich. Mein Gemüth versauerte sich. Es kam mir vor, als sey ich ein Anderer geworden mit sammt den Andern. Ich, der sonst eines gütigen leutseligen Gemüthes sich rühmen durfte, [124] war nun heftig, auffahrend, jachzornig. Wie ich nur die Hausthür klingeln, nur die Stufen der Treppe krachen hörte, gerieth ich in Harnisch. Keinen Widerspruch konnte ich ertragen, fertigte kurz und barsch die Leute ab, die eines Bessern von mir gewohnt waren, und ertappte mich ein oder zweymal auf wirklichen Härten.

Wenn ich dieser krankhaften Empfindlichkeit den eignen Angehörigen gegenüber mich micht allzeit zu ermächtigen vermochte, so ist begreiflich, wenn selbige gegenüber den Fremden anwuchs bis zum entschiednen Widerwillen. Es kam dahin, daß ich eine Art idiosynkratischer Beklemmung empfand in deren Gegenwart. Es war nicht mein reflectirtes Urtheil, dem sie widerstanden; vielmehr konnte ich manchem unter ihnen meine Achtung, Einem und Andern meine Werthschätzung nicht versagen; es war die blinde willkührlose Natur, welche sich beängstigt fühlte in ihrer Nähe, ohngefähr wie die, welche mit der Katzenscheu behaftet sind, sich geängstigt fühlen in der Nähe der Katzen. Daß ich bey solcher Stimmung ihnen werde ausgewichen seyn, so viel nur immer thunlich war, läßt sich denken. Und eben daß ich es nicht vermochte, daß ich mich vor ihnen nicht retten noch bergen konnte, war meine größte Plage. Trat ich vor die Thür, so saßen sie auf den Bänken. Ging ich in den Garten, so spatzierten sie zwischen den Hecken. Wagt' [125] ich mich hinaus aufs Feld, so führte der leidige Feind flugs Einen oder Zween mir in Weg, die nichts Eiligeres hatten, als mit ihren hohlen Phrasen und schaalen Höflichkeitserweisungen mich zu quälen. Da ich nun auch auf meiner Studirstube im geringsten nicht gesichert war, so blieb nichts, wohin ich mich hätte flüchten können, als meine Kirche. Dorthin mich zu verfolgen, von dort mich abzurufen, wagte niemand. So bin ich dann stundenlang fast täglich in meiner Kirche auf- und abgewandelt, den langen Mittelgang zwischen den Gestühlen hinunter, vom Chor herab bis unter die Säulen der Orgel, die Gräber unter mir, die Gewölbe über mir, umringt von den halbverblichnen Bildnissen meiner längst in Staub zerfallnen Vorfahren. Ich pflegte dann wohl die große Foliobibel aufzuschlagen, die auf des Küsters Lesepult lag, und einen oder andern Psalm, der meiner Lage und Stimmung zusagte, halblaut mir vorzulesen. O wie oft hab' ich vor mich hingesprochen aus des Herzens innersten Tiefen jenes Lied im höhern Chor, das einhundert sechs und zwanzigste aus jenem unausschöpflichen Lieder-Schatze:


»Wenn der Herr die Gefangenen Zion erlösen wird, so werden wir seyn wie die Träumende.

Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens seyn. Da [126] wird man sagen unter den Heyden: Der Herr hat Großes an ihnen gethan!

Der Herr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich.

Herr wende unser Gefängniß, wie du die Wasser gegen Mittag trocknest.

Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten.

Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Saamen; und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.«


Daß der hinfällige gebrechliche Leib das Kränkeln des an ihn gebundnen Zwillingbruders nicht werde haben ungetheilt gelassen, mag leicht erachtet werden. Ich war nicht eigentlich krank zwar, nicht in dem Sinn, daß ich eine förmliche Heilkur hätte brauchen können; auch möchten die Aerzte in Verlegenheit gewesen seyn, eine solche für mich auszufinden. Aber ich befand mich in einem gewissen Hinschmachten, das mißlicher seyn mochte, als jede entschiedne Krankheit. Eine Müde, eine Schwere empfand ich. Es lag mir wie Bley in den Röhren. Die Füße weigerten sich, den Leib zu tragen, also daß ich nach jedem zwanzigsten und dreißigsten Schritt niedersitzen mußte.

Ohne mit irgend einem Menschen Rücksprache zu pflegen über diesen Zustand, konnte ich gleichwohl nicht [127] umhin, ernstlich darüber zu Rath zu gehn mit mir selber. Ich empfand, daß es nicht besser, daß es eher schlimmer mit mir werden würde, bis entweder ich die Lage veränderte, oder das Land die seine. Daß Letzteres geschehen würde, dazu war nicht die allerfernste Aussicht vorhanden; kannten wir doch unsers Königs felsenfeste Standhaftigkeit, und seinen unwiederruflichen Entschluß, lieber unterzugehn als mit dem Widerwärtigen den Frieden zu schliessen. So blieb denn nur das erstere mir übrig; die Veränderung der eignen Lage. Nichts blieb übrig, dafern ich mich mir selber, den Meinigen, der Welt (welche letztere freilich meiner leichtlich entbehrt hätte), noch eine Weile erhalten wollte, als eine Lage mir zu wählen, wo ich, der ängstenden Verhältnisse, die mir die Brust einschnürten und das Herz zerpreßten, entstrickt, unter einem schönen Himmel, und in einer freundlichen Umgebung, neue Lebenskraft in mich saugen; dann aber, wann ich leiblich und geistig gestärkt mich fühlte, mit Ruhe und Ergebung zurückkehren möchte, zu neuem Wirken und Dulden. Zwar band mich das Amt, das mir war vertrauet worden; allein eben meines Amtes konnt' ich nur unvollkommen wahrnehmen während meiner dermaligen geistigen Verfinsterung und leiblichen Lähmung. Es fesselte mich die Gemeinde, welche eben jetzt meiner dringender bedurfte, als jemalen; aber eben diese war ungleich besser berathen, wenn ich [128] in Gemäßheit der mir zustehenden Gerechtsame, einen jüngern kräftigern Gehülfen mir zugesellte, welcher ausgerüstet mit den erforderlichen Gaben, Tugenden und Einsichten, feuernd noch von der ersten Liebe, und stark im Glauben, dem hartbedrängten Volk hülfreicher und heilbringender werden mußte, als ich es vermochte mit meiner schon gebrochnen Kraft, und meiner unherstellbar getrübten Stimmung.

Ueber denjenigen, welchem ich allein so Großes anvertrauen dürfte, war ich längst bey mir entschieden. Minder war ich es in Betracht der Parthey, die ich zu ergreifen, des Ortes, den ich zu erwählen, der Maaßregeln, die ich zu nehmen hätte, um eine würdige und anständige Stellung zu behaupten bis zur Entscheidung alles Schicksals.

Mein erster Gedanke war, überzugehn nach Schweden, für welches Land ich von jeher eine eigne Vorliebe genährt, und welches zu vertauschen mit der deutschen Heimath mir kaum eine Verwechselung des Vaterlandes gedäucht hätte. Ich bedurfte jedoch zu einem solchen Schritt der Genehmigung des Königs. Daß sie mir nicht entstehen werde, glaubte ich hoffen zu dürfen. Ich kannte den König. Er kannte mich. Ich wußte, daß er mir gewogen sey. Ich durfte nicht zweifeln, daß er mir ein einstweiliges oder bleibendes Asyl in seinem Reiche gestatten werde. Die Frage war nur, auf welche Weise mein Wunsch ihm zu [129] offenbaren, auf welchem Wege ein Brief von mir in seine Hände zu bringen sey, da das Land gesperrt, und aller Verkehr mit dem sogenannten Feinde hoch verpönt war. Jedoch auch hiezu bot sich mir ein Ausweg dar, den ich ungesäumt benutzte.

Auf einer Reise nach Bergen, der einzigen, die ich seit der Besetzung des Landes dringender Geschäfte halber mir erlaubt hatte, lernte ich in dem gastfreundlichen Hause meines Jugend- und Universitäts-Freundes, des verehrungswürdigen Probst Droysen, einen Schwedischen Rittmeister, Aquilon, kennen. Er war zurückgeblieben nach des Schwedischen Heers Abzuge, um der Kranken, die in den Hospitälern zurückgelassen werden mußten, einstweilen wahrzunehmen, und stand eben jetzt auf dem Punkt, mit den Genesenen sich einzuschiffen für die Heimath. Dieser Aquilon schien mir eines ernsten Sinns zu seyn und eines gesetzten Wesens. Ich glaubte zu lesen in seinen stark ausgeprägten Zügen die Eigenthümlichkeiten des Nationalkarakters, eine Treue, die alle Proben besteht, und eine Festigkeit, die keinem Sturm sich beugt. Da der Probst die Meinung, die ich von ihm gefaßt, bestätigte, so offenbarte ich ihm, daß ich an den König zu schreiben habe, und fragte ihn, ob er sich getraue, den Brief zu besorgen. Er übernahm es mit Eifer. Er versicherte, daß er den Brief eher vernichten, als ihn in andre Hände geben würde, als die des Königs selber. [130] Nachdem ich das Nöthige mit ihm verabredet, reiste ich zu Hause und schrieb. Ausführlich berichtete ich dem König, was vorgegangen bey uns seit seiner Abreise, verbreitete mich über des Landes gegenwärtigen Zustand, entwarf sodann ein erschütterndes aber wahres Gemählde meiner eignen Lage, und bat, nachdem ich für meine Gemeinde gesorgt haben würde, in sein schönes und sichres Reich mich retten zu dürfen, wo ich bereit sey jedes Geschäft, dessen ich mich fähig fühlte, und das er mir anzuvertrauen geruhen würde, einstweilen zu übernehmen und zu verwalten. Mittlerweile hatte Probst Droysen mir gemeldet, daß Aquilon bereits in der Lanker Bucht liege, und mit dem nächsten günstigen Winde absegeln werde. Ich schickte dann meine Briefe an den Probst, welcher sie weiter spedirte an den Pastor zu Lanken, und mir zurückschrieb in dessen Auftrag, daß Aquilon alles wohlempfangen, daß er bereits abgegangen sey, uns aber wohl leben heisse, und des Bewußten halber ihm gänzlich vertrauen.

Ich fühlte mich ruhiger nach dem Abgang meines Briefes. Hatte ich doch einen Faden angeknüpft, mittelst dessen ich hoffen durfte, aus diesem Irr- und Drangsal herausgeführt zu werden .... Diese Hoffnung ward jedoch nicht erfüllt. Ich sollte nicht fremd werden der vaterländischen Erde. Es war nur nicht verhängt, eingebürgert zu werden in »Odins riesenhaftem [131] Reiche« ... Ich habe keine Antwort erhalten auf jenen Brief.

Daß der trefliche Schwede den übernommenen Auftrag getreulich ausgerichtet habe, daran zweifelte ich keinen Augenblick. Wie er es gethan, erfuhr ich erst volle sechs Jahre später.

Im Frühling nemlich des achtzehnhundert dreyzehnten Jahrs, als auch die Schwedischen Krieger von ihren Küsten herüberschifften, um wegen der erlittenen Verhöhnungen sich die Genugthuung zu nehmen, war auch Aquilon sammt den andern gelandet auf dem Mönchguthischen Gestade. Nun führte aber die Marschlinie, die man den gelandeten, und nach Stralsund bestimmten Kriegern abgesteckt hatte, durch das Städtlein Garz und nicht durch Bergen. Aquilon, begierig der ihn drückenden Rechenschaft sich zu entbürden, läßt die andern ihres Weges ziehn, lenkt ab, da die Straße sich theilt, auf Bergen, nimmt die Nacht zu Hülfe, und tritt früh morgens zu meinem eben aufgestandenen überraschten Freunde in das Zimmer; meldet in wenig Worten, woher er komme, wie die Zeit ihn dränge, wie er den Umweg genommen, eigends nun Bericht abzustatten von der Ablieferung des anvertrauten Briefes, wie er bitte, solches mir zu überschreiben, indem er, mich selbst zu sprechen, schwerlich hoffen dürfe. Was er aber berichtet, ist dieses:

Aquilon, sobald er nur auf der Schwedischen Küste [132] gelandet, hat nichts Angelegneres, als sich nach des Königs dermaligem Aufenthalt zu erkundigen. Er erfährt, daß der König in einer kleinen entlegenen Landstadt liege, einsam und zugänglich keinem. Aquilon, ohne einen Weg von zwanzig Schwedischen Meilen sich verdrießen zu lassen, reist hin. Da er merken läßt, daß er komme den König zu sprechen, bedauert man ihn; er habe die Reise sparen können, meint man; der König spreche niemand. Aquilon läßt gleichwohl sich melden, und wird abgewiesen. Aquilon erklärt, wie er sich unmöglich könne abweisen lassen; er habe dem König einen Brief zu überreichen von mir; er habe seine Ehre verpfändet, den Brief in keine andre Hände zu geben, als die des Königs; er müsse gar sehr bitten, daß der König ihm gestatte sein Wort zu lösen. Sofort läßt der rittersinnige König ihn vor, hört seinen Bericht, empfängt den Brief, und entläßt den Ueberbringer mit Güte.

Daß mein Brief auf den König gewirkt, läßt dessen gefühlvolle edelmüthige Sinnesweise mich nicht zweifeln. Daß der Brief ohne Antwort geblieben, ist zu begreifen. Auf dem graden Wege konnte die Antwort mir nicht zukommen. Mittelst eines Schleichweges sie mir zuzufördern, war unter des Königs Würde .... Wie dem auch sey; Friede müsse seyn mit des hart geprüften, auch ohne Krone sattsam gekrönten, Königs Gott liebenden und die Menschen achtenden [133] Gemüthe! ... Und nie müsse mangeln ein Freund in der Noth jenem ächten Schweden, dem zuverlässigen unverdroßnen Bewahrer anvertrauter Pfänder, dem mannhaften Rittmeister Aquilon!

Nachdem ich einige Monate vergeblich gewartet hatte auf einen Wink aus Schweden, fing meine auf jenen Brief gestützte Hoffnung freilich an zu sinken. Der Januar war indeß verstrichen. Der Februar trat ein, und zugleich mit ihm mein funfzigster Geburtstag. Meine Kinder ermangelten nicht, ihn mit sorgenloser Fröhlichkeit zu begehn. Mir meines Theils ist keiner trüber vorübergegangen, als dieser.

Nicht lange, und auch der Frühling trat ins Feld; zeitiger diesmal, als er pflegt in unsern Climaten. Im März schon öffnete sich die Erde. Die Bienen sumseten; die Lerche wirbelte; der Schwäne Luftgeschrey klang herüber aus der Ferne. Eine schimmernde Frühlingsfiora, übrigblieben noch von den Pflanzungen meines blumenliebenden Vorfahren, verschönerte die sonst öden Gärten. Zwischen dem noch laublosen Gesträuch glühete die güldne Christwurz, Millionen Schneeglöckchen überflockten rings die Beete. Aus dem schwarzen Grunde brannte schon der Krokos hervor. Und der frühblühende Zindelbast verbreitete schon seine würzhaften Gerüche. Lüstern wie immer schlürfte ich die ersten Labetropfen ein aus dem sich wieder füllenden Becher der ewig jungen Natur. Allein sie [134] dienten nicht mich zu erquicken; sie dienten nur zu schärfen jene schmachtende krankhafte Stimmung, die nun auch den Meinigen nicht länger verborgen bleiben konnte, wiewohl ich fortfuhr, was in meinem Innern vorging, aller Welt zu verheelen.

In eben dem Maaße, worin die Jahrszeit sich erheiterte, verfinsterte sich der politische Himmel unsers Landes. An die Wiederherstellung der verlornen Ruhe war im mindesten nicht zu denken. Vielmehr ward uns von allen Seiten her versichert, daß, da unsre Küsten den Landungen der Engländer bloß lägen, das Land von nun an ungleich stärker besetzt werden müsse, was dann für den Sommer wenig Tröstliches hoffen ließ.

Immer mehr drängte es mich, die Szene zu wechseln, und unsern Drängern einstweilen das Feld zu räumen. Ich beschloß nunmehr, da auf Schweden nicht weiter zu rechnen war, von der bestehenden Regierung mir einen Urlaub zu erbitten auf unbestimmte Zeit, und, nachdem ich zuvor durch Berufung eines Diaconus für das Amt und die Gemeinde gesorgt haben würde, mit meiner Familie mich einstweilen niederzulassen innerhalb der Gränzen meines Geburtslandes, ja, wenn die Umstände es nur immer verstatteten, innerhalb meiner Heimath selber, zu deren Fluren, Seen, Bergen und Wäldern ich eben itzt mich hingezogen fühlte von einer krankhaften heimwehartigen [135] Sehnsucht. Unter diesem befreundeten Himmel, in der Mitte von Menschen, deren jeder mir ein Milchbruder bedünken mußte, gegenüber tausend Gegenständen, die in das elysische Traumleben meiner Kindheit mich zurückzuzaubern verhiessen, durfte ich am ehesten zu genesen hoffen. Auch des Anblicks jener mir so beschwerlich gewordnen Fremden hofft' ich dort überhoben zu seyn. Denn es waren die freundschaftlichen Verhältnisse zwischen den Meklenburgischen Höfen und dem Französischen Kaiser damalen schon wiederhergestellt.

Während ich umging mit diesem Plane, mit vieler Liebe ihn ausbildete, auch von fern her schon Einiges vorbereitete zu seiner Ausführung, erfolgte jenes Ereigniß, das, unbedeutend wie es schien, gleichwohl meinen Gedanken eine neue Richtung gab, und am Ende entscheidend wurde für meine Zukunft.

Es war ein sonniger lauer Tag des Aprils. Ich saß unter den blühenden Kastanienbäumen vor meiner Hütten Thür neben dem guten Capitain Martin, der mir erzählte von den Weinbergen und Obstgärten, die ihm die Voreltern hinterlassen hatten im Vaterlande, und welche einmal wiederzusehn, ihn gar sehr verlange; als ein Husar den Hof heraufgesprengt kam, und mir einen Gruß brachte vom General Grandjean, meldend zugleich, daß der Marschall Soult in der Nähe, sey, daß beschlossen worden, bey mir einzusprechen, [136] daß alle Welt Hunger habe, und daß ich daher gebeten werde, für ein Frühstück zu sorgen. Nun war ich meines Theils der Besuche ähnlicher Art schon allzusehr gewohnt, als daß die unverhofte Anmeldung mich sonderlich hätte alteriren mögen. Mein Capitain hingegen war ganz außer sich. Er glaubte vor den Riß treten zu müssen in diesem außerordentlichen Ereigniß. Er glaubte die Ehre unsers Hauses behaupten zu müssen in einem so dringenden Fall, und zugleich die Seine. Da er meinen Frauen schon längst hatte merken lassen, daß ihre Kochkunst nicht viel tauge, so übernahm er diesmal selbst die Küche, rief seinem getreuen Le Roy, band die Schürze vor, commandirte die Mägde, als ständ' er vor der Fronte seiner Fuseliere, ließ Eier sieden, Rippen rösten, Makaroni braten, die Saucen und Salate bereitete er selber; man hätte schwören sollen, des Mannes wahrer Platz sey vor dem Kochheerde, nicht auf der Wahlstatt. Inzwischen kam der Marschall ehe ich noch einmal Zeit gewonnen, den häuslichen Flaus zu vertauschen mit einem etwas passendern Kleide. Eine Menge Befehlshaber, Divisions- und Brigade-Generals, Adjutant-Majors und Aide de Camps begleiteten ihn. Da war General Compans, der Chef des Etat-Major, Molitor, der zu Stralsund, Grandjean, der auf Rügen commandirte; die andern Namen sind mir entfallen. Ich kann nicht anders sagen, als daß [137] diese Männer mir mit aller nur erdenklichen Urbanität begegnet seyn. Da war keiner, der nicht etwas Absonderliches und Verbindliches mir zu sagen gewußt hätte. Der Marschall war mir ehrwürdig. Gebrochen von Wunden, vermochte er nur mit Mühe sich aufrecht zu erhalten. Ich fand ihn herzlich und einfach. Aus Gelegenheit der an den Wänden hangenden Schweizer-Landschaften erzählte er von den Feldzügen, die er in den Gegenden gemacht, und glaubte, deren einige wieder zu erkennen in den Bildern. Compans hatte im Fährboot einen Finger zerschlitzt, der ihn schmerzte; er fragte, ob ich denn keinen Rath wisse. Ich fand dann noch einen Streif Heftpflaster, das ich auflegte, mir ausbedingend, daß der Kaiser nichts davon erführe, denn es sey Englisches Gut. Molitor erzählte dem Marschall von dem Bethause, das ich zu bauen unternommen auf Arkona; der Marschall verlangte die Subscriptionsliste zu sehn; er wolle sich auch unterzeichnen, ließ er merken; es that mir leid, die Liste nicht bey der Hand zu haben; ich versprach dann, sie ihm nachzusenden 6. Das Frühstück [138] war itzt aufgetragen. Mein Capitain trat herein, ganz starr von Ehrfurcht; man hätte glauben mögen, der Kaiser selbst sey zugegen ....

Ueber Tische ging alles ganz fröhlich her, und die hungrigen Krieger, die freilich die ganze Nacht gereist, und seit gestern Abend gefastet hatten, liessen des Capitains Zurichtung sich recht wohl gefallen. Der Marschall, der sonst sehr ernst und fast sauer sieht (auch soll er ein strenger Mann seyn, was den Dienst anlangt) ward immer offener und heiterer. Er hatte gerade Chateaubriants jüngst erschienenes Werk, den Geist des Christenthums, gelesen, und redete mit mir darüber verständig und treffend. Dann gedachte er seiner Gattin, die eine Deutsche sey, und zeigte viele Vorliebe für unser Volk. Auch von dem Kaiser ward gesprochen, dem er aufrichtig zugethan schien, was ich bisher gar selten an diesen französischen Heerführern wahrgenommen hatte .... Nach Tische äußerte der Marschall den Wunsch, meine Familie zu sehn. Meine Gattin bat, entschuldigt zu seyn. Die Kinder aber mußten herein, so sehr sie sich sträubten. Ganz trotzig stand der Gottfried da, traktirte den Herrn Marschall und Herzog on Monsieur; würdigte auch kaum ihm Rede zu stehn, als er ihn einiges fragte über Genf und Paris; denn er hatte vernommen, daß der Bursche dort gewesen. Große Freude hatten die Männer an meinen Mägdlein, deren blühende [139] Wohlgestalt, rührende Anmuth und Holdseligkeit diesen trotzigen narbenstarrenden Kriegern das Herz aufschloß, und dem schon alternden, über der blutigen Arbeit steifgewordnen Marschall, der ihnen gegenüber der eignen Kinder gedenken mochte, eine Thräne in das Auge lockte. Sie mußten dann freilich auch zum Besten geben, was sie eingelernt hatten, ihr bischen Clavierspiel, und was sie zusammengekritzelt mit der Reisfeder von Laub-, Baum- und Blumenwerk. Viel schönes, wie leicht zu erachten, ward ihnen darüber gesagt, zumal der Kleineren, Blöderen, welcher das Weinen ungleich näher war, als das Lachen .... Der größte Theil des Tags verstrich auf diese Weise. Es ward angespannt endlich, und zu meiner nicht geringen Herzenserleichterung. Der Marschall ermangelte nicht, abschiednehmend seine Dienste mir anzubieten; auf die hergebrachte Weise freilich; allein es lag etwas in dem Ton und in der Art, was anzudeuten schien, es sey ihm Ernst um das, was er spräche. Er glaubte bemerkt zu haben, äußerte er, daß weder ich noch meine Kinder hier an ihrem rechten Platze wären; freuen werde ihn, einen Mann von Verdiensten hervorgezogen zu sehen aus der Dunkelheit; könne er dazu mitwirken, so lange er die Rechte des Souverains zu verwalten habe in der Provinz, mit Eifer werde er es thun, und er erwarte im geltenden Falle meine Briefe .... Ich kann nicht sagen, daß [140] des Marschalls, obgleich wohlgemeinte Aeusserungen, sonderlich nach meinem Geschmack gewesen. Mit ihm mich zu verständigen über die Begriffe von Celebrität und Obscurität, von der äußern Welt und von der innern, von Lebensglück und Lebensgenuß, war freilich itzt nicht thunlich. Ich begnügte mich dann, die Erhaltung so günstiger Gesinnungen mir auszubitten ... und hin zogen sie. Ich legte so wenig Nachdruck auf diesen Besuch, wie auf so manche frühere. Und während in der Nähe und Ferne, wie ich späterhin erfuhr, immerfort davon gesprochen, und wie es denn zu gehen pflegt, hundertley Umstände hinzugedichtet wurden, die man einzig aus der Luft gegriffen, war zwischen uns von dem ganzen unbedeutenden Vorfall schon längst nicht mehr die Rede.

Nach einigen Wochen vertraute mir der Capitain, daß er zu seinem großen Leidwesen uns nun bald würde verlassen müssen; daß ein Lager werde errichtet werden in Pommerland; daß auch das sechszehnte Regiment bestimmt sey, es zu beziehn; daß andre Truppen bey uns einrücken, und alle vierzehn Tage von frischen abgelöset werden würden, damit keiner weder des Lagerdienstes, noch des Küstendienstes, welcher letzterer von ganz absonderlicher Art sey, unkundig bleiben möge. Diese Mittheilungen unsers Hausfreundes gaben mir zu denken. Welch eine Quelle der Unruhe, des Verdrusses und der Mühseligkeiten jede Abwechselung [141] der Truppen für den Maire werde, hatte ich erfahren. Eine solche Ilias der Plagen jeden vierzehnten Tag durchzukämpfen, lag jenseit meiner Kräfte. Ich sah voraus, ich würde darunter erliegen.

Nun waren aber der Ausführung des zuletzt von mir entworfnen, und mit solcher Vorliebe ausgebildeten Entwurfes Schwierigkeiten entgegengetreten, auf die ich anfangs nicht gerechnet hatte. Sie waren zwar so groß nicht, daß ich schon itzt die ganze Sache aufgegeben hätte, wohl aber fing ich an zu besorgen, daß solches am Ende dennoch werde geschehen müssen.

Eines Tages nun, als ich nach geendigtem Gottesdienst und entlaßner Versammlung, eine Weile noch, wie ich dann pflegte, in den Gängen meiner Kirche einsam auf- und niederwandle, nachsinnend, wie mir möge geholfen werden, falls ich auch diesem letztern Entwurf sollte entsagen müssen, fährt mir, wie aus Eingebung, durch den Sinn: daß die historische Professur in Greifswald ja noch immer unbesetzt sey; daß ich in jüngern Jahren einen Lehrstuhl der Geschichte mir zum öftern gewünscht; daß auch itzt noch ich mir schon zutrauen dürfe, einen solchen auf eine tüchtige Weise auszufüllen; daß ich diese Stelle nachsuchen müsse bey dem Marschall; zugleich aber das Pastorat mir vorbehalten, damit mir allzeit frey stehn möge, nach wiederhergestellter Ruhe zu meiner Gemeinde zurückzukehren .... Dieser Gedanke, nicht anders, als[142] sey er von einem fremden Wesen (ob guter, ob böser Art? wußte ich für den Augenblick nicht zu entscheiden) mir eingesprochen worden, erschien bey näherer Erwägung mir so ungereimt, ungeheuer und unausführbar, daß ich ihn auf der Stelle verwarf, und meine Gedanken von ihm abzuziehn versuchte. Allein umsonst. Er kam wieder ungerufen; er verfolgte mich, wo ich ging und stand; er bildete sich aus, ohne mein Zuthun, wie es schien, in allen Theilen; er wußte sich mir vorzuspiegeln, so anmuthig, beyfällig, annehmungswürdig ... Schlechterdings vermocht' ich seiner nicht los zu werden. Doch widerstand ich dem Versucher volle vierzehn Tage.

Als aber alles sich bestätigte, was der Capitain mir eröffnet hatte, als Nachricht einging, daß das Lager stehe; als auch der Tag bereits bestimmt wurde, an welchem die Truppen abgelöset werden sollten, säumte ich nicht länger, saß nieder und schrieb:


»daß die Lage des Landes, und die Unruhen, denen ich in deren Folge auf meinem Platze ausgesetzt sey, eine Veränderung der eignen Lage mich wünschen liessen; daß die historische Professur in Greifswald seit Jahr und Tag erledigt sey; daß die Vergebung der Stelle zu den Rechten der Krone gehöre; da nun er, der Marschall, vom Kaiser bevollmächtigt sey, die vom Souverain relevirenden erledigten Aemter [143] zu besetzen, so bäte ich, daß dieses Amt, welchem mit Erfolg vorzustehn, meine historischen Studien und Schriften mich hoffen liessen mir verliehen, zugleich aber mir verstattet werden möge, mein Pfarramt daneben zu behalten, und während der akademischen Curse dessen Geschäfte verwalten zu lassen durch einen in Gemäßheit der mir zustehenden Rechte von mir zu berufenden und zu salarirenden Diaconus.«


So schrieb ich. Und addressirte den Brief nach Stettin, dem damaligen Hauptquartier des Marschalls. Da der Marschall jedoch fast immer auf Reisen war, und ich nicht wußte, wo er gerade itzt sich befinden möchte; so glaubte ich, am sichersten zu gehn, wenn ich ihn dem Chef des Generalstabes zu Stralsund, der zugleich mit dem Marschall bey mir gewesen (sein Name ist mir entfallen) zuschickte, und diesen ersuchte, ihn an die Behörde zu befördern. Mein Cantor, der gerade nach Stralsund reisete, kam sich zu erkundigen, ob ich dorthin etwas zu bestellen habe. Ich vertraute ihm dann die Briefe, und war nun ruhig, gerade, wie ich es gewesen nach dem Abgang des Rittmeisters Aquilon. Rückkehrend berichtete der Cantor mir, daß er den General in seinem Quartier aufgesucht, aber nicht gefunden; daß selbiger Tags zuvor abgegangen gewesen, und zwar nach Spanien; daß man indessen [144] den Brief auf dem Bureau des Etat-Major entgegengenommen, und ihm ein Reçu darüber ausgestellt habe, das er nicht verfehle, mir zu überbringen .... Ich konnte nun nicht anders urtheilen, als daß mein Brief nach Spanien abgehn, die Einlage aber nimmermehr gelangen würde an die Behörde. Ich hielt auch diesen Plan gescheitert, tröstete mich deshalb augenblicklich, und kehrte mit verdoppelter Wärme zurück zu jenem frühern, welchen ich einstweilen hatte auf sich beruhen lassen.

Vierzehn Tage verstrichen. Der Tag der Pfingsten ward erfüllet. Der Frühling war auf seiner Höhe. Der Schleedorn blühte. Die Aepfelbäume waren aufgebrochen. Myriaden Tulpen und Narcissen, Nacht- und Maternal-Violen prangten, wetteifernd in der Glut der Farben und der Fülle des Wohlgeruchs, auf den voll gedrängten Beeten .... Ich hatte die Gottesdienste des Tags beendigt. Kein lästiger Zusprecher störte des heiligen Abends tiefe Ruhe, also daß ich, während die Düfte der Nachtviolen und des spanischen Flieders zu meinen offenen Fenstern hereinwehten, der Betrachtung des Wortes auf den morgenden zweyten Festtag ungestört bis in die Nacht obliegen konnte. Um Mitternacht legte ich mich schlafen. Wenig Stunden mochte ich geruhet haben, als ich wieder aufgeweckt wurde durch ein heftiges Klopfen an der Thür; eine Erscheinung, deren [145] wir nur allzusehr gewohnt worden waren seit den letzten Monden. Die Magd, welche geöffnet hatte, trat bald zu mir herein .... Eine Stafette sey angekommen aus Stralsund, und verlange augenblicklich abgefertigt zu werden .... Zugleich überreichte sie mir die Depesche. Der Tag war im Anbrechen. Ich erkannte in der schwachen Hellung sofort auf dem Siegel den kaiserlichen Adler. Ich stand eiligst auf, und dem matt erhellten Fenster mich nähernd, las ich in des herauf dämmernden Morgenrothes bleichem Schimmer den Inhalt. Ich ward berufen Namens des Kaisers zur Professur; alles was ich mir ausbedungen, ward zugestanden. Ein Schreiben des Intendanten de Brémond lag dabey; ich ward eingeladen, mich ungesäumt auf der Intendance zu stellen, da ich dann, nach Leistung des gesetzmäßigen Eides, die Vollmachten entgegen nehmen, und mein Amt sofort antreten könne .... Also war das begnadigende Wort gesprochen. Der Bannbrief war zerrissen. Die eisernen Pforten standen offen und ich durfte hinaustreten in das Freye, sobald es mir geliebte. Itzt empfand ich die Wahrheit jenes schönen Bildes: »Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann wird uns seyn, wie den Träumenden.« Ich war dieser Träumende. Mein Gefängniß war gewendet. Die Wasser der Trübsal waren getrocknet .... Was konnte mir eiliger seyn itzt, als hinabzugehn [146] zu meiner noch schlaftrunkenen Gattin, und die empfangene Zeitung ihr mitzutheilen. Auch mit keinem Laute ich des Schrittes, den ich gewagt, gegen sie erwähnt; so wenig wie gegen irgend ein anderes sterbliches Wesen. Um so größer war ihre Ueberraschung! Um so stärker ihre Freude. Denn auch sie hatte, wie leicht erachtet werden mag, von den Plagen dieser schweren Zeit mehr zu tragen gehabt, als ihre Schultern vermochten. Nicht so zufrieden schienen die Kinder. Unsre Erstgeborne zwar, froh alles dessen, weß sie die Eltern sich erfreuen sahe, war leicht getröstet, das einsame Wittow zu vertauschen mit dem freundlichen geselligen Greifswald, das sie schon in frühern Jahren kennen gelernt, und liebgewonnen. Der Gottfried hingegen wäre lieber noch eine Weile daheim geblieben bey seinen Thürmen, Flotten und Burgen. Und auch unserm kleineren Mägdlein that leid, sich scheiden zu sollen von ihren Glucken, Hühnchen und Küchlein. Als ihr jedoch versprochen wurde, daß alle mitgenommen, daß auch nicht Eines zurückbleiben solle, gab sie sich zufrieden.

Aber schon ward das Fest eingeläutet, und ich mußte meine Gedanken sammeln für die bevorstehenden heiligen Stunden. Mit welcher Bewegung ich des heiligen Dienstes gepflegt an diesem Tage; mit welcher Innigkeit ich gesprochen über den Stern und Kern des Evangelii, über das große Wort, das auch unsers [147] starken Luther sinkende Seele emporgehoben hat in den letzten Augenblicken, das Wort: »Also hat Gott die Welt geliebet, daß er ihr seinen eingebornen Sohn gab,« ist noch unvergessen sowohl mir, als denen, die mich damals hörten. Abends nach dem zweyten Gottesdienste behielt ich zween theure Freunde, Vater und Sohn, beyde Diener der Kirche, zurück vor dem Altar, und meldete ihnen die Wendung, welche Gott meinem Schicksal gegeben. Ueberrascht und innigst gerührt, wünschten sie mir zwar von Herzen Glück, beklagten aber mit Thränen, daß ich sie verlassen wolle.

Tags darauf fuhr ich nach Stralsund, ging Dienstags auf die Intendance, und nahm nach geleistetem Eide 7 und darüber abgefaßtem Proceß-Verbal meine Papiere entgegen, welche sämmtlich zu vieren malen ausgefertigt waren, für des Kaisers Archiv, für die Intendantschaft, für Rector und Concilium, und endlich[148] für mich 8. Ausgerüstet auf solche Weise, säumte ich nicht, nach Greifswald zu gehn, fand jedoch, daß die Behörden von Stettin und Stralsund aus bereits von meiner Ernennung unterrichtet worden. Nicht allzufreundlich, was die Mehrheit anlangt, empfingen mich meine nunmehrigen Collegen; was den treflichen Männern schwerlich verdacht werden mochte, als die vielleicht der Meinung waren, daß ich auf eine regelwidrige Weise ihnen aufgedrungen, mithin ihren Rechten zu nahe getreten sey durch meine Ernennung. Das war jedoch mit nichten der Fall. Denn nur für [149] die ersten drey bis vier Monde der Vacanz ist kraft des grundgesetzlichen Recesses den Facultäten die Nomination zugesichert worden; auf den Fall aber, daß diese Frist unbenutzt bliebe, hat der König sich vorbehalten, aus eigner Machtvollkommenheit den erledigten Lehrstuhl mit einem »qualifizirten Subject« zu besetzen. Da nun diesmal die gesetzmäßige Frist nicht etwa zum ersten, sondern bereits zum zweiten und dritten Mal verstrichen, und unbenutzt geblieben, allerdings in Folge der außerordentlichen Zeitumstände, und mit Vorwissen der Gouvernements-Commission, welche auch das Cancellariat einstweilen verwaltete, so war das Recht der Ernennung nunmehr zurückgefallen an den Souverain, und in dessen Ermanglung an den Stellvertreter des Souverains; daß also, wenn anders die Eroberung einen provisorischen Rechtsstand begründen mag, an dem Rechtstitel, kraft dessen ich erwählt und berufen worden, mit Grunde nichts Mangelhaftes erfunden werden mochte. Ich ward dann auch ohne weitere Einrede anerkannt, vereidet, und in den akademischen Senat aufgenommen, habe auch seitdem von dessen Mehrheit mich jederzeit alles Lieben und Guten zu erfreuen gehabt, welches nach Kräften zu erwiedern denn auch ich in alle Wege beflissen gewesen .... Für diesmal war jedoch meines Säumens allhier nicht länger. Vielmehr eilte ich, nachdem ich zuvor noch einen theuren Freund in der Nähe besucht, zurück [150] nach Hause, wo mittlerweile die gefürchtete Umquartierung erfolgt war, also daß ich lauter neue Gesichter vorfand. Mein wackrer Sohn, so verhaßt diese Tracasserien übrigens ihm waren, hatte sich inzwischen einmal zusammengenommen, und Namens meiner die Geschäfte des Maire und des Bourguemaitre mit großer Autorität und zur allgemeinen Zufriedenheit verwaltet.

Mittlerweile war denn auch in meiner Gemeinde bekannt geworden, daß ich auf die hohe Schule zu Greifswald berufen, und im Begriff sey, binnen kurzem diesem Rufe zu folgen. Gleichwie nun menschlicher Natur eigen ist, das ruhig beseßne Gut nicht groß zu achten, das bedrohte aber zu überschätzen, und über den wahren Werth hinaus anzuschlagen, also schien denn auch diesen guten Leuten nun mit einmal der Flor vom Auge zu gleiten; itzt erst schien ihnen klar zu werden, was sie an mir gehabt, und was sie Gefahr liefen, in mir zu verlieren. Sie, die eben während dieser letzten prüfenden Zeit, wo ich rastlos sie vertreten, geschützt, vertheidigt, vielfältig erleichtert, mit Leib und Seel, wie ich wohl sagen darf, für sie mich aufgeopfert, mit mancherley Ausbrüchen der Unart und des Undankes mich schmerzlich gekränkt und betrübt hatten, sie zeigten sich nunmehr ganz beschämt durch den von mir gefaßten Entschluß, und ganz betreten. Es war freilich nicht erhört gewesen bis itzt, [151] daß ein Pastor zu Altenkirchen jemalen seinen Platz mit einem andern vertauscht hätte, wohl aber hatten öfter, zumal in den ältern Zeiten, Männer, die bereits in ansehnlichen Aemtern gestanden, namentlich die Hofprediger der Herzoge, die Professoren der hohen Schule, die graduirten Söhne der Generalsuperintendenten, und andre, sich verpflanzen lassen nach Altenkirchen. Es ergingen dann auch von allen Seiten an mich Anfragen, was mich doch eigentlich bewegen möge, meine Gemeinde zu verlassen; Anerbietungen, abzustellen, was unter ihnen mir etwa misfallen möchte; dringende Bitten, doch zu bleiben. Ich ermangelte dann freilich nicht den Gesendeten begreiflich zu machen, was mich triebe. Ich erinnerte an Eines und Anderes, dessen sie aus eigner Anregung sich nicht schienen erinnern zu wollen. Ich ließ sie selber urtheilen über meine Lage, und über die Nothwendigkeit, sie zu verwechseln. Ich versicherte gleichwohl, daß weder Ungenügsamkeit, die sie mir ohnehin nicht zutrauen würden, noch eine Empfindlichkeit, deren ich mich nicht fähig fühlte, meinen Entschluß bestimmt habe, sondern einzig das Verlangen, ihnen selbst und den Meinigen, der göttlichen Fügung vertrauend, mich noch eine Weile zu erhalten; daß ich gleichwohl nach wie vor ihr Pastor und Seelsorger bliebe, und nicht ermangeln würde, als solcher auch aus meiner Ferne unter ihnen zu wirken; daß mein künftiger Wohnort so entlegen nicht wäre, daß[152] sie in dringenden Ereignissen mich auch dort nicht auffinden, auch allezeit der freundlichen Aufnahme von mir gewärtig seyn könnten; daß ich dem Gedanken nicht entsage, dereinstens für immer zu ihnen zurückzukehren, und meine Tage in ihrer Mitte zu beschließen; daß ich übrigens nicht von hinnen ziehen würde, ehe und bevor ich einen Mann ausgefunden, der geeignet wäre, nicht nur meine Person ihnen zu ersetzen, sondern auch mich zu überholen und zu verdunkeln .... Solchen und ähnlichen Beruhigungsgründen wußten die guten Leute dann freilich nichts entgegenzustellen, und gingen hin, mehr oder minder zufrieden gestellt. Hin und wieder fand sich denn auch wohl eine weichere Natur, deren Beruhigung mir mehr zu schaffen machte. Eine Frau von mittlern Jahren unter andern, die auf einem entlegenen Dorfe lange krank gelegen, konnte sich gar nicht darein finden, daß ich sie verlassen wolle, ehe denn sie stürbe. Inzwischen, als ich wenig Tage vor meiner Abreise sie noch einmal besuchte, fühlte ich mich nicht wenig bewegt, beym Abschiednehmen von ihr zu hören, wie sie sich zwar itzt darin gefunden, mein Angesicht nicht wieder zu sehn in dieser Welt; wie sie aber festiglich hoffe, daß Gott ihr Gebet erhören, und sie so zeitig noch hinwegnehmen werde, daß ich wenigstens ihrer Leiche folgen, und die Collecte singen möge über ihrem Grabe .... Es hat jedoch Gott nicht gefallen, ihres fast [153] kinderhaften Wunsches sie zu gewähren; sie ist einige Wochen nach meiner Abreise erst unter den Gebeten meines Nachfolgers verschieden.

Aber itzt lag mir ob vor allem, den Mann zu wählen, dem ich den Hirtenstab, welchen mit Kraft und Erfolg zu führen, ich für itzt zu schwach mich fühlte, mit Ruhe übertragen könne. Oder vielmehr, da diese Wahl längst bey mir entschieden, da ich längst in meinem Innern ausersehn den Einzigen, der geeignet war unter denen, so ich kannte, den bedenklichsten und verantwortungreichsten aller Schritte vor Gott und Menschen zu rechtfertigen; es lag mir ob, denselben ohne fernern Aufschub zu berufen .... Her mann Baier, der Sohn eines ehrwürdigen allzufrühe verstorbenen Vaters, und einer Mutter, welche hervorragt unter den Zierden ihres Geschlechts, hatte sich seit einer Reihe von Jahren in gewissem Sinn zu den Angehörigen meines Hauses gezählt. Nachdem er mehrere Jahre hindurch in der Bildung meiner Kinder mir beygestanden, hatte ich ihn abgetreten zu gleichem Zweck einer Dame, die gewissermaaßen ältere Rechte an ihn hatte, des letzten Holländischen Gouverneurs auf dem Hoffnungs Cap nachgebliebner Gattin, die schon zu Jena, wo sie während seines Studirens sich aufhielt, die Führung ihrer Knaben ihm anvertraut gehabt, und itzt, da sie in der französischen Schweiz sich angekauft, ihn zu sich zurück zu ziehen[154] wünschte. Ich stellte ihm dann frey, nicht nur zu ihr zurückzukehren; ich vertraute ihm sogar meinen einzigen Sohn, dessen Bildung er versprach zugleich mitJames Gordon seiner vollends hinauszuführen. So hatten sie dann mehrere Jahre mit einander gelebt, getrennt von uns durch eine weite Ferne, bald auf dem Schlosse der Gräfin zu Lasarra, dann zu Yocrdun beym Pestalozzi, dann zu Genf, endlich auch eine Weile zu Paris. Unlängst waren die lieben Reisenden zurückgekehrt, und Baier, nachdem er meinen Knaben zu getreuen Händen mir wieder überliefert, lebte von nun an meistens an seinem Geburtsort, der Beschützer, Rathgeber und Vertreter einer zahlreichen Familie nicht nur, sondern aller überhaupt, welche in so schwerer Zeit Rathes und Schutzes halber sich an ihn wandten. Ihn, der die Welt kennen gelernt, und sich frey zu erhalten gewußt von ihrem trübenden Einwirken; der mit der Würde der Darstellung die Demuth des Sinnes verband, und ein reines Gemüthe; der mit einer gründlichen theologischen Erkenntniß einen brennenden Eifer für die Förderung des Höchsten und Besten im Menschen vereinte; ihn kannte ich sattsam, um das heiligste aller Unterpfänder ihm ohne ängstliche Bedenklichkeit anvertrauen zu können. Ich beschied ihn demnach zu mir, und, als er sich bereitwillig gezeigt, meinem Rufe zu folgen, berief ich am nächsten Sonntag nach geendigter [155] Predigt die Hausväter der Gemeinde vor den Altar, und stellte in der Person des Mannes, welcher mehrere Jahre schon in ihrer Mitte gewandelt, und dem ihrer keiner seine Achtung und Werthschätzung hatte versagen können, als Den vor, welchen ich, in Gemäßheit der mir zustehenden Gerechtsame, zu meinem Diaconus und Helfer ausersehen hatte, anfragend zugleich, ob irgend jemand unter ihnen vorhanden wäre, der gegen diese meine Wahl einige Einrede und Einwendung anzubringen wisse. Als nun alle mit einander einmüthig versichert, daß sie, weit entfernt, die von mir getroffene Wahl zu tadeln, selbige vielmehr zum höchsten billigten, sich ihrer erfreuten, und mir zum Voraus dafür dankten, säumte ich nicht länger, sondern überreichte auf der Stelle selber dem Erwählten den von mir auf die gesetzmäßige Weise abgefaßten Berufungs-Brief; auseinander setzend zugleich, welche Pflichten diese Urkunde ihm auflege, welche Rechte sie ihm zusichere, welche Erwartungen ich von ihm hege, welche Verantwortlichkeit von nun an auf seinen Schultern ruhe, welchen Mustern von ihm nachgestrebt, welchen Vorgängern von ihm nachgeeifert werden müsse; endigend mit den Worten Luthers:


Was ich gethan hab' und gelehrt,

Das sollt du thun und lehren,

Auf daß das Reich Gottes werd gemehrt

Zu seinem Preis und Ehren!

[156]

Und hüt' dich vor der Menschen Gesatz;

Davon verdirbt der edle Schatz;

Das laß' ich dir zuletzte.


Darnach am zehenten Sonntage nach Trinitatis, dem fünften des siebzehenten Jahrs meines Predigtamtes, habe ich, in Auftrag des obersten Vorstehers der inländischen Geistlichkeit, den Erwählten und Berufenen, nachdem dieser die priesterliche Weihe zu Greifswald empfangen, auf das feyerlichste eingeführt und eingeweiht zum Dienste Gottes und Jesu Christi bey der mir anvertrauten Gemeinde. Nachdem ich zuvor noch einmal gepredigt und mich zum letztenmal geletzt mit meinem Volk, in Anleitung der von mir zum Text meiner Abschiedspredigt gewählten Warte: »Und nun, Kindlein, bleibet bey ihm, auf daß, wenn er offenbaret wird, daß wir Freudigkeit haben, und nicht zu Schanden werden vor ihm, in seiner Zukunft« 1 Joh. II, 28., trat ich auf den Altar, erinnerte an einige der großen Lehrer der ältesten Kirche, hob hervor aus ihrem thaten-und trübsalreichen Leben einige der erhebendsten Züge des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, legte solche dem Einzuführenden an das Herz, und nachdem ich das bindende Ja von seinen Lippen empfangen, instituirte ich ihn in Gemäßheit des Ritus unsrer Kirche im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Es ward mir beygestanden [157] in dem frommen Geschäft von mehreren verehrten Geistlichen der Insel, deren die meisten Blutsfreunde und Anverwandten des Einzuführenden waren, neben ihnen auch von dem verehrungswürdigen Schleiermacher, der sich zufällig zum Besuch bey uns befand, und, wiewohl einer abweichenden Confession zugethan. (»Ist doch Einer unser aller Meister, Christus!«) sich gleichwohl leichtlich erbitten ließ, auf des neuen Friedensboten gesegnete Scheitel zugleich mit uns andern die segnende Hand zu legen. Er ist denn auch gesegnet gewesen bis auf diesen Tag, und soll gesegnet seyn und bleiben bis auf den Tag der Zukunft seines und meines Herrn und Meisters. Amen.

Nach Beseitigung dieses allerwesentlichsten Geschäftes blieb nichts mir übrig, als auch das Zeitliche zu ordnen. Dies war geschehn in wenig Tagen. Ich sonderte meine Papiere, vernichtend die Einen, aufbewahrend die Andern. Ich schloß ab mit meinen Pächtern und bestätigte ihnen die Contracte. Ich berief die sämmtlichen Angehörigen des Pfarr-Lehns, und verwies sie, was anlangte ihre bürgerlichen und häuslichen Anliegen, an meinen Stellvertreter. Ich versteigerte dann mein ganzes Feld- und Wirthschafts- Inventarium, und löste, in Folge der geldarmen, vielbedürftigen Zeitumstände ohngefähr so viele Hunderte dafür, als es mich Tausende gekostet. Was uns übrig[158] geblieben, ward eingeschift zusammt den Büchern. Der Kleinen Hühner und Küchlein wurden nicht vergessen; so wenig, als das Hündlein unsrer Aeltern, was ihr war verehrt worden von einem jungen Korsischen Offizier, einem Verwandten des Kaiserhauses, der nach wenig Monden in der Schlacht bey Aspern gefallen. Vollendet war itzt alles. Die Stunde des Abschiedes schon erklungen. Während die Meinigen zu Wagen saßen, eilte ich noch einmal in meine Kirche und Sakristey. Von dort zu den Gräbern meiner Kinder. Ihnen brachte ich mein letztes Fahrwohl. Eiligst nahm ich meinen Platz ein neben den Andern; und fort zogen wir. Während alles um uns heulte und schluchzte, »war voll Lachens unser Mund, und unser Herz voll Rühmens. Der Herr hatte Großes an uns gethan. Deß waren wir fröhlich.«

Das Land, als wir es verließen, stand im üppigsten Flor. Das Jahr war eins der gesegnetsten. Die Erndte, meine liebste Zeit, sollte beginnen. Dick und drang wogten meine Saaten die Breiten hinunter. In Gras und Klee und Blumen wateten bis zum Bauche die Kühe. Milch floß auf meinen Weiden, Honig in den Bienenschauern. Auch war »das Mehl im Kad nicht all' geworden, noch das Oel versiegt in dem Krüglein« ... Alles habe ich verlassen, ohne daß es auch nur Einen Seufzer mich gekostet. Auch nicht einmal habe ich hinter mich gesehen auf dem [159] Wege. Nie haben wir uns zurückgewünscht zu den Aegyptischen Fleischtöpfen in Mitte der dürren Wüste, wo wir mehr denn einmal in den Fall des Darbens gekommen.

Es war schon Abend; die Sonne untergegangen; der Flor der Dämmerung lag ausgebreitet über den Straßen und Gassen, als wir einzogen in unser bergendesZoar. Wir nahmen Besitz für den Anfang von einem weiten wüsten Hause, innerhalb dessen ganz leerer Wände unsre Tritte dumpf wiedertönten. Da war nicht Tisch noch Bank; nicht Bett noch Polster. Es fehlten die Vorräthe; es fehlten die Bücher; es fehlte Alles .... Alles ersetzte uns der tiefe Friede, die milde Stille, die ersehnte Ruhe, deren heilenden Balsam wir mit langen lechzenden Zügen in uns schlürften. »Voll Lachens war unser Mund, unser Herz voll Rühmens. Hatte der Herr doch gewendet unser Gefängniß, und die Wasser der Trübsal waren vertrocknet!«

Fußnoten

1 Dichtungen Band VIII. S. 36.

2 Siehe unter den Beplagen die zweyte.

3 Zur Erhaltung des Andenkens wenigstens dieser vergeblich unternommenen Arbeit, habe ich die Vorrede, die ich dazu geschrieben, abdrucken lassen unter den Beylagen (Nr. 3.).

4 Auf diesen Umstand beziehen sich die widmenden Stanzen, womit ich die um diese Zeit erschienene »Jungfrau von Nikomedia« der Königin von Baiern zugeschrieben habe:

Und zürnender schon klang des Orkans Schelten,

Und näher wälzte sich der rothe Brand;

Rings donnerten die aufgeschreckten Belten,

Bang harrend lag das stille Inselland.

Wir sahn den blitzbewehrten Adler fliegen,

Und stumm den Schwan in seinen Schilf sich schmiegen.

Da sprach aus Ihres Throns umsonnten Höhen

Ein selig Wesen mir sanft tröstend zu.

Und himmelab umfing mich lindes Wehen,

Und dem Verlassnen nahtest, Muse, du!

Ich prüfte zweifelnd die entwöhnten Schwingen;

Noch einmal wagt' ich, in das Land zu dringen,

Wo sammt den heilgen Fraun die frommen Zeugen

Der Ruhe pflegen nach der heissen Quaal.

Es flüstert Offenbarung aus den Zweigen;

Melodisch floß der Bach im Rosenthal.

Zuletzt hat mir der hellen Jungfraun Eine

Ein Reis gereicht gepflückt im Lebenshaine.

Das hab' ich aus den amarantnen Auen

Ins Land des Wahns und Traums zurückgebracht,

Ich bring' es frommen Sinns der Frau der Frauen,

Die den erloschnen Funken angefacht.

An Ihres Thrones Stufen still zu grünen

Bring' ich das schlichte Reis Bavariens Karolinen!

5 Die Erfahrungen, die ich gemacht von meiner Jugend auf, daß nemlich, wenn nur erst die Zeit vorhanden, auch der Rath nicht ferne sey, mag freilich dazu beygetragen haben, in dieser meiner Sorg- und Kummerlosigkeit mich zu erhalten und zu bestärken. Auch diesmal ist mir begegnet, daß eines Abends, als ich mich fast gänzlich ausgegeben, mir hundert Thaler in das Haus geschickt wurden von einem nahmhaften, nicht meiner, sondern einer benachbarten Gemeinde angehörigen, nicht eben reichen Manne. »Dieses Geld, schrieb er mir, sey für den Augenblick ihm übrig. Dagegen lasse die Art und Weise, wie ich es bekanntlich treibe, vermuthen, daß ich dessen bedürfen möge. Möchte ich es denn hinnehmen, und damit haushalten auf die gewohnte Weise. Um die Rückzahlung möge ich nicht sorgen. Es habe Zeit damit, bis die Zeiten sich besserten.« ... Sie haben sich dann auch gebessert, was anlangt diesen Braven, als welcher der Gewalt der Zeit seitdem überall entrissen worden. Seiner hinterlassnen Wittwe aber, als nun diese in den Fall kam, des Ihrigen zu bedürfen, ist solches getreulich zurück gezahlt worden.

6 Ich habe sie denn auch späterhin überschickt, da denn der Marschall, und die ihn umgebenden Generale, die Einen mehr, die andern minder bedeutende Summen unterzeichnet haben, deren Belang mir von ihren Geschäftsmännern zu Stralsund auch richtig ausbezahlt worden ist.

7 Dieser Eid, abgelegt von allen, welche von der bestehenden Gewalt angestellt worden, und verbindlich nur, so lang dieselbe bestand, enthielt nichts, was nicht, dem Gewissen unbeschadet, geschworen und befolgt werden konnte; nichts nämlich als dieses: »daß man die Einem anvertraute Autorität benutzen wolle, um Ordnung und Ruhe im Lande zu erhalten, daß man zu den Maasregeln mitwirken wolle, welche für den Dienst der Kaiserlichen Heere getroffen werden müßten, und daß man endlich aller Correspondenz mit dem Feinde sich enthalten wolle.«

8 Zur Ehre dieser wegen ihrer Habsucht so verschrienen Fremdlinge muß ich auführen, daß mir meines Theils nicht hat gelingen wollen, einiges Geld bey ihnen anzubringen. Wohl glaubt' ich, als meine Papiere auf der Intendance mir übergeben wurden, zehn Friedrichsd'or auf den Tisch legen zu müssen, als »einige Entschädigung für die Mühe, welche die Canzeley meinethalb gehabt.« Augenblicklich erhub der oberste Secretair sich aus seinem Sessel, nahm das Päckchen, über reichte es mir, und ersuchte mich, es zurückzunehmen. Als ich, einer gewöhnlichen Grimasse mich versehend, damit zauderte, ward er sehr ernst, bestand auf die Rücknahme, und nachdem solche geschehn, er aber, sofort wieder freundlich geworden, noch erklärt hatte, daß die Canzley sich sattsam belohnt achte durch die Genugthuung, für einen Mann meiner Art gearbeitet zu haben, brach er ab von diesem Gegenstand, und fing an mich zu befragen über die zu Rhetra gefundnen Obotritischen Alterthümer, nach welchen sich zu erkundigen, ihm sey aufgetragen worden, von Seiten des Nationalinstituts zu Paris.

3. Buch

[160] Drittes Buch.
Die Nachrede.

[161] [163]Ich habe geleistet itzt, was ich erwarten lassen. Es wird klar geworden seyn einem jeden, der bis hieher mir mit Theilnehmung gefolgt, wie ich doch habe bewogen werden mögen auszubeugen am Abend meiner Tage aus dem ruhigen und harmlosen Lebenswege, worauf ich sechszehn Jahre lang in goldner Muße und seliger Verborgenheit gewandelt, und einzulenken dagegen in eine Laufbahn, welche weder würdiger noch segenreicher, weder arbeitfreyer noch genußvoller, als die frühere gewesen; welche überdies, um mit Erfolg durchwandelt, und mit Ehren vollendet zu werden, betreten werden muß in der Fülle der Kraft und in der ersten Frische und Freudigkeit der Jugend .... Diese Schrift ist unternommen worden, als Nothwehr gegen die Anschuldigungen solcher, welche eben itzt, nach so vielen verstrichenen Jahren noch, von jenem Schritte Anlaß nehmen mich zu verunglimpfen und zu verlästern. Sie ist geschrieben worden, ursprünglich in apologetischer Rücksicht. Allzu leicht nur schlägt die Apologetik um in die Polemik. Es ist nicht thunlich fast, eine Anklage abzuweisen, ohne sie zurückzuwerfen auf den Gegner selber. Allein das Herz ist[163] mir weich geworden über dem Schreiben. Das Gefühl der göttlichen Barmherzigkeit, was während dessen mich übernommen, verbietet mir zu zürnen. Ich will vergeben denen, die an mir gesündigt haben, und will ihnen nicht vergelten das Gleiche mit dem Gleichen. Ich will meine Feder in die Milch der Menschlichkeit tunken, lieber, als in die Galle eines zwar gerechten Unmuths. Mich begnügend, offenbarer Lügen mich zu erwehren, will ich die, welche unkundig der Verhältnisse, und durch die Keckheit der Verleumdungen stutzig gemacht, etwa an mir möchten irre geworden seyn, mit Ruhe eines Besseren belehren.


Was nemlich nunmehr, da ich diese Geschichte geschrieben, von einem jeden, der sie zu lesen würdigt, leichtlich begriffen und gewürdigt werden mag, das wollte damalen, als es geschahe, dem mich umgebenden Publikum allerdings nicht so ganz einleuchten. Es war dem Einen ein Aergerniß; es däuchte dem Andern eine Thorheit. Es fehlten nicht der Dritte, Vierte und Fünfte, welche, da sie sich selbst etwa reinerer Triebfedern nicht fähig fühlen mochten, auch mir nur Unlauteres und Verwerfliches unterschoben, als letztes Motiv eines so auffallenden Entschlusses. Es wurde mir ausgelegt von diesen als ein durstiges Haschen nach immer höhern Ehren und Würden. Es wurde gerügt von jenen, daß ich, mir nicht genügen [164] lassend an dem Ertrage meiner »reichen Pfründe« 1 mir zuschlagen lassen auch noch die Einkünfte eines zweyten Amtes. Während wieder Andere, die etwa so schnöde Rücksichten mir nicht zutrauen mochten, jenen Schritt sattsam erklärt und gerechtfertigt glaubten, [165] aus der größern Leichtigkeit und Bequemlichkeit, welche eine Stadt wie diese, als die da reich ist an gebildeten und selbst an gelehrten Zirkeln, darbiete zur Befriedigung der höhern, geselligen und geistigen Bedürfnisse .... Aber laßt uns doch einmal überschlagen, verehrte Freunde und Mitbürger, ob ich denn wirklich gewonnen hätte in Betracht der berührten und ähnlicher Dinge in Folge dieser, Vielen so befremdenden Umsiedlung? Hätte ich etwa gewonnen dadurch an bürgerlicher Ehre? So wenig, daß ich, der bisher als Königlicher Rath zu der Classe der Treuen Männer gezählt, itzt zurücktrat in die der Treuen Diener, welche, wie ihr wißt, um eine ganze Stufe niedriger steht in der politischen Hierarchie des Schwedischen Staates. Sollte ich reicher geworden seyn [166] durch den Genuß der Einkünfte meines doppelten Amtes? So wenig, daß ich vielmehr um nicht wenige Tausende ärmer geworden bin seitdem, sintemalen, wie euch nicht unbekannt, die überaus mäßigen Einflüsse des späteren Amtes nimmermehr auslangen mögen, des Aufwand zu decken, welchen das Vicariat der frühern zu erhalten, mich kostet. Wäre etwa in eurer Mitte mir zu Theil geworden ein größeres Maaß der Muße oder ein minderes der Beschäftigung? Wer die Arbeit des akademischen Lehrers abzuwägen weiß mit denen des Volkslehrers, mag urtheilen, ob dem also seyn möge. Aber auch dem minder Kundigen muß einleuchten, daß es ungleich anstrengenderer Studien, ungleich erschöpfenderer Vorbereitung bedürfe, um Tag für Tag eine oder mehrere Stunden lang einer wissenslüsternen Jugend, die Wissenschaft in ihren Tiefen und in ihrem Umfange vorzutragen, als etwa einmal in der Woche zu dem Volk über seine Pflichten, Hofnungen und ewige Bestimmung aus des Herzens Fülle zu sprechen. Und was anlangt die übrigen Vorzüge, Vortheile, Bequemlichkeiten und Genüsse, welche bey einer Schätzung dieser Art in Anschlag gebracht zu werden pflegen, so vergönnt mir einmal einander gegenüber zu stellen das Dorten und das Hier, das Vormal und das Heute. Dort war ich der Erste unter meinem Volke; hier bin ich Einer der Vielen. Dort war ich Gebieter und Herr; hier stehe ich selbst unter Gebot [167] und Aufsicht. Dort genoß ich einer fast religiösen Verehrung, hier weiß niemand von mir, oder geht, wie recht und billig, im Bewußtseyn höherer Vorzüge gleichgültig vorüber. Dort fuhr ich in meiner staatlichen Kutsche, gezogen von vier mächtigen Schwarzen; itzt da ich älter und schwerfälliger geworden, geh ich fein demüthig zu Fuß. Dort lebt' ich von dem Ertrage meiner Felder, Wiesen, Gärten und Weiher; das Kräftigste, Saftreichste, Frischeste kam auf meinen Tisch; hier muß fürlieb genommen werden mit dem nächsten besten, was durch die Magd zu Haus gebracht wird vom Fisch- und Kräutermarkt. Dort fühlt' ich tagtäglich und allstündlich mich emporgehoben durch die erschütternde Majestät der mich umgebenden Natur; nahe war das Meer, nahe das erhabene Arkona; wollte ich die Wunder der Stubbenkammer sehn, oder mich verlieren in die Bergschründe der Bernsteininsel, ich durfte nur die Pferde anschirren, oder die Segel spannen lassen, und war binnen wenig Stunden am Platze; hier, wenn ich nun endlich einmal, der freyern Luft und des offnen Feldes bedürftig, dem Steinpflaster entronnen bin, und der Vorstädte letzte Mauern im Rücken habe, dehnt sich um mich aus eine weite, meilenbreite, mit der Wasserwage gleichsam abgewogene Fläche; da ist nicht Busch noch Wald, nicht Berg noch Thal noch Anhöhe; und was noch jüngst etwa ungleich und höckrig gewesen [168] um uns her, haben sie eben itzt auf das allerfleißigste sie nach dem Lothe ausgeglichen und abgeplattet. Dagegen nun könnten mir freilich wieder in Rechnung gebracht werden die von vielen, und mit Recht so hoch angeschlagenen Freuden des geselligen Lebens, die erheiternden Versammlungen, die geistreichen Zirkel, die keinem Besseren den Zutritt versagen. Was aber anlangt diesen Umstand, so wisset ihr, verehrte Mitbürger, daß ich, zwischen meinen Büchern eingefangen, und festgebannt an meinen Schreibtisch, in eure Zirkel wenig komme; nicht als ob ich die Menschen scheuete, oder nicht liebte; sondern weil ich mich nicht gemacht fühle für die Gesellschaft, weil die Gabe der Unterhaltung mir versagt wurde, weil ich mich nicht getraue zur Erheiterung oder Belebung so würdiger Kreise etwas von Bedeutung beyzutragen .... Also nicht diese, oder den erwähnten ähnliche Momente sind es, in deren Betracht ich gewonnen habe durch die Veränderung des Berufes, des Wohnortes und der gesammten Lebenslage. Es sind andere, gewichtigere, der Betrachtung unendlich würdigere .... Ich habe gerettet durch diesen Schritt das bischen Athem, das dem Sterblichen so lieb ist. Ich bin erhalten worden in Folge jenes Entschlusses, den Meinigen, welche bis dahin mein noch nicht entbehren konnten. Reichlich und bis zum Ueberfluß bin ich entschädigt worden für die aufgezählten Entbehrungen durch die viel größern [169] ///Güter, die ich um solchen Preis erstanden; diese tiefe Ruhe; diesen heilenden Frieden; diese balsamische Stille; diese Losgebundenheit von hundert ängstigenden Verstrickungen und Verflechtungen; diese Wiederkehr der getrübten Heiterkeit und Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts. Auch soll nicht vergessen werden in der Rechnung, was ich möchte gewonnen haben in Folge meines neuen Berufes und der aus ihm fliessenden Studien an dem innern Menschen. Es soll dankbarlich in Anschlag gebracht werden die Erweiterung der Einsicht in mehr denn einer Richtung, die Hinwegräumung mancher mir sonst lästig gewesenen Schranke, die Uebung solcher Kräfte, die sonst in mir geschlafen hätten oder gerostet wären, das freyere Umherschauen in mancher Gegend menschlicher Kunst und menschlichen Wissens, die mir bis dahin verbaut oder verwachsen gewesen.

Aber auch das hat befremdet zu jener Zeit, und wird eben itzt mir wieder aufgerückt in Tagesblättern und Jahrbüchern, daß ich mir eine Wohnung geben lassen von den fremden Behörden, und daß mir zu Gunsten durch sie ein andrer Professor sey herausgeworfen worden aus der Seinen. Nun dann, was anlangt diesen Punkt, so ist wirklich etwas daran, und das Ding hat einigen Schein. Allein man soll nicht absprechen nach dem Schein, sondern untersuchen erst, und darnach das Urtheil fassen. So höret dann, denen[170] nicht etwa gleich gilt, des Bruders Leumund gerettet zu sehn gegen die Aussage falscher Zeugen! Höret, und lasset euch berichten, wie es mit diesem Handel zusammenhänge, und wie es allstündlich belegt und beglaubigt werden mag mit denen über diese Angelegenheit erwachsenen und in unserm akademischen Archiv gebührend aufbewahrten Schriften.

Es besitzt die hiesige Universität, außer den von den alten frommen Landesfürsten ihr verliehenen Landgütern, Waldungen und andern Grundstücken, eine Menge Häuser, öffentliche sowohl als Wohngebäude, welche letztere den Akademikern nach einer gewissen, theils durch das Gesetz, theils durch das Herkommen festgestellten Ordnung zugetheilt werden; wie denn unter andern auch die an sich löbliche und billige Einrichtung sich gemacht hat, daß, wenn ein solches Haus erledigt worden, von den Mitgliedern der damit beliehenen Facultät das Recht der Vorwahl geübt werde nach dem Alter der Vollmachten. Da jedoch die Erhaltung so vieler Gebäude dem akademischen Aerario alljährlich sehr hoch zu stehen kam, so war in dem letzten Visitations-Receß beschlossen worden, freilich viel zu rasch und unumsichtig, daß alle diese Wohnhäuser, eins und anderes ausgenommen, deren man nicht füglich entbehren konnte, in dem Maaße, als sie erledigt würden, verkauft, den Academikern aber statt der Naturalwohnung ein angemessenes Locarium ausgezahlt [171] werden solle. Nun hatte zwar die Akademie gegen einen, den Mitgliedern so bedeutenden Nachtheil drohenden Beschluß, sich bey des Königs Majestät unmittelbar verwendet. Da jedoch die Vorstellung ohne einige Antwort geblieben, so mußte natürlich angenommen wer den, daß es bey dem einmal gegebnen Befehl sein Bewenden behalten solle.

Nichts desto weniger hatten bald nach meinem Anzuge die Mitglieder der philosophischen Facultät eine neue Vertheilung der ihnen zustehenden, durch mehrere Todesfälle erledigt gewordnen Wohnhäuser getroffen, voraussetzend freilich, daß solche von dem jeweiligen Souverain, wer derselbige auch seyn möge, als welchem allein von jenem Gesetz zu dispensiren zustände, würde gutgeheissen werden. Mit Nachsuchung dieser Zustimmung hatte man sich um so weniger übereilen wollen, als keiner der Betheiligten, von der getroffenen Vereinbarung zur Zeit noch Gebrauch machen konnte, indem die meisten dieser Häuser nebst andern damit in Verbindung stehenden Gebäuden einstweilen zur Einrichtung eines Lazarets für die fremden Truppen hatten hergegeben werden müssen.

Mittlerweile ging aus Schweden die Nachricht ein, daß unser Professor der Astronomie, ein geborner Schwede, der beym Ausbruch des Kriegs in sein Vaterland geflüchtet war, eine theologische Professur in Upsala überkommen habe, und nicht wieder zu uns[172] zurückkehren werde. Mithin war nunmehr dessen bisheriges Wohnhaus als erledigt anzusehn, allerdings eins der ansehnlichsten und geräumigsten von allen. Mir zumahl war dieses Haus anlockend durch den Umstand, daß dessen obere Stockwerke nach allen Strichen des Horizontes hin eine freie und ungehemmte Aussicht gewährten, deren ich bey meiner Stimmung und innigen Naturliebe zu meinem geistigen und leiblichen Wohlseyn nicht füglich entbehren konnte. Es mochte jedoch des bestehenden Gesetzes halber über dieses Haus so wenig, als über die früherhin erledigten auf die herkömmliche Weise verfügt, es mußte erst die Erlaubniß dazu nachgesucht werden; und diese Erlaubniß konnte nicht das Concilium, als erste Instanz, nicht das Canzellariat, als zweyte, es konnte sie strenge genommen, nur der Souverain ertheilen, und der, welchen der Souverain zur Handhabung seiner Rechte bevollmächtigt hatte. Ich meines Theils würde jene beyden Instanzen in dieser Angelegenheit gleichwohl keineswegs übergangen seyn, ich würde sie vielmehr um ihre Verwendung bey der obersten Behörde ersucht haben, wenn nicht die erstere mir kurz vorher ein höchst gerechtes und noch niemanden abgeschlagnes Gesuch geradehin abgeschlagen hätte, letztere aber, da ich in derselben Sache appellirend mich an sie gewendet hatte, mir die Antwort überall schuldig geblieben wäre.

[173] Nichts blieb mir übrig bey solcher Gestalt der Sachen, als um den Niesbrauch jenes Hauses anzuhalten bey der Macht, die allein ihn zuzugestehn berechtigt war. Zuvor jedoch glaubte ich mich überzeugen zu müssen, daß meine Facultäts-Collegen nichts dagegen hätten, daß diese Wohnung mir zugestanden würde. Von den beyden älteren konnte ich dessen in Voraus versichert seyn, da selbige die beyden Flügel des akademischen Pallastes inne hatten, welche ihnen in Hinsicht dieses Bedürfnisses, nichts zu wünschen übrig liessen. Von den beyden rückständigen versicherte mich der eine, der Professor der Philosophie, daß er die ihm neulich zugefallne Wohnung, für welche, als für die vieljährige Behausung eines seiner verehrtesten Lehrer, des vormals berühmten PhilosophenAhlward, er von Kindheit auf eine Art von frommer Vorliebe genährt, mit keiner andern zu vertauschen wünsche. Der andere, der Professor der Physik, erklärte, daß er die bey Gelegenheit der neuerlichen Umfrage ihm zugesprochne Wohnung sich ausersehen habe, wegen des dabey belegenen überaus anmuthigen Gartens; da es nun dem eben itzt erledigten Hause an einem solchen gänzlich fehle, so gelte ihm gleich, wer solches überkäme.

Itzt säumte ich nicht länger, saß hin und schrieb an den Grafen Villemanzy, durch welchen, seit dem Soult abgerufen worden, in Dingen dieser Art erkannt [174] wurde, vorstellend: daß durch die anderweitige Anstellung unsers Professors der Astronomie dessen bisheriges Wohnhaus erledigt worden; daß solches in Gemäßheit des letzten Recesses nun zwar eigentlich verkauft werden müsse; daß jedoch unter den jetzigen Zeitumständen, wo die Häuser allen Werth verloren hätten, ein solches Losschlagen dem akademischen Aerario sehr nachtheilig werden würde; daß ich bäte daher, daß mir, der ich bis jetzt zur Miethe gewohnt, und dieses Haus meinen Umständen angemessen fände, dasselbe einstweilen zugestanden werden möge, da dann die eben jetzt dahin verlegte Buchdruckerey gar leichtlich anderswo untergebracht werden könne ... Umgehend ward mir geantwortet; daß meine Vorstellung eingegangen sey, daß Noth thue, über die Lage der Dinge zuvor gebührend aufgeklärt zu werden, daß deshalb bereits behufige Aufträge an die Intendantschaft zu Stralsund ergangen seyn; und daß in Folge ihres Berichtes die Entscheidung allernächstens erfolgen solle.

Während dessen, und ehe noch die Entscheidung einging, ließ jener Professor der Physik, der das Haus mit dem Garten gewählt, sich einfallen, das Haus was er bis itzt bewohnt, und dessen Bequartierung ihm beschwerlich fiel, zu verlassen, und den obersten Stock des in Frage seyenden Hauses zu beziehn, gänzlich eignen Geheisses, und ohne die Zustimmung weder[175] der Facultät noch des Concilii deshalb nachgesucht zu haben. Hinten her erst meldete er dem Letztern, was er gethan, und stellte das von ihm geräumte Haus zu dessen Disposition. Natürlich fand das Concilium durch ein so eigenmächtiges Benehmen sich in gleichem Grade befremdet und beeinträchtigt. Es ermangelte nicht, ihm zurückzuschreiben, daß es sein unbefugtes Umsiedeln im geringsten nicht genehmhalten könne; daß es erwarte, ihn ungesäumt in seine vorige Wohnung zurückkehren zu sehn, auch selbige nach wie vor, als die seinige betrachten, und für seine Rechnung bequartieren werde. Unser Professor, ganz in der Weise jener anomalen Zeit, wo kein König in Israel war, und, jeder that, was er glaubte durchsetzen zu können, ließ das Rescript seiner Obern auf sich beruhn, und diese ihrer Seits thaten in Hinsicht des ganzen Vorgangs das Gleiche.

Nicht lange nach diesen Geschichten ward dem Concilium geschrieben aus der Intendantschaft, daß, da durch die Beförderung des Professors der Astronomie im Auslande dessen bisherige Wohnung erledigt worden, ich aber bis itzt noch mit keiner akademischen Wohnung versehen gewesen, solche mir hiemit ertheilt seyn, und mir geräumt werden solle, sobald ich es verlangte. Eine so einfache Sache würde keinen befremdet, es würde die Gelebung der Ordre nicht die geringste Verlegenheit verursacht haben, zumal da für [176] die Druckerei sofort ein schickliches Local ganz in der Nähe ausgemittelt wurde, wenn nicht jener trefliche Mann den unzeitigen Einfall gehabt, eigenmächtig eines Theils des in Frage stehenden Hauses sich zu bemächtigen. Ihn, der sich vermessen hatte, seine Eroberung zu Trotz des Concilii zu behaupten, mußte nun freilich wohl verdrießen, sich compromittirt zu sehn mit einer Autorität, welcher sich zu widersetzen ihm nicht rathsam schien. Sobald jedoch nur der erste Aerger in ihm verkühlt war, vertrugen er und ich uns in der Güte. Ich ließ ihn wohnen vom Dato des Rescripts an, noch bis in den sechsten Mond. Auch als ich längst eingezogen war mit den Meinigen in den untern Stocken, ließ ich ihn droben ungestört sein Wesen treiben, bis ihm endlich bequem ward, ein ihm längst zu Gebot stehendes, ungleich anmuthigeres Local zu beziehn, das er dann nach achtzehn Monaten, (zu unser Aller Leidwesen; denn er war ein tüchtiger Mann, auch der höhern Analyse vollkommen kundig, wiewohl des Vortrags Gabe ihm abging) mit der letzten engen Wohnung vertauschte .... Ich meines Theils habe das Haus, das aus der Ferne mir so einladend erschien, meinen Umständen so wenig zusagend gefunden, daß ich bey der nächsten schicklichen Gelegenheit an einen jüngern Collegen es abtrat, und den rechten Flügel des Collegiengebäudes bezog, welchen ich noch itzt bewohne.

[177] So nun ist es zugegangen mit diesem Handel, und nicht anders. Und diejenigen, die nach sieben verstrichnen Jahren die alte längst verschollene Klatscherei wieder aufzuwärmen, und Tagsblätter und Zeitschriften damit anzuschwellen, keine Scheu tragen, wissen recht gut, daß die Sache sich auf diese Weise gemacht habe, und auf keine andre. Wenn sie nun gleichwohl das Eine sagen, und das Andre verheimlichen; wenn sie den Enderfolg hinstellen, nakt und baar, die Momente aber, aus welchen solcher hervorgegangen, und nach welchen die Thatsache gewürdigt werden muß, geflissentlich in Schatten halten; so thun sie freilich nur, was sie alle Tage thun; was sie thun, so oft sie die Geschichte, die Alten, die Bibel citiren; was zu thun aber nicht den Kindern des Lichtes geziemt, sondern nur solchen, die sich verkauft haben an den Vater der Lügen.

Ueberhaupt aber verdenken sie mir, oder vielmehr, es stellen jene Afterreder sich an, als ob sie mir verdächten, daß ich bey den Fremden mein Recht gesucht, und von den Feinden das Amt mir habe geben lassen .... Und wie anders hätte ich es dann anfangen sollen, ich bitte? Und ist es nicht einfacher, würdiger, edler, das Amt, dem man sich eben gewachsen fühlt, nachzusuchen bey der dasselbe verleihenden Macht; (wie sie gekommen zu ihrer Befugniß, darüber magst du mit dem Gotte hadern!) als die Aemter zu [178] erkriechen durch Speichelleckerei, oder sie zu erschleichen mittelst der Schürze, oder sie zu erkaufen mit schnödem Golde? War etwa ich der Erste und Letzte im Lande, der sich hätte befördern lassen durch den Eroberer, der Kronen gab und nahm, in jener herben Zeit? Sitzen nicht eben itzt, da ich dieses schreibe, in unsern ehrwürdigsten Collegien und Corporationen Männer, welche angestellt worden sind ganz auf die gleiche Weise?.. Oder sollten etwa die erledigten Aemter ledig geblieben seyn während jener schrecklichen königlosen Zeit? Sollte das Volk nicht getröstet, die Jugend nicht unterwiesen, das Recht nicht gesprochen, das Gesetz nicht gehandhabt, der Staat nicht verwaltet werden in Tagen, wo es zu diesem allen gerade der Tüchtigsten und Kräftigsten im Volk bedurfte? ... Oder wären etwa Untüchtige diejenigen, die von den Ausländern angestellt wurden? Gehören nicht vielmehr gerade diese zu den Ehrwürdigsten ihres Standes? Sind nicht Männer unter ihnen, welche ausfüllend ihren Platz mit Kraft und Nachdruck, weniger geehrt werden durch das Amt, als das Amt durch sie? Gewiß, diese Fremdlinge und Eindränglinge wußten gar wohl in Fällen dieser Art, was ihnen zu thun gebühre. Keinesweges wird ihnen nachgewiesen werden können, daß sie die Aemter und die Würden verschleudert hätten an Kreaturen und Nepoten, an Schmarotzer und Schmeichler, um schnödes [179] Gold und glatte Worte? Sie pflogen Rathes zuvor mit den Behörden. Sie zogen Kunde ein von der Bewerber Gaben und Verdiensten. Es war ihnen ein Ernst darum, den Würdigsten herauszufinden; und eben weil es ihnen damit ein Ernst war, haben sie meistens gefunden, was sie suchten.

Allein es ist auch jenes alles nicht das, was, die mich lästern, eigentlich reitzte. Es kümmert sie im Grunde nicht groß, wer ich vormals gewesen, oder wie ich es getrieben, wenn ich nur itzt mit ihnen es wollte halten. Ich hätte mögen ihrethalb schalten und walten in der letztverfloßnen Zeit nach des eignen Herzens Lust und Belieben; ich hätte mögen prassen und schwelgen an den Tafeln der Ausländer, den Hof machen ihren Phrynen und Ganimeden, preisgeben ihrem Gelüste die eigenen Töchter und Mündel, und zum Lohn mir zuschlagen lassen Lieferungen und Commissariate, und des Landes fetteste Güter: in die Wette mit ihnen hätte ich mich mögen mästen von dem Mark der Dürftigen, und mich berauschen in den Thränen und dem Blute des ausgesognen Volkes; das alles hätte ich thun mögen, und noch Schlimmeres; schinden hätt' ich mögen wie Verres, und prassen wie Vitellius; stehlen wie Achan, morden wie Doeg, verrathen küssend wie Ischarioth, lügen dem heiligen Geist ins Angesicht wie Ananias und Sapphira; wenn ich itzt nur, da die Windfahne sich gedreht, wollte heulen [180] mit den Wölfen, und belfern mit den Rüden, und mit den Gänsen schnattern; wenn ich nur wollte, mit ihnen Chorus machend, fluchen dem Franzosenthum, und niederfallend anbeten vor dem bleiernen Kalbe, das sie sich gegossen haben, vor ihrem dummen Götzen Teutschthum; dann wäre ich ein rechter Mann und Held, ein zweyter Hutten oderHartmut, und würde, als ein solcher, hochgefeiert und lobgepriesen in den Zeitungen und Zeitschriften .... Weil ich aber solches weder kann noch mag; sintemalen die französische Volkseigenthümlichkeit sicherlich eben so achtungswürdig ist in ihrer Art, wie nur immer die der Britten und der Deutschen; weil ich das achte Gebot bedenkend schändlich finden würde, Böses nachzusagen solchen, von denen ich meines Theils nur Gutes erfahren, und in Erfahrung gebracht; so erfrechen sie sich, mich der Ausländerei zu zeihen und des Hochverraths am Vaterlande, mich, den Schlichten, Faltenlosen, der in der altväterlichen Einfältigkeit dermaßen ersteifte und erstarrte von seiner Jugend auf, daß nie auch nur die verschämteste Andeutung modischer, geschweige ausländischer Glättung oder Modelung hat haften mögen so wenig an seinem Aeußern als an seinem Innern. Weil ich gewagt, die Mäßigung zu predigen in den Tagen des Unmaaßes, und die Sitte in Schutz zu nehmen gegen die Rohheit; weil mir gewidert ihr wüstes Gebrüll, und mir Bauchgrimmen [181] erregt ihre huronischen Schlachtgesänge; weil ich geeifert gegen den neuen Terrorism, und gewarnt vor den Knipperdollingen des Tags und vor den zweyten Marats; weil ich mich nicht vermesse zu richten Den, welchen zu richten nur der Nachwelt gebührt und der Geschichte und dem Gott; weil mein historisches Gewissen mir nicht erlaubt, ein verwandtes Nachbarvolk zu verläumden und zu verlästern, dem das Menschengeschlecht leichtlich eben so hoch verhaftet und verpflichtet seyn dürfte, als dem Unsern; weil ihre gespielte Frömmigkeit mir ein Gräuel ist, und die religiöse Schminke mich dünkt der Ruchlosigkeit Gipfel; weil mich widersinnig, um nicht zu sagen lästerlich bedünkt, das Kreutz zu paaren mit dem Schwerdt, das Werkzeug unsrer Entsündigung mit dem der Sünde, das Symbol der leidenden Hingabe mit dem der Selbstwehr und Selbstrache; weil es mir wehe thut, die eigenen Brüder das Evangelium der Liebe verzerren zu sehn zu dem Kakangelion des Hasses, fluchen zu hören, die da segnen sollten, den Dolch zucken zu sehn, welche berufen wurden, den versöhnenden Kelch zu reichen; weil mir widersteht, ein doppeltes Recht anzuerkennen, das eine, welches gelte auf dem Trockenen, das andere, was auf dem Meere; weil ich mich weigere, was in unserm Erdtheil schändlich und verabscheuungswürdig geachtet wird, löblich und preiswürdig zu finden in den drey oder vier übrigen; weil [182] Italiens Entjochung und Polens Herstellung mir nicht minder Sache der Menschheit dünkt, als die Erlösung Deutschlands; weil das Menschenthum mir höher steht, als das Volksthum, und der Gattung gemeinsames Vaterland höher, als des Einzelnen Heimath; weil die Erdscholle, die mich trägt, mich nicht der Nabel des Universum bedünkt, noch der Augenwink, noch das Fingerschnalzen, während dessen ich athme, der Brennpunkt der gesammten Menschengeschichte; weil ich die Wahrheit mir zur Braut erkohr und zur einzigen Gebieterin, auch darüber halte von Amtes und Berufes wegen, daß ihre Stimme, wenn nirgends, so doch wenigstens möge gehört werden in dem Hörsaal der Geschichte, welche, wenn anders nichts, dieß Eine wenigstens ernstmahnend lehrt; daß unbegreiflich Gottes Gerichte seyn, und unausforschlich seine Wege, daß noch nie ein Sterblicher des Herrn Sinn erkannt, und daß Vermessenheit oder Blödsinn sey, sich anzustellen, als habe man in Seinem Rath gesessen .... Darum, nur darum ist es, daß sie mich hassen; darum wüten und toben sie wider mich, darum lästern und verfolgen sie mich, und »können meines Fleisches nicht satt werden;« darum schelten sie mich einen Bonapartisten und Franzosenfreund, [183] und möchten die blinde Menge wider mich aufregen, und würden Brod und Leumund mir rauben, wenn ihnen die Macht dazu gegeben würde. Allein sie wird ihnen nicht gegeben werden; dafür ist mir nicht bange. Ihre Blitze sind nur Kolophonienblicke, und ihre Donner ein Gerumpel mit hohlen Tonnen. Allzu fest ist meine Ehre begründet vor den Edleren unsers Volks, als daß sie könnte versehrt werden durch ihre Ansprützungen. Zu groß ist noch die Zahl der Ruhigen und Würdigen; zu durchgreifend sind am Ende Vernunft und Rechtsgefühl; zu gerecht ist die Nachwelt, als daß die rohen Ausbrüche ihrer fanatischen Wuth meinen Wohlstand erschüttern oder meinen Leumund kränken könnten. Es wird meiner gedacht werden, wann von ihnen längst nicht mehr die Rede gewesen. Es werden leben meine Gesänge mit denen des Haller, Kleist, Uz, Kreuz und Klopstock, wenn die Irrwische und Feuerbrände, die sie unter das Volk schleuderten, längst verdampft und verqualmt sind. Wohl habe ich nie von der Tugend mich benannt, noch ihren ehrwürdigen Namen gemißbraucht zu einem Aushängeschild oder einer Lockpfeife für geheime Vergatterungen; aber ihr Geist ist mir nicht fremd geblieben, ich habe sie zu verherrlichen gestrebt [184] mein Lebelang durch Wort und Lied, ingleichen, soweit die menschliche Gebrechlichkeit es verstattet, durch Thun und Leiden und durch die Darbringung mancher schweren Opfer. Wohl habe ich, mich begnügend, dem deutschen Volk anzugehören, für überflüssig gehalten, mich einschreiben zu lassen in die Rollen des Einen oder Andern jener neugebildeten engeren Vereine, welche vorzugsweise sich die deutschen nennen; weder kleide ich mich in Spenglers oder Pirkheimers Costum, noch zwänge ich mich zu sprechen, wie der Luther sprach, oder zu schreiben, wie das Narrenschiff geschrieben ist, oder zu reimen wie der Theuerdank gereimt worden mit sammt dem Froschmäuseler; dennoch bin ich mir bewußt, ein deutsches Herz in der Brust zu tragen, und wohl ein deutscheres, als jene. Denn unsers Volkes Eigenthümlichkeit ist mit nichten jene schroffe, eckige, scharfkantige, abstossende Absonderlichkeit und Abgeschlossenheit, die sie uns predigen; sie war von jeher, und wird seyn, so lange wir uns selbst getreu bleiben: Universalität, Humanität, die schöne Gabe, uns anzueignen das Gute und Schöne aller Zeit und jeder Zunge, jene gerechte Mitte, welche, wie den Charakter unsrer geographischen Lage also auch den unterscheidenden und achtbarsten Zug ausmacht in unserm geistigen und sittlichen Bilde.

Jedoch ich gedenke, daß geschrieben steht: »Stecke [185] dein Schwerdt in die Scheide; denn wer das Schwerdt nimmt, soll durch das Schwerdt umkommen.« Darum will ich einscheiden das Meinige, und hoffe, von nun an es nimmer wieder ziehn zu dürfen. Denen zu Lieb, welche bisher mir mit Theilnehmung gefolgt sind, will ich itzt noch einige Data ausheben aus den, seit der itzt beschriebnen Epoche mir verstrichnen Lebensjahren, und will damit die Rede und das Buch beschließen.

Es war im August des achtzehnhundert achten Jahrs, als wir in Greifswald eintrafen. Da es nun die Mühe nicht lohnte, während des fast verflossnen Sommerhalbjahrs noch einige Vorlesungen zu geben, so blieben mir noch ein paar Monate übrig, während deren ich nicht nur einer heilenden Muße pflegen, sondern auch zu meinem neuen Beruf mich gebührend vorbereiten konnte. Im October eröffnete ich dann meine Lectionen und zwar habe ich während dieses ersten Semesters die Geschichten der Deutschen erzählt, und des Pindaros Olympische Hymnen erklärt. Ueberhaupt aber habe ich während meiner nun siebenjährigen akademischen Laufbahn sechs und dreißig Curse vollendet, wovon die Hälfte der Geschichte angehört, die übrige Hälfte der Hellenischen Classik, welche zu lehren ich ebenfalls übernommen hatte. Von Griechischen Classikern habe ich interpretirt binnen dieser Zeit: die Ilias und Odyssee, die Pindarischen Hymnen, und die Orestias des Aeschylos; ferner die Biographien [186] des Plutarch, und von den Werken des Demosthenes die Olynthischen und Philippischen Reden, sammt der Rede für die Krone. Anlangend die Geschichte, so habe ich außer der alljährlich wiederkehrenden Weltgeschichte, und Europäischer Staatenhistorie noch folgende specielle Doctrinen abgehandelt: die Urgeschichte, die Geschichte der Hellenen, die der Deutschen und die der Kreutzzüge. Ich habe diese letzteren sämmtlich, und in solcher Vollendung, was Form wie Inhalt anlangt, ausgearbeitet, daß die Hefte fast, wie sie sind, dem Druck übergeben werden könnten. Gleichwohl ist mir nicht möglich, meine Vorträge von den Blättern herunterzulesen. Ich begnüge mich, einen Ueberblick der hauptsächlichsten Daten, Namen und Zahlen, den ich beym ermangelnden Gedächtniß zu Rathe ziehn könne, mit mir in den Hörsaal zu nehmen, und vertraue für die Ausführung der Wärme des Augenblicks und den Eingebungen des Genius. Ich habe gleichwohl empfunden, daß ich zu spät in diese Bahn getreten bin, und daß ich es besser machen würde, wenn ich früher angefangen hätte. Doch scheint auch der vortrefliche Schleiermacher mir allzustrenge zu verfahren, wenn er das funfzigste Lebensjahr bereits als den Wendepunkt festsetzt, wo es dem Akademiker gebühre, aus der Reihe der Redenden sich zurückzuziehn in die Reihe derer, die da hören.

Am funfzehnten August des achtzehnhundert neunten [187] Jahrs ward mir übertragen, den Tag unsers damaligen Beherrschers auf die übliche Weise mit einer Rede im größern akademischen Hörsaal zu begehn. Recht gern unterzog ich mich diesem von vielen abgelehnten Geschäft. Ich glaubte, diesen Anlaß benutzen zu müssen zu einem Versuch, ob mich etwa durch eine ruhige reinhistorische Uebersicht der bisherigen sowohl legislatorischen als heroischen Laufbahn des dermaligen Welterschütterers der Frechheit der Urtheile gesteuert, die schreiendsten Mißverständnisse ausgeglichen, die furchtbar entbrannten Leidenschaften gekühlt, und die auch unter uns bis zu wechselseitiger Anfeindung entzweiten Gemüther, wenn nicht ausgesöhnt, so doch gestimmt werden möchten einander schonend zu tragen. Ich darf mich dann freilich nicht rühmen, auch nur einen dieser Zwecke erreicht zu haben. Ganz im Gegentheil ward mein Absehen meistens verkannt. Motive, die mir gänzlich fremd geblieben, wurden mir untergeschoben; unerbittlicher nur noch ward die mir eigene Ansicht der Dinge verurtheilt, und wie es in Tagen großer Partheiungen zu geschehen pflegt, was ich gesprochen, ward umhergetragen, entstellt, verfälscht, verzerrt bis in das Unglaubliche, Abentheuerliche und Ungeheure. Unter solchen Umständen glaubte ich thun zu müssen, was unter ähnlichen ein Größerer freilich und Besserer, was Johann von Müller gethan. Ich ließ, was ich geredet, drucken, da dann freilich [188] jene Zerrbildner verstummten, den Deutlern und Folgerern aber nur ein um so freyerer Spielraum eröffnet wurde. Ich habe mich das nicht hindern lassen, da die erste Ausgabe bald erschöpft worden, im Januar 1812 einen neuen hin und wieder berichtigten Abdruck zu veranstalten, zu dessen Motto ich die Worte wählte, mit welchen Arrianus die Geschichte Alexanders endigt: »Dieser, achte ich, sey nicht geworden ohne Gott; von den Menschen, die zuvor gewesen, glich ihm keiner.« Zu Gunsten derer, welchen zwar wohl die Verunglimpfungen dieser Rede zu Gesicht gekommen, aber nicht die Rede selber, mag hier ein Bruchstück stehn aus deren letzter Hälfte. Man wird darin prophetisch angedeutet sehn, was, wenn noch nicht gar erfüllt, so doch der Erfüllung nahe gekommen in unsern Tagen.


S. 50. »Es ist zu hoffen, daß der Bund, der bis itzt bescheiden sich nur noch vom Rheine nennt, dereinstens alles Land umfassen werde, was mit deutscher Zunge redet. So oder nimmer mag Einheit kommen in die durch den Unterschied der Regierungen, Verfassungen und kirchlichen Confessionen einander fast fremd gewordnen Theile unsers Vaterlandes. Es mag geschehen auf diese Weise, daß, sich stützend auf den Mächtigsten, so lange sie des Stützpunkts außer sich noch nicht entrathen können, Germaniens hundert Stämme [189] endlich einmal zusammenwachsen zu Einem organischen lebendig gegliederten Körper. Alsdenn wird der Norddeutsche nicht mehr feindlich gegenüber stehn seinem südlichen Bruder. Der Antagonismus wird verschwinden, hervorgerufen durch die Gegensätze des Augsburger Bekenntnisses mit den Satzungen von Trident. Nicht mehr wird die Rede seyn von Sachsen, Baiern, Schwaben, Franken, sondern ein jeder wird sich zu ehren streben mit dem Namen des Deutschen. Nicht länger werden wir uns nennen nach dem Luther, dem Zwingli, oder dem römischen Bischof, sondern sämmtlich werden wir Katholiker seyn in des Wortes ältestem und ächtem Sinn. Gerichtet nach einerlei Recht ein jeder von seines Gleichen, beysteuernd zu den Bedürfnissen des Vaterlandes ein jeglicher nach seinem Vermögen, berechtigt zu ehrender Auszeichnung ein jeglicher nach seinem Verdienst; wieder mächtig geworden des Wortes ... und wer weiß nicht, daß schon öfter ein feuriges Wort eine große That erzeugte! wieder mächtig geworden des Schwerdtes ... und wer begreift nicht, daß solches unerläßlich seyn, in einer Zeit, wo die Welt auf der Degenspitze schwebet! werden wir bald wieder werden, wie die Väter waren; vollmündig, selbständig, uns selber genügend, fremden Schutzes und fremder[190] Bevormundung nicht bedürfend, wohl aber willig und bereit, einem jeden, welcher dergleichen bedürfen möchte, beydes zu gewähren, neidlos, arglos, ohne Mistrauen und ohne Lohnsucht .... Irr' ich, oder seh' ich an der umnachteten Gegenwart fernstem Horizont aufdämmern über Deutschland die Aurora einer schönern Zukunft? Nein, du wirst nicht untergehn, bescheidenste, obwohl gehaltreichste aller Nationen! Heimath des Hermann und des Wittekind, Vaterland des Luther und des Hutten, Mutter, Amme und Pflegerin des Dürer, Balde, Kepler, Leibnitz, Kant, Klopstock, Herder ... Und sollte deiner heute vergessen werden, um dessen allzufrühen Verlust die noch frische Wunde blutet, glaubenwerther Mann, ehrwürdiger Johannes Müller! Nein es ist nicht im Plan des Weltgenius, daß eine Nation, wie die unsrige, ausgetilgt werde aus der Reihe der Menschenfamilien. Es müsse nur ein jeglicher von uns den Glauben bewahren an den Gott über ihm und in seinem Innern! Es müsse nur keiner sich lassen abhanden kommen seinen Antheil an den Tugenden, welche von jeher sind betrachtet worden als des Deutschen angestammtes und bezeichnendes Gepräge, der Zucht und Treue, der Rechtlichkeit, Redlichkeit und Aufrichtigkeit, der Bescheidenheit, Frömmigkeit, Beharrlichkeit, [191] der schwer zu erschütternden Ordnungsliebe, und tiefgewurzelter Ehrfurcht für das, was wahr und recht und heilig! Es müsse unsre Sprache, die da ist keusch, klar, stark, zart, herzlich, kräftig, erweichend beides und erschütternd, von uns nur anerkannt werden in ihrem Werth, und gepflegt und gehütet werden, wie das Palladium unsrer Selbständigkeit! Es müsse das herzliche deutsche Lied, das Lied der Luther, Opitz, Haller, Kleist und Klopstock von uns vorgezogen werden des Auslands noch so lockenden Weisen! Es müsse der Mann nur vorleuchten dem Jüngling in jenem gesetzten Ernst, der dem Deutschen ungleich besser steht, als die Leichtigkeit und Beweglichkeit der Nachbarn! Es müsse der Jüngling frühe sich entzünden an der Väter großem Vorbild! Es müssen, um zu brauchen des Propheten Worte, die Herzen der Kinder nur bekehret werden zu den Vätern, der Völker zu den Fürsten, der Bürger zu den Kriegern, der Laien zu den Nichtlaien, aller Herzen aber ergriffen und vereinigt werden durch einerlei starken Glauben, einerlei feurige Liebe, einerlei begeisternde Hoffnung ... und wahrlich, die Aere unsrer Wiedergeburt wird nicht ferne seyn. Verständigt durch die Erfahrung, geläutert durch das Unglück, erstarkt unter den Stürmen selber, werden wir früher [192] oder später den Rang wieder einnehmen unter den Nationen, welchen der Weltgenius unserm Volke zugedacht zu haben scheint, den Rang eines Ur- und Centralvolks, in dessen Focus alle Strahlen der höhern Bildung zusammen brennen!«


So ahnte ich im achtzehnhundert neunten Jahr. Und wenn in dem laufenden achtzehnhundert funfzehnten, was ich damals ahnte, noch nicht vollständig in die Erfüllung gegangen, so liegt die Schuld weder an dem Gott, noch an unserm Volke!


Am funfzehnten October desselben achtzehnhundert neunten Jahrs bescherte mir Gott einen schönen Tag. Es war der Tag, an welchem ich die Hand meiner Erstgebornen in die Hand meines würdigen Vertreters und Gehülfen legte, und durch dies neue Band unsre Schicksale unauflöslich mit einander verknüpfte. Die väterlichen Worte, welche ich zu den Verlobten geredet, ehe ich das unwiderrufliche Ja von ihren Lippen nahm, und mit dem güldnen Ringe, dem Symbol ewiger Vereinigung, sie vermählte, sind mir noch übrig. Ich finde sie würdig, aufbewahrt zu werden, und werde zu dem Ende sie aufnehmen unter den Beylagen dieses Buchs.


Im Frühling des folgenden Jahrs wurden die freundschaftlichen Verhältnisse wieder hergestellt zwischen Schweden und Frankreich. Unser Canzler, der [193] den Frieden geschlossen, säumte nicht, in unsrer Mitte zu erscheinen, da dann alles nach Stralsund eilte, ihn zu bewillkommen. Ich bin denn auch hingereist, der Letzte so ziemlich von allen, indem ich zuvor glaubte, meine Vorlesungen beendigen zu müssen. Ich hatte die Genugthuung, zu finden, daß der verständige und wohlgesinnte Herr meine Lage vollkommen begriff, und meine Triebfedern gebührend zu würdigen wisse. Er wiederholte mir, was er schon von Paris aus mir geschrieben, daß ihm lieb sey, mich auf der Universität zu wissen, und daß er wünsche, mich derselben zu erhalten. Als ich merken ließ, daß mir nicht thunlich sey, zu bleiben, dafern mir nicht gestattet würde, meine Pfarre auf die bisherige Weise daneben zu verwalten, versicherte mich der Graf, daß ähnliche Vereinbarungen in Schweden etwas ganz gewöhnliches seyn, daß die Sache keine Schwierigkeit haben werde, und daß er zu solchem Zweck sich bey des Königs Majestät verwenden wolle. Die Verwendung erfolgte. Der König, wie zu erwarten stand, ließ das Wort seines Canzlers bey sich gelten. Wenig Wochen verstrichen, und was im Namen des Kaisers mir war verliehen worden, ward durch des Königs Gnade mir bestätigt.

Im Winter des achtzehnhundert eilften Jahrs fand ich Muße eine Arbeit, die ich längst beschlossen, hinauszuführen, eine gründliche Musterung und Sichtung [194] nemlich meiner sämmtlichen metrischen Dichtungen. Ich ließ liegen das Unheilbar-Kränkelnde und Schwächliche, las aus, was mir einen lebendigen Odem in sich zu tragen schien, vieles ist gänzlich umgearbeitet, das gar Alte und Formlose fast neu geschrieben; überall war ich beflissen der Rhythmik, Prosodie und Metrik nachzuhelfen, welche ich, verführt durch die großen frühern Dichter, die freilich für die Mängel der Form durch die Hoheit und Herrlichkeit des Inhalts schadlos hielten, bis dahin über die Gebühr vernachlässigt hatte. Das Ganze, woran, einige Jahre nach einander, unter meinen Augen gedruckt worden, habe ich vertheilt in acht Bände. Jucunde füllt den ersten, den zweyten die Inselfahrt. Der dritte liefert die Legenden; der vierte die Rügischen Sagen, vermehrt mit mehreren von hoher Schönheit, die ich dem alten Ersischen Barden nachgebildet habe. Die vier übrigen stärkern Bände fassen die lyrischen Gedichte, welche von mir mit Rücksicht theils auf den Inhalt, theils auf die Zeitfolge in zwölf Bücher vertheilt worden sind. Diese Ausgabe ist nicht bestimmt, durch den Buchhandel in Umtrieb zu kommen, sondern kann lediglich von mir selbst bezogen werden; es sind mir aber nur noch einige Dutzend Exemplare von ihr übrig .... Da meine Gedichte während der letzten zehn bis funfzehn Jahre, wo ein anderer Geschmack aufgekommen, wenig gelesen worden, (sie werden aber [195] wieder auferstehn, wie ich hoffe, und die Bessern von ihnen werden übrig bleiben) so hat sich bloß noch eine dunkle Ueberlieferung von ihnen erhalten, woran sich knüpft der Nebenbegriff von gewissen diesen Werken anklebenden Mängeln des Ungeschmacks, der Gestaltlosigkeit, der Abentheuerlichkeit, des Uebertriebnen und Ungeheuren, vergesellschaftet mit gänzlicher Versäumniß aller Correctheit und Feile. Es begegnet mir nicht selten, daß ich zu absonderlicher Gemüthsergötzung mich citirt finde, als Beyspiel sämmtlicher itzt benannter Untugenden und Unarten, mit Beziehung auf die älteren, längst verschollenen, und überall nicht mehr von mir anerkannten Ausgaben. Ich muß recht sehr bitten, daß man mich entweder überall verschone mit der Ehre des Citirens, oder wenn es dann doch einmal citirt seyn soll, daß ich möge angezogen werden nach den Lesearten dieser letzten Ausgabe, indem ich, wie gesagt, die älteren nicht mehr als die Meinigen betrachte. Wobey mir nicht unbekannt ist, daß manchem sinnigen Menschen gerade diese ältern Texte mit allen ihren Härten und Rauhheiten, ihren grotesken Bildern, himmelschreienden Metaphern u.s.w. noch immer lieber sind, als die neuern mit ihrer Glätte und Blänke.

Während des achtzehnhundert zwölften, so wie während eines Theils des folgenden Jahrs habe ich das akademische Rectorat zu verwalten gehabt; mithin [196] zu einer schweren Zeit, sintemalen eben damals die französischen Heere zum drittenmal unser Land in Besitz genommen hatten, da es dann an Reibungen zwischen dem eingedrungnen Gouvernement, und zwischen den einheimischen Autoritäten nicht fehlte. Es ist mir jedoch gelungen, allen Eingriffen der Fremden in das Eigenthum und die Rechte der Akademie zu steuern, so wie auch unsre studirenden Jünglinge, die sich im beständigen Conflict mit der usurpirenden Gewalt erhielten, vor den Krallen der leider auch unter uns errichteten sogenannten hohen Polizey zu schützen. Möchte mir nur dasselbe geglückt seyn, in so fern es unsre Exemtionen und Immunitäten betraf, gegenüber den einheimischen Behörden. Wenig Universitäten aber können nachrühmen den Obrigkeiten ihrer Residenzen, was die von Leipzig nachrühmt den ehrwürdigen Vätern ihrer hospitalen Stadt zu deren unvergänglichem Ruhme. Allen übrigen galt der Grundsatz, daß die Noth kein Gebot leide, (wobey sie sich dann vorbehielten, den Fall des eintretenden Nothstandes nach ihrer Willkühr zu bestimmen) und daß der Staat so lange nur gebunden sey durch die übernommenen Verpflichtungen, als er durch deren Leistung nicht in Gefahr gerathe zu Grund zu gehn .... Demosthenes zwar war andrer Meinung. Und es gelang ihm seine Athenäer zu überzeugen, daß, welcher Staat nur durch einen Wortbruch gerettet werden könne, des Rettens [197] überall nicht würdig sey. Siehe seine Rede von den Symmorieen.

Als darnach der siebente October nahte, schien vielen bedenklich, unsers Königs Tag im Angesicht und gleichsam zum Trotz unsrer Dränger zu feyern. Ich aber that, was meines Amtes war, kündigte die Feyer an durch das gewöhnliche Programm und ließ den commandirenden General sammt dem Offiziercorps der bey uns cantonnirenden Truppen dazu einladen durch die sceptertragenden Pedellen. Sie erschienen dann auch sammt und sonders, und beobachteten während der ganzen Handlung die gebührende Stille und Ehrerbietung. Ich aber habe selbst die Katheder bestiegen an diesem Tage, und habe gesprochen zu dessen Feyer die Rede von der Hingebung des Leonidas, aus welcher, da von den wenigen Exemplaren, die ich von ihr abziehn ließ, wohl schwerlich eins über die Gränze gekommen seyn mag, hier ebenfalls das Schlußstück stehen möge zur Probe:


S. 43. »Und also sind sie sämmtlich umgekommen, die Spartaner, wie die Thespiäer, durch mancherley Gestalt des Todes zermalmt die Einen, durchbohrt die Andern; früher diese, später jene; lebendig ist keiner dem Feind in die Hände gefallen ... überwunden keiner! Denn wer möchte die Ueberwundne nennen, welche nicht erlegen sind überwiegender Tapferkeit, sondern einzig der Endlichkeit [198] menschlicher Kräfte. Auch nicht ungerochen fielen sie; denn zwanzigtausend von den Ausländern bedeckten die Wahlstatt. Weniger noch darf gesagt werden, daß sie verblutet wären sonder Nutz und Frommen; denn die Schlacht in den Thermopylea mag betrachtet werden, als die Mutter der späterhin erfolgten Rettungsschlachten bey Salamis und bey Platäa; dem Geist, den das Beyspiel des Leonidas und seiner Braven den Hellenen eingehaucht, ist zuzuschreiben, daß das Griechenland die hundert und funfzig nächsten Jahre hindurch keinen andern Herrn erkannt hat, als den, der im Olympus thronet .... Welches Leben sollte wohl schönere Früchte treiben können, als ein solcher Tod! Und wer dem die große Wahl freygestellt würde, möchte die wenigen Jahre, welche die Natur ihm etwa noch beschieden hätte, nicht willig hingeben um einen solchen Preis! Glückselige Spartaner, euch ward beschieden vor Millionen eurer minder glücklichen Brüder, welche verbluteten für eine ihnen fremde Sache, zu fallen für Altar und Heerd, der Freund an der Seite des Freundes, im begeisternden Gefühl für Freiheit und Vaterland, verlustig zwar des zeitlichen Lebens, jedoch gewiß, ewig übrig zu seyn im Andenken aller kommenden Geschlechter ... Sparta seiner Seits hat seine Söhne geehrt, wie [199] es pflegte, prunklos, wortkarg und einfach. Drey schlichte Steine mit eben so schlichten Inschriften sind, nach des Landes Säuberung und der Vertilgung der Fremden, errichtet worden in dem Paß der Thermopylen. Der erste, bezeichnet den Wahlplatz, wo die Spartaner, gemeinschaftlich mit den Verbündeten wider die Ausländer gestritten hatten. ›Auf diesem Platze, hieß es, haben vier Chiliaden der Helle nen siegreich bestanden den Kampf mit dreimalhundert My riaden der Meder.‹.. Der zweite stand, wo die Dreihundert gefallen waren. Die mit Recht bewunderte Legende war diese: ›Geh Wanderer, sags an zu Sparta, daß wir hier liegen, gehorsam seinen Gesetzen.‹ Auch Megisthias erhielt seinen Stein. Die Worte sind gefaßt von Simonides: ›Hier liegt Megisthias der Seher. Er wußte die Zukunft. Gleichwohl, als Leonidas zu sterben beschloß, hat ihn des Lebens verdrossen.‹ Auf der Stätte endlich, wo Leonidas gefallen, ward ein steinerner Löwe errichtet, hindeutend auf des Königs Namen und Gesinnung ... Die Thespiäer nur hat kein Stein genannt, jene treuen frommen Eidgenossen, die wohl ein Besseres verdient hätten um ihre Spartanischen Bundesfreunde; denn [200] Eidgenossen solcher Art sind selten gewesen zu allen Zeiten .... Jedoch Herodotos hat ihrer gedacht in seinen unvergänglichen Geschichtbüchern .... Und auch wir wollen ihrer heute gedenken, wir Wenigen und Spatgebornen, die wir aufgespart wurden einem Zeitalter, das im Eingang eines ungleich prüfendern Thermopyle seinen Leonidas erwartet, aber nicht gefunden!«


So habe ich geredet, Angesichts eben derer, wider welche wir eines Leonidas bedurften. Scheel zu sehn zu solcher Freymüthigkeit, mich ihrethalb etwa in Anspruch zu nehmen, ist ihrer keinem eingekommen.


Im März des achtzehnhundert dreizehnten Jahrs schrieb ich, durch die großen Bewegungen des Tages aufgeregt, meine vaterländischen Gesänge. In welchem Sinne, und zu welchem Zwecke sie gedichtet worden, besagt die Vorrede. »Daß auch in ihnen die herrschende Stimmung wiederklingen werde, daß die Rede in ihnen seyn müsse von den Tugenden, die bei so großer Gefahr allein uns retten können, von dem kräftigen Ermannen, dem einmüthigen Zusammentreten, dem redlichen Beieinanderstehn, der unbedingten Hingabe, der männlichen Ausdauer, wird jeder ohnehin erwarten. Neben diesem ersten Nothwendigen aber habe ich auch geglaubt erinnern zu müssen an andere, nicht minder unerlaßliche Bedingungen; [201] an die Grundsätze der Milde und der Schonung, der altritterlichen Großherzigkeit, und jenes Zartgefühls, dem schmerzlicher noch fallen würde, im Edelmuth vom Feinde überwunden zu werden, als in der Tapferkeit; Gesinnungen, welche seit dem Emporkommen der Chevalerie den Krieg entwildert und vermenschlicht hatten, die uns aber gänzlich scheinen abhanden kommen zu wollen bei so gewaltsamer und erbitternder Aufreitzung der Gemüther.« Was weiter folgt, hat dann freilich diejenigen schreien gemacht, die sich getroffen gefühlt, und ist nächst der Napoleonsrede zu betrachten als dasjenige, was hauptsächlich wider mich aufgereitzt jenes Gezücht der Hornisse und Bremsen. Ich meines Theils habe dessen Gesumse und Geschwirre mich nicht hindern lassen, die vierte neu vermehrte Ausgabe der Gesänge auszustatten mit einer Anzahl geschichtlicher sowohl als betrachtender Noten, worin ich meine Meinung über die celebersten Ideen des Tags (um mich eines Ausdrucks unsers verewigten tiefsinnigenThomas Thorild zu bedienen) ausgesprochen habe noch runder und noch klarer, denn vorhin, mit geziemender Besonnenheit allerdings, zugleich aber auch ohne einige feigherzige Rücksicht. Von den Gesängen selber verdienen einige, namentlich das Te Deum, Letzte Ehre, die Mahnung, die Warnung, die Waage der Gerechtigkeit u.a. dem Besseren, [202] was uns die Zeit in dieser Gattung gebracht hat, an die Seite gestellt zu werden. Nur des ehrwürdigen Tiedge unvergänglichen Zeit-Denkmalen maße ich mir nicht an sie zu vergleichen.

Im Sommer desselbigen Jahrs erhielten wir einen Besuch von dem unlängst auf unsern Küsten eingetroffenen Heerführer der Schwedischen Schaaren, unsers Königs adoptirtem Sohn. In Ermangelung des gerade krank darniederliegenden Rectors lag mir als Prorector ob, dem Prinzen die Gesinnungen der Universität zu verdollmetschen, was ich dann gethan, so weit die Unbehülflichkeit meiner Zunge in den fremden Dialecten es mir gestattete. Auch war ich ersucht worden, ein Gedicht zu machen, was dem Prinzen bey seinem Einzuge Namens der Stadt überreicht werden könne. Ich schrieb dann dieses Gedicht, Französisch erstlich, darnach noch einmal in deutscher Zunge. Es ist kurz und kräftig. Wohl schwerlich mögen dem Fürsten auf irgend einem seiner zahlreichen Einzüge ähnliche Töne entgegengeklungen seyn. Wie sie auf ihn gewirkt, ob er das Gedicht überhaupt nur gelesen, ist mir nicht bekannt geworden. 2

[203] Im Herbst desselbigen Jahrs, so wie in dem desnächstfolgenden habe ich denn auch wieder an den Geburtstagen des Königs die herkömmlichen panegyrischen Reden gehalten; und zwar im dreyzehnten die[204] Rede von dem Tage zu Clermont, im vierzehnten die zum Gedächtniß des vor gerade tausend Jahren in seiner Pfalz zu Aachen verblichnen heiligen und seligen Kaisers Karls des Grossen. Diese Reden zu sprechen, gehört zwar nicht zu meinem Berufe. Da uns aber die Professur der Eloquenz und Poesie abgeht, als welche in den Jahren, wo der Realism dem Idealism obsiegte, und das Heil der Welt aus dem Calcul der Physiokraten und Oekonomisten erwartet [205] wurde, mit einem Lehrstuhl der Cameralistik vertauscht worden, so ward denn ich in der Regel ersucht, die Lücke auszufüllen. Nothgedrungen nur unterzog ich mich dem Geschäft, wohlwissend, wie wenig solches denen kleide, welche die Anmuth der Jugend verließ, und welchen die Organe anfangen zu versagen.


Ein und zwanzig Mal habe ich während der itzt durchmusterten Jahre bei den Inauguraldissertationen der Doctoranden präsidirt; achtzehn Mal von jenen drey und zwanzigmalen die von ihnen zu vertheidigenden Dissertationen selbst geschrieben. Ich habe abgehandelt in denselben mannichfaltige Materien, theologischen, historischen, philosophischen und philologischen Inhalts. Ihre Titel können nachgelesen werden in dem Schriftenverzeichniß, was ich, dem Literator zu Lieb, diesem Buche beyzuschließen denke.


Zwey volle Jahre verstrichen, ehe ich mich gestärkt genug fühlte, um ohne Gefahr des Rückfalls mich einmal wieder von Angesicht zu Angesicht besprechen zu können mit meiner geliebten Gemeinde, mit welcher ich freilich nicht aufgehört hatte in fortwährender Verbindung zu bleiben vermittelst der Berichte meines Gehülfen, der Besuche, die von dorther bei mir abgestattet worden, auch eines und andern Hirtenbriefes, welchen ich beym Jahreswechsel an sie abgehn[206] lassen. Als ich nach einer so bedeutenden Zwischenfrist nun zum erstenmal wieder in Person vor ihnen auftrat, war groß von ihrer Seite die Freude, von der meinen die Wehmuth. Die fremden Völker waren mittlerweile abgezogen, der Friede (ein nur allzuvergänglicher!) wiederhergestellt, die Spuren der geistigen und leiblichen Zerrüttung fingen an sich zu verlieren. Ich meines Theils war meinem Volke durch die Abwesenheit nur noch werther und ehrwürdiger geworden, und die Worte, die ich nach so langem Schweigen nun zum erstenmal ihnen wieder an das Herz legte, schienen mit zwiefacher Kraft auf sie zu wirken. Ich habe dann auch in der Folge meine Besuchungen minder selten und sparsam seyn lassen, zumal da die Beklemmung, welche zu Anfange mich noch anzutreten pflegte in den Umgebungen, wo ich so viel erlitten, sich späterhin verlor. Ich habe dann jedesmal an den Vormittagen des heiligen Dienstes gepflegt in Gemeinschaft mit meinem Gehülfen; in den nachmittäglichen Stunden aber die Kindlein der Gemeinde um mich her versammelt, als mit welchen mich zu unterreden, ihre Erkenntniß zu prüfen, ein und anderes mahnendes Wort zu ihnen zu sprechen, schließlich aber dem großen Menschen- und Kinderfreunde diese seine Lieblinge segnend an das Herz zu legen allzeit zu meinen erquickendsten und erhebendsten Geschäften gehörte .... Mit Rührung übrigens und zu [207] meiner innigsten Beruhigung habe ich wahrgenommen bey jedem späteren Besuche, wie das Vertrauen der Gemeinde zu ihrem jüngern Lehrer und Seelsorger fortwährend in steigendem Wachsthum begriffen sey. So gänzlich und vollständig hat mein würdiger Eidam diesen meinen Pflegbefohlnen mich ersetzt, daß sie, welche in den erstern Jahren sich noch häufig an mich selber wandten, schriftlich die Einen, mündlich die Andern, nach und nach gänzlich aufgehört haben, mit ihren Angelegenheiten mich zu behelligen, indem sie genug des Rathes und des Trostes an dem Orte fanden, wo sie dergleichen zu suchen und zu finden, von den Vätern her gewohnt gewesen.


»Wie soll ich dem Herrn vergelten alle Wohlthat, die er an mir gethan? Ich will den heilsamen Kelch nehmen, und des Herrn Namen predigen. Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor allem seinen Volk.« ... Eben während des laufenden achtzehnhundert funfzehnten Jahrs hat der Allgütige mich eine gedoppelte große Freude erleben lassen an meinen lieben Kindern. Meinem einzigen Sohn, welcher, nachdem er die Theologie nebst andern Disciplinen gründlich und tüchtig bey uns studirt, mehrere Jahre im Auslande, hauptsächlich jedoch zu Paris dem Studium des Orients obgelegen, und in dessen Sprachen und[208] Literatur, wie die von ihm erschienenen Probeschriften beweisen, sich eine nicht gemeine Kenntniß angeeignet, ward im Januar von dem hochwürdigen Canzler unsrer Universität, dem Grafen von Essen, die ordentliche Adjunctur bey zweyen unsrer Facultäten, der Theologischen und Philosophischen, unter den ehrenvollsten Aeußerungen verliehn; welche frühe Begünstigung (denn kaum erst hatte er das zwey und zwanzigste Jahr vollendet), er nicht aufhört, durch die Mannigfaltigkeit und Gründlichkeit seiner starkbesuchten Vorlesungen zu rechtfertigen .... Was aber in Betracht der Umstände noch wichtiger für mich, und noch beruhigender, ist dieses: daß eben itzt auf meine Bitte und der Gemeinde dringende Verwendung, welche mit ihrer vollgültigen Empfehlung zu unterstützen, die preiswürdige Regierung des Landes unter dem Vorgang Ihres Durchlauchtigen Chefs, des Fürsten und Herrn zu Putbus, keinen Anstand genommen, meinem geliebten Eidam und Gehülfen von des Königs Majestät mittelst offenen Briefes und ordentlicher Vollmacht (ausgestellt Stockholmsschloß unterm 28sten Julius 1815) die förmliche Substitution auf das Altenkircher Pastorat verliehn, und zugleich die dermaleinstige Nachfolge in allen davon abhängigen Gerechtsamen und Genüssen zugesichert worden.


Diese für mich und die Meinigen so wichtige Angelegenheit [209] war auf einem so würdigen Wege, und mit solcher Leichtigkeit und Schnelligkeit zu Stand gekommen, daß wir allzeit Ursach haben werden, uns dessen zu erfreuen. Am fünf und zwanzigsten Julius waren unsre Papiere angelangt bey Hofe, und schon am acht und zwanzigsten war die Ernennung erfolgt. Ein Freund in Stralsund schrieb mir, daß die Vollmacht eingetroffen sey. Ungesäumt fertigte ich einen Boten ab an meine Kinder, um diesen die gewünschte Zeitung mitzutheilen. »Freuen Sie sich, schrieb ich, lieber Sohn. Jene schöne und geliebte Rahel, um wel che Sie, ein gläubiger Jakob, sieben lange arbeitvolle Jahre dienten, ist nun durch Gottes und des Königs Gnade die Ihre. Mögen Sie, gleich einer geschmückten Braut, dem himmlischen Bräutigam sie dermaleinstens mit hellschimmernder Lampe entgegen führen!« u.s.w. Ich kann nicht umhin, einiges auszuziehn aus der Antwort meiner Tochter. »Lieber Vater, schreibt sie, welch eine Zeitung ist doch die, welche wir so eben empfangen haben vermittelst deines Boten. Baier und ich, wir kamen eben aus der Kirche als der Bote uns entgegen trat mit deinem Briefe. Baier, ohne von dem Inhalt das Mindeste zu ahnden, nahm den Brief mit sich auf sein Zimmer. Nach wenigen Augenblicken kam er wieder. In meinem Leben habe ich Baier nicht so bewegt gesehn. Mit Innigkeit umschloß er mich und die Kinder. Kaum hatte er die Kraft [210] mir anzukündigen, daß unsre Wünsche erhört, und daß wir nun versorgt seyn für immer. Wie ward mir doch zu Muthe, lieber Vater, in diesem Augenblick. Eine lange Weile standen wir, einer an das andere gelehnt, und weinend vor Rührung und vor Freude. Allwill aber, verwundert und betreten zugleich, fragte, was uns fehle .... Gepriesen sey der Allgütige, der des Königs Herz bewegte zur Gewährung unsrer Bitte! Und gesegnet sey der großmüthige Fürst, dessen Verwendung wir nächst der göttlichen Fügung dieses große Glück verdanken. Nichts bleibt hinfort uns zu beten übrig, als daß der Allmächtige dich, lieber Vater, uns nun noch viele, recht viele Jahre erhalten möge!« u.s.w .... In gleichem Sinne schrieb mein Eidam mir, daß gerade an diesem Sonntage die diesjährigen Ufergottesdienste seyn eröffnet worden; daß er hingefahren sey unmittelbar nach empfangner Zeitung; daß die Versammlung sehr zahlreich, und fast alle Eingepfarrte zugegen gewesen; daß er nach geendigtem Gottesdienste die Angesehensten der Gemeinde bey Seite genommen, und sie vorläufig von seiner Ernennung unterrichtet habe, da dann auch diese ihm mit großer Herzlichkeit Glück gewünscht, und ihre Theilnehmung auf die rührendste Weise bezeugt hätten.


Eben itzt da ich dieses schreibe, bin ich zurückgekehrt aus Rügen, wohin ich gereiset war, um der[211] zweyten feyerlichen Institution meines Gehülfen, als nunmehrigen Pastors der Gemeinde, durch des verewigten Schlegel verdienstvollen Nachfolgers, den verehrungswürdigen GeneralsuperintendentenZiemßen, beyzuwohnen. Diese eben so erweichende, als erhebende Feyer ist vollzogen worden am letztverfloßnen ein und zwanzigsten Trinitatis-Sonntag. Lange schon vor der neunten Frühstunde war die Gemeinde versammelt. Kaum mit der ersten Stunde des Nachmittags sahe sie sich wieder entlassen. Da war keiner gleichwohl, der während einer so langen Zeit einige Ungeduld verrathen, oder auch nur durch ein leises Geflüster die ehrerbietige Stille gestöret hätte .... Als aber itzt die Hymnen gesungen, die Predigt gesprochen, die weihenden Gebräuche vollzogen waren; als der nunmehr neubevollmächtigte und aufs neue eingesegnete Christusbotschafter sich anschickte, die heilige Communion zu verwalten; als in demselben Augenblick angestimmet ward von dem vollen Chore jenes Lied der Lieder, die Blüthe des Bibelgesanges, worin concentrirt worden der potenzirteste Geist aller Mystik und Anagogik, das Lied: Wachet auf ruft uns die Stimme; als zumal die Gemeinde itzt ausbrach in des Liedes zweyte Strophe: »Zion hört die Wächter singen; Das Herz thut ihr vor Freuden springen; Sie wachet, und steht eilend auf. Ihr Freund kömmt vom Himmel [212] prächtig, Von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig; Ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf. Nun komm, du werthe Kron! Herr Jesu, Gottes Sohn! Hosianna! Wir folgen all Zum Freudensaal, Und halten dort das Abendmahl.... Als, sage ich, diese Töne, diese Bilder, diese Offenbarungen mir in das Innerste drangen ....«


Ich muß abbrechen .... Ich lege die Feder nieder .... Ich schweige.


Ich vergebe denen, die zu der Sünde mich verleiteten, ein ganzes Buch zu schreiben von mir selber. Sie zu wiederholen, diese Sünde, soll von nun an keiner mich verführen.


In der That dürfte auch, was das Aeußere anlangt, in Zukunft wenig mir begegnen können, was die Mühe des Erzählens lohnte. Beruhigt durch Gottes und des Königs Gnade über die Zukunft meiner geistigen, wie meiner leiblichen Kinder, bleibt fortan nichts zu wünschen mir übrig, als daß mir gestattet werde, für meine letzten müden Jahre aus den Geschäften mich zurückzuziehn, und einige Zwischenfrist der Einkehr und der Selbstbetrachtung einschieben zu dürfen zwischen dem Getümmel des Lebens und dem langen ernsten Schweigen der Ewigkeit. Vertrauend der göttlichen [213] Barmherzigkeit, und mich stützend auf das Verdienst des Erlösers, werde ich, wenn dann die lange Nacht hernieder wallt, den Hirtenstab in Frieden niederlegen, mir aneignend jene tröstenden Worte:


»Du aber, Daniel, gehe hin bis das Ende komme, und ruhe, daß du aufstehest in deinem Theil, am Ende aller Tage!«

Fußnoten

1 Und was anlangt diese »reiche Pfründe,« deren vermeintlich nicht zu erschöpfende Einkünfte unzarte Menschen mir aufzurücken nicht aufhören, so gestehe ich dankbarlich, daß ich mehr habe, als ich bedarf, und mehr, als ich verdiene; aber beydes, dächte ich, liesse sich ermessen. Es fließen die Einkünfte des Pastorats theils aus den Ländereien, theils aus den Kornzehenden; und beyde sind beträchtlich. Allein die Ländereien fand ich verpachtet kaum um die Hälfte ihres Werthes, und ich achtete meiner würdig, es zu lassen bey dem Alten. Das Getreide ward nach Stralsund versandt an den Kaufmann, der allzeit auszusetzen fand an diesen Körnern, und mir gab was ihm eben beliebte. Baarer Gehalt wird nicht gegeben, und die sogenannten Accidenzien sind, wie recht und billig, so gesetzt, daß sie das Volk nicht drücken. Was auch so herauskam, war immer noch beträchtlich genug; und ich habe denn damit hausgehalten, wie zu erwarten steht von einem Menschen, der wohl zehnmal in seinem Leben einen Anlauf genommen, und sich vorgesetzt, von nun an recht gründlich Buch zu halten über Einnahme und Ausgabe, und nie hinausgekommen mit dieser Buchhalterey über die dritte oder vierte Seite seiner noch so zierlich eingebundnen und noch so sauber linirten Hefte. Auch muß bedacht werden, daß, was einging, nicht etwa mir allein gehörte, sondern daß ich es zu theilen gehabt sechzehn Jahre hindurch mit dem Diaconus und mit der Wittwe meines Vorfahren. Was etwa sonst geschehen seyn mag, (und was mir zum Verdienst zu rechnen, mir nicht einfällt; denn ich that es, weil ich eben es nicht lassen konnte, also zu thun) möge lieber ausgesprochen werden mit den Worten eines Alten ... »Ἐν δε τοις ἰδιοις, εἰ μη παντες ἰςε ὁτι κοινος, και φιλανϑροπος, και τοις δεομενοις ἐπαρκων, σιωπω, και οὐδεν ἀν ἐιποιμι, οὐδε παρασχοιμην ἀν περι τουτων οὐδεμιαν μαρτυριαν, οὐτ᾽ εἰ τινας ἐκ των πολεμιων, οὐτ᾽εἰ τισι ϑυγατερας συνεξεδωκα, οὐτε των τοιουτων οὐδεν. Και γαρ οὐτω πως ὑπειληφα Ἐγω νομιζω, τον μεν ἐν παϑουτα, δεινμεμνησϑαι τον παντα χρονον, τον δε ποιηραντα εὐϑυς ἐπιλελησϑαι, εἰ δει τον μεν, χρηςον, τον δε, μη μικροψυχου ποιειν ἐργον ἀνϑρωπου. Το δε τας ὶδιας εὐεργεσιας ὑπομιμνησκειν και λεγειν, μικρου δειν ὁμοιον ἐςι τῳ ὀνειδιζειν. Οὐ δη ποιησω τοιουτον οὐδεν, οὐδε προαχϑησομαι, ἀλλ᾽ ὁπως ποϑ᾽ ὑπειλημιμαι περι τουτων, ἀρκει μοι.«

Demosthenes von der Krone, Cap. 81.

2 Es steht in den Vaterländischen Gesängen vierter Ausgabe, und da diese innerhalb der Gränzen unsrer Provinz erschöpft worden, so möge es auch hier stehn; doch nur in der deutschen Umbildung.

Fürst sonder Furcht und Trug, du kommst zum lauern Süden

Fernher vom starren Nord, zu fördern Ruh und Frieden,

Zu schlichten jeden Zwist, zu sühnen alle Wuth,

Den Trutz willst du bekämpfen,

Gewalt und Frevel dämpfen,

Der Frommen Hort und Hut!

Bis uns willkommen dann! Und Gott der Herr sey gnädig

Dem das du willst und wirkst! Der Bande los und ledig

Werd' unser Volk durch dich! Mögst du mit reiner Hand

Der Zwietracht Thor verriegeln,

Der Rache Schlund versiegeln,

Held, bis zum Weltenbrand!

Mögst du vom Untergang der Menschheit Trümmer retten!

Geling' es dir, den Feind, den Argen, anzuketten!

Stift' ein atlantisch Reich! Pflanz' einen Gottesstaat!

Und schimmern soll dein Name

Und wuchern soll dein Saame,

Fürst, gleich der Sternensaat!

Wer ist es, sagt mir an, wer ist der Recht' und Eine,

Der Gottes Bild noch trägt in seiner Treu und Reine?

Der Held ists, der zugleich kindlich und fromm und mild!

Der Wüthrich wird zerstäuben;

Der Gütige wird bleiben,

Denn er trägt Gottes Bild!

Die ihr auf Thronen prangt, um bald im Staub zu modern,

Der Könige König wird vor seinen Stuhl euch fodern,

Prüfend so Schrot als Korn, ein strenger Waradein.

Er schürt der Schmelzglut Flammen,

Nur er mag euch verdammen,

Nur er mag euch verzeihn!

Weh, Krieger, über dich, dem ob dem kalten Morden

Das Eingeweid zu Stein, zu Stahl die Brust geworden,

Dem nie die Wimper naß und nie das Herz wird weich!

Nicht mag der Lorber dauern

Um den die Völker trauern;

Ihr Jammer wäscht ihn bleich!

Fürst sonder Trutz und Trug, magst du den Ruhm erneuern

Des, der bey Lützen stritt, den Deutschlands Hymnen feyern,

Weil er den Unhold schlug, vor dem der Welt gegraut!

Held, laß die Banner fliegen;

Denn schier in letzten Zügen

Liegt Deutschland, deine Braut!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Autobiographisches. Geschichte seines fünfzigsten Lebensjahres. Geschichte seines fünfzigsten Lebensjahres. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B73B-1